21.03.2014 Aufrufe

S. 25 bis 29 Psychiatrieseelsorge

S. 25 bis 29 Psychiatrieseelsorge

S. 25 bis 29 Psychiatrieseelsorge

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

PSYCHIATRIESEELSORGE<br />

Wenn die Seele weint<br />

<strong>Psychiatrieseelsorge</strong> in den Vitos-Kliniken<br />

Die Frau offenbarte dem Pfarrer alles.<br />

Wie sie im Wahn ihre Tochter getötet<br />

hat, um sie zu schützen, vor denen, deren<br />

Stimmen sie zu vernehmen glaubt.<br />

Detailliert schilderte sie die Tat, in einer<br />

Weise wie sie sich nicht einem Psychologen<br />

anvertrauen oder einem Staatsanwalt<br />

offenbaren würde.<br />

Nach dem Gespräch war der Seelsorger<br />

erschöpft. Eigentlich hätte er nach<br />

Hause gehen müssen, aber andere Patienten<br />

waren mit ihm verabredet.<br />

„Neben absoluter Vertraulichkeit ist Verlässlichkeit<br />

auch eine wichtige Grundlage<br />

meiner Arbeit“, sagt der <strong>Psychiatrieseelsorge</strong>r<br />

Paulfried Spies.<br />

„Ich begegne hochsensiblen<br />

Menschen, die an unserer<br />

verrückten Gesellschaft<br />

krank geworden sind.“<br />

Seit acht Jahren <strong>Psychiatrieseelsorge</strong>r<br />

in Gießen: Pfarrer<br />

Paulfried Spies Foto: Hartmann<br />

Der Pfarrer begleitet seit acht Jahren im<br />

Auftrag der Evangelischen Kirche in den<br />

Vitos-Kliniken für Psychiatrie in Gießen<br />

Menschen, die an ihre Grenzen gestoßen<br />

sind. „Ich begegne hochsensiblen<br />

Menschen, die an unserer verrückten<br />

Gesellschaft krank geworden sind.“ Der<br />

Pfarrer hört ihnen zu, geht mit ihnen die<br />

Wege auf dem Klinikgelände, zündet<br />

mit ihnen eine Kerze in der Kapelle an<br />

oder betet mit ihnen. Es sind Menschen,<br />

die unter Konflikten mit sich selbst oder<br />

ihrem sozialen Umfeld leiden. Lebensängste,<br />

Selbstzweifel, gesellschaftlicher<br />

Leistungsdruck und Versagensängste,<br />

Schuldgefühle oder Krisen in der Partnerschaft,<br />

sind nur einige der Ursachen.<br />

Immer häufiger begegnet er Menschen<br />

aus helfenden Berufen, die unter dem<br />

<strong>25</strong>


PSYCHIATRIESEELSORGE<br />

„Worüber haben Sie mal gelacht?“<br />

Burnout leiden. Etwa der Mann, der<br />

über viele Jahre anderen Menschen<br />

geholfen hat und sich selbst dabei vernachlässigt<br />

habe. „Noch nie habe ich<br />

einen Mann so weinen und schreien<br />

gehört“, erinnert sich der Pfarrer an die<br />

erste Begegnung mit ihm in der Kapelle.<br />

Paulfried Spies geht einen spirituellen<br />

Weg mit den Patienten. Seine Hoffnung<br />

ist, dass die Verzweifelten die Quelle<br />

ihrer Kraft finden, aus der sie Lebensmut<br />

schöpfen können. Er will ihnen helfen<br />

sich an positive Lebenserfahrungen<br />

zu erinnern. Die schlichte Frage<br />

„Worüber haben Sie mal gelacht?“ stößt<br />

manchmal eine Heilung an. Seine Seelsorge<br />

ergänzt die Bemühungen der Ärzte,<br />

Psychologen, Therapeuten und des<br />

Pflegeteams. Und doch sucht er einen<br />

eigenen Zugang zur Seele der Menschen.<br />

Beim Pfarrer dürfen die Menschen<br />

unbefangen schreien, toben, ihr<br />

Leid klagen und auf Gott und die Welt<br />

schimpfen. Sie müssen nicht befürchten,<br />

dass sich ihre Äußerungen auf die<br />

Dauer des Klinikaufenthaltes oder die<br />

Hilfe!<br />

Wer akut Hilfe sucht, kann Tag und<br />

Nacht die Ambulanz der Vitos-<br />

Kliniken in der Licher Straße 106 in<br />

Gießen aufsuchen.<br />

Kurzfristig findet man in psychischen<br />

Notlagen anonyme Gesprächspartner<br />

bei der Telefon-Seelsorge.<br />

Gebührenfreier Anruf unter 0800 -<br />

111 0 111 und 0800 - 111 0 222<br />

rund um die Uhr<br />

Foto: Lucie Gerhardt / pixelio.de<br />

26 www.kirche-miteinander.de


PSYCHIATRIESEELSORGE<br />

Medikation auswirken.<br />

Der Psychiatrie-Seelsorger diagnostiziert,<br />

bewertet und therapiert nicht. Aber<br />

die seelsorgerliche Begleitung kann therapeutische<br />

Wirkung haben. Die Kranken<br />

machen in den Gesprächen und<br />

auch bei religiösen Ritualen die Erfahrung,<br />

dass sie nicht allein sind. Tröstende<br />

Worte wie die aus Psalm 23: „Und<br />

ob ich schon wanderte im finstern Tal,<br />

fürchte ich kein Unglück; denn du <strong>bis</strong>t<br />

bei mir“ spielen eine wichtige Rolle.<br />

Paulfried Spies erzählt auch gerne die<br />

Heilungsgeschichten von Jesus. Darin<br />

spiegeln sich die Sehnsucht der Leidenden<br />

nach<br />

Heilung,<br />

nach der<br />

Güte Gottes<br />

und der<br />

Achtsamkeit<br />

anderer<br />

Menschen<br />

wider. Jesus<br />

hat Kranke<br />

berührt, sie<br />

durch seine<br />

Berührung<br />

geheilt. Den<br />

ganzen<br />

„kaputten<br />

Typen um<br />

sich herum<br />

war Jesus<br />

ein helfender<br />

Freund“, spitzt der <strong>Psychiatrieseelsorge</strong>r<br />

eine Motivation für seine Seelsorge<br />

zu.<br />

Begabungen in sich zu entdecken, auch<br />

das bewirkt Heilung. In den Räumen der<br />

Klinikseelsorge treffen sich regelmäßig<br />

eine Malgruppe, eine Schreibgruppe<br />

oder es wird gemeinsam musiziert. Viele<br />

ehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />

unterstützen das ökumenische<br />

Seelsorgeteam von Pfarrer Spies<br />

und den katholischen Pastoralreferenten<br />

Mechthild und Reiner Brandbeck.<br />

Dabei sind einige ehemalige Patientinnen,<br />

die durch ihre eigenen Erfahrungen<br />

den akut Kranken helfen können.<br />

„Ich will Brücken bauen aus<br />

der Psychiatrie in das<br />

soziale Umfeld der<br />

Patientinnen und Patienten.“<br />

Medien und Buchverlage künden von<br />

stark zunehmenden psychischen Erkrankungen.<br />

Der <strong>Psychiatrieseelsorge</strong>r<br />

bestätigt, dass etwa die steigende Zahl<br />

der unter Depression leidenden oder<br />

ausgebrannten Menschen keine Übertreibung<br />

ist. Nicht jede Depression ist<br />

ein Burnout, aber jeder Burnout mündet<br />

in eine Depression. Ein Aufenthalt in der<br />

Psychiatrie erweist sich fast immer als<br />

hilfreich. Sich psychologische Hilfe zu<br />

suchen und sich eine Auszeit zu nehmen<br />

sei eine wichtige Entscheidung.<br />

27


PSYCHIATRIESEELSORGE<br />

„Wenn die Seele weint -<br />

Suchen, was der Seele gut tut“<br />

Gemeinsamer Gottesdienst am<br />

27. März 2011 um 10.00 Uhr in Hausen<br />

mit Pfarrer Paulfried Spies und Wolfgang Michael.<br />

Dass der Schritt über die Schwelle zur<br />

Psychiatrie mit dem Makel der Schwäche<br />

behaftet ist und Unsicherheiten und<br />

Ängste auslöst, weiß auch Paulfried<br />

Spies. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht<br />

Vorurteile und Ängste abzubauen.<br />

Deswegen lädt er nicht nur zu den<br />

sonntäglichen Gottesdiensten in die<br />

Kapelle der Klinik ein, sondern feiert<br />

auch regelmäßig Gottesdienste in umliegenden<br />

Gemeinden. Dabei begleiten<br />

ihn Patienten, die über sich, ihr Leiden<br />

und darüber berichten, wie der Glaube<br />

helfen kann, das alles auszuhalten.<br />

„Ich will Brücken bauen aus der Psychiatrie<br />

in das soziale Umfeld der Patientinnen<br />

und Patienten.“ Dabei wirkt<br />

auch die Klinikleitung mit. Seit<br />

zwei Jahren gibt es das gemeinsame<br />

Projekt: Musik bei Vitos. Zu<br />

den „Konzerten in der Kapelle“<br />

laden Menschen aus der Klinik,<br />

ihre Angehörigen und Besucher<br />

aus dem Umland ein.<br />

Paulfried Spies selbst hält die eigenen<br />

Belastungen durch die Be-<br />

„Den ganzen kaputten Typen<br />

um sich herum war Jesus<br />

ein helfender Freund“,<br />

sagt <strong>Psychiatrieseelsorge</strong>r<br />

Paulfried Spies.<br />

28 www.kirche-miteinander.de


PSYCHIATRIESEELSORGE<br />

gleitung von Menschen an ihren Grenzen<br />

deshalb aus, weil er sich regelmäßig<br />

mit Kollegen austauscht, einen eigenen<br />

Seelsorger hat, „Seelsorge für die<br />

eigene Seele pflegt“ und das bei ihm<br />

„abgelagerte Leid im Gebet bei Gott<br />

loslassen kann“. Von der christlichen<br />

Glaubensgemeinschaft im französischen<br />

Taizé stammt die Nachbildung<br />

einer alten Ikone, die Jesus als Freund<br />

darstellt. In den Räumen der Psychiatrie<br />

-Seelsorge ist sie an mehreren Orte zu<br />

sehen, als Hoffnungszeichen und als<br />

Wegweiser zur Kraftquelle für Patienten<br />

und auch für den Seelsorger.<br />

Das nächste Konzert im Rahmen von<br />

„Musik bei Vitos“ findet am<br />

11. März 2011 um 19.00 Uhr<br />

in der Kapelle der Vitos-Klinik, Licher<br />

Straße 106, Gießen statt.<br />

Weitere Termine erfahren Sie bei Andrea<br />

Weiland, Tel. 0641 - 403 - 439, oder<br />

andrea.weiland@vitos-giessen-marburg.de<br />

Text: Matthias Hartmann<br />

Sommerzeit<br />

Die Umstellung auf Sommerzeit erfolgt dieses<br />

Jahr am Sonntag, 27. März 2011.<br />

Denken Sie daran, Ihre Uhren eine Stunde<br />

vor zu stellen, damit Sie nicht zu spät kommen<br />

- auch nicht zu unserem gemeinsamen<br />

Gottesdienst in Hausen!<br />

<strong>29</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!