30.10.2012 Aufrufe

Heft 2.09 (PDF) - WISSENSCHAFT in progress

Heft 2.09 (PDF) - WISSENSCHAFT in progress

Heft 2.09 (PDF) - WISSENSCHAFT in progress

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

wissenschaft <strong>in</strong> <strong>progress</strong> <strong>2.09</strong><br />

KOMMUNIKATION | MEDIENKULTUR | SPRACHE | BILDUNG<br />

Carsten Carlo Schnekenburger<br />

5. AUSGABE<br />

2. JAHRGANG<br />

Ah-Didaktik, E(h)-Didaktik, Oh-Didaktik. E<strong>in</strong>e<br />

kle<strong>in</strong>e Reflexion zur E-Didaktik<br />

Christian Klager<br />

Vom Philosophischen Tagebuch zum Denkbuch.<br />

Schreibdialoge im Philosophieunterricht<br />

HERAUSGEBEN VON UTA BUTTKEWITZ, MARIO DONICK & WIEBKE SCHWELGENGRÄBER.<br />

ISSN 1866-8186


Inhaltsverzeichnis<br />

3<br />

Mario Donick<br />

Editorial: Zeit zum Nach-Denken 4<br />

Carsten Carlo Schnekenburger<br />

Ah-Didaktik, E(h)-Didaktik, Oh-Didaktik<br />

E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Reflexion zur E-Didaktik 6<br />

Christian Klager<br />

Vom Philosophischen Tagebuch zum Denkbuch.<br />

Schreibdialoge im Philosophieunterricht 21<br />

IMPRESSUM<br />

wissenschaft <strong>in</strong> <strong>progress</strong> ist e<strong>in</strong>e Zeitschrift für aktuelle Gedanken und Forschungsfragen<br />

aus den Bereichen Kommunikations- und Medienwissenschaft, L<strong>in</strong>guistik, Literatur- und<br />

Kulturwissenschaft sowie Didaktik, Bildung und E-Learn<strong>in</strong>g.<br />

ISSN: 1866-8186 (Druckausgabe) und 1866-8194 (Onl<strong>in</strong>e-Ausgabe)<br />

Ersche<strong>in</strong>ungsweise: ca. 2 bis 3 mal jährlich.<br />

Herausgeber: Dr. Uta Buttkewitz / Mario Donick, M.A. / Wiebke Schwelgengräber, M.A.<br />

Postanschrift: wissenschaft <strong>in</strong> <strong>progress</strong> c/o Mario Donick, Paulstr. 16, D-18055 Rostock.<br />

E-Mail: wissenschaft.<strong>in</strong>.<strong>progress</strong>@gmail.com<br />

Zitierweise: Sie möchten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Text auf Beiträge <strong>in</strong> wissenschaft <strong>in</strong> <strong>progress</strong> verweisen?<br />

Dann nutzen Sie bitte die Druckversion, die so auch <strong>in</strong> verschiedenen Bibliotheken im<br />

deutschsprachigen Raum verfügbar ist. Deren auch längerfristige Auff<strong>in</strong>dbarkeit kann dadurch<br />

gewährleistet werden, während sich z.B. die Adresse der Onl<strong>in</strong>e-Ausgabe mitunter<br />

ändern könnte. Nutzen Sie diejenige Zitierweise für Zeitschriftenaufsätze, die <strong>in</strong> Ihrem<br />

Fachbereich üblich ist.<br />

Die Pr<strong>in</strong>tausgabe kann unter oben angegebener Anschrift kostenlos angefordert werden<br />

(solange der Vorrat reicht; max. 2 Exemplare pro Bestellung).<br />

Die Onl<strong>in</strong>e-Ausgabe und unser Weblog f<strong>in</strong>den Sie unter http://wissenschaft-<strong>in</strong><strong>progress</strong>.de<br />

.


MARIO DONICK<br />

Editorial<br />

Zeit zum Nach-Denken<br />

4<br />

Willkommen zum mittlerweile fünften <strong>Heft</strong> von WISSEN-<br />

SCHAFT <strong>in</strong> <strong>progress</strong>. In dieser Ausgabe stellen wir zwei Texte<br />

vor, die <strong>in</strong> den Bereich mediengestützten Lernens fallen, und<br />

die den an Didaktik <strong>in</strong>teressierten Leser <strong>in</strong> gewisser Weise auffordern,<br />

für e<strong>in</strong>en Moment <strong>in</strong>ne zu halten.<br />

Zunächst stellt der Pädagoge Carsten Carlo Schnekenburger<br />

den Mangel an e<strong>in</strong>er wirklichen Didaktik für das Lernen mit<br />

elektronischen (sog. “neuen‘) Medien, also dem E-Learn<strong>in</strong>g, fest.<br />

Er konstatiert: „Augensche<strong>in</strong>lich unterliegt das E-Learn<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>em<br />

Primat der Technik‚ (Schnekenburger 2009, 5). Triebfeder<br />

h<strong>in</strong>ter Neuentwicklungen s<strong>in</strong>d die Technologien selbst 1 und<br />

nicht der unbed<strong>in</strong>gte Wunsch der Lehrenden und Lernenden,<br />

etwas Neues auszuprobieren. Schnekenburger fordert die Erziehungswissenschaft<br />

daher auf, Vorreiter bei der Entwicklung<br />

e<strong>in</strong>er E-Didaktik zu spielen, h<strong>in</strong>terfragt aber gleichzeitig den<br />

Nutzen e<strong>in</strong>er solchen, <strong>in</strong>dem er die Sicht der Lernenden auf solche<br />

Diskussionen zugespitzt formuliert: „Oh – Didaktik‚?<br />

Der Aufsatz von Christian Klager er<strong>in</strong>nert aus philosophiedidaktischer<br />

Sicht daran, dass es schon <strong>in</strong>novative Ansätze <strong>in</strong>teraktiver<br />

(nämlich kommunikativ-kooperativer) Mediennutzung<br />

im Unterricht gab, lange bevor wir von E-Learn<strong>in</strong>g redeten:<br />

das Philosophische Tagebuch, e<strong>in</strong>e Form des Lerntagebuchs,<br />

<strong>in</strong> dieser Form das erste Mal vorgestellt von Christian<br />

Thies (1990). Klager stellt se<strong>in</strong>e eigenen Erfahrungen mit diesem<br />

Medium vor, ordnet es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en philosophischen H<strong>in</strong>tergrund<br />

e<strong>in</strong>, der bis zu Kant zurückreicht und gibt ganz prakti-<br />

1 Ergänzend könnte man hier sicher auch wirtschaftlich-politische<br />

Gegebenheiten anführen, z.B. wenn E-Learn<strong>in</strong>g genutzt wird, um weit<br />

verteilt lebenden SchülerInnen e<strong>in</strong>es Flächenstaates wie Mecklenburg-<br />

Vorpommern die Teilnahme an e<strong>in</strong>em Frühstudium e<strong>in</strong>er Universität zu<br />

ermöglichen (vgl. Thomanek u.a. 2009).


5<br />

sche H<strong>in</strong>weise zum E<strong>in</strong>satz des Philosophischen Tagebuchs im<br />

Unterricht.<br />

Beide Texte eignen sich dazu, Entwicklungen im Bereich des<br />

Lehrens und Lernens zu reflektieren und setzen damit übrigens,<br />

wenn auch implizit, den Weg fort, den Jörg He<strong>in</strong>ig im<br />

letzten <strong>Heft</strong> e<strong>in</strong>geschlagen hat, mit se<strong>in</strong>er Reflexion des McLuhan’schen<br />

Medienbegriffes <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht auf den Umgang mit literarischen<br />

Texten im Unterricht (He<strong>in</strong>ig 2009). In diesem S<strong>in</strong>ne<br />

wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Nach-Denken der vorliegenden<br />

Ausgabe.<br />

Literatur<br />

Mario Donick,<br />

Januar 2010<br />

He<strong>in</strong>ig, Jörg: Prof. Dr. Abdul Nachtigallers Frontalunterricht. Oder: The<br />

medium is the message. In: <strong>WISSENSCHAFT</strong> <strong>in</strong> <strong>progress</strong>, <strong>Heft</strong> 1/09, 7–<br />

21.<br />

Schnekenburger, Carsten Carlo: Ah-Didaktik, E(h)-Didaktik, Oh-<br />

Didaktik. E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Reflexion zur E-Didaktik. In: <strong>WISSENSCHAFT</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>progress</strong>, <strong>Heft</strong> 2/09, 6–20.<br />

Thies, Christian: Das philosophische Tagebuch. In: ZDPE 1/1990.<br />

Thomanek, Anja/Schönfeldt, Christian/Donick, Mario / Schwelgengräber,<br />

Wiebke/Tavangarian, Djamshid: Media-based Junior Studies<br />

(MbJS) <strong>in</strong> Context of the ‚New Learn<strong>in</strong>g Culture‛. In: Hambach,<br />

Sybille/Martens, Alke/Tavangarian, Djamshid/Urban, Bodo (Hrsg.):<br />

eLearn<strong>in</strong>g Baltics 2009. Proceed<strong>in</strong>gs of the 2 nd International eLBa<br />

Science Conference <strong>in</strong> Rostock, Germany, June 18-19, 2009, 27–36.


CARSTEN CARLO SCHNEKENBURGER<br />

Ah-Didaktik, E(h)-Didaktik, Oh-Didaktik<br />

E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Reflexion zur E-Didaktik<br />

Abstract<br />

6<br />

Betrachtet man die vielfältigen E-Learn<strong>in</strong>g Aktivitäten, sche<strong>in</strong>t immer<br />

e<strong>in</strong>e technische Innovation als Impulsgeber im Mittelpunkt zu stehen.<br />

Doch die Versprechungen der technischen Entwickler und die Hoffnungen<br />

der Akteure müssen sorgfältig vom tatsächlichen E-Learn<strong>in</strong>g<br />

unterschieden werden. Aus Sicht des E-Learn<strong>in</strong>g-Akteurs ist dabei Didaktik<br />

e<strong>in</strong> fester Bestandteil des E-Learn<strong>in</strong>g. Allerd<strong>in</strong>gs zeigt e<strong>in</strong> Überblick<br />

über die Literatur, dass es ke<strong>in</strong>e eigenständige E-Didaktik gibt,<br />

obwohl sich verschiedene Zweige der Erziehungswissenschaft mit der<br />

Entwicklung e<strong>in</strong>er E-Didaktik beschäftigen könnten. Anhand der Darstellung<br />

überzeichneter Perspektiven von E-Learn<strong>in</strong>g-Akteuren, Pädagogen<br />

und Nutzern wird <strong>in</strong> diesem Artikel das Für und Wider e<strong>in</strong>er E-<br />

Didaktik h<strong>in</strong>terfragt.<br />

1. E<strong>in</strong>leitung<br />

In diesem literaturgestützten Artikel wird das Für und Wider<br />

e<strong>in</strong>er E-Didaktik h<strong>in</strong>terfragt. Der Schwerpunkt liegt dabei<br />

weniger auf e<strong>in</strong>er vollständigen Wiedergabe aktueller Diskussionsstränge,<br />

als vielmehr auf e<strong>in</strong>er kritischen Reflexion unterschiedlicher<br />

Perspektiven. E<strong>in</strong>leitend wird anhand e<strong>in</strong>es allgeme<strong>in</strong>en<br />

Verständnisses von Didaktik e<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition der E-<br />

Didaktik abgeleitet. Die Darstellung überzeichneter Perspektiven<br />

von E-Learn<strong>in</strong>g-Akteuren, Pädagogen und Nutzern bilden<br />

den Hauptteil. Anhand ausgewählter Argumente werden Widersprüche<br />

und Antagonismen der E-Didaktik entwickelt. Die<br />

Bezugsebene der Ausführungen ist der universitäre Kontext.<br />

2. Didaktik<br />

Als eigenständiger Term<strong>in</strong>us ist der Begriff Didaktik ebenso<br />

vielfältig wie e<strong>in</strong>e Reihe anderer Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft.<br />

Insbesondere die große Spannweite ist irritierend.<br />

So lassen sich gesellschaftliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen


7<br />

ebenso <strong>in</strong> didaktische Überlegungen e<strong>in</strong>flechten, wie Reflexionen<br />

über e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>duktive oder deduktive Vorgehensweise zur<br />

Vermittlung konkreter Lehr<strong>in</strong>halte. 1<br />

Die Frage nach dem Verständnis von Didaktik soll jedoch<br />

nicht anhand dieser ausufernden Diskurse ermittelt werden.<br />

Vielmehr wird e<strong>in</strong>e vorliegende Def<strong>in</strong>ition zugrunde gelegt,<br />

um daraus e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>führendes Verständnis der E-Didaktik aufzubauen.<br />

In e<strong>in</strong>em pädagogischen Wörterbuch f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e Auffassung<br />

von Didaktik, welche von den meisten geteilt werden<br />

kann. Didaktik bezieht sich zum e<strong>in</strong>en auf e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Theorie<br />

des Lehrens und Lernens und zum anderen auf e<strong>in</strong>e Theorie<br />

des Unterrichtens (vgl. Böhm 2005, 155–159).<br />

Akzeptiert man das kurze wie geheimnisvolle Präfix „E‚ 2 , als<br />

e<strong>in</strong> Synonym für elektronisch gestützte Lehr- und Lernformen,<br />

so ergibt sich für die E-Didaktik, <strong>in</strong> freier Anlehnung an Böhm,<br />

das folgende Wortverständnis:<br />

E-Didaktik ist e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Theorie des Lehrens, Lernens<br />

und Unterrichtens mit und durch E-Learn<strong>in</strong>g 3 , um<br />

(Selbst-) Bildung zu ermöglichen. 4<br />

Zurzeit gibt es ke<strong>in</strong>e verb<strong>in</strong>dliche Def<strong>in</strong>ition dieses Term<strong>in</strong>us.<br />

Die obige Def<strong>in</strong>ition kann nur <strong>in</strong> Ansätzen e<strong>in</strong> befriedigender<br />

Vorschlag se<strong>in</strong>. Diese simplifizierenden Überlegungen<br />

können nicht <strong>in</strong> allen Dimensionen überzeugen, bilden <strong>in</strong> die-<br />

1 E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>führende Übersicht über verschiedene didaktische Modelle<br />

f<strong>in</strong>det sich bei Terhart 2008, 15–31.<br />

2 Die Bedeutung des „E‚ und der unterschiedlichen Schreibweisen und<br />

Wortkomb<strong>in</strong>ationen ist immer wieder diskutiert worden. Entsprechend<br />

vielfältig ist demzufolge auch der Anspruch, der sich <strong>in</strong> diesem Präfix und<br />

se<strong>in</strong>en Wortkomb<strong>in</strong>ationen verbirgt.<br />

3 bzw. mit Hilfe elektronisch gestützter Medien.<br />

4 Aus e<strong>in</strong>er erziehungswissenschaftlichen Perspektive gibt es große<br />

Unterschiede zwischen der Organisation der Lehre, dem Lehren und<br />

Unterrichten an sich und dem Lernen. Der Bezug auf den Begriff der<br />

Selbstbildung/Bildung ersche<strong>in</strong>t daher notwendig, um das grundsätzliche<br />

Ziel jedes Lernprozesses zu thematisieren.<br />

Didaktik<br />

E-Didaktik


Primat der<br />

Technik<br />

8<br />

sem Verständnis aber die Grundlage für die folgenden Ausführungen.<br />

3. Ah-Didaktik<br />

„Ah – Didaktik“, stellt der aktive E-Learn<strong>in</strong>g-Experte fest.<br />

Augensche<strong>in</strong>lich unterliegt das E-Learn<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>em Primat der<br />

Technik. Betrachtet man die vielfältigen E-Learn<strong>in</strong>g Aktivitäten,<br />

sche<strong>in</strong>t immer e<strong>in</strong>e technische Innovation als Impulsgeber im<br />

Mittelpunkt zu stehen. Der PC, der MP3-Player oder das Web<br />

2.0 def<strong>in</strong>ieren das E-Learn<strong>in</strong>g. Die Verwendung neuer Technologien<br />

erlaubt es nun endlich, e<strong>in</strong>en digitalen Nürnberger Trichter<br />

zu entwickeln. Wie von alle<strong>in</strong>e, so mag es aussehen, kann nun<br />

jeder Lern<strong>in</strong>halte als dynamische Grafik, strukturierten Hypertext,<br />

perfekte Audio- oder Videodatei aufbereiten und distribuieren.<br />

Im Kern s<strong>in</strong>d es drei Vorteile, die zentral für den E<strong>in</strong>satz<br />

der Neuen Medien stehen: die hypermediale Darstellung<br />

von Inhalten, Formen des selbstgesteuerten und des kooperativen<br />

Lernens.<br />

Hypermediale<br />

Darstellung von Lehr-<br />

Lern<strong>in</strong>halten<br />

Selbstgesteuertes<br />

Lernen<br />

Kooperatives Lernen<br />

•Höhere Anschaulichkeit, Motivation, Behaltenseffekte durch<br />

Integration verschiedener Symbolsysteme<br />

•Verschiedene Formen der Wissensaneignung<br />

•Aufbau mentaler Modelle<br />

•Mehr Verstehen und flexibler Wissenserwerb<br />

•Ort- und zeitunabhängiger Zugriff auf Inhalte, Kurse, CBTs etc.<br />

•Neue Möglichkeiten der Verteilung von Lehrprozessen ( face-toface/onl<strong>in</strong>e/offl<strong>in</strong>e)<br />

•Voraussetzung für <strong>in</strong>formelles und lebensbegleitendes Lernen<br />

•Neue Kommunikations- und Kooperationsformen; neue Formen<br />

sozialen Lernens<br />

•Hohe Effektivität bei guter Selbstorganisation oder unter<br />

Anleitung/Moderation<br />

•Großer Spielraum für didaktische Kreativität<br />

Abb. 1: Das didaktische Potenzial der neuen Medien<br />

(nach: Re<strong>in</strong>mann-Rothmeier 2003, 14)<br />

In der hier exemplarisch für e<strong>in</strong>e Vielzahl von Darstellungen<br />

ausgewählten Abbildung von Re<strong>in</strong>mann-Rothmeier s<strong>in</strong>d die


9<br />

entsprechenden Vorteile und damit verbundenen Ansprüche<br />

dargestellt (vgl. Abb. 1). Die „hypermediale Darstellung von<br />

Lehr-Lern<strong>in</strong>halten‛ sollte e<strong>in</strong>e bessere Verständlichkeit garantieren<br />

und das selbstgesteuerte Lernen e<strong>in</strong>e höhere Eigenaktivität<br />

erzeugen. Schließlich sollten Formen des kooperativen Lernens<br />

u. a. die Entwicklung von verschiedenen Kompetenzen<br />

fördern (vgl. ebd.). Im Großen und Ganzen stehen diese Vorstellungen<br />

für die Ziele e<strong>in</strong>er ganzen Generation von E-<br />

Learn<strong>in</strong>g-Akteuren. In ihrer Gesamtheit s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong> vielen kle<strong>in</strong>en<br />

und größeren Projekten realisiert worden.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ist der Durchdr<strong>in</strong>gungsgrad noch recht ger<strong>in</strong>g<br />

e<strong>in</strong>zuschätzen. In diesem Jahr zeigte dies e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es Resümee<br />

<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Buches der Gesellschaft für Medien <strong>in</strong> der<br />

Wissenschaft (GMW). Aus dem Sammelband „E-Learn<strong>in</strong>g: E<strong>in</strong>e<br />

Zwischenbilanz. Kritischer Rückblick als Basis e<strong>in</strong>es Aufbruchs‛<br />

(hrsg. v. Dittler u.a. 2009) lässt sich e<strong>in</strong> eher verhaltenes<br />

Fazit ziehen. 5 Von den großen Ansprüchen und Idealen ist<br />

überwiegend die räumliche und zeitliche Entgrenzung (bzw.<br />

der orts- und zeitunabhängige Zugriff, vgl. Abb. 1) tatsächlich<br />

e<strong>in</strong>getroffen. Andere Vorteile s<strong>in</strong>d weniger <strong>in</strong>tegriert oder von<br />

ger<strong>in</strong>gerer Bedeutung (vgl. ebd.; oder auch deutlich früher<br />

Kerres 2003, 31–44; Wessner 2003, 209–217).<br />

Tatsächlich müssen die idealistischen Ideen, die Versprechungen<br />

der technischen Entwickler und die Hoffnungen der<br />

Akteure sorgfältig vom tatsächlichen E-Learn<strong>in</strong>g unterschieden<br />

werden. Zwischen theoretischer Reflexion und praktischer Umsetzung<br />

klafft e<strong>in</strong>e Lücke. Diese zu schließen könnte die Aufgabe<br />

e<strong>in</strong>er E-Didaktik se<strong>in</strong>.<br />

5 Diese Argumentation ist für den vorliegenden Artikel stark verkürzt. Es<br />

handelt sich um sehr differenzierte Betrachtungen, welche zum Teil auch<br />

auf deutliche Erfolge und Veränderungen h<strong>in</strong>weisen, z.B. <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es<br />

neuen Bewusstse<strong>in</strong>s für Qualitätssicherung, der open educational<br />

resources, u. ä.<br />

Ziele und<br />

Auswirkung


3.1 E<strong>in</strong> kurzer Blick zurück<br />

10<br />

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich schnell, dass E-<br />

Learn<strong>in</strong>g und Didaktik eng verzahnt s<strong>in</strong>d. Seitdem es Computer<br />

gibt, werden diese für Lehr- und Lernprozesse e<strong>in</strong>gesetzt. 6<br />

Zunächst wurden unter dem Gesichtspunkt der operanten<br />

Konditionierung Lehrmasch<strong>in</strong>en mit Lückentexten e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Später folgten immer komplexere Vorhaben, die jedoch alle<br />

stark an behavioristischen Vorstellungen anknüpften. Andere<br />

Entwicklungen, wie die Intelligenten Tutoriellen Systeme (ITS),<br />

sollten immer flexibler auf den Lerner reagieren und diesem<br />

adäquate Rückmeldungen geben. Seit e<strong>in</strong>igen Jahren hat sich<br />

dann der Schwerpunkt vom e<strong>in</strong>zelnen Rechner h<strong>in</strong> zur weltweiten<br />

Vernetzung verlagert (vgl. Niegemann u. a. 2008, 3–16).<br />

3.2 Heute<br />

E<strong>in</strong>e Betrachtung der aktuellen Entwicklung sche<strong>in</strong>t nahezu<br />

aussichtslos zu se<strong>in</strong>. Zu behaupten, dass alle denkbaren didaktischen<br />

Konzepte und theoretischen Fundierungen zum Tragen<br />

kommen, ist sicherlich nicht untertrieben. Medientaxomatische,<br />

behavioristische, kognitionstheoretische oder konstruktivistische<br />

Theorien und daraus abgeleitete Konzepte, Ansätze und<br />

Modelle konkurrieren mite<strong>in</strong>ander (vgl. Kron/Sofos 2003, 54).<br />

E<strong>in</strong> klarer Fokus liegt momentan auf der Verwendung des Konstruktivismus<br />

und der Neubelebung der reformpädagogisch<br />

orientierten Didaktik. Die Erhöhung der Eigenaktivität (oder<br />

der Selbsttätigkeit) ist das Ziel vieler Projekte, die sich momentan<br />

unter dem Oberbegriff Web 2.0 zusammenfassen lassen. Die<br />

didaktische Begründung h<strong>in</strong>ter diesen Szenarien liegt dar<strong>in</strong>,<br />

dass durch e<strong>in</strong>e Erhöhung der Aktivität der Lernenden e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tensiveres<br />

Lernen erzeugt werden soll.<br />

Daneben existieren klassische “Pauk- und Drill-Szenarien‘,<br />

um sich Inhalte e<strong>in</strong>zuprägen. Ebenfalls üblich s<strong>in</strong>d Game-<br />

6 Aufgrund der aufgeführten Def<strong>in</strong>ition werden „Buchstabiermasch<strong>in</strong>en‚<br />

nicht mit <strong>in</strong> die Erörterung aufgenommen (vgl. Niegemann u. a. 2008, 3).<br />

Sie gehören nicht zu den elektronischen Medien.


11<br />

based-Szenarien (vgl. Martens u.a. 2008, 172–190), welche den<br />

spielerischen Anteil des Lernens betonen. In ihrer Gesamtheit<br />

ergeben all diese didaktischen Konzepte e<strong>in</strong>e bunte Mixtur<br />

höchst heterogener Anwendungen. Im Idealfall führen sie zu<br />

e<strong>in</strong>er Vielzahl an förderlichen Lehr- und Lernszenarien.<br />

3.3 E<strong>in</strong> erstes Fazit<br />

Aus Sicht des E-Learn<strong>in</strong>g-Akteurs ist die Didaktik e<strong>in</strong> fester<br />

Bestandteil des E-Learn<strong>in</strong>g und somit ke<strong>in</strong>e Überraschung. Allerd<strong>in</strong>gs,<br />

das zeigt dieser kurze Überblick, gibt es ke<strong>in</strong>e eigenständige<br />

E-Didaktik. Es gibt ke<strong>in</strong>en verb<strong>in</strong>denden theoretischen<br />

Überbau der unterschiedlichen Theorien. Als e<strong>in</strong>e Art Richtschnur<br />

können bestimmte allgeme<strong>in</strong> anerkannte Ziele verstanden<br />

werden (vgl. Abb. 1). Zudem kann von Zeit zu Zeit e<strong>in</strong>e<br />

prioritäre Ausrichtung auf bestimmte Ansätze beobachtet werden.<br />

Momentan s<strong>in</strong>d konstruktivistische Konzepte weit verbreitet.<br />

Überraschend s<strong>in</strong>d allenfalls die Vielfalt der Konzepte und<br />

die Tatsache, dass ke<strong>in</strong> forschungsmethodisch e<strong>in</strong>wandfreier<br />

Beweis für die tatsächliche Effektivität des E-Learn<strong>in</strong>g vorliegt.<br />

Nicht zuletzt: Das Fehlen e<strong>in</strong>er meta-didaktischen Reflexionsebene,<br />

<strong>in</strong> Form der E-Didaktik, verh<strong>in</strong>dert e<strong>in</strong>e kritische Bewertung.<br />

Die starke didaktische Ausrichtung des E-Learn<strong>in</strong>g ist<br />

demnach ke<strong>in</strong> Garant für gel<strong>in</strong>gendes Lernen.<br />

„A..h, A.. Aber wir machen doch alles didaktisch”, me<strong>in</strong>t der E-<br />

Learn<strong>in</strong>g-Akteur.<br />

4. E(h)- Didaktik<br />

„Eh, e<strong>in</strong>e eigenständige E-Didaktik ist die Lösung“, me<strong>in</strong>t der Pädagoge.<br />

Die Adaption und Erweiterung existierender Theorien ist e<strong>in</strong><br />

Weg, um E-Learn<strong>in</strong>g zu strukturieren. E<strong>in</strong>e weitere Möglichkeit<br />

ist die Entwicklung e<strong>in</strong>es eigenständigen Theoriekonstrukts.<br />

Die E-Didaktik wäre die Antwort der <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Wissenschaftler<br />

auf die Herausforderungen des E-Learn<strong>in</strong>g. Die<br />

Entwicklung e<strong>in</strong>er eigenen E-Didaktik würde die Effektivität<br />

Adaption<br />

oder Neuentwicklung?


Die grüne<br />

Wandtafel?<br />

12<br />

des E-Learn<strong>in</strong>g verbessern. Zudem könnten Vorteile der Neuen<br />

Medien genutzt und Lehrstrategien optimiert werden.<br />

Zunächst fällt auf, dass auch hier der Drang zur unbed<strong>in</strong>gten<br />

Wortschöpfung vorhanden ist: E-Didaktik, edikatik, e-Didaktik<br />

oder eLearn<strong>in</strong>g-Didaktik, s<strong>in</strong>d nur e<strong>in</strong>ige Variationen. Inhaltlich<br />

ist die Kreativität nicht weniger ausgeprägt. Die Erziehungswissenschaft<br />

als e<strong>in</strong>e von vielen Wissenschaften, die sich<br />

im E-Learnig-Sektor etabliert hat, könnte für e<strong>in</strong>e theoretische<br />

Fundierung e<strong>in</strong>er E-Didaktik sorgen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ist e<strong>in</strong>e Wissenschaft, deren prom<strong>in</strong>ente Vertreter<br />

die klassische Wandtafel als ideales (Unterrichts-)Medium bezeichnen<br />

(vgl. Hentig 2002, 125–126), möglicherweise für diese<br />

Aufgabe nicht geeignet. Aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive<br />

s<strong>in</strong>d es vor allem zwei Provenienzen, welche sich um<br />

e<strong>in</strong>e theoretische Fundierung bemühen, die Medienpädagogik<br />

und die Erwachsenenbildung.<br />

4.1 Medienpädagogik<br />

Die Medienpädagogik ist, dem e<strong>in</strong>fachen Wortlaut folgend,<br />

sicherlich die zuständige Domäne für das Lehren und Lernen<br />

mit Medien 7 . Tatsächlich aber ist die Zuordnung bereits zwischen<br />

den Begrifflichkeiten Medienpädagogik und Mediendidaktik<br />

nicht e<strong>in</strong>fach (vgl. Kerres 2007, 161–164). Im Folgenden<br />

wird daher allgeme<strong>in</strong> die Medienpädagogik als Referenz genutzt.<br />

Auch als sehr junge Teildiszipl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fast so jungen Wissenschaft<br />

steht sie bereits stark <strong>in</strong> ihrem geschichtlichen Kontext.<br />

In Bezug auf E-Learn<strong>in</strong>g lassen sich zwei richtungsweisende<br />

Positionen ausmachen: e<strong>in</strong>e kulturkritische und e<strong>in</strong>e<br />

handlungsorientierte Theoriel<strong>in</strong>ie. Ihre Wirkung auf das E-<br />

Learn<strong>in</strong>g ist zum e<strong>in</strong>en Teil offensichtlich, zum anderen Teil<br />

diffus.<br />

7 Oder doch eher die Mediendidaktik? Für e<strong>in</strong>e ausführliche<br />

Differenzierung vgl. auch Pasuch<strong>in</strong> 2009, 149–164.


13<br />

Die medienkritische Perspektive verlangt es, die Medien und<br />

ihre Wirkung zu h<strong>in</strong>terfragen. Anhand des Schlagwortes “Unterschichtenfernsehen‘<br />

lässt sich z.B. über den E<strong>in</strong>fluss des<br />

Fernsehens auf das Bildungsniveau bzw. die existierenden<br />

Wechselwirkungen reflektieren. Für das E-Learn<strong>in</strong>g bedeutet<br />

dies, zunächst e<strong>in</strong>mal das gewählte Medium zu h<strong>in</strong>terfragen.<br />

Welchen Stellenwert diese Art von Reflexion bei den Lehrenden<br />

hat, ist offensichtlich. Die Verantwortung für die Präsentation<br />

des Lernstoffes liegt bei ihnen und somit auch die Wahl des<br />

Mediums. Für diesen Prozess existieren ganz unterschiedliche<br />

Raster und Entscheidungshilfen. Die bekannteste und str<strong>in</strong>genteste<br />

ist sicherlich die Pas 1031-1:2004 (vgl. Hambach/Urban<br />

2006). Andere didaktische Konzeptionen, wie die gestaltungsorientierte<br />

Mediendidaktik, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihrer Ausgestaltung flexibler<br />

und nicht weniger häufig im E<strong>in</strong>satz (vgl. Kerres u.a. 2009,<br />

263–271).<br />

Jedoch ist fraglich, ob e<strong>in</strong> Lernender e<strong>in</strong>en didaktischen<br />

Mehrwert davon hat, wenn die Frage nach dem Träger (dem<br />

Medium) der Information wichtiger ist als die Information<br />

selbst. Man kann trotz aller Technikeuphorie nicht davon ausgehen,<br />

dass der Digital Native quasi automatisch Medien effektiv<br />

für Lernprozesse e<strong>in</strong>setzen kann. 8 Zudem muss die Frage<br />

erlaubt se<strong>in</strong>, ob es s<strong>in</strong>nvoll ist, das Medium kritisch zu untersuchen,<br />

wenn man zwanzig neue Vokabeln für e<strong>in</strong> Übungstestat<br />

lernen muss? Sollte man sich nicht lieber die Vokabeln an sich<br />

e<strong>in</strong>prägen?<br />

Aber was passiert, wenn es nicht um solch e<strong>in</strong> profanes Beispiel<br />

geht? Welche Relevanz hat diese Fähigkeit zur Medienkritik,<br />

wenn es um die Bewertung von Zuverlässigkeit, Genauigkeit<br />

und Wahrheit von Internetquellen geht? Hier bedarf es<br />

dr<strong>in</strong>gend e<strong>in</strong>er reflektierenden Perspektive, um mediale Wirklichkeit<br />

transparent zu machen. Die Grenze zu identifizieren,<br />

zwischen profan und relevant, könnte die Aufgabe der E-<br />

Didaktik se<strong>in</strong>.<br />

8 Insbesondere nicht, wenn man den Begriff der Medienkompetenz als<br />

Maßstab nimmt.


Gefahr?<br />

14<br />

Die Handlungsorientierung ist e<strong>in</strong>e weitere wichtige Domäne<br />

mit großem E<strong>in</strong>fluss auf das E-Learn<strong>in</strong>g. Den Umgang mit<br />

Medien erlernen, <strong>in</strong>dem man sie nutzt und sie bedient. Experimentelle<br />

Sem<strong>in</strong>are, <strong>in</strong> denen neue Methoden erprobt werden,<br />

gehören im E-Learn<strong>in</strong>g-Bereich zum universitären Alltag. 9 Sie<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Bereicherung und bieten Studierenden die Möglichkeit,<br />

unterschiedlichste Szenarien kennenzulernen. Sie be<strong>in</strong>halten<br />

jedoch auch e<strong>in</strong>e Gefahr.<br />

Das neue Szenario muss verstanden werden, das neue Programm<br />

bedient und die Lern<strong>in</strong>halte gelernt werden. Für e<strong>in</strong>e<br />

Lehrveranstaltung pro Woche ist dies noch zu schaffen. Aber<br />

was ist, wenn es 12 Veranstaltungen wären, <strong>in</strong> denen unterschiedliche<br />

Szenarien, Programme und Inhalte bewältigt werden<br />

müssten? Würde dann noch für das Ziel – den Abschluss<br />

des Studiums – gelernt werden können? Könnte e<strong>in</strong>e E-<br />

Didaktik hier vermittelnd wirken?<br />

Diese beiden Aspekte der Medienpädagogik prägen das E-<br />

Learn<strong>in</strong>g zum Teil erheblich mit. Wesentlich ist, ob dies bewusst<br />

oder unbewusst geschieht. Ohne die Reflexion über diese<br />

Prozesse ist gel<strong>in</strong>gendes Lernen sicherlich nicht immer möglich.<br />

Andererseits, das ist wohl ebenso offensichtlich, stellt die<br />

Medienpädagogik e<strong>in</strong>e Reihe von ausgezeichneten und konkreten<br />

Ansätzen zur Verfügung. Vom viel zitierten „Didaktischen<br />

Viereck‛ (Kerres 2001, 48–50) oder dem „Wissensmanagement‛<br />

(Re<strong>in</strong>mann 2007, 184–186). Generell von hoher Bedeutung ist<br />

der komplexe theoretische Diskurs, um den Leitbegriff Medienkompetenz<br />

10 und dessen praktischen E<strong>in</strong>fluss auf das Handeln<br />

mit Medien. Diese Aspekte haben sicherlich e<strong>in</strong>en deutlich<br />

stärkeren und prägenderen E<strong>in</strong>fluss auf die Entwicklung des E-<br />

Learn<strong>in</strong>g.<br />

9 Webseiten wie http://www.e-teach<strong>in</strong>g.org bieten e<strong>in</strong>en ersten E<strong>in</strong>blick.<br />

Zudem hat nahezu jede Universität e<strong>in</strong>en eigenen E-Learn<strong>in</strong>g-Bereich <strong>in</strong><br />

ihrer Webpräsenz.<br />

10 In Form von Diskursen um die Konzepte von Baake, Aufenanger,<br />

Tulodziecki, u.a.


4.2 Erwachsenenbildung<br />

15<br />

In der Erwachsenenbildung ist die Nutzung von Medien e<strong>in</strong><br />

wichtiges Handlungsfeld. Dies liegt an den vielfältigen Möglichkeiten<br />

der zeitflexiblen Gestaltung von Lehr- und Lernszenarien<br />

für Berufstätige. Ganz gezielt fragt Arnold nach der<br />

S<strong>in</strong>nhaftigkeit e<strong>in</strong>er eLearn<strong>in</strong>g-Didaktik (Arnold 2006, 11–27).<br />

In se<strong>in</strong>en Reflexionen führt er aus, dass es eigentlich ke<strong>in</strong>er<br />

speziellen Didaktik bedarf. Denn „die Fragen, die sich bei der<br />

Nutzung neuer Medien <strong>in</strong> Lehr-Lernprozessen stellen, s<strong>in</strong>d die Alten”(Arnold<br />

2006, 12). Damit hat er sicherlich recht. Auch beim<br />

E-Learn<strong>in</strong>g muss das Hauptaugenmerk auf den Lehr- und<br />

Lern<strong>in</strong>halten an sich liegen. Doch die zunehmende Dom<strong>in</strong>anz<br />

der Medien <strong>in</strong> der Gestaltung unsere Lebenswirklichkeit verlangt<br />

auch e<strong>in</strong>e stärkere Berücksichtigung der durch Medien<br />

erzeugten Wirklichkeit. So ist dann auch naheliegend, dass andere<br />

Sichtweisen die Verantwortung für diese Fragen, zurück<br />

an die Medienpädagogik delegieren (vgl. von Hippel 2009, 687).<br />

4.3 Noch e<strong>in</strong> Fazit<br />

Es wurde deutlich, dass sich verschiedene Zweige der Erziehungswissenschaft<br />

mit der Entwicklung e<strong>in</strong>er E-Didaktik beschäftigen<br />

könnten. Doch sche<strong>in</strong>t es bereits bei der <strong>in</strong>nerdiszipl<strong>in</strong>ären<br />

Betrachtung e<strong>in</strong>e Zuordnungsproblematik zu geben.<br />

Das E-Learn<strong>in</strong>g an sich ist jedoch e<strong>in</strong> stark <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres<br />

Handlungsfeld (e<strong>in</strong>e Aufstellung wichtiger Diszipl<strong>in</strong>en f<strong>in</strong>det<br />

sich bei Klimsa 2009, 61–69). So entwickeln nicht nur die genannten<br />

Diszipl<strong>in</strong>en den theoretischen Rahmen. E<strong>in</strong>e weitere<br />

wichtige Diszipl<strong>in</strong> ist z. B. die Medienpsychologie (vgl. e<strong>in</strong>führend<br />

Bat<strong>in</strong>ic/Appel 2008).<br />

Diese Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist zugleich die besondere Chance<br />

des E-Learn<strong>in</strong>g-Sektors. Die Entwicklung, die Nutzung und die<br />

Gestaltung dieses großen Konglomerates an Möglichkeiten gew<strong>in</strong>nt<br />

durch die verschiedenen Sichtweisen und Kompetenzen.<br />

Somit können auch Lehr-Lernprozesse von den divergierenden<br />

Sichtweisen profitieren. Anderseits zeigt sich, dass die teilweise<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität


E-Learn<strong>in</strong>g<br />

Nutzung<br />

16<br />

fehlende wissenschaftliche Verortung zu e<strong>in</strong>em partiellen Theorie-<br />

und Forschungsdefizit des E-Learn<strong>in</strong>g und damit auch der<br />

Reflexion über die genutzte Didaktik führt. Es ist zu bedauern,<br />

dass praxisorientierte Projekte gefördert werden, während die<br />

theoretische Reflexion auf didaktischer Ebene e<strong>in</strong>e weit entfernte<br />

Nachhut bildet. Am Ende kann die Erziehungswissenschaft<br />

das Gebiet nur verstärkt für sich e<strong>in</strong>fordern.<br />

„Eh – Didaktik ist unser Aufgabengebiet”, fordert die Erziehungswissenschaft.<br />

5. Oh-Didaktik<br />

„Oh – Didaktik“, sagt sich der Nutzer.<br />

Der Nutzer des E-Learn<strong>in</strong>g, soviel weiß man aus verschiedenen<br />

Studien, nutzt E-Learn<strong>in</strong>g. 11 Nicht mehr und vielleicht auch<br />

nicht weniger. Wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er beliebigen Lerne<strong>in</strong>heit e<strong>in</strong> Podcast<br />

angeboten, so hören die Nutzer sich diesen an. Geht es darum,<br />

e<strong>in</strong> E-Portfolio zu erstellen, machen die Nutzer dies.<br />

Am Ende e<strong>in</strong>er solchen Lerne<strong>in</strong>heit, z.B. <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Sem<strong>in</strong>ars,<br />

wird oftmals auch die neue erworbene Methodik zur<br />

Seite gelegt. Dafür wird dann wieder auf die traditionelle<br />

Lernmethode mit Buch und handgeschriebenen Notizen zurückgegriffen.<br />

Das heißt, momentan gibt es noch ke<strong>in</strong>e nachhaltige<br />

Veränderung der Lernkultur durch E-Learn<strong>in</strong>g. Die Neuen<br />

Medien haben im Lernprozess e<strong>in</strong>en hohen Wert, wenn es darum<br />

geht, Informationen zu erlangen. Sie werden aber nicht im<br />

nennenswerten Umfang für die Diskussion oder Gestaltung<br />

von Inhalten genutzt. 12<br />

E<strong>in</strong> weiteres Problemfeld ist zu entdecken, wenn man die<br />

Arbeitsgewohnheiten der Studierenden näher betrachtet. Nach<br />

11 z.B. das HISBUS-Panel (http://hisbus.his.de) oder die 10.<br />

Studierendensurvey (http://www.uni-konstanz.de/soziologie/aghoc/<br />

publikationen/ PublikatBerichte/Langbericht2008.pdf).<br />

12 Dies zeigt Beispielhaft e<strong>in</strong> Ergebnis der HISBUS‐Kurz<strong>in</strong>formation Nr. 21:<br />

80% der Studierenden lesen häufig Artikel der Wikipedia. Nur 0,3%<br />

schreiben häufig neue Artikel (vgl. Kleimann u.a. 2008, 8).


17<br />

wie vor drucken Studierende ihre Materialien aus. Dabei gehen<br />

oftmals die förderlichen Lerneffekte und die zugrunde liegenden<br />

Vorstellungen über e<strong>in</strong>en vorher def<strong>in</strong>ierten Lernweg verloren.<br />

Der Lerner durchbricht die Logik des Lehrenden und<br />

folgt e<strong>in</strong>em eigenen Weg.<br />

Dies lässt sich anhand e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>fachen Beispiels skizzieren:<br />

Jeder, der schon e<strong>in</strong>mal komplexe Schaubilder von e<strong>in</strong>er vertikalen,<br />

klassischen Wandtafel abgeschrieben hat, kennt das<br />

Problem: Die Inhalte lassen sich nur schwer auf das habitualisierte,<br />

horizontale Hochformat des Schreibblocks übertragen.<br />

Die verblüffend e<strong>in</strong>fache Lösung, das Blatt zu drehen, ist nur<br />

begrenzt praktikabel. Beim späteren Nachlesen, im Gesamtverbund<br />

e<strong>in</strong>es <strong>Heft</strong>es oder Ordners muss jedes Mal das Blatt aufs<br />

Neue gedreht werden.<br />

Mit diesem Bild lässt sich verdeutlichen, dass der Wechsel<br />

des Mediums für die Dokumentation der vermittelten Inhalte<br />

von Bedeutung ist. Teilweise geht dies mit e<strong>in</strong>em Verlust der<br />

didaktischen Strukturierung e<strong>in</strong>her. Bei der Übertragung von<br />

Digitalisaten ist der Dreh schwerer zu f<strong>in</strong>den. Folgende Fragen<br />

drängen sich auf:<br />

� In welcher Reihenfolge druckt man e<strong>in</strong>en Hypertext?<br />

� Was wird aus den eigenen Annotationen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bestimmten<br />

Lehr- und Lernmanagementsystem, wenn der Account erlischt<br />

oder das System nicht mehr existiert?<br />

� Wo bleiben die didaktischen „Effekte‚ von Bildschirmpräsentationen,<br />

welche e<strong>in</strong>en didaktischen E<strong>in</strong>zelaufbau von Inhalten ermöglichen?<br />

� Wie druckt man e<strong>in</strong> Video oder e<strong>in</strong>en Podcast?<br />

� Wie überträgt man Inhalte von e<strong>in</strong>em LMS <strong>in</strong> e<strong>in</strong> anderes?<br />

Diese Fragen sche<strong>in</strong>en von e<strong>in</strong>er gewissen Naivität geprägt<br />

zu se<strong>in</strong>. Zum e<strong>in</strong>en muss das Ausdrucken nicht für immer Realität<br />

bleiben. Zudem gibt es praktikable Antworten auf jede der<br />

e<strong>in</strong>zelnen Fragen. Von technischen (Software-) Lösungen bis<br />

h<strong>in</strong> zum klassischen Verweis auf entsprechende Passagen oder<br />

e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Fußnote existieren unterschiedlichste Möglichkeiten,<br />

um die Struktur zu erhalten. Allerd<strong>in</strong>gs ist zu vermuten,<br />

Beispiel


18<br />

dass der E<strong>in</strong>satz neuer Software auch zu neuen Problemen führen<br />

kann. Mehr Technik würde auch bedeuten, sich weiter von<br />

den Inhalten zu entfernen und doch wieder zu e<strong>in</strong>er prioritären<br />

Ausrichtung auf die Medientechnik zu gelangen. E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>facher<br />

Medienwechsel kann die didaktische Konzeption massiv stören.<br />

Bedarf es daher nicht neuer Perspektiven, welche verstärkt<br />

auf Kompetenzen oder das Lernen an sich (Mathetik) ausgerichtet<br />

s<strong>in</strong>d? Wäre also e<strong>in</strong>e E-Didaktik schon von vornhere<strong>in</strong><br />

aussichtslos?<br />

„Oh, wir wollen ke<strong>in</strong>e Didaktik, wir wollen was lernen.“<br />

6. Ah, Eh, Oh und nun?<br />

In diesem Artikel wurde mit dem Begriff der E-Didaktik<br />

jongliert. Ausgehend von e<strong>in</strong>em Versuch, die E-Didaktik <strong>in</strong> Anlehnung<br />

an bekannte Def<strong>in</strong>itionen zu entwickeln, wurden unterschiedliche<br />

Positionen präsentiert. In diesen Ausführungen<br />

s<strong>in</strong>d die unterschiedlichen Sichtweisen von drei Gruppen, zum<br />

Teil überzeichnet, zum Teil bewusst e<strong>in</strong>seitig, entwickelt worden.<br />

Dies geschah, um deutlich zu machen, dass dem E-<br />

Learn<strong>in</strong>g etwas fehlt: E<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same didaktische Bezugsnorm.<br />

Anhand der Ah-Aussagen der Akteure wurde deutlich, dass<br />

Didaktik e<strong>in</strong> vom Grundsatz her determ<strong>in</strong>ierender Bestandteil<br />

nahezu aller E-Learn<strong>in</strong>g-Aktivitäten ist. Mithilfe überspitzter<br />

Eh-Kommentare der Erziehungswissenschaft wurde deutlich,<br />

dass diese Bezugsdiszipl<strong>in</strong> für die Entwicklung e<strong>in</strong>er E-<br />

Didaktik bereits bei der <strong>in</strong>nerdiszipl<strong>in</strong>ären Verortung Schwierigkeiten<br />

hat. Dennoch ist sie aufgefordert, neue Perspektiven<br />

zu erschließen. Durch die Oh-Ausrufe der Nutzer ist persiflierend<br />

aufgezeigt worden, dass Didaktik nicht immer beim Nutzer<br />

ankommt.<br />

Dies s<strong>in</strong>d sicherlich nicht nur Probleme e<strong>in</strong>er E-Didaktik, es<br />

s<strong>in</strong>d tatsächlich klassische Herausforderungen der Allgeme<strong>in</strong>en<br />

Didaktik. Trotzdem gilt es, sie zu lösen. Für das E-Learn<strong>in</strong>g<br />

stellt sich diese Frage eben nur neu und sie bedarf e<strong>in</strong>er Antwort.<br />

Sei es <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er E-Didaktik oder anderer Zugänge.


19<br />

Vielleicht liegt die Lösung auch <strong>in</strong> neuen Komb<strong>in</strong>ationen mit<br />

den restlichen Vokalen.<br />

7. Literatur<br />

Arnold, Rolf: Die Unzeitgemäßheit der eLearn<strong>in</strong>g-Didaktik. In Arnold,<br />

Rolf/ Lermen, Markus (Hrsg.): eLearn<strong>in</strong>g-Didaktik. Grundlagen der<br />

Berufs- und Erwachsenenbildung: Band 48. Baltmannsweiler: Schneider<br />

2006, 11–29.<br />

Bat<strong>in</strong>ic, Bernad/Appel, Markus (Hrsg.): Medienpsychologie. Heidelberg:<br />

Spr<strong>in</strong>ger 2008.<br />

Böhm, W<strong>in</strong>fried: Wörterbuch der Pädagogik. 16. überarb. Auflage. Stuttgart:<br />

Kröner Verlag 2005.<br />

Dittler, Ullrich/Krameritsch, Jakob/Nistor, Nicolae/Schwarz, Christ<strong>in</strong>e/Thillosen,<br />

Anne (Hrsg.): E-Learn<strong>in</strong>g: E<strong>in</strong>e Zwischenbilanz. Kritischer<br />

Rückblick als Basis e<strong>in</strong>es Aufbruchs. Münster: Waxmann 2009.<br />

Hambach, Sybille/Urban, Bodo (Hrsg.): E-Learn<strong>in</strong>g-Angebote systematisch<br />

entwickeln. E<strong>in</strong> Leitfaden. Stuttgart: Frauenhofer IRB 2006.<br />

Hentig, Hartmut von: Der technischen Zivilisation gewachsen bleiben.<br />

Nachdenken über die Neuen Medien und das gar nicht mehr allmähliche<br />

Verschw<strong>in</strong>den der Wirklichkeit. We<strong>in</strong>heim: Beltz Verlag 2002.<br />

Hippel, Aiga von: Erwachsenenbildung und Medien. In Tippelt, Rudolf/<br />

Hippel, Aiga von (Hrsg.): Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung.<br />

3., überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden:<br />

VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, 687–706.<br />

Kerres, Michael: Multimediale und telemediale Lernumgebungen. Konzeption<br />

und Entwicklung. 2. überarbeitete Auflage. München:<br />

Oldenbourg 2001.<br />

Kerres, Michael: Wirkungen und Wirksamkeit neuer Medien <strong>in</strong> der Bildung.<br />

In Keil-Slawik, Re<strong>in</strong>hard/Kerres, Michael: Wirkungen und Wirksamkeit.<br />

Neuer Medien <strong>in</strong> der Bildung. Münster: Waxmann 2003, 31–<br />

44.<br />

Kerres, Michael: Zum Selbstverständnis der Mediendidaktik – e<strong>in</strong>e Gestaltungsdiszipl<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>nerhalb der Medienpädagogik? In Ses<strong>in</strong>k, Werner/Kerres,<br />

Michael/Moser, He<strong>in</strong>z (Hrsg.): Jahrbuch Medienpädagogik<br />

6. Medienpädagogik – Standortbestimmung e<strong>in</strong>er erziehungswissenschaftlichen<br />

Diszipl<strong>in</strong>. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften<br />

2007, 161–178.<br />

Kerres, Michael/Ojstersek, Nad<strong>in</strong>e/Stratmann, Jörg: Didaktische Konzeption<br />

von Angeboten des Onl<strong>in</strong>e-Lernens. In Iss<strong>in</strong>g, Ludwig J./Klimsa,


20<br />

Paul (Hrsg.): Onl<strong>in</strong>e-Lernen. Handbuch für Wissenschaft und Praxis.<br />

München: Oldenbourg 2009, 263–271.<br />

Kleimann, Bernd/Özkilic, Murat/Göcks, Marc: HISBUS-Kurz<strong>in</strong>formation<br />

Nr. 21:Studieren im Web 2.0. Studienbezogene Web- und E-Learn<strong>in</strong>g-<br />

Dienste. Hochschul-Informations-System, 2008. [URL:<br />

https://hisbus.his.de/hisbus/docs/hisbus21.pdf, 18.12.2009]<br />

Klimsa, Paul: Interdiszipl<strong>in</strong>arität als Grundlage des Onl<strong>in</strong>e-Lernens. In<br />

Iss<strong>in</strong>g, Ludwig J./Klimsa, Paul (Hrsg.): Onl<strong>in</strong>e-Lernen. Handbuch für<br />

Wissenschaft und Praxis. München: Oldenbourg 2009, 61–69.<br />

Kron, Friedrich W./Sofos, Alivisos: Mediendidaktik. München: Re<strong>in</strong>hardt<br />

Verlag 2003.<br />

Martens, Alke/Diener, Holger/Malo, Steffen: Game-Based Learn<strong>in</strong>g with<br />

Computers – Learn<strong>in</strong>g, Simulations, and Games. In Pan, Zhigeng u.a.<br />

(Hrsg.): Transactions on Eduta<strong>in</strong>ment I. Berl<strong>in</strong>: Spr<strong>in</strong>ger 2008, 172–190.<br />

Niegemann, Helmut M./Domagk, Steffi/Hessel, Silvia/He<strong>in</strong>, Alexandra/<br />

Hupfer, Matthias/Zobel, Annett: Kompendium multimediales Lernen.<br />

Onl<strong>in</strong>e-Ausgabe. Berl<strong>in</strong>: Spr<strong>in</strong>ger 2008.<br />

Pasuch<strong>in</strong>, Iwan: Medienkompetenz im E-Learn<strong>in</strong>g. E<strong>in</strong>e medienpädagogische<br />

Perspektive auf mediendidaktische Diskurse. In Dittler, Ullrich/<br />

Krameritsch, Jakob/Nistor, Nicolae/Schwarz, Christ<strong>in</strong>e/Thillosen, Anne<br />

(Hrsg.): E-Learn<strong>in</strong>g: E<strong>in</strong>e Zwischenbilanz. Kritischer Rückblick als Basis<br />

e<strong>in</strong>es Aufbruchs. Münster: Waxmann 2009, 149–164.<br />

Rhe<strong>in</strong>mann-Rothmeier, Gabi: Didaktische Innovation durch Blended<br />

Learn<strong>in</strong>g. Bern: Verlag Hans Huber 2003.<br />

Re<strong>in</strong>mann, Gabi: Wissen – Lernen – Medien: E-Learn<strong>in</strong>g und Wissensmanagement<br />

als medienpädagogische Aufgaben. In Ses<strong>in</strong>k, Werner/Kerres,<br />

Michael/Moser, He<strong>in</strong>z (Hrsg.): Jahrbuch Medienpädagogik<br />

6. Medienpädagogik – Standortbestimmung e<strong>in</strong>er erziehungswissenschaftlichen<br />

Diszipl<strong>in</strong>. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften<br />

2007, 179–199.<br />

Schulmeister, Rolf: elearn<strong>in</strong>g: E<strong>in</strong>sichten und Aussichten. München:<br />

Oldenbourg 2006.<br />

Terhart, Ewald: Allgeme<strong>in</strong>e Didaktik: Traditionen, Neuanfänge, Herausforderungen.<br />

In Meyer, Me<strong>in</strong>ert A./Prenzel, Manfred/Hellekamps, Stephanie<br />

(Hrsg.): Perspektiven der Didaktik. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft.<br />

Sonderheft 9/2008, 13–34.<br />

Wessner, Mart<strong>in</strong>: E-Learn<strong>in</strong>g – Quo Vadis? In Keil-Slawik, Re<strong>in</strong>hard/<br />

Kerres, Michael: Wirkungen und Wirksamkeit. Neuer Medien <strong>in</strong> der<br />

Bildung. Münster: Waxmann 2003, 209–217.


CHRISTIAN KLAGER<br />

21<br />

Vom Philosophischen Tagebuch zum Denkbuch<br />

Schreibdialoge im Philosophieunterricht<br />

Abstract<br />

Das Philosophische Tagebuch ist spätestens seit dem Aufsatz von Thies<br />

1990 als feste methodische Größe des Philosophieunterrichts anzusehen.<br />

Es ermutigt SchülerInnen zum schriftlichen präsentativen und<br />

diskursiven Nachdenken und Nach-Denken zu philosophischen Gegenständen.<br />

Neben den traditionellen Methoden, das Tagebuch als<br />

Aufgabenheft und Reflexionsort zur Unterrichtsstunde oder allgeme<strong>in</strong>en<br />

philosophischen Fragen zu nutzen, verweist der Aufsatz mit Bezug<br />

auf Kant auf die Etablierung des Denkens im Dialog mit sich selbst und<br />

anderen: Das Philosophische Tage- und Denkbuch darf als hochpotentes<br />

und wirksames heuristisches Mittel des Philosophierens angesehen<br />

werden.<br />

1. Das Tagebuch im Philosophieunterricht<br />

Obwohl das Tagebuch als Methode der Sach- und Selbstreflexion<br />

und der kritischen Bewertung mittlerweile recht alt ist<br />

und <strong>in</strong> vielen Fächern, <strong>in</strong> denen Texte geschrieben werden, fest<br />

etabliert ist, soll an dieser Stelle das philosophische Tagebuch<br />

als abwechslungsreiches Medium neu und hoch gelobt sowie<br />

e<strong>in</strong>e mögliche Art der weiteren Verwendung aufgezeigt werden.<br />

Als Referenz soll hierzu der tiefgründige Aufsatz von Christian<br />

Thies <strong>in</strong> der Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und<br />

Ethik (ZDPE) 1/1990 genannt werden. Thies stellt <strong>in</strong> diesem Artikel<br />

die klaren Vorteile und Verwendungsmöglichkeiten des<br />

Philosophischen Tagebuchs vor und konstatiert Chancen und<br />

Grenzen des Lernmediums.<br />

Es soll daher hier nicht darum gehen, Thies theoretisch zu<br />

wiederholen und zu be- oder widerlegen; vielmehr soll konkret<br />

gezeigt werden, wie und ob das Philosophische Tagebuch im<br />

alltäglichen Philosophieunterricht angewendet werden kann.<br />

Dazu wurde es <strong>in</strong> den Klassenstufen 6, 9, 11 und 13 <strong>in</strong> der Schu-


Eignung des<br />

Tagebuches<br />

Ziel<br />

Tagebücher<br />

22<br />

le über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum nach den Vorschlägen von<br />

Thies ausprobiert und weiterentwickelt.<br />

Das Philosophische Tagebuch eignet sich allgeme<strong>in</strong> für alle<br />

Schüler, die <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, ihre eigenen Gedanken schriftlich<br />

zu verfassen bzw. auch für all die Schüler (beispielsweise auch<br />

<strong>in</strong> der Primarstufe), die gerade beg<strong>in</strong>nen, dies zu üben. Denkbar<br />

s<strong>in</strong>d neben diskursiven Texte<strong>in</strong>trägen aber auch Bilder und<br />

Zeichnungen, die als symbolisch-präsentative Formen (vgl.<br />

Münnix 2003, 310–318; vgl. Bierbrodt 2003, 125–129) Inhalte<br />

und Überlegungen sichtbar und nachvollziehbar machen.<br />

Die Grundfunktion des Philosophischen Tagebuchs <strong>in</strong> der<br />

Schule sollte die kritische Reflexion des Unterrichts und se<strong>in</strong>er<br />

(philosophischen) Inhalte sowie des eigenen Denkens und<br />

Könnens se<strong>in</strong>. Daneben kann das Medium auch für gezielte<br />

Aufgaben zur Interpretation, Produktion und Erarbeitung e<strong>in</strong>zelner<br />

Texte, Themen oder Gedankenexperimente (etc.) genutzt<br />

werden, falls dies im jeweiligen Stundenkomplex ratsam ersche<strong>in</strong>t<br />

(vgl. Thies 1990, 28).<br />

2. Das Philosophische Tagebuch konkret<br />

Das Tagebuch sollte vom Lehrer als kritische Methode zum<br />

wachen Blick für die Ereignisse im Unterricht und <strong>in</strong> der Philosophie<br />

vorgestellt werden.<br />

Das Ziel des Philosophischen Tagebuchs, e<strong>in</strong> Medium zu haben,<br />

welches zum Selbstdenken und Nachdenken e<strong>in</strong>laden soll,<br />

muss sich deutlich von dem e<strong>in</strong>es Hausaufgabenheftes unterscheiden,<br />

um se<strong>in</strong>e Wirkung nicht zu verfehlen. Die E<strong>in</strong>ladung<br />

zum gezielten, aber auch freien Denken und Schreiben sollte<br />

also deutlich im Vordergrund der Vorstellung der Methode<br />

und des Mediums stehen.<br />

Zur E<strong>in</strong>führung ist es ratsam, e<strong>in</strong> Exemplar (wie man es sich<br />

tatsächlich vorstellt) zur Stunde mitzubr<strong>in</strong>gen; das konkrete<br />

Buch <strong>in</strong> der Hand erleichtert den E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> diese Lernmethode<br />

merklich.<br />

Geeignet s<strong>in</strong>d alle Arten von <strong>Heft</strong>en und Büchern (ob l<strong>in</strong>iert<br />

oder kariert oder weiß sei e<strong>in</strong>mal offen gelassen und der jewei-


23<br />

ligen persönlichen Vorliebe des Lehrers und der Schüler anheimgestellt)<br />

<strong>in</strong> allen gängigen Formaten, die man nicht ohne<br />

Weiteres ause<strong>in</strong>anderheften kann. Das Ziel des Tagebuchs ist es<br />

ja, die Philosophie des Schuljahres persönlich zu reflektieren<br />

und nicht – was bei uns Menschen wohl üblich ist – Gedanken<br />

und Geschriebenes nach drei Wochen für schlecht zu bef<strong>in</strong>den<br />

und zu vernichten (vgl. Dege 2002, 132).<br />

Der Vorteil (und e<strong>in</strong> wesentlicher methodischer Inhalt) aller<br />

Tagebücher besteht gerade dar<strong>in</strong>, dass alle Texte – ob man sie<br />

nun nach Jahren noch gut f<strong>in</strong>det oder sie verabscheut – dort gesammelt<br />

stehen und e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck der “damaligen‘ Persönlichkeit,<br />

der Denkweise, aber auch der argumentativphilosophischen<br />

Herangehensweise vermitteln können; nur so<br />

ist e<strong>in</strong>e langfristige Sach- und Selbstreflexion möglich.<br />

Da <strong>Heft</strong>er, Mappen, Folien etc. leicht manipulierbar s<strong>in</strong>d und<br />

dazu verführen, kritische Texte im letzten Augenblick doch<br />

noch zu verwerfen, eignen sie sich nicht für das Projekt e<strong>in</strong>es<br />

Tagebuchs.<br />

Falls es trotzdem e<strong>in</strong>mal notwendig ersche<strong>in</strong>t, e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>trag<br />

zu vernichten, sollte (an den Rissspuren im Papier) deutlich zu<br />

erkennen se<strong>in</strong>, dass hier e<strong>in</strong> “unhaltbarer‘ Text gestanden hat,<br />

der im Geiste des Verfassers (und im Tagebuch selbst) Risse<br />

und Furchen h<strong>in</strong>terlassen hat, so dass er schweren Herzens entfernt<br />

werden musste.<br />

Gleichsam sollte beim Erwerb des Buches daran gedacht<br />

werden, dass das <strong>Heft</strong> als Tagebuch dienen wird – es sollte also<br />

neben den offensichtlich nachvollziehbaren Vorzügen (fester<br />

E<strong>in</strong>band gegen die drückende Übermacht der Schulbücher,<br />

große Fülle von Blättern gegen die Not, bald e<strong>in</strong> neues Buch<br />

kaufen zu müssen) auch das Gefühl des Schülers ansprechen,<br />

dar<strong>in</strong> (viel) schreiben zu wollen. Ästhetische Vorlieben und <strong>in</strong>dividuelle<br />

Bezüge dürfen (oder müssen gar) gerade <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Tagebuch zum Ausdruck gebracht werden können.


Verwendung<br />

24<br />

Abb. 1: Das Philosophische Tagebuch muss<br />

die Lust auf das Schreiben fördern.<br />

Die Verwendung des Philosophischen Tagebuchs unterscheidet<br />

sich eigentlich kaum von der e<strong>in</strong>es Tagebuchs im<br />

Deutschunterricht oder des Lektüretagebuchs, das man im<br />

Sprachenunterricht beim Lesen e<strong>in</strong>es Buches führen kann; der<br />

Unterschied zum privaten Tagebuch alle<strong>in</strong> besteht dar<strong>in</strong>, dass<br />

man letzteres nur für die eigenen Augen schreibt, während das<br />

Tagebuch <strong>in</strong> der Schule so verfasst werden soll, dass andere<br />

Menschen es lesen können und mögen. Gleichzeitig unterscheidet<br />

sich das Philosophische Tagebuch aber deutlich vom<br />

Logbuch, wie man es beispielweise aus philosophischen Methoden<br />

wie der Inquiry kennt, und <strong>in</strong> das nur <strong>in</strong>tersubjektive<br />

Inhalte und Feststellungen übernommen werden. Die Schüler –<br />

und ebenfalls der Lehrer (!) – sollten ihre Gedanken und Gefühle<br />

– „der Mensch ist e<strong>in</strong> krummes Holz‚ (Hastedt 2005, 149)<br />

und hat selbstverständlich beides – <strong>in</strong> dem Tagebuch zu den<br />

faktischen, aber auch methodischen Problemen der aktuellen<br />

Unterrichtsstunden, zu allgeme<strong>in</strong> auftretenden philosophischen<br />

Überlegungen und zu konkreten, im Philosophischen Tagebuch<br />

gestellten, Aufgaben niederschreiben und gründlich dabei reflektieren.<br />

Dass das Philosophieren dabei nicht nur im Objektiven,<br />

sondern auch im Persönlichen stattf<strong>in</strong>det, kann und soll<br />

nicht ausgeschlossen werden.


3. Umsetzungen<br />

25<br />

3.1 Die Reflexion der Unterrichtsstunde<br />

Die Schüler rekapitulieren den Inhalt und die philosophische<br />

Problematisierung der vergangenen Unterrichtsstunde, <strong>in</strong>dem<br />

sie ihre Gedanken und Gefühle Revue passieren lassen und<br />

Verständnis- und Argumentationszweifel im Tagebuch notieren.<br />

In der schriftlichen und sorgfältigen Auswertung des Unterrichts<br />

wird zum e<strong>in</strong>en das Thema wiederholt (Memoriereffekt)<br />

und zum anderen kritisch betrachtet und erläutert. Vielen Schülern,<br />

denen das mündliche Arbeiten schlechter liegt als die<br />

schriftliche Äußerung, können durch diese Methode konstruktiv<br />

mit ihren Argumenten arbeiten und gew<strong>in</strong>nen auf diese<br />

Weise tiefere E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die Thematik, arbeiten hermeneutisch<br />

und heuristisch an Problemen und dürfen sich <strong>in</strong> Ruhe und ohne<br />

Störung ausdrücken (vgl. Thies 1990, 29).<br />

Gerade das gründliche und allen Bedürfnissen der Schüler<br />

entsprechende Diskutieren von Problemen der Philosophie<br />

(von der Ethik bis zur Ontologie) kommt <strong>in</strong> Zeitrahmen von 45<br />

oder 90 M<strong>in</strong>uten zwangsläufig zu kurz – selbst wenn viele Lehrer<br />

große Mühe auf e<strong>in</strong> breites Zeitfenster für Streitgespräche<br />

oder sokratische Methoden richten. Das (wenigstens im ersten<br />

Moment) monologische Weiterführen e<strong>in</strong>es solchen Dialoges<br />

im philosophischen Tagebuch erweitert die Unterrichtszeit immens;<br />

es fördert und fordert die Beschäftigung der Schüler mit<br />

den Themen über die (immer noch relativ starren) Schulzeiten<br />

h<strong>in</strong>aus: Der Unterricht und das philosophische Problem enden<br />

nicht mit dem symbolischen Kl<strong>in</strong>gelzeichen – der Schüler wird<br />

von e<strong>in</strong>er Fragestellung verfolgt und muss sich ihr selbstständig<br />

und selbstüberzeugend stellen.<br />

Gleichzeitig können die Schüler soziale, methodische und<br />

didaktische Vorkommnisse der Unterrichtsstunde rekonstruieren<br />

und beurteilen. Die Sozial-, Selbst- und Methodenkompetenz<br />

kann kritisch h<strong>in</strong>terfragt und auf Verbesserung h<strong>in</strong> geprüft<br />

werden. Auf diese Weise bekommt der Schüler mit der Zeit e<strong>in</strong>en<br />

Blick für den Verlauf von Unterrichtsstunden und der Leh-<br />

Nachdenken


Selbstdenken <br />

Selbstdenken<br />

und<br />

Nachdenken<br />

26<br />

rer erhält beim Lesen des Tagebuchs e<strong>in</strong>e implizite und häufig<br />

durchgeführte Evaluation se<strong>in</strong>es Bemühens aus Schülersicht<br />

(der man sich regelmäßig mit gutem Gewissen unterziehen sollte).<br />

3.2 Das philosophische Tagebuch als Ort allgeme<strong>in</strong>er<br />

philosophischer Reflexion<br />

Das Philosophische Tagebuch steht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er gütigen Offenheit<br />

aber neben der Reflexion der im Unterricht behandelten<br />

und diskutierten Themen und Problemen auch allen anderen<br />

philosophischen Fragestellungen offen. Da Unterricht ja immer<br />

nur e<strong>in</strong>e Auswahl von zumeist kanonischen Texten, Strömungen<br />

und Fragen behandeln kann – und dieses Auswählen nicht<br />

zwangsläufig das persönliche Interesse e<strong>in</strong>es jeden Individuums<br />

weckt und abdeckt – haben alle Schüler im Tagebuch die<br />

Möglichkeit, konkrete für sie offene und <strong>in</strong>teressante philosophische<br />

Themen zu benennen, zu kommentieren und zu h<strong>in</strong>terfragen.<br />

Dabei können die Probleme aus der Alltagswelt, dem<br />

Philosophielehrbuch, den anderen Schulfächern, den globalen<br />

Medien oder auch Fachbüchern entstammen und zum Denken<br />

und Nachdenken animieren.<br />

Den Schülern wird e<strong>in</strong> Medium zur Verfügung gestellt, das<br />

grundsätzlich verfügbar, vertraut und geduldig ist: Das Tagebuch<br />

gleicht e<strong>in</strong>em papiernen Freund, mit dem man, vorerst<br />

monologisch, über philosophische Probleme und Fragen sprechen<br />

kann, die e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>teressieren und beschäftigen.<br />

3.3 Das Tagebuch als Aufgabenheft<br />

Neben den weniger kontrollierten und – je nach Unterrichtsstil<br />

– freiwilligen E<strong>in</strong>trägen zur Reflexion des Philosophieunterrichts<br />

oder der kritischen Ause<strong>in</strong>andersetzung mit eigenverantwortlich<br />

erarbeiteten philosophischen Fragestellungen kann<br />

das Philosophische Tagebuch auch dazu dienen, Schülern e<strong>in</strong>en<br />

<strong>in</strong>stitutionell vorgegebenen Rahmen für (Haus-)Aufgaben zu


27<br />

schaffen. Wenn Hausaufgaben nicht der Recherche oder der<br />

Weiterführung bereits begonnener Unterrichtsprojekte dienen,<br />

sondern Themen und Fragen vertiefen und reflektieren sollen,<br />

eignet sich das Tagebuch auch als offenes papiernes Ohr für essayistische<br />

Versuche und grundlegende Überlegungen und<br />

Ausführungen zu philosophischen Themen. Dabei können<br />

problemgebundene Fragestellungen ebenso geeignet se<strong>in</strong> wie<br />

textgebundene Aufgaben.<br />

Die häufig im Pausenkl<strong>in</strong>geln endende spannende Abschlussdiskussion<br />

oder die fragwürdige Argumentation e<strong>in</strong>es<br />

Mitschülers (e<strong>in</strong>es Philosophen, des Lehrers


Vorlesen<br />

Brief<br />

4. Die Auswertung des Tagebuchs im Unterricht<br />

28<br />

Die Auswertung des Philosophischen Tagebuchs im Unterricht<br />

geschieht nach den von Thies ebenfalls vorgestellten Möglichkeiten<br />

(vgl. Ebd., 30). Es ist vorteilhaft, mit Schülerzitaten<br />

oder -rezensionen das Thema der vergangenen Stunde wiederholen<br />

zu können, denn Schüler hören (aus verständlichen entwicklungspsychologischen<br />

Gründen) beim Vorlesen eher h<strong>in</strong>,<br />

wenn Texte von Gleichaltrigen vorgelesen oder besprochen<br />

werden, als wenn ungleich ältere Autoren das Wort erhalten.<br />

Bei der Vorstellung und Besprechung der Texte muss natürlich<br />

darauf geachtet werden, dass ke<strong>in</strong> Schüler – so pathetisch dies<br />

auch kl<strong>in</strong>gen mag – e<strong>in</strong>en seelischen Schaden erleidet; die Gefahr<br />

e<strong>in</strong>er Selbstoffenbarung ist durch die Methode des Tagebuchs<br />

jederzeit gegeben.<br />

Das zu vermeiden, kl<strong>in</strong>gt im Allgeme<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>facher, als es<br />

ist: Jüngere Schüler zeigten im Umgang mit fremden Texten e<strong>in</strong>e<br />

verblüffend niedrige Hemmschwelle <strong>in</strong> der Beurteilung und<br />

Bewertung der <strong>in</strong>haltlichen und formalen Darstellungen und<br />

wurden <strong>in</strong> ihrer Kritik nicht selten (zu) persönlich. Ältere Schüler<br />

h<strong>in</strong>gegen konnten ihre Anmerkungen zu Gedanken objektiver<br />

formulieren, neigten aber im gleichen Maße dazu, ihre eigenen<br />

Texte nicht mehr zur Diskussion zur Verfügung zu stellen.<br />

Ob dies nun e<strong>in</strong> typisches Problem fehlender (oder wenigstens<br />

nicht ausgereifter) Gesprächskultur ist, sei e<strong>in</strong>mal dah<strong>in</strong><br />

gestellt; bemerkt werden kann zum<strong>in</strong>dest, dass sich das Philosophische<br />

Tagebuch nur sehr begrenzt für die “Veröffentlichung‘<br />

im Unterricht eignet, wozu die genannte von den Schülern<br />

schwer zu formulierende Kritik aber auch technische<br />

Schwierigkeiten (alle Schüler müssen den – natürlich handschriftlichen<br />

– Text zur Verfügung haben, um nach e<strong>in</strong>er angemessenen<br />

Lesezeit darüber urteilen zu können) beitragen.<br />

Thies stellt 1990 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Aufsatz die Möglichkeit vor, das<br />

Tagebuch als dialogische Form zum Briefwechsel weiterzuführen.<br />

Bei e<strong>in</strong>em solchen Briefverkehr (oder besser “Buchverkehr‘)<br />

würden Schüler und Lehrer oder Schüler und Schüler gleichberechtigte<br />

Partner <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Dialog über philosophische Probleme<br />

werden. Die gewonnenen Vorteile hierbei überwiegen deut-


29<br />

lich: Zum e<strong>in</strong>en können gestellte (Pflicht-)Aufgaben selbstverständlich<br />

zensiert und bewertet werden, wie es auch bei Essays<br />

oder anderen schriftlichen Arbeitsformen im Philosophieunterricht<br />

geschieht. Der H<strong>in</strong>weis, dass dies unter Umständen die<br />

Freiheit des Denkens im philosophischen Tagebuch bee<strong>in</strong>flusst,<br />

muss ignoriert werden können. Die Philosophie besteht – zum<strong>in</strong>dest<br />

gibt es e<strong>in</strong> breites E<strong>in</strong>vernehmen darüber – nicht <strong>in</strong> der<br />

Darstellung bloßer Me<strong>in</strong>ungen und Überzeugungen. Vielmehr<br />

sollten Argumentationen durchgeführt und objektiv nachvollziehbare<br />

Versuche unternommen werden, die neue Erkenntnisse<br />

zulassen. Dies kann, wie auch <strong>in</strong> vielen Rahmenplänen gefordert,<br />

durchaus beurteilt werden. Zum anderen kann der<br />

Lehrer (oder auch e<strong>in</strong> anderer Schüler) auf den Text des Schülers<br />

antworten und se<strong>in</strong>e eigenen (nachvollziehbaren) Gedanken<br />

und Thesen zur Thematik äußern, konstruktiv Kritik üben<br />

und Angebote zum Weiterdenken unterbreiten.<br />

5. Vom Tagebuch zum Denkbuch<br />

Da Schüler allgeme<strong>in</strong> jedoch nur bed<strong>in</strong>gt auf den Vorschlag<br />

e<strong>in</strong>gehen, sich auf den Briefwechsel mit dem Lehrer e<strong>in</strong>zulassen,<br />

da selbiger meist nicht zum bevorzugten sozialen Umgang<br />

der Schüler oder wenigstens nicht zu den Vertrauenspersonen<br />

schlechth<strong>in</strong> gezählt wird (beglückwünschenswerte Ausnahmen<br />

e<strong>in</strong>mal vernachlässigt), muss das Philosophische Tagebuch als<br />

umfassendes und praxistaugliches Lernmedium auch <strong>in</strong> der<br />

Lage se<strong>in</strong>, all den Schülern e<strong>in</strong>en Lern- und Erkenntnisgew<strong>in</strong>n<br />

zu verschaffen, denen es schwer fällt, sich Personen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

stark asymmetrischen Kommunikation zu öffnen.<br />

E<strong>in</strong> Weg, das Tagebuch weiter zu verwenden, bestünde dar<strong>in</strong>,<br />

den Schreibaustausch zwischen den Schülern selbst zu <strong>in</strong>itiieren,<br />

was bei älteren Schülern, die oftmals e<strong>in</strong> deutlich tieferes<br />

Interesse an philosophischen Diskussionen zeigen als viele jüngere,<br />

im Versuch relativ problemlos möglich war. Selbstverständlich<br />

kann man sich nicht der Illusion h<strong>in</strong>geben, dass alle<br />

Schüler <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en regen Brief- und Tagebuchaustausch treten<br />

werden – die fruchtbaren Ergebnisse e<strong>in</strong>zelner Dialoge aber<br />

sollten dazu ermuntern, den Schülern diesen Weg der Tage-<br />

Austausch


Monolog<br />

und Dialog<br />

mit sich<br />

selbst<br />

30<br />

buchauswertung und -weiterführung vorzuschlagen. Schüler<br />

haben nach der alltäglichen Erfahrung – dies ist <strong>in</strong> der Tat e<strong>in</strong>e<br />

unbelegte Aussage – e<strong>in</strong> wohl natürliches Bedürfnis zur Kommunikation,<br />

das <strong>in</strong> Schulen sehr häufig zum “Briefeschreiben‘<br />

führt. Wenn man dieses Bedürfnis der schriftlichen Kommunikation<br />

auf den Philosophieunterricht ausweiten kann, erreicht<br />

man nicht nur das Ziel, den Schülern die Philosophie da zu<br />

vermitteln wo sie stehen (nämlich mitten im Leben), man verbessert<br />

auch den eigenen Unterricht, <strong>in</strong>dem die kreativen und<br />

konstruktiven Gedanken auf die Philosophie ausgerichtet werden.<br />

Da es aber auch Schüler gibt, denen es schwer fällt, sich<br />

überhaupt Mitmenschen zu öffnen, muss es e<strong>in</strong>e dritte nichtöffentliche<br />

Methode zur Auswertung geben.<br />

Das Philosophische Tagebuch gibt selbst – hier wird e<strong>in</strong>mal<br />

deutlich, wie vielseitig dieses Lernmedium ist – diesen Schülern<br />

e<strong>in</strong>en Rahmen für Gedanken und Überlegungen; man muss das<br />

Tagebuch nur als e<strong>in</strong> solches ernst nehmen. Im Versuch, die<br />

Philosophie nicht nur dialogisch zu begreifen, wie wir sie zumeist<br />

<strong>in</strong> der Schule praktizieren, ersche<strong>in</strong>t das Tagebuch als<br />

idealer Partner für gefundene Gedanken und Reflexionen. Mit<br />

der Prämisse, dass Philosophie auch monologisch se<strong>in</strong> kann<br />

(vgl. Rehfus 1986, 98), bietet das Philosophische Tagebuch e<strong>in</strong>en<br />

Rahmen für selbstständige Denk- und Schreibversuche. Der<br />

Ansatz, den Lutz von Werder <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch „E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong><br />

die philosophische Lebenskunst‚ vorstellt, beschreibt das Philosophische<br />

Tagebuch dabei als „den besten Weg, sich <strong>in</strong> die<br />

philosophische Lebenskunst selbst zu begleiten‚ (von Werder<br />

2000, 25). Sich <strong>in</strong>tensiv mit se<strong>in</strong>er eigenen Beziehung zur Philosophie<br />

und mit philosophischen Aussagen zu beschäftigen<br />

führt schlussendlich zu e<strong>in</strong>em erkenntnisleitenden Umgang mit<br />

Gedanken und zu e<strong>in</strong>er philosophischeren Lebensweise, so von<br />

Werder. Indem Schüler das Philosophische Tagebuch überhaupt<br />

benutzen, also Gedanken des Unterrichts, allgeme<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>fälle und gezielte Aufgaben zur Philosophie dar<strong>in</strong> reflektieren,<br />

kann das Lernmedium zu e<strong>in</strong>er Verbesserung des Unterrichts<br />

und Verständnis’ der Unterrichtsgegenstände beitragen.


31<br />

Es ist dabei sicher nicht von Nachteil, wenn philosophische<br />

Versuche von Freunden, Mitschülern und Lehrern besprochen<br />

und kommentiert werden – das Philosophische Tagebuch aber<br />

hat selbst ohne diese Veröffentlichungsoption noch viele Vorteile.<br />

Wenn Schüler (und Lehrer) erkennen, wie wichtig es ist, regelmäßig<br />

<strong>in</strong> Ruhe und schriftlich zu denken und sich ebenfalls<br />

stets selbst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Gedanken zu überprüfen, dann erreichen<br />

die jungen Denker <strong>in</strong> der Nutzung des Philosophischen Tagebuchs<br />

be<strong>in</strong>ahe beiläufig die Maximen zum Denken, die Immanuel<br />

Kant <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch „Anthropologie <strong>in</strong> pragmatischer<br />

H<strong>in</strong>sicht‚ fordert:<br />

Für die Klasse der Denker können folgende Maximen *


Gefahren<br />

32<br />

Veränderung der eigenen Ansichten oder Gedanken. Das Gespräch,<br />

das der Schüler im Tagebuch mit sich selbst führt, <strong>in</strong>dem<br />

er sich selbst ständig überprüft und neu def<strong>in</strong>iert, führt<br />

ebenso zu e<strong>in</strong>em Erkenntnisgew<strong>in</strong>n, wie die öffentliche Auswertung<br />

oder die private Korrespondenz. Kant behauptet gar:<br />

„Weisheit, als die Idee vom gesetzmäßig-vollkommenen praktischen<br />

Gebrauch der Vernunft, ist wohl zu viel von Menschen<br />

gefordert; aber auch selbst dem m<strong>in</strong>desten Grade nach kann sie<br />

e<strong>in</strong> anderer ihm nicht e<strong>in</strong>gießen, sondern er muß sie aus sich<br />

selbst herausbr<strong>in</strong>gen‚ (Ebd., 200). Der dah<strong>in</strong> führende Weg<br />

über die genannten drei Voraussetzungen bietet das Philosophische<br />

Denkbuch an: Jeder Schüler denkt selbst und selbstständig,<br />

beschäftigt sich mit fremden Gedanken und Positionen<br />

und versetzt sich (m<strong>in</strong>destens) <strong>in</strong> die Rolle se<strong>in</strong>es vergangenen<br />

Ichs und versucht abschließend mit sich e<strong>in</strong>stimmig zu denken,<br />

die eigenen Theorien zu h<strong>in</strong>terfragen und zu überarbeiten.<br />

Die Entwicklung des Philosophischen Tagebuchs zum<br />

Denkbuch, oder wenigstens die für die Schüler legitime Nutzung<br />

desselben als solches, führt – im Versuch – zu e<strong>in</strong>em be<strong>in</strong>ahe<br />

vorhersehbaren Phänomen: Wenn es den Schülern freigestellt<br />

bleibt, ob sie das Tagebuch im Unterricht abgeben oder<br />

nicht (weiter ausgeholt also freigestellt ist, ob sie es führen oder<br />

nicht, es faktisch also “nur‘ e<strong>in</strong> Angebot ist), dann kann es passieren,<br />

dass Schüler mit e<strong>in</strong>em ausgeprägtem S<strong>in</strong>n für Anstrengungsvermeidung<br />

dazu tendieren, ke<strong>in</strong> Denkbuch zu führen.<br />

Die Kontrolle – aber eher im S<strong>in</strong>ne der Ermunterung – muss also<br />

durch den Lehrer gegeben se<strong>in</strong> und sei sie nur so gestaltet,<br />

dass das Vorhandense<strong>in</strong> des Tagebuchs (nebst beschriebenen<br />

Seiten) überprüft wird.<br />

6. Resümee<br />

Das Philosophische Tagebuch eignet sich – daran kann kaum<br />

gezweifelt werden – hervorragend für den Philosophie- und<br />

Ethikunterricht. In den erwähnten Klassenstufen erbrachte das<br />

Tagebuch, neben <strong>in</strong>teressanten E<strong>in</strong>blicken <strong>in</strong> die Herangehensweise<br />

der Schüler an die Philosophie, vor allem zwei exzellente<br />

Ergebnisse: Zum e<strong>in</strong>en bereicherten die (freiwillig!) veröffent-


33<br />

lichten Texte <strong>in</strong> allen Klassenstufen den Unterricht und den<br />

Denkprozess der Schüler, zum anderen war e<strong>in</strong>e deutlich verbesserte<br />

E<strong>in</strong>stellung zum Fach zu erkennen. Der von Thies beschriebene<br />

Widerstand der Schüler gegen das Philosophische<br />

Tagebuch (vgl. Thies 1990, 29) konnte <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Klasse beobachtet<br />

werden. Stattdessen vermittelten die Schüler, dass sie dem<br />

Projekt des Tagebuchschreibens sogar recht dankbar gegenüberstanden<br />

– erlaubte ihnen das Tage- und Denkbuch doch<br />

meist die <strong>in</strong>tensive Beschäftigung mit (philosophischen) Themen<br />

ihrer Wahl zu der sonst unter Umständen mit weniger attraktiven<br />

Aufträgen gefüllten Hausaufgabenzeit. Selbst die<br />

Aufgaben zum E<strong>in</strong>kleben wurden allgeme<strong>in</strong> nicht als Gängelung,<br />

sondern vielmehr als Gedankenanstoß und Angebot empfunden.<br />

Vielen Schülern – erstaunlicherweise egal welcher Altersstufe<br />

– war e<strong>in</strong>e gewisse Freude deutlich anzumerken, wenn sie<br />

ihr Tagebuch austauschten oder ihr kommentiertes Buch vom<br />

Lehrer oder von Mitschülern zurückerhielten. Der “Buchdiskurs‘<br />

bereitete neben gedanklichen Anstrengungen und teils<br />

<strong>in</strong>tensiver Recherche augensche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong>e gewisse Befriedigung,<br />

<strong>in</strong>dem eigene Gedanken ehrlich ernst genommen und<br />

mit Mühe beantwortet wurden. Schüler, die sich weigerten, e<strong>in</strong><br />

Tagebuch zu führen, gab es im Zeitraum der e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahre<br />

nicht, auch wenn viele jüngere Schüler die Beantwortung der<br />

Pflichtaufgaben doch sehr kurz hielten und das Tagebuch erst<br />

<strong>in</strong> höheren Klassenstufen zum angesprochenen Denkbuch<br />

wurde.<br />

Der zeitliche Aufwand für den Lehrer stellt im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

e<strong>in</strong> weniger schweres Problem dar, als im Vorfeld angenommen<br />

werden musste. Da sich die Anzahl der zu beantwortenden<br />

Tagebücher im Laufe der Zeit auf zwei bis drei pro Klasse<br />

und Stunde e<strong>in</strong>pendelte und der Rest der Bücher als Denkbuch<br />

oder <strong>in</strong> der Korrespondenz mit Mitschülern geführt wurden,<br />

war der Arbeitsaufwand im Rahmen des Möglichen. Bei e<strong>in</strong>er<br />

stärkeren Frequentierung muss man sich allerd<strong>in</strong>gs im Vorfeld<br />

genau überlegen, ob man se<strong>in</strong>e Arbeitszeit (und letztlich auch<br />

se<strong>in</strong>e Freizeit) für die Beantwortung der Schülertexte verwen-<br />

Motivation<br />

zeitlicher<br />

Aufwand


34<br />

den kann. Schließlich schreibt man dem Schüler nicht nur e<strong>in</strong><br />

Lob; man denkt die Idee des Brief- oder Buchpartners weiter<br />

und vertieft sich <strong>in</strong> (zeitlich vielleicht ungeplante) Bereiche der<br />

Philosophie. Die Kontrolle und Beurteilung der Pflichtaufgaben<br />

im Philosophischen Tagebuch nimmt e<strong>in</strong>e ebensolche Zeit <strong>in</strong><br />

Anspruch wie die Kontrolle von ebenso umfangreichen Essays,<br />

zu denen man auch e<strong>in</strong>e angemessene Kritik formuliert, weshalb<br />

es also zu überlegen ist, ob man (falls das Schulgesetz des<br />

jeweiligen Bundeslandes es überhaupt hergibt) die Hausaufgabe<br />

e<strong>in</strong>sammelt und zensiert oder doch lieber auf die freiwillige<br />

Abgabe ausweicht.<br />

Den wenigsten Aufwand bereitet für den Lehrer natürlich<br />

das “Denkbuch‘, welches für die Schüler nicht weniger effizient<br />

ist, wenn es stetig und ehrlich geführt wird. Manche Schüler<br />

gaben am Ende des Schuljahres ihr “Denkbuch‘ zum Lesen ab<br />

und überraschten mit e<strong>in</strong>er sorgfältig erarbeiteten und häufig<br />

tiefgründig recherchierten Argumentation zu verschiedensten<br />

unterrichtsnahen und -fernen philosophischen Themengebieten.<br />

Die Schüler fühlten sich mit dem Philosophischen Tagebuch<br />

<strong>in</strong> ihrer philosophischen Reflexion ernst genommen und<br />

offenbarten auch im Monolog (oder im Dialog mit sich selbst),<br />

dass sich eigene Gedanken beim Schreiben weiterentwickeln<br />

können und dass sich die eigene Position im Denkbuch nicht im<br />

Kreise dreht.<br />

Anmerkung: Im Text wird fortlaufend von „Schülern“ und „Lehrern“<br />

gesprochen. Selbstverständlich s<strong>in</strong>d damit Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

Schüler und Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer bezeichnet; auf die umständlichen<br />

Formen der Movierung wird aus Pr<strong>in</strong>zipien des Textflusses,<br />

nicht aus Ignoranz, verzichtet.<br />

7. Quellennachweis<br />

Literatur<br />

Bierbrodt, Johannes: Vom Text zum Bild. Methoden der Visualisierung<br />

im Philosophieunterricht. In: ZDPE 2/2003.


Dege, Mart<strong>in</strong>a: Der Weg ist das Ziel. Von e<strong>in</strong>er prozessorientierten zur<br />

e<strong>in</strong>er dialogischen Schreibdidaktik. In: ZDPE 2/2002.<br />

35<br />

Hastedt, He<strong>in</strong>er: Gefühle. Philosophische Bemerkungen. Stuttgart 2005.<br />

Kant, Immanuel.: Anthropologie <strong>in</strong> pragmatischer H<strong>in</strong>sicht. Königsberg<br />

1798.<br />

Münnix, Gabriele: Zur Hermeneutik des Bildes. In: ZDPE 4/2001.<br />

Rehfus, Wulf D.: Methodischer Zweifel und Metaphysik. Der bildungstheoretisch-<br />

identitätstheoretische Ansatz <strong>in</strong> der Philosophiedidaktik.<br />

In: Wulff D. Rehfus, Horst Becker (Hrsg.): Handbuch des Philosophieunterrichts.<br />

Düsseldorf 1986.<br />

Thies, Christian: Das philosophische Tagebuch. In: ZDPE 1/1990.<br />

von Werder, Lutz: E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die philosophische Lebenskunst. Milow<br />

2000.<br />

Bilder<br />

Fotos „Tagebuch‚ und „Universität‚: Christian Klager


8. Beispielaufgaben<br />

DOCTRINA MULTIPLEX –<br />

VERITAS UNA<br />

36<br />

F<strong>in</strong>de heraus, was der late<strong>in</strong>ische Spruch<br />

auf dem Hauptgebäude der Universität Rostock<br />

bedeutet und überlege schriftlich, ob Du<br />

se<strong>in</strong>em Inhalt zustimmst oder nicht. Befrage<br />

auch De<strong>in</strong>e Mitmenschen nach Ihrer Me<strong>in</strong>ung<br />

dazu und fasse das Ergebnis kritisch<br />

zusammen.<br />

Elfchen zur Zeit<br />

Schreibe e<strong>in</strong> Elfchen zum Thema „Zeit‚.<br />

(Beachte die Formalia für e<strong>in</strong> Elfchen.)<br />

Der Mensch als Mängelwesen<br />

Platons Staat<br />

Die „Platonische Gesellschaft‚<br />

hat <strong>in</strong> der Wüste von<br />

Arudamien e<strong>in</strong>en weiten Landstrich<br />

gekauft, um dort Platons<br />

Staat Wirklichkeit werden zu<br />

lassen. Du hast durch de<strong>in</strong>en<br />

Philosophieunterricht e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>ladung<br />

zum Leben <strong>in</strong> diesem Staat<br />

ob du diese E<strong>in</strong>ladung annehmen<br />

oder ablehnen wirst – begründe<br />

de<strong>in</strong>e Entscheidung!<br />

„Auf e<strong>in</strong>em s<strong>in</strong>kenden Schiff<br />

gibt es ke<strong>in</strong>e Atheisten.‚<br />

Muhammed Bozdag<br />

Überlege schriftlich, ob Du Muhammed<br />

Bozdag zustimmst und<br />

gib Gründe für De<strong>in</strong>e Entscheidung<br />

an.<br />

Lies anschließend De<strong>in</strong>en<br />

Text und überlege, ob De<strong>in</strong><br />

Denkweg zum Ergebnis nachvollziehbar<br />

ist.<br />

[Der Mensch ist] ohne natürliche Waffen, ohne Angriffs- oder Schutz- oder<br />

Fluchtorgane, mit S<strong>in</strong>nen von nicht besonders bedeutender Leistungsfähigkeit [...].<br />

Er ist ohne Haarkleid und ohne Anpassung an die Witterung. [...]<br />

Der Mensch ist also organisch „Mängelwesen‚ (Herder), er wäre <strong>in</strong> jeder natürlichen<br />

Umwelt lebensunfähig, und so muss er sich e<strong>in</strong>e zweite Natur, e<strong>in</strong>e künstlich<br />

bearbeitete und passend gemachte Ersatzwelt, die se<strong>in</strong>er versagenden organischen<br />

Ausstattung entgegenkommt, erst schaffen, und er tut dies überall, wo wir ihn sehen.<br />

Er lebt sozusagen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er künstlich entgifteten, handlich gemachten und von ihm <strong>in</strong>s<br />

Lebensdienliche veränderten Natur, die eben die Kultursphäre ist. Man kann auch<br />

sagen, dass er biologisch zur Naturbeherrschung gezwungen ist.<br />

Arnold Gehlen (1904-1976), Philosoph und Soziologe<br />

(aus: Gehlen, Arnold: Mängelwesen und Prometheus – <strong>in</strong>: Böhrs, Gerburg u.a.<br />

(Hrsg.): Vom Menschen. <strong>Heft</strong> 1, Leipzig 1997)<br />

Überlege genau, was den Menschen nach Gehlen ausmacht und zeichne/skizziere<br />

den Menschen e<strong>in</strong>mal als „Mängelwesen‚ und e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der Kultursphäre.


Inhalt dieser Ausgabe<br />

In dieser Ausgabe stellen wir zwei Texte vor, die <strong>in</strong> den Bereich mediengestützten<br />

Lernens fallen. Der Pädagoge Carsten Carlo Schnekenburger stellt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Aufsatz<br />

e<strong>in</strong>en Mangel an e<strong>in</strong>er wirklichen Didaktik für den E<strong>in</strong>satz von E-Learn<strong>in</strong>g fest und<br />

reflektiert über den Nutzen e<strong>in</strong>er solchen. Der Aufsatz von Christian Klager er<strong>in</strong>nert<br />

aus philosophiedidaktischer Sicht daran, dass es schon <strong>in</strong>novative Ansätze <strong>in</strong>teraktiver<br />

Mediennutzung im Unterricht gab, lange bevor wir von E-Learn<strong>in</strong>g redeten:<br />

das Philosophische Tagebuch, e<strong>in</strong>e Form des Lerntagebuchs.<br />

Die Autoren<br />

Carsten Carlo Schnekenburger studierte Erziehungswissenschaft<br />

an der Universität Rostock. Thema der Dissertation<br />

ist e<strong>in</strong>e dreistufige quantitative Trenduntersuchung zum<br />

E<strong>in</strong>satz von Stud.IP an der Universität Rostock. Se<strong>in</strong>e Interessengebiete<br />

s<strong>in</strong>d E-Learn<strong>in</strong>g, Onl<strong>in</strong>e-Forschung und<br />

quantitative Forschungsmethoden. Er ist Mitarbeiter am<br />

Zentrum für Qualitätssicherung (Bereich Hochschuldidaktik)<br />

der Universität Rostock.<br />

Christian Klager, geb. 1981, ist seit 2007 Mitarbeiter am Institut<br />

für Philosophie der Universität Rostock mit den Arbeitsschwerpunkten<br />

Philosophie, Philosophiedidaktik und<br />

-vermittlungskompetenz und Studienberatung. Neben den<br />

fachphilosophischen Interessen zum Wesen des Spiels, zur<br />

Erkenntnistheorie oder zur angewandten Ethik stehen besonders<br />

Medien, Methoden und Verfahren des Philosophierens<br />

im Fokus se<strong>in</strong>er Arbeit: Neben Gedankenexperimenten<br />

und -spielen beschäftigt ihn zur Zeit besonders die Frage<br />

nach der Anwendung des Philosophierens aus dem Alltäglichen<br />

heraus; dazu ist im Jahr 2009 das Buch „Philosophieren<br />

mit den Simpsons‚ erschienen.<br />

<strong>WISSENSCHAFT</strong> IN PROGRESS ist e<strong>in</strong>e Zeitschrift für aktuelle Gedanken und Forschungsfragen<br />

aus den Bereichen Kommunikations- und Medienwissenschaft, L<strong>in</strong>guistik, Literatur- und<br />

Kulturwissenschaft sowie Didaktik, Bildung und E-Learn<strong>in</strong>g. Insbesondere laden wir<br />

auch Studierende und Doktoranden dazu e<strong>in</strong>, sich mit Aufsätzen, Exposés und Hausarbeiten<br />

an der Zeitschrift zu beteiligen. Mehr Informationen f<strong>in</strong>den Sie im Internet unter<br />

<strong>WISSENSCHAFT</strong>-IN-PROGRESS.DE.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!