Wieder Worte - Kliniken-Wied
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M. Kruppa<br />
Interview + + + Interview + + +<br />
"Ewig Jung!?" – Vampire zwischen Wünschen, Ängsten und Bedrohungen<br />
Interview mit Dr. Welf Schroeder, Leitender Arzt der <strong>Kliniken</strong> <strong>Wied</strong><br />
Dr. Schroeder leitet seit Mai 2000 den medizinischen Bereich der<br />
<strong>Kliniken</strong> <strong>Wied</strong>. Er hat sich nach seiner neurologischen Facharzt-<br />
Ausbildung in den Bereichen Psychiatrie, Psychotherapie und<br />
Psychosomatik weiter ausgebildet. Er bringt in den <strong>Kliniken</strong> <strong>Wied</strong><br />
seine Erfahrungen aus der Akutpsychosomatik und in der Entzugsbehandlung<br />
mit ein.<br />
WW: Herr Dr. Schroeder, in unserem Vorgespräch haben wir<br />
beschlossen, den Film "Tanz der Vampire" als Grundlage des Interviews<br />
zu nehmen. Können Sie den Eindruck schildern, den Sie davon<br />
hatten?<br />
WS: Ich denke stärker darüber nach, was ich in diesem Film finde,<br />
das in die Richtung des Themas "Ewig Jung!?" geht. Die Mythologie,<br />
die Geschichte der Vampire, wie sie in der modernen Gesellschaft<br />
existiert, ist unter dem Aspekt von Wünschen, Ängsten,<br />
Bedrohungen interessant – zumal ja auch der Titel und das Thema<br />
des Alterns und des unendlichen Lebens oder des Todes im Zusammenhang<br />
zu sehen sind.<br />
WW: Mit welchem Blick sind Sie in den Film gegangen, wie haben<br />
Sie ihn gesehen? Als Arzt, als Kinobesucher? Sind Sie emotional mitgegangen<br />
oder konnten Sie sich auch von Szenen distanzieren?<br />
WS: Wenn ich sonst Filme erlebe, bin ich als reiner Zuschauer auch<br />
sehr emotional und überhaupt nicht distanziert. Ich habe da keine<br />
Ambitionen kontrolliert zu sein oder Distanz herzustellen, sondern<br />
es soll mich ja schon einnehmen und mitnehmen. Deswegen gehe<br />
ich auch bevorzugt ins Kino. Diesen Film auf DVD zu sehen, ist auch<br />
ein Erlebnisverlust im Sinne des "Drin seins". Ich weiß, dass ich<br />
diesen Film damals, in der Zeit als er in den 70er Jahren in die Kinos<br />
kam, gesehen habe und gut fand. Ich habe mich auch darüber amüsiert,<br />
obwohl ich die Komik des Films, glaube ich, nie im engeren<br />
Sinne erlebt habe. Ich fand diesen Film nicht nur lustig, sondern<br />
ich empfand ihn schon immer als einen echten "Vampirfilm".<br />
Die Lust am "Brechen mit Tabus"<br />
WW:<br />
Und welches ist hier das dominierende Thema?<br />
WS: Damals in den 70er Jahren lag die Aussage dieses Films im<br />
Brechen mit Tabus oder auch in der Provokation der Gesellschaft.<br />
Sicher ist dieser Film auch so zu erleben, dass es hier auch um eine<br />
Darstellung von Liebe, Lust und Sexualität geht. Die damalige<br />
Elterngeneration, überwiegend selbst als Kriegsteilnehmer oder<br />
indirekt vom Kriegserleben in ihrer eigenen Entwicklung und Identitätsfindung<br />
stark betroffen und eingeschränkt, versuchte ihre aus<br />
der Vorkriegszeit resultierenden Normen an ihre Kinder weiterzugeben.<br />
Roman Polanski gehört der unmittelbaren Nachkriegsgeneration<br />
an, die sich in den 60zigern und 70zigern ganz intensiv<br />
mit diesen Tabus der älteren Generation auseinander gesetzt hat<br />
und versucht hat, diese in Frage zu stellen, wie z.B. durch diesen<br />
Film, auf einem vermeintlich leichten Niveau.<br />
WW: Inwieweit ist der Wunsch nach ewiger Jugend – den ja der<br />
Graf Krolok und seine Kumpanen umtreibt – mit der Angst ihrer<br />
vermeintlichen Opfer verbunden?<br />
WS: Ich sehe in diesem Film etwas ganz Ursprüngliches bezüglich<br />
einer ständigen Auseinandersetzung der Menschen zwischen<br />
Wünschen, Versuchung und Moral – und Angst. Schlussendlich ist<br />
dies vielleicht auch aus tiefenpsychologischer Sicht ein Instanzenkonflikt,<br />
den wir innerlich erleben, der sich in diesem Mythos der<br />
Vampirgeschichte einfach immer wieder darstellt.<br />
Sich tabulose Sehnsüchte erfüllen,<br />
ohne Verantwortung zu tragen<br />
WW:<br />
Wie wird dieser Instanzenkonflikt filmisch in Szene gesetzt?<br />
WS: Wir haben ja als normale Bürger oder als normal Sterbliche<br />
Sehnsüchte und Wünsche. Darin sind wir den Figuren im Film "Tanz<br />
der Vampire" sehr ähnlich. Auch in anderen Vampirfilmen gibt es<br />
immer wieder einen jungen Menschen der attraktiv ist, in der Regel<br />
weiblich aber auch männlich, der in der Erfüllung seiner Wünsche<br />
– und das ist sozusagen die Bedrohung, die eigene Begierde –<br />
eingegrenzt ist. Und da gibt es den mächtigen Vampir, der – halb<br />
unfreiwillig um sein eigenes Überleben zu sichern – dieser Begierde<br />
entspricht. Er verführt, als Objekt der phantasierten Potenz,<br />
Macht und Sehnsüchte, mit übermenschlichen "tabulosen" Fähigkeiten.<br />
Er kann all diese Sehnsüchte erfüllen ohne dass man sich<br />
selbst dafür schuldig erleben muss, weil man als "Opfer" sozusagen<br />
nur "passiv" beteiligt ist. Auch in der Identifikation mit dem<br />
Täter ist es möglich, ohne Schuld zu verführen und Grenzen zu überschreiten.<br />
In beiden Positionen läuft man aber auch Gefahr, seine<br />
eigentliche Existenz zu verlieren und aus dem bisherigen integrierten<br />
Leben verstoßen zu werden.<br />
WW: Das sind ja Situationen, die unmittelbar in das "wirkliche"<br />
Leben führen, Situationen in die wir viel öfter geraten, als wir zugeben<br />
möchten. In dem wir zum Beispiel einem Mächtigeren gegenüber<br />
uns selbst klein machen, wir am liebsten verschwinden<br />
würden: Sind wir in unserer individuellen Existenz im Alltag ständig<br />
bedroht?<br />
WS: Da wir ja alle in abhängigen Positionen in irgendeiner Form<br />
leben, ob das jetzt innerhalb der eigenen Familiengeschichte ist,<br />
zu Eltern oder später zu Partnern und vielleicht auch Arbeitgebern,<br />
leben wir auch in einem ständigen Zwiespalt wo und<br />
an welcher Stelle übernehmen wir Verantwortung für das, was wir<br />
wollen oder was wir nicht wollen. Und wann und wie machen wir<br />
das deutlich? Und wie gehen wir mit der Gefahr einer Konsequenz<br />
um, wenn derjenige von dem wir uns abhängig erleben auf<br />
unseren Widerspruch reagiert. Und das ist genau in dieser<br />
Geschichte auch enthalten.<br />
WIEDERWORTE 1 I 2006