Brücken bauen Nr. 5 2009 - Evangelischer Kirchenkreisverband ...
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Mit meinem Gott kann ich<br />
über Mauern springen. (Psalm 18,30)<br />
Im November 08 fand in Kassel die Ehrung<br />
zweier Persönlichkeiten durch die Gesellschaft<br />
für Bestattungs - und Friedhofskultur statt. Einer<br />
der beiden war ein Görlitzer, ein schlesischer<br />
Oberlausitzer. Horst Kranich, Bauingenieur<br />
in seinen aktiven Berufszeiten, war oberster<br />
Denkmalsschützer und Gebäudeaufseher<br />
geworden in der etwas maroden Stadt Görlitz.<br />
Er meinte, dass er stets mit einem Bein im<br />
Gefängnis gestanden hätte auf diesem Posten,<br />
falls etwas passierte, falls ein Haus einstürzte.<br />
Seine Verantwortung war wohl größer als<br />
die vieler seiner Mitbürger. Als er „in Rente<br />
ging“, wie es in der DDR hieß, nahm er sich,<br />
weil er nun eben Nachbar dieses Görlitzer<br />
historischen Nikolaikirchhofes mit Pestacker<br />
und Nikolaikirche war, nahm er sich dieses<br />
alten Nachbarn an, bemerkte die Gefährdung<br />
des Dachstuhls der Kirche und sorgte für seine<br />
Rettung. Er scharte eine Gruppe von Rentnern<br />
um sich, mit denen er sich um die Erhaltung<br />
der etwa 400 Grabdenkmale des Kirchhofes<br />
von St. Nikolai bemühte. Jacob Böhme liegt<br />
hier begraben, den die Philosophen als den<br />
ersten deutschen Philosophen preisen, den die<br />
Christen aber als Theosophen bezeichnen, den<br />
man in Görlitz freilich kaum kennt, dessen<br />
Werke aber in Japan, Moskau, den Niederlanden<br />
und in Amerika gelesen werden. Und der Maler<br />
Avenarius hat hier sein Grab, der in Gerhart<br />
Hauptmanns Villa Wiesenstein in Agnetendorf<br />
nahe Hirschberg die Halle wunderbar ausgemalt<br />
hat. Riccarda Huch, die alte Dame in unserer<br />
Literatur hat den Nikolaikirchhof als einen der<br />
schönsten Bergfriedhöfe Deutschlands benannt.<br />
Ein heutiger Denkmalspfleger stellte unlängst<br />
die Frage, ob wir wohl mit der Sanierung der<br />
Denkmale in 300 Jahren oder vielleicht doch<br />
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schon in 150 Jahren fertig würden. Er hatte<br />
einen Scherz gemacht. Der Charme eines alten<br />
Kirchhofes besteht in seiner Vergänglichkeit.<br />
Und die ist nicht aufzuhalten.<br />
Aber dann kam die Wende, das Westfernsehen,<br />
das jetzt auch das Ostfernsehen ist. Und die<br />
Journalisten des Fernsehens entdeckten Horst<br />
Kranich, die Mauer zum Pestacker und seine<br />
Leiter. Mit Hilfe dieser an die Mauer des<br />
Pestackers gelehnten Leiter konnte Kranich<br />
ohne Umschweife Unregelmäßigkeiten auf dem<br />
Nikolaikirchhof aufklären. Es war dies zwar<br />
Eindringen in fremdes Terrain, aber diesem<br />
Mauerspringer sah man das nach. Als das<br />
Fernsehen den Mauersprung aufnahm, - meine<br />
Güte, wie oft hat er da wohl springen müssen!<br />
Diese alltägliche Geschichte hat mich an<br />
Haupt- und Staatsaktionen erinnert. In der<br />
DDR-Zeit wurde ja jede gedruckte Zeile<br />
zensiert. Und nun hatten die Herrnhuter einmal<br />
wie üblich einen Jahrgang Losungen gezogen.<br />
Wie Sie, liebe Leser, gewiss wissen, wird die<br />
Losung aus einem Kelch, in dem sich mehr als<br />
3500 alttestamentliche als „Lose“ bezeichnete<br />
Bibelstellen befinden. Die Losung gilt als von<br />
Gott bestimmt. Ihr wird von einem Bearbeiter<br />
eine neutestamentliche Auslegung hinzugefügt.<br />
Der Drittext ist entweder auch Erläuterung oder<br />
Gebet. In jenem Jahr gab es also die Losung „Mit<br />
meinem Gott kann ich über Mauern springen“.<br />
Das für die Zensur zuständige Presseamt<br />
beim Ministerpräsidenten der DDR war nicht<br />
erfreut und wollte Veränderung der anstößigen<br />
Losung. Als die Herrnhuter freundlich aber hart<br />
erklärten, dass es dann weltweit keine Losung<br />
geben würde, dachte das Presseamt beim<br />
Ministerpräsidenten der DDR noch einmal<br />
nach. Und das Losungsbüchlein erschien.