22.03.2014 Aufrufe

Brief von Dr. Koester - Rheinische Kliniken Düren

Brief von Dr. Koester - Rheinische Kliniken Düren

Brief von Dr. Koester - Rheinische Kliniken Düren

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Rückblick, Dank und Appell<br />

<strong>Brief</strong> <strong>von</strong> <strong>Dr</strong>. Helmut <strong>Koester</strong> vom 3. Dezember 2010


<strong>Dr</strong>. Helmut <strong>Koester</strong> 3. Dezember 2010<br />

Als ich im Jahre 1988 nach langjähriger Tätigkeit in Düren in den<br />

Ruhestand ging, war ich der Auffassung, ich könnte schnell <strong>von</strong> allem<br />

loslassen und die Geschicke der Klinik in Gelassenheit den Jüngeren<br />

überlassen. Dies wurde mir nicht zuletzt dadurch auch leicht gemacht,<br />

dass ich vom ersten Tag meines Weggangs bis heute die Klinik in den<br />

allerbesten Händen wusste bzw. weiß.<br />

Und dennoch: Meine Gedanken gehen in der letzten Zeit auch immer<br />

wieder in Richtung Meckerstraße, so dass es mir ein großes Anliegen<br />

ist, das Vergangene kurz in Erinnerung zu rufen und meine Wünsche<br />

für die Zukunft zum Ausdruck zu bringen.<br />

Meine Tätigkeit als Psychiater nahm ich zu Beginn der 50er<br />

Jahre zunächst in Viersen, dann in Düsseldorf-Grafenberg auf.<br />

Assistenzärzte wie ich bezogen damals ein Gehalt <strong>von</strong> 160 Mark, das<br />

noch in bar ausgezahlt wurde. Die Behandlungsbedingungen<br />

dieser Zeit waren erschreckend: In einem großen Saal<br />

standen bis zu 40 Betten dicht an dicht, es gab keine Nachttischchen,<br />

die Toiletten befanden sich frei im Raum. Als Errungenschaft galt<br />

schon das Einziehen so genannter „Schamwände“, die den<br />

Patientinnen und Patienten ein Minimum an Privatsphäre boten.<br />

Als ich 1966 nach Düren kam, wurden hier insgesamt 1640 Menschen<br />

behandelt. Die meisten <strong>von</strong> ihnen waren geschlossen untergebracht.<br />

Wir arbeiteten mit insgesamt 12 Ärzten – ausschließlich in Altbauten;<br />

die räumlichen Gegebenheiten waren schlichtweg katastrophal. Trotz<br />

dieser beklemmenden Umstände gaben Ärzte und Pflegepersonal ihr<br />

Bestes und schreckten dabei auch nicht vor 60 Wochenstunden und<br />

mehr zurück. Auf diesen beiden Berufsgruppen ruhte die Hauptlast,<br />

denn es gab weder Psychologen noch Pädagogen, weder<br />

Arbeitstherapeuten noch Sozialarbeiter. Ähnlich reduziert waren die<br />

Möglichkeiten der medikamentösen Behandlung, da uns lediglich<br />

Barbiturate und in Ausnahmefällen Opiate zur Verfügung standen.<br />

Zu den gängigen Maßnahmen zählte in den frühen Jahren meiner<br />

psychiatrischen Praxis die Verabreichung <strong>von</strong> Elektroschocks, die<br />

ohne eine Kurznarkose und ohne den Einsatz <strong>von</strong><br />

muskelrelaxierenden Mitteln erfolgten. Mit großem Schrecken denke<br />

ich an ein Erlebnis in einer süddeutschen Anstalt zurück: Acht<br />

Patienten lagen in ihren Betten nebeneinander. An den Kopfenden<br />

bewegten sich Arzt und Pflegekraft <strong>von</strong> Bett zu Bett. Alles ging in<br />

einem beklemmenden Tempo <strong>von</strong>statten – während der erste Patient<br />

noch krampfte, wurde der letzte noch behandelt. Ich war zutiefst


geschockt und erleichtert darüber, dass ich für eine Zeit in Schweden<br />

arbeiten durfte, wo es eine solche Elektro-Krampf-Behandlung auch<br />

gab, diese jedoch unter Narkose und Einsatz weiterer Arznei<br />

durchgeführt wurde.<br />

Die Liste der nachdenklich stimmenden Beispiele ist lang …<br />

Missstände, gravierende Mängel waren unübersehbar.<br />

Erleichterung, umfassende Veränderungen und damit mehr<br />

Menschwürde brachten dann die Konzepte der Reformer bzw. der<br />

Geist der Psychiatrie-Enquete in den 70er Jahren. Noch heute bin ich<br />

dankbar dafür, dass ich diese uns alle bewegende Zeit aktiv<br />

mitgestalten konnte. Der Weg <strong>von</strong> einer Verwahrpsychiatrie großen<br />

Stils hin zu einer gemeindenahen Psychiatrie war eingeschlagen<br />

worden. Mit der Orientierung an einer Öffnung gegenüber der<br />

Gemeinde beziehungsweise in die Gemeinde hinein sollte der<br />

Ausgrenzung psychisch Kranker ein längst fälliges Ende gesetzt<br />

werden.<br />

Mag der Fortschritt auch eine Schnecke sein, im Zeitraffer betrachtet<br />

und mit Blick auf ein langes Berufsleben darf ich jedoch mit Freude<br />

feststellen: Die LVR-Klinik Düren hat eine geradezu atemberaubende<br />

Entwicklung genommen, so dass sie heute als moderne, hoch<br />

differenzierte und zertifizierte Fachklinik für Psychiatrie und<br />

Psychotherapie gilt. Wenn es auch lang her ist, dass ich meinen<br />

persönlichen Beitrag dazu leisten konnte, so erfüllt mich diese<br />

Tatsache mit Dankbarkeit und auch Zufriedenheit.<br />

Gemeindenähe bzw. Offenheit ist nur dann möglich, wenn sich das<br />

Umfeld auch dialogbereit zeigt. Seit Gründung der Einrichtung im<br />

Jahre 1878 ist die Beziehung zwischen der Klinik und der Kommune<br />

vital, <strong>von</strong> zahlreichen, Mut machenden Kooperationen und <strong>von</strong> einem<br />

Klima der Toleranz geprägt. Bürgerinnen und Bürger, Vertreterinnen<br />

und Vertreter <strong>von</strong> Politik, Kultur und Gesellschaft haben es der<br />

Mitarbeiterschaft und der Leitung nie schwer gemacht – im Gegenteil:<br />

Man begegnet(e) einander mit Achtung! Das ist nicht<br />

selbstverständlich, so dass alle Bemühungen auch weiterhin darauf<br />

ausgerichtet sein sollten, diese Kultur zu pflegen. Ich bin allerdings<br />

sehr zuversichtlich, dass es gelingen wird.<br />

Die Beschäftigung mit unserer Geschichte und mit aktuellen<br />

Entwicklungen zeigt uns unmissverständlich auf, wie fragil, wie<br />

anfällig ein gesellschaftliches Gefüge werden kann, wenn<br />

demokratiefeindliches Gedankengut oder falsche Lehren die<br />

Oberhand gewinnen. Erfahrungsgemäß sind es die Schwachen und


Kranken, die als erste darunter zu leiden haben. Wie schnell dann ihre<br />

Rechte in Frage gestellt werden, ist beängstigend. Von daher sollten<br />

wir wachsam bleiben.<br />

Allen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten unter Aufwendung<br />

großer Energien zu einer kontinuierlichen Verbesserung der<br />

Versorgung psychisch Kranker beigetragen haben und sich nachhaltig<br />

für Wahrung bzw. Weiterentwicklung des Niveaus einsetzen, gilt mein<br />

großer Dank. Ich glaube, dass wir heute stolz sein können auf das<br />

Erreichte. Zugleich sollten die gesicherten Erfolge Ansporn sein, noch<br />

weitere Fortschritte zum Wohle unserer Patientinnen und Patienten<br />

anzustreben.<br />

Die Gewissheit, dass es in Düren das Potential dazu gibt, macht es mir<br />

leichter l o s z u l a s s e n.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!