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uMagazine.de 01|2014 2,20 EURO<br />

music and style<br />

4 196654 902206 01<br />

MACH’S DIR UNBEQUEM!<br />

JENNIFER ROSTOCK<br />

Warum wir die Berliner Krawallband nicht unterschätzen sollten


PRIVATE<br />

AKADEMIE<br />

DER MODE<br />

ERKENNE<br />

DEINE<br />

FÄHIGKEITEN<br />

UND GESTALTE<br />

DEN WEG<br />

DEINES LEBENS.<br />

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OUTFIT: KATJA RINNÉ, MODEL: NAEMI (MODELWERK)<br />

FOTOGRAF: MAXIM SCHULZ, KREATION: WWW.VYKRUTA.COM<br />

WWW.JAK.DE


uMag 03<br />

Nicht gesucht. Gefunden.<br />

Foto: José Haro<br />

Guck mich nicht an wie das Reh den Jäger. Ich will diese Verantwortung nicht.<br />

Szenenbild aus „Carmina o Revienta“ über eine Kioskbesitzerin aus Sevilla und ihre junge Tochter, die keinen rechten Plan vom Leben hat –<br />

dem ersten spanischen Film, der gleichzeitig im Kino, im Internet (Pay-per-View) und auf DVD startete.


uMag 04<br />

Inhalt<br />

08<br />

SINNBUS<br />

Foto: Rosa Merk<br />

Foto: Melt! Booking<br />

18<br />

BANKS<br />

10<br />

M.I.A.<br />

Foto: Silke Zander<br />

36<br />

STUDIO<br />

BESAU MARGUERRE<br />

Foto: Leo Ritz<br />

20<br />

MESSER<br />

40<br />

LÉA SEYDOUX<br />

Foto: Daniel Sannwald<br />

Foto: Shane McCauley<br />

16<br />

PAPER & PLACES<br />

Foto:Alamode Film<br />

Foto: GHvC<br />

22<br />

CLICKCLICKDECKER<br />

Foto: Sophie Krische<br />

12<br />

JENNIFER<br />

ROSTOCK<br />

30<br />

ARMEDANGELS<br />

Foto: Armedangels<br />

06 Oscar Isaac<br />

Folk + Film = fabelhaft<br />

06 Helene Hegemann<br />

Comeback mit Oper<br />

08 Sinnbus<br />

Zehn Jahre von Herzen<br />

10 M.I.A.<br />

Freundeskreis<br />

12 Jennifer Rostock<br />

Titten, Tattoos, Thesen<br />

16 Paper & Places<br />

Berlin ist nicht genug<br />

18 BANKS<br />

Das Sorgentelefon<br />

20 Messer<br />

Unangepasst neben dem Beat<br />

22 ClickClickDecker<br />

Entspannung am Limit<br />

23 MØ<br />

Kein Püppchen<br />

25 Unmap<br />

Wegwerfgemeinschaft<br />

27 Justine Electra<br />

Nostalgischer Spielzeuglärm<br />

30 Armedangels<br />

Lässige Mode? Ökorevolution!<br />

36 Studio Besau Marguerre<br />

Kupfer fürs Stylerzuhause<br />

40 Léa Seydoux<br />

Kompromisslos offen<br />

43 Javier Bardem<br />

Altmuckerschick im Kino<br />

43 Global Activism<br />

Kunst und Revolte<br />

44 Joshua Groß<br />

Debüt mit Detektivroman<br />

46 Christoph Schlingensief<br />

Ein Schlachtfest<br />

50 Stefan Sichermann<br />

Der Postillon spricht!<br />

Titelfoto: © Shane McCauley


uMag 05<br />

Editorial<br />

Wir haben großartige Musik<br />

gehört, das ganze Jahr lang.<br />

2014 wird so weitergehen. Und<br />

beginnt ungewohnt.<br />

Wir bleiben nämlich im Land. Wir befassen uns mit Sinnbus, Messer,<br />

ClickClickDecker, Jennifer Rostock, Unmap und Paper & Places, unsere<br />

Gespräche erwähnen Münster, Nürnberg, Regensburg, Emmelsbüll,<br />

Hamburg (immerhin!) und Berlin, Gott sei Dank auch Berlin. Natürlich ist<br />

Berlin der Bezugspunkt für alle.<br />

Der äußere jedenfalls. Der künstlerische ist eher ortlos, es gibt keine Schule –<br />

und vielleicht ist es sogar die einzig spannende Identität für eine Band,<br />

möglichst gar keine zu haben, überlegt Carsten Schrader in seinem Text<br />

über Paper & Places auf den Seiten 16/17. Passt zum Zeitgefühl und zu den<br />

Widersprüchen, die aufkommen, wenn Jennifer Rostock im „Fernsehgarten“<br />

auftreten (mehr in der Titelstory) und die Gruppe Messer Deutschlands<br />

wichtigsten Karriereplaner engagiert (dazu: Seite 20).<br />

Mit Widersprüchen lebt auch die Modeszene, Stichwort: Exploitation. Da ist<br />

es einfach besser, auf ganzer Linie dagegen anzugehen. Martin Höfeler tut<br />

das mit seinem Fashionlabel Armedangels. Ellen Stickel hat ihn interviewt<br />

und traf einen Mann, der die üblichen BWL-Regeln gegen den Strich bürstet:<br />

„Das Gefühl, das ich hatte, als ich aus Indien nach Hause gekommen bin …<br />

ich wusste einfach, dass ich beweisen will, dass man tatsächlich gut produzieren<br />

und trotzdem ein profitables Unternehmen aufbauen kann.“<br />

Mehr ab Seite 28.<br />

Und wenn am Ende, nämlich in unserer Rubrik Zoom, Falk Schreiber über<br />

den Bildenden Künstler Christoph Schlingensief schreibt (ab Seite 46), geht<br />

es nicht besonders viel um Musik, aber sehr viel um Widersprüche und<br />

Grenz gängertum. Geht schon in diesem Land. Man muss sich bloß trauen.<br />

Jutta Rossellit<br />

Chefredakteurin


uMag 06<br />

Geta<br />

ggt<br />

Oscar Isaac<br />

Dass die Coen-Brüder großartige<br />

Filme drehen? Geschenkt. Dass ihr<br />

neuer Film zum Reinspringen gut<br />

aussieht und zum Auswendiglernen<br />

gut geschrieben ist? Jaja. Dass man<br />

danach mit Fo<br />

lkmusik,<br />

die ja erst seit Mumford & Sons sexy<br />

ist, seinen MP3-Player vollstopft?<br />

Jetzt geh! Denn das eigentlich Sensationelle an „Inside Llewyn<br />

Dav<br />

is“, diesem bittersüßen Porträt der Folkszene in New Yo<br />

rk Anfa<br />

ng<br />

der 60er,<br />

ist der Mann, der in jeder Szene zu sehen ist: Oscar Isaac<br />

spielt den erfo<br />

lglosen Sänger Llewyn Dav<br />

is, und dass er singt wie<br />

ein Popstar (auch zusammen mit Marcus Mumford!) und<br />

klampft<br />

wie ein Profi<br />

? Zugegeben. Die Sensation hinter der Sensation<br />

ist, wie es dem „Drive“-Nebendarsteller gelingt, einem den eher<br />

unsympathischen Llewyn ans Herz zu binden. Denn Isaac macht mit<br />

Hundeblick, Muckertolle und hippem Vo<br />

llbart die Tr<br />

aurigkeit<br />

sichtbar (und die Unfä<br />

higkeit, diese zu zeigen), die missgünstige<br />

Menschen erst zu Arschlöchern macht. Ein ambivalenter Held,<br />

wie ihn lange kein Film besaß. Ein Oscar für Oscar? Wä<br />

r’n Hit. vs<br />

Helene Hegemann<br />

Helene Hegemann ist wieder da. Hat ein zweites Buch<br />

veröffentlicht, „Jage zwei Tiger“ (erschienen bei<br />

Hanser), das überraschenderweise gar nicht mal schlecht<br />

ist. Hat für den Komponisten Michael Langemann ein<br />

Opernlibretto geschrieben. Und inszeniert besagte<br />

Oper auch gleich: „Musik“ feiert am 7.<br />

12. mit dem hegemannesken<br />

Untertitel „I make Hits Motherfucker“ an der<br />

Oper Köln Premiere. Man könnte jetzt kritteln, dass<br />

Opernregie etwas ist, das eine gewisse Erfa<br />

hrung und vielleicht<br />

auch Lehrzeit benötigt. Aber dann müsste man auch<br />

sagen, dass 21 Jahre noch kein Alter für ein Comeback ist.<br />

Und, Ficken!, das sagt doch überhaupt nichts aus.<br />

Geht eben alles ein wenig schneller,<br />

bei der jungen Frau. fi<br />

s<br />

Die vier Jungs von der irischen Band The Strypes sind zwar alle noch<br />

keine 18, fi<br />

nden aktuelle Musik aber konsequent kacke und<br />

orientieren sich auf ihrem Debüt „Snapshot“ lieber am Bluesrock der<br />

60er und 70er. Mit der<br />

guten Kinderstube ist es<br />

aber nicht weit her. Da<br />

tut man ihnen schon den<br />

Gefa<br />

llen und stellt ihnen<br />

die rockonkelige<br />

The Strypes<br />

Fr<br />

age, in welches Jahr sie mit einer Zeitmaschine zurückreisen<br />

würden, und bekommt dann von Sänger Ross folgende Antwort:<br />

„W<br />

ir würden nicht einsteigen und lieber in der Gegenw<br />

art bleiben.<br />

Dank Yo<br />

utube haben wir doch einen viel besseren Blick auf die<br />

Ve<br />

rgangenheit und müssen uns nicht für John Lee<br />

Hooker,<br />

die Stones oder wen auch immer entscheiden.“ Rotzlöffel! cs<br />

Foto: Universal Music


Gewinner des „Spirit of the Fringe Award“<br />

TICKETS UNTER: WWW.FKPSCORPIO.COM & WWW.EVENTIM.DE<br />

SERVICE-HOTLINE: 01806-853 653 (0,20 € / Anruf aus dem Festnetz, Mobilfunk max. 0,60 € / Anruf)<br />

„Ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk“<br />

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Japans Antwort auf die Blue<br />

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20.03.2014 KÖLN · 21.03.2014 OBERHAUSEN · 22.03.2014 LINGEN · 23.03.2014 HANNOVER<br />

25.03. + 26.03.2014 FRANKFURT · 27.03.2014 MANNHEIM · 28.03.2014 RAVENSBURG · 29.03.2014 FREIBURG<br />

31.03.2014 LEIPZIG · 01.04.2014 ERFURT · 03.04.2014 CHEMNITZ 04.04.2014 MÜNCHEN · 05.04.2014 STUTTGART<br />

07.04.2014 BERLIN · 08.04.2014 KIEL · 10.04.2014 HAMBURG · 11.04.2014 OLDENBURG · 12.04.2014 BIELEFELD<br />

WINSTON RUDDLE´S<br />

CIRCUS DER SINNE<br />

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GELENKIGSTEN MANN DER WELT,<br />

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„DAS SUPERTALENT“!<br />

PRÄSENTIERT DIE NEUE SHOW:<br />

UMLINGO - DIE MAGIE AFRIKAS<br />

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generation of<br />

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11.02.2014 MAINZ · 12.02.2014 STUTTGART<br />

13.02.2014 KARLSRUHE · 14.02.2014 REGENSBURG<br />

15.02.2014 MÜNCHEN · 16.02.2014 NÜRNBERG<br />

18.02.2014 KÖLN · 19.02.2014 HANNOVER<br />

20.02.2014 AUGSBURG · 21.02.2014 DARMSTADT<br />

22.02.2014 OSNABRÜCK · 23.02.2014 DÜSSELDORF<br />

25.02.2014 SAARBRÜCKEN · 26.02.2014 WÜRZBURG<br />

27.02.2014 CHEMNITZ · 28.02.2014 DRESDEN<br />

01.03.2014 BERLIN<br />

26.12.2013 WEIDEN · 27.12.2013 ROSENHEIM · 28.12.2013 GERSTHOFEN · 29.12.2013 NEUNBURG VORM WALD · 30.12.2013 BAYREUTH<br />

31.12.2013 ASCHAFFENBURG · 02.01.2014 STUTTGART · 03.01.2014 NÜRNBERG · 04.01.2014 WÜRZBURG · 05.01.2014 FÜSSEN<br />

06.01.2014 LANDSBERG / LECH · 07.01.2014 BALINGEN · 08.01.2014 DONAUESCHINGEN · 09.01.2014 GÜNZBURG ·10.01.2014 FREIBURG<br />

11.01.2014 HASLACH · 12.01.2014 SAARBRÜCKEN · 14.01.2014 KÖLN · 15.01.2014 FULDA · 16.01.2014 CH-EMMENBRÜCKE<br />

17.01.2014 CH-ZÜRICH · 18.01.2014 CH-BASEL · 19.01.2014 CH-THUN · 20.01.2014 CH-GENF · 21.01.2014 FRIEDRICHSHAFEN<br />

22.01.2014 SINGEN · 23.01.2014 ERDING · 24.01.2014 TRIER · 25.01.2014 MOSBACH · 26.01.2014 DEGGENDORF · 28.01.2014 HALLE / SAALE<br />

29.01.2014 DRESDEN · 30.01.2014 WETZLAR 31.01.2014 KOBLENZ · 01.02.2014 GÖTTINGEN · 02.02.2014 DÜSSELDORF · 04.02.2014 DORTMUND<br />

05.02.2014 WUPPERTAL · 06.02.2014 REUTLINGEN · 07.02.2014 NIEDERNHAUSEN · 08.02.2014 VOHBURG · 09.02.2014 SCHWÄBISCH GMÜND<br />

11.02.2014 SIEGBURG · 12.02.2014 RHEINE · 13.02.2014 AURICH · 14.02.2014 KIEL · 15.02.2014 HILDESHEIM · 16.02.2014 DÜREN<br />

18.02.2014 PADERBORN · 19.02.2014 OSNABRÜCK · 20.02.2014 CELLE · 21.02.2014 JENA · 22.02.2014 OLSBERG · 23.02.2014 PEINE<br />

www.circus-mother-africa.com<br />

www.siro-a.de<br />

/Siro.AShow<br />

23.01.2014 NEU-ISENBURG · 24.01.2014 L-ESCH ALZETTE · 25.01.2014 SAARBRÜCKEN · 26.01.2014 RASTATT<br />

29.01.2014 ALSDORF · 30.01.2014 NEUSTADT · 31.01.2014 HAMM · 01.02.2014 HALLE / WESTFALEN<br />

02.02.2014 OLDENBURG · 04.02.2014 ESSEN · 05.02.2014 SIEGBURG · 07.02.2014 IDAR-OBERSTEIN<br />

08.02.2014 HEILBRONN · 09.02.2014 ZWICKAU · 10.02.2014 BAMBERG · 12.02.2014 ERFURT · 13.02.2014 SUHL<br />

14.02.2014 VIERSEN · 15.02.2014 PADERBORN


uMag 08<br />

Musik<br />

BODIBILLDING<br />

10 Jahre Sinnbus. Das Berliner Label feiert runden Geburtstag – mit allen Ecken und Kanten.<br />

VON LASSE NEHREN<br />

Foto: Rosa Merk<br />

Daniel Spindler und Martin Eichhorn grinsen sich an. Ob ihr<br />

Label Sinnbus gerade seine beste Zeit hat? „Das kommt drauf<br />

an, auf welcher Achse man es betrachtet“, antwortet Spindler<br />

etwas ernster. „Cool ist, dass es trotz aller Windungen bergauf geht. Es<br />

ergeben sich neue Dinge, wir können uns öffnen und die Musik rausbringen,<br />

die wir gut finden. Genauso gut könnte man sagen: Es ist starrer<br />

geworden.“ Er erinnert sich, wie sie früher Platten veröffentlichten:<br />

nach Bock und Bauchgefühl, entgegen wirtschaftlicher Erwartbarkeit.<br />

Kleineres Label, kleinere Auflage. Kleineres Risiko. „Früher war klar:<br />

Wenn Kam:as ne Platte rausbringen wollen, machen wir das. Heute …“<br />

Weiter kommt er nicht. Eichhorn fällt ihm spielerisch ins Wort: „Wobei<br />

wir das heute unbedingt wieder machen würden.“ Wieder lachen die<br />

beiden auf diese liebevoll verschwörerische Art. „Zwar auf ganz andere<br />

Art als Bodi Bill, aber diese Band war auch essentiell für uns: Da hatten<br />

wir Orgasmen auf den Konzerten“, fährt Spindler fort, und Eich horn<br />

löst die Situation auf: „Das ist ein Insiderwitz. Kam:as sind unsere un -<br />

erfolgreichste Band.“<br />

Ein Witz, in dessen Fußnoten die Erklärung für die Beständigkeit des<br />

Ber liner Indielabels steckt. Als Sinnbus im Jahr 2003 gegründet wurde,<br />

war die Motivation weniger eine perspektivische als eine dringliche.<br />

„Es war uns ein großes Anliegen, unseren musikalischen Freundeskreis<br />

zusammenzuhalten, die Talente, die wir schon immer gesehen haben,<br />

zu bündeln“, erinnert sich Eichhorn. „Hätten wir ein Label gegründet<br />

und wären auf Künstlersuche gegangen, wäre das wahrscheinlich zum<br />

Scheitern verurteilt gewesen.“ Und sein Partner bringt es auf den Punkt:<br />

„Was man außer dem Rausbringen von CDs als Label so macht, davon<br />

hatten wir nicht wirklich einen Plan.“ Aus der Mitte einer künstlerischen<br />

Com munity heraus setzten sich die Sinnbus-Macher zum Ziel, interessante<br />

Konzerte zu veranstalten. Das Projekt wuchs sich zu einem Kon vo lut<br />

aus Label, Vertrieb, Bookingagentur und einem nach nur einer Nacht<br />

wieder geschlossenen Club aus. Während ein vergleichbares Indie label<br />

wie Grand Hotel van Cleef im Laufe der Jahre derlei Geschäfts stellen<br />

mit in die Strukturen aufgenommen hat, um ein zweites oder drittes<br />

Standbein zu errichten, fiel bei Sinnbus alles weg – bis auf das Label, das<br />

inzwischen um einen Musikverlag erweitert wurde. Dem sel ben kreativen<br />

Umfeld, aus dem Sinnbus hervorgegangen ist, entstieg auch die Band,<br />

welche die Zukunft des Labels entscheidend beeinflussen sollte. Seit<br />

ihrem ersten Album im Jahr 2007 sind Bodi Bill bei Sinn bus unter Vertrag.<br />

„Sie haben Genres auf eine sehr natürliche Art aufge brochen und so auch<br />

Indiefans an Techno herangeführt“, sagt Spindler. Die Heranführung hat<br />

eine Weile gedauert, doch das Festhalten an Bodi Bill hat sich gelohnt. Als<br />

das Trio 2011 sein viertes Album „What?“ veröffentlichte, konnten sich<br />

plötzlich alle auf Bodi Bill einigen – und man avancierte gemeinsam.<br />

Seitdem hat sich die öffentliche Wahrnehmung von Sinnbus gewandelt.<br />

Man kennt außer Bodi Bill vor allem Hundreds und Me And My<br />

Drum mer– dabei nahm alles mit einigen Postrockbands und, Achtung,<br />

O-Ton: „verquerem Indiezeug“ seinen Anfang. Das Roster hat sich mit<br />

dem Musikgeschmack der Labelchefs gewandelt. Sie sind kein<br />

Genrelabel, sondern vier Menschen auf der Suche nach Musik, die<br />

etwas anregt. Eichhorn ereifert sich: „Es gibt eine Qualität, die man<br />

sehen kann, aber nicht beschreiben. Sie ist wie eine Farbe. In einigen<br />

Fällen ist das eine handwerkliche Qualität wie die Wahnsinnsstimme<br />

von Charlotte von Me And My Drummer, in anderen Fällen eine Haltung<br />

oder das, was auf der Bühne passiert. Man kann diese Qualität nicht<br />

beschreiben – sie ist es aber, die die Dinge eint, die uns begeistern.“<br />

Als wir im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten mit dem neuen Projekt<br />

Unmap sprechen, soundcheckt Eva von Hundreds im Hintergrund mit<br />

„Happy Birthday“, und Peter Gruse, dritter der vier Labelchefs, schaut<br />

wieder holt rein, um sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist. Es steckt<br />

viel Herzblut in diesem Label, und deshalb glauben wir Daniel<br />

Spindler auch, wenn er sagt: „Das klingt jetzt vielleicht ein wenig<br />

pathetisch – aber wenn das Label nicht da wäre, würden wir was an -<br />

deres zusammen machen.“<br />


REBECCA FERGUSON<br />

FREEDOM<br />

Das neue Album der Ausnahmestimme<br />

aus Liverpool<br />

mit den Hits „I Hope“ und „Light On“<br />

Die spektakuläre Live-Show endlich auf<br />

DVD/Blu-ray.<br />

Das komplette Konzert aus Melbourne<br />

plus exklusivem Material von den Proben<br />

zur Tour. Mehr als 2 Stunden P!NK pur.<br />

David Bowie<br />

The Next Day Extra<br />

Das Comebackalbum des Jahres – jetzt als spezielle Sammleredition<br />

auf 2 CD + DVD erhältlich<br />

Mit fünf neuen Songs, zwei exklusiven Remixen und den<br />

spektakulären Videos zu „Where Are We Now?“,<br />

„The Stars (Are Out Tonight)“, „The Next Day“ und „Valentine’s Day“<br />

Das Hitalbum<br />

inkl. „Dear Darlin‘“<br />

& „Troublemaker“<br />

+ 7 zusätzl. Songs<br />

& dem kompletten<br />

Konzert aus der<br />

Londoner O 2-Arena<br />

auf DV D<br />

88883784852<br />

Die Special-Edition des Erfolgsalbums, mit den Hits<br />

„Dear Darlin‘“ und „Troublemaker“, sieben brandneuen<br />

Tracks und dem kompletten Konzert der<br />

„Right Place Right Time Tour“ aus der Londoner 02-Arena.


uMag 10<br />

Fr<br />

eun<br />

desk<br />

reis<br />

M.I.A.<br />

Musik, Kunst, Politik: M.I.A. kann irgenwie alles –<br />

bloß nicht den Mund halten.<br />

Foto: Didi Zill<br />

1<br />

Foto: Universal Music<br />

5<br />

Foto: Julia Schoierer<br />

4<br />

Foto: Senator Home Entertainment<br />

6<br />

Foto: Daniel Sannwald<br />

7 8<br />

Foto: Warner Music<br />

Früher zwang ihr Onkel sie, zu Boney M. (1) zu tanzen, heute steht<br />

Mathangi Arulpragasam alias M.I.A. neben Madonna (2) und Missy<br />

Eliott (3). Nicht nur aufg<br />

rund ihres Erfolgs scheint es mittlerweile unmöglich,<br />

M.I.A. etwas aufz<br />

uzwingen – weder mit popkulturellen noch<br />

mit politischen Statements hält sich die 28-Jährige zurück. So erteilte<br />

die tamilisch-britische Rapperin Barack Obama den Rat, seinen Fr<br />

iedensnobelpreis<br />

wieder abzugeben, während sich Rihanna (4), Sting<br />

und Bruno Mars nach ihrem Auft<br />

ritt bei den diesjährigen Grammym s den<br />

Vo<br />

rwurf anhören mussten, sie hätten Elemente von M.I.A.s Bühnenshow<br />

gestohlen. Der Enthüllungsplattform Wikileaks widmete sie hingegen<br />

ein Mixtape, woraufhin der Gründer Julian Assange (5; die<br />

Wikileaks-Doku „W<br />

e steal Secrets“ ist am 14. 11. bei Universal Pictures<br />

auf DVD erschienen) im Gegenzug eines ihrer Konzerte via Skype eröffnete.<br />

M.I.A. beschränkt sich aber nicht auf politischen Aktivismus:<br />

Jude Law (6), zuletzt in „Side Effects – Tödliche Nebenw<br />

irkungen“ (auf<br />

DVD und Blu-Ray<br />

bei Senator Home Entertainment erschienen) zu<br />

sehen, kauft<br />

e ein Graffif tigemälde der Künstlerin, und zwar lange bevor<br />

sie als Musikerin sowohl für die Grammym s als auch für einen Oscar<br />

nominiert wurde. Diese Doppelnominierung ist eine Adelung, die auch<br />

Kollegen wie Eminem (7) und Phil Collins (8) zuteil ward. Nachdem<br />

M.I.A. ihren Eltern je ein Album gewidmet hat, fokussiert sich das<br />

Multitalent mit seiner aktuellen Platte „Matangi“ auf sich selbst. Mal<br />

sehen, wen M.I.A. damit in ihren Bann zieht. Oder wer in ihre<br />

Schusslinie gerät. ae


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DIE FREIHEIT<br />

DER UNCOOLEN<br />

Was haben Jennifer Rostock eigentlich auf dem uMag-Cover zu suchen? Ziemlich viel: Wer die<br />

Berliner als prollige Titten-und-Tattoo-Kombo abtut, verpasst eine extrem meinungsstarke Band.<br />

INTERVIEW: CARSTEN SCHRADER<br />

Foto: Shane McCauley


uMag 13<br />

Musik<br />

CHECKBRIEF<br />

BANDNAME Jennifer Rostock<br />

MITGLIEDER Jennifer Weist (Gesang)<br />

Johannes „Joe“ Walter (Keyboard)<br />

Christoph Deckert (Bass)<br />

Alex Voigt (Gitarre)<br />

Christopher „Baku“ Kohl (Schlagzeug)<br />

GENRE Rock, Glampunk, Elektropop<br />

ORT Berlin<br />

HERKUNFT Jennifer Weist und Joe Walter<br />

stammen aus Zinnowitz (Usedom)<br />

GRÜNDUNGSJAHR 2007<br />

LIEBLINGSFEIND Tim Bendzko<br />

AKTUELLES ALBUM „Schlaflos“ erscheint<br />

am 17. Januar 2014<br />

GÄSTE In dem Song „K.B.A.G.“<br />

(Kein Bock aber Gästeliste) setzen sie<br />

sich kritisch mit der Musikindustrie<br />

auseinander, und weil sie ein „Feature,<br />

das niemand braucht“ besingen, führen<br />

sie die vielen prominenten Gastsänger<br />

des Songs nicht explizit auf<br />

LIVE<br />

31. 1. München<br />

8.+ 9. 2. Hamburg<br />

11. 2. Köln<br />

16. 2. Berlin<br />

uMag: Jennifer, Joe, Christoph, warum gibt es so viele Berührungsängste<br />

und Vorurteile in Bezug auf Jennifer Rostock?<br />

Joe Walter: Wir waren nie eine Imageband, die ganz bewusst mit einer Zielgruppe plant.<br />

Man kann etwas auf Massengeschmack bürsten, oder man kann auf cool, alternativ, indie<br />

machen. Aber wir sagen eben nicht, dass wir die neuen Silbermond sind, und wir inszenieren<br />

uns auch nicht als Indieband, sondern wir finden irgendwo dazwischen statt. Das<br />

verwirrt die Leute. Deswegen finden sie uns komisch und doof, deswegen verstehen sie<br />

uns oft nicht.<br />

Jennifer Weist: Man kann da eine lange Liste anlegen: Wir reißen immer unsere Fressen<br />

auf und sagen, was wir denken. Es wird sicherlich auch einige abschrecken, dass wir<br />

auf der Bühne viel Alkohol trinken. Wir trinken ja schon vor einem Konzert, quasi zum<br />

Vorglühen, damit der Auftritt dann für uns wie eine Party ist. Und dann gibt es auch<br />

noch die sehr expliziten Sexsachen.<br />

Christoph Deckert: Der große Vorteil dabei ist aber: Wenn man nie ernsthaft cool war,<br />

muss man sich um viele Dinge auch keinen Kopf machen. Das gibt uns eine gewisse<br />

Narrenfreiheit.<br />

uMag: Wenn man sich anschaut, worauf ihr euch bisher so eingelassen<br />

habt, dann muss es bei euch schon eine sehr grenzwertige Lust<br />

an trashigen TV-Formaten geben.<br />

Deckert: Wir haben sehr viele fragwürdige Fernsehauftritte gemacht, und es ist auch da<br />

so, dass wir nicht mit jeder Entscheidung glücklich sind, die wir getroffen haben. Aber<br />

wir haben das vorher immer abgestimmt. Es hat uns nie jemand gezwungen, in den<br />

„Fernsehgarten“ oder zu „The Dome“ zu gehen.<br />

Weist: Viele greifen uns deswegen an, aber ich muss ganz ehrlich sagen: Ich stehe zu<br />

allem, was wir gemacht haben. Wir hätten sonst nie fünf so spaßige Jahre gehabt.<br />

Walter: Vielleicht würden wir uns heute anders entscheiden, aber wir sind froh, dass<br />

wir diese Erfahrungen machen konnten.<br />

Deckert: Bei Sachen wie dem „Fernsehgarten“ sind wir ja auch nicht davon ausgegangen,<br />

dass wir einen Nutzen davon haben. Es war schon im Vorfeld klar, dass sich keiner der<br />

Zuschauer für uns interessiert. Wir wollten einfach mal diesen Schlagerfreizeitpark sehen und<br />

dann zu Vollplayback in einem Pool stehen und so tun, als würden wir einen Song spielen.<br />

uMag: Verhindern solche Auftritte nicht eine tiefergehende<br />

Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass Jennifer als sehr<br />

selbst bewusste Frau auf der Bühne steht, die sich zu ihrer<br />

Sexualität bekennt und sie offensiv auslebt? Jennifer, warum warst du<br />

bisher noch nie auf dem Cover der Missy?<br />

Deckert: Stimmt eigentlich, dein Umgang mit weiblicher Sexualität ist ja<br />

schon ziemlich fortschrittlich.<br />

>>


uMag 14<br />

Musik<br />

Weist: Vermutlich werfen sie mir Sexismus vor und<br />

machen keinen Unterschied, weil ich eine Frau bin.<br />

Ich finde ja auch, dass es etwas anderes ist, wenn<br />

ich bei Konzerten von den Mädels fordere, sie sollen<br />

sich ausziehen. Ich bin eben eine Frau, und meine<br />

Titte ist auf der Bühne auch schon rausgerutscht.<br />

uMag: Vor allem, weil du dabei ja ganz genau<br />

die Reaktion der Typen beobachtest und gegen<br />

chauvinistisches Gebaren scharf vorgehst. Wenn<br />

sie glimpflich davonkommen, sprichst du sie auf<br />

die Größe ihres Geschlechtsteils an oder forderst<br />

sie auf, ihren Schwanz mal vorzuzeigen.<br />

Weist: Trotzdem würde ich nicht sagen, dass ich<br />

das mache, weil es mir wichtig ist, den Feminismus<br />

voranzutreiben. Ich habe mal ein Seminar für junge<br />

Mädchen gegeben, die auch auf die Bühne wollten.<br />

Die haben mir dann etwa erzählt, dass sie nicht<br />

damit klarkommen, wenn der Techniker sie anmault,<br />

weil sie nicht wissen, was sie machen sollen. Mich<br />

mault auf der Bühne jedenfalls keiner an, weil ich<br />

ganz deutlich mache, dass das meine Bühne ist,<br />

und da spielt es auch keine Rolle, dass ich nicht bei<br />

jedem Stecker genau weiß, wo der reingesteckt<br />

wird. Da geht es um Selbstbewusstsein und meinetwegen<br />

auch um das Selbstbewusstsein, sich mal an<br />

Technik zu wagen. Wenn ich zu den Mädels im<br />

Publikum sage, sie sollen mal ihre Titten zeigen,<br />

dann ist doch klar, dass ich nicht Titten sehen will.<br />

Da steckt etwas dahinter, und danach könnte man<br />

mich schon mal fragen – aber irgendwie macht das<br />

keiner. Das ist dann wohl dieses Abgestempele.<br />

INCLUDING THE HITS<br />

STRONG &<br />

WASTING MY YOUNG YEARS<br />

OUT NOVEMBER 15<br />

WWW.UNIVERSAL-MUSIC.DE<br />

uMag: Mit dieser Stigmatisierung habt ihr auch<br />

ein Problem, wenn ihr verkündet, ihr wollt bei<br />

euren Konzerten keine Leute mit Shirts von<br />

Frei.Wild oder den Böhsen Onkelz sehen.<br />

Statt Anerkennung zu bekommen, weil ihr gegen<br />

Bands aus der Grauzone Stellung bezieht, wird<br />

euch auch noch vorgeworfen, ihr nutzt den Kampf<br />

gegen Bands mit rechtem Image für PR-Zwecke.<br />

Walter: Wir haben diesen Facebook-Eintrag nachts<br />

um eins im Tourbus geschrieben, und als wir am<br />

nächsten Morgen aufgestanden sind, hatten wir 6 000<br />

Kommentare. Sogar Todes drohungen waren dabei.<br />

Weist: Jetzt hat es diesen Shitstorm gegeben, dabei<br />

hatten wir vor drei Jahren auf einem Festival schon<br />

eine ganz ähnliche Situation. Da habe ich zu einem<br />

im Publikum gesagt, entweder er zieht sein Frei.Wild -<br />

Shirt sofort aus, oder er soll sich verpissen. Damals


,,<br />

uMag 15<br />

Musik<br />

Mich mault auf der<br />

Bühne jedenfalls keiner<br />

an, weil ich ganz deutlich<br />

‘‘<br />

mache, dass das<br />

meine Bühne ist.<br />

Jennifer Weist<br />

ist nichts passiert, das ist irgendwie untergegangen,<br />

was vielleicht daran liegt, dass Frei.Wild damals<br />

noch relativ unbekannt waren. Aber es ist schon<br />

interessant, dass uns jetzt vorgehalten wird, wir<br />

wären auf eine Welle aufgesprungen.<br />

Deckert: Die deutsche Poplandschaft ist so unfassbar<br />

bequem. Niemand will irgendwo anecken, und<br />

deswegen hält man sich schön aus allem raus.<br />

Wenn, dann sagt man höchstens, dass man Nazis<br />

doof findet. Aber klar: Alle außer den Nazis finden<br />

Nazis doof. Natürlich wollen auch wir nicht mit<br />

erhobenem Zeigefinger durch die Gegend laufen,<br />

wir wollen Freiraum lassen und nicht einfach nur<br />

eine Meinung vorgeben. Deswegen lassen wir einfach<br />

mal bestimmte Dinge fallen, und dann können sich<br />

die Leute selbst informieren.<br />

Weist: Zu unserer Single „Ein Schmerz und eine<br />

Kehle“ haben wir ein Statement zu Putin und der<br />

Diskriminierung von Homosexuellen in Russland<br />

aufgenommen, aber das wurde von den Medien<br />

ignoriert. Da gab es dann Dinge, die wichtiger<br />

waren: Tim Bendzko tanzt für seine neue Single<br />

auf einem Seil.<br />

uMag: Wobei „Ein Schmerz und eine Kehle“ ja<br />

nun auch nicht gerade der radiotauglichste Song<br />

von eurem neuen Album „Schlaflos“ ist …<br />

Weist: Radio ist für uns eh durch, die wollen uns<br />

einfach nicht.<br />

Walter: Man bekommt von den Sendern ja Feed -<br />

backzettel, und der schönste Kommentar war:<br />

„Nein, wir spielen die neue Single nicht, denn<br />

Jennifer Rostock sind komische Menschen.“<br />

Das war das schönste Kompliment, das wir bisher<br />

von einem Radiosender bekommen haben.


BIGGER ALS BERLIN<br />

Eigentlich wollten Paper & Places nur die Hauptstadt erobern. Doch das Indiepoptrio<br />

hat etwas, was sie auch international interessant macht: keine Identität.<br />

VON CARSTEN SCHRADER<br />

Foto: GHvC<br />

Jetzt bin ich also angekommen: in einem Dönerladen in Prenzlauer<br />

Berg“, sagt Harrison McClary und klammert sich an seine Flasche<br />

Augustinerbräu, die für ihn zwar kein Stück Heimat, wohl aber<br />

Repräsentant einer noch sehr jungen Vergangenheit ist. Vor anderthalb<br />

Jahren veröffentlichte die Regensburger Band Paper & Places eine<br />

EP namens „To Berlin“, und im Titelsong träumte der damals noch<br />

nicht volljährige McClary von seiner Flucht aus der Provinzstadt. „Es war<br />

als Chiffre fürs Unabhängigsein und die 1 001 Möglichkeiten der Großstadt<br />

gemeint. Die Stadt stand damals für die Fantasiewelt in meinem Kopf“,<br />

erklärt er.<br />

Getrieben von einer neuen Dringlichkeit<br />

Eins zu eins konnte Berlin auch gar nicht gemeint gewesen sein: Zum<br />

Zeitpunkt der Entstehung war McClary noch nie dort gewesen, und erst<br />

ein paar Tage nach der EP-Veröffentlichung absolvierte das Trio sein<br />

erstes Hauptstadtkonzert. „Ich war dann schon ein bisschen erleichtert,<br />

dass ich mit meinen Projektionen nicht so falsch gelegen habe und<br />

es mich wirklich gereizt hat, nach Berlin zu ziehen“, kommentiert er<br />

grinsend. Für einen definitiven Abgleich zwischen Fantasie und<br />

Realität ist es allerdings noch ein bisschen zu früh: „Ich wohne erst seit<br />

zwei Wochen und noch ohne Wohnung hier, und vermutlich verkläre<br />

ich auch, wenn ich sogar das Hinterzimmer von einem Durch schnitts -<br />

imbiss als sehr stimmig und stimmungsvoll empfinde“, sagt er und<br />

nimmt einen großen Schluck aus seiner Bierflasche.<br />

Es wird wohl noch ein bisschen dauern, bis sich bei ihm ein objektives<br />

Berlingefühl einstellt, denn die nächsten Wochen dürften für den<br />

Paper-&-Places-Sänger vor allem hektisch werden. Seit zwei Wochen<br />

läuft die Uni, zwischendurch hetzt er zu WG-Besichtigungen – und<br />

Ende November erscheint mit „No Home“ auch schon das Debütalbum<br />

seiner Band. Dann gilt es auch, logistische Probleme zu stemmen, weil<br />

Schlagzeuger Jo han nes an der Musikhochschule in Nürnberg studiert.<br />

Auch Bassist Marc weilt im Süden und ist derzeit noch unsicher, ob er<br />

den Sprung nach Berlin wagen soll.<br />

Vor allem wird McClary jetzt wieder viel über Regensburg reden müssen.<br />

Bei „To Berlin“ war die Sache noch klar – da waren Paper & Places<br />

einfach sehr junge Foals-Fans mit einem außergewöhnlichen Talent für<br />

Songwriting. „Die Foals sind der Grund, warum es unsere Band überhaupt<br />

gibt“, sagt McClary und hat überhaupt kein Problem mit seiner<br />

Liebe zu den britischen Kollegen. „Vor allem ich war da ein bisschen<br />

crazy: Ich habe die Foals vergöttert, und mit unserer Mischung aus Pop<br />

und innovativer Gitarrenmusik wollte ich ein ganz ähnliches Gefühl<br />

vermitteln wie sie.“ Doch wenn jetzt „No Home“ erscheint, reicht der


uMag 17<br />

Musik<br />

CHECKBRIEF<br />

BANDNAME Paper & Places<br />

MITGLIEDER Harrison McClary<br />

(Gesang, Gitarre), Marc Rauscher<br />

(Bass), Johannes Koch (Schlagzeug)<br />

GENRE Indiepop<br />

HERKUNFTSORT Regensburg<br />

JUGENDHELDEN Foals<br />

NAMENSÄNDERUNG Hießen früher<br />

Brics, mussten sich aber umbenennen,<br />

da das Wort bereits als Marke<br />

verwendet wurde<br />

AKTUELLES ALBUM „No Home“<br />

erscheint am 29. November<br />

ANSPIELTIPPS „Lovestuff“, „Whisper<br />

Whisper“, „Something Electric“<br />

LIVE 28. 12. Bielefeld,<br />

29. 12. Hamburg,<br />

30. 12. Berlin<br />

Verweis auf die Jugendhelden nicht mehr aus. Die zwölf neuen Songs<br />

sind von einer Dringlichkeit getrieben, die mit jugendlicher Be geister ung<br />

und Imitation längst nicht mehr zu erklären ist.<br />

Man wird den Mythos Provinz bemühen, um die Strahlkraft der drei<br />

Jungs zu erklären. „Natürlich bekommst du in einer Stadt wie Regens -<br />

burg sehr schnell Aufmerksamkeit, wenn es neben dir noch bestenfalls<br />

zwei andere Bands in deinem Alter gibt“, sagt McClary und grinst.<br />

„Aber ich kann nicht das Klischee befeuern, dass ich übermäßig gelitten<br />

hätte. Ich finde Regensburg nicht scheiße, schon allein deshalb nicht,<br />

weil es der erste Ort gewesen ist, an dem ich mehrere Jahre am Stück<br />

leben konnte“, spielt er auf seine amerikanische Herkunft an, die man<br />

zwar auch an einem leichten Akzent hört, die aber vor allem dann<br />

durchkommt, wenn er in emotionalen Momenten plötzlich englisch<br />

einstreut und sich dann nicht in der Lage sieht, eine deutsche Übersetzung<br />

zu finden, die eine ähnliche Tiefe ausdrücken kann.<br />

In der frühen Jugend ist er zwischen NRW und Tennessee gependelt,<br />

dann kam Regensburg, und bis zum Abi letztes Jahr ging das auch<br />

okay. Auf „No Home“ erzählt er von der Zeit zwischen der Fantasiewelt<br />

Berlin und seinem endgültigen Entschluss umzuziehen. „Regensburg<br />

ist gut, aber es geht noch besser“, bilanziert er die Trennungs ge schich te,<br />

an deren Ende die Erkenntnis stand, zu anders und zu ambitioniert für<br />

die Provinzstadt zu sein. Doch auch wenn es kein leichtes Jahr für<br />

McClary gewesen ist, haben nicht Hass, Wut und Verzweiflung den<br />

Albumtitel diktiert, sondern bestenfalls ein leichter Trotz: „Für mich<br />

steckt die Erkenntnis darin, dass ich momentan noch nicht einsehen<br />

will, ohne ein Zuhause womöglich nicht bestehen zu können.“<br />

Doch wenn es nicht das ganz große Provinzdrama war – wie sind Paper<br />

& Places dann zu diesem Album gekommen, auf dem sie so selbstverständlich<br />

zwischen unsagbar eingängigen Popsongs à la „Lovestuff“<br />

oder „Speak up“ und melancholischen Mini-Epen wie „Whisper<br />

Whisper“ und „Something Electric“ pendeln? „Ich weiß es nicht“,<br />

gesteht McClary, doch sein ratloses Gesicht verrät auch, dass es ihm<br />

durchaus Freude macht, über diese Frage nachzudenken. So stellt er<br />

nach kurzer Überlegungszeit das hohe Konfliktpotenzial zur Dis kus sion:<br />

„Unsere Band basiert nicht auf ähnlichen ästhetischen Konzepten: Wir<br />

sehen unterschiedlich aus, hören mit Ausnahme der Foals komplett<br />

verschiedene Musik, und selbst für die Entscheidung, welches Cover<br />

wir nehmen, brauchen wir unendlich lang und sind immer kurz davor,<br />

uns gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.“<br />

So nervig die Grabenkämpfe auch sind, für ihn sind sie unverzichtbar.<br />

„Deswegen spiele ich ja auch in einer Band. Denn der Gedanke, Songs<br />

ohne die Gegenwehr der anderen zu schreiben, reizt mich überhaupt<br />

nicht“, erklärt McClary, der bei Paper & Places den Popansatz vertritt,<br />

während Marc sich für Verschwurbelungen stark macht und Schlag -<br />

zeuger Johannes vom Jazz kommt. „Aber das ist eben auch der Grund,<br />

warum es bei uns keine klar ausformulierten Ziele gibt und bisher<br />

alles einfach so passiert ist.“<br />

Musik für identitätslose Boys und Girls<br />

Paper & Places haben nie davon geträumt, bei bestimmten Festivals zu<br />

spielen; gefragt jedoch wurden sie immer. Das Hamburger Label Grand<br />

Hotel van Cleef nahm sie unter Vertrag, ohne dass sie vorher monatelang<br />

nach einer Plattenfirma suchen mussten. Und sie haben sich nicht<br />

beraten, wie sie „No Home“ auf internationales Niveau bringen, auch<br />

das ist einfach passiert. „An schlechten Tagen halte ich uns deswegen<br />

für eine identitätslose Band, und da beruhigt mich dann nur der<br />

Gedanke, dass es in meiner Generation womöglich eh nur identitätslose<br />

Boys und Girls gibt.“<br />

Vielleicht ist es genau die Tatsache, dass Paper & Places nicht aus -<br />

definiert sind, weshalb sie zu den derzeit aufregendsten Newcomern<br />

zählen. Und vielleicht ist für eine Band mittlerweile die einzige überhaupt<br />

spannende Identität möglichst gar keine zu haben. Womöglich<br />

überwinden Acts wie Sizarr, Roosevelt, Pool und jetzt auch Paper &<br />

Places das Stigma eines deutschen Sounds, weil sie zu locker und zu<br />

offen für Schablonen sind. „Lassen wir es doch einfach sein, wie es ist“,<br />

sagt McClary lachend, während er aufsteht und sich seine schwarze<br />

Lederjacke anzieht. Er muss sich beeilen; zu seiner WG-Besichtigung in<br />

Pan kow kommt er bereits jetzt zu spät. Doch wenn die potentiellen Mit -<br />

bewohner schlau sind, lassen sie den Ex-Regensburger trotzdem nicht<br />

wieder gehen.


uMag 18<br />

Musik<br />

GESTATTEN:<br />

BANKS<br />

Wenn es derzeit jemanden gibt, der in puncto<br />

Offenheit keine halben Sachen macht, dann ist es<br />

Jillian Banks.<br />

Man muss nicht bis zum Sündenfall zurückdenken, um zu<br />

begreifen, dass Reiz und Risiko mitunter dicht beisammen<br />

stehen. Eine, die diese ambivalente Melange derzeit in Musik<br />

gießt, ist Jillian Banks, oder: BANKS. Den Songs der in Los<br />

Angeles lebenden Musikerin ist eine Schönheit eigen, die<br />

sich aus ihrer eigenen Abgründigkeit speist. Es wirkt, als<br />

beherrsche Banks ihre Songs im gleichen Maße wie sie von<br />

ihnen beherrscht wird. Ihre Vocals wirken einerseits kräftig,<br />

andererseits heiser und geradezu brüchig, die Stimme dringt<br />

durch Hallbeschichtung und windet sich inmitten zerhackter<br />

Basslandschaften. Die Texte verarbeiten universelle Themen,<br />

doch fällt es schwer wegzuhören. Denn Banks ist offen, macht<br />

sich verletzlich – etwas, zu dem sie nach eigenen Angaben<br />

ihr musikalisches Vorbild Fiona Apple inspiriert hat.<br />

„Before I ever met you<br />

I never knew that my heart could love so hard.<br />

Before I ever met you<br />

I never knew I could be enemies with this regard.<br />

Before I ever met you<br />

I never knew that I liked to be kissed for days.<br />

Before I ever met you<br />

I never knew I could be broken in so many ways.“<br />

aus: „Before I ever met you“<br />

Zwei EPs hat Banks in diesem Jahr veröffentlicht, „Fall over“<br />

und „London“, und bereits jetzt hat sie eine beachtenswerte<br />

Gruppe von Weggefährten – oder womöglich: -bereitern – für<br />

sich gewinnen können: S O H N, Totally Enormous Extinct<br />

Dinosaurs und Jamie Woon sind bereits als Produzenten für<br />

die Autodidaktin in Erscheinung getreten. Als Banks 15 Jahren<br />

war, bekam sie ein Spielzeugkeyboard geschenkt. Emotionale<br />

Stressbewältigung war damals ihr Antrieb zum Musikmachen<br />

und ist es offenbar noch heute: Jederzeit scheint das Risiko<br />

gegeben, man könnte etwas erfahren, dem man nicht ge -<br />

wachsen ist. Eben diesem Risiko setzt sich auch Banks aus –<br />

auf ihrer Facebook-Seite. Da steht: „Hello world! I like making<br />

connections outside of a computer screen. Twitter, Facebook<br />

and Instagram have never really been my thing. So my manager<br />

is going to run the Social Media stuff. If you ever want to<br />

talk, call me“. Ergänzt um ihre echte Telefonnummer. lan<br />

Foto: Melt! Booking


uMag 20<br />

Musik<br />

DIE ZWEISCHNEIDIGEN<br />

Postpunk 2013: Ist es jetzt unangepasst, wenn die Gruppe Messer Deutschlands wichtigsten<br />

Karriereplaner engagiert?<br />

VON CARSTEN SCHRADER<br />

Foto: Leo Ritz


uMag 21<br />

Musik<br />

CHECKBRIEF<br />

BANDNAME Messer<br />

MITGLIEDER Pascal Mayburg (Gitarre),<br />

Hendrik Otremba (Ge sang), Pogo<br />

McCartney (Bass), Philipp Meynberg<br />

(Schlagzeug)<br />

GENRE Postpunk, Wave<br />

HERKUNFTSORT Münster<br />

SONSTIGE BESCHÄFTIGUNGEN Neben<br />

der Arbeit an der Uni Münster und<br />

seiner Lehrtätigkeit an der Fach hoch -<br />

schule für Design arbeitet Hendrik als<br />

Lektor, malt die Cover der Messer-<br />

Platten und veröffentlicht journalistische<br />

Texte und Essays; Pogo ist Sozial<br />

arbeiter; Pascal studiert Kunst ge -<br />

schichte; Philipp macht einen zweiten<br />

Master in Literatur wissen schaft<br />

NERDTUM Bis vor kurzem haben sich<br />

die Bandmitglieder mit anderen<br />

Freunden regelmäßig zu einem<br />

Platten zirkel getroffen<br />

COVERVERSION Gemeinsam mit dem<br />

Schweizer Schlagersänger Dagobert<br />

haben sie „Bonnie and Clyde“ von<br />

Serge Gainsbourg und Brigitte Bardot<br />

gecovert<br />

AKTUELLES ALBUM<br />

„Die Unsichtbaren“<br />

Hendrik Otremba weiß, wie man Bomben platzen lässt: „Ich lebe<br />

gern und bin eigentlich ein recht glücklicher Mensch“,<br />

behauptet er mit einer ganz und gar eigenen Mischung aus<br />

Trotz und Belustigung. Natürlich ist dem Messer-Sänger nur zu<br />

bewusst, wie spektakulär seine Behauptung ist. Denn seit vor knapp<br />

anderthalb Jahren ihr Debüt „Im Schwindel“ erschien, wurde die<br />

Münsteraner Band für so ziemlich alles gefeiert – nur nicht für Lebens -<br />

freude. Selbst das Feuilleton würdigte ihren an Postpunk und ganz<br />

frühe Hamburger Schule erinnernden Sound mit kilometerlangen<br />

Analysen, in denen immer wieder Namen wie Kolossale Jugend, DAF,<br />

Einstürzende Neubauten, Sonic Youth und Fehlfarben fielen. Trotzdem<br />

scheint Otremba es mit seinem Beharren auf Auch-mal-gut-drauf aber<br />

ernst zu meinen: „Natürlich sind wir wütend, weil die Welt in vielen<br />

Belangen nun mal ganz schön scheiße ist, aber es gibt auch schöne<br />

Aspekte, an denen wir uns erfreuen.“ Und als würde er dem leicht<br />

gestelzten Ton auch nicht so ganz trauen, springt Schlagzeuger Philipp<br />

Waynberg seinem Bandkollegen bei: „Wenn mich an der ganzen Auf -<br />

merksamkeit im letzten Jahr etwas gestört hat, dann ist es die Tatsache,<br />

dass überall Hendriks Textzeile ,Die Wut, die mich zerfrisst, weil das<br />

Leben eine Lüge ist’ zitiert wurde – aber niemand beachten wollte, dass<br />

es dann mit ,weil das Leben meine Liebe ist’ weitergeht.“ Und da<br />

lächelt Otremba dann auch. „Genau, der zweite Teil tauchte nie auf,<br />

dabei ist diese Ambivalenz extrem wichtig.“<br />

Ambivalent ist auch die Erfolgsgeschichte von Messer. Die vier mit<br />

Punk sozialisierten Bandmitglieder veröffentlichen ihre Musik bei dem<br />

ebenfalls in Münster ansässigen Einmannlabel This Charming Man, das<br />

ansonsten nur rabiate Hardcoreplatten vertreibt, für die sich ausschließlich<br />

eine kleine, klar definierte Szene interessiert. Zwar findet<br />

man bei Messer durchaus auch zugänglichere Momente und<br />

Popsprengsel, die als Haltegriffe funktionieren, doch das Grundgerüst<br />

ist schroff. Und wenn man bedenkt, dass ihre Songs einer längeren<br />

Auseinandersetzung bedürfen und sich nicht zum Nebenbeihören eignen,<br />

verwundert der Massenzuspruch. „In Münster hat mir mal<br />

jemand die Theorie unterbreitet, dass die Leute den total weichgespülten<br />

Kram einfach satthaben, der in den letzten zwei Jahrzehnten die<br />

Indieszene dominiert hat“, versucht sich Otremba an einer Erklärung.<br />

Wenn man bedenkt, was etwa 20 Jahre nach der Hamburger Schule in<br />

der Stadt los war, könnte das zutreffen: Am Ende stand der<br />

Kumpelrock von Bands wie Tomte oder Kettcar, der die Ecken und<br />

Kanten zugunsten des Chartserfolgs abgeschliffen hatte. „Diese<br />

Wohlfühlmusik, die den Rückzug ins Private proklamiert, passt nicht<br />

mehr so recht in die Gegenwart“, kommentiert Waynberg. „Deswegen<br />

finde ich es gut, dass es in Deutschland gerade wieder einige Bands<br />

gibt, die versuchen, ein bisschen unangepasster zu sein.“ Er nennt Die<br />

Nerven, deren Berlinkonzert sich die beiden Messer am Vorabend mit<br />

großer Begeisterung angesehen haben. Und mit Bands wie Trümmer<br />

und 1000 Robota beziehen sich auch wieder junge Hamburger auf die<br />

borstigeren Traditionen ihrer Stadt.<br />

Aber wie geht das mit der Tatsache zusammen, dass sich Messer<br />

pünktlich zum zweiten Album von Deutschlands derzeitigem It-<br />

Manager Beat Gottwald vertreten lassen? „Wir wären unglaubwürdig,<br />

wenn wir die Entscheidungsgewalt abgegeben hätten, wie man uns<br />

vermarktet und anpreist, aber wir haben noch immer die Kontrolle<br />

darüber, wo wir stattfinden und wo nicht“, verteidigt Waynberg die<br />

Entscheidung, mit Gottwald zu arbeiten, der auch bei Casper und<br />

Kraftklub die Strippen zieht. Und Otremba freut sich, dass selbst aus<br />

ihrer alten DIY-Szene bisher nur selten der Ausverkauf-Vorwurf kam.<br />

„Die schätzen es, dass wir uns nicht verbiegen und trotzdem konsequent<br />

mit der Band weitermachen.“<br />

Hört man das neue Album, ist es tatsächlich kaum vorstellbar, dass<br />

sich Messer dazu bereit erklären würden, für Casper in Hallen mit<br />

Hartschalensitzen die Vorband zu geben. Trotzdem machen sie mit<br />

„Die Unsichtbaren“ einen großen Schritt nach vorn: Die Platte ist aufwändiger<br />

produziert; obwohl Messer die Postpunk-Referenzen etwa<br />

durch die Wahl bestimmter Effektgeräte noch verstärkt haben, steckt<br />

viel mehr Gegenwart in dem Album, und das durch die große<br />

Aufmerksamkeit gewonnene Selbstvertrauen spiegelt sich nicht zuletzt<br />

in den mitunter sehr persönlichen Texten Otrembas. Etwa in dem Song<br />

„Tiefenrausch“, in dem es um seinen schon vor längerer Zeit verstorbenen<br />

Vater geht. „Natürlich rede ich mit Leuten darüber, und ich habe<br />

auch früher mit Leuten darüber gesprochen, als mich das vielleicht<br />

noch mehr bewegt hat, aber sich auf dieser Ebene damit auseinanderzusetzen,<br />

ist einfach richtig geil. Gerade weil ich nicht richtig traurig<br />

bin und es mich fertig macht, sondern weil ich es in Kanäle leite, die<br />

es für mich zu Energie werden lassen“, erklärt er. „Das Schöne an diesem<br />

Song ist die Zweiteiligkeit: Ich singe den Text in dem sehr runtergefahrenen<br />

Part, dann gibt es eine Zäsur, und danach startet der instrumentale<br />

Part mit sehr viel mehr Drive. Wenn wir den Song live spielen,<br />

dann ist da bei mir das Gefühl: Nachdem ich es gesagt habe, legen die<br />

anderen los, die Fahrt geht voll nach vorn. Und das sagt mir dann: Es geht<br />

weiter.“ Und da ist sie dann wieder, die extrem wichtige Ambivalenz.


uMag 22<br />

Musik<br />

FRISCH ERSCHÖPFT<br />

Wenn Ruhe eine Tugend ist, ist Unruhe ihre Voraussetzung.<br />

Zumindest für Kevin Hamanns Projekt ClickClickDecker.<br />

Foto: Sophie Krische<br />

uMag: Kevin, gerade scheint die Zeit zufriedenstellender Rückschauen<br />

zu sein: Dein Label Audiolith hat vor ein paar Monaten zehnjähriges<br />

Bestehen gefeiert, und ClickClickDecker gibt es nun bereits seit zwölf<br />

Jahren. Verblassen angesichts dieser Beständigkeit die Zukunftsängste?<br />

Kevin Hamann: Diese Angst ist zum Glück immer da. Ich finde, es ist<br />

auch ein Antrieb, keine Gewissheit zu haben. Sonst wird man unbissig,<br />

ge setzt und vielleicht auch langweilig – und langweilt sich selbst.<br />

Sich er lich entwickelt sich eine gewisse Vertrautheit, aber an sich ist der<br />

Gedanke, wie lange es eigentlich noch weitergehen kann, wie lange<br />

man so weitermachen wird, immer da. Ich habe zum Beispiel seit zwei<br />

Jahren wieder einen festen Job. Das liegt nicht nur daran, dass ich es<br />

mit der Musik allein nicht schaffen würde, sondern auch daran, dass<br />

ich nach so vie len Jahren einfach mal wieder Lust hatte, einen richtigen<br />

Job zu machen.<br />

uMag: Und wo arbeitest du?<br />

Hamann: Ich arbeite gerade bei Barner 16, einer inklusiven Stätte in<br />

Hamburg Altona. Ich bin dort als Musiker angestellt und betreue mehrere<br />

Musikprojekte. Das Kollektiv Barner 16 beispielsweise, das ist eine<br />

Band, in der nur Musiker mit Handicap spielen.<br />

uMag: Könntest du dir vorstellen, etwas zu tun, das rein gar nichts mit<br />

Musik zu tun hat?<br />

Hamann: Zur Zeit eigentlich nicht, nein. Gerade bin ich sehr zufrieden,<br />

besonders weil ich meine Ausbildung zum Erzieher und die Musik verbinden<br />

kann. Das ist für mich ein Traum. Und hier komme ich auf<br />

deine Ausgangsfrage nach den Gedanken darüber zurück, wie lange so<br />

eine Musikkarriere anhalten kann: Ich versuche, mir wieder ein zweites<br />

Standbein aufzubauen und auch aus dieser Arbeit schöpfen zu können.<br />

uMag: Kommen wir dennoch auf deine Musik zu sprechen. Die musikalische<br />

Ausrichtung von ClickClickDecker hat sich während all der<br />

Jahre kaum verändert. Werden dir Nebenprojekte wie Bratze zu<br />

Ventilen für andere Bedürfnisse?<br />

Hamann: Genau, das ist ja das Schöne! Sei es Bratze als Elektro-, My<br />

First Trumpet als Instrumentalprojekt oder Ludger als Punkband: Ich<br />

kann mich austoben. So hat man nie den Drang, sich verändern zu<br />

müssen, sondern kann in den Schubladen hin und her springen. Ich<br />

fand es total super, in einem Jahr hundert Konzerte lang die Rampen -<br />

sau zu spielen, mich zum Schwitzen zu bringen und am Gerüst herumzuklettern.<br />

Und im nächsten Jahr stehe ich nur mit der Gitarre auf der<br />

Bühne und spiele den Weltumarmer. Bei ClickClickDecker konzentriere<br />

ich mich wieder aufs Texten – mir gefallen diese Gegensätze.<br />

uMag: Die Texte stehen auch auf deiner neuen Platte „Ich glaub dir gar<br />

nichts und irgendwie doch alles“ wieder sehr zentral und wirken in<br />

ihrer befindlichen, introvertierten Art wie Teil einer Hamburger Szene,<br />

die inzwischen so nicht mehr existiert.<br />

Hamann: Als Teil einer Szene habe ich mich nie gefühlt. Ich kam erst<br />

nach der Hamburger Schule und mochte irgendwie alles: den Befind -<br />

lichkeitsrock von Kettcar, den Schnödderrock von Element Of Crime,<br />

den Erzähler-Country von Nils Koppruch. Ich habe versucht, aus all dem<br />

zu schöpfen, und bin dann dann eben eher auf die Empfindsamkeits -<br />

schiene geraten – das habe ich mir schon mal anhören dürfen. (lacht)<br />

Und ich kann ja auch nachvollziehen warum.<br />

uMag: Wo wir schon bei Rückschauen sind: Mit „Emmelsbüll und die<br />

letzten 12“ erscheint bald ein Film über dich – eine nostalgische<br />

Aufarbeitung?<br />

Hamann: Ja, eine Aufarbeitung beziehungsweise Abarbeitung der letzten<br />

zwölf Jahre. Die Fotografin, Regisseurin und Filmerin, die ihn<br />

gemacht hat, hat uns jetzt anderthalb Jahre begleitet, war bei allen<br />

Aufnahmen zur neuen Platte dabei, hat Fotos gemacht und gefilmt, und<br />

das schöpfen wir komplett aus. Nebenbei hat sie Interviews mit vielen<br />

Leuten geführt, die an unserer oder meiner Seite gestanden haben und<br />

teilweise immer noch stehen. Mein Herz pocht schneller, wenn ich ihn<br />

sehe. Ich kann es nicht erwarten, ihn Leuten zu zeigen. lan


uMag 23<br />

Musik<br />

AKTION<br />

MIT JACK DANIEL´S<br />

WINTER JACK KANN<br />

DER WINTER KOMMEN<br />

Foto: Chess Club/RCA Victor<br />

BOSS OF THE BOYS<br />

Die Dänin Karen Marie Ørsted alias MØ nimmt politische<br />

Statements nicht allzu ernst. Dabei hat sie wichtige Dinge<br />

zu sagen.<br />

uMag: Karen, seit deinem letzten Gespräch mit uMag hat sich viel<br />

getan – vor allem hast du bei Sony unterschrieben. Strebst du<br />

bewusst die internationale Karriere an?<br />

Karen Marie Ørsted: Wir haben uns für Sony entschieden, weil sie<br />

mich nicht in irgendeiner Art verändern wollten. Sie waren bereit,<br />

meine Visionen, meine Ideen und mein Aussehen beizubehalten, und<br />

sie wollten mit den Songs weitermachen, die ich bereits geschrieben<br />

hatte. Ich könnte mich auch gar nicht vollkommen ändern, das jungenhafte<br />

Mädchen bin ich immer schon gewesen. Ich will einfach<br />

keine dieser Frauen sein, die jungen Mädchen vormachen, dass man<br />

perfekt und schön sein muss – davon gibt es genug!<br />

uMag: Anstatt dich mit musikalischen Vergleichen zu konfrontieren,<br />

machen wir es doch einmal andersherum: Gibt es Vergleiche, die dir<br />

schmeicheln würden?<br />

Ørsted: Die zwei Frauen, zu denen ich immer aufgeschaut habe, sind<br />

Kim Gordon von Sonic Youth und Karen O von den Yeah Yeah Yeahs.<br />

Ich finde nicht, dass ich ihnen musikalisch ähnle, möchte in meiner<br />

Musik aber dieselbe Energie transportieren wie sie. Vielleicht schaffe<br />

ich das irgendwann. Sie sind einfach die coolsten Frauen der Welt!<br />

uMag: Im Video zu „Glass“ trägst du eine Jacke mit der Aufschrift<br />

„Boss of the Boys“ – ein feministisches Statement?<br />

Ørsted: Ich bin durchaus eine Feministin, dieser Umstand sollte aber<br />

nicht wichtiger werden als die Musik selbst. Viele meiner besten<br />

Freunde sind Jungs, da fand ich es lustig, der „Boss of the Boys“ zu<br />

sein. Es ist ein wenig ironisch gemeint, aber natürlich kann man<br />

sagen, dass es eine feministische Aussage ist. Allgemein finde ich es<br />

wichtig, seine Position in der Musik zu vertreten und kritisch über die<br />

Gesellschaft zu urteilen, die ja vollkommen kaputt ist. Die politische<br />

Seite sollte aber nicht allein im Fokus stehen. all<br />

Bald glitzert alles wieder wie gezuckert, weil der Schnee Stadt und<br />

Land in eine weiße Pracht gehüllt hat. Jetzt heißt es: Winterjacke an<br />

und dann mit den Freunden raus zum Rodeln! Zum Abschluss eine<br />

gepflegte Schneeballschlacht und dann gemeinsam noch einen entspannten<br />

Abend verbringen – herrlich! Wie, du hast gar keinen<br />

Schlitten? Dann gewinne jetzt mit Jack Daniel’s Winter Jack alle<br />

Zutaten für coole Wintertage mit deinen Freunden. Damit kannst du<br />

nach dem Rodeln leckeren Jack Daniel’s Winter Jack aus Original -<br />

bechern genießen. Mit dem feinen Geschmack von Zimt, Nelken und<br />

weihnachtlichen Gewürzen erobert die Mischung aus Apfelsaft und<br />

Jack Daniel’s Tennessee Whiskey alle Jahre wieder Herzen und<br />

Gaumen ihrer Fangemeinde. Weitere Infos dazu gibt es auf<br />

www.winterjack.de.<br />

Wer dieses tolle Winter-Jack-Paket, bestehend aus dem legendären<br />

Winter-Jack-Schlitten, einer Flasche Jack Daniel’s Winter Jack<br />

und zwei passenden Bechern, gewinnen möchte, schickt einfach<br />

bis zum 29. Januar eine E-Mail mit dem Betreff „Jack Daniel’s<br />

uMag“ an info@bunkverlag.de.<br />

Teilnahme ab 18 Jahren.<br />

www.massvoll-geniessen.de


uMag 24<br />

uMag präsentiert<br />

LIVETIPP<br />

ORCHESTRIERTER<br />

WAHNSINN MIT<br />

JÄGERMEISTER<br />

Ein überdimensionaler Ghettoblaster, das<br />

legendäre Hamburger DJ Orchester und die<br />

Crème de la Crème des deutschen HipHop – das<br />

sind die Zutaten für den orchestrierten Wahn -<br />

sinn, mit dem die „Wolfenbütteler Festspiele“,<br />

die neue Musikplattform von Jägermeister, am<br />

13. De zember im Uebel & Gefährlich ihr Debüt<br />

feiern. Die Show wartet mit einem neuen,<br />

abgefahrenen Konzept auf: Das Ham burger DJ<br />

Orchester führt nicht nur durch den Abend,<br />

die Jungs mischen sich auch unters Publikum<br />

und dirigieren von dort aus die überdimensionale<br />

Boom box auf der Bühne. Der wird im<br />

Laufe des Abends alles entsteigen, was im deut -<br />

schen HipHop Rang und Namen hat. Freut<br />

euch also auf fantastische Live auf tritte eurer<br />

HipHop-Helden und einen Wahn sinnstrip<br />

durch die Geschichte des Rap. Die „Wolfen -<br />

bütteler Fest spiele“ nehmen euch mit auf<br />

einen Flug durch Zeit, Raum, Beats und Raps.<br />

Tickets gibt es für 10 Euro an der Abendkasse,<br />

Einlass ab 0 Uhr.<br />

Weitere Informationen gibt es auf<br />

www.jaegermeister.de/festspiele.<br />

Jägermeister ab 18 – für verantwortungsvollen Genuss<br />

DEAR READER<br />

Foto: Cameron Wittig Foto: Ravi Panchia<br />

POLIÇA<br />

Der düstere Pop hybrid<br />

von Poliça ist weit<br />

mehr als die Summe<br />

seiner Teile. Gleich<br />

zwei Schlagzeuge<br />

sorgen für vielseitige<br />

Beats, ein Bass für die<br />

Tiefen und Channy Leaneaghs geisterhafter<br />

Gesang für Härte und Fragilität zugleich. Der<br />

Zauber Poliças schwebt irgendwo inmitten<br />

all dessen.<br />

TOUR 25. 1. Hamburg – 27. 1. Berlin – 28. 1. Köln<br />

SATELLITE STORIES<br />

Foto: FKP Scorpio<br />

Ha! Die Finnen können gar nicht nur Metal<br />

und Hardrock: Satellite Stories erinnern un -<br />

weigerlich an Two Door Cinema Club und<br />

liefern mit ihrem flirrenden Indiepop Sturm<br />

und Drang in Songform. Bloghype hin,<br />

Vergleiche her, we are dancing everywhere.<br />

TOUR 4. 2. Hamburg – 9. 2. Köln – 19. 2. München – 20. 2. Berlin<br />

Die Dear-Reader-Vorsteherin Cherilyn MacNeil<br />

kann die Füße einfach nicht stillhalten: Nach<br />

Soundtrackarbeiten zum Indiekinohit „Oh<br />

Boy“ nahm sie erst ein Studio- und im An -<br />

schluss ein Livealbum mit Orchester auf. Für<br />

die aktuelle Tour reduziert die gebürtige<br />

Südafrikanerin sich wieder aufs klassische<br />

Bandformat, um ihre zart gesungenen Kom -<br />

po sitionen zwischen Indie- und Kammerpop<br />

auf die Bühne zu bringen.<br />

TOUR 2. 12. Jena – 1. 1. Berlin – 15. 1. Nürnberg<br />

16. 1. Stuttgart – 17. 1. Regensburg – 18. 1. Mannheim<br />

19. 1. Frankfurt – 21. 1. Aachen – 22. 1. Bochum<br />

23. 1. Halle – 24. 1. Bremen – 25. 1. Osnabrück<br />

MILKY CHANCE<br />

Begonnen als Solo -<br />

projekt, hat sich Milky<br />

Chance inzwischen<br />

zum Duo erweitert.<br />

Clemens Rehbein und<br />

Philipp Dausch verzah -<br />

nen zurückhaltende<br />

elektronische Beats mit Reggae, Folk und Pop<br />

– und schmieden daraus unbestreitbare Ohr -<br />

würmer wie „Stolen Dance“ und „Feathery“.<br />

Foto: David Ulrich<br />

TOUR 31. 1. Osnabrück – 3. 2. Hamburg – 5. 2. Bremen<br />

6. 2. Kiel – 7. 2. Berlin – 11. 2. Dresden – 12. 2. Leipzig<br />

14. 2. Nürnberg – 17. 2. München – 22. 2. Frankfurt<br />

24. 2. Konstanz – 28. 2. Stuttgart<br />

BLITZKIDS MVT.<br />

Zuletzt waren Blitz -<br />

kids mvt. als Support<br />

für Icona Pop unterwegs<br />

– das gibt in<br />

Sachen Feiertauglichkeit<br />

schon einmal die<br />

Hausnummer vor. Das Kollektiv um Sängerin<br />

Noma heizt Tanzwütigen mit Elektropop und<br />

Euphorie ein – die Clubs auf ihrer ersten<br />

Headliner show dürften brennen.<br />

Foto: Björn Jonas<br />

TOUR 23. 1. Hamburg – 24. 1. Frankfurt – 25. 1. Karlsruhe<br />

31. 1. Braunschweig – 1. 2. Nürnberg – 2. 2. München<br />

3. 2. Berlin


uMag 25<br />

Musik<br />

BYE BYE, BEIWERK<br />

Das Bodi-Bill-Splitprojekt Unmap ist von der Kunstin<br />

die Popwelt umgezogen. Und Umzüge sind stets<br />

Anlass, überflüssigen Krempel wegzuschmeißen.<br />

Foto: Christoph Neumann<br />

Unmap<br />

uMag: Mariechen, Alex, Thomas, Matze, das Unmap-Debüt<br />

„Pressures“ ist gerade erschienen – das Ende einer Reise, die<br />

ganz anders begonnen hat, oder?<br />

Mariechen Danz: Ich wollte echte Poplieder für meine<br />

Performances, die mehr waren als: Ich singe, du machst den<br />

Beat. Ich brauchte mehr Zugänglichkeit. Also hat Alex begonnen,<br />

mit mir Songs zu schreiben.<br />

Alex Stolze: Und als klar wurde, dass es sehr bass- und<br />

schlagzeuglastiges Material war, das geil umgesetzt werden<br />

musste, haben wir uns 2011 mit Matze und Thomas zwei Leute<br />

vom Fach dazugeholt.<br />

uMag: Es fallen bei euch dementsprechend die Kunst- und die<br />

Musikwelt zusammen.<br />

Stolze: Seit ich sie kenne, hat Mariechen ein Faible für die<br />

Popwelt – und ich wiederum für Kunst. Wir konnten uns austauschen<br />

und haben einander verstanden. Es war wie eine<br />

Sprache, die sowieso im Raum stand.<br />

uMag: Also gab es keinen ersichtlichen Graben zwischen<br />

euren Welten?<br />

Stolze: Ein Freund hat es mal sehr treffend gesagt: In der<br />

Kunstwelt versucht man, eine klare Linie zu fahren, und am<br />

Ende gibt es hoffentlich einen Käufer. In der Popwelt will man<br />

zwar auch etwas Einzigartiges schaffen, doch man versucht,<br />

damit eine Breite zu erreichen. Man öffnet sich der großen Welt.<br />

uMag: Die eher archaischen Texte legen nahe, dass ihr auf<br />

dem Weg zum Endergebnis viel experimentiert und wieder<br />

verworfen habt.<br />

Thomas Fietz: Das Studio war wie ein Sieb mit einer Presse<br />

darunter. Bevor wir ins Studio gegangen sind, war vieles total<br />

überladen und entfremdet, und in den ersten Tagen haben wir<br />

bestimmt 50 Prozent wieder verworfen.<br />

Stolze: Das Tolle war, dass im Grunde die Ursprungsideen, die<br />

schon ein oder zwei Jahre alt waren, übriggeblieben sind.<br />

Danz: Das ist eh eine gute Art zu arbeiten: mit viel beginnen und<br />

dann wegschmeißen, bis nur noch bleibt, was man braucht. lan<br />

21.03.14 MÜNCHEN<br />

22.03.14 A-WIEN<br />

24.03.14 FREIBURG<br />

25.03.14 STUTTGART<br />

27.03.14 HANNOVER<br />

06.03.14 A-WIEN<br />

07.03.14 A-WIEN<br />

11.03.14 MANNHEIM<br />

12.03.14 STUTTGART<br />

13.03.14 FREIBURG<br />

14.03.14 KARLSRUHE<br />

ADEL TAWIL TOUR 2014<br />

28.03.14 SCHWERIN<br />

29.03.14 BERLIN<br />

31.03.14 MAGDEBURG<br />

01.04.14 KÖLN<br />

03.04.14 HAMBURG<br />

KURT KRÖMER<br />

KURT KRÖMER TOUR 2014<br />

16.03.14 ZWICKAU<br />

17.03.14 NÜRNBERG<br />

18.03.14 MÜNCHEN<br />

20.03.14 MÜNSTER<br />

21.03.14 BREMEN<br />

22.03.14 HAMBURG<br />

04.04.14 OBERHAUSEN<br />

05.04.14 NÜRNBERG<br />

07.04.14 LEIPZIG<br />

08.04.14 CHEMNITZ<br />

09.04.14 SAARBRÜCKEN<br />

24.03.14 FRANKFURT<br />

25.03.14 CH-ZÜRICH<br />

26.03.14 CH-ZÜRICH<br />

28.03.14 LEIPZIG<br />

29.03.14 LEIPZIG<br />

31.03.14 DRESDEN<br />

11.04.14 FRANKFURT<br />

12.04.14 ERFURT<br />

13.04.14 HALLE / WESTF.<br />

LIVE!<br />

01.04.14 DRESDEN<br />

03.04.14 BERLIN<br />

04.04.14 BERLIN<br />

05.04.14 BERLIN<br />

06.04.14 BERLIN<br />

TICKETS SIND ERHÄLTLICH UNTER WWW.TICKETMASTER.DE<br />

UND AN ALLEN BEKANNTEN VORVERKAUFSSTELLEN<br />

WWW.LIVE-LEGEND.DE


LANG LEBE LOFI!<br />

Für ihr zweites Album „Green Disco“ hat Justine Electra<br />

verflixte sieben Jahre gebraucht. Doch die in Berlin lebende<br />

Australierin ist sich sicher: Weird-Pop und Spielzeuglärm<br />

haben wir immer noch dringend nötig.<br />

uMag 26<br />

Musik<br />

uMag: Justine, das Vice-Magazin hat das Cover von „Green Disco“ zum<br />

hässlichsten Cover aller Zeiten gekürt. Wie findest du das?<br />

Justine Electra: Was? Ich dachte bloß zum hässlichsten Cover des Monats!<br />

Das ist aber gemein (lacht) Nein, ich mag es sehr. Es ähnelt dem Cover<br />

von „Soft Rock“; ich denke, das nennt man Branding. (lacht)<br />

uMag: Warum hat es so lange gedauert, dein zweites Album aufzunehmen?<br />

Electra: Wenn du keinen Plattenvertrag hast, der für drei Alben in<br />

Folge abgeschlossen wurde, wartest du darauf, dass dein Label das<br />

neue Material veröffentlichen will. Meine Plattenfirma wollte zwar ein<br />

zweites Album machen, aber sie waren zu beschäftigt mit anderen<br />

Sachen. Als klar war, dass sie keine Zeit hätten, die Platte rauszubringen,<br />

war schon ziemlich viel Zeit vergangen. Ich musste also nach<br />

einer anderen Möglichkeit gucken, die neuen Songs zu veröffentlichen.<br />

uMag: Wie schon auf dem Debüt bedienst du dich vieler LoFi-<br />

Elemente. Wieso, denkst du, hat das in diesem hochtechnologischen<br />

Zeitalter noch seinen Reiz?<br />

Electra: Die Leute wollen überrascht werden, und sie mögen die<br />

Intimität, die dieser Sound schafft. Er löst etwas Bestimmtes in ihnen<br />

Foto: Hannes Frueh<br />

Electra<br />

aus, weckt nostalgische Gefühle und spendet eine Geborgenheit, die<br />

Techno logie so nicht geben kann. Kennst du Tunng? Ich mag, wie sie<br />

Dance-Landschaften in ihren Sound integrieren und diese so verändern,<br />

wie es der Song erfordert. Ich habe bei „Wild Country Boy“ auch<br />

versucht, den Sound durch den Song galoppieren zu lassen.<br />

uMag: Und wer rappt auf „Boozy Shoes“?<br />

Electra: Na, ich natürlich! vr


uMag 27<br />

uMag hat gewählt<br />

Foto Lasse Nehren und Carsten Schrader: Elisabeth Graf Gatterburg, Foto Mitja Steffens: privat<br />

DIE BESTEN ALBEN UND SONGS 2013<br />

CARSTEN SCHRADER<br />

ärgert sich, dass der Mercury Prize schneller<br />

war als seine Jahrescharts. Ob James Blunt<br />

seine Liebe jetzt noch würdigt? Außerdem<br />

hat er die Songliste nur mit dem Zusatz<br />

„unter Vorbehalt“ rausgerückt: Am 6. Dezember erscheint<br />

eine neue Single von Ja, Panik, die bei Redaktions schluss<br />

noch nicht vorlag.<br />

DIE BESTEN ALBEN<br />

1. James Blake: Overgrown 2. Disclosure: Settle 3. Every -<br />

thing Everything: Arc 4. London Grammar: If you wait<br />

5. Atoms For Peace: Amok 6. Daughter: If you leave 7. Son<br />

Lux: Lanterns 8. Tocotronic: Wie wir leben wollen 9. Poliça:<br />

Shulamith 10. Arcade Fire: Reflektor 11. Mount Kimbie: Cold<br />

Spring fault less Youth 12. John Grant: Pale green Ghosts<br />

13. Moderat: II 14. King Krule: Six Feet beneath the Moon<br />

15. Austra: Olympia 16. No Ceremony///: No Ceremony///<br />

17. Vampire Weekend: Modern Vampires of the City 18. These<br />

New Puritans: Field of Reeds 19. Coco Rosie: Tales of a Grass -<br />

Widow 20. Trentemøller: Lost<br />

DIE BESTEN SONGS<br />

1. Daughter: Youth 2. James Blake: Retrograde 3. S O H N:<br />

Bloodflows 4. London Grammar: Wasting my young Years<br />

(H. Schwartz Remix) 5. Baths: Miasma Sky 6. Son Lux: Lost<br />

it to trying 7. Der Ringer: Ein Jahr mehr 8. Arthur Bea trice:<br />

Grand Union 9. Mr. Little Jeans: Oh Sailor 10. The Dash woods:<br />

Passin’ Youth 11. Foals: My Number 12. Trümmer: In all<br />

diesen Nächten 13. The Hidden Cameras: Gay Goth Scene<br />

14. Messer: Neonlicht 15. Chvrches: The Mother we share<br />

16. Moderat: Bad Kingdom 17. Aluna George: Attracting Flies<br />

18. The National: I should live in Salt 19. Maya Jane Coles:<br />

Everything 20. Vampire Weekend: Step<br />

LASSE NEHREN<br />

hätte seinen inoffiziellen Jahreshit ja gern in<br />

die Charts aufgenommen, nur hat sich bislang<br />

kein Label bereit erklärt, den Crystal-<br />

Castles-Wannabe-Song des Brötchenback -<br />

automaten aus dem lokalen Supermarkt zu veröffentlichen.<br />

Hat nun außerdem die Hoffnung, dass sich Cold-Laugen -<br />

knoten-Wave 2014 als Genre etabliert.<br />

Foto: Scott Barber<br />

DIE BESTEN ALBEN<br />

1. Moderat: II 2. Daughter: If you leave 3. James Blake:<br />

Overgrown 4. Son Lux: Lanterns 5. Poliça: Shulamith<br />

6. No Ceremony///: No Ceremony/// 7. Disclosure: Settle<br />

8. Autre Ne Veut: Anxiety 9. Jon Hopkins: Immunity<br />

10. Mount Kimbie: Cold Spring Fault Less Youth 11. Darkside:<br />

Psychic 12. Deptford Goth: Life after Defo 13. Everything<br />

Everything: Arc 14. Bonobo: The North Borders 15. Majical<br />

Cloudz: Impersonator 16. Lapalux: Nostalchic 17. Flume:<br />

Flume 18. Tricky: False Idols 19. DJ Koze: Amygdala<br />

20. Savages: Silence yourself<br />

DIE BESTEN SONGS<br />

1. Grizzly Bear: Sleeping Ute (Nicolas Jaar Remix)<br />

2. Son Lux: Lost it to trying 3. Daughter: Youth 4. James<br />

Blake: Take a Fall for me 5. S O H N: Red Lines 6. Mount<br />

Kimbie: Made to stray 7. Moderat: Milk 8. Flume: Sleepless<br />

feat. Jezzabell Doran 9. S O H N: Lessons (XO Edit) 10. Aluna -<br />

George: Attracting Flies 11. Hannes Rasmus: Wir sind hier<br />

nicht in Detroit, Dirk 12. Barbarossa: The Load 13. Foals:<br />

Late Night 14. Autre Ne Veut: Counting 15. Disclosure: Latch<br />

feat. Sam Smith 16. Kisses: The hardest Part 17. Mø: Waste<br />

of Time 18. Rhye: Hunger 19. New Found Land: Everything<br />

works 20. The National: I should live in Salt<br />

MITJA STEFFENS<br />

hat Milky Chance in der Juni-Ausgabe mit<br />

einem Gestatten-Text vorgestellt, ein halbes<br />

Jahr später führt das Kasseler Duo mit<br />

„Stolen Dance“ die deutschen Singlecharts<br />

an. Seitdem belagern Plattenfirmenmitarbeiter und Head -<br />

hunter jeglicher Art die Redaktionsräume, um ihm unmoralische<br />

Angebote zu machen.<br />

DIE BESTEN ALBEN<br />

1. Milky Chance: Sadnecessary 2. Woodkid: The golden Age<br />

3. Kakkmaddafakka: Six Months is a long Time 4. HVOB:<br />

HVOB 5. Devendra Banhart: Mala 6. Daft Punk: Random<br />

Access Memories 7. DJ Koze: Amygdala 8. David August:<br />

Times 9. Stimming: Stimming 10. Is Tropical: I’m leaving<br />

11. Moderat: II 12. Darkside: Psychic 13. Jack Johnson: From<br />

here to now to you 14. Junip: Junip 15. Disclosure: Settle<br />

16. Atoms for Peace: Amok 17. Gesaffelstein: Aleph 18. Super<br />

Flu: Halle Saale 19. Daniel Bortz: Patchwork Memories<br />

20. Girls In Hawaii: Everest<br />

DIE BESTEN SONGS<br />

1. Woodkid: Run Boy run 2. Only Real: Backseat Kissers<br />

3. Vance Joy: Riptide 4. Uniform Motion: The Telephone<br />

Box 5. Claire: Games 6. Rhye: Open 7. Fyfe: St. Tropez<br />

8. James Blake: Retrograde 9. Crystal Fighters: You & I<br />

10. Steven Maff: Johnny 11. Jungle: Platoon 12. The XX:<br />

Reconsider (Jamie XX Edit) 13. Kanye West: Black Skinhead<br />

14. Robosonic & Adana Twins: La Fique 15. Bilderbuch:<br />

Maschin 16. Mikhael Paskalev: I spy 17. Daniel Dexter:<br />

Sirens (Gramufon Con Carbe Remix) 18. Marika Hackman:<br />

Bath is black 19. DE NA: Cash, diamond Rings, Swimming<br />

Pools 20. King Krule: Border Line<br />

TYLER WARD<br />

DER YOUTUBE STAR AUS DEN USA<br />

DAS NEUE<br />

ALBUM<br />

HONESTLY<br />

JETZT IM HANDEL!<br />

INKL. HIT-SINGLE<br />

FALLING (FEAT. ALEX G.)<br />

www.youtube.com/tylerwardmusic // www.tylerwardmusic.com // www.twitter.com/tylerwardmusic // www.facebook.com/tylerwardmusic


KETTENREAKTION, BITTE!<br />

Mode muss schön sein! Falsch, Mode muss vor allem: niemandem wehtun. Martin Höfeler will<br />

das mit seinem nachhaltigen Fashionlabel Armedangels erreichen. Nebenbei strebt er auch noch<br />

die Weltherrschaft an.<br />

VON ELLEN STICKEL


uMag 28<br />

Style<br />

CHECKBRIEF<br />

NAME Martin Höfeler<br />

ALTER 31<br />

AUS Köln<br />

STUDIERT BWL –<br />

mehr oder weniger<br />

PLANT die Ökorevolution<br />

LABEL Armedangels<br />

www.armedangels.de<br />

Eingestürzte Textilfabriken, verseuchtes Grundwasser, Kinder -<br />

arbeit – wenn man sich in ein tolles neues Shirt verliebt und es<br />

kauft, sind das sicher nicht die Bilder, die vor dem inneren<br />

Auge aufpoppen. Für Martin Höfeler schon, denn der Gründer des Ökomodelabels<br />

Armedangels kämpft seit einigen Jahren gegen die Wind -<br />

mühlen, die Textilbranche heißen. Seine Waffen: Überzeugungskraft, jede<br />

Menge Enthusiasmus und ein Schuss naiven Glaubens<br />

,,<br />

an das Gute.<br />

Ob das ausreicht? Sieht so aus.<br />

uMag: Martin, euer Label Armedangels habt<br />

ihr vor sechs Jahren während des Studiums<br />

gegründet, eigentlich eher als Übungsprojekt.<br />

Inzwischen ist es deutlich mehr als das …<br />

Martin Höfeler: Ja, ich habe während des BWL-<br />

Studiums Anton Jurina kennengelernt, und wir<br />

haben beide schnell gemerkt, dass wir eigentlich<br />

nur studieren, um irgendwann ein eigenes<br />

Unternehmen aufbauen zu können. Wir habe<br />

nicht darüber nachgedacht, dass Armedangels<br />

irgendwann so groß werden könnte, dass wir<br />

nicht mehr zum Studieren kommen. Ich bin zwar<br />

immer noch eingeschrieben, weil es meinen<br />

Eltern sehr wichtig war, dass ich mein Studium<br />

zu Ende mache. Aber mittlerweile ist ihnen<br />

das wohl auch schon fast egal.<br />

uMag: Ihr habt relativ schnell prominente<br />

Testi monials wie Thomas D, Jürgen Vogel oder Sibel Kekilli an Land<br />

gezogen. Wie wichtig war das für euch?<br />

Höfeler: Für uns ist alles wichtig, was die Marke weiterträgt. Dazu<br />

gehören die Testimonials, aber auch die Kunden, die davon weiter -<br />

erzählen. Ganz am Anfang haben wir unsere Idee auf einem Blatt<br />

Papier skizziert, hatten aber nicht das nötige Geld, denn bei der Textil -<br />

produktion muss man am Anfang viel in Vorleistung gehen. Wir haben<br />

verschiedene Investoren angefragt, aber die meisten sagten uns: Ihr<br />

habt ja gar keine Chance. Ihr produziert für mehr Geld als konventionelle<br />

Marken, zahlt locker das Doppelte, wollt aber mit den Preisen<br />

nicht höhergehen. Wir sagten aber: Doch, das wird funktionieren. Klar,<br />

wir machen vielleicht nicht die Gewinne wie die anderen und können<br />

nicht so viel für Marketing ausgeben, aber vielleicht ist das auch gar<br />

nicht notwendig. Vielleicht können sich manche Dinge auch einfach<br />

dadurch entwickeln, dass sie weitergetragen werden.<br />

Wenn du ein T-Shirt<br />

hast, das eine super Ökobilanz<br />

hat, aber leider<br />

völlig kratzt oder komplett<br />

einläuft, dann ist uns auch<br />

‘‘<br />

nicht geholfen.<br />

Martin Höfeler<br />

uMag: Was waren die größten Veränderungen seit Gründung des Labels?<br />

Höfeler: Puh, viele! Zu Anfang haben wir mit gerade mal sechs<br />

ver schiedenen Printshirts angefangen, unsere aktuelle Kollektion hat<br />

450 Teile. Außerdem haben wir in den vergangen Jahren sehr hart<br />

daran gearbeitet, unsere gesamte Produktionskette so zu gestalten,<br />

dass wir sicherstellen können, dass umweltgerecht produziert wird und<br />

faire Arbeitsbedingungen herrschen. Früher waren unsere Produkte<br />

lediglich Fairtrade, aber dieses Zertifikat<br />

bezieht sich hauptsächlich auf den Rohstoff<br />

Baumwolle an sich. In der Textil branche ist es<br />

aber ja so, dass sehr viele Schritte notwendig<br />

sind, bis ein Kleidungs stück entsteht.<br />

uMag: Baumwolle ist ein sehr beliebtes<br />

Material, braucht aber sehr viel Wasser im<br />

Anbau. Wie geht ihr damit um?<br />

Höfeler: Es gibt harte Diskussionen darüber,<br />

welche Rohstoffe die beste Ökobilanz haben.<br />

Wichtiger finde ich aber, dass das Wasser,<br />

was die Pflanzen wieder in den Boden ab -<br />

geben, nicht verseucht ist. Beim konventionellen<br />

Baumwollanbau werden unglaublich<br />

viele Schädlingsbekämpfungs- und Dünge -<br />

mittel ins Grundwasser gespült. Wenn man<br />

vor Ort ist und sich das anschaut, dann will<br />

man das Glas Wasser, das sie einem anbieten,<br />

echt nicht trinken. Beim Bioanbau wird mit<br />

Mist gedüngt und Spritzmittel aus heimischen Pflanzen hergestellt.<br />

Natürlich ist es wichtig, neue Fasern zu entwickeln, aber bisher gibt es<br />

noch keine, die in der Gesamtbilanz so viel besser wäre als Baum -<br />

wolle. Und wenn du ein T-Shirt hast, das eine super Ökobilanz hat,<br />

aber leider völlig kratzt oder komplett einläuft, dann ist uns auch nicht<br />

geholfen.<br />

uMag: Wären eure Produktionsmethoden für die ganze Branche machbar,<br />

wenn man mal vom Finanziellen absieht?<br />

Höfeler: Du sagst es schon: wenn man vom Finanziellen absieht. Denn<br />

was man machen muss, ist natürlich teurer. Hinter der Textilbranche<br />

steckt sehr viel Lobbyarbeit, und Moderiesen wie H&M, Zara und Co.<br />

behaupten ja immer, dass man für ihren Bedarf auf den vorhandenen<br />

Flächen gar nicht genug Biobaumwolle anbauen könne. Meiner Erfah rung<br />

nach stimmt das nicht. Die Bauern, die zur traditionellen Anbauweise<br />

zurückgekehrt sind und mit denen ich gesprochen habe, sagten, dass<br />

>>


uMag 30<br />

Style<br />

auf lange Sicht die Erträge bei Bioanbau höher sind. In Indien wurde<br />

früher praktisch alles ökologisch angebaut, da gab es einfach noch nichts<br />

anderes. Dann kamen die großen Düngemittel- und Saatgut konzerne<br />

wie Monsanto und schwatzten den Bauern ihr genmani pu lie rtes Saatgut<br />

auf und versprachen doppelte Erträge. Das hat auch am Anfang funktioniert,<br />

dann mussten die Bauern aber natürlich auch spezielle Dünge -<br />

mittel einkaufen, was sie viel Geld gekostet hat. Und am Ende hat man<br />

festgestellt, dass der Ertrag mit jeder Saison weniger<br />

,,<br />

wurde. Also zu<br />

deiner Frage: In einer perfekten Welt, in der<br />

man das Finanzielle aus klammert, würde es<br />

funktionieren. Das Finan zielle spielt aber nun<br />

einmal für die meisten Konzerne eine sehr<br />

große Rolle.<br />

uMag: Ihr seid inzwischen auch ab und an in<br />

Kaufhäusern zu finden – verträgt sich das noch<br />

mit der Street Credibility, die ja für junge Marken<br />

ein wichtiger Faktor ist?<br />

Höfeler: Nee, natürlich nicht. (lacht) Wir wissen<br />

aber auch: Wir werden nur etwas da draußen<br />

verändern können, wenn die Marke und das<br />

Unternehmen wirklich groß werden. Als ich in<br />

Indien war, habe ich gesehen, wie viel Hoff nung<br />

die Bauern haben, wenn man als Fairtrade-<br />

Abnehmer da hinkommt, und wie wenig wir<br />

damals nur abnehmen konnten. Das Gefühl,<br />

dass ich hatte, als ich nach Hause gekommen<br />

bin … ich wusste einfach, dass ich beweisen<br />

will, dass man tatsächlich gut produzieren und trotzdem ein profitables<br />

Unternehmen aufbauen kann. Mit jedem Stück, das wir verkaufen,<br />

werden die Arbeits bedingungen in der kompletten Kette verbessert,<br />

und Leute können von dem leben, was sie produzieren, ob das die<br />

Bauern sind oder die Leute, die den Stoff herstellen oder die Färber in<br />

der Färberei. Wir wollen aus der kleinen Nische raus, damit auch andere<br />

Unternehmen das Gefühl bekommen, dass man auch mit guten<br />

Arbeitsbedingungen erfolgreich sein kann.<br />

Hergestellt werden die Shirts, Kleider, Hosen und Mäntel in Fabriken in<br />

Portugal, Marokko, der Türkei und Indien. Die Produktion nach Deutsch -<br />

land zu verlegen, stand für Martin Höfeler und seine Kollegen nie zur<br />

Debatte; sie sind der Meinung, dass sich im Ausland noch viel mehr in<br />

Ich will beweisen,<br />

dass man tatsächlich gut<br />

produzieren und trotzdem<br />

ein profitables Unter neh -<br />

men aufbauen kann.<br />

Sachen Arbeits- und Sozialbedingungen bewirken lässt als hier zu lande.<br />

Und was diese Bedingungen angeht, ist Höfeler knallhart: Wenn ihm<br />

eine Fabrik oder ein Geschäftspartner suspekt sind oder die Einstellung<br />

nicht stimmt, wird auch nicht zusammengearbeitet –Preise hin oder her.<br />

uMag: Wie genau kontrolliert ihr die Produktion?<br />

Höfeler: Auf der einen Seite indem wir direkt mit den Produzenten<br />

zusammenarbeiten. Wir fahren mindestens einmal im Jahr selbst hin<br />

und gucken uns die Bedingungen an. Zum<br />

anderen ist die gesamte Produktionskette zertifiziert,<br />

was auch heißt, dass die einmal pro<br />

Jahr Besuch von Kontrolleuren bekommen,<br />

die sich alles zeigen lassen und auch<br />

‘‘<br />

Martin Höfeler<br />

Gespräche mit den Arbeitern führen, bei<br />

denen keiner sonst aus der Fabrik dabei sein<br />

darf. Schlussendlich darf man sich aber<br />

keinen Illusionen hingeben: Wenn jemand<br />

dabei ist, der einen betrügen will, dann geht<br />

das natürlich. Deshalb ist es sehr wichtig,<br />

dass wir mit Produzenten zusammenarbeiten,<br />

denen wir vertrauen können und die auch<br />

selber davon überzeugt sind, dass das die<br />

richtige Entwicklung ist. Ich gehe auch immer<br />

durch die Produktions stätten mit dem<br />

Gedanken im Hinterkopf: Würde ich selbst<br />

hier arbeiten wollen? Letztens haben wir eine<br />

Fabrik in der Türkei besichtigt, die zwar zer -<br />

tifiziert war, aber die hatten dort Dinge, die hätte ich als Arbeiter nicht<br />

aushalten können. Das war nicht menschenwürdig.<br />

uMag: Abseits der Weltherrschaft, was sind eure nächsten Pläne?<br />

Höfeler: Wir wollen bald eigene Jeans herausbringen. Das wird eine<br />

ganz große Nummer, denn Denim ist von der Produktion her ein ganz<br />

furchtbares Produkt, es ist wirklich pervers, was an Chemie eingesetzt<br />

wird, um diese ganzen Used-Effekte zu bekommen. In dieses Thema<br />

haben wir in den letzten Monaten richtig viel Arbeit reingesteckt. Aber<br />

wenn ich morgens in die Firma komme und sehe, wie vielen Leute wir<br />

mittlerweile auch hier Arbeit geben, macht mich das sehr zufrieden.<br />

Und dass wir für Menschen, die nicht täglich in den Nachrichten sind,<br />

außer es passieren irgendwelche Katastrophen, die Situation vor Ort<br />

verbessern können. Das ist echt ne gute Sache.<br />


uMag 33 31<br />

Style


uMag 32<br />

Style<br />

RAN DA!<br />

Gitarre von der Stange? Pfft! Mit dem DIY-Bausatz von Rocktile und ein wenig handwerklichem Geschick bastelt man<br />

sich ein Instrument mit Charakter.<br />

www.amazon.de


uMag 33<br />

Style<br />

PANDA!<br />

This Bear is a Rockstar! Die Frankfurterin Lin Beeser bleibt mit der „Animals gone wild“-Kollektion der expressiven<br />

Ausrichtung ihres Labels Nil&Mon treu.<br />

www.nilandmon.de


uMag 34<br />

Style<br />

DREAMS OF BLUE<br />

www.donnawilson.com<br />

Alles so grau da draußen? Manchmal hilft es tatsächlich,<br />

sich vorzustellen, man wäre bei 30 Grad<br />

am Baggersee und tauchte gerade durch das klare,<br />

blaugrüne Wasser. Die tollen Decken und<br />

Kissen von Donna Wilson leisten bei solchen<br />

Tagträumereien farbkräftige Unter stützung.<br />

Donna weiß halt, wie es geht. Ob's daran<br />

liegt, dass ihre Designs zwischen den grünen<br />

schottischen Hügeln entstehen, konnten wir<br />

nicht abschließend klären. Egal. Diese<br />

Sachen machen glücklich! es<br />

DER SCHÖNE SCHEIN<br />

www.besau-marguerre.de<br />

www.stilwerk.de<br />

Foto: Silke Zander<br />

Manchmal muss man mutig sein:<br />

„Der Zufall hat bei allen unseren<br />

Projekten eine Rolle gespielt. Wir<br />

lassen das aber auch zu oder fordern<br />

es sogar heraus“, erklärt Eva<br />

Marguerre ihre Arbeitsweise als<br />

Designerin. Gemeinsam mit ihrem Partner Marcel Besau führt<br />

sie ein Designbüro in Hamburg. Ihr neuestes Projekt ist – wie<br />

schon einige ihrer vorigen Arbeiten – für den German Design<br />

Award des Rats für Formgebung nominiert. Kollege Zufall spielte<br />

auch hier eine große Rolle: Besau und Marguerre wollten<br />

Kupferplatten durch Wärme farblich verändern, recherchierten<br />

ausgiebig und experimentierten mit Campingkochern und<br />

Herdplatten. Doch der Durchbruch kam erst, als sich ein auf<br />

einem als Abstandshalter genutzten Lochblech versehentlich<br />

klebengebliebener Barcode durch das Erhitzen auf dem Kupfer<br />

abbildete.<br />

Für die Stilwerk Limited Edition Design Gallery entwickelten<br />

die beiden aus dieser Idee das Objekt „Iridescent Copper“ –<br />

Kupferspiegel, die durch die thermische Bearbeitung auf der<br />

Herdplatte ihrer Werkstatt eine individuell schillernde<br />

Oberfläche bekommen. Der geometrische Touch kommt dann<br />

durch den Einsatz von Papierausdrucken hinzu: Der Toner auf<br />

dem Papier reagiert durch Hitze und Sauerstoff mit dem Kupfer<br />

und ergibt das vorgegebene Muster. „Kupfer ist ein Material,<br />

das die Menschheit schon seit mehr als zehntausend Jahre<br />

begleitet, das machte für mich viel der Faszination aus“, erklärt<br />

Marcel Besau. „Es hat was Archaisches, ist aber zugleich<br />

Hightech.“<br />

Ob es zum Sieg beim German Design Preis reicht, wird sich erst<br />

im Februar entscheiden. Eva Marguerre und Marcel Besau<br />

haben aber schon wieder viele andere Ideen im Kopf. Unter<br />

anderem schwebt ihnen noch ein Projekt<br />

mit Biokunststoff aus Brenn nesseln<br />

und Kartoffelstärke vor. „Uns<br />

interessiert, ob man mit Ma te -<br />

rialien aus dem Vorgarten<br />

etwas Ähnliches erreichen<br />

kann wie mit den üblichen<br />

Glas fa ser ge schich -<br />

ten“, berichtet Mar cel<br />

Besau. Dass die Optik da -<br />

bei nicht zu kurz kommt,<br />

ist ge setzt. Kurz: Die beiden<br />

sollte man im Auge<br />

behalten. es<br />

Zander<br />

Foto: Silke


uMag 35<br />

Style<br />

AKTION<br />

MIT SOUTHERN COMFORT<br />

LÄSSIG DURCH DEN WINTER<br />


uMag 36<br />

Spiele<br />

ES IST ZEIT,<br />

ALT ZU WERDEN<br />

Michael Schock kann nicht mehr so zocken wie früher<br />

„Welche der neuen Konsolen wirst<br />

du dir denn holen?“, wurde ich<br />

kürzlich gefragt. Ich antwortete,<br />

dass ich als PlayStation-Jünger<br />

wohl wieder zu Sonys Konsole<br />

greifen, mir aber etwas Zeit damit<br />

lassen würde. „Schon das neue<br />

XY durchgespielt?“ – auch das fragt<br />

andauernd immer irgendwer. Ich<br />

antworte dann, dass ich angefangen<br />

habe, mir aber Zeit damit lassen<br />

werde. Ich könnte ein Tonband<br />

aufnehmen und diese Antwort auf<br />

Knopfdruck abspielen lassen: „Ich<br />

lasse mir damit Zeit!“ Zur Hölle,<br />

die Wahrheit liegt schon in meiner<br />

Antwort: ein Tonband aufnehmen,<br />

na klar, willkommen in den 80ern. Ich bin 30, ich werde alt. Mancher<br />

wird lachen, aber in Gamerjahren ist das schon ein Dreiviertelrentner.<br />

Damit habe ich kein Problem. Doch ich merke, dass sich meine Prio -<br />

ritäten wandeln. Nicht zu reiferen Games, um Himmels Willen: nein.<br />

Aber ich spiele nicht mehr mehrere Stunden am Stück, wie ich es vor<br />

15 Jahren noch konnte. Ich spiele eine, zwei Stunden, dann reicht es<br />

mir. Ich mäkele stärker an Logiklöchern in Storys herum, und mit<br />

flacher Action kriegt man mich nicht mehr. Ich werde schlicht<br />

anspruchsvoller –schließlich habe ich über die Jahre viel gesehen und<br />

gespielt. Das ist gut, alles andere wäre Stillstand. Deswegen macht es<br />

mir nichts aus, dass Spiele kürzer, kurzweiliger und auch einfacher<br />

werden. Auf meine alten Tage will ich einfach schnell und gut von<br />

Spielen unterhalten werden. Und ich kann daran bei einem Unter -<br />

haltungsmedium wie Videospielen einfach nichts Schlechtes finden.<br />

Wirklich: Alt werden als Gamer, das ist echt okay.<br />

Foto: Vivien Gross<br />

TANK MICH AUF<br />

Großstädter belächeln sie, andere lieben sie<br />

– die „ADAC Spritpreise“-App listet in einer<br />

Kartenübersicht die günstigsten von rund<br />

140 00 Zapfsäulen. Dank Routenplaner<br />

auch in der Nähe des aktuellen Standortes.<br />

BELÄSTIGE MICH<br />

Die Lösung für die Generation Prokrastination:<br />

Die App „Hassle me“ hilft euch, wirklich<br />

wichtige To-do-Aufgaben nicht zu vergessen.<br />

Wer hier nicht alle 30 Sekunden sein<br />

Smartphone checkt, der hebe die Hand.<br />

ASSASSIN'S CREED 4:<br />

BLACK FLAG<br />

Videospiele sind oft die Antithese von<br />

Freiheit: Die Handlung ist meist linear, die<br />

Wege vorgegeben, die Welt sehr begrenzt.<br />

Erschienen für PlayStation 3,<br />

PlayStation 4, Xbox 360, Einige dieser Kriterien brach die „Assassin’s-<br />

Xbox One, Wii U und PC. Creed“-Serie erfolgreich auf. Wie oft fanden<br />

wir uns wieder, wie wir über Dächer einer Stadt in vergangenen<br />

Zeiten sprinteten, auf riesige Kathedralen kletterten oder ziellos nach<br />

kleinen Bonusfedern suchten – sehr oft! Seitdem stagniert die Reihe<br />

aber und ruht sich auf diesen Stärken aus, viel wirklich Neues passiert<br />

nicht (außer einigen Extrafunktionen und Gimmicks bei der<br />

Meuchelmörderhatz). Dafür gibt es die größte Bewegungsfreiheit eines<br />

Actionadventures dieses Mal als Piratenabenteuer verpackt: In der<br />

Rolle von Edward Kenway schlagt ihr euch als Freibeuter-Attentäter-<br />

Mix durch den karibischen Dschungel des Jahres 1715. Das lautlose<br />

Heranschleichen an Gegner ist dieses Mal wieder wichtiger als kopfloses<br />

Drauflosmetzeln, die Auswahl an Nebenabenteuern ist groß. Da<br />

schert es nicht so sehr, dass in Ubisofts Flag(piraten)schiff kein neuer<br />

Wind in die Segel pustet .. ms<br />

Foto: Ubisoft


uMag 37<br />

Film<br />

KINO<br />

ab 25. 12.<br />

im Kino<br />

Only Lovers left alive<br />

Jim Jarmusch findet, dass früher so einiges<br />

besser war – und badet mit der Geschichte<br />

eines blutkonserversüchtigen Vampirpaares<br />

(Tilda Swinton, Tom Hiddleston) genussvoll<br />

im Kulturpessimismus. vs<br />

DVD<br />

ab 16. 1.<br />

im Kino<br />

A Touch of Sin<br />

Episodenfilm über das Leid kleiner Leute im<br />

modernen China. Verzweifelte Aussage: Wem<br />

von den korrupten Eliten Gewalt angetan wird,<br />

der wehrt sich mit Gewalt. vs<br />

TV<br />

ab 16. 1.<br />

im Kino<br />

Twelve Years a Slave<br />

Sklavenhalter verschleppen 1841 den freien<br />

Afro amerikaner Solomon Northup auf eine<br />

Plantage. Zwölf Jahre dauert Solomons<br />

Martyrium. Steve McQueens Überlebens -<br />

drama handelt von Unmenschlich keit – und<br />

ist doch eine Ode an die Menschlichkeit.vs<br />

Foto: © 2013 Sony Pictures Television,<br />

Inc. and Showtime Networks Inc.<br />

Frances Ha<br />

Frances will Tänzerin werden,<br />

lebt aber vor allem in den Tag<br />

hinein, zusammen mit ihrer<br />

Freundin Sophie. Dann aber<br />

zieht Sophie zu ihrem Freund …<br />

Greta Gerwig spielt in dieser<br />

pointierten Komödie eine<br />

Mittzwanzigerin zwischen<br />

Jugend und Erwachsen werden,<br />

zwischen kurzfristiger Euphorie<br />

und langfristiger Verun -<br />

sicherung. vs<br />

VÖ 3. 12.<br />

The Bling Ring<br />

Eine Gruppe kalifornischer<br />

Jugendlicher dringt in Promi -<br />

häuser ein, um Schmuck,<br />

Klamotten und Bargeld mit -<br />

gehen zu lassen, das sie dann<br />

in den Clubs von Beverly Hills<br />

verprassen. Regisseurin Sofia<br />

Coppola schuf ein nüchternes<br />

Drama nach einer wahren<br />

Begebenheit – mit dem herausragenden<br />

Newcomer Israel<br />

Broussard. lan<br />

VÖ 19. 12.<br />

Wissenschaftsfick<br />

Wenn ein Paar in einem Krankenhauszimmer vögelt, verkabelt für EEG<br />

und EKG, beobachtet von Kameras und Menschen: Wo sind wir dann?<br />

Richtig: in den USA der 50er-Jahre. Sexualwissenschaftler William<br />

Masters hat gerade erst von einer Prostituierten – die Kunden für seine<br />

Studien manipuliert – erfahren, dass Frauen den Orgasmus simulieren,<br />

und ist mehr als nur erstaunt. Warum tun die das?! Masters (verklemmt<br />

und gleich zeitig neugierig: Michael Sheen) fasst den Plan, die weibliche<br />

Sexualität wissenschaftlich präzise zu vermessen – und wenn er dabei<br />

selbst als Testperson ran muss. Stylisch wie „Mad Men“, doch weitaus<br />

freizügiger als die Serie über die Werber in Manhattan, kommt<br />

„Masters of Sex“ daher und erzählt uns die im Kern wahre Geschichte<br />

der bahn brechenden Sexualwissenschaftler William Masters und<br />

Virginia Johnson (Lizzy Caplan, „True Blood“). jw<br />

„Masters of Sex“, ab 5. 12 immer donnerstags um 22 Uhr auf Sky Atlantic HD.<br />

Außerdem auf Sky Go und Sky Anytime.


uMag 38<br />

Ernstfall Leben<br />

NICHT MEHR<br />

ODER WENIGER<br />

Foto: Elisabeth Graf Gatterburg<br />

v_sievert, unser V-Mann im Universum, macht was anders.<br />

Ich würde nicht sagen, dass nichts mehr so ist wie früher. Und erst<br />

Recht nicht, dass früher alles besser war. Es war nur … geordneter.<br />

Also, man kennt das ja beim Einkaufen im Supermarkt: Kassiererin<br />

scannt Lebensmittel, Lebensmittel rutschen hinter die Kasse auf die<br />

Ablage, man bezahlt, Nächster bitte. Damit beide Kunden in Ruhe einpacken<br />

können, gibt es diese Schiene, die den Einpackbereich einer<br />

Kasse in zwei Hälften trennt. Das ist wie beim Zugverkehr: Ist ein Gleis<br />

voll, wird ein anderes geöffnet. So verstaut jeder in Ruhe seinen Kram,<br />

und man schleppt nicht den Räuchertofu seines Kassenhintermannes<br />

nach Hause, während der ein Pfund gemischtes Hack in seine Gemüse -<br />

pfanne wirft.<br />

Doch man macht es nicht mehr wie früher. Die Leute an den Kassen<br />

verwenden diese Schiene nicht mehr. Stattdessen schieben sie<br />

Bärchen wurst, Wellnessweingummi und Milchbrötchen der Mutter mit<br />

Kind auf Salamipizza, Merlot und Schokokekse des Agentur -<br />

workaholics, als empfänden sie eine grausame Lust an ungebremsten<br />

Lebensmittelkarambolagen. Ich weiß nicht, wie lange man das schon<br />

nicht mehr macht. Aber seit mir das aufgefallen ist, denke ich darüber<br />

nach, was ich eigentlich nicht mehr mache, das ich früher gemacht habe.<br />

Ich gucke zum Beispiel nicht mehr linear Fernsehen. Was mich inter -<br />

essiert, schaue ich jetzt in Mediatheken, auf DVD oder als <strong>Download</strong>.<br />

Ich bin beim Fernsehgucken so flexibel und nutze die eingesparten<br />

Werbeunterbrechungen dazu, alte Bücher auszusortieren und dem<br />

allerübelsten Joch des Privatlebens nachzugehen: Ich putze.<br />

Ich schlafe auch nicht mehr auf dem Bauch, obwohl das früher meine<br />

liebste Einschlafposition war. Dann wurde irgendwann meine Nacken -<br />

muskulatur zu steif dafür, und seitdem schlafe ich am liebsten auf der<br />

linken Seite. Den Platz zum raumgreifenden Auf-den-Bauch-Liegen<br />

habe ich eh nicht mehr, seit ich mit meiner Freundin zusammenwohne,<br />

wodurch ich auch meist früher aufwache, weil sie morgens im Schlaf<br />

strampelt. In der dadurch entstehenden Bonuswachzeit überlege ich,<br />

welche DVDs ich wirklich noch brauche und habe auch schon einmal<br />

etwas geputzt: die Saftpresse, aber leise. Ich nicke nicht mehr so viel<br />

zustimmend, wenn mir jemand etwas erzählt. Ich nicke jetzt pointiert,<br />

also an den richtigen Stellen und gut getimt. Liegt wohl daran, dass<br />

meine Mutter manchmal einem inhaftierungsgeschädigten Zootier<br />

ähnelt, wenn sie mir zuhört und am Dauernicken ist. Da möchte man<br />

nicht hin! (wohlüberlegtes zustimmendes Nicken)<br />

Gar nicht mehr lege ich Platten von Bands auf, die ich als Teenie und<br />

Twen super fand. Ich habe mir alles von Robbie Williams bis Teenage<br />

Fanclub und von Depeche Mode bis zum „Pulp Fiction“-Soundtrack<br />

ungeheuer übergehört. Ich höre nun vermehrt nichts oder einfach das,<br />

was gerade zu hören ist, von CDs meiner Freundin bis Kranken wagen -<br />

sirenen, vom Gemurmel aus der Nachbarwohnung bis zum Rasseln der<br />

Kaffeemaschine. Das erspart es mir, aus den gefühlt Hundert Milliarden<br />

im Netz verfügbaren Songs auswählen zu müssen, und verstopft meine<br />

Festplatte nicht mit Audiofiles, die ich nie höre. Die Vorstellung, soundsoviel<br />

Gigabyte an Alben zu besitzen, die ich nie abarbeite und die<br />

kontinuierlich mehr werden, verursacht mir Herzrasen. Ich grüße nicht<br />

mehr den Mann, der bei uns das Treppenhaus reinigt, weil er nie zu -<br />

rück grüßt und ich mich darüber sonst aufrege. Ich verwende keinen<br />

Netzjargon mehr in meinen E-Mails (BTDT! Been There, Done That), da<br />

ich sonst wie ein Berufsjugendlicher rüberkomme. Ich rege mich nicht<br />

mehr über sinnlose Fotostrecken im Internet auf, sondern verlasse einfach<br />

die betreffende klickgeile Site, und auch das Naschen aus in der<br />

Küche herumstehenden Nudelgerichten vom Vortag unterlasse ich, das<br />

tut meiner Figur nicht gut.<br />

Dinge anders zu machen hat also seine Vorteile. Was die Einkaufs schiene<br />

angeht, da hat sich mir vielleicht der tiefere Sinn der Nicht benutzung<br />

noch nicht erschlossen. Ich nehme es jetzt einfach als nahrungsbasiertes<br />

Mikado, wenn sich meine Einkäufe mit dem Kunden hinter mir vermischen.<br />

Aus Sellerie, Bifi, Giotto-Stangen und Spaghetti wird sich schon was<br />

Leckeres kochen lassen. Hab ich auch früher noch nicht gemacht.


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uMag 40<br />

Kino<br />

OHNE FILTER<br />

Die Schauspielerin Léa Seydoux überzeugt mit Natürlichkeit. Eindeutig ein Talent – doch nicht<br />

immer eine Tugend.<br />

Foto: Alamode Film<br />

VON LASSE NEHREN<br />

Als ich nach der Vorführung von „Blau ist eine warme Farbe“ aus<br />

dem Kino komme, wirkt der Film noch in mir nach. Immer wieder<br />

rauschen einzelne Szenen vor meinem inneren Auge vorbei:<br />

Léa Seydoux, wie sie als Kunststudentin Emma die Schülerin<br />

Adèle kennen lernt und ebenso forsch wie abgeklärt mit ihr flirtet. Léa<br />

Seydoux, wie sie in Rage flucht und schreit und schubst. Léa Seydoux,<br />

wie sie nach der Trennung von Adèle dasitzt, gefangen zwischen Liebe<br />

und Pragmatismus. Das Spiel der 28-jährigen Pariserin ist von einer so<br />

rohen Kraft, dass einem die Natürlichkeit ihrer emotionalen Darbietung<br />

nicht mehr aus dem Kopf geht. Der Film begleitet die beiden jungen<br />

Frauen von den Anfängen einer intensiven Beziehung bis zu deren<br />

Ende und noch darüber hinaus. Interesse, Leidenschaft, Eifersucht, die<br />

kalte Schulter: Seydoux lässt sich von Regisseur Abdellatif Kechiche,<br />

dessen Pendaterie bezüglich größtmöglicher Natürlichkeit bekannt ist,<br />

zu Glanzleistungen antreiben. Sie beeindruckt. Und sorgt so dafür, dass<br />

meine Vorfreude auf das Interview mit ihr zu einem nervösen Gemisch<br />

aus Neugier und Unsicherheit zerfasert. Kennt man: Jeder projiziert<br />

eine tiefenscharf gespielte Rolle gerne auf die Person, die sie verkörpert<br />

hat. Professionell ist das nicht.<br />

Am Abend vor dem Treffen sichte ich auf Youtube Interview material<br />

mit der Schauspielerin, um ihr immergleiche Fragen zu ersparen. Sey -<br />

doux scheint keine einfache Interviewpartnerin zu sein, so wie sie da<br />

wuselt und albert. Na gut, beruhige ich mich: Das war direkt nach<br />

Cannes, nachdem sie die Goldene Palme gewonnen hat, als sie unter<br />

medialer Dauerbefeuerung stand. Da kann man mal einen schlechten<br />

Tag haben.<br />

Nach einem teuren Pariser Kaffee betrete ich am nächsten Tag das noch<br />

teurere Pariser Hotel, um die beiden Aktricen und danach Regisseur<br />

Abdellatif Kechiche zum Gespräch zu treffen. Léa Seydoux begrüßt<br />

mich mit müder Höflichkeit oder höflicher Müdigkeit oder irgendetwas<br />

dazwischen. Sie scheint geschafft, was sowohl nachvollziehbar als<br />

auch verzeihbar ist. Was Seydoux im Gespräch preisgibt, ist allerdings<br />

mehr als Müdigkeit. Beziehungsweise: weniger.<br />

Ob es nicht schwierig sei, unter Kechiche zu arbeiten, der einerseits für<br />

sein Verlangen nach uneingeschränkter Natürlichkeit bekannt ist, andererseits<br />

berüchtigt dafür, einzelne Szenen stunden- oder gar tagelang<br />

immer und immer wieder einspielen zu lassen.<br />

„Ja, es ist schwer.“<br />

Genauer: Ob es nicht schwer sei, nach zig Takes noch die Verbindung<br />

zur porträtierten Figur aufrechtzuerhalten.


uMag 41<br />

Kino<br />

Dennis Lehane<br />

CHECKBRIEF<br />

NAME Léa Seydoux<br />

ALTER 28<br />

GEBOREN in Paris<br />

BERUFE Model und<br />

Schauspielerin<br />

WOMÖGLICH GESEHEN IN<br />

„Midnight in Paris“,<br />

„Inglourious Basterds“,<br />

„Robin Hood“, „Mission:<br />

Impossible – Phantom<br />

Protokoll“<br />

AUSZEICHNUNGEN Sie erhielt<br />

zwei Nominierungen für den<br />

französischen Filmpreis César;<br />

bei den Filmfestspielen in<br />

Cannes gewann sie dieses<br />

Jahr neben ihrer Film part -<br />

nerin Adèle Exarchopoulos<br />

die Goldene Palme<br />

TRADITION Ihre Familie ist<br />

tief in der französischen<br />

Filmlandschaft verwurzelt:<br />

Großvater Jérôme Seydoux<br />

war Geschäftsführer von<br />

Pathé, Großonkel Nicolas<br />

Seydoux ist derzeitiger Ge -<br />

schäfts führer von Gaumont –<br />

zwei der bedeutendsten<br />

Filmproduktionsfirmen des<br />

Landes<br />

AKTUELLER FILM „Blau ist<br />

eine warme Farbe“ startet<br />

am 19. Dezember<br />

„Ja.“<br />

Es sei schließlich kaum vorstellbar, sich nach extensiver Wiederholung noch<br />

fallenlassen zu können.<br />

„Mhm.“<br />

Halbsätze, Abbrüche, ton- und motivationslose Gesten. Keine Lust, sich zu erklären.<br />

Ihr Blick schweift durch den Raum, vielleicht auf der Suche nach jemandem,<br />

womöglich nur nach irgendetwas, das spannender sein könnte als ein Interview.<br />

Einmal wird sie dann doch noch richtig wach. Wir sprechen – oder: versuchen es<br />

– über ihre Beziehung zu den Figuren, die sie spielt. Gefragt, ob sie diese auch<br />

abseits der Arbeit mit sich herumträgt, wie es Schriftsteller manchmal beschreiben,<br />

antwortet sie: „Nein, weil die Figur aus dir selbst entsteht und nicht außerhalb<br />

deiner selbst.“ Auf das Geständnis hin, nicht genau zu verstehen, wie sie dies<br />

meine, erwidert sie gereizt: „Und ich verstehe die Frage nicht!“ Sie wendet sich<br />

ab, bestellt einen Kaffee – und fragt mich, ob ich ebenfalls einen möchte.<br />

Blitzt hier für einen Augenblick die private Léa Seydoux durch die distanzierte,<br />

ja abweisende Person, die vor mir sitzt? Eine Léa Seydoux, die zumindest einen<br />

gegenseitig respektvollen Umgang wahrt? Von Wechselseitigkeit ist im Gespräch<br />

nur wenig zu spüren, Seydoux antwortet nur selten mit mehr als zwei knappen<br />

Sätzen. Ich laufe ins Leere beziehungsweise an ihrem Schulterzucken auf. Die<br />

Aussage „Ich weiß es nicht“ ist kein kommunikativer Platzhalter, um Bedenkzeit<br />

zu bekommen. Es bedeutet schlichtweg: Ich weiß es nicht. Gefühlt: Es interessiert<br />

mich auch nicht. Punkt.<br />

Offenbar besitzt die 28-Jährige keinerlei Interesse an einer öffentlichen Präsenz,<br />

die sich über die Dauer ihrer Filme hinaus erstreckt. Zugleich aber sieht man sie<br />

auf etlichen Magazinen: nur von einem transparenten Tuch verdeckt, im abgeschminkten<br />

Lotterchic, in schlichtem Schwarz – die Inszenierungen reichen weit<br />

über Promo verpflichtungen hinaus, die ein Film mit sich bringt. Der Unterschied<br />

liegt in der eindeutigen Rollenzuweisung: Sie ist einfach da, und wir schauen.<br />

Seydoux ist fleißig. Während der vergangenen sieben Jahre spielte sie in 20<br />

Filmen, unter anderem kleine Rollen bei Woody Allen, Ridley Scott und Quentin<br />

Tarantino, doch erst mit „Blau ist eine warme Farbe“ wurde ihr die Auf merk sam -<br />

keit eines breiteren Publikums zu Teil. Die Reaktionen auf ihr Spiel sprechen für<br />

sich. Sich im Gespräch über ihre Arbeit fordern zu lassen, ist aber das Letzte, was<br />

Léa Seydoux möchte – ihre Reaktion: Sie spricht nicht. Sie ist Schauspielerin, ein<br />

gute dazu. Sie hat ihren Teil beigetragen. Den Rest sollen andere verantworten.


LORIOT<br />

Sensationen<br />

uMag 42<br />

Szene<br />

GLAUBENSFRAGEN<br />

368 Seiten, Leinen, € (D) 39.90<br />

Über 400 unveröffentlichte<br />

Zeichnungen von Loriot –<br />

dar unter 38 Möpse.<br />

Deutschlands belieb tester<br />

Humorist und Kari katurist<br />

darf neu entdeckt werden.<br />

Spätlese ver sammelt<br />

Schätze aus dem Nachlass,<br />

die bis lang unbekannt<br />

waren. Ein Fest für alle Liebhaber<br />

des feinen Humors.<br />

Foto: Anna Rozkosny<br />

Die Tage werden kurz, es schneit, vor<br />

dem Fenster hört man die Kirchen -<br />

glocken bimmeln. Du lässt das Jahr<br />

Revue passieren: Was hast du ge macht?<br />

Bist du glücklich? Was soll das hier<br />

eigentlich alles? Und kommt da noch<br />

was? Und hastdunichtgesehen bist du<br />

in der spirituellen Melancholie gefangen.<br />

Das Berliner Labor für kontrafaktisches<br />

Denken, bestehend aus der Autorin und<br />

Dramaturgin Peggy Mädler und der<br />

Kunsthistorikerin und Perfor merin Julia<br />

Schleipfer, holt einen auf den Boden der Tatsachen zurück und baut vom 4. bis 14. 12. eine<br />

theatrale Installation namens „Wer(s) glaubt, wird selig“ in die sophiensæle. Mit gottlosen<br />

Pilgerwegen durch die Hauptstadt, gemeinsamen Sternebacken und einem Exkurs in atheistische<br />

Heiligtümer. fis<br />

GENERATION ENDZEIT<br />

176 Seiten, Pappband, € (D) 26.90<br />

Loriot als Fotograf –<br />

anstatt sie in ein Gästebuch<br />

schreiben zu lassen,<br />

foto grafierte Vicco von<br />

Bülow seine Gäste lieber.<br />

Über die Jahre entstand<br />

eine Foto ga lerie, die<br />

persönliches Dokument ist,<br />

amüsantes Gesellschaftspanorama<br />

und kleine<br />

Chronik wechselnder<br />

Kleidermoden.<br />

Illustration: © Loriot<br />

Douglas Coupland<br />

Auch der neue Roman von Douglas Coupland ist extrem lesenswert: In „Spieler Eins“ entwirft<br />

der „Generation X“-Autor ein blutiges Endzeitszenario, indem er vier in einer Flughafenbar<br />

gestrandete Figuren mit dem Ende der Zivilisation konfrontiert. Doch so spannend der Plot<br />

auch ist, die wirklich wichtigen Erkenntnisse über das heutige Lebensgefühl fasst Coupland<br />

am Ende des Romans schön kompakt mit einem Glossar zusammen. Da findet man dann<br />

Einträge wie den „Zeitsnack“: „Oftmals enervierende Momente von Pseudo-Freizeit, die eintreten,<br />

wenn vom Computer keine Rückmeldung kommt, weil er eine Datei sichert, nach<br />

Software-Updates sucht oder, höchstwahrscheinlich, seine ganz eigenen Gründe dafür hat.“<br />

Auch „das Erschöpfungsgefühl, das sich einstellt, wenn man die Antwort auf praktisch alles<br />

im Netz finden kann“ bekommt mit der „Allwissenheits-Müdigkeit“ endlich ihr Schlagwort.<br />

Mit dem Problem „intraaffinitale Melancholie vs. extraaffinitale Melancholie“ dürfte sich allerdings<br />

auch schon die Generation X rumgeschlagen haben: „Was ist einsamer: als einsamer<br />

Single zu leben oder einsam in einer toten Beziehung?“ cs<br />

Foto: Martin Tessler


Foto: © 2013 Twentieth Century Fox<br />

uMag 43<br />

Szene<br />

MUCKERSCHICK<br />

Ah, Bono hat eine neue Frisur<br />

und bringt eine Solo-CD raus.<br />

Nein, Anton Corbijn hat Till<br />

Lindemann von Rammstein für<br />

einen Herrenduft fotografiert.<br />

Auch falsch. Der Herr in<br />

der stylischen 90er-Altrocker -<br />

ästhetik ist der spanische<br />

Schauspieler Javier Bardem<br />

(„No Country for old Men“),<br />

der neben Promis wie Brad Pitt<br />

und Penélope Cruz in der blutigen<br />

Gangsteraction „The<br />

Counselor“ einen schrillen<br />

Drogenboss spielt. Ist so 90er,<br />

wie es klingt, ähm: aussieht. vs<br />

»Die zahlreichen Fans<br />

von George R.R. Martin<br />

kommen bei diesem<br />

Fantasy-Epos voll auf<br />

ihre Kosten!« Library Journal<br />

NEUE KUNST<br />

Foto: Baixcentro, Courtesy: Baixcentro<br />

In der arabischen Welt werden Revolutionen durch Instagram-<br />

Filter beobachtet, und in Russland lernt der Protest gegen Putin von<br />

performativen Ästhetiken: Widerstand, Revolte, politischer Aktio -<br />

nismus sind plötzlich Teil des Kunstdiskurses. Beziehungsweise:<br />

Der Kunstdiskurs ist plötzlich adäquate Beschreibungsform von<br />

Politik. Das Karlsruher ZKM geht sogar noch weiter und bezeichnet<br />

den „globalen Aktivismus als die erste neue Kunstform des<br />

21. Jahrhunderts“. Eine Kunstform, die vom 14. 12. bis 30. 3. in der<br />

Ausstellung „Global aCtIVISm“ präsentiert wird – unter anderem<br />

mit „Na Faixa“ (Abbildung). fis<br />

512 Seiten · € 15,00 [D]<br />

ISBN 978-3-7645-3128-7<br />

Auch als E-Book erhältlich<br />

www.penhaligon.de<br />

facebook.com/penhaligonverlag twitter.com/penhaligonbooks


uMag 44<br />

Szene<br />

06.03. ROSTOCK | 07.03. DRESDEN<br />

08.03. MAGDEBURG<br />

09.03. MÜNCHEN | 11.03. WIEN<br />

12.03. ZÜRICH | 14.03. STUTTGART<br />

15.03. NEU-ISENBURG<br />

16.03. KÖLN<br />

18.03. HAMBURG<br />

10.04. ERFURT<br />

11.04. HANNOVER<br />

12.04. BERLIN<br />

10.03. LEIPZIG | 11.03. HAMBURG<br />

18.03. BERLIN | 19.03. DORTMUND<br />

20.03. KÖLN | 22.03. LINZ<br />

23.03. GRAZ | 24.03. NÜRNBERG<br />

25.03. WIESBADEN<br />

27.03. STUTTGART | 28.03. ZÜRICH<br />

29.03. MÜNCHEN | 31.03. WIEN<br />

BLEIBT DAS IMMER SO TOUR 2013<br />

28.11. KÖLN<br />

29.11. DORTMUND<br />

30.11. FRANKFURT<br />

02.12. SCHORNDORF<br />

03.12. NÜRNBERG<br />

04.12. MÜNCHEN<br />

06.12. MERKERS<br />

07.12. LEIPZIG<br />

08.12. DRESDEN<br />

10.12. HAMBURG<br />

11.12. HANNOVER<br />

12.12. BERLIN<br />

phrasenmäher<br />

TENTAKELABWEHR<br />

In seinem Debütroman „Der Trost von Telefonzellen“ räsoniert Joshua Groß über Beat -<br />

literatur, buddhistische Blechelefanten, Basketball, den BND – und darüber, was anzustellen<br />

ist mit der diffusen Epoche, in der wir uns befinden.<br />

uMag: Joshua, deine beiden Protagonisten versuchen,<br />

der Banalität und angeblichen Endgültigkeit<br />

unserer Zeit zu entfliehen. Kann das gutgehen?<br />

Joshua Groß: Ich würde<br />

nicht sagen, dass sie entfliehen.<br />

Sie beginnen, die<br />

vermeintliche Endgültig keit<br />

aufzubrechen. Der Teil der<br />

Gesellschaft, der diese End -<br />

gültigkeit suggeriert, macht<br />

dann Jagd auf die Prota go -<br />

nisten, weil es in seinem<br />

Interesse ist, dass alles so<br />

bleibt, wie es ist. Den Bei -<br />

den bleibt dann nur der<br />

überlegte Rückzug, aber<br />

dann treten sie erneut<br />

gegen diese Endgültigkeit<br />

an. Ich denke, dadurch helfen<br />

sie mit, sie schrittweise<br />

aufzubrechen. Die Chance,<br />

dass das gut geht, besteht immer. Daran zu glauben<br />

ist unsere Aufgabe.<br />

uMag: Gegen Ende sind die beiden zu De tek tiven<br />

geworden. Ist das die notwendige Kon se quenz?<br />

Groß: Detektive sind stets damit beschäftigt, sich<br />

Foto: Manuel Weißhaar<br />

Joshua Groß<br />

die Tentakel, die aus unserer mysteriösen und verworrenen<br />

Epoche hängen, vom Hals zu halten. Das<br />

wissen wir spätestens seit Raymond Chandler. Das<br />

Investigative hat aber<br />

auch eine unheimliche<br />

Ele ganz. Detektive sind<br />

nicht zu vereinnahmen,<br />

aber sie sezieren die<br />

Gegenwart mit unkonventionellem<br />

Scharf sinn. Was<br />

sie allerdings auch nicht<br />

davon abhält, nebenbei<br />

die überlegene Haltung<br />

des modern day hippies<br />

zu kultivieren.<br />

uMag: Was hat das alles<br />

mit dem „Institut für<br />

Jenga-Turm-Forschung und<br />

Assoziationen“ zu tun, das<br />

im Buch öfter auftaucht?<br />

Groß: Das Institut ist ein<br />

unbestimmbarer Ort, der als flexible Keimzelle des<br />

Widerstandes fungieren kann. Dieser Ort befindet<br />

sich sowohl in der Realität als auch in der Fiktion.<br />

Jeder Mensch ist herzlich eingeladen, nach dem<br />

Institut zu suchen und mitzumachen! fis<br />

IMPRESSUM<br />

„9 HITS, 3 EVERGREENS“ TOUR 2014<br />

18 19 20.02. BERLIN<br />

21 22.02. STUTTGART<br />

23 25.02. WIESBADEN<br />

26 27 05.03. BREMEN<br />

06 07.03. REGENSBURG<br />

08 10.03. A-WIEN<br />

12 13.03. HANNOVER<br />

14 15.03. KAISERSLAUTERN<br />

BOYCE AVENUE LIVE 2014<br />

25.03. MÜNCHEN - MUFFATHALLE<br />

27.03. BERLIN - HUXLEY‘S<br />

28.03. KÖLN - PALLADIUM<br />

29.03. HAMBURG - DOCKS<br />

bunkverlag GmbH<br />

Zeisehallen, Friedensallee 7–9<br />

22765 Hamburg<br />

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Weitere Beiträge dieser Ausgabe von<br />

Annett Bonkowski (ab), Verena<br />

Reygers (vr), Michael Schock (ms),<br />

Mitja Joel Steffens (mjs), Manuel<br />

Weißhaar (mwe)<br />

Praktikant<br />

Arne Empen (ae)<br />

Art Director<br />

Nils Heuner<br />

Grafik<br />

Gabriele Fabisch<br />

Kooperationen<br />

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Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

Vertrieb<br />

Stella Distribution GmbH<br />

Frankenstraße 7<br />

20097 Hamburg<br />

web www.stella-distribution.de<br />

Webportal<br />

www.uMagazine.de<br />

Das nächste uMag<br />

erscheint am 30. Januar


uMag 45<br />

Szene<br />

SCHWARZWEISS<br />

Foto: © Pallas Film<br />

Nein, dieser Trickfilm ist nichts für Kinder. Gewalt, Folter,<br />

Depression, Einsamkeit sind die Themen in Jaroslav Rudis’ Graphic<br />

Novel „Alois Nebel“, und der tschechische Regisseur Tomás Lunák<br />

hat aus der Vorlage eine kongeniale Verfilmung gemacht. In harten,<br />

kontra streichen Bildern, schonungslos und verstörend. Ab 12.<br />

Dezember im Kino. fis<br />

UNENDLICH LANGWEILIG<br />

Das Projekt ist gelungen: Aus<br />

im Nachlass gefundenen<br />

Frag menten und Computer -<br />

dateien ist ein Roman geworden.<br />

Mit „Der bleiche König“<br />

erscheint jetzt ein letztes<br />

Meisterwerk des 2008 durch<br />

Freitod aus dem Leben<br />

gegangenen David Foster<br />

Wallace in deutscher Übersetzung,<br />

das Fans völlig zu<br />

Recht frenetisch abfeiern<br />

werden. Wer aber mit der<br />

1 500 Seiten starken Großtat<br />

„Unendlicher Spaß“ seine<br />

Probleme hatte, der sollte<br />

nicht meinen, die 640 Seiten<br />

David Foster<br />

Wallace<br />

von „Der bleiche König“ wären leichter zu nehmen. Schließlich<br />

spielt der Roman diesmal auch noch am vermutlich langweiligsten<br />

Ort der Welt: in einem Provinzbüro des Service der amerikanischen<br />

Steuerbehörde IRS. cs<br />

Foto: Marion Ettlinger<br />

13.10.2013<br />

— 23.02.2014<br />

STILL<br />

BEWEGT<br />

Ori Gersht, Pomegranate, 2006, Videostill<br />

VIDEOKUNST<br />

UND ALTE MEISTER<br />

BAD HOMBURG V. D. HÖHE<br />

Löwengasse 15<br />

www.altana-kulturstiftung.de


uMag 46<br />

Zoom<br />

Abb.: © Filmgalerie 451, Foto: Thomas Aurin<br />

Christoph Schlingensief: Freakstars 3000 (2003), v. l. n. r.: Christoph Schlingensief, Horst Gelonneck, Kerstin Graßmann, Mario Garzaner, Achim von Paczensky


uMag 47<br />

Zoom<br />

EIN SCHLACHTFEST<br />

Christoph Schlingensief war ein meisterlicher Grenzgänger zwischen Kino, Politik und Theater.<br />

Eine Ausstellung in Berlin würdigt ihn jetzt als Bildenden Künstler.<br />

VON FALK SCHREIBER<br />

E<br />

in Film: Clara macht sich auf ins Ungewisse. Sie übertritt die<br />

Grenze und trifft sympathische Eingeborene, die einem ehrbaren<br />

Gewerbe nachgehen – Metzger. Ehrbar, bis Clara realisiert, dass<br />

sie es ist, die hier zu Wurst verarbeitet werden soll … Ein Splatter.<br />

Allerdings: Clara ist DDR-Bürgerin, wir schreiben das Jahr 1989, und<br />

dass der Westen sich über die Grenzöffnung freut, hängt damit zusammen,<br />

dass der stete Zuzug aus dem Osten vor allem Frischfleisch für die<br />

Wurstproduktion bedeutet. Die Wiedervereinigung: ein Schlacht fest.<br />

„Das deutsche Kettensägenmassaker“ war 1990 der erste Film, mit dem<br />

der damals 30-jährige Christoph Schlingensief über eine kleine Trash -<br />

kinogemeinde hinaus Aufsehen erregen konnte. Dieser Erfolg hat<br />

natürlich zu tun mit der politischen Provokation, das latente Un be ha gen<br />

an den Auswüchsen der Vereinigungsbegeisterung in einen Horror film<br />

zu übertragen. Es hatte auch zu tun mit der Tatsache, dass Schlin -<br />

gensief mit Karina Fallenstein, Susanne Bredehöft oder Irm Her mann<br />

ein theatererprobtes Ensemble zur Verfügung hatte, dessen Qualitäten<br />

mehr hergaben als panisches Kreischen. Und es hatte nicht zuletzt<br />

damit zu tun, dass „Das deutsche Kettensägenmassaker“ eben auch als<br />

Horror funk tionierte, als Film, der trotz bescheidener Mittel seinem<br />

Vorbild „The Texas Chainsaw Massacre“ durchaus das Wasser reichen<br />

konnte.<br />

In der Folge baute Schlingensief seinen Ruf als detailgenauer Trash-<br />

Horror-Politfilmemacher aus – und verschwand 1997, nach „Die 120<br />

Tage von Bottrop“, bis auf weiteres als Kinoregisseur. Die Grenzen des<br />

Films waren Schlingensief zu eng geworden, er begann, im Bereich der<br />

Fernseh shows und der Aktionskunst zu arbeiten. Vor allem aber machte<br />

er immer mehr Theater: wüste, aktionistische Projekte, hauptsächlich an<br />

der Berliner Volksbühne, wo der Dramaturg Carl Hegemann früh er -<br />

kannte, dass Schlingensief der perfekte Protagonist war für ein Theater,<br />

das mehr sein wollte als bildungsbürgerliche Selbst ver gewisserung.<br />

Zum Beispiel gründete Schlingensief 1998 eine Partei an der Volks -<br />

bühne, „Chance 2000“, deren Bundes tagswahlkampf eine einzige<br />

große Performance war, er baute mit „Passion Impossible“ eine Art<br />

tempo räre Bahnhofsmission für das Hamburger Schauspielhaus, er entwickelte<br />

mit „Bitte liebt Österreich“ eine fies-politische Castingshow für<br />

>>


uMag 48<br />

Zoom<br />

Abb.: © Filmgalerie 451<br />

Abb.: © Filmgalerie 451<br />

Das deutsche Kettensägenmassaker (1990), v. l. n. r.: Eva Maria Kurz,<br />

ohne Angabe, Mike Wiedemann, Irm Hermann<br />

Christoph Schlingensief: Die 120 Tage von Bottrop (1997),<br />

abgebildet: Margit Carstensen<br />

die Wiener Fest wochen. Und nach einiger Zeit inszenierte er tatsächlich<br />

auch Theater stücke: die Politsatire „Berliner Republik“ an der Volks -<br />

bühne, „Hamlet“ in Zürich, Elfriede Jelineks „Bambiland“ am Wiener<br />

Burgtheater.<br />

Schlingensief inszenierte Starschauspieler, Laien, Obdachlose, Menschen<br />

mit Behinderung, er überforderte seine Darsteller, so wie er sich überforderte.<br />

Häufig gab es Vorwürfe, er nutze Menschen aus, die sich nicht<br />

wehren könnten. Ein wenig war da auch etwas dran, aber es war auch<br />

so, dass Schlingensief sich selbst ebenso ausnutzte. Er machte sich<br />

selbst nackt und zeigte in seinen besten Arbeiten ein rohes, un fertiges<br />

Scheitern.<br />

Ein Scheitern, das spätestens 2008 eins wurde mit der Person<br />

Schlingensief. Bei dem damals 48-Jährigen wurde Lungenkrebs diag -<br />

nostiziert, nahezu alle folgenden Arbeiten bezogen sich auf seinen Um -<br />

gang mit der Krankheit. „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in<br />

mir“ bei der Ruhrtriennale in Duisburg, „Mea Culpa“ am Burg theater,<br />

„Via Intolleranza II“ im Hamburger Kulturzentrum Kampnagel – Kritiker<br />

mochten diesen Arbeiten Egozentrik vorwerfen: dass das allerdings


uMag 49<br />

Zoom<br />

Abb.: © Aino Laberenz<br />

Abb.: © Filmgalerie 451, Foto: Aino Laberenz<br />

Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir (2008), abgebildet: Karin Witt und Komparsen<br />

Christoph Schlingensief: The African Twintowers<br />

(2005–2009), abgebildet: Irm Hermann<br />

durch die Bank große Kunst war, ungeschützt, peinlich, selbst -<br />

entblößend, das bezweifelte niemand mehr. Als Schlingensief am 21.<br />

Au gust 2010 starb, da war sich die Kunstwelt einig, einen Jahr hun dert -<br />

künstler verloren zu haben.<br />

Einen Jahrhundertkünstler ohne Genre. Gerade in den letzten Jahren<br />

waren seine Arbeiten Grenzgänge zwischen Musik, Theater, Film,<br />

sozialer Intervention und Performance – eigentlich überraschend, dass<br />

der ohnehin nach allen Seiten offene Bereich der Bildenden Kunst<br />

Schlingensief nicht schon viel früher für sich einzuvernehmen versuchte.<br />

Erst vor drei Jahren sollte Schlingensief den deutschen Pavillon auf der<br />

Biennale von Venedig gestalten. Diesen Plan durchkreuzte der Tod des<br />

Künstlers. Stattdessen gestalteten seine Witwe, die Kostüm bilnerin<br />

Aino Laberenz, und Kuratorin Susanne Gaensheimer den Pavillon als<br />

Erinnerungsraum. In Deutschland aber wurde Schling en sief bis auf<br />

installative Einzelwerke in Hamburg, Leipzig oder Karlsruhe nie als<br />

Bildender Künstler gewürdigt. Bis jetzt. Vom 1. De zem ber bis 19. Januar<br />

zeigt das Berliner KW Institute for Contemporary Art eine erste große<br />

Retrospektive, die ab März ins New Yorker MoMA PS1 weiterzieht.


uMag 50<br />

Frequently asked Questions<br />

CHECKBRIEF<br />

NAME Stefan Sichermann<br />

BERUF Websatiriker<br />

ALTER 32<br />

HAT Abitur, Magister Artium in<br />

Alter Geschichte, Englischer<br />

Linguistik und Mittlerer<br />

Geschichte<br />

WAR MAL Werbetexter<br />

WEBSITE www.der-postillon.com<br />

SEITENAUFRUFE IM OKTOBER<br />

7 888 842<br />

POSTILLON, IST DIE WELT NICHT<br />

ZU VERRÜCKT FÜR SATIRE?<br />

INTERVIEW: VOLKER SIEVERT<br />

FACEBOOK-FANS 333 000<br />

ANDERE KANÄLE Podcast bei<br />

Bayern 3, Kanäle bei Yahoo und<br />

Youtube<br />

AUSZEICHNUNGEN<br />

„Best Weblog German“ bei The<br />

BOBs von der Deutschen Welle<br />

2010, Grimme Online Award 2013,<br />

Deutscher Webvideopreis 2013<br />

INSPIRATION die US-Satirewebsite<br />

The Onion www.theonion.com<br />

Fotos: Privat<br />

Stefan Sichermann, was hatte in letzter Zeit das größte satirische<br />

Potenzial? Die FDP? Die Energiewende? NSA? NSU? Die FDP?<br />

FDP und NSA haben sich da eigentlich ein starkes Kopf-an-Kopf-Rennen<br />

geliefert, aber inzwischen nimmt die FDP mehr tragische als komische<br />

Züge an. Im Überwachungsskandal hat aber auch weniger die NSA<br />

satirisches Potenzial als die Protagonisten in der deutschen Politik.<br />

Bitte ergänzen Sie: Satire darf …<br />

... auch mal albern und ziellos sein.<br />

Satire darf nicht …<br />

...nichts.<br />

Bei Religion hört für viele Leute der Spaß auf, manche reagieren gar<br />

mit Gewalt. Man denke nur an die Mohammed-Karikaturen. Würden<br />

Sie eine Satire über den islamischen Propheten bringen?<br />

Es gab im Postillon auch schon Satiren über Mohammed und den<br />

Islam. Bei mir beschwert haben sich bislang aber nur Christen. Am<br />

liebsten bringe ich Satire über gläubige Menschen, die sich leicht in<br />

ihren religiösen Gefühlen verunglimpft fühlen.<br />

Wenn Ihnen nichts einfällt, was tun?<br />

Krampfhaft überlegen, und wenn das nichts hilft: einfach in Panik<br />

geraten. Ich habe aber meistens noch die eine oder andere zeitlose<br />

Idee in der Hinterhand.<br />

Welcher deutsche Politiker liefert die dankbarsten Sätze?<br />

Aktuell: Hans-Peter Friedrich<br />

Ist die Wirklichkeit nicht längst verrückt genug, um Satire überflüssig<br />

zu machen?<br />

Ich arbeite daran, dass die Satire irgendwann normal genug ist, um<br />

die Wirklichkeit überflüssig zu machen.<br />

Der Newsticker auf der-postillon.com pflegt die Kunst des Kurz -<br />

kalauers. Ihre Lieblingsnews?<br />

Ich habe keinen Lieblingsticker. Aber hier zwei schöne, um das Inter -<br />

view aufzulockern: ++++ Immer nur Blasen: Ballerinas zu eng ++++<br />

Grob überschlagen: ca. 50 % der Besucher fanden Kirmes attraktion<br />

zum Kotzen ++++<br />

Sie blocken die meisten Anfragen von Journalisten ab. Warum?<br />

Na ja, ich beantworte immer gerne Fragen zu meiner Arbeit. Ich mag<br />

es nur nicht, wenn sich alles auf meine Person konzentriert. Öffentlichkeit<br />

habe ich auch so genug über die sozialen Netzwerken und<br />

über meine Seite.<br />

Und darf man das denn überhaupt: sich über andere lustig machen,<br />

aber selber den Kopf einziehen?<br />

Ich mache mich über niemandes Privatleben lustig, der es nicht<br />

selbst in der Öffentlichkeit ausbreitet.<br />

Haben Sie mit Freunden zu kämpfen, die sagen: Stefan, sei mal<br />

komisch?<br />

Nein. Die kennen mich ja schon länger und finden mich gar nicht so<br />

witzig.<br />

Bitte kommentieren Sie diesen Satz von Loriot: „Ich liebe Politiker auf<br />

Wahlplakaten. Sie sind tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen.“<br />

Ich fühle mich ehrlich gesagt unwohl, da meinen Senf dazuzugeben.<br />

Sie sind vom Werbetexter zum Satiriker geworden. Vorteil?<br />

Dass ich jetzt schreiben kann, was ich will, und nicht schreiben<br />

muss, was ein Kunde will.<br />

Im Web kann jedermann Satiriker sein – sollte das auch jedermann<br />

tun?<br />

Es spricht nichts dagegen.<br />

Zuguterletzt: Ihr Lieblingswitz …<br />

Da muss ich passen. Witze erzähle ich seltsamerweise überhaupt<br />

nicht mehr gerne, seitdem ich den Postillon mache.


Filmfan?<br />

Funschenker?<br />

Serienliebhaber?<br />

Gadgetsammler?<br />

Schenk doch mal anders mit:<br />

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