22.03.2014 Aufrufe

Brücken bauen Nr. 5 2009 - Evangelischer Kirchenkreisverband ...

Brücken bauen Nr. 5 2009 - Evangelischer Kirchenkreisverband ...

Brücken bauen Nr. 5 2009 - Evangelischer Kirchenkreisverband ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Mit meinem Gott kann ich<br />

über Mauern springen. (Psalm 18,30)<br />

Im November 08 fand in Kassel die Ehrung<br />

zweier Persönlichkeiten durch die Gesellschaft<br />

für Bestattungs - und Friedhofskultur statt. Einer<br />

der beiden war ein Görlitzer, ein schlesischer<br />

Oberlausitzer. Horst Kranich, Bauingenieur<br />

in seinen aktiven Berufszeiten, war oberster<br />

Denkmalsschützer und Gebäudeaufseher<br />

geworden in der etwas maroden Stadt Görlitz.<br />

Er meinte, dass er stets mit einem Bein im<br />

Gefängnis gestanden hätte auf diesem Posten,<br />

falls etwas passierte, falls ein Haus einstürzte.<br />

Seine Verantwortung war wohl größer als<br />

die vieler seiner Mitbürger. Als er „in Rente<br />

ging“, wie es in der DDR hieß, nahm er sich,<br />

weil er nun eben Nachbar dieses Görlitzer<br />

historischen Nikolaikirchhofes mit Pestacker<br />

und Nikolaikirche war, nahm er sich dieses<br />

alten Nachbarn an, bemerkte die Gefährdung<br />

des Dachstuhls der Kirche und sorgte für seine<br />

Rettung. Er scharte eine Gruppe von Rentnern<br />

um sich, mit denen er sich um die Erhaltung<br />

der etwa 400 Grabdenkmale des Kirchhofes<br />

von St. Nikolai bemühte. Jacob Böhme liegt<br />

hier begraben, den die Philosophen als den<br />

ersten deutschen Philosophen preisen, den die<br />

Christen aber als Theosophen bezeichnen, den<br />

man in Görlitz freilich kaum kennt, dessen<br />

Werke aber in Japan, Moskau, den Niederlanden<br />

und in Amerika gelesen werden. Und der Maler<br />

Avenarius hat hier sein Grab, der in Gerhart<br />

Hauptmanns Villa Wiesenstein in Agnetendorf<br />

nahe Hirschberg die Halle wunderbar ausgemalt<br />

hat. Riccarda Huch, die alte Dame in unserer<br />

Literatur hat den Nikolaikirchhof als einen der<br />

schönsten Bergfriedhöfe Deutschlands benannt.<br />

Ein heutiger Denkmalspfleger stellte unlängst<br />

die Frage, ob wir wohl mit der Sanierung der<br />

Denkmale in 300 Jahren oder vielleicht doch<br />

6<br />

schon in 150 Jahren fertig würden. Er hatte<br />

einen Scherz gemacht. Der Charme eines alten<br />

Kirchhofes besteht in seiner Vergänglichkeit.<br />

Und die ist nicht aufzuhalten.<br />

Aber dann kam die Wende, das Westfernsehen,<br />

das jetzt auch das Ostfernsehen ist. Und die<br />

Journalisten des Fernsehens entdeckten Horst<br />

Kranich, die Mauer zum Pestacker und seine<br />

Leiter. Mit Hilfe dieser an die Mauer des<br />

Pestackers gelehnten Leiter konnte Kranich<br />

ohne Umschweife Unregelmäßigkeiten auf dem<br />

Nikolaikirchhof aufklären. Es war dies zwar<br />

Eindringen in fremdes Terrain, aber diesem<br />

Mauerspringer sah man das nach. Als das<br />

Fernsehen den Mauersprung aufnahm, - meine<br />

Güte, wie oft hat er da wohl springen müssen!<br />

Diese alltägliche Geschichte hat mich an<br />

Haupt- und Staatsaktionen erinnert. In der<br />

DDR-Zeit wurde ja jede gedruckte Zeile<br />

zensiert. Und nun hatten die Herrnhuter einmal<br />

wie üblich einen Jahrgang Losungen gezogen.<br />

Wie Sie, liebe Leser, gewiss wissen, wird die<br />

Losung aus einem Kelch, in dem sich mehr als<br />

3500 alttestamentliche als „Lose“ bezeichnete<br />

Bibelstellen befinden. Die Losung gilt als von<br />

Gott bestimmt. Ihr wird von einem Bearbeiter<br />

eine neutestamentliche Auslegung hinzugefügt.<br />

Der Drittext ist entweder auch Erläuterung oder<br />

Gebet. In jenem Jahr gab es also die Losung „Mit<br />

meinem Gott kann ich über Mauern springen“.<br />

Das für die Zensur zuständige Presseamt<br />

beim Ministerpräsidenten der DDR war nicht<br />

erfreut und wollte Veränderung der anstößigen<br />

Losung. Als die Herrnhuter freundlich aber hart<br />

erklärten, dass es dann weltweit keine Losung<br />

geben würde, dachte das Presseamt beim<br />

Ministerpräsidenten der DDR noch einmal<br />

nach. Und das Losungsbüchlein erschien.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!