O c u l i (3.Son.Passionszeit) Süderhastedt - hier
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O c u l i (<strong>3.Son</strong>.<strong>Passionszeit</strong>) 3.03.2013 Süderhastedt<br />
Lieder : 82, 1 - 4; (190.1) 84, 1 - 3+11; 299, 1 - 5; 296, 1 - 4; 495, 1 - 3; 368, 1+3-4+6<br />
Lesung: Epheser 5, 1 - 8; Lukas 9, 57 - 62<br />
Liebe Gemeinde,<br />
dieser Sonntag heißt „Oculi“ und hat seinen Namen von Psalm 25: „Meine Augen<br />
sehen stets auf den Herrn“. Das Schauen auf den Herrn nehmen fromme<br />
Menschen gerne für sich in Anspruch. Sie finden darin Freude, Frieden und<br />
Erfüllung. Beispiele <strong>hier</strong>für finden wir in der Bibel, in der Geschichte und im<br />
heutigen Leben. Solche Menschen können uns als Vorbild dienen, sie können uns<br />
helfen, standhaft am Glauben festzuhalten. Die Gemeinde braucht solche<br />
Menschen. Sie können begeistern und sie sind imstande andere mitzuziehen.<br />
Das Schauen auf den Herrn ist aber nicht allein eine Sache für Sonnentage,<br />
sondern erst recht für Tage der Not, des Kummers und des Leids. Wie haben diese<br />
Menschen ihren Glauben in der Krise durchgehalten? Oder haben sie ihn vielleicht<br />
gar aufgegeben? Auch dazu bringt die Bibel Beispiele.<br />
Eine nächste zugespitzte Frage ist: Kann man an Gott glauben gegen Gott? Es ist ja<br />
nicht so, daß für den Glaubensmenschen Gott immer eindeutig ist. Nein, im<br />
Gegenteil, so manches mal ist er fremd. Das sollte nicht verwundern, ist doch Gott<br />
der ganz andere. Er geht nicht nach menschlichen und irdischen Kriterien vor,<br />
sondern eben nach göttlichen. Wir sind bestrebt, die Gedanken Gottes zu<br />
begreifen. Hier hilft uns der Glaube, die Bibel, die Gemeinde. Und doch bleiben<br />
Fragen ohne Antwort. Zudem gibt es Zweifel, Anfechtung und Versuchung.<br />
Für heute liegt uns ein Bibelwort vor, das nicht nur die Fragen eines<br />
Glaubensmenschen benennt, sondern auch seinen Vorwurf an die Adresse Gottes.<br />
Jeremia 20, 7 – 13<br />
7 HERR, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu<br />
stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden<br />
täglich, und jedermann verlacht mich.<br />
8 Denn sooft ich rede, muß ich schreien; »Frevel und Gewalt!« muß ich rufen. Denn<br />
des HERRN Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich.<br />
9 Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen<br />
predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen<br />
Gebeinen verschlossen, daß ich's nicht ertragen konnte; ich wäre sc<strong>hier</strong> vergangen.<br />
10 Denn ich höre, wie viele heimlich reden: »Schrecken ist um und um!« »Verklagt<br />
ihn!« »Wir wollen ihn verklagen!« Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich<br />
nicht falle: »Vielleicht läßt er sich überlisten, daß wir ihm beikommen können und uns<br />
an ihm rächen.«
2<br />
Oculi, 3.03.2013<br />
11 Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger<br />
fallen und nicht gewinnen. Sie müssen ganz zuschanden werden, weil es ihnen nicht<br />
gelingt. Ewig wird ihre Schande sein und nie vergessen werden.<br />
12 Und nun, HERR Zebaoth, der du die Gerechten prüfst, Nieren und Herz<br />
durchschaust: Laß mich deine Vergeltung an ihnen sehen; denn ich habe dir meine<br />
Sache befohlen.<br />
13 Singet dem HERRN, rühmet den HERRN, der des Armen Leben aus den Händen<br />
der Boshaften errettet!<br />
Liebe Gemeinde, da ist ein Mensch, der durchaus mit der Existenz Gottes rechnet.<br />
Er geht davon aus, daß Gott gegenwärtig ist. Doch als die Gegenwart Gottes derart<br />
mächtig in sein Leben einbricht, daß Gott ihn mit einer Aufgabe betraut, haut ihn<br />
das doch von den Socken. Im 1.Kapitel erfahren wir von der Berufung des Jeremia.<br />
Gott spricht: Ich habe dich zum Propheten bestellt. Jeremia sagt: Ich bin zu jung.<br />
Gott läßt sich darauf nicht ein, berührt seinen Mund und sagt: Siehe, ich lege<br />
meine Worte in deinen Mund. Jeremia fügt sich; doch auch nach Jahren bricht es<br />
aus ihm hervor: Ich habe keine Lust mehr zu predigen. Immer nur Ärger mit den<br />
Menschen. Da will man sie auf den rechten Weg bringen und sie machen einem<br />
das Leben noch schwerer.<br />
Jeremia hatte den Auftrag, das Volk Israel an seinen Gott zu erinnern. Die Zeit des<br />
Jeremia war politisch und religiös sehr bewegt. Israel drohte zwischen den<br />
Weltmächten zerrieben zu werden. Jeremia wurde um 650 v.Chr. geboren. Er kam<br />
aus einer alten Priesterfamilie und war insofern mit den Ritualen vertraut. Doch der<br />
alte Gottesglaube wurde so manches Mal von Götzenkult verdrängt. Wenn das<br />
passierte, hat Gott Menschen berufen, um das Volk vom Abfall zurückzurufen und<br />
vor dem Gericht zu warnen.<br />
Jeremia war solch einer, der an den Willen Gottes, seinen Bund mit Israel und die<br />
Erwählung des Volkes erinnern sollte. Das aber brachte ihn in Konflikte mit<br />
Priestern, Königen und Würdenträgern. Als sei das nicht schon an sich eine<br />
schwere Front, erregte sein Vorgehen auch die Feindschaft seiner Verwandten.<br />
Man trachtete ihm gar nach dem Leben. Über all diese Dinge beschwert er sich bei<br />
Gott.<br />
Jeremia ist selbst in eine Krise gekommen. Der Riß zwischen Gott und Israel, den<br />
er aufdecken muß, geht mitten durch seine eigene Existenz. Er selbst zweifelt<br />
zunehmend an seinem Auftrag; auch ihm scheinen die traditionellen<br />
Gottesvorstellungen und Heilsaussagen zu zerbrechen. Er zweifelt an der<br />
Wirksamkeit seiner Botschaft, sie wird sogar ihm selbst fragwürdig. Ich predige in<br />
seinem Namen und ernte dafür Hohn und Spott. Wer hält das aus?<br />
Einen Ausweg aus dieser Krise versucht er, indem er seine Geschichte mit diesem<br />
Gott aufheben will. „Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht<br />
mehr in seinem Namen predigen.“ Dann aber erlebt er und gibt zu, daß er vor Gott<br />
nicht weglaufen kann.
3<br />
Oculi, 3.03.2013<br />
Liebe Gemeinde, es gibt kein Leben ohne Krisen und Krisenzeiten. Eine Krise geht<br />
an die Substanz. Sie stellt in Frage und wirft so manche Planung über den Haufen.<br />
Eine Krise wird nicht herbeigesehnt, und wenn sie da ist, kann man nicht<br />
ausweichen. Die Krise ist ein Signal und zwingt zu Neuorientierung und<br />
Neubewertung. Sie prüft mein Vertrauen, und zwar mehrfach: in mich selbst, in<br />
andere, in das Leben und in Gott. Bisherige Ordnungen und Werte brechen ab,<br />
tragen nicht länger. In Krisenzeiten werden die gängigen Denk- und<br />
Verhaltensmuster fragwürdig. Manchmal muß das Leben ganz umgestellt werden.<br />
Menschen können unter der Krise zerbrechen oder auch gestärkt hervorgehen.<br />
Doch daß sie auch Stärkung bewirkt, kann erst im Rückblick so gesehen werden.<br />
Wenn man mitten drin ist, will man die Krise nicht haben.<br />
Ein erster Schritt zur Bewältigung der Krise ist die Klage. Jeremia klagt nicht nur<br />
darüber, daß andere ihm nachstellen, sondern er klagt Gott an: Du hast mich<br />
überredet, du bist mir zu stark geworden. Aus dem Hebräischen geht hervor, daß er<br />
sich als Vergewaltigten fühlt. Du, Gott, hast mich nicht nur gelinkt, nicht nur<br />
reingelegt, du hast mir regelrecht Gewalt angetan. Ich wollte das gar nicht. Damit<br />
nicht genug, nun erfahre ich auch Gewalt von den Menschen.<br />
Der Prophet gibt zu, daß er vor seinem Gott kapituliert. Er hat nicht die Kraft, Gott<br />
zu widerstehen. Er muß seinen schweren Auftrag ausfüllen. Der Ausbruch ist<br />
unmöglich. Das prophetische Ich ist mit der göttlichen Beauftragung untrennbar<br />
verbunden. Die Annahme der Aufgabe kann Leiden nach sich ziehen.<br />
Was Jeremia erlebt, kommt in die Nähe der neutestamentlichen Nachfolge Jesu.<br />
Am letzten Sonntag wurde Jesus zitiert: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne<br />
sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mk.8)<br />
Die Apostel haben auch nicht nur Verständnis ihres Predigens erfahren, im<br />
Gegenteil. Und doch haben auch sie nicht abgelassen, das Evangelium zu predigen.<br />
Ein göttliches Muß stand dahinter. So erlebt es auch Jeremia. Er hatte sich<br />
vorgenommen, im Namen Gottes nicht mehr zu reden. Doch er bekennt: „Aber es<br />
ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen<br />
verschlossen, daß ich's nicht ertragen konnte; ich wäre sc<strong>hier</strong> vergangen“. Aus<br />
dem Korintherbrief erfahren wir, daß es dem Apostel Paulus auch so ging. Er<br />
schreibt: „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!“ (1.Kor.9,16)<br />
Das Verschweigen der Botschaft würde nicht nur mehr schmerzen als die<br />
Nachstellungen der Menschen, sondern man würde schuldig werden vor Gott.<br />
Es gibt nur die Entscheidung zwischen Leiden und Leiden. Jeremia entscheidet<br />
sich für das Leiden mit Gott. Person und Botschaft bleiben gerade im Leiden und<br />
durch das Leiden eins. Das Feuer des Wortes Gottes brennt sich im prophetischen<br />
Körper fest; aber nicht nur als verzehrendes Feuer, sondern auch als begeisternde<br />
Flamme. In seiner Klage findet er letztlich doch wieder zum Bekenntnis und zur<br />
Gewißheit der Treue Gottes. Er weiß um einen tragenden Grund.
4<br />
Oculi, 3.03.2013<br />
Jeremia bekennt eine eigenartige Spannung zwischen 'Vergewaltigtsein' und<br />
'Gehaltensein': „Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held“. Jeremia weiß,<br />
daß sein Leiden ein Teil seines Lebens ist, aber eines Lebens mit Gott. Er begibt<br />
sich wieder ganz in die Hand Gottes.<br />
Liebe Gemeinde, Menschen der Bibel haben ihre Lebenskrise als ein Ringen mit<br />
Gott gedeutet, das sie bis zur Unerträglichkeit des Lebens geführt hat. Sie haben im<br />
Vertrauen auf Gott standgehalten und die Begegnung als Gezeichnete verlassen.<br />
Sie gingen aus ihrer Krise verletzt und gesegnet zugleich hervor, erfüllt mit der<br />
Erkenntnis, daß Gott die Seinen nicht aufgibt.<br />
Dieser Abschnitt bezeugt einen Wandel beim Propheten von der Klage zum Trost,<br />
vom Gebet zum Bekenntnis und Lob, vom Kyrie zum Gloria. So läuft im übrigen<br />
auch der Gottesdienst ab. Die Klage hat ihren Platz, aber nicht minder das Lob<br />
Gottes. Am Ende fordert Jeremia auf: „Singet dem HERRN, rühmet den HERRN,<br />
der des Armen Leben aus den Händen der Boshaften errettet!“ Ja, Nachfolge kann<br />
ins Leiden führen und zum Kreuz – aber die Nachfolge endet nicht da. Das Lob<br />
Gottes soll das letzte Wort haben.<br />
Oculi – meine Augen. Was und worauf sehen meine Augen? Passion, Kreuz,<br />
allenthalben Leiden auf der Welt. Sie sehen Feinde und Freunde, die sich<br />
abwenden. Sie sehen an sich selbst Schwachheit und Leiden am Wort Gottes. Der<br />
Prediger kann viele Lieder davon singen. Doch solches Leiden und solche Klage<br />
kennen auch andere Berufsgruppen. Nicht nur der Pastor, sondern auch der<br />
Kaufmann, der Handwerker, die Lehrerin, die Hausfrau kann, wenn er oder sie den<br />
Blick auf den Herrn wendet, angegriffen werden. Das ist ja in der Tat die Realität<br />
in unserer Gesellschaft. Menschen, die sich zum Glauben und Kirchgang<br />
bekennen, werden angefeindet, lächerlich gemacht. Bei aller berechtigten Klage<br />
kommt es dann darauf an, daß wir uns nicht irre machen lassen. Gegen Gott an<br />
Gott glauben – und zu seinem Lob aufrufen.<br />
Wir werden auch wie Jeremia mitunter hin- und hergerissen zwischen „er hat mich<br />
überredet“ und „es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer“, zwischen<br />
„Frevel und Gewalt“ und „der Herr bei mir wie ein starker Held“. Und wir werden<br />
auch mal schuldig. Wir laufen dann von Gott weg – aber wohin. Natürlich wieder<br />
zu Gott zurück. Letztlich soll gelten „Aber der HERR ist bei mir wie ein starker<br />
Held“. Gott vermag auch dann noch etwas, wenn wir mit unserer Kraft am Ende<br />
sind. In der <strong>Passionszeit</strong> rufen wir uns in Erinnerung, daß Jesus auf seine Stärke<br />
verzichtet hat, um unserer Schwachheit aufzuhelfen. Gott allein schenkt<br />
Vergebung und Heilung um Christi willen und rettet das Leben des Armen aus den<br />
Händen der Boshaften.<br />
Der Prophet Jeremia ist uns darin ein Vorbild, daß er zwar geklagt hat, aber nicht<br />
minder bei Gott Zuflucht gesucht und gefunden hat.<br />
Amen.