Pilgern â - Service.bistumlimburg.de - Bistum Limburg
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UNTERRICHTSPRAXIS<br />
4<br />
Unterrichts-Mo<strong>de</strong>ll<br />
Die Kathedrale in Santiago <strong>de</strong> Compostela<br />
fahrung aussetzen. Gewohnt an Instantangebote,<br />
greifen sie lieber auf (pseudo)-religiöse<br />
Sofortangebote zurück, die<br />
rasch enttäuschen. Und so beschleunigen<br />
sie weiter ihr Leben; <strong>de</strong>nn wenn es<br />
scheinbar nichts gibt, was nach <strong>de</strong>m<br />
Tod auf uns wartet, dann muss das Leben<br />
hier und heute ausgekostet wer<strong>de</strong>n.<br />
Ich lasse mich nicht auf das Jenseits<br />
vertrösten, son<strong>de</strong>rn hole mir die Jenseitserwartungen<br />
in meine Gegenwart<br />
– paradise now! Die Jagd nach schnell<br />
konsumierbarem Sinn kommt dann<br />
zum Erliegen, wenn die Aufnahmefähigkeit<br />
mit <strong>de</strong>m Erlebniskonsum nicht<br />
mehr Schritt halten kann. Der beschleunigte<br />
Vagabund bleibt auf <strong>de</strong>r Strecke.<br />
Literarischer Exkurs<br />
Dieses Phänomen wur<strong>de</strong> bereits<br />
durch die französischen Existentialisten<br />
beschrieben, stellvertretend seien<br />
hier Samuel Beckett und Albert Camus<br />
genannt. Bei<strong>de</strong> werfen die Frage auf,<br />
wie <strong>de</strong>r Mensch mit seiner<br />
konstitutiven Heimatlosigkeit<br />
umgehen<br />
kann. Beckett und Camus<br />
zeigen dabei zwei<br />
entgegenlaufen<strong>de</strong><br />
Fluchtmöglichkeiten<br />
auf: Auf <strong>de</strong>r einen Seite<br />
<strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />
Aufbruch nicht wagt und<br />
statisch wartend seine<br />
Erlösung ersehnt (Beckett);<br />
auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />
Seite <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r<br />
immer wie<strong>de</strong>r aufbricht<br />
und sich dabei selbst erlösen<br />
will (Camus).<br />
Der Mensch im Stillstand<br />
wird von Samuel<br />
Beckett in seinem <strong>de</strong>m<br />
Nihilismus zuzuordnen<strong>de</strong>n<br />
Werk „Warten auf<br />
Godot“ charakterisiert.<br />
Beckett plädiert für die<br />
Statik <strong>de</strong>s Wartens. Er<br />
stellt sich gegen je<strong>de</strong>n<br />
© KNA-Bild Menschen, <strong>de</strong>r sich dynamisch<br />
<strong>de</strong>r Diskrepanz<br />
zwischen seiner Existenz und <strong>de</strong>m ihm<br />
gestellten Anruf wen<strong>de</strong>t. Statt aufzubrechen<br />
und die gesetzten Grenzen zu<br />
übersteigen, bevorzugt Beckett das<br />
„Sich-Verschließen“ gegenüber <strong>de</strong>m<br />
Anspruch, <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n Menschen ergeht.<br />
In dieser inneren Abgeschlossenheit<br />
wartet <strong>de</strong>r Mensch auf seinen Tod.<br />
Er unterzieht sich nicht <strong>de</strong>r Mühe, sein<br />
Leben zu entfalten und aktiv zu gestalten.<br />
Er verharrt im Gegenwartsgefühl,<br />
das er durch die Haltung <strong>de</strong>s Wartens<br />
verabsolutiert. Alle Zeichen, die auf Zukünftiges<br />
o<strong>de</strong>r gar Transzen<strong>de</strong>ntes hinweisen,<br />
ignoriert er. Becketts Mensch<br />
nimmt <strong>de</strong>n Zwiespalt zwischen Sollen<br />
und Sein wahr. Da er sich jedoch nicht<br />
in <strong>de</strong>r Lage fühlt, <strong>de</strong>m Sollen gerecht<br />
zu wer<strong>de</strong>n, zieht er es vor, sich gegenüber<br />
<strong>de</strong>m Anspruch zu verschließen und<br />
das En<strong>de</strong> seiner Existenz abzuwarten.<br />
Für Beckett ist eine Pilgerschaft <strong>de</strong>s<br />
Menschen un<strong>de</strong>nkbar. Wohl stellt er<br />
mit <strong>de</strong>n Personen Pozzo und Lucky<br />
Menschen vor, die ständig unterwegs<br />
sind. Jedoch han<strong>de</strong>lt es sich dabei um<br />
ein Vagabundieren. Der Vagabund ist<br />
dauernd unterwegs, um sich nicht <strong>de</strong>r<br />
Belastung <strong>de</strong>r Zeitdauer auszusetzen.<br />
Sein Gehen ist nicht auf ein letztes Ziel<br />
hin ausgerichtet. Er bewegt sich von<br />
spontanen Eingebungen motiviert, also<br />
um <strong>de</strong>r Bewegung willen. Dort, wo ihm<br />
die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens<br />
bewusst wird, kommt er zum Stillstand.<br />
Hingegen zeigt Albert Camus‘<br />
„Mythos <strong>de</strong>s Sisyphos“ <strong>de</strong>n Menschen,<br />
wie er sich um die eigene Achse dreht<br />
und in dieser Absurdität <strong>de</strong>n Sinn seiner<br />
Existenz zu fin<strong>de</strong>n sucht. Camus<br />
hat <strong>de</strong>n gleichen Ausgangspunkt wie<br />
Beckett: <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Anruf<br />
hört, diesem Anruf jedoch nicht gerecht<br />
zu wer<strong>de</strong>n vermag. Er bleibt aber<br />
nicht bei <strong>de</strong>m warten<strong>de</strong>n, sich langweilen<strong>de</strong>n<br />
Menschen stehen. Anhand <strong>de</strong>r<br />
Figur <strong>de</strong>s Sisyphos nimmt Camus einen<br />
„Versuch über das Absur<strong>de</strong>“ vor.<br />
Nach seiner Meinung ist <strong>de</strong>r Mensch<br />
ein Wesen, das – in die Existenz „hineingeworfen“<br />
– in fester Routine lebt<br />
und gewohnheitsmäßig Dinge tut, die<br />
das Dasein verlangt. Diese Gewohnheit<br />
<strong>de</strong>s Lebens bezeichnet er als einen<br />
„circulus vitiosus“, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Menschen<br />
so lange nicht bewusst ist, wie er ein<br />
geruhsames Leben führt. Es kommt jedoch<br />
<strong>de</strong>r Moment, in <strong>de</strong>m sich <strong>de</strong>r<br />
Samuel Beckett (1906-1989)<br />
© dpa<br />
INFO 34 · 1/2005