1.4 MB PDF Format - Klinikum Chemnitz
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ich ja nichts machen!“ Wer sich auf eine solche<br />
Position „zurückzieht“, beraubt sich jeder<br />
Handlungsalternative. Rückzug heißt letztlich<br />
Passivität und führt zu dem Gefühl, dass ich<br />
krankgeschrieben werden muss und subjektiv<br />
„ausgeliefert“ bin, denn „der oder die Andere“<br />
werden sich wohl nicht ändern.<br />
Burnout wird in bestimmten Branchen längst<br />
als alltägliches Schlagwort gebraucht, aber<br />
zum Beispiel auf Baustellen oder in Gießereien,<br />
wo auch in der westlichen Gesellschaft<br />
noch eine sehr harte körperliche Arbeit die<br />
tägliche Realität ist, wird das wohl eher selten<br />
verwendet. Täuscht dieser Eindruck?<br />
Ich denke schon, dass der Begriff dort seltener<br />
verwendet wird. Freudenberger hat Burnout als<br />
beruflich bedingten Stressfolgezustand gesehen,<br />
aber eher im seelischen, nicht körperlichen<br />
Sinne. Stress entsteht häufig aus einem Missverhältnis<br />
von Erwartung und Realität. Wenn<br />
ich von meinem Chef unrealistische Vorgaben<br />
bekomme, kann das auch in Jobs passieren,<br />
die körperlich anstrengend sind, aber dort ist<br />
eben sehr viel schneller klar, was zu schaffen<br />
ist und was nicht: Schaffe ich zum Beispiel<br />
in der Stanzerei in einer Stunde 50 Teile oder<br />
100? Zudem begrenzen auch die Maschinen<br />
viele Tätigkeitsprozesse quantitativ. Wenn ich<br />
den unzufriedenen, ständig nörgelnden Chef<br />
oder die nervende Chefin bei vordergründig<br />
nicht so klar abrechenbaren Jobs im Rücken<br />
habe, stehe ich schnell mit dem Rücken zur<br />
Wand. In Berufen, wo ich Arbeitsergebnisse<br />
weniger gut nachmessen kann, kommt eher<br />
ein Zustand „erlebter Hilflosigkeit“, eines der<br />
psychologischen Modelle für die Entstehung<br />
einer Depression. Wenn dann noch die eigenen<br />
Erwartungen an mich selbst zu hoch sind, weil<br />
ich mir schon selbst bestimmte Aufgaben auferlege,<br />
kann das auch „ein innerer Chef“ sein,<br />
der mich quält. Wenn ich das nicht reflektiere,<br />
besteht die Gefahr, dass das ein Dauerproblem<br />
ohne Lösung für mich wird, die Symptome<br />
immer weiter zunehmen. Hier lässt sich auch<br />
das Gesundheitswesen nicht ausnehmen.<br />
Burnout-Betroffene können faktisch alles<br />
verlieren. Welche Therapiemöglichkeiten<br />
bleiben den Psychiatern und den Psychologen<br />
in der klinischen Betreuung, diesen Fall<br />
ins Bodenlose aufzuhalten?<br />
Maßgeblich ist zunächst eine saubere Diagnose:<br />
Wir müssen weg vom Burnout-Begriff.<br />
Burnout ist keine „richtige“ Diagnose,<br />
sondern eine sogenannte „Z-Diagnose“, also<br />
eine Zusatzdiagnose. Diese werden faktisch<br />
nur benutzt, wenn man keine andere Diagnose<br />
gefunden hat, um die Inanspruchnahme<br />
medizinischer Hilfe zu legitimieren oder auch<br />
Begleitphänomene für eine korrekte Krankheitsdiagnose<br />
zu kennzeichnen. Die meisten<br />
Patienten, die ein „Burnout“ erleben, haben<br />
aber durchaus eine „richtige“ Diagnose, zum<br />
Beispiel eine Depression. Und die ist dann<br />
eben oft schwerwiegender, als es mit dem<br />
Mit Sport kann man einen guten Ausgleich finden: Dafür muss man nicht nach Miami Beach reisen. Foto: Bananastock<br />
Burnout-Zustand beschrieben werden kann.<br />
Burnout wird als Triade aus subjektiver Überforderung,<br />
zunehmender Abstumpfung, verbunden<br />
mit immer stärkerem Sarkasmus als<br />
Reaktion und letzten Endes einer Leistungsminderung<br />
definiert. Sehr viel genauer ist<br />
die klinische Beschreibung auch in aktuellen<br />
diagnostischen Manualen nicht möglich,<br />
obwohl man viele Fragebögen entwickelt hat<br />
und inzwischen 130 Symptome, die angeblich<br />
zum Burnout gehören, vermutet wurden.<br />
Leider finden sich keine klaren Abgrenzungen<br />
zu vielen anderen Erkrankungen. Gerade weil<br />
es sich in der bisherigen Form eben nicht um<br />
eine eigenständige Erkrankung handelt, ist<br />
eine professionelle Diagnose durch den Facharzt,<br />
also dem Psychiater, wichtig. Internetbasierte<br />
Selbstdiagnosen helfen in der Regel<br />
nicht weiter.<br />
Jeder Mensch kann - entgegen eines weit verbreiteten<br />
Irrtums - Patient der Psychiatrie<br />
werden. Doch der Burnout, wie er durch Zeitschriften<br />
und Fernsehen aus kommerziellen<br />
Motiven abgehandelt wird, ist manchmal<br />
vielleicht auch eine Folge fehlenden Sinns<br />
im Leben, für Erwerbstätige folglich auch im<br />
Berufsleben. Anders als zum Beispiel in islamisch<br />
geprägten Gesellschaften spielt die<br />
Frage des Sinns im Leben für viele Menschen<br />
in der westlich geprägten Gesellschaft überhaupt<br />
keine Rolle mehr im Alltag. Man macht<br />
Tabletten können manchmal Teil der Therapie sein, Tablettenmissbrauch<br />
kann der Auslöser für schwere psychische<br />
Erkrankungen sein. Foto: Dynamic Graphics<br />
und erledigt die Dinge, so wie sie sind und<br />
immer waren. Halten Sie dieses Verschwinden<br />
des Sinns für einen möglichen Auslöser?<br />
Auf jeden Fall. Das ist auch eine Problematik,<br />
die wir bei der Behandlung vieler anderer<br />
psychiatrischer Erkrankungen in der Klinik<br />
beobachten. Das Phänomen ist zunächst ein<br />
gesellschaftliches. Leider haben wir heute<br />
aber auch in der Klinik nur wenige Möglichkeiten,<br />
chronisch kranke Patienten sinnvoll<br />
zu beschäftigen und dauerhaft zu integrieren,<br />
dem Leben also einen neuen Sinn zu geben.<br />
Dabei bieten wir eine Vielzahl von Therapien<br />
für akut erkrankte Patienten, die auch helfen,<br />
so Psycho-, Ergo-, Musik-, Sport-, Entspannungs-,<br />
tiergestützte Therapien und vieles<br />
andere. Nur für chronisch kranke Patienten,<br />
die also immer wieder kommen müssen, haben<br />
wir keine ausreichenden arbeitstherapeutischen<br />
und alltagsbezogenen Bereiche, nur<br />
wenige Tätigkeiten, die alltagspraktisch und<br />
real sind und die von den Betroffenen auch als<br />
hilfreich akzeptiert werden, zum Beispiel das<br />
Austeilen der Mahlzeiten, Laub zusammenfegen,<br />
Transporte sind in Grenzen möglich.<br />
Nun sind aufgrund der Rückzugstendenzen<br />
und partiellen Kompetenzdefizite aber gerade<br />
solche Tätigkeiten für schwerkranke Patienten<br />
enorm wichtig und Sinn stiftend. Leider wird<br />
heute im modernen Krankenhaus alles geliefert<br />
und über Firmen erledigt, ist „Service“ seit der<br />
Wende nur „professionell“ zulässig. Gesetze<br />
und Vorschriften, mitunter auch diffuse<br />
Ängste, verkomplizieren das Leben und die<br />
Therapie dieser Patienten. Auch gut gemeinte<br />
Arbeitnehmerrechte gehören dazu. Allein der<br />
Vorwurf, „Arbeitnehmer“ durch Patienten zu<br />
ersetzen, blockiert manchen sinnvollen Therapieansatz.<br />
Dabei ist das, mit Verlaub, wirklich<br />
„eine verrückte Idee“. Um dies nicht nur<br />
zu beklagen, engagieren sich erfreulich viele<br />
unserer Kollegen und Mitarbeiter auf dem Bauernhof<br />
unserer Klinik in Rossau-Dreiwerden,<br />
einer Schenkung einer Bauernfamilie mit einer<br />
schwer psychisch kranken Tochter. Dort haben<br />
wir nun wieder einen Platz, wo wir versuchen,<br />
schwerkranken Patienten einen Ort zum Leben,<br />
Wohnen und Arbeiten zu schaffen, wo Lebenssinn<br />
aus sinnvollen Tätigkeiten entstehen<br />
kann. Und dazu gehören moderne medizinische<br />
Versorgung, qualifiziertes Personal und<br />
psychologische Betreuung genauso wie Hasen,<br />
Hühner und die gemeinsame Gestaltung des<br />
Alltags durch alle dort lebenden Patienten<br />
und Mitarbeiter. Das weitet nicht zuletzt auch<br />
unseren Blick für das wirklich Wesentliche im<br />
Leben, abseits von Smartphones, Videospielen<br />
und Musikfernsehen.<br />
Ich komme noch mal darauf zurück: Der Sinn<br />
spielt im Westen keine Rolle, und viele können<br />
ihn auch schwerlich finden, weil unser<br />
Denken, nicht zuletzt durch Angebote im<br />
Fernsehen und im Internet oder einem tristen<br />
Alltag, eindimensional ausgerichtet wird.<br />
Ich weiß nicht, ob das Finden eines Sinns im<br />
Leben wirklich schwieriger geworden ist. Wenn<br />
jemand es wirklich will und durch Elternhaus<br />
und Schule darauf vorbereitet worden ist,<br />
findet man auch und gerade heute viele Möglichkeiten,<br />
seinem Leben einen Sinn zu geben,<br />
doch dazu muss man natürlich nachdenken,<br />
sich selbst und sein Handeln reflektieren, Ziele<br />
formulieren und verfolgen. Das ist Menschen<br />
wohl nie ganz leicht gefallen. Leider wird die<br />
Frage nach dem Sinn auch in unserer modernen<br />
Gesellschaft mit all ihren Möglichkeiten zu<br />
selten gestellt, verlieren wir uns in Einzelheiten<br />
und Ersatzhandlungen, weil die Dinge, die ich<br />
zum Überleben brauche, geklärt sind, selbst<br />
für jene, die keinen Job haben oder dauerhaft<br />
in Sozialleistungssystemen leben. Die Sinnfrage<br />
in unserer Gesellschaft wird viel zu oft<br />
auch durch Suchtverhalten ersetzt: die Abhängigkeit<br />
von Substanzen oder auch nicht-stoffgebundene<br />
Abhängigkeiten wie stundenlanges<br />
Fernsehen, Rückzug ins Internet oder endloses<br />
Musikhören. Und dass man, wenn der reale<br />
Lebenssinn verloren geht, psychisch anfälliger<br />
wird, auch wenn man das zunächst gar nicht<br />
bemerkt, ist inzwischen gut untersucht.<br />
Als Psychiater müssten sie der „Seelenindustrie“,<br />
von der alles Mögliche gegen und<br />
für die Überwindung eines Burnout angeboten<br />
wird, skeptisch gegenüberstehen. Hotelketten,<br />
Heilpraktiker, Pseudotherapeuten<br />
bis hin zu Schwindlern bieten heute Hilfe bei<br />
Burnout an. Wie bewerten Sie diese nichtmedizinischen<br />
Offerten?<br />
Tja, das ist schwierig. Ich persönlich halte<br />
nicht viel davon. Sehr oft wird bei solchen<br />
Angeboten mit einer Mischung aus gesundem<br />
Menschenverstand und einer großen<br />
Portion Geschäftstüchtigkeit den Leuten, die<br />
nicht selten fundierte Hilfe brauchen, Geld<br />
aus der Tasche gezogen. Wenn relativ stabile<br />
und gesunde Menschen sich für viel Geld auf<br />
einen, nicht selten exotischen, Selbstfindungstrip<br />
begeben, dann ist das ihre Entscheidung.<br />
Wenn aber Scharlatane Erkrankten ihre letzten<br />
Reserven abnehmen, sehe ich das sehr kritisch<br />
und würde mir gelegentlich durch den Gesetzgeber<br />
auch mehr Schutz für die Betroffenen<br />
wünschen.<br />
Die Antistressreise nach Sri Lanka oder der<br />
Entspannungskurs zur Mitternachtssonne in<br />
Finnland, was bringen die?<br />
Aus meiner Sicht ist das zunächst ein gutes<br />
Geschäft für die Ausrichter, bringt aber<br />
psychisch bedürftigen Betroffenen nicht<br />
wirklich etwas. Häufig sind solche Reisen<br />
und Events, vor allem hinsichtlich des<br />
Preis-Leistungs-Verhältnisses, pseudointellektueller<br />
Humbug. Seriöse Therapie ist hierzulande<br />
billiger zu bekommen, aber natürlich<br />
ohne exotisches Flair. Wer derartige Angebote<br />
als interessante Urlaubstour betrachtet, ist<br />
sicher gut bedient, anhaltende therapeutische<br />
Effekte darf man eher nicht erwarten. Gerade<br />
auch auf dem Gebiet der psychologischen<br />
Therapien wird deutlich, dass Menschen oft<br />
spürbar teuren, weil selbstbezahlten Angeboten<br />
einen höheren Wert zumessen, als scheinbar<br />
preiswerten, deren Rechnung ich nie sehe.<br />
So wird der 5.000-Euro-Aufenthalt zu Lasten<br />
der Krankenkasse in einer Versorgungsklinik<br />
ganz anders beurteilt als Yoga-Kurs und Heilfasten<br />
auf einem mondänen Kreuzfahrtschiff<br />
auf der privaten 5.000-Euro-Tour. Derjenige,<br />
der als Patient der Hilfe bedarf, wird diese in<br />
der Regel vom fundiert ausgebildeten Arzt und<br />
Therapeuten erhalten und letztlich die Wirkung<br />
auch spüren. Für den subjektiv gestressten<br />
psychisch Gesunden spricht natürlich auch<br />
nichts gegen einen esoterischen Urlaub, wenn<br />
die Angebote den subjektiven Erwartungen entsprechen.<br />
Mir muss dabei aber der Unterschied<br />
zwischen Therapie und Wellness klar sein.<br />
Modediagnosen waren oft ein Problem für<br />
die Medizin, insbesondere dann, wenn der<br />
Patient Motive hat, die Diagnose selbst zu<br />
tätigen. Wie gehen Sie damit um und wo liegt<br />
die Gefahr?<br />
Eine Selbstdiagnose werde ich zunächst ganz<br />
sachlich mit dem Patienten besprechen und<br />
dabei versuchen, auch meine Sicht der Dinge<br />
zu vermitteln. Anfangs kann es durchaus sinnvoll<br />
sein, dem Patienten seine, auch fachlich<br />
suboptimalen Hypothesen zu lassen, Vertrauen<br />
und eine Beziehung aufzubauen, dabei meine<br />
diagnostischen Überlegungen anzustellen. Im<br />
Verlauf ist es dann zunehmend wichtig, Überzeugungen<br />
zu hinterfragen, Veränderungsmotivation<br />
zu wecken, gemeinsam therapeutische<br />
Ziele zu formulieren, ihm auch bewusst<br />
zu machen, was er trotz seiner Beschwerden<br />
noch kann. Nicht wenige Patienten fokussieren<br />
vor allem darauf, was alles nicht geht.<br />
Auch eine leicht direktive Art des Umgangs<br />
mit eingefahrenen Ängsten und blockierenden<br />
Überzeugungen kann hilfreich sein: „Ich kann<br />
natürlich den ganzen Tag im Bett liegen und<br />
jammern, wie schlecht es mir geht, allein,<br />
es wird sich nichts ändern…“ Dies ist nicht<br />
selten der Anstoß zu einer Veränderung. Natürlich<br />
kann ein bestimmter Patiententyp aus der<br />
Selbstdiagnose auch einen sehr individuellen<br />
und praktischen Nutzen ziehen, bewusst oder<br />
unbewusst. Früher nannte man das „Rentenneurose“.<br />
Auch die Selbstdiagnose „Burnout“<br />
ist unter Umständen in diese Richtung<br />
zu „missbrauchen“. Wer diesen Weg geht,<br />
setzt längerfristig sein Selbstwertgefühl aufs<br />
6 Gesundheit & Medizin 7