28.03.2014 Aufrufe

Kreuz oder Glück? - Kulturradio

Kreuz oder Glück? - Kulturradio

Kreuz oder Glück? - Kulturradio

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Abteilung: Kirche und Religion Redaktion: Kirsten Dietrich<br />

Sendereihe: Gott und die Welt Autor/-in: Christian Modehn<br />

Sendedatum: 17.11.2013 Sendezeit: 9.04-9.30 Uhr/kulturradio<br />

Prod.: 11.11.2013<br />

9.15-14.45 Uhr/T9<br />

_____________________________________________________________________________<br />

Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt; eine Verwertung ohne Genehmigung des Autors ist nicht gestattet.<br />

Insbesondere darf das Manuskript weder ganz noch teilweise abgeschrieben <strong>oder</strong> in sonstiger Weise vervielfältigt werden.<br />

Eine Verbreitung im Rundfunk <strong>oder</strong> Fernsehen bedarf der Zustimmung des RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg).<br />

_____________________________________________________________________________<br />

GOTT UND DIE WELT<br />

<strong>Kreuz</strong> <strong>oder</strong> <strong>Glück</strong>?<br />

Der Glaube und die Liebe zum guten Leben<br />

Sprecher: Max Urlacher<br />

Regie:<br />

Ralf Ebel


2<br />

5 Musikal. Zuspielungen<br />

1. O TON, Pater Klaus Mertes<br />

Ich glaube, dass <strong>Glück</strong> immer etwas ist, was mehr ist als das, man sich vorstellen kann.<br />

Deswegen weise ich so konkrete Vorstellungen von <strong>Glück</strong> für mich eher zurück. Ganz oft ist<br />

es dann eben ein Ereignis, und dieses Ereignis ist Gnade.<br />

2. O TON:, Rupert Neudeck<br />

Die Richtung ist ganz einfach: Nicht, dass man auf etwas verzichten muss. Sondern, das<br />

einzige, wozu wir in der Lage sein müssen, ist, dass wir uns schämen müssen, allein<br />

glücklich zu sein.<br />

3. O TON, Jörg Lauster<br />

Das Christentum ist eine Religion, die darauf hofft, die darauf vertraut, dass hinter all den<br />

Sinn Krisen, hinter all dem Nichtverstehen - Können in dieser Welt nun doch ein tieferer<br />

Sinn verborgen ist. Die Lehre vom <strong>Glück</strong> und die christliche Rede vom <strong>Kreuz</strong> sind keine<br />

absoluten Gegensätze, sondern sie bedingen einander.<br />

Titelsprecherin:<br />

<strong>Kreuz</strong> <strong>oder</strong> <strong>Glück</strong>?<br />

Der Glaube und die Liebe zum guten Leben<br />

Eine Sendung von Christian Modehn<br />

1. SPR.:<br />

<strong>Glück</strong>licherweise haben die Kirchen nie festgelegt, was <strong>Glück</strong> bedeutet. Kein Dogma hat es<br />

definiert. Keine Morallehre schreibt vor, wie Menschen <strong>Glück</strong> finden sollen. Denn die<br />

erfreulichen Höhepunkte im Alltag haben immer eine individuelle Prägung, auch für<br />

religiöse Menschen. Philosophen und Theologen sind sich einig, dass wir <strong>Glück</strong> oft<br />

überraschend, unerwartet, plötzlich in einem Augenblick, erleben: Wenn die gereizte<br />

Stimmung in der Familie plötzlich wieder heiter wird; wenn sich auf einmal neue Chancen im<br />

Berufsalltag auftun. In diesen Momenten wird uns neue Zuversicht geschenkt, berichtet<br />

Jörg Lauster:<br />

4. O TON, Lauster<br />

Wie man meiner Sprache anhört, komme ich aus Bayern und für mich sind immer solche<br />

besonderen Momente des Augenblicksglücks Naturerfahrungen. Da würde ich, aus<br />

Südbayern kommend, insbesondere die Berge heranziehen. Man steigt auf einen Berg, es<br />

bedarf einer gewissen Vorbereitung, dann muss man da hochgehen. Und was man dann<br />

dort erlebt, überbietet, jedes Mal und so oft man es tut, das, was man dort oben auf diesem<br />

Berg gesucht hat.<br />

1.SPR.:<br />

Jörg Lauster arbeitet als Professor für evangelische Theologie in Marburg. Sein besonderes<br />

Interesse, die theologische <strong>Glück</strong>sforschung, kann er mit persönlichen Erfahrungen als<br />

Bergsteiger verbinden. Dabei kann er immer wieder überraschende Erfahrungen machen:<br />

5. O TON, Lauster<br />

Dort stellt sich dann ein Bewusstsein ein, würde ich sagen, dass es doch jemand geben<br />

muss, der alles dies gemacht hat. Das denke ich in dem Moment nicht, sondern fühle es, das<br />

würde ich als Augenblicksglück beschreiben. Das überwältigt mich. Und das sind


3<br />

Erfahrungen, in denen uns auf einmal etwas aufleuchtet, in denen uns eine ganze<br />

Sinndimension des Lebens gewahr wird. Man fühlt sich in seinem eigenen Dasein<br />

angenommen und wenn mich jemand fragen würde: Warum ist das so? Dann fällt es schwer,<br />

dies rational zu erklären, das ist die Macht des Gefühls.<br />

1. SPR.:<br />

Aber wir versinken nicht in diesem Meer der Emotionen. Wir finden wieder ins Nachdenken<br />

zurück, wenn das Erstaunen über die unerwarteten Erfahrungen abgeklungen ist. Dann wird<br />

uns deutlich: <strong>Glück</strong> ist eine oft unentwirrbare Mischung aus günstigen Umständen und<br />

puren Zufällen. Das intuitive Gespür fürs Loslassen und Zugreifen ist dafür genauso wichtig<br />

wie die eigene Geschicklichkeit. Entscheidend ist nur, für Veränderungen offen zu bleiben.<br />

Religiöse Menschen nennen das Hoffnung, sagt Pater Klaus Mertes: Daran hat er sich<br />

gehalten, als er sich mit der Offenlegung des sexuellen Missbrauchs im Berliner Canisius<br />

Kolleg befassen musste.<br />

6. O TON, Mertes<br />

Ich hab in den schwerwiegenden Konflikten und Leiden, in denen wir Menschen stecken,<br />

durch das was wir einander antun, oft erlebt, dass es dann die Resignation gibt. Dass wir<br />

letztlich nur noch in Defensive zu einander stehen, einander misstrauen als vertrauen, dem<br />

anderen immer das Schlimmste zutrauen statt ihm vertrauen zu können. Und die<br />

Gegenbewegung zu dieser Resignation ist die Hoffnung auf Versöhnung. D. h., dass eine<br />

zerbrochene Freundschaft versöhnt werden kann und dann noch schöner ist als vorher.<br />

Ganz oft ist es dann eben ein Ereignis, welches Menschen noch einmal neu zusammenführt,<br />

und dieses Ereignis, das es möglich macht, ist Gnade.<br />

1.SPR.:<br />

Auch Menschen, die viele Jahre regelmäßig meditieren und in Stille und Abgeschiedenheit<br />

Gott suchen, erleben diese Gnade des Augenblicks: Wenn sie plötzlich den göttlichen<br />

Funken, das Licht des Ewigen, in ihrem Leben wahrnehmen - und erst schweigend verweilen;<br />

aber später diese Erfahrung in Worten beschreiben, die eher poetisch, vielleicht mystisch<br />

sind. Hans Torwesten praktiziert seit vielen Jahren Yoga; er ist mit der indischen Mystik<br />

genauso vertraut wie mit den Schriften Meister Eckarts. Eines Tages erlebte er unvermutet<br />

eine neue Geborgenheit, ein Gefühl von <strong>Glück</strong>:<br />

7. O TON, Torwesten<br />

Wenn ich den Grund erfahren habe, dann habe ich so etwas von der Ewigkeit gekostet, die<br />

Gottheit, den Grund, der auch in jedem Menschen ist. Also, dann weiß ich, wer ich ewig bin;<br />

ich breche durch zu meinem wesentlichen Sein. Und dieses Sein kann nur unentstanden und<br />

unzerstörbar sein. Viele Menschen erfahren das in einer Krise, wenn sie plötzlich merken,<br />

was bleibt, wenn ich mich fallenlasse. Dann erfahren sie vielleicht diesen Grund, der sie<br />

trägt, und den sie vielleicht vorher mal vom Kopf her gedacht haben. Aber sie wissen dann<br />

auch: Da bin ich eigentlich immer schon gewesen. Das ist nicht etwas völlig Neues. Das heißt<br />

nicht, dass man unverwundbar und nichts mehr an sich heran lässt. Man ist durchaus noch<br />

offen für Probleme und so weiter. Aber, ich glaube, man lebt mehr aus dem Inneren heraus.<br />

1.SPR.:<br />

So sehr das plötzliche Aufleuchten des Göttlichen das Leben verwandeln kann: Vorsicht ist<br />

doch geboten, meinen Theologen, sie warnen vor dem Übermut, der da meint: „Mich liebt<br />

Gott besonders, mir schenkt er mehr <strong>Glück</strong> als anderen“. Christen brauchen ein kritisches<br />

<strong>Glück</strong>sverständnis, meint der Berliner Theologe Michael Bongardt:


4<br />

8. O TON, Bongardt<br />

Denn wenn ich sage: Das ist etwas, was jetzt durch das direkte Eingreifen Gottes mir<br />

gegeben ist, dann stehe ich sofort vor der völlig unlösbaren Frage: Wieso er dann Menschen,<br />

die vieles nötiger brauchen als ich, offensichtlich nichts gibt, weil die in ihrer Not stecken<br />

bleiben. Ich finde es aber durchaus möglich, von <strong>Glück</strong>smomenten des eigenen Lebens <strong>oder</strong><br />

auch einer Gesellschaft, denken Sie an den 9. November 89, zu sagen: Dass da von dem<br />

Willen Gottes etwas sichtbar wird. Das ist ein Zeichen für das, was wir erhoffen als wirklich<br />

gelingendes Leben, das klingt gut.<br />

Musikal. Zuspielung<br />

1. SPR.:<br />

Sie können ihrer Begeisterung kaum Einhalt gebieten: Für diese bibeltreuen Christen hat<br />

<strong>Glück</strong> nur einen einzigen Namen: Jesus Christus, ihr Erlöser. Nur seinetwegen können sie<br />

voller Freude leben, jeden Tag und immer, so behaupten sie jedenfalls in ihrem Gesang:<br />

4. musikal. Zusp.,<br />

1.SPR.:<br />

Aber stimmt es denn, dass fromme Mensch immer happy, immer fröhlich und glücklich<br />

sind?<br />

9. O TON, Marcus Spieker.<br />

Der gläubige Mensch ist nicht der gesündere, der reichere, der klügere.<br />

1. SPR.:<br />

sagt Marcus Spieker. Er ist Journalist und Autor religiöser Bücher, keineswegs ein<br />

religionskritischer Skeptiker, sondern mit der konservativen, bibeltreuen Bewegung<br />

evangelikaler Protestanten verbunden:<br />

9. O TON, Fortsetzung:<br />

Also ich komme her von der Beobachtung, auch in meinem eigenen Freundeskreis, wo sehe,<br />

dass viele sehr fromme, religiös bewusst christliche Menschen Krebserkrankungen haben,<br />

Partner stirbt in jungen Jahren, lässt Kinder zurück. Große Krisenerfahrungen. Und dann<br />

habe ich mir die Frage gestellt: Was sagt mir das jetzt über meinen Glauben? Nützt das dann<br />

etwas zu glauben? Meine Antwort ist: Ja doch, und gerade deshalb, weil diese Welt einfach<br />

so ist, dass ein banales <strong>Glück</strong> schon daran scheitert, dass wir alle irgendwann mal sterben<br />

werden. D.h. Glauben muss Antwort auf mehr geben, auf die Frage: Was gibt es denn<br />

jenseits auch von diesem Leben. Also das geht um das ewige Leben.<br />

Musikal Zusp.,<br />

1. SPR.:<br />

Das ist uralte christliche Lehre: Erst im Himmel wird der Mensch glücklich sein. Hier auf<br />

Erden, so meinten schon die ersten Christen, herrschen nur Sünde, Bosheit, Verbrechen.<br />

Bleibt dem Jenseits und dem Ewigen treu, sagten große Theologen der frühen Kirche, wie<br />

Augustinus und Origenes. Der Philosoph Friedrich Nietzsche nannte diese Theologie<br />

„Platonismus fürs Volk“: eine Vorstellung, der Himmel und Ewigkeit wichtiger sind als das<br />

Naheliegende, das irdische <strong>Glück</strong>. Bis heute wird diese kirchliche Lehre offiziell verbreitet,<br />

berichtet der Berliner Theologe Michael Bongardt:


5<br />

10. O TON, Michael Bongardt<br />

Da ist die Vorstellung, der Mensch kann schon noch mehr und ist zu mehr bestimmt, als zur<br />

Aneinanderreihung einzelner <strong>Glück</strong>smomente. Er hat ein Ziel, in der theologisch – religiösen<br />

Sprache gesprochen: die Gemeinschaft mit Gott, in der er wirklich ganz Mensch ist und dann<br />

auch glücklich sein kann, glückselig sein kann. Die christliche Tradition hat deshalb die<br />

Hoffnung auf das <strong>Glück</strong> mit der Hoffnung auf das Leben nach Tod gleichgesetzt. <strong>Glück</strong> ist<br />

etwas Zukünftiges, <strong>Glück</strong> ist etwas, was es erst jenseits unserer Zeit gibt.<br />

1. SPR.:<br />

Heute hingegen sind immer mehr Christen überzeugt, selbst für etwas mehr <strong>Glück</strong> in dieser<br />

Welt sorgen zu können. Bleiben doch auch wir der Erde treu, könnte ihr Motto heißen. Und<br />

das mit gutem Grund, meint der Theologe Michael Bongardt:<br />

11. O TON, Bongardt:<br />

Wenn man so sehr davon überzeugt ist, dass diese Welt der Ort des Leidens ist, der Ort des<br />

Bösen, die es zu überwinden gilt, aus der es zu entkommen gilt, dann hatte man ein riesiges<br />

Problem mit den allerersten Sätzen der Bibel: Gott erschafft die Welt und nachdem die<br />

Schöpfung vollendet ist, steht da: Gott sah alles, was er gemacht hatte. Und er sah, dass es<br />

gut war.<br />

1.SPR.:<br />

Die zentralen ethischen Impulse Jesu von Nazareth haben einen zuversichtlichen, einen<br />

optimistischen Klang. In einem der wichtigsten Texte des Neuen Testaments, der<br />

Bergpredigt Jesu, steht das Wort „<strong>Glück</strong>“ sogar im Mittelpunkt. Nur wurde das viele<br />

Jahrhunderte ignoriert. Denn die Übersetzer haben das entsprechende griechische Wort<br />

makários mit dem eher abgehoben, jenseitig klingenden Begriff „selig“ übersetzt statt mit<br />

dem treffenden Wort glücklich. Heute sind Theologen überzeugt: Korrekt übersetzt müssen<br />

die entscheidenden Verse der Bergpredigt im Matthäusevangelium heißen:<br />

2. SPR.<br />

<strong>Glück</strong>lich, die arm sind vor Gott. Denn ihnen gehört das Himmelreich.<br />

<strong>Glück</strong>lich die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. <strong>Glück</strong>lich, die keine Gewalt<br />

anwenden, denn sie werden das Land erben. <strong>Glück</strong>lich, die hungern und dürsten nach der<br />

Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden. <strong>Glück</strong>lich die Barmherzigen, denn sie werden<br />

Erbarmen finden....<br />

1. SPR.:<br />

Die Armen, die Trauernden und Gewaltfreien, Menschen, die es überhaupt nicht leicht haben<br />

im Leben: Sie werden gut leben, sinnvoll, und reich beschenkt. Dieses <strong>Glück</strong>sgefühl stellt<br />

sich aber bereits in der Gegenwart ein, im Hier und Heute; darauf kommt es an, betont der<br />

Theologe Jörg Lauster:<br />

12. O TON, Lauster<br />

All diese Mühseligen und Beladenen, die Friedensstifter, denen wird ja <strong>Glück</strong>, <strong>Glück</strong>seligkeit,<br />

zugesprochen. Das ist meiner Meinung nach nicht gemeint als eine Vertröstung auf das<br />

Jenseits, sondern es ist gemeint: Dass jemandem, der diese Eigenschaften in seinem Leben<br />

realisiert, sich jetzt schon eine Dimension eines höheren Sinns erschließen wird, die nach<br />

gewöhnlichen Maßstäben natürlich nichts mit <strong>Glück</strong> zu tun hat. Und trotzdem bricht für<br />

jemanden, der Frieden stiftet, der Leid trägt, in diesem Moment etwas durch von einer<br />

höheren Sinndimension, die man als <strong>Glück</strong> bezeichnen kann.


6<br />

1. SPR.:<br />

Immer wieder lassen sich Menschen von der Bergpredigt inspirieren, wenn sie glücklich sein<br />

wollen. Barmherzigkeit ist für mich kein Traum, sagte der Journalist und Philosoph Rupert<br />

Neudeck, als er vor 35 Jahren das Elend der boatpeople im Südchinesischen Meer sah und<br />

handelte: Er gründete die weltbekannte Initiative Cap Anamur und<br />

schickte Rettungsboote zu den Ertrinkenden. Später gründete er die Aktion Deutsche<br />

Notärzte sowie die Organisation Grünhelme.<br />

Rupert Neudeck ist, sozusagen mit der Bergpredigt im Handgepäck glücklich geworden.<br />

13. O TON, Neudeck:<br />

Wenn man diese Parabel gelesen hat, verstanden hat, dann weiß man die Richtung, in die<br />

man gehen muss. Und die Richtung ist ganz einfach nicht, dass man auf irgendetwas<br />

verzichten muss. Wir müssen nicht ins Kloster gehen, wir müssen uns nicht kasteien, wir<br />

müssen nicht fasten. Sondern, das einzige wozu wir in der Lage sein müssen, ist, dass wir<br />

uns schämen müssen, allein glücklich zu sein.<br />

1. SPR..<br />

Dieses Schamgefühl inspiriert zum Handeln: Hildegard Goss – Mayr hat als junge Theologin<br />

vor 50 Jahren zusammen mit ihrem Mann den „Internationalen Versöhnungsbund“<br />

aufgebaut; sie hat Basisgruppen organisiert, die den gesellschaftlichen Wandel im Geist der<br />

Gewaltfreiheit anstreben. Sie hat dabei ihr Lebensglück gefunden, ein <strong>Glück</strong>, das sehr wenig<br />

mit der Befriedigung des eigenen Ego zu tun hat.<br />

14. O TON, Hildegard Goss Mayr<br />

Ich glaube, das Herzstück in meiner Arbeit der Gewaltfreiheit ist die Gewaltfreiheit Gottes,<br />

wie sie sich in Jesus darstellt. (((( Kürzung Anfang: Wenn wir auch dem Feind gewaltfrei<br />

begegnen wollen, dann muss auch ein neuer Weg im Handeln aufgezeigt werden, also eine<br />

neue Weise, das Unrecht zu überwinden Kürzung Ende))))Ich glaube, dass wir als Laien in<br />

der Kirche die Pioniere sein mussten, um der Gewaltfreiheit zum Durchbruch zu helfen. Ich<br />

denke z.B. an die Wende in der DDR. Dahinter standen engagierte Laien, evangelische vor<br />

allem. Oder ich denke an die Philippinen, wo ein Großteil der Kirchenführung auf der Seite<br />

des Diktators gestanden ist. Aber durch das Engagement der Laien auch Kardinal Sin z.B.<br />

zum Umdenken gebracht wurde und so die Diktatur wirklich überwunden wurde. Das<br />

Schönste in meiner Arbeit ist, immer wieder zu entdecken, welche Möglichkeiten in jedem<br />

Menschen liegen aus der Kraft der Gewaltfreiheit zu arbeiten.<br />

1. SPR.:<br />

Hildegard Goss Mayr hat unter den Militärdiktaturen ihr Leben riskiert. Sie war bereit, um<br />

der Gerechtigkeit willen auch die andere Wange hinzuhalten, wie es in der Bibel heißt. Wer<br />

Gerechtigkeit für die Armen will, muss bereit sein, das eigene Leben hinzugeben. Das ist<br />

uralte christliche Überzeugung. Schon Jesus von Nazareth hat sein Leben für Menschen am<br />

Rande, für religiös Diskriminierte und sozial Ausgegrenzte, verzehrt. Er endete deswegen<br />

als Störenfried am <strong>Kreuz</strong>. Und gerade die Orientierung am <strong>Kreuz</strong> Jesu, die Bindung an sein<br />

Lebensmodell, kann Menschen auch heute noch glücklich machen, meint der Theologe Jörg<br />

Lauster:


7<br />

15. O TON, Lauster<br />

Der Glaubensbegriff ist eine innere Haltung, ein inneres Vertrauen,<br />

nämlich die tiefe Überzeugung, dass in dem Tod Jesu, in dem TOD eines Menschen, etwas<br />

passiert ist, was uns einen ganz anderen, einen ganz neuen, einen tieferen Blick auf die Welt<br />

freilegt: Nämlich dass in diesem Tod ein Sinn liegt, den wir uns selber gar nicht erklären<br />

können. Und das belegen wir mit dem Begriff der Auferstehung.<br />

1. SPR.:<br />

Wenn das <strong>Kreuz</strong> Jesu nicht das Ende ist, kann es Kräfte freisetzen, mit den Schwierigkeiten<br />

im Leben, vor allem mit den Ängsten vor Sterben und Tod, gelassener umzugehen: Wer die<br />

eigene Begrenztheit annehmen kann, ist dann auch in der Lage, anderen Menschen in ihrer<br />

Not zur Seite zu stehen, sagt der Journalist Markus Spieker.<br />

16. O TON, Spieker,<br />

Ein Grund ist sicher, dass Leid Mitgefühl für andere weckt <strong>oder</strong> Verständnis, d.h. Ich hab<br />

dann die Fähigkeit auch mit denen zu reden, die krank sind. Derjenige, der immer locker<br />

durchs Leben gesegelt ist, was er denn den anderen zu sagen. Und das andere ist: Leid<br />

zeigt einem die eigene Begrenztheit auch und hindert einen daran, sich zu sehr an das<br />

Leben festzuklammern. Und Leid reinigt einen auch von der Idee, dass es im Leben nur um<br />

Spaß geht. Das ist ja das Problem heutzutage. Leid als produktives Element, das ist komplett<br />

eigentlich aus dem Leben raus und was ein gewisses seelisches Wachstum verhindert.<br />

Musikal. Zusp.,<br />

1. SPR.:<br />

Die christliche Lehre vom <strong>Glück</strong> ist anspruchsvoll. Und ihre Vorschläge sind unbescheiden,<br />

wenn nicht radikal: Wir können glücklich werden im Einsatz und in der Hingabe für die<br />

anderen. Das <strong>Kreuz</strong> Jesu bietet dafür den bleibenden Impuls, betont der Theologe Jörg<br />

Lauster:<br />

17. O TON, Lauster,<br />

Die Lehre vom <strong>Glück</strong> und die christliche Rede vom <strong>Kreuz</strong> sind keine absoluten Gegensätze,<br />

sondern sie bedingen einander.<br />

Dieses Erleben erzeugt Dankbarkeit, und Dankbarkeit ist keine momentane Haltung,<br />

sondern eine dauerhafte Haltung. Und es bildet aber auch Verantwortung aus: Da mich eine<br />

innere Stimme anspricht, die mir sagt: Du musst auch dafür sorgen, dass diese Welt, in der<br />

fürwahr nicht genug <strong>Glück</strong> gibt, anders werden muss.<br />

1. SPR.:<br />

Für mehr <strong>Glück</strong> auf der Welt sorgen: das kann nicht auf spirituelles Erleben begrenzt sein.<br />

Das stellt im Gegenteil ganz konkrete materielle Forderungen. Erlebbar machen, dass Gott<br />

es gut meint mit den Menschen: Das ist nicht mildtätige Caritas, auch nicht schneller und<br />

bindungsloser persönlicher Reichtum, sondern Gesellschaftsveränderung.<br />

1. SPR.:<br />

In Lateinamerika halten viele Christen an der Verheißung der Befreiungstheologie fest:<br />

Ohne menschenwürdige Lebensbedingungen kann es kein individuelles <strong>Glück</strong> geben. Die<br />

Ordensfrau Barbara Kiener versucht in Goias, einer vernachlässigten Region Brasiliens, den<br />

Ärmsten der Armen eine Ahnung von <strong>Glück</strong> zu schenken:


8<br />

18. O TON, Schwester Barbara<br />

Diese Basisgruppen und Basisgemeinden versammeln sich mit all den Familien. Sie beten<br />

und singen, sie halten so eine Art Agape: Sie bringen etwas zum Essen mit, das teilen sie<br />

miteinander, alle bekommen etwas zu essen. Die armen Menschen haben keine Möglichkeit,<br />

wenn sie sterbenskrank sind, ins Krankenhaus zu kommen, weil niemand ein Auto besitzt.<br />

Und so haben wir uns zusammen mit diesen Menschen eingesetzt, dass dieser<br />

Gesundheitsposten, der schon bestand, wirklich richtig strukturiert wurde und gescheit<br />

ausgestattet wurde. Dann haben wir ein gemeinsames Ziel erreicht, dann ist<br />

Menschwerdung möglich, dann können die Menschen ein menschlicheres Leben führen.<br />

1. SPR.:<br />

Verarmte Menschen in Lateinamerika streben nach dem guten Leben, sie wollen Anteil<br />

haben am <strong>Glück</strong>, hier und jetzt. Inzwischen wurde in Bolivien und Ecuador eine breite<br />

Basisbewegung gegründet: Christen, aber vor allem Repräsentanten der indigenen, der<br />

indianischen Völker, formulieren ihre Vorstellungen von buen vivir, vom guten Leben,<br />

berichtet der Lateinamerika – Spezialist Thomas Fatheuer, der lange Jahre in Rio de Janeiro<br />

für die Heinrich Böll Stiftung arbeitete:<br />

19. O TON, 0 51“, Thomas Fatheuer<br />

Im „guten Leben“ ist angelegt die Idee, in Harmonie mit der Natur zu leben. So wird es<br />

formuliert im Rückgriff auf indigene Traditionen, die gerade dieses andere Naturverhältnis<br />

sehr stark betonen: Nicht über die Natur herrschen im klassischen Sinne, nicht die Natur<br />

sich untertan zu machen, nicht die Natur als auszubeutende Mine zu sehen, sondern, wenn<br />

wir was der Natur entnehmen, müssen wir es wieder zurückgeben. Wenn ich fische, muss<br />

ich dafür sorgen, dass die Fische nicht in ihrer Fähigkeit sich zu reproduzieren gestört<br />

werden.<br />

„Buen vivir“ zielt nicht auf mehr und immer mehr, sondern auf ein Gleichgewichtszustand,<br />

wir müssen lernen, was heißt eigentlich gutes Leben heute. Viele Leute entdecken gerade,<br />

dass es unheimlich viele schöne Sachen zu machen gibt, die nicht unbedingt immer mehr<br />

Konsum bedeuten.<br />

1. SPR.:<br />

Die Vorstellung vom guten Leben wird niemals eine endgültige Erfüllung finden. Niemals<br />

wird es „die“ gute Gesellschaft und „den“ gerechten Staat „schlechthin“ geben. Weil die<br />

Verhältnisse immer bedrückend bleiben und die Unzufriedenheit über die Grenzen des<br />

eigenen, des individuellen Daseins nicht verschwindet, wird auch die Sehnsucht nach <strong>Glück</strong><br />

niemals zur Ruhe kommen. Für die christliche Lehre vom <strong>Glück</strong> ist diese Unruhe allerdings<br />

selbst schon ein Vorschein des guten Lebens. Sie zeigt, dass wir Menschen über alle<br />

konkreten Verhältnisse dieser Welt, über alles Endliche, wie die Philosophen sagen, immer<br />

schon „unruhig“ hinaus streben. Wir verlangen also immer schon nach Größerem und<br />

Wertvollerem. Und dieses <strong>Glück</strong> können wir auch schon jetzt erleben, halten wir bloß<br />

unsere Augen offen, weiten wir unseren Blick, meint der Philosoph Rupert Neudeck:<br />

20. O TON, 0 54“, Neudeck<br />

Wir sollen sehen, dass man in diesem täglichen Kampf eine Genugtuung empfindet, auch ein<br />

<strong>Glück</strong> empfindet, dass man nicht meint, das <strong>Glück</strong> ist darin, dass es eine besonders schöne<br />

Emotion ist, eine feierliche Emotion. Das <strong>Glück</strong> ist die Erfüllung, dass man sich immer<br />

wieder klar macht, dass es nicht stimmt, dass alles auf der Welt zum Heulen ist. Das ist nur<br />

die eine Hälfte der Realität. Es gibt eine andere, in der uns was gelingt, in der Solidarität<br />

gelingt, in der in kleinen Einheiten, in kleinen Kommunen, in Gemeinden, wo auch immer,<br />

Dinge passieren, die großartig sind. Aber diese Geschichten vom Gelingen, die brauchen wir,<br />

um uns nicht immer wieder zu verzehren, im Wortsinn.


9<br />

Titelsprecherin:<br />

<strong>Kreuz</strong> <strong>oder</strong> <strong>Glück</strong>?<br />

Der Glaube und die Liebe zum guten Leben<br />

Sie hörten eine Sendung von Christian Modehn<br />

Es sprachen: Max Urlacher<br />

Ton: Susanne Bronder<br />

Redaktion: Kirsten Dietrich<br />

Regie: Ralf Ebel<br />

Das Manuskript der Sendung können Sie telefonisch bei unserer Service-Redaktion<br />

bestellen, aus Berlin <strong>oder</strong> Potsdam unter 97993-2171. Oder per email: religion@rbbonline.de.<br />

Und zum Nachhören <strong>oder</strong> Lesen finden Sie die Sendung auch im Internet unter<br />

kulturradio.de.


10<br />

Literatur:<br />

Zum Thema „Christentum und <strong>Glück</strong>“ wurde bisher sehr wenig geforscht und sehr wenig<br />

veröffentlicht.<br />

Das Standardwerk zum Thema hat Jörg Lauster verfasst: „Gott und das <strong>Glück</strong>“. Das<br />

Schicksal des guten Lebens im Christentum. Gütersloher Verlagshaus. 2004, 222 Seiten.<br />

Lauster folgt der m<strong>oder</strong>nen, liberal – theologischen Perspektive.<br />

Auch in dem sehr empfehlenswerten interdisziplinären „Handbuch <strong>Glück</strong>“ befindet sich ein<br />

Beitrag von Jörg Lauster zum Thema. Der Herausgeber des umfangreichen Werkes ist u.a.<br />

Dieter Thomä. 466 Seiten, 2011, Stuttgart.<br />

Philosophisch Interessierte finden die besten Anregungen leicht zugänglich in den Essays<br />

von Michel de Montaigne <strong>oder</strong> grundlegend in den Büchern des Philosophen Martin Seel<br />

(Uni Frankfurt), etwa „Versuch über die Form des <strong>Glück</strong>s“ , Suhrkamp Taschenbuch.<br />

Marcus Spieker, „Gott macht glücklich und fromme Lügen“. SCM Hänssler Verlag, 2013,<br />

173 Seiten. Spieker ist eher einer evangelikalen Frömmigkeit verpflichtet. .<br />

Richard Wilkinson und Kate Picket, Gleichheit ist <strong>Glück</strong>. Warum gerechte Gesellschaften für<br />

alle besser sind. Tolkemitt bei Zweitausendeins, 2013, 368 Seiten.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!