WS01 - Keel - seminare-ps.net
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Das erschöpfte Selbst<br />
20. Riehener Seminar 27. Oktober 2009<br />
Workshop 1 (14.10 – 15.30)<br />
Schmerz und Erschöpfung<br />
überwinden – Therapieansätze<br />
bei Fibromyalgie & Co.<br />
Prof. Dr. Peter <strong>Keel</strong><br />
Chefarzt Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik<br />
1
Schmerz<strong>ps</strong>ychotherapie:<br />
Stufenkonzept<br />
1. Diagnostikphase & Beziehungsaufbau<br />
(Vertrauensbildung)<br />
2. Kognitiv-verhaltenstherapeutische Phase<br />
(“Leben mit dem Schmerz”, Hilfe zur<br />
Selbsthilfe); Umgang mit Widerständen<br />
gegen Veränderung<br />
3. Hintergründe der Erschöpfung und der<br />
Schmerzen aufzeigen: Tendenz zu<br />
Selbstüberforderung, Anleitung zu<br />
Verhaltensänderung<br />
4. Psychodynamische Aufarbeitung<br />
Bindungs- und Beziehungsstörung,<br />
Trauma-Arbeit<br />
2
Schmerz-Psychotherapie<br />
1. Diagnostikphase &<br />
Beziehungsaufbau (Vertrauen)<br />
Psychosomatische Abklärung: Vertiefte<br />
(bio-<strong>ps</strong>ycho-sozialen) Schmerzanamnese<br />
Beziehungsgestaltung<br />
3
Bio<br />
Psychosomatische Abklärung: Vertiefte (bio-<br />
<strong>ps</strong>ycho-soziale) soziale) Schmerzanamnese<br />
– somatische Zusatzsymptome (ausführliche Systemanmnese) und<br />
vertiefte Schmerzanamnese (Einflüsse, Verlauf) als Hinweise für eine<br />
andere spezifische Erkrankung (Abklärung nach Mass) oder als<br />
weitere typische Zeichen des Fibromyalgiesyndroms<br />
Psycho<br />
– Zeichen von Depression oder Angst<br />
– Hinweisen für Tendenz zu Selbstüberforderung<br />
(„Schmerzpersönlichkeit“)<br />
Sozial<br />
– Belastungsfaktoren in Beziehungen (Familie) und Beruf<br />
verbessert die Vertrauensbeziehung<br />
ergibt Ansatzpunkte für eine Psychotherapie<br />
gibt prognostische Hinweise<br />
4
Vertiefte Schmerzanamnese<br />
5
Schmerz-<br />
fragebogen<br />
6
Wann ist es<br />
schlimmer?<br />
Tagebuch<br />
7
Beschwer-<br />
denliste<br />
8
Umfassende <strong>ps</strong>ycho-soziale<br />
soziale<br />
Anamnese<br />
(Wechselwirkungen, Ursachen und Folgen nicht klar trennbar)<br />
9
Einbezug von Angehörigen<br />
• Objektiveres Bild erhalten:<br />
– des Verhaltens des Betroffenen<br />
– der Beziehung zu den Angehörigen<br />
• Informieren der Angehörigen über Beurteilung<br />
und Massnahmen<br />
• Gewinnen der Angehörigen für Unterstützung<br />
in der Behandlung<br />
• Abbau von Verstärkerbedingungen<br />
• ev. Paar- oder Familienberatung einleiten<br />
10
Vertrauensbildende Massnahmen<br />
Beziehungsgestaltung:<br />
Gesprächsf<br />
chsführung<br />
hrung<br />
Umfasst zwei Elemente:<br />
• Therapeutische Grundhaltung<br />
(Meine Einstellung zum Klienten: Wie begegne ich ihm,<br />
welches Gefühl gebe ich ihm, was vermittle ich ihm)<br />
Diese zeigt sich in der ...<br />
• Technik der Gesprächsführung<br />
(Wie fragen, wie zuhören, wie antworten)<br />
Basiert auf der „Klientenzentrierten Psychotherapie“<br />
(Gesprächs<strong>ps</strong>ychotherapie) nach<br />
Rogers<br />
11
Gesprächsf<br />
chsführung: hrung:<br />
Therapeutische Grundhaltung<br />
• Therapeuteneigenschaften:<br />
– Empathie, Echtheit und positive<br />
Wertschätzung<br />
• Therapieziele:<br />
– Partnerschaft durch Unterstützung mit<br />
Information und Anleitung zu Selbsthilfe<br />
(= Psychotherapie Stufe 2)<br />
12
Schmerz-Psychotherapie<br />
Voraussetzungen<br />
• Motivationsarbeit<br />
– Abholen bei Schmerz (wie<br />
beschrieben)<br />
• Vertrauensbeziehung<br />
– Rahmenbedingungen <br />
– Vorsichtsmassnahmen <br />
• gute sprachliche Verständigung<br />
• Leidensdruck<br />
– somatische Therapien<br />
ausgeschöpft<br />
– sekundäre Verluste grösser als<br />
Gewinn<br />
13
Schmerz-Psychotherapie<br />
Spezielle Rahmenbedingungen<br />
• Vertrauen bilden: Schmerz ernst nehmen,<br />
gründlich beobachten, hartnäckig und mit<br />
Intuition nach Einflüssen fahnden, Verhalten<br />
hinterfragen, Widerstände aufdecken<br />
• Abwehr vorläufig respektieren:<br />
– Verleugnungstendenz (Belastungen)<br />
– Angst vor Ablehnung (Verstossung) und<br />
Verletzung (Retraumatisierung Stufe 4)<br />
• Therapie schützen:<br />
– Rückzug vermeiden, Motivation fördern,<br />
Struktur und Sicherheit geben; Umgang mit<br />
Widerstand Stufe 2<br />
14
Fibromyalgie-Patientinnen:<br />
Mimosen (empfindlich)<br />
• Fühlen sich rasch<br />
nicht verstanden<br />
und nicht ernst<br />
genommen<br />
• Hartnäckige<br />
Zweifel an<br />
Akzeptanz<br />
(Misstrauen)<br />
• Angst zur Last zu<br />
fallen bei<br />
verdeckten (in<br />
Therapien ev.<br />
offenen)<br />
Wünschen nach<br />
Umsorgung<br />
15
Schmerz-Psychotherapie<br />
Spezielle Vorsichtsmassnahmen<br />
• Struktur geben:<br />
– Informieren, Fragen stellen Zusammenhänge ansprechen<br />
– Sicherheit geben: feste Termine, Erreichbarkeit garantieren<br />
(Abhängikeit!)<br />
– zu Verhaltensänderung anleiten<br />
– Sprache des Unbewussten aktivieren<br />
– Übertragung beachten: Beziehungsanalyse (Stufe 4)<br />
• Auftragsklärung:<br />
rung:<br />
– Zieldefinition: keine Heilung, wenig passive Hilfe<br />
(Medikamente mit beschränkter Wirkung), Anleitung zur<br />
Selbsthilfe („Leben mit dem Schmerz“)<br />
– Hindernisse respektieren, Geduld zeigen<br />
16
2. KVT-Phase:<br />
„Leben mit dem Schmerz“<br />
Schmerz ...<br />
<br />
... kennen lernen (Informationen über Krankheit,<br />
Hintergründe, Behandlung)<br />
<br />
<br />
... verstehen lernen (Zusammenhänge mit<br />
Kognitionen und Verhalten erkennen)<br />
... beeinflussen lernen (Selbstbehandlungsmassnahmen<br />
lernen und einsetzen)<br />
17
Kennen lernen: Informationen<br />
– Information über die Krankheit (z.B.<br />
Fibromyalgie): Ursachen, Verlauf,<br />
Prognose, Therapiemöglichkeiten (<br />
Patient als informierter Partner,<br />
Förderung der Autonomie)<br />
– Information über Schmerz allgemein:<br />
Unterschiede akut/chronisch,<br />
Schmerzleitung, Schmerzmodulation,<br />
„Gate-control“-Theorie, Konditionsverlust<br />
durch Schonung, Tendenz zu Selbstüberforderung<br />
(Erschöpfung) etc.<br />
18
Schmerz verstehen lernen<br />
• Wann ist es schlimmer/besser?<br />
– Tagebuch, Einflussliste<br />
• Was teilt er mit?<br />
– Zusammenhänge, Sachzwänge, Verhaltensmuster<br />
• Wovor schützt er?<br />
– Überlastung, Stress, Nähe<br />
• Was bewirkt er?<br />
– Wut, Schuldgefühle, Depression; Entlastung, Zeit für<br />
sich, Ruhe, Zuwendung<br />
19
Schmerz verstehen:<br />
Therapiethemen<br />
• eigener Umgang mit Schmerz<br />
Teufelskreise (Schonung, Depression)<br />
• Leistungsverhalten, Perfektionismus<br />
"Schmerzpersönlichkeit"<br />
• Konfliktfähigkeit, Durchsetzungsvermögen<br />
"immer allen alles recht machen"<br />
• Reaktion der Umgebung (Familie, Arbeit)<br />
Rücksicht? Zuwendung?<br />
• Rolle von Kindheitserfahrungen<br />
Strenge, Härte, Missbrauch<br />
= Übergang zur vertieften Verhaltensanalyse (Phase 3)<br />
20
Beispiel einer kognitiven Strategie:<br />
„ Mein Nacken schmerzt, ich kann den Kopf<br />
kaum drehen, auch beim Liegen tut es weh“.<br />
Ungünstige Reaktionen<br />
Es sind schreckliche Schmerzen.<br />
Ob ein Nerv eingeklemmt ist?<br />
Es wird immer schlimmer.<br />
Ich muss zum Arzt.<br />
Günstige Reaktionen<br />
Ich habe wieder diese Schmerzen, es<br />
spannt.<br />
Ich bin wohl verspannt, weil ich diese<br />
Reise vor mir habe und noch vieles<br />
vor bereiten muss; ich habe Angst, zu<br />
spät zu kommen.<br />
Wenn es mir gelingt, mich zu<br />
entspannen, wird der Schmerz<br />
erträglicher werden.<br />
Ein warmes Bad und ein paar<br />
Entspannungsübungen werden helfen.<br />
Ich muss mich schonen.<br />
Ich sollte wieder regelmässig<br />
schwimmen gehen.<br />
21
Schmerz-Psychotherapie<br />
Widerstände gegen Veränderung<br />
• unrealistisch hohe Erwartungen: Heilung<br />
• hilflos-passive Erwartungshaltung: „Ich kann nichts<br />
dagegen tun ...“<br />
• Einwände gegen Veränderung: „Ja, aber ...“<br />
• verdeckte Widerstände: „... nichts hilft, alles macht<br />
Nebenwirkungen, immer gleich ...“<br />
• vermeintliche Sachzwänge - unrealistische Ängste<br />
22
Psychotherapie - Widerstände:<br />
Erklärungsmodell, rungsmodell, Auswege<br />
Schmerzspiele (R.A. Sternbach) = destruktive<br />
Spiele (emotionsgeladen) der<br />
Transaktionsanalyse (Eric Berne)<br />
beschreiben typische Helfer - Patient - Interaktion<br />
(Helferrolle!)<br />
Betrachtung auf Systemebene,<br />
Metakommunikation, Übertragung/<br />
Gegenübertragung<br />
Paradigmawechsel<br />
23
Schmerzspiele: Eröffnung (1)<br />
Ein chronischer Schmerzpatient kommt mit<br />
der scheinbar gutartigen Bitte zum Arzt,<br />
dass dieser ihn von seinen Schmerzen<br />
befreien solle, was bisher noch kein<br />
Therapeut geschafft habe.<br />
24
Schmerzspiele: Fortsetzung (2)<br />
Verdeckt teilt er dem Therapeuten<br />
mit, dass dieser das gewünschte<br />
Ziel auch nicht erreichen werde.<br />
25
Schmerzspiele: Fortsetzung (3)<br />
Darin drückt sich das<br />
unbewusste Motiv des<br />
Patienten aus: Das<br />
Bedürfnis, in seiner<br />
Grundeinstellung<br />
bestätigt zu werden,<br />
dass ihm niemand<br />
wirklich helfen könne<br />
(wolle) und er letztlich<br />
immer wieder<br />
enttäuscht und<br />
abgewiesen werde.<br />
26
Schmerzspiele: Ausgang (4)<br />
Steigt der Arzt, aus seinem Bedürfnis<br />
allen helfen zu wollen (müssen),<br />
trotzdem auf die Aufforderung ein und<br />
versucht den Patienten vom Schmerz<br />
zu befreien, so sind ein Scheitern und<br />
die beiderseitige Enttäuschung<br />
unvermeidlich.<br />
27
Schmerzspiele: Massnahmen<br />
1. Interaktionsgeschehen wahrnehmen<br />
2. Emotionale Reaktionen beidseits beachten<br />
3. Eigene Rolle beachten<br />
4. Übertragung und Gegenübertragungsphänomene<br />
erkennen (zirkuläres<br />
Modell; Beziehungsanalyse)<br />
5. Reagieren, neue ev. paradoxe Strategien<br />
suchen<br />
28
Destruktive Spiele: Auswege<br />
Veränderungen in Helferrolle<br />
Rolle des omnipotenten Helfers<br />
aufgeben (Paradigmawechsel:<br />
Akutmedizin -> Rehabilitation)<br />
eigene Grenzen (Gefühle) kennen und<br />
zeigen (Echtheit!), trotzdem wohlwollend<br />
und einfühlsam bleiben<br />
eigene Angst, zu enttäuschen ablegen:<br />
Nein sagen gegenüber Patient<br />
29
Destruktive Spiele: Auswege<br />
Erwartungen an Patient<br />
Klare Abmachungen (Erwartungen<br />
klären, Ziele definieren, Vertrag)<br />
Eigenverantwortung fördern<br />
(Selbstreflexion), Eigenleistungen<br />
verlangen (Hausaufgaben)<br />
Übertriebene Hilflosigkeit aufdecken,<br />
überwinden helfen („ja, aber“)<br />
30
3. Hintergründe nde der Erschöpfung und<br />
der Schmerzen aufzeigen<br />
(vertiefte Verhaltensanalyse)<br />
• Tendenz zur Selbstüberforderung führt zu<br />
Erschöpfung/Müdigkeit<br />
– Konfliktleugnung, sozial erwünschtes Verhalten<br />
– Leistungsorientierung, Durchhaltestrategien<br />
– Angst vor Abhängigkeit und Kritik/Ablehnung<br />
– Überwachsamkeit, Überhilfsbereitschaft<br />
• Schmerzprovokation durch<br />
– Hartnäckiges Durchhalten, auf Zähne beissen<br />
– Ausblendung der Schmerzen während Leistung<br />
– Unfähigkeit zu leisten führt zu Schuldgefühlen, Wut und<br />
Enttäuschung; Verzicht schwierig<br />
31
Tendenz zu Selbstüberforderung<br />
berforderung<br />
– Leistungsorientierung: hartes, pausenloses Arbeiten,<br />
Verausgabung, wenig Erholung<br />
– Selbstwertprobleme: Anerkennung von Leistung abhängig,<br />
Selbstentwertungstendenz<br />
– Angst vor Kritik und Verstossung: Perfektionismus,<br />
Überanpassung, Überwachsamkeit<br />
– Vermeidung von Abhängigkeit:<br />
Mangel an Urvertrauen,<br />
forcierte Selbständigkeit, Mühe Hilfe zu beanspruchen,<br />
Bindung an abhängige Partner<br />
– Aggressionshemmung: geringes Durchsetzungsvermögen,<br />
konfliktscheu, Harmoniesucht<br />
– Alexithymie: Unfähigkeit, v.a. unangenehme Gefühle<br />
wahrzunehmen und auszudrücken<br />
32
Schmerz-Psychotherapie: Leben mit dem Schmerz<br />
Schmerz beeinflussen lernen<br />
= Anleitung zu Verhaltensänderung<br />
nderung<br />
Rücksicht auf den Rücken<br />
– Rücksicht<br />
– Rücken schützen<br />
– Stress abbauen<br />
Am Beispiel von<br />
chronischen<br />
Rückenschmerzen<br />
auf sich selbst:<br />
33
Rücksicht auf den Rücken:<br />
R<br />
Rücken schützen<br />
• Vor Überlastung schützen:<br />
– Schwerarbeit dosieren (Pacing )<br />
– konstante Haltungen meiden<br />
• Durch Training stärken:<br />
– Bewegung im Alltag, Sport<br />
• Durch Ausgleich entlasten:<br />
– Pausen, Abwechslung,<br />
Entspannung<br />
34
Rücksicht auf sich selbst:<br />
Stress abbauen<br />
• Zeit nehmen für sich selbst<br />
• Nein sagen lernen<br />
• Sich durchsetzen lernen<br />
• Konfliktfähiger werden<br />
• Perfektionismus abbauen<br />
35
Pacing: : Gute Tage nützen n<br />
und<br />
schützen<br />
• Patienten neigen dazu sich zu<br />
überfordern und Schmerzen zu<br />
provozieren, v.a. wenn sie einen guten<br />
Tag haben, weil sie ...<br />
... nachholen wollen, was sie versäumt haben<br />
... überzeugt sind, dass der nächste Tag wieder<br />
schlecht sein wird<br />
... den guten Tag nützen wollen<br />
36
Hintergründe nde der Tendenz zu<br />
Selbstüberforderung<br />
berforderung<br />
• Lebensgeschichte (Kindheit)<br />
– Mangel an Liebe und Zuwendung<br />
– Strenge, Strafen, Schläge<br />
– frühes hartes Arbeiten<br />
– Missbrauch (körperlich, sexuell)<br />
37
Psychodynamisches Modell der Entwicklung chronischer Schmerzen<br />
in Kindheit:<br />
emotionale/ körperliche Vernachlässigung;<br />
emotionaler/ körperlicher/ sexueller Missbrauch<br />
in Erwerbsleben: Counterdependency<br />
•hohe Schmerztoleranz, Durchhaltestrategien (auf Zähne beissen)<br />
•hohe Leistungen um Anerkennung zu gewinnen und Strafe/<br />
Verstossung zu vermeiden<br />
•Unabhängigkeitsdrang (fehlendes Urvertrauen, Unfähigkeit Hilfe in<br />
Anspruch zu nehmen)<br />
•Retraumatisierung (Unfälle, Verletzungen, Missbrauch, Ausbeutung)<br />
in Krankheit:<br />
•Hyperalgesie, Hyperästhesie (Kälte, Nässe, Lärm etc.)<br />
•Depressivität als Folge des Verlusts des Leistungsvermögens<br />
•Reizbarkeit, Aggressivität - Schuldgefühle, Depression
Schmerz-Psychotherapie<br />
4. Psychodynamische Aufarbeitung<br />
• Ziele:<br />
– Abwehrverhalten verstehen, Selbstwertstörung aufdecken,<br />
Hintergründe der „Tendenz zur Selbstüberforderung“<br />
herausarbeiten, Beziehungsverhalten analysieren <br />
Übertragung<br />
• Voraussetzung:<br />
– Motivationsarbeit<br />
– Vertrauensbeziehung<br />
– Verhaltensanalyse<br />
– Vorbereitung für<br />
Trauma-Arbeit<br />
39
Bindungs- und Beziehungsstörung<br />
• vermeidendes Bindungsverhalten<br />
• Vermeidung von Abhängigkeit<br />
(counterdependency)<br />
• Dissoziierte, unreife (emotionale) Persönlichkeitsanteile<br />
neben reifen, anscheinend normalen<br />
Persön-lichkeitsanteilen:<br />
– „Interaktionspersönlichkeit“: Aktivierung durch<br />
Übertragungsphänomene (Schlüsselsituationen)<br />
• wechselndes Beziehungsverhalten je nach Situation<br />
und Bezugsperson!!!<br />
40
Hintergründe nde der Tendenz zu<br />
Selbstüberforderung<br />
berforderung<br />
– Leistungsorientierung: Suche nach Akzeptanz und Liebe,<br />
Kompensation der Schwäche durch Stolz auf eigene Stärke<br />
– Selbstwertprobleme: Folge der Verstossung und des<br />
Missbrauchs „ich bin minderwertig, daher nicht<br />
liebenswert“ (Rationalisierung)<br />
– Perfektionismus, Überanpassung,<br />
Überwachsamkeit<br />
berwachsamkeit:<br />
Vermeidung von Kritik und Verstossung<br />
– Vermeidung von Abhängigkeit:<br />
Schutz vor Verlassenwerden<br />
und Enttäuschung, Fürsorge für Andere; Angst vor<br />
Abhängigkeit von Therapeuten<br />
– Aggressionshemmung: Angst vor Dysharmonie, Streit und<br />
Gewalt auf Grund von Kindheitserlebnissen<br />
– Alexithymie: Verleugnung und Verdrängung von<br />
unangenehmen Gefühlen, die als Kind unaushaltbar waren<br />
41
Erklärung rung für f<br />
r Verhalten und<br />
Beziehungsstörung:<br />
„Doppeltes Trauma“<br />
• Fortgesetzter (v.a. sexueller) Missbrauch nur<br />
möglich, wenn schützende Umgebung fehlt<br />
(Ersatz-)Mutter abwesend, schwach, hilflos, krank<br />
Umgebung glaubt nicht (kann nicht sein, „Lügen“)<br />
Umgebung macht mit (liefert Kind Missbrauchern aus,<br />
ord<strong>net</strong> brutale Strafen selber an)<br />
unerwünschte, verstossene Kinder<br />
Führt zu schwerer Selbstwert- und<br />
Beziehungsstörung<br />
– Minderwertigkeits- und Schuldgefühle<br />
– mangelndes Urvertrauen, Rückzug auf sich selbst<br />
– erneute Ausbeutung in Beziehungen und an Arbeit<br />
– Angst vor Abhängigkeit und Ausbeutung oder<br />
Verstossung in Therapie<br />
42
Trauma aufarbeiten:<br />
Rahmenbedingungen<br />
• Information über Symptome und Mechanismen<br />
der PTBS sowie geplanten Therapieprozess<br />
• Angst vor Wiedererleben, Verleugnung und<br />
Verdrängungstendenz wohlwollend ansprechen<br />
• Klare Abmachungen für f<br />
Aufarbeitung: Tempo<br />
vereinbaren, Schutz anbieten,<br />
Schutzmassnahmen besprechen und Einüben<br />
• Autonomie: Pat. entscheidet mit wie und wann<br />
die Aufarbeitung geschehen soll<br />
• Retraumatisierung vermeiden: weder<br />
rücksichtslose Aufarbeitung noch verleugnendes<br />
Wegsehen<br />
43
Trauma aufarbeiten: Ziele<br />
• Bewältigung der Vergangenheit erlaubt<br />
freieres Leben in der Zukunft<br />
– Ablegen von zwanghaften, erschöpfenden<br />
Defensivhandlungen<br />
– Ablegen von Vermeidungsverhalten<br />
(Abhängigkeit, Nähe, Intimität), Erlernen von<br />
Vertrauen, Inanspruchnahme von Hilfe,<br />
Zulassen von Schwäche („Gefühle“)<br />
– Verzicht auf Überwachsamkeit,<br />
Überanpassung, Überhilfsbereitschaft<br />
44
Phasen der Genesung<br />
1. Stabilisierung, Sicherheit geben<br />
– Sicherheit, Schutz, Ablösung aus<br />
ausbeutenden Beziehungen<br />
2. Trauma aufarbeiten<br />
– Rekonstruktion, Trauerarbeit<br />
3. Wiederanknüpfung ans Leben<br />
– Rückeroberung, Befreiung, neues<br />
Selbst entwickeln, Leben geniessen<br />
Lernen trotz Schmerzen und<br />
Erschöpfung (Schmerzakzeptanz);<br />
Loslösung aus Abhängigkeit von<br />
Therapeut<br />
45
Heilsame Beziehungserfahrung:<br />
Therapeut ...<br />
• ... weicht den heftigen Emotionen nicht aus, deutet<br />
Funktion der Abwehr (Verleugnung) positiv<br />
• ... nimmt den Missbrauch ernst, zeigt Einfühlung, gibt<br />
Schutz und Geborgenheit<br />
• ... verhindert Überflutung durch heftige Gefühle,<br />
stoppt Dissoziation (wenn möglich)<br />
• ... nützt Wehrlosigkeit der Patientin nicht aus, sondern<br />
hilft ihr Kontrolle über sich selbst rasch<br />
zurückzugewinnen<br />
„Hier und Jetzt“: Neue Beziehungserfahrung<br />
bearbeiten: Deuten auf Hintergrund der früheren<br />
Erfahrungen<br />
Wirkt sich auf aktuelle Beziehungen aus<br />
46
Die gute alte ärztliche Kunst<br />
ˆWtá {≠v{áàx<br />
ùÜéàÄ|v{x<br />
jxÜ~xÇ âÇw ^≠ÇÇxÇ áxàéà<br />
xÜáà wt x|Ç? ão w|x [x|ÄutÜ~x|à<br />
x|ÇxÜ ^ÜtÇ~{x|à tây{≠ÜàA<br />
ÜàAÂ<br />
]A ^Ätxá|<br />
48
Zusammenfassung:<br />
Psychotherapie bei chronischen<br />
Schmerzen<br />
• Integration in somatische Behandlung (bio<strong>ps</strong>ycho-sozial):<br />
Abholen beim Schmerz,<br />
Vertrauen bilden<br />
• Kognitiv-verhaltenstherapeutischer Einstieg:<br />
Selbsthilfe aktivieren<br />
• Sanfter Übergang zu aufdeckender<br />
Psychotherapie: Lebensgeschichte,<br />
Beziehungsanalyse<br />
• Umgang mit Widerstand: eigene Hilflosigkeit<br />
nutzen<br />
! Therapiesituation als Modell, Mut zu Intuition<br />
statt starre Theorie<br />
49