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Langskript Spezielle Hämostaseologie - Transfusionsmedizin ...

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Skript zur Vorlesung Praktikum <strong>Transfusionsmedizin</strong>/Hämostaseologie, Teil II<br />

2. Klinisches Semester<br />

<strong>Transfusionsmedizin</strong>ische und Hämostaseologische Abteilung, Universitätsklinikum<br />

Erlangen<br />

<strong>Spezielle</strong> Hämostaseologie: Diagnostik und Therapie Hämorrhagischer und<br />

Thrombophiler Diathesen.<br />

Inhaltsverzeichnis (Weiterführung von Hämostaseologie, Teil I):<br />

3.1 Einleitung<br />

3.2 Einteilungskriterien der hämorrhagischen Diathese<br />

3.2.1 Einteilung nach Pathogenese<br />

3.2.2 Klinische Symptomatik (Blutungstypen)<br />

3.2.3 Einteilung nach Organlokalisation<br />

3.3 Klinische Beurteilung einer hämorrhagischen Diathese<br />

3.4 Thrombozytär bedingte hämorragische Diathesen<br />

3.4.1 Angeborene Thrombozytopathien (selten)<br />

3.4.2 Erworbene Thrombozytopathien<br />

3.4.3 Thrombozytopenien (Einteilung):<br />

3.4.3.1 Immunthrombozytopenie (ITP)<br />

3.4.3.2 Neonatale Allo-Immunthrombozytopenie (NAIT)<br />

3.4.3.3 Posttransfusionspurpura (PTP)<br />

3.4.3.4 Autoimmune Thrombozytopenie<br />

3.4.3.5 Arzneimittel (AM) induzierte Thrombozytopenie<br />

3.4.3.6 Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT)<br />

3.5 Vasopathien<br />

3.5.1 Purpura Schoenlein-Henoch<br />

3.5.2 Panarteriitis nodosa<br />

3.5.3 Sonstige vaskulär bedingte hämorrhagische Diathesen<br />

3.5.4 Morbus Rendu-Osler-Weber (selten)<br />

3.6 Angeborene Koagulopathien<br />

3.6.1 Hämophilie A<br />

3.6.1.2 Therapie der Hämophilie<br />

3.6.2 Von Willebrand-Jürgens Syndrom<br />

3.6.2.1 Von Willebrand Faktor (Antigen)<br />

3.6.2.2 Klassifikation: hereditäres vWJS<br />

3.6.2.3 Sonderform: Erworbenes vWJS<br />

3.6.2.4 Diagnostik des vWJS<br />

3.6.2.5 Therapie des vWJS<br />

3.7 Erworbene Koagulopathien<br />

3.7.1 Hemmkörper- (Inhibitor-) Koagulopathie<br />

3.7.1.1 Diagnostik der Hemmkörperhämophilie<br />

3.7.1.2 Therapie der Hemmkörperhämophilie<br />

3.7.2 Allgemeine diagnostische und therapeutische Prinzipien bei Koagulopathien<br />

4. Therapie mit Plasma und dessen Derivaten<br />

4.1. Plasma zur therapeutischen Anwendung<br />

4.2. Die wichtigsten Plasmaderivate<br />

4.3 Auswahl und Dosierung des geeigneten Plasmaderivats<br />

4.4 PPSB (Prothrombinkomplex) Konzentrat


4.4.1 Prinzipien der PPSB-Anwendung<br />

4.4.2 Risikomindernde Maßnahmen bei der PPSB-Gabe:<br />

4.4.3 PPSB – Mögliche Nebenwirkungen<br />

4.5 Zusammenfassung: Allgemeine Prinzipien zur Berechnung der Faktorenkonzentration<br />

5. Thrombophile Diathesen<br />

5.1 Thromboseentstehung<br />

5.1.1 Virchow Trias<br />

5.1.2 Thrombusentstehung im venösen System<br />

5.1.3 Thrombusentstehung im arteriellen System<br />

5.2 Thrombophilie<br />

5.3 APC Resistenz (= Resistenz gegen aktiviertes Protein C) / Faktor V Leiden<br />

5.3.1 Historisches<br />

5.3.2 Genetik des Faktor V – Leiden<br />

5.3.3 Kombination von F.V - Leiden mit anderen thrombophilen Risikofaktoren<br />

5.4 Prothrombin Mutation (G20210 A)<br />

5.4.1 Bedeutung der Prothrombin Mutation<br />

5.4.2 Molekularbiologie<br />

5.4.3 Klinik<br />

5.5 Antithrombin-Mangel<br />

5.5.1 Bedeutung des Antithrombin Mangels<br />

5.5.2 Klinik des angeborene Antithrombinmangel<br />

5.5.3 Klinik des erworbenen Antithrombinmangels<br />

5.5.4 Therapie des Antithrombinmangels<br />

5.5.5 AT-Mangel als Nebenwirkung bei Gerinnungstherapie<br />

5.6 Protein C Mangel<br />

5.6.1 Angeborener Protein C Mangels (heterozygot/homozygot)<br />

5.6.2 Erworbener Protein C Mangel<br />

5.6.3 Therapie des Protein-C-Mangels<br />

5.7 Protein S Mangel<br />

5.7.1 Angeborener Protein S Mangel<br />

5.7.2 Erworbener Protein S Mangel<br />

5.7.3 Therapie des Protein-S-Mangels<br />

5.8 Prophylaxe und Therapie der venösen Thromboembolien<br />

5.8.1 Cumarine (Phenprocoumon, Warfarin)<br />

5.8.2 Heparine<br />

5.8.3 Direkte Thrombininhibitoren<br />

5.8.3.1. Hirudin<br />

5.8.3.2. Argatroban<br />

5.8.3.3. Dabigatran<br />

5.8.4 Direkte Faktor-Xa-Inhibierung: Rivaroxaban<br />

5.8.5. Kurzer Überblick: Thromboseprophylaxe bei chirurgischen und immobilisierten<br />

internistischen Patienten<br />

5.8.6 Fibrinolytika


3.1 Einleitung<br />

Aufgrund der großen Komplexität der Physiologie der Hämostase ergibt sich die Möglichkeit<br />

für vielerlei Störungen der Blutstillung. Wenn hieraus eine abnorme Blutungsneigung<br />

resultiert, sprechen wir von einer hämorrhagischen Diathese. Dagegen äußert sich eine<br />

trombophile Diathese oder Thrombophilie klinisch in einer Thromboseneigung.<br />

Definition der hämorrhagischen Diathese:<br />

Sammelbezeichnung für Krankheitszustände, die durch eine Blutungsneigung bzw. das Auftreten<br />

spontaner, schwer stillbarer Blutungen gekennzeichnet sind [Diathese = Neigung]. Hämorrhagische<br />

Diathesen sind angeborene oder erworbene Störungen des Blutgerinnungssystems.<br />

3.2 Einteilungskriterien der hämorrhagischen Diathesen<br />

3.2.1 Einteilung nach Pathogenese:<br />

Ätiologisch werden Blutungen nach den zugrunde liegenden Ursachen eingeteilt.<br />

Eine mögliche Ursache ist eine thrombozytär bedingte Blutungsneigung, also ein Defekt der<br />

primären Hämostase, der sich wiederum in eine Verminderung der Thrombozytenzahl<br />

(Thrombozytopenie) oder in eine Funktionsstörung der Thrombozyten (Thrombozytopathie)<br />

unterteilen lässt. Eine andere wichtige Ursache ist die plasmatisch bedingte Blutungsneigung, also<br />

ein Defekt der sekundären Hämostase. Bei dieser handelt es sich i.d.R. um den Mangel bzw. die<br />

Fehlfunktion eines oder mehrerer Gerinnungsfaktoren. Als bekanntestes Beispiel ist hier die<br />

Hämophilie A, der angeborene Mangel an Gerinnungsfaktor VIII, zu nennen. Die (bei<br />

Mitbetrachtung sehr leichter Formen) häufigste angeborene hämorrhagische Diathese ist das von-<br />

Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWJS), das klassischerweise als „Mischform“ einer plasmatischen<br />

und thrombozytären Blutungsneigung imponiert. Seltener treten Blutungen durch eine<br />

Hyperfibrinolyse auf (z.B. Verbrauchskoagulopathie, DIC, tumorassoziierte Hyperfibrinolyse).<br />

Der geringste Anteil der Blutungen wird durch Vasopathien (vaskuläre Ursache, um 5% der<br />

Blutungsursachen) verursacht.<br />

Eine weitere Einteilungsmöglichkeit ist die Unterscheidung nach hereditär vs. erworben. Als<br />

Beispiele für krankheitsbedingt erworbene hämmorrhagische Diathesen lassen sich<br />

Thrombozytopenie aufgrund maligner hämatologischer Erkrankungen, Hemmkörperhämophilie,<br />

Vasulitis und vor allem eine Thrombozytenfunktionsstörung durch die Einnahme von<br />

verschiedenen Medikamenten, insbesondere acetylsalicylsäurehaltige Schmerzmittel oder andere<br />

Nicht-steroidale Antirheumatika, nennen. Auch weitere iatrogene Ursachen sind häufig (z.B.<br />

unerwünschte Nebenwirkung im Rahmen einer Antikoagulation; erhöhte Gefäßfragilität nach<br />

chronischer Therapie mit Cortikosteroiden, sog „chirurgische Blutung“)<br />

Schließlich wird als primäre Form einer hämorrhagischen Diathese jedes eigenständige Krankheitsbild<br />

und als sekundäre Form die Blutung als Begleitsymptom einer Grunderkrankung<br />

bezeichnet.<br />

Einen Überblick verschafft die nachfolgende Tabelle:<br />

Einteilungskriterium<br />

Beispiele<br />

Nach Defekt im Hämostasesystem Thrombozytopenie/Hämophilie<br />

A/Hyperfibrinolyse/Gefäßverletzung<br />

Hereditär/erworben X-chromosomal vererbte Hämophilie<br />

A/Hemmkörperhämophilie<br />

Krankheitsbedingt/iatrogen Mangel an Gerinnungsfaktoren aufgrund Synthesestörung<br />

– Therapie mit Antikoagulantien<br />

Chronisch - akut Hämophilie aufgrund hereditären Faktorenmangels -


Primär - sekundär<br />

hämorrhag. Diathese bei Verbrauchskoagulopathie<br />

Hämophilie A – Faktorenmangel bei Leberzirrhose<br />

3.2.2 Klinische Symptomatik (Blutungstypen):<br />

Eine Blutungsneigung kann sich bereits im Alltag durch auffallend lange oder starke Blutungen bei<br />

Bagatellverletzungen äußern. Ebenso kann eine Neigung zu spontanem Nasenbluten (Epistaxis)<br />

oder Zahnfleischbluten bestehen. Bei schwerer Hämophilie sind Einblutungen in Gelenke häufig.<br />

Klinisch sehr bedeutsam sind auch Einblutungen in die Haut, die vielerlei Formen aufweisen<br />

können: Die Rhexisblutung bezeichnet Gefäßläsionen, die scharf begrenzt und meist auf eine<br />

Lokalisation beschränkt sind (im Lichtmikroskop erkennbar). Die Diapedesisblutung betrifft die<br />

Endstrombahn, die Blutungen erscheinen daher eher verwaschen (die Gefäßläsion ist nur<br />

elektronenmikroskopisch nachweisbar). Aus der Morphologie der Blutung auf der Haut oder den<br />

Schleimhäuten lassen sich wichtige Hinweise auf die Krankheitsursache erkennen. Bei<br />

punktförmigen Blutungen unterscheidet man die Petechie (ital.: Blutflecken), die punktförmig<br />

flach ist und einzeln, d.h. voneinander gut abgrenzbar erscheint, von der Purpura (lat.: Purpur),<br />

einer Anhäufung von vielen Petechien, die nicht mehr gut voneinander abgrenzbar sind und einen<br />

unscharfen Randsaum aufweisen. Davon abzugrenzen ist das Hämatom („Bluterguss“), das eine<br />

raumfordernde Blutung im Gewebe bedeutet, die Sugillation (unscharf begrenzte Blutung in der<br />

Haut), die Suffusion (flache, unscharf begrenzte Blutung in der Schleimhaut) und die Ekchymose<br />

(flache, fleckförmige und scharf begrenzte Blutung). Die klinisch am wichtigsten zu<br />

differenzierenden Blutungsmorphologien sind einerseits die Hämatome, die spontan meist bei<br />

schweren plasmatischen Gerinnungsstörungen auftreten können (z.B. Hämophilie A oder B) und<br />

auch im Schleimhautbereich lokalisiert sein können (z.B. von Willebrand Syndrom). Petechien<br />

treten in der Regel bei Thrombozytopenien auf (häufigste Ursache) oder bei starken<br />

Thrombozytenpathien. Vasopathien sind mehr oder minder ausgeprägte Störungen der<br />

Gefäßintegrität, die zu Einblutungen in das Gewebe (z.B. Haut) führen können. Das<br />

Erscheinungsbild dabei ist bunt, bei Vasopathien treten hauptsächlich petechienartige Blutungen<br />

auf.<br />

3.2.3 Einteilung nach Organlokalisation:<br />

Für Blutungen bestimmter Organe oder Blutbeimengungen zu Körperflüssigkeiten und -sekreten<br />

werden spezielle Begriffe verwendet:<br />

Epistaxis Nasenbluten Hämaskos Blut in Bauchhöhle<br />

Hämoptoe Blutungen aus der Lunge Hämarthros Blut im Gelenk<br />

Hämatemesis Erbrechen von Blut Hämometra Blut in Gebärmutter<br />

Hämothorax Blutansammlung in der Brusthöhle Hämoperikard Blut im Herzbeutel<br />

Hyphäma Blut in der vorderen Augenkammer<br />

Meläna Blut im Kot, dunkle Farbe =<br />

Hämatinbildung durch HCl des<br />

Magensaftes


3.3 Klinische Beurteilung einer hämorrhagischen Diathese<br />

Für die klinische Beurteilung eines Patienten ist zunächst die Eigenanamnese unabdingbar. Da<br />

einige hämorrhagische Diathesen auch hereditär sind, kommt der Erhebung der<br />

Familienanamnese eine große Bedeutung zu; dies besonders bei Kindern. Durch die Anamnese<br />

kann also eine erste Einschätzung des Schweregrades der hämorrhagischen Diathese erfolgen.<br />

Hilfreich für die Anamneseerhebung sind standardisierte Fragebögen. Wichtige Fragen sind<br />

beispielsweise die bisher erfolgten Blutungskomplikationen in Anzahl und Lokalisation, die<br />

Anzahl transfusionspflichtiger Blutungen, das Erstmanifestationsalter bei Blutungskomplikationen<br />

oder der Blutungstyp (siehe oben). Erfragt werden muß hierbei auch, ob bei Operationen,<br />

Zahnextraktionen, Geburten oder größeren Verletzungen auffällige Blutungen auftraten.<br />

3.4 Thrombozytär bedingte Hämorragische Diathesen<br />

Grundsätzlich unterschieden werden muß die Thrombozytopathie (Funktionsstörung der<br />

Thrombozyten) von der Thrombozytopenie (verminderte Thrombozytenzahl).<br />

Kurzcharakterisierung der Thrombozyten:<br />

- Bildungsort: Megakaryozyten im Knochenmark<br />

- Ca. 25% der Thrombozyten finden sich in der Milz (Thrombozytenreservoir)<br />

- Normwert im peripheren Blut: 150.000 – 450.000/µl<br />

- Durchmesser des Thrombozyten ca. 2 – 4 µm<br />

- Lebensdauer der Thrombozyten im Blut: ca. 7-10 Tage<br />

3.4.1 Angeborene Thrombozytopathien<br />

Bei angeborenen Thrombozytopathien besteht meist eine lebenslange Blutungsneigung, die unterschiedlich<br />

stark ausgeprägt sein kann und mit keiner offensichtlichen Störung von globalen<br />

plasmatischen Gerinnungstesten oder der Thrombozytenzahl einhergeht. Zur Diagnose der<br />

Thrombozytopathie muss ein Test durchgeführt werden, die die Thrombozytenfunktion erfasst<br />

(z.B. Thrombozytenaggregationstestung nach Born oder die In-vivo oder besser In-vitro<br />

Blutungzeit mittels PFA-100 ® ) durchgeführt werden. Häufig ist für eine eindeutige Klassifizierung<br />

der Thrombozytopathie eine aufwendige Untersuchung des thrombozytären Rezeptorstatus nötig,<br />

die jedoch meist nur durchgeführt wird, wenn die Subklassifizierung der Thrombozytopathie von<br />

klinischer Relevanz ist.. Neben den klassischen, aber auch sehr seltenen Rezeptordefekten (s.u.)<br />

gibt es noch eine Reihe schwierig zu klassifizierender Defekte der Sekretion von<br />

Plättcheninhaltsstoffen und –rezeptoren.<br />

Das sehr seltene Bernard-Soulier-Syndrom (BSS) weist einen quantitativen oder qualitativen<br />

Synthesedefekt des GP Ib-V-IX Rezeptors (= vWF-Rezeptor) auf. Dies führt zu einer unzureichenden<br />

Bindung des vWF (von Willebrand Faktor) an die Thrombozytenmembran und dadurch<br />

zu einer eingeschränkten Thrombozytenfunktion. Die Erkrankung wird autosomal rezessiv vererbt.<br />

Da vorwiegend die Thrombozytenadhäsion betroffen ist, ist die Blutungszeit verlängert und die<br />

Ristocetin-induzierte Thrombozytenaggregation pathologisch. Im Diffenenzialblutbild fallen<br />

morphologisch sog. „Riesenthrombozyten“ (sog. „Giant Platelets“) auf.<br />

Die Thrombasthenie Glanzmann stellt eine seltene, autosomal rezessive Störung der Thrombozytenfunktion<br />

dar, wobei der Fibrinogen-Rezeptor (GP IIb/IIIa) betroffen ist (quantitativer oder<br />

qualitativer Synthesedefekt des Rezeptors). Durch eine unzureichende Fibrinogenbindung an die<br />

Thrombozytenmembran ist hauptsächlich die Thrombozytenaggregation gestört. Im Thrombo-


zytenaggregationstest sind die Reaktionen mit den Agonisten ADP und Kollagen verändert,<br />

während die Reaktion mit Ristocetin normal ist. Die Morphologie der Thrombozyten ist unauffällig.<br />

Die klinische Symptomatik ist variabel (petechialen Blutungen, Epistaxis, Menorrhagien,<br />

etc.), insgesamt besteht jedoch nur eine leichte bis mittelgradige Blutungsneigung. Eine Reihe<br />

dieser funktionellen Plättchenfunktionsstörungen führen oft nur zu milder Blutungsneigung und<br />

sind dadurch sowohl anamnestisch als auch diagnostisch sehr schwer zu fassen. Meist sind es<br />

Einzelereignisse, die zu schweren Blutungen geführt haben, die dann Anlaß zu meist langwierigen<br />

diagnostischen Abklärungen geben. Therapeutisch entspricht die Vorgehensweise der bei BSS<br />

(siehe oben).<br />

Thrombozytopathien lassen sich therapeutisch mit der Gabe von Thrombozytenkonzentraten<br />

behandeln. Wenn die Thrombozytopathie auf einem Rezeptordefekt beruht (wie bei Bernard-<br />

Soulier oder Glanzmann), kann die Gabe von Thrombozytenkonzentraten jedoch zu einer<br />

Immunisierung gegen den fehlenden Glykoproteinrezeptorkomplex führen, was eine weitere<br />

Versorgung mit Thrombozytenkonzentraten auch in Notfallsituationen unmöglich macht. Darum<br />

sollten hier nach Möglichkeit andere Maßnahmen versucht werden: Häufig kommt es nach Gabe<br />

von DDAVP (Minirin®) zu einer Verbesserung der Thrombozytenfunktion. Bei kleinen<br />

chirurgischen oder zahnärztlichen Eingriffen reicht oftmals eine lokale Antifibrinolyse aus. Sehr<br />

bewährt hat sich bei Blutungsereignissen bei Thrombasthenie Glanzmann auch die Gabe von<br />

rekombinantem Faktor VIIa (Novoseven ® )<br />

3.4.2 Erworbene Thrombozytopathien:<br />

Erworbene Plättchenfunktionsstörungen (z.B. durch Medikamente induziert) stellen den häufigsten<br />

Grund für Gerinnungsstörungen dar und führen nicht selten zu erheblichen (oft perioperativen)<br />

Blutungsproblemen (Medikamentenanamnese!). Ein Beispiel hierfür ist die<br />

Einnahme von Aspirin ® oder anderen Arzneimitteln, die Acetylsalicylsäure enthalten. Andere<br />

Antiphlogistika und Schmerzmittel können ebenfalls Bestandteile enthalten, welche die<br />

Thrombozytenfunktion beeinträchtigen (COX-Hemmer, s. Übersicht). Des Weiteren wurden in<br />

über 100 Medikamenten und auch Nahrungsmitteln Stoffe gefunden, die eine Verminderung der<br />

Plättchenfunktion verursachen.<br />

Wichtig zu erwähnen ist, dass die meisten dieser Medikamente primär nicht zur absichtlichen<br />

Hemmung der Thrombozytenfunktion wie z.B. als Sekundärprophylaxe nach Myokardinfakt oder<br />

ischiämischem Apoplex eingenommen werden, sondern oft als nicht rezeptpflichtiges<br />

Schmerzmittel. Daher sollte immer nach solchen Medikamenteneinnahmen gefragt werden!<br />

Daneben existieren noch eine Reihe pathologischer Zustände, die oft mit einer toxischen<br />

Thrombozytenfunktionsstörung verbunden sind (z.B: Myeloproliferatives Syndrom, extrakorporale<br />

Blutzirkulation, Dysproteinämien, Autoantikörper, etc.).<br />

Ursachen erworbener Thrombozytopathien:<br />

Medikamente<br />

Mechanisch<br />

Toxisch<br />

Regenerativ<br />

Nichtsteroidale Antiphlogistika<br />

(Aspirin,Ibuprofen) [Cyclooxygenase: COX]<br />

Tiklopidin [ADP-Antagonismus mit Inhibition<br />

der GpIIb/IIIa-Aktivierung]<br />

Extrakorporale Zirkulation<br />

Verbrennungen<br />

Urämie<br />

Lebererkrankungen<br />

hämatologische Systemerkrankungen<br />

CLL<br />

Plasmozytom<br />

3.4.3 Thrombozytopenien (Einteilung):


Es gibt eine Reihe von Krankheitsbildern, die mit einer Verminderung der Thrombozytenzahl<br />

(mild: 50.000 – 150.000/µL; mittelschwer: 20.000 – 50.000 /µL; schwer: < 20.000/µL) einhergehen.<br />

Allgemein unterscheidet man eine Bildungsstörung oder eine Umsatzstörung vom Thrombozytenverbrauch<br />

(z.B. bei Blutungen). Thrombozytopenien treten aufgrund einer Bildungsstörung<br />

des Knochenmarks (hereditär, im Rahmen einer erworbenen hämatologischen Grunderkrankung<br />

oder aufgrund einer toxischen Schädigung) auf. Eine zweite wichtige Ursache ist die<br />

Autoimmunthrombozytopenie, bei der Antikörper gegen Thrombozyten und Megakaryozyten<br />

auftreten.<br />

3.4.3.1. Immunthrombozytopenie (ITP)<br />

Die ITP wurde früher als Idiopathische Thrombozytopenie verstanden. Seit bekannt ist, dass<br />

Autoantikörper für das Krankheitsbild verantwortlich sind, wird diese Abkürzung für den Begriff<br />

Immunthrombozytopenie verwendet. (Falls in „neuen“ Arztbriefen „idiopathische<br />

Thrombozytopenie“ vermerkt sein sollte, ist entweder ein alter Begriff verwendet worden, oder es<br />

handelt sich tatsächlich um eine Thrombozytopenie, für die noch kleine Ursache gefunden wurde.)<br />

Die ITP kommt bei Kindern (meist akute ITP) und bei Erwachsenen vor und stellt eine isoliert<br />

vorkommende Thrombozytopenie dar, die mit keinen anderen klinischen Ursachen<br />

vergesellschaftet ist. Daher stellt die ITP eine Ausschlussdiagnose dar. Sie kann mit oder ohne<br />

Splenomegalie vorkommen. Die akute ITP tritt meist bei Kindern nach Infektionen auf und heilt<br />

nach längstens 12 Monaten aus. Bei Immunthrombozytopenien, die länger als 12 Monate<br />

andauern, spricht man von einer chronischen ITP (Morbus Werlhof). Differentialdiagnostisch ist<br />

bei der akuten ITP der postoperative akute Thrombozytenabfall bei Blutungen oder die<br />

heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) zu unterscheiden. Akut treten typischerweise<br />

Petechien, Hämatome und Schleimhautblutungen auf. Bei der chronischen ITP werden<br />

Thrombozytenzahlen auch unter 20.000/µL oft gut toleriert (Adaptation), die dann meist nur kleine<br />

petechiale Einblutungen verursachen.<br />

Die Thrombozytenfunktion kann bei der ITP eingeschränkt sein, wenn sich die Autoantikörper<br />

gegen spezielle thrombozytäre Rezeptoren richten. Häufig ist die Funktion der verbliebenen<br />

Thrombozyten jedoch besser, als die Thrombozytopenie befürchten läßt. Da die<br />

Antikörperbeladung zu einem schnelleren Abbau der Thrombozyten in der Milz führt, liegen bei in<br />

der Regel gesteigerter Megakaryozytopoese im Knochenmark überproportional viele junge<br />

Thrombozyten vor, die besonders gut funktionieren. Weil junge Thrombozyten noch ein größeres<br />

Volumen aufweisen als ältere, ist das mittlere thrombozytäre Volumen in der Regel gesteigert.<br />

Liegen in selteneren Fällen jedoch Autoantikörper vor, die bereits die Thrombozytopoese auf der<br />

Ebene der Megakaryozyten hemmen, so ist dann die Megakaryozytopoese gehemmt.<br />

Evtl. nachzuweisende antithrombozytäre Antikörper (IgG-Typ) können unter immunsuppressiver<br />

Therapie mit Cortison, Cyclophosphamid, oder einer Kombination von beiden, abfallen und es<br />

somit zu einer Erhöhung der Thrombozytenzahl kommen. Durch die Gabe von Immunglobulinen<br />

wird eine Blockade des Monozyten-Makrophagen-Systems und ein dadurch bedingter reduzierter<br />

Abbau von AK-beladenen Thrombozyten bewirkt, so daß mit dieser Therapie ein rascher Anstieg<br />

erreicht werden kann. Als weiteren Therapieansatz kann eine Splenektomie vorgenommen werden,<br />

die zu einer Verminderung der Thrombozyten-Clearance aus dem Blut (durch die Milz) führt. Die<br />

Thrombozytengabe ist auf vitale Notfallsituationen beschränkt (cave: Antikörperboosterung). In<br />

letzter Zeit wurden auch durch die Gabe von Thrombopoietinanaloga gute Therapieerfolge erzielt.<br />

Ebenso sind gegen B-Zellen gerichtete spezifische Antikörper (Anti-CD20 – Rituximab) eingesetzt<br />

worden. Thrombozytenkontrollen können bei der chronischen ITP in mehrmonatigen Abständen<br />

bzw. bei entsprechender veränderter klinischer Symptomatik durchgeführt werden, bei der akuten<br />

ITP sollten sie aber mindestens wöchentlich erfolgen. Der Patient sollte über die Krankheit<br />

gründlich aufgeklärt werden (Notfallausweis). Dies gilt hauptsächlich für Vorsichtsmaßnahmen<br />

(z.B. Sportarten mit Verletzungsrisiko meiden) oder den Verzicht auf die Einnahme von


Acetylsalicylsäure und andere nichtsteroidale Schmerzmittel/Antirheumatika. Diese Empfehlung<br />

gilt generell für alle Patienten mit klinisch relevanten Thromboztopenien bzw. –pathien.<br />

3.4.3.2 Neonatale Allo-Immunthrombozytopenie (NAIT)<br />

Statistisch gesehen weisen 1,4 von 1000 Neugeborenen eine Thrombozytopenie (bei Neugeborenen<br />

bedeutet dies eine Thrombozytenzahl unter 50.000 pro µL) auf, wobei bei 50% eine Alloimmunisierung<br />

vorliegt. Diese Immunisierung beruht auf einer Alloantikörperbildung der Mutter<br />

gegen fetale (vom Vater vererbte) thrombozytäre Antigene. Die fetalen Thrombozyten werden<br />

daher durch transplazentar erworbene maternale Antikörper (IgG-Typ) gebunden und abgebaut.<br />

Die NAIT kann im Gegensatz zur Rhesusinkompatibilität schon während der ersten<br />

Schwangerschaft in utero klinisch manifest werden. Es imponieren ausgeprägte Geburtshämatome,<br />

petechiale Blutungen und Nabelschnurblutungen. Es besteht ein erhöhtes Risiko für intrazerebrale<br />

Blutungen (ca. 10%). Post partum können die Thrombozyten weiter abfallen (Minimum nach ca.<br />

24 – 72h). Diagnostisch findet man in der Regel Antikörper gegen thrombozytäre Antigene (~80-<br />

90% Anti-HPA 1a [früher: Zwa oder PlA1], 90%) Frauen mit positiver Schwangerschaftsanamnese im Alter von 60 – 70 Jahren<br />

betroffen sind. Die Pathophysiologie der Posttransfusionspurpura ist nicht eindeutig geklärt. Es<br />

wird vermutet, dass die gegen Fremdthrombozyten gerichtete Immunreaktion schließlich auch die<br />

eigenen Thrombozyten angreift (sog. „bystander-Effekt“). Die Therapie der Wahl besteht in der<br />

Gabe von Immunglobulinen.<br />

3.4.3.4 Autoimmune Thrombozytopenie<br />

Bei Neugeborenen liegen mütterliche Autoantikörper vom IgG-Typ vor, die plazentagängig sind<br />

(IgG-Typ), sich an die fetalen Thrombozyten anlagern und zu einer erhöhten Abbaurate führen.<br />

Der Antikörpernachweis kann auch aus mütterlichem Serum durchgeführt werden.<br />

Autoimmunthrombozytopenien treten in der Regel bei Müttern mit Autoimmunopathien auf (z.B.<br />

Systemischer Lupus erythematodes [SLE], siehe auch ITP). Prädiktive Aussagen zur fetalen<br />

Thrombozytenkonzentration sind schwierig, da die mütterlichen Werte nicht mit den Werten der<br />

Neugeborenen korrelieren. Therapeutisch wird aktuell entweder immunsuppressiv mit Cortison<br />

oder mit Immunglobulinen behandelt (als Einzeltherapie oder in Kombination).


3.4.3.5 Arzneimittel (AM) induzierte Thrombozytopenie<br />

Die AM-induzierte Thrombozytopenie basiert auf einer Bildung thrombozytärer Antikörper<br />

(immunogene Umsatzstörung), die durch Medikamente verursacht wurde, oder durch eine direkte<br />

toxische Einwirkung (Bildungsstörung) auf Thrombozyten. Bei immunogenen Störungen können<br />

die durch Medikamentenmetabolismus entstandenen Intermediärprodukte eine AK-Bindung an<br />

thrombozytäre Antigene induzieren (IgG-Typ an den thrombozytären Fc Gamma-Rezeptor). Man<br />

vermutet dabei die Ausbildung eines Komplexes aus dem Arzneimittel und einem thrombozytären<br />

Glykoprotein (Wechselwirkung mit GP IIb/IIIa und GP Ib/IX). Derartige Komplexe wurden vorwiegend<br />

für die Medikamente Quinine, Quinidine, Sulfonamide und Ranitidin gefunden (Bildung<br />

eines Neoantigens durch AM-Bindung). Typischerweise steht die progrediente Thrombozytopenie<br />

in einem zeitlichen Zusammenhang zur Arzneimittelgabe. Die kausale Therapie besteht im<br />

Absetzen des ursächlichen Medikaments. Die symptomatische Therapie ist die Gabe von<br />

Thrombozyten. Nach Absetzen des AM kann die Erholung der Thrombozytenbildung frühestens<br />

erst nach 3 Tagen beurteilt werden (cave: Beachte die Halbwertszeit des Medikaments).<br />

3.4.3.6 Heparin induzierte Thrombozytopenie (HIT)<br />

Die HIT kann quasi als Sonderform der AM-induzierten Thrombozytopenien angesehen werden.<br />

Bei der klinisch schwerwiegenden und relevanten Form, der HIT Typ II, findet sich<br />

laboranalytisch nach einer kurzfristigen Anwendung (5-15 Tage) von Heparin ein<br />

„Thrombozytensturz“ (Abfall der Thrombozytenzahl innerhalb von 1-2 Tagen um über 50% -<br />

relativer Abfall ist entscheidend – ggf. können auch noch normale Thrombozytenwerte vorliegen!).<br />

Bei vorimmunisierten Patienten (letzte Heparingabe innerhalb der vergangenen 3 Monate) kann<br />

die Symptomatik bereits in einem kürzeren Zeitabstand nach Beginn der Heparintherapie auftreten.<br />

Das Problem kann auch nach Anwendung eines niedermolekularen Heparins (NMH) auftreten,<br />

wenn auch mit einer ca. 10-100-fach geringeren Wahrscheinlichkeit als nach der Gabe eines<br />

unfraktioniertem Heparins (UFH). Darum müssen stets Blutbildkontrollen nach Beginn einer<br />

Heparintherapie erfolgen! In der Regel sollten diese insbesondere in den ersten 3 Wochen nach<br />

Beginn einer Therapie mit Heparinen alle 3-4 Tage durchgeführt werden. Nach neueren<br />

Erkenntnissen und Vorgaben amerikanischer Leitlinien (ACCP-guidelines Juni 2008) kann evtl.<br />

nach der reinen Gaben von NMH auf diese Blutbildkontrollen zukünftig verzichtet werden. Dies<br />

ist jedoch aufgrund der weiterhin bestehenden Empfehlungen zur Blutbildkontrolle in den<br />

Fachinformationen der diversen NMH noch mit gewissem Vorbehalt in die Praxis umzusetzen.<br />

Hinsichtlich der Pathogenese ist wichtig zu wissen, das Heparine, insbesondere UFH,<br />

Thrombozyten aktivieren können. Es kommt dann zu einer Freisetzung von Plättchenfaktor 4<br />

(PF4). Danach bildet sich ein Komplex aus Heparin und PF4 im Sinne eines Neoantigens, gegen<br />

das bestimmte Menschen Antikörper bilden können. Diese Immunkomplexe wiederum können<br />

erneut Thrombozyten und auch Endothelien aktivieren, was zur Thrombozytenaktivierung und –<br />

aggregation und somit zu weiterer Freisetzung von PF4 führt. Dies führt in der Folge zum raschen<br />

Thrombozytensturz. Dadurch kann es zur Thrombosierung in verschiedenen Gefäßsystemen<br />

kommen, arteriell oder venös. Dadurch unterscheidet sich die HIT übrigens auch von anderen<br />

medikamenteninduzierten Thrombozytopenien, die ohne thrombotisches Risiko einhergehen!<br />

Diagnostisch kann auf die Anwesenheit von HIT-AK untersucht werden (Screening Test, z.B. auch<br />

ELISA). Alternativ können solche HIT-AK auch in einem funktionellen Testverfahren mit<br />

gewaschenen Thrombozyten, die heparinabhängige Thrombozytenaktivierung durch<br />

Patientenserum, nachgewiesen werden. Wichtig: Da keines der aktuell zur Verfügung stehenden<br />

Testverfahren die HIT mit Sicherheit beweisen kann, ist der klinische Verlauf entscheidend für die<br />

Diagnosestellung und für therapeutische Konsequenzen.<br />

Therapeutisch muss Heparin sofort abgesetzt und im Bedarfsfall durch eine andere Antikoagulation<br />

(Heparinoid Danaparoid oder die Thrombininhibitor Hiruidin bzw. Argatroban) ersetzt


werden. Wichtig: NMH sind aufgrund der hohen Kreuzreaktivität als medikamentöse<br />

Alternative zu UFH kontraindiziert. Diese Kontraindikation gilt inzwischen auch gegen das<br />

synthetische Heparin-Analogon Fondaparinux (Arixtra ® ), da auch dieses - wenngleich extrem<br />

selten – wohl eine HIT II auslösen kann.<br />

Die HIT Typ I unterscheidet sich durch einen geringeren Thrombozytenabfall (um bis 10% des<br />

Ausgangswertes), der durch eine direkte Bindung von Heparin an die Thrombozytenmembran<br />

erklärt wird (Verkürzung der Halbwertszeit älterer Thrombozyten). Der klinische Verlauf ist<br />

benigne und es bedarf keines Wechsels in der durchgeführten Antikoagulation.<br />

Zusammenfassung: Übersicht Thrombozytopenie<br />

Pathogenese:<br />

- Bildungsstörung<br />

- Störungen des peripheren Umsatzes<br />

- Verteilungsstörungen<br />

- Verdünnungseffekt (Massivtransfusion, Blutung)<br />

Klinik:<br />

- Petechialer Blutungstyp<br />

- Verletzungen – Ekchymosen<br />

3.5 Vasopathien:<br />

Die Vasopathien stellen eine heterogene Erkrankungsgruppe mit folgenden Gemeinsamkeiten dar:<br />

Die Blutung ist lokal begrenzt und stellt die Folge einer erhöhten Gefäßdurchlässigkeit oder –verletzbarkeit<br />

dar.<br />

Vaskulitiden stellen eine Gruppe entzündlicher Erkrankungen der arteriellen oder venösen Gefäßwand<br />

dar. Die Klassifikation dieser Erkrankungen richtet sich nach der bevorzugten Gefäßlokalisation<br />

(Riesenzellarteriitis – große Gefäße, Panarteriitis nodosa – mittelgroße, viszerale Arterien;<br />

Purpura Schönlein-Henoch – Vaskulitis allergica der kleinen Gefäße; mikroskopische<br />

Polyangiitis – nekrotisierende GN). Der Blutungstyp ist oft petechial (punktförmig, „flohstichartig“),<br />

aber auch Ekchymosen und Hämatome können auftreten.<br />

3.5.1 Purpura Schoenlein-Henoch<br />

Die Purpura Schoenlein-Henoch tritt hauptsächlich bei Kindern und jungen Erwachsenen auf und<br />

ist meist infektassoziiert (Streptokokken). Pathogenetisch verursacht eine Immunkomplex-Vaskulitis<br />

(IgA und Komplement in den Gefäßen) Petechien auf der Haut. Der Verlauf ist meist gutartig,<br />

als Therapie werden bei Bedarf auch Steroide eingesetzt.<br />

Die Vaskulitis allergica stellt eine Vaskulitis der kleinen Gefäße mit typischer Lokalisation auf der<br />

Haut, dem Gastrointenstinaltrakt (GI-Trakt) und den Nierenglomeruli dar. Typische Symptomatik:<br />

Hautpetechien und Juckreiz mit gelegentlicher Urtikaria. Zusätzlich können Arthralgien,<br />

Arthritiden und Bauchschmerzen (Angina abdominalis) auftreten. Es sind hauptsächlich Kinder<br />

und Personen unter 21 Jahren betroffen. Das Krankheitsbild tritt meist postinfektiös im Kindesalter<br />

auf. Die Prognose ist gut – keine hämostaseologische Therapie erforderlich. Nur bei schwerer<br />

systemischer Beteiligung (Arthritiden, etc.) kann eine antiphlogistische Therapie mit<br />

Glukokortikoiden (meist im Erwachsenenalter) indiziert sein.<br />

3.5.2 Panarteriitis nodosa


Die Panarteriitis nodosa ist eine nekrotisierende Vaskulitis der mittelgroßen und der viszeralen<br />

Arterien. Die Symptomatik ist bisweilen uncharakteristisch. Am häufigsten sind die Nieren mit<br />

einer Glomerulonephritis betroffen (Symptomatik: Hämaturie, Proteinurie). Weitere spezifische<br />

Symptome neben Allgemeinsymptomen können sein: Myalgien, Hodenschmerz- und schwellung,<br />

Livedo reticularis (netzförmige Zyanose der Haut, marmoriert), Mono- und Polyneuropathien,<br />

Aneurysmen und Gefäßverschlüsse. Die Therapie der Wahl ist eine antiphlogistische Therapie mit<br />

Glucocortikoiden, ggf. in Kombination mit immunsuppressiven, zytotoxischen Substanzen. Nach<br />

einem Gefäßverschluss (z.B. Apoplex) wird als Sekundärprophylaxe ein Thrombozytenaggregationshemmer<br />

verordnet (keine Antikoagulation).<br />

3.5.3 Sonstige vaskulär bedingte hämorrhagische Diathesen:<br />

3.5.3.1 Morbus Rendu-Osler-Weber (selten)<br />

( = Hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie)<br />

Der Morbus Rendu-Osler-Weber stellt eine autosomal dominant vererbte Gefäßanomalie dar, die<br />

durch eine Ausbildung von arterio-venösen Gefäßmalformationen gekennzeichnet ist. Als klinische<br />

Symptomatik treten Epistaxis (Nasenbluten) und auch gastrointestinale Blutungen auf. Die<br />

Teleangiektasien sind in der Haut, auf den Schleimhäuten und im GI-Trakt lokalisiert. Teleangiektasien<br />

sind Erweiterungen der Endstrombahngefäße. Beim klinischen Vollbild finden sich<br />

Teleangiektasien in der Gesichtshaut, den Lippen, der Zunge und im Nagelbett. Häufig erscheinen<br />

Epistaxis und GI-Blutungen. Gefährlich können (v.a. im späteren Lebensalter) arterio-venöse<br />

Shunts der pulmonalen Strombahn mit resultierenden hämodynamischen Störungen sein. Klinisch<br />

wird anhand der Teleangiektasien und der Verteilung der Blutungslokalisation die Diagnose<br />

gestellt. Wichtige kapillare Gefäßgebiete (Gehirn, Lunge und Leber) sollten durch bildgebende<br />

Verfahren (z.B. MRT) abgeklärt werden. Therapeutisch kann nur symptomatisch vorgegangen<br />

werden. Gelegentlich hilft eine lokale antifibrinolytische Therapie. Hämodynamische arteriovenöse<br />

Shunts können durch lokale Embolisation oder chirurgische Resektion beseitigt werden.


3.6 Angeborene Koagulopathien<br />

Im Prinzip kann jeder der bekannten Gerinnungsfaktoren von Geburt an mehr oder weniger stark<br />

vermindert oder fehlstrukturiert sein. Diese angeborenen Koagulopathien sind eher selten. So hat<br />

der angeborene Mangel an F.VIII, die Hämophilie A, eine Prävalenz von ca. 1 : 5000 - 1 : 10.000<br />

(männliche Geburten). Die seltenere Hämophilie B, der angeborene Mangel an F.IX, bildet nur<br />

einen Anteil von ca. 15% aller Hämophiliepatienten. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass<br />

der sehr seltene angeborene Mangel an Faktor XI auch als Hämophilie C bezeichnet wird.<br />

Ebenfalls sei erwähnt, dass der recht häufige autosomal vererbte Mangel an Faktor XII, nicht zur<br />

Blutungsneigung führt, obgleich er eine deutliche Verlängerung der aPTT verursachen kann.<br />

Die Hämophilien A und B stellen X-chromosomal rezessiv vererbte Blutungsleiden dar. In der<br />

Regel erkranken daher Männer, Frauen sind Konduktorinnen, die auch eine Verminderung der<br />

Aktivität der entsprechenden Gerinnungsfaktoren aufweisen können. Alle anderen<br />

Gerinnungsfaktoren werden autosomal vererbt. Schwere Mangelzustände können daher nur bei<br />

Homozygotie auftreten und sind daher viel seltener als Hämophilie A oder B bei Männern.<br />

3.6.1 Hämophilie A:<br />

Ein isoliert auftretender Faktor VIII-Mangel ist in der Regel angeboren. Davon zu unterscheiden<br />

ist die erworbene Hämophilie aufgrund eines immunologischen Inhibitors. Als<br />

Differentialdiagnose ist das von Willebrand-Jürgens Syndrom zu beachten, das typischerweise mit<br />

einer zusätzlichen Verminderung des von Willebrand-Antigens oder der Ristocetin-Cofaktor-<br />

Aktivität einhergeht. In seltenen Fällen (dem sog. Typ 2N, siehe Einteilung unten) kann jedoch<br />

auch hier nur eine isolierte Verminderung des Faktor VIII imponieren.<br />

Klinische Leitsymptome und Diagnostik:<br />

Der Laborbefund weist eine Verlängerung der aPTT bei normalem Quick-Wert und einer<br />

Verminderung der Faktor VIII-Aktivität auf. Die Blutungsgefährdung hängt von der Faktor VIII-<br />

Restaktivität ab. Die Krankheitsmanifestation der hämophilen Kinder tritt oft schon im 2.-3.<br />

Lebensjahr auf, typischerweise mit steigender Mobilität der Kinder.<br />

Folgende Symptome sind typisch:<br />

- Gelenkeinblutungen => hämophile Arthropathie (Blutergelenke)<br />

- Blutungen nach Verletzungen, Zahnextraktion, und aus gastrointestinalen Läsionen<br />

- Weichteilblutungen:<br />

* Muskulatur (darum keine i.m.-Injektion ohne vorherige Substitution!!)<br />

* Psoas-Blutung !<br />

* Mundbodenblutung !<br />

* Hirnblutung (seltene Blutungsmanifestation, aber hohe Mortalität)<br />

Man unterscheidet anhand der Restaktivität des Faktors VIII folgende Schweregrade:<br />

schwer < 1 %<br />

mittelschwer 1 - 4 %<br />

leicht 5 - 15 %<br />

Subhämophilie 25 – 50 %<br />

mild 5 - 40%<br />

(Diese Einteilung gilt auch für die nicht ausgeführte Hämophilie B)


Merke: Der Schweregrad der Hämophilie gibt einen Anhalt über das Spontanblutungsrisiko. Er ist<br />

auch wichtig für die Dosis-Kalkulation an Gerinnungsfaktorkonzentrat bei geplanter Substitutionsbehandlung.<br />

Die klinischen Konsequenzen für das Kleinkind können gravierend sein. Gelenkblutungen entstehen<br />

als Folge von traumatischen Gefäßschäden, wie sie im normalen Bewegungsablauf auftreten.<br />

Nach mehrfachen Einblutungen kann also Folge eine Gelenkdeformität auftreten, die zu<br />

einem Langzeitschaden führt. Dies gilt es durch die geeigneten therapeutischen Maßnahmen zu<br />

vermeiden. Darum wird zunehmend im Zweifelsfalle eine frühzeitig beginnende Dauersubstitution<br />

empfohlen, um Invalidität zu verhindern.<br />

Die Hemmkörperhämophilie wird durch Antikörper gegen einen Gerinnungsfaktor (z.B. Faktor<br />

VIII) ausgelöst. Dadurch erfolgt eine Hemmung der Funktion des entsprechenden<br />

Gerinnungsfaktors. Eine solche Hemmkörperbildung kann sich sowohl bei Patienten mit<br />

Hämophilie A (oder auch B) im Sinne eines Allo-Antikörpers gegen fremden, im Rahmen der<br />

Substitution zugeführten Faktor VIII (oder IX) als auch als Autoimmunkrankheit bei vorher<br />

Gesunden im Sinne eines Auto-Antikörpers gegen körpereigenen F.VIII (oder IX) auftreten.<br />

Letztere Ereignisse sind sehr selten (Inzidenz: ca. 1-2 pro Mio.) und oft sehr schwierig zu erkennen<br />

(„plötzlich auftretende spontane oder auch postoperative starke Blutungsneigung“). Die Ursache<br />

ist oft nicht zu erkennen (iatrogen – ca. 50%). Alternativ hierzu ist auch an eine maligne<br />

Grunderkrankung zu denken! Eine weitere und genauere Darstellung erfolgt weiter unten.<br />

3.6.1.1. Therapie der Hämophilie:<br />

Grundsätzlich stehen für die Behandlung der Hämophilie sowohl rekombinante, als auch aus<br />

Plasmapool hergestellte Präparate zur Verfügung. Die Plasmapräparate sind virusinaktiviert und<br />

etwas preiswerter. Therapeutische Prinzipien: Die Dosierung richtet sich nach der Restaktivität des<br />

Gerinnungsfaktors und nach dem Körpergewicht des Patienten. Grundsätzlich sollte die<br />

Behandlung hämophiler Patienten in einem Behandlungszentrum für diese Erkrankung erfolgen.<br />

Adressen können in der Geschäftsstelle der Hämophiliegesellschaft erfragt werden (Internet:<br />

www.dhg.de). Das Therapiekonzept (hier: für Hämophilie A) unterscheidet hinsichtlich verschiedener<br />

klinischer Situationen folgende Vorgehensweisen:<br />

- Behandlung der lebensbedrohlichen, akuten Blutung: Gabe von 50 – 70 E/kg KG Faktor<br />

VIII-Konzentrat. Das Ziel ist die Blutstillung und die Normalisierung der Faktor VIII-<br />

Aktivität (Kontrolle!). Aufgrund der Halbwertszeit von Faktor VIII (s. Tab. unten) ist eine<br />

Substitutionsfrequenz von 2 – 3 Medikamentengaben pro Tag erforderlich. Als Erhaltungsdosis<br />

kann auch eine kontinuierliche Gabe mit ca. 5 E/kg KG pro Stunde (Dosierungsanpassung<br />

nach Aktivität des Gerinnungsfaktors) erfolgen.<br />

- Bei Gelenk- und Muskelblutungen ist eine Faktor VIII-Restaktivität von 40% – 60% anzustreben,<br />

die mit ca. zwei Medikamentengaben pro Tag erreicht werden kann.<br />

- Eine blutungsvorbeugende Behandlung (z.B. vor OP) wird nach der Größe des operativen<br />

Eingriffs festgelegt und sollte mit dem Operateur besprochen werden.<br />

- Bei Reha-Maßnahmen ist die Dosierung mit dem verantwortlichen Therapeuten abzustimmen<br />

(Dosierungsbeispiel: 20-30 IE/kgKG 3x/Woche).<br />

Im Kindesalter ist in aller Regel eine Dauerprophlylaxe mit Faktorenpräparaten indiziert. Im<br />

Erwachsenenalter, nach Abschluss des Knochenwachstums, wird derzeit zumeist eine<br />

Bedarfssubstitution durchgeführt. Neuere Untersuchungen haben aber gezeigt, dass auch<br />

Erwachsene mit starker Blutungstendenz von einer Dauerprophylaxe mit dem Ziel der<br />

Verhinderung einer Gelenkarthropathie profitieren können.


Merkregel für die Dosierung eines Konzentrats von Gerinnungsfaktoren :<br />

1 IE Faktorenkonzentrat/kgKG (entspricht dem Faktorengehalt<br />

von 1 ml Plasmapool) Anstieg der koagulatorischen Faktorenaktivität<br />

um 1-2 IE (1-2%).<br />

Faustformel:<br />

Dosis (IE) = KG (kg) x angestr. F.VIII-Anstieg (IE/ml) x 0,5<br />

Der Substitutionserfolg ist durch Einzelfaktorenanalyse vor und nach Konzentratapplikation zu<br />

kontrollieren. Entsprechend der Halbwertszeit der Gerinnungsfaktoren (Übersicht s.u.) hat die<br />

Faktor VIII-Substitution alle 8 - 12 Stunden zu erfolgen (Bei der Hämophilie B sind aufgrund der<br />

Halbwertszeit des Faktor IX von 20-24 Stunden längere Intervalle möglich). Bei schweren<br />

Blutungen bei oder nach großen Operationen sollte die Faktor VIII-Aktivität vor der nächsten<br />

Substitution nicht unter 30% Restaktivität absinken.


Übersicht: Halbwertszeiten der Gerinnungsproteine und Substitutionsziele von Faktor VIII<br />

Halbwertszeiten gerinnungsaktiver<br />

Plasmaproteine<br />

Fibrinogen 96 - 120 h<br />

Plasminogen 36 - 48 h;<br />

Plasmininhibitor: 36 h<br />

Faktor II 48 - 60 h<br />

Faktor V 12 - 15 h<br />

Faktor VII 1,5 - 6 h<br />

Faktor VIII 8 - 12 h<br />

Faktor IX 20 - 24 h<br />

Faktor X 24 - 48 h<br />

v. Willebrand-/<br />

Ristocetin-Co-Faktor 6 - 12 h<br />

Faktor XI 60 - 80 h ;<br />

Faktor XII 48 - 60 h<br />

Faktor XIII 100 - 120 h<br />

t-PA<br />

5 min<br />

Antithrombin 36 h<br />

Protein C 1,5 - 6 h<br />

Protein S 24 - 48 h<br />

Hämophilie A: Mittlere Initialdosis von Faktor-<br />

VIII-Präparat (E/kg KG) bei diversen<br />

Blutungsereignissen<br />

Blutung Erwachsene Kinder<br />

Gelenk 20 – 40 30-40<br />

Weichteile 40 – 60 30-40<br />

GI-Trakt 30 – 60<br />

Lebensbedrohliche<br />

Blutung 50-80 80-100<br />

Operationen:<br />

Klein 25 – 40 50-100<br />

Groß 50 – 80 80-100<br />

(Quelle: Leitlinien der BÄK, 2008)<br />

3.6.2 Von Willebrand-Jürgens Syndrom (vWJS)<br />

Im Gegensatz zu den Hämophilien A und B, die X-chromosomal vererbt werden, liegt bei der von-<br />

Willebrand-Erkrankung je nach Subtyp ein autosomal-dominanter oder ein autosomal-rezessiver<br />

Erbgang vor. Vielfältige Mutationen im Genom, das für das von-Willebrand-Antigen kodiert,<br />

können zu einer Proteinsynthesestörung oder zur Bildung eines funktionell gestörten Proteins<br />

(vWF-Molekül) führen. Mutationen an der Bindungsstelle zwischen Faktor VIII- und vWF-<br />

Antigen können zu einer verminderten Faktor VIII-Aktivität als einziger Hinweis auf ein vWJS<br />

führen.<br />

Klinisches Bild: Das vWJS ist die häufigste angeborene Gerinnungsstörung überhaupt. Viele<br />

Verlaufsformen sind milde. Während laboranalytisch bei 1% der Bevölkerung ein vWJS<br />

nachgewiesen werden kann, sind Personen mit einer eindeutigen klinischen Symptomatik<br />

erheblich seltener (1:3.000-1:10.000). Das Auftreten der klinischen Symptomatik ist variabel, kann<br />

einen phasenhaften Verlauf nehmen und interindividuell stark schwanken. Typisches und<br />

häufigstes Merkmal ist eine Neigung zu Nasenbluten (Epistaxis). Auch andere<br />

Schleimhautblutungen, wie beispielsweise Blutungen nach Zahnextraktionen oder starke<br />

Menorrhagien, finden sich in der Anamnese gehäuft. Prinzipiell ist jeder erdenkliche Schweregrad<br />

bei dieser Erkrankung möglich, wobei leichte Verlaufsformen mit vielleicht nur einem<br />

Blutungsereignis in der Anamnese überwiegen. In der Regel zeigt sich das vWJS als eine<br />

Mischung einer thrombozytären und plasmatischen Hämostasestörung, was sich mit der Doppelbzw.<br />

Dreifachfunktion des Von-Willebrand-Antigens in der primären Hämostase<br />

(Thrombozytenadhäsion, -aggregation) und in der sekundären Hämostase (F.VIII-Bindung –<br />

Schutz vor proteolytischem Abbau) erklären lässt. Je nach Form des vWJS können jedoch<br />

thrombozytäre oder plasmatische Blutungsformen überwiegen, bzw. ausschließlich vorhanden<br />

sein. Selten treten schwere Formen (z.B. Typ 3) mit einem hämophilieähnlichen Blutungstyp auf.<br />

Typisch für diese Manifestationsform sind gastrointestinale und intramuskuläre Blutungen,<br />

Gelenkblutungen, Menorrhagien und Epistaxis.


3.6.2.1 Von Willebrand Faktor (Antigen):<br />

Der von Willebrand Faktor (vWF) ist ein multimeres Protein mit einer Molekülgröße von 278<br />

KDa pro Monomere, das auf einem Gen des Chromosoms 12 kodiert wird. Im Plasma liegt das<br />

Molekül als multimere Struktur (sog. "vWF-Multimere“, Molekulargewicht bis 20 Mio. Dalton)<br />

vor. Die einzelnen Monomere sind hierbei durch Disulfidbrücken verknüpft. Das Protein wird in<br />

den Endothelzellen der Gefäße und in den Megakaryozyten des Knochenmarks synthetisiert und<br />

aus Endothelzellen (Speicher: Weibel-Palade-Bodies) und Thrombozyten (Speicher: α-Granula)<br />

freigesetzt. Während das Endothel kontinuierlich vWF sezerniert und somit die Quelle des<br />

plasmatischen vWF darstellt, schütten die Thrombozyten ihren vWF erst bei Aktivierung aus.<br />

Auch die endotheliale Sekretion kann durch Gerinnungsaktivierung gesteigert werden. Durch den<br />

vWF erfolgt eine Anhaftung von Thrombozyten and die subendotheliale Matrix (Kollagen) nach<br />

Gefäß- bzw. Gewebeverletzung (Liganden-Rezeptor-Interaktion des vWF und des thrombozytären<br />

GP-Ib-IX-Komplex).<br />

Der plasmatische vWF wird von dem Endothel zunächst als „ultralarge multimers“ (UL-vWF)<br />

vom Endothel sezerniert (ca. 20 MDa). Die Multimere werden im Plasma durch die<br />

Metalloproteinase ADAMTS-13 gespalten. Aus der endothelialen Sekretion, der Halbwertszeit (ca.<br />

12h) und der Aktivität des Multimeren-spaltenden Enzyms ergibt sich letztlich ein Gleichgewicht.<br />

Hierdurch befinden sich unterschiedlich große Multimere im Plasma. Während die Funktion des<br />

vWF, den Faktor VIII zu schützen, unabhängig von der Proteingröße ist, können nur die<br />

mittelgroßen und großen Multimere die Plättchen adhärieren. Diese verschieden große Multimere<br />

können in der sog. „Multimeren-Analyse“ nachgewiesen werden (Proteinblot). Für die exakte<br />

Differenzierung der qualitativen Veränderungen des vWF, also der Unterformen des von vWJ-<br />

Syndroms Typ 2 sowie der erworbenen Typen ist diese Diagnostik Voraussetzung.<br />

VWF – Mehrfachfunktion<br />

Der vWF hat 3 physiologische Funktionen, wobei insbesondere der ersten und dritten der im<br />

folgenden aufgeführten Funktionen die größte Bedeutung zukommen:<br />

1. Adhäsion der (aktivierten) Thrombozyten an subendotheliale Strukturen – Vermittlung der<br />

Plättchenaggregation (GP Ib/IX und GP IIb/IIIa); Ristocetin-Cofaktor-Aktiviät<br />

2. Thrombozytenaggregation (alternativ zu Fibrinogen an GP IIb/IIIa der Thrombozyten)<br />

3. Bindung von FVIII und dadurch Schutz von F.VIII vor proteolytischem Abbau<br />

3.6.2.2 Klassifikation: hereditäres vWJS<br />

Typ 1: Quantitativer partieller Mangel an vWF<br />

Häufigkeit: ca. 70-80%, Vererbung autosomal-dominant.<br />

Typ 2: Qualitativer Defekt/Mangel an vWF<br />

Häufigkeit ca. 15 - 20 %, Vererbung autosomal dominant oder rezessiv<br />

– Typ 2A: Große Multimere fehlen; hierdurch defekte Interaktion zwischen vWF<br />

und Thrombozyten. Verschiedene Ursachen, z.B. erhöhte<br />

Empfindlichkeit gegenüber ADAMTS-13 (IIA nach Ruggeri) oder oder<br />

Störung der Multimerisierung (IIC und E nach Ruggeri) Faktor VIII<br />

nur mäßig vermindert oder normal


– Typ 2B: Große Multimere fehlen, Ristocetin-induzierte Plättchenaggregation<br />

gesteigert. Ursache: Erhöhte Affinität des vWF zum Glykoprotein Ib/IX<br />

der Thrombozyten; spontan vWF-beladene Thrombozyten werden<br />

abgebaut, daher Verlust der großen Multimere und oftmals<br />

Thrombozytopenie<br />

– Typ 2M: Verminderte Interaktionsfähigkeit des vWF mit Thrombozyten,<br />

hierdurch abnormes Multimerenmuster, oftmals vermehrte schwere<br />

Multimere bei vermindertem Ristocetincofaktor.<br />

– Typ 2N: Verminderte Bindungskapazität des vWF für FVIII:C<br />

(gleicht phänotypisch einer milden bis mittelschweren Hämophilie A;<br />

keine Beeinträchtigung der Thrombozyteninteraktion.) Nur durch<br />

F.VIII-Bindungsassay sicher von der Hämophilie A zu unterscheiden.<br />

Typ 3: Quantitativer weitestgehend kompletter Mangel an vWF: Völliges Fehlen des vWF<br />

(allenfalls Spuren von vWF:Ag nachweisbar), hierdurch auf 2 h verkürzte Halbwertszeit des<br />

Faktor VIII. Letztlich überwiegt hier der hämophilieähnliche Blutungstyp, obwohl auch die<br />

Plättchenfunktion schwer beeinträchtigt ist.<br />

Die o.g. Klassifikation ist die nach Sadler. Die Klassifizierung nach Ruggeri (numeriert mit<br />

römischen Ziffern) unterscheidet wesentlich mehr Subtypen, die in der Klassifizierung nach Sadler<br />

zusammengfaßt sind. Zur Feinbezeichnung wird daher gelegentlich weiterhin die Klassifikation<br />

nach Ruggeri verwendet (zu erkennen an römischen Ziffern).<br />

Exkurs: In diesen Zusammenhang kann auch eine pathologische Vermehrung der schweren<br />

Multimere, ausgelöst durch einen Mangel an ADAMTS-13, erwähnt werden: Diese Veränderung<br />

des von-Willebrand-Faktors, die auch in der Multimerenanalyse erkennbar ist, führt zur<br />

Thrombotisch-Thrombozytopenischen Purpura (TTP; Morbus Moschcowitz und Upshaw-<br />

Schulman-Syndrom), einem Verbrauchskoagulopathie-ähnlichem Krankheitsbild. Die TTP kann<br />

sozusagen als „Gegenteil des vWJS 2A“ aufgefasst werden.<br />

3.6.2.3 Sonderform: Erworbenes vWJS<br />

Das seltene erworbene vWJS kann durch folgende Ursachen ausgelöst werden:<br />

* Medikamente (z.B. Valproinsäure),<br />

* Lymphoproliferative oder myeloproliferative Erkrankungen<br />

* Monoklonale Gammopathien<br />

* Hypothyreosen<br />

* Herzfehler (z.B. hochgradige Aortenstenose, hierdurch mechanische Schädigung durch<br />

Offenlegung der Spaltstelle des vWF)<br />

* Autoantikörper (bei vorher Gesunden)<br />

* Allo-AK unter Substitution bei Typ III vWJS<br />

3.6.2.4 Diagnostik des vWJS<br />

(Lieber Dominik, zur Info – hier habe ich auch noch a bisserl was geändert)<br />

Milde Formen des vWJS werden mit den klinischen Routineparametern Quick, aPTT und<br />

Thrombozytenzahl in der Regel nicht erfasst; bei schweren Ausprägungen mit Faktor-VIII-<br />

Aktivitäten von ca. unter 30% ist dann aber die aPTT verlängert.


Bei klinischem oder anamnestischen Verdacht auf vWJS sollten darum folgende Parameter<br />

mitbestimmt werden:<br />

Von-Willebrand-Faktor-Antigen (vWF:Ag) und Ristocetin-Cofaktor-Aktivität (vWF:RiCof).<br />

Während die Bestimmung des vWF:Ag nur das Vorhandensein (Menge) des vWF darstellt, kann<br />

über die Bestimmung der vWF-RiCof-Aktivität die Funktion des vWF mit Thrombozyten zu<br />

interagieren erfasst werden. (NB: Ristocetin war früher ein Antibiotikum, das schon lange Jahre<br />

nicht mehr eingesetzt wird. Die mehr oder weniger zufällig entdeckte Funktion, die vWF-vermittelt<br />

die Thrombozytenadhäsion und –aggregation zu induzieren, wird aber heute noch diagnostisch<br />

genutzt).<br />

Weiterhin ist es sinnvoll, einen Test zur Untersuchung der Thrombozytenfunktion durchzuführen.<br />

Aufgrund der beschriebenen Problematiken der sog. In-vivo-Blutungszeit (z.B. geringe<br />

Standardisierbarkeit und Sensitivität) empfiehlt sich hier die In-vitro-Blutungszeit mittels PFA-<br />

100 ® (Platelet function analyzer). Falls die Möglichkeit besteht, wäre zu weiteren<br />

Diagnosesicherung die Durchführung einer speziellen Thrombozytenaggregationstestung<br />

insbesondere mit dem Agonisten Ristocetin (zum Vergleich auch z.B. ADP oder Kollagen) zu<br />

empfehlen.<br />

Die Ergebnisse dieser Tests können nun verschiedenartig ausfallen; systematisch ist dies weiter<br />

oben bereits erläutert. Typischerweise ist bei einem vWJS die In-vitro-Blutungszeit verlängert und<br />

die Thrombozytenaggregation nach Ristocetinstimulation vermindert (Ausnahme: Typ 2N). Die<br />

Thrombozytenaggregation mit ADP und Kollagen ist normal oder weit weniger beeinträchtigt als<br />

die Stimulation mit Ristocetin. Ebenfalls immer – mit Ausnahme des Typ 2 N und ggf. 2B – ist<br />

vWF-RiCof vermindert. Bei einer rein quantitativen Verminderung, also Typ 1 und 3, ist das<br />

vWF:Ag (und meistens der Faktor VIII) im gleichem Maße vermindert wie die vWF-RiCof.<br />

Dagegen ist bei vWJS Typ 2 (qualitativer Defekt!) die vWF-RiCof stärker vermindert als das<br />

vWF-Ag. Darum ist hier diagnoseweisend die Berechung des Quotienten aus vWF-<br />

RiCof/vWF:Ag, der bei Typ 2 in der Regel unter 0,7 liegt. Bei Typ 3 sind beide Parameter extrem<br />

vermindert bzw. völlig fehlend. Auch die Faktor-VIII-Aktivität ist hier zumeist auf unter 10%<br />

reduziert. Zu bedenken ist ferner, dass alle hier aufgeführten vWJS-typischen Parameter starken<br />

natürlichen Schwankungen unterliegen. Bei Akut-Phase-Reaktionen (Infekte, Trauma) oder auch<br />

bei der Therapie mit Sexualhormonen (insb. Östrogenen) können diese Faktoren ansteigen.<br />

Leichtere Formen des vWJS können hierdurch „maskiert“ werden. Für Träger der Blutgruppe 0<br />

gelten für vWF:Ag, vWF:RiCof und F. VIII zudem niedrigere Normbereiche als für Träger der<br />

Blutgruppen A, B, und AB.<br />

Sollte der Verdacht auf einen Typ 2 (oder auch ein erworbenes vWJS, das sowohl eine quantitative<br />

als auch qualitative Beeinträchtigung des vWF darstellen kann) bestehen, können u.a. folgende<br />

Spezialuntersuchungen zweckmäßig sein:<br />

(1) die elektrophoretische Auftrennung der Multimere (vWF-Multimerenanalyse) des von-<br />

Willebrand-Proteins zur Beurteilung der Verteilung der unterschiedlich schweren Anteile sowie<br />

des Spaltungsmusters; im Wesentlichen sinnvoll bei vWF:RiCof / vWF:Ag unter 0,7 zur<br />

Subtypisierung des Typ 2 sowie diverser erworbener vWJS.<br />

(2) Zur DD 2A vs. 2B Thrombozytenaggregation mit nur reduzierter Dosis von Ristocetin (0,6<br />

statt 1,2 mg/ml) – hier ist eine Aggregation von unter 10% normal, während eine Aggregation über<br />

10% auf einen Typ 2B hindeutet.<br />

(3) FaktorVIII-Bindungsassay zur Differentialdiagnose Typ 2N vs. Hämophilie A.<br />

3.6.2.5 Therapie des vWJS<br />

In der Regel werden milde Formen des vWJS mit DDAVP (Vasopressin, Minirin ® ) behandelt.<br />

Durch Gabe von DDAVP erfolgt ein Anstieg von Faktor VIII und vWF (Mobilisierung aus den<br />

Weibel-Palade Bodies) auf das 2-4 fache, max. 30 - 60 Min. nach der Medikamentengabe. Für die<br />

Wiederholung der DDAVP Gabe wird ein Zeitintervall von mindestens 12 Stunden empfohlen.<br />

Für eine ausreichende klinische Wirkung von DDAVP muß eine gewisse Restaktivität an<br />

funktionierendem vWF vorliegen (ca. 10-15 %): DDAVP wirkt daher am besten bei vWJS Typ 1.


Auch bei manchen qualitativen Defekten (Typ 2) zeigt sich oft ein Effekt des DDAVP, wobei sich<br />

gerade hier ein „Minirintest“ einige Tage vor einem Eingriff empfiehlt, um einen ausreichenden<br />

Anstieg der vWF:RiCof und Thrombozytenfunktion zu kontrollieren.Bei Typ 2B wird die Gabe<br />

von DDAVP von den meisten Experten als kontraindiziert angegeben, da der zugrundeliegende<br />

Defekt, nämlich eine zu hohe Affinität des vWF zu Thrombozyten, zu einer verstärkten<br />

Thrombozytopenie führen kann. Die Dosierung von DDAVP besteht in der Gabe von 0,3-0,4<br />

µg/kgKG DDAVP i.v., in 0,9%-NaCl-Lsg. (50-100 ml) über einen Zeitraum von 30-60 min.<br />

DDAVP kann zu Hypertonus, Hyponatriämie sowie zu einem Absinken der Krampfschwelle<br />

führen. Darum ist die Gabe bei entsprechend gefährdeten Patienten kontraindiziert. Auch im<br />

Kleinkindesalter darf DDAVP nicht angewendet werden. In allen Fällen, in denen DDAVP<br />

kontraindiziert oder nicht ausreichend wirksam ist, muß im Bedarfsfalle eine<br />

Substitutionsbehandlung mit vWF-haltigem Faktor-VIII-Konzentrat durchgeführt werden.<br />

Letzteres ist die primäre Therapieoption bei vWJS Typ 3 und bei schwerem vWJS Typ 1 oder 2.<br />

Die erfolgreiche Therapie des erworbenen vWJS erfordert die genaue Kenntnis der Pathogenese.<br />

Bei einem mechanischen/hämodynamisch bedingten vWJS sind z.B. DDAVP und vWF/VIII-<br />

Konzentrate gleich wirksam, jedoch hält die Wirkung aufgrund des vermehrten Abbaus nur sehr<br />

kurz an. Nach einer Behebung des Klappenvitiums kommt es innerhalb von Stunden zu einer<br />

Normalisierung von Faktor VIII und vWF. Wenn die Ursache in einem autoimmunogen<br />

gebildetem Hemmkörper liegt, kann die Gabe von Hyperimmunglobulin kurzfristig zu einem<br />

Anstieg der Werte führen, alternativ kann auch eine Immunsupprimierung erfolgreich sein. Häufig<br />

kann eine Blutungskomplikation auch durch Gabe von rekombinantem Faktor VIIa gestillt werden.<br />

Dosierung von VWF-haltigem F.VIII-Konzentrat:<br />

Bei leichten Blutungen erfolgt eine einmalige Gabe von 30-50 IE/kgKG des Gerinnungsfaktorkonzentrats<br />

(ggf. Wiederholung der Dosis bei längerer oder persistierender Blutung). Bei schwerer<br />

Blutung wird eine Dosierung bis 50 IE/kgKG, und anschließend 30-50 IE/kgKG des Konzentrats<br />

in 12-24 h Abständen (HWZ VWF/RCoF ca. 8-16 h) bis zur Blutstillung oder bis zum Abschluss<br />

der Wundheilung verabreicht. Cave: Der Gehalt an vWF ist in den Plasmapräparaten nicht<br />

standardisiert und kann daher schwanken. In der Regel werden im Beipackzettel jedoch die<br />

gemessenen Konzentrationen der Faktoren in der jeweiligen Charge angegeben. Zudem kann der<br />

individuelle Bedarf unterschiedlich sein; bei großen Wundflächen kann es auch zu einem<br />

relevanten Verbrauch der verabreichten Faktoren kommen. Nach Arzneimittelgabe ist das vWF-<br />

Ag und idealerweise auch die vWF:RiCof (optional auch Faktor VIII-Aktivität) im Blut zu<br />

kontrollieren.<br />

3.7 Erworbene Koagulopathien<br />

Unter erworbenen Koagulopathien versteht man plasmatische Gerinnungsstörungen, die durch<br />

folgende Ursachen ausgelöst werden können:<br />

- Hemmkörperhämophilie<br />

- Hemmkörper gegen vWF oder mechanische Schädigung des vWF (siehe 3.6.2.3)<br />

- Vitamin K- Mangel (Mangel der Faktoren II, VII, IX, X und Protein C, S und Z), z. B. durch<br />

orale Antikoagulation mit Kumarinderivaten<br />

- Antikoagulation mit Standardheparin, LMW-Heparin, Hirudin<br />

- Therapie mit Cephalosporinen der 3. Generation<br />

- Leberfunktionsstörungen<br />

- Asparaginasebehandlung<br />

- Multifaktorielle Hämostasestörung bei Schock, Sepsis, Multitrauma<br />

Verdünnungskoagulopathie)<br />

- Verbrauchskoagulopathie (disseminierte intravasale Gerinnung, DIC)


3.7.1 Hemmkörper- (Inhibitor-) Koagulopathie<br />

Antikörper im Gerinnungssystem lassen sich wie folgt unterteilen: Alloantikörper können bei<br />

Patienten mit angeborenem Mangel, insbesondere beim völligem Fehlen von Gerinnungsfaktoren,<br />

gegen den substituierten Faktor auftreten. Diese Alloantikörper erschweren die weitere Therapie<br />

der Patienten erheblich, da sie zu einer Neutralisierung der substituierten Faktoren führen. Klinisch<br />

hinweisend für eine Hemmkörper-Hämophilie ist darum eine verzögerte oder ausbleibende<br />

Blutstillung trotz Faktorensubstitution. Im Vorfeld dieser Entwicklung kann bereits eine<br />

zunehmende Dosierung oder eine Wiederholung der Faktorensubstitution in kürzeren Abständen<br />

einen Hinweis Hemmkörperbildung geben.<br />

Autoantikörper hingegen treten bei zuvor Gesunden gegen eigene Komponenten des<br />

Gerinnungssystems auf. Hierunter fallen zunächst die spezifischen Inhibitoren. Diese sind oftmals<br />

gegen einen einzigen Gerinnungsfaktor gerichtet. Handelt es sich hierbei um den vWF, resultiert<br />

das o.g. erworbene vWJS. Inhibitoren, die spezifisch gegen Faktor VIII gerichtet sind, führen zur<br />

Hemmkörper-Hämophilie A usw.<br />

Unspezifische Antikörper sind oftmals gegen Phospholipide gerichtet. Diese Antikörper werden<br />

auch als Lupusantikoagulantien bezeichnet. Sie führen in der Regel nur in vitro zu einer<br />

Gerinnungshemmung, während sie klinisch in vivo typischerweise eine Thromboseneigung<br />

verursachen. (das Lupus antikoagulans ist darum ein thrombophiler Risikofaktor und wird in<br />

diesem Skript weiter unten behandelt)<br />

Währden die Alloantikörper durch Faktorensubstitution induziert sind, ist die Ursache der<br />

Autoantikörper vielfältig. Sie traten oft spontan („idiopathisch“) auf, häufig sind sie jedoch mit<br />

anderen Autoimmunerkrankungen vergesellschaftet. Ebenso häufig treten sie bei Infektionen oder<br />

paraneoplastisch bei Tumoren auf.<br />

3.7.1.1 Diagnostik der Hemmkörperhämophilie:<br />

Screening Test: Plasmatauschtest<br />

Hierbei wird zunächst das Patientenplasma im Verhältnis 1:1 mit Normalplasma versetzt und die<br />

aPTT nochmals wiederholt. Vereinfacht ausgedrückt: Kommt es zu einer Normalisierung der<br />

aPTT so ist vom Vorliegen eines echten Faktorenmangels auszugehen. Bleibt die aPTT dagegen<br />

weiter verlängert, so ist ein Hemmkörper anzunehmen. Da es sich bei den spezifischen<br />

Antikörpern um sog. progrediente Inhibitoren (keine Sofortinhibitoren) handelt, ist eine Inkubation<br />

von 2 Stunden vor der Durchführung der aPTT notwendig. (CAVE: Wird ein Plasmatauschtest bei<br />

V.a. auf Lupus antikoagulans durchgeführt, so entfällt die 2h-Inkubation, da diese Antikörper sog.<br />

Sofortinhibitoren sind.)<br />

Zu weiteren Quantifizierung des Hemmkörpers dient dann der Bethesda-Test. Hierbei wird das<br />

Patientenplasma in einer geometrischen Verdünnungsreihe (mit F VIII-Mangelplasma) im<br />

Verhältnis 1+1 mit abgepuffertem Normalpool versetzt und wieder 2 Stunden bei 37°C inkubiert.<br />

Während dieser Zeit kommt es zu einer Inaktivierung des F VIII, die von der Stärke des Inhibitors<br />

abhängt. Anschließend wird die Faktor-VIII-Aktivität aPTT-basiert bestimmt. Durch Vergleich mit<br />

einer über den gleichen Zeitraum inkubierten Kontrolle (Normalpool + F VIII-Mangelplasma 1+1)<br />

wird die Rest-Aktivität der einzelnen Verdünnungen bestimmt. Diese wird unter Berücksichtigung<br />

des Verdünnungsfaktors in Bethesda-Einheiten umgerechnet.<br />

Eine Bethesda-Einheit (B.E.) ist definiert als die Menge an Antikörper, die in einer 1:1-Mischung<br />

aus Patienten- und Normalplasma nach 2-stündiger Inkubation bei 37°C 50% der F VIII-Aktivität<br />

inaktiviert.<br />

3.7.1.2 Therapie der Hemmkörperhämophilie:


Die Therapie ist abhängig von Höhe der Hemmkörperkonzentration:<br />

1. Low responder (< 5 Bethesda-Einheiten „BE“), spontane Rückbildung möglich.<br />

2. High responder (> 5 BE), in der Regel Therapie erforderlich.<br />

Primär ist zwischen der akuten Therapie eines blutenden Patienten mit Hemmkörperhämophilie<br />

und der Eradikationstherapie des Hemmkörpers zu unterscheiden. Bei erster kann bei niedrig<br />

titrigen Antikörpern die Gabe von hohen Dosen von F.VIII in Erwägung gezogen werden<br />

(Überspielen der Hemmung). Alternativ und bei high responders ist heutzutage die Gabe von rVIIa<br />

(Novoseven ® ) die Therapie der Wahl.<br />

Bei der mittel- bis langfristigen Behandlung der Hemmkörper-Hämophilie liegen heute<br />

unterschiedliche Behandlungsansätze vor, die in sog. Therapieschemata (z.B. „Bonner Schema“)<br />

kombiniert werden. Bei einem Faktor VIII-Hemmkörper kann entweder mit einer hochdosierten<br />

Faktor-VIII-Therapie oder mit immunsuppressiver Therapie behandelt werden. Mehrere<br />

Vorgehensweisen können als Behandlung gewählt werden. Die Induktion einer Immuntoleranz<br />

durch eine Hochdosistherapie mit F.VIII-Konzentraten wird vorwiegend in der Pädiatrie mit<br />

Erfolg angewendet. Die Immunmodulation/Immunsuppression besteht in einer<br />

Immunglobulingabe in Kombination mit immunsuppressiver Therapie (z.B. Corticosteroiden und<br />

Cyclophosphamid). Die aktuellen Empfehlungen der Leitlinien der Bundesärztekammer von 2008<br />

seien nachfolgend aufgeführt:


3.7.2 Allgemeine diagnostische und therapeutische Prinzipien bei Koagulopathien:<br />

Folgende Vorgehensweise hat sich für die Spezifizierung einer Koagulopathie bewährt:<br />

Aufgrund der Ergebnisse der Globaltest (oder ggf. bei entsprechendem klinischen Verdacht bzw.<br />

entsprechender Vorinformation direkt) erfolgt die gezielte Bestimmung der<br />

Einzelfaktorenaktivitäten. Anhand der festgestellten Faktor-Restaktivität erfolgt die Einstufung des<br />

Schweregrads der Koagulopathie (in „leicht“, „mittel“ oder „schwer“). Durch den<br />

Plasmatauschtest kann ein Inhibitor eines Gerinnungsfaktors versus echtem Faktorenmangel<br />

ausgeschlossen werden. Vor elektiven operativen Eingriffen ist die Höhe und Zeitdauer der<br />

voraussichtlich erforderlichen Substitutionsbehandlung zu ermitteln. Schließlich erfolgt die<br />

Auswahl des geeigneten Substitutionsmittels und Einsatz unter therapeutischer<br />

Verlaufskontrolle der Faktorenrestaktivität.<br />

Faktorenkonzentrate werden bei Blutungen und bestehendem Faktormangel als Gerinnungstherapie<br />

oder zur Prophylaxe bei Faktormangel (z.B. vor Operationen) eingesetzt. Faktorenkonzentrate<br />

werden dabei intravenös als Bolus oder als Kurzinfusion verabreicht. Für die korrekte<br />

Dosierung sind folgende Kenntnisse erforderlich:<br />

1. Kenntnis der für die jeweilige Blutungssituation und –lokalisation erforderliche<br />

Plasmakonzentration des Gerinnungsfaktors.<br />

2. Die Dosierung und der zeitliche Abstand der Substitutionstherapie richten sich nach der<br />

Halbwertszeit des Gerinnungsfaktors. Diese kann durch Verbrauch oder Blutverlust verkürzt sein.<br />

3. Bei angeborenen Faktorenmangel sollte ein Behandlungsplan vorliegen.<br />

4. Vermeidung von Fehlern in der Präanalytik, damit die korrekte Aktivität des Gerinnungsfaktors<br />

gemessen wird. Häufigste präanalytische Fehlerquelle sind eine unsachgemäße Blutabnahme und<br />

zu lange Transportzeiten bis zur Bestimmung. Idealerweise sollte (Citrat-)Blut für die Bestimmung<br />

von Gerinnungsfaktoren nach Lösen der Stauungsmanschette abgenommen werden; das Röhrchen<br />

muß vollständig gefüllt sein, um das korrekte Verhältnis Citrat/Blut zu gewährleisten. Seltener<br />

kann die Kontamination mit EDTA durch ein vorangegangenes EDTA-Röhrchen zu Fehlern<br />

führen, weshalb nach Möglichkeit vor dem Citratröhrchen ein anders Citratröhrchen oder ein<br />

Serumröhrchen befüllt werden sollte.<br />

4. Therapie mit Plasma und dessen Derivaten<br />

4.1. Plasma zur therapeutischen Anwendung<br />

Gefrorenes Frischplasma (GFP) wird für die Substitutionstherapie bei Blutverlust und komplexen<br />

Koagulopathien zur Erhaltung des hämostaseologischen Gleichgewichts und auch bei Mangel an<br />

Einzelfaktoren eingesetzt, für die kein eigenes Konzentrat zur Verfügung steht. Es enthält sowohl<br />

prokoagulatorische als auch inhibitorische Gerinnungsfaktoren in einer physiologischen<br />

Konzentration (ist also im Gegensatz zu Einzelfaktorenkonzentraten nicht angereichert).<br />

Die Gewinnung von GFP kann auf verschiedene Wege erfolgen. Einmal kann es aus einer<br />

Einzelspende gewonnen werden. Nach Gewinnung wird dieses Plasma zunächst<br />

quarantänegelagert. Erst nach einer Zweituntersuchung des Spenders später auf HIV, HCV und<br />

HBV mindestens 4 Monate wird das Plasma freigegeben.<br />

Hiervon zu unterscheiden ist das Solvent-detergent (SD)-Plasma. Dieses ist ein Poolpräparat aus<br />

500-1600 Einzelspenden, das mit Lösemitteln und Detergenzien behandelt wird, um lipidumhüllte<br />

Viren (z.B. HIV, HCV und HBV) zu zerstören. Hierbei kommt es jedoch zu einem gewissen<br />

Abfall vieler Gerinnungsfaktoren und insbesondere des Protein S, was neben dem erhöhten Risiko<br />

der Übertragung nicht-lipidumhüllter Viren ein Grund ist, im Allgemeinen das Einzelspender-GFP<br />

zu bevorzugen. Eine seltene Indikation speziell für die Gabe von SD-Plasma ist die thrombotischthrombozytopenische<br />

Purpura (s.oben), bei der ein Mangel der von-Willebrand-Faktor-spaltenden<br />

Protease ADAMTS-13 zu einer Vermehrung extrem großer von-Willebrand-Multimere führt. Da<br />

die ADAMTS-13 das SD-Verfahren gut übersteht, in SD-Plasmen jedoch die schweren Multimere


des von-Willebrand-Faktors signifikant vermindert sind, erscheint diese Plasmapräparation<br />

besonders geeignet, bei der TTP das hämostaseologische Gleichgewicht wiederherzustellen.<br />

Seit kurzem ist in Deutschland wieder Methylenblau-virusinaktiviertes Einzelplasma erhältlich.<br />

4.2 Die wichtigsten Plasmaderivate<br />

Aus gepooltem humanem Spenderplasma werden durch das von Herrn Cohn in den 40er Jahren<br />

des 20. Jahrhunderts beschriebene Fraktionierungsverfahren Plasmaderivate hergestellt. Albumin,<br />

Immunglobuline, Gerinnungspräparate (z.B. Faktor VIII, Faktor IX,<br />

Prothrombinkomplex/PPSB, Fibrinkleber, Antithrombin) und Fibrinolytika stellen die<br />

gebräuchlichsten Plasmaderivate dar.<br />

Gerinnungsfaktoren- oder inhibitorenkonzentrate dienen der Behandlung oder Verhütung von<br />

Blutungen oder von Thromboembolien, wenn ein Mangel an einem oder mehreren<br />

Gerinnungsfaktoren vorliegt. Neben der o.g. Herstellung aus humanem Spenderplasma können<br />

einige dieser Faktoren oder Inhibitoren heutzutage auch gentechnisch (rekombinant) hergestellt<br />

werden. Generell enthalten die Gerinnungsfaktoren- oder inhibitorenkonzentrate einen oder<br />

mehrere Gerinnungsfaktoren in hochreiner Form.<br />

Der Gehalt an den spezifischen Inhaltsstoffen wird in Internationalen Einheiten (I.E.) pro mL<br />

Konzentrat angegeben. Die spezifische Aktivität des Gerinnungsfaktors ist definiert als I.E. des<br />

Faktors pro mg Protein. Als Stabilisatoren werden diesen Präparaten oft Albumin und Glukose<br />

beigesetzt.<br />

Für alle genannten Präparate besteht eine Chargendokumentationspflicht.<br />

Als Virusreduktionsverfahren wird entweder die „Flüssig-Hitze-Inaktivierung“, die „Trocken-<br />

Dampf-Inaktivierung“, oder das „Solvent-Detergent-Verfahren“ (= SD-Verfahren“) eingesetzt. Zur<br />

weiteren Reduktion von Viren wird entweder die Filtration (z.B. „Nanofiltration“) oder Reinigungsverfahren<br />

(z.B. Chromatographie) eingesetzt. Die so hergestellten Plasmaderivate haben<br />

daher heutzutage einen hohen Standard an Infektionssicherheit. Seit 1995 sind keine<br />

Übertragungen viraler Erkrankungen durch Plasmaderivate mehr beschrieben worden.


4.3 Auswahl und Dosierung des geeigneten Plasmaderivats<br />

Einige Punkte wurden bereits in 3.7.2. erläutert.<br />

Ansonsten sind folgende weitere Überlegungen vor einer Gerinnungstherapie mit Plasma oder<br />

Plasmaderivaten zu treffen:<br />

1. Steht ein geeignetes Medikament zur Behandlung des Faktorenmangels (Alternative)<br />

zur Verfügung, so dass gar keine plasmapräparation eingesetzt werden muß? (z.B. DDAVP bei<br />

vWJS oder auch bei leichter Hämophilie A).<br />

2. Einsatz von Einzelfaktoren oder eines Präparats aus verschiedenen Einzelfaktoren<br />

(z.B. Faktor VIII Präparat vs. Kombination von Faktor VIII und vWF).<br />

3. Einsatz eines rekombinanten Gerinnungsfaktors (garantiert virusfrei) vs.<br />

Gerinnungsfaktorpräparat humanen Ursprungs.<br />

4.4 PPSB (Prothrombinkomplex) Konzentrat<br />

Enthält: Prothrombin (II), Proconvertin (VII), Stuart-Faktor (X), Antihämophiler Faktor B<br />

(IX), Protein C, S und Z – somit alle Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren – und<br />

-inhibitoren)<br />

4.4.1 Prinzipien der PPSB-Anwendung:<br />

Bei PPSB handelt es sich um ein Plasmaderivat, in die o.g. Gerinnungsfaktoren angereichert sind,<br />

die sich zur Behandlung akuter Blutungen /z.B. unter Cumarinmedikation) eignen. Da dieses<br />

Präparat das hämostatische Gleichgewicht stark zur prokoagulatorischen Seite verschiebt, können<br />

bei Einsatz des Medikaments Nebenwirkungen (z.B. Thromboembolien) auftreten. Für die<br />

Anwendung von PPSB sollte daher folgendes beachtet werden:<br />

- Gabe nur bei erwiesenem Mangel an Prothrombinkomplex<br />

- Bei Vitamin K Mangel und Indikation für PPSB ist Vitamin K gleichzeitig zu geben.<br />

- PPSB Gabe bei schwerer Leberinsuffizienz nur dann, wenn die Gabe von GFP alleine<br />

nicht ausreicht bzw. die Gefahr einer Hypervolämie besteht.<br />

- Antithrombin kontrollieren; ggf. Antithrombin-Gabe, um ein Antithrombin von mindestens 70 %<br />

zu gewährleisten.<br />

- Erstdosis: 20 I.E. kg/KG (Ausnahme, bei bedrohlicher Blutung: 40 I.E. kg/KG)<br />

- Cave: Bei wiederholten Gaben ist mit Kumulation der Faktoren II und X zu rechnen, die eine<br />

längere Halbwertszeit als Faktor VII aufweisen. Darum sollten bei wiederholter Gabe diese<br />

Faktoren kontrolliert werden.<br />

- Cumarine haben i.d.R. eine längere Halbwertszeit als die Gerinnungsfaktoren (extrem lange<br />

Halbwertszeit bei Cumarinen, die ans Rattengift Verwendung finden!!). Darum ist mit einem<br />

erneuten Abfall der Gerinnungsfaktoren zu rechnen. Ggf. auch frühzeitig Vitamin K substituieren!<br />

- Antifibrinolytika und Heparin-neutralisierende Substanzen (z.B. Protamin) nicht gleichzeitig<br />

geben<br />

4.4.2 Risikomindernde Maßnahmen bei der PPSB-Gabe:<br />

• Gleichzeitig low dose Heparinisierung<br />

(Ausnahme: lebensbedrohliche Blutungen, ZNS-Blutungen)<br />

• Ausgleich eines Antithrombin-Mangels bei Leberinsuffizienz (AT mind. 70%)<br />

4.4.3 PPSB – Mögliche Nebenwirkungen


Thromboembolien (tiefe Venenthrombosen, Pulmonalembolien, arterielle Thrombosen einschließlich<br />

akuter Myokardinfarkt), DIC, allergische Reaktionen, anaphylaktische Reaktionen,<br />

HIT II, Induktion von Inhibitoren gegen Gerinnungsfaktoren, die Übertragung transfusionsmedizinisch<br />

relevanter Viren, z.B. HIV, HBV, HCV ist nicht vollständig auszuschließen (Plasmaderivat<br />

aus einem Plasmapool).<br />

4.5 Zusammenfassung: Allgemeine Prinzipien zur Berechnung der Faktorenkonzentration<br />

(Applikationsdosis)<br />

Der Gehalt an Gerinnungsfaktoren wird meist in internationalen Einheiten (I.E. oder I.U.) angegeben.<br />

1 Einheit ist als diejenige Aktivität definiert, die in 1 mL Frischplasma (Spenderpool)<br />

enthalten ist. Diese Einheit entspräche dann einer Aktivität dieses Faktors von 100%. Dementsprechend<br />

würden 0.8 I.E./ml einer Aktivität von 80% entsprechen. Die Messung der „incremental<br />

recovery“ eines Gerinnungsfaktors erfolgt aus einer Blutprobe, die meist 1 Stunde nach Medikamentengabe<br />

vom Patienten entnommen wird. Die Berechnung der benötigten Menge an Gerinnungsfaktor<br />

kann aus der Beobachtung im klinischen Alltag berechnet werden, dass nach Gabe<br />

von<br />

1 I.E. Gerinnungsfaktor pro kgKG ein Anstieg (= incremental recovery) um 1 – 2% erfolgt.<br />

Aufgrund individueller Faktoren kann der tatsächliche Anstieg nach Messung der Gerinnungsfaktoraktivität<br />

zwischen 50% und 100% des berechneten Anstiegs liegen. Daher ist eine Kontrolle<br />

nach Substitutionstherapie unerlässlich. Bei Blutungen wird zusätzlich noch Gerinnungsfaktor<br />

verbraucht, so dass neben der klinischen Kontrolle (Ziel: Blutstillung) die Laborkontrolle erforderlich<br />

ist. Außerdem ist zu beachten, dass bei ausgeprägtem Faktorenmangel der Anstieg nach der<br />

ersten Gabe geringer ist als nach nachfolgenden Gaben. Dies ist auf die Verteilung der<br />

Gerinnungsfaktoren in diversen Kompartimenten zurückzuführen. Nachdem ein basaler<br />

Faktorenspiegel verteilt ist, führt eine weitere Applikation zu deutlicherem Anstieg im Plasma.<br />

Darum sollte nach der ersten Gabe von 1 I.E. Faktor/kgKG eher mit 1% Anstieg, bei<br />

nachfolgender Gabe eher mit 2% Anstieg gerechnet werden.


5. Thrombophile Diathesen<br />

5.1 Thromboseentstehung<br />

5.1.1 Virchow Trias:<br />

Grundlage der Entstehung einer Thrombose ist das Zusammenwirken von drei Faktoren, die nach<br />

ihrem Entdecker Rudolf Virchow (1856) benannt wurden. Als Voraussetzung für die<br />

Thromboseentstehung gelten daher Veränderungen an der Gefäßwand (z.B. Arteriosklerose,<br />

Vasculitis), Veränderungen der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes (z.B. durch Stase<br />

hervorgerufener örtlicher Sauerstoffmangel – Hypoxie – mit Endothelzellschädigung, durch Stase<br />

bedingte Anreicherung prokoagulatorischer Faktoren), und eine Veränderungen in der<br />

Zusammensetzung des Blutes (Rheologie).<br />

Letztendlich sind es in der Regel immer mehrere Faktoren, die zusammenkommen und die<br />

Entwicklung einer Thrombose begünstigen können. Man spricht darum immer von einer<br />

sog. multifaktoriellen Genese der Thrombose.<br />

5.1.2 Thrombusentstehung im venösen System:<br />

Der „Gerinnungs- oder Fibrinthrombus“ („roter“ Thrombus“) entspricht dem Vollblutgerinnsel.<br />

Es entsteht vor allem in Gebieten langsam strömenden Blutes (Stasebezirken). Klinisch entsteht<br />

die sog. Venenthrombose, die sich beispielweise als tiefe Bein- oder Beckenvenenthrombose<br />

manifestieren kann. Abgehende Thromben können zu sekundären Embolien führen (z.B.<br />

Lungenembolie). Bestehen weiterhin Restverschlüsse im venösen System, so kann als Spätfolge<br />

ein „postthrombotisches Syndrom“ entstehen. Bei chronischen Perfusionsstörungen kann dann<br />

auch ein Ulcus cruris („offenes Bein“ – Geschwür am U-Schenkel) auftreten. Störungen des<br />

Gerinnungssystems im Sinne einer sog. Hyperkoagulabilität, die genetisch bedingt oder durch ein<br />

Fehlen von Inhibitoren verursacht werden können, begünstigen diese Entwicklung.<br />

5.1.3 Thrombusentstehung im arteriellen System:<br />

Als häufigste Ursache arterieller Thrombosen gelten arteriosklerotische Veränderungen der<br />

Gefäßwand in unterschiedlichen Organsystemen (z.B. Koronar-, Intrazerebralarterien). Initmaschäden<br />

der Gefäßwand (arteriosklerotischer Plaque) führen zum Verlust antithrombotischer<br />

Eigenschaften und zur Ablagerung von Thrombozyten, sog. Abscheidungsthromben von<br />

Thrombozytenaggregaten („weißer“ Thrombus). Anschließend entsteht ein Gerinnungsthrombus<br />

aus Fibrin mit eingeschlossenen Erythrozyten und Leukozyten. Klassische Risikofaktoren der<br />

Arteriosklerose sind Hypertonie, Störungen des Lipidstoffwechsels, Stoffwechselerkrankungen<br />

(z.B: Diabetes mellitus), Adipositas, exogene Faktoren (z.B. Rauchen). Einige weitere Faktoren<br />

scheinen in Zusammenhang mit einem erhöhten Thromboserisiko zu stehen, eine Erhöhung des<br />

Fibrinogens, der D-Dimere und des Homozysteins. Der Thrombus kann die Blutversorgung in den<br />

nachgeordneten Gefäßgebieten kritisch einschränken (Ischämie, Infarkt).<br />

5.2 Thrombophilie<br />

Definition:<br />

Veränderungen des Hämostasesystems, die mit einem erhöhten Thrombose- und Thromboembolie<br />

Risiko einhergehen. Sie wird auch „thrombophile Diathese“ genannt (= abnorme Thromboseneigung,<br />

Gegenstück zur hämorrhagischen Diathese). Die Prävalenz ist ca. 2 - 5 mal häufiger als<br />

die hämorrhagische Diathese (1:2500 - 1:5000).


Übersicht angeborener thrombophiler Störungen:(ausgewählte Beispiele)<br />

1. Faktor V Leiden Mutation (G1691A)<br />

2. Prothrombin Mutation (G20210A)<br />

3. Antithrombin Mangel<br />

4. Protein C Mangel<br />

5. Protein S Mangel<br />

Beispiele für ein angeborenes thrombophiles Risiko:<br />

Ursache Prävalenz* Thrombophile Risikosteigerung<br />

F.V Leiden heterozygot 5-10% Ca. 5-10 fach<br />

F.V Leiden homozygot 0,05-0,5% Ca. 80 fach<br />

Prothrombinmutation 1-3% 2-3 fach<br />

G20210A heterozygot<br />

Prothrombinmutation 0,01% 50 – (100) fach<br />

G20210A homozygot<br />

AT-Mangel Typ I < 1% (0,02-0,2) > 10 fach<br />

heterozygot<br />

PC-Mangel heterozygot


- Höheres Alter (zunehmende Gefäßveränderungen),<br />

- Exsikkose (erhöhte Blutviskosität)<br />

- Adipositas (Fettleibigkeit)<br />

- Ovulationshemmer (Östrogenhaltig)<br />

- Rauchen (Nikotin)<br />

- Schwangerschaft (Östrogenwirkung) und Wochenbett (Immobilisation)<br />

- Entzündliche und infektiöse Prozesse (Fibrinogenerhöhung, Thrombozytenaktivierung)<br />

In der Regel ist die Manifestation thrombotischer Ereignisse, wie bereits erwähnt, als Folge des<br />

Zusammenkommens mehrere endogener oder exogener Ursachen zu sehen. So kann z.B. eine<br />

genetische Dispostion bei einem Menschen bestehen (z.B. heterozygote Faktor V-Leiden-<br />

Mutation), aber erst nach der zusätzlichen Einnahme eines oralen Kontrazeptivums („Pille“) und<br />

einer Immobilisation im Gipsverband entwickelt sich das thrombotische Ereignis. Wie die<br />

unterschiedlichen Risikofaktoren zusammenwirken, z.B. ob sich das Risiko addiert, multipliziert<br />

oder gar potenziert, ist nicht genau bekannt. Daher ist die Risikoabschätzung des thrombophilen<br />

Risikos eines Patienten immer individuell zu betrachten und ebenso die Art und Weise der Primäroder<br />

Sekundärprophylaxe zu beurteilen. Laborbefunde, in denen auf unbekannte Weise, eine auf<br />

die „Komma-Stelle“ genaues Thromboserisiko eines Patienten angegeben wird, sind daher als<br />

nicht valide zu betrachten.<br />

Grundsätzlich können auch einige der genannten angeborenen thrombophilen Störungen (z.B.<br />

Antithrombinmangel, Mangel an Protein C und S oder eine Resistenz gegen aktiviertes Protein C )<br />

durch Krankheiten erworben werden. Im Gegensatz zu den angeborenen Mangelzuständen treten<br />

die erworbenen Störungen dann im Rahmen spezieller Krankheitsbilder auf (z.B. Verbrauchskoagulopathie<br />

bei schweren Infektionen). Diese Mangelzustände müssen dann vor dem Hintergrund<br />

des gesamten Krankheitsbildes beurteilt und behandelt werden.


5.3 APC Resistenz (= Resistenz gegen aktiviertes Protein C) / Faktor V Leiden<br />

5.3.1 Historisches:<br />

Die Resistenz gegen aktiviertes Protein C (kurz: APC - Resistenz) wurde erstmals 1993 vom<br />

schwedischen Arzt DAHLBÄCK in Malmö beschrieben, nachdem er bei Patienten mit erhöhter<br />

Thromboserate ein Ausbleiben einer Verlängerung der Gerinnungszeit nach APC-Zugabe fand.<br />

Aktiviertes Protein C ist ein Inhibitor der Gerinnungskaskade. 1994 entdecken BERTINA et al. in<br />

dem holländischen Ort Leiden, dass > 90% der Fälle mit APC-Resistenz durch Punktmutation im<br />

Faktor V - Gen verursacht werden (Faktor-V-Leiden-Mutation). Bei ca. 5% der Patienten mit<br />

APC-Resistenz findet man keine genetische Ursache.<br />

5.3.2 Faktor V – Leiden-Mutation:<br />

Die Anlage wird autosomal dominant vererbt. Ca. 5-10% der mitteleuropäischen Bevölkerung<br />

(Deutschland: 3-8,5%) sind heterozygote Träger dieser Mutation und haben statistisch ein 5-<br />

10fach höheres Risiko für eine venöse Thrombose. Ein wesentlich höheres Thromboserisiko<br />

besteht, wenn die Erbanlage homozygot auftritt (ca. Faktor 80). Die Frequenz des homozygoten<br />

Auftretens dieser Anlage liegt natürlich erheblich niedriger (unter 1 %)..<br />

Pathogenese:<br />

Die APC-Resistenz wird durch eine Punktmutation (Nukleotidposition 1691 (G1691A), Ersatz von<br />

Guanin durch Adenin) auf dem Exon 10 des Faktor V-Gens (1q23) ausgelöst. In der Folge wird ein<br />

verändertes Faktor-V-Molekül synthetisiert (Ersatz der AS Arginin durch Glutamin in Position 506<br />

der Polypeptidkette (R506Q, bzw. A506G), Faktor V:506, das auch die Kofaktorfähigkeit für die<br />

Inaktivierung von Faktor VIII verliert. Die proteolytische Wirkung von aktiviertem Protein C<br />

gegenüber Faktor V ist um etwa Faktor 10 herabgesetzt, da APC die Spaltstelle im aktivierten<br />

Faktor V-Molekül nicht mehr erkennt, und folglich die Faktor V Aktivität erhalten bleibt (erhöhte<br />

Bildung von Thrombin). Diese strukturelle Veränderung des Faktor-V-Moleküls macht es<br />

resistenter gegenüber APC, daher die Bezeichnung „APC-Resistenz“.<br />

Eine klinisch relevante Faktor-VIII-Resistenz scheint übrigens nicht vorzukommen. Dies liegt<br />

wahrscheinlich an der geringeren Stabilität des Faktor VIIIa, der auch ohne Protein-C-Einwirkung<br />

relativ bald inaktiv wird.<br />

5.3.3 Kombination der F.V–Leiden-Mutation mit anderen thrombophilen Risikofaktoren:<br />

Generell entsteht ein erheblicher Anstieg des Thromboserisikos, wenn angeborene und erworbene<br />

bzw. verschiedene Risiken aufeinander treffen.<br />

Beispiele:<br />

•„Östrogen-haltige Pille“ + F.V-Leiden-Mutation (heterozygot) Risikoerhöhung ca. 30-fach<br />

•„Östrogen-haltige Pille“ + F.V-Leiden-Mutation (homozygot) Risikoerhöhung ca. 200-fach<br />

• Pille (Östrogen) allein ca. 3-4-fach<br />

• F.V-Leiden-Mutation (heterozygot) allein ca. 5-10-fach<br />

• F.V-Leiden-Mutation (homozygot) allein ca. 80-fach<br />

Achtung!<br />

Immer wieder kommt es zu u.U. folgenschweren Verwechslungen zwischen F.V-Mangel und F.V-<br />

Leiden-Mutation. Viele Patienten werden mit der Verdachtsdiagnose F.V-Mangel zum<br />

Thrombophiliescreening in Gerinnungsambulanzen überwiesen. Wichtig ist daher, klar zu stellen,


dass die F.V-Leiden-Mutation kein F.V-Mangel ist. Letzteres bedeutet auch kein erhöhtes<br />

Thrombose, sondern logischerweise ein erhöhtes Blutungsrisiko. Die Behandlung bzw. Prophylaxe<br />

ist dementsprechend gerade gegensätzlich!<br />

Selten kann es den Fall einer Kombination des F.V-Mangels mit F.V-Leiden-Mutation geben. Eine<br />

genaue Zahl zur Prävalenz kann an dieser Stelle nicht genannt werden. In diesen Fällen scheint die<br />

thrombophilie Neigung nicht nur zu überwiegen, sondern sogar verstärkt zu Tage zu treten..<br />

5.4 Prothrombin Mutation (G20210 A)<br />

5.4.1 Bedeutung der Prothrombin-Mutation<br />

1996 wurde von POORT et al. eine Punktmutation im Prothrombin-Gen (G20210A) nachgewiesen.<br />

Die Prothrombin-Genmutation stellt einen weiteren angeborenen Risikofaktor für eine Thrombophilie<br />

dar. Die Frequenz dieser Genmutation in der europäischen Bevölkerung ist gering (ca. 1-<br />

2%). Außerdem ist das Risiko für eine Thrombose bei isoliertem Auftreten relativ gering (Risiko<br />

ca. 2 – 6 fach). Es steigt jedoch wiederum erheblich an, wenn weitere genetische oder externe<br />

thrombophile Risikofaktoren hinzukommen.<br />

Vorkommen:<br />

- Überwiegend heterozygot, nur 0,01% homozygot<br />

- Prävalenz 2,8% (2-4%) heterozygot<br />

- Thrombosekollektiv: 5-18% positiv für diese Mutation<br />

5.4.2 Molekularbiologie<br />

Eine Punktmutation führt zum Austausch von Adenin gegenüber Guanin in Position 20210 der 3´codierenden<br />

Sequenz des Prothrombin-Gens (G20210AMutation) auf dem Chromosom 11p11-<br />

q12. Die Mutation führt zu einem erhöhten Prothrombin (= Faktor II) Spiegel im Blut (ca. 120%<br />

Faktor II Aktivität), der mit einem erhöhten Thromboserisiko einhergeht. Durch die erhöhte<br />

Prothrombinaktivität wird vermehrt Thrombin gebildet und das hämostatische Gleichgewicht auf<br />

die prokoagulatorische Seite verschoben.<br />

5.4.3 Klinik<br />

Bei Einnahme von östrogenhaltigen Ovulationshemmern steigt das thrombophile Risiko bei<br />

Vorliegen einer Prothrombin (G20210A)-Mutation in heterozygoter Ausprägung um den Faktor 16<br />

an. Bei heterozygoten Merkmalsträgern besteht ein 2-3-fach höheres Thromboserisiko (Rezidivrisiko<br />

ist nicht unbedingt erhöht). Bei homozygoten Merkmalsträgern (Erstbeschreibung 1997)<br />

liegt ein deutlich höheres Risiko vor (50-100-fach höheres Thromboserisiko). Bei Zusammentreffen<br />

einer Faktor-V-Leiden-Mutation und einer G20210A-Mutation kommt es zur Vervielfältigung<br />

des Thromboembolierisikos.


5.5 Antithrombin-Mangel<br />

5.5.1 Bedeutung des Antithrombin-Mangels<br />

Antithrombin (AT) stellt den wichtigsten Inhibitor der Blutgerinnung dar, da es nicht nur<br />

Thrombin (zentrales Enzym der Gerinnung) sondern eine ganze Reihe weiterer Gerinnungsenzyme<br />

(z.B. insbesondere den Faktor Xa, aber in geringerem Maße auch die Faktoren XIa, XIIa und IXa<br />

inaktiviert). Ein AT-Mangel führt daher zu einer entscheidenden Verschiebung des<br />

hämostaseologischen Gleichgewichts zur prokoagulatorischen Seite. Bereits eine geringe<br />

Verminderung des AT-Spiegels kann daher Thrombosen verursachen (z.B. eine subnormale AT-<br />

Konzentration zwischen 40%–70%). AT gehört biochemisch zur Gruppe der SERPINE<br />

(Serinproteaseinhibitoren), die ihre Enzyme (Serinproteasen = die o.g. Gerinnungsfaktoren)<br />

irreversibel hemmen (sog. „Suizid-Substrate“). Die normale Serumaktivität von AT beträgt ca. 80<br />

– 120 %. Die AT-Aktivität kann unter der Einnahme von Östrogenen um bis zu 10% abfallen, ist<br />

in der Regel während der Schwangerschaft nur gering vermindert und bleibt bei zunehmendem<br />

Alter konstant.<br />

5.5.2 Klinik des angeborenen AT-Mangels<br />

1965 Erstbeschreibung des angeborenen heterozygoten AT-Mangels (autosomale Vererbung)<br />

durch EGEBERG bei Mitgliedern einer Familie in Norwegen. 1989 erste Kasuistik mit einem<br />

angeborenen, homozygoten AT-Mangels bei 2 Kindern (schwerste venöse und arterielle<br />

Thrombosen bei Geburt – die Kinder überlebten nur wenige Tage).<br />

Man unterscheidet grob zwei Typen des AT-Mangels: Bei Typ I sind die AT-Aktivität und -<br />

Konzentration (immunologische Bestimmung) gleichermaßen vermindert. Bei Typ II ist die AT-<br />

Aktivität alleine vermindert bei einer gleichbleibenden oder sogar erhöhten AT-Konzentration im<br />

Plasma.<br />

Der angeborene AT-Mangel geht mit einer hohen Thromboembolie-Prävalenz von mehr als 50%<br />

einher. Es handelt sich meist um einen heterozygoten Defekt, der mit einer durchschnittlichen<br />

AT-Aktivität von ca. 50% einhergeht. Der homozygote AT Mangel ist mit dem Leben in der<br />

Regel nicht vereinbar (siehe oben). Bei den meisten Patienten mit heterozygotem AT Mangel<br />

treten Thromboembolien bereits zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr auf (Manifestation als tiefe<br />

Beinvenenthrombosen und Lungenembolien). Typisch ist das Auftreten von Thrombosen bereits<br />

vor dem 50. Lebensjahr (80% der betroffenen Patientengruppe ist bereits an mindestens einer<br />

Thrombose erkrankt).Bei atypisch lokalisierten Thrombosen (Mesenterialvenen, Hirnvenen) ist<br />

ebenfalls an einen AT Mangel zu denken. Nicht jede Person mit AT-Mangel muss jedoch eine<br />

Thrombose bekommen; es gibt erhebliche familiäre Unterschiede. Während der Schwangerschaft<br />

ist die Thromboserate besonders hoch (40 – 70%), ebenso im Wochenbett. Häufigste<br />

Manifestation der Thrombose sind die tiefen Beinvenen, gefolgt von Lungenembolien.<br />

5.5.3 Klinik des erworbenen AT-Mangels<br />

Der erworbene AT-Mangel hängt maßgeblich von der zugrundeliegenden Erkrankung ab.<br />

Folgende Ursachen sind möglich (Beispiele nach Gruppen geordnet):


Synthesestörung:<br />

- Lebererkrankung mit einer verminderten Proteinsynthese. Thrombosen sind eher selten, da auch<br />

andere Gerinnungsfaktoren vermindert sind. Das hämostaseologische Gleichgewicht liegt<br />

auf einem niedrigeren Niveau (mit einer niedrigen Restaktivität der Gerinnungsfaktoren).<br />

- Frühgeborene (Unreife der Leber, eingeschränkte Syntheseleistung)<br />

- L-Asparaginasetherapie (oft kombiniert mit erhöhtem AT-Verbrauch) bei Tumortherapie.<br />

Erhöhter Verlust:<br />

- Nephrotisches Syndrom (Protein- und auch AT-Verlust durch Proteinurie)<br />

- Lymphfistel (Proteinverlust)<br />

- Exudative Enteropathie<br />

- Massivblutung (Plasmaverlust, Verlust aller Gerinnungsfaktoren)<br />

Erhöhter Verbrauch:<br />

- DIC = disseminierte intravasale Koagulation)<br />

- Sepsis (erhöhter Proteinumsatz und Verbrauch, Gerinnungsstörungen, ggf. DIC)<br />

- Ausgedehnte Thrombosen verbrauchen ebenfalls Gerinnnungsfaktoren<br />

- Große Operationen mit großer Wundfläche<br />

- Multitrauma<br />

- Heparintherapie (v.a. bei intravenöser Dauertherapie, Aktivitäts- und Konzentrationsabfall von<br />

AT oder bei Therapiebeginn).<br />

5.5.4 Therapie des AT-Mangels<br />

Patienten mit angeborenen AT-Mangel und ersten thromboembolischen Ereignis werden<br />

üblicherweise mit Kumarinderivaten langzeitantikoaguliert.<br />

Humanes Antithrombin-Konzentrat steht für bestimmte Indikationen (z.B. akutes thrombotischen<br />

Ereignis, während der Entbindung, perioperativ) zur Verfügung.<br />

Der erworbene AT-Mangel im Rahmen der Grunderkrankung wird ggf. ebenfalls durch gezielte<br />

Substitution von AT behandelt. Aufgrund der gegenwärtigen Studienlage wird die Gabe von AT<br />

bei AT-Verbrauch im Rahmen einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) empfohlen. Bei<br />

einer Sepsis (ohne DIC) wird die Gabe von AT hingegen nicht empfohlen, weil ein Benefit für die<br />

Patienten nicht gefunden wurde, es jedoch zu vermehrten Blutungskomplikationen kam.<br />

5.5.5 AT-Mangel als Nebenwirkung bei Gerinnungstherapie<br />

Heparin verliert erheblich an Wirkung, wenn AT abfällt. Darum sollte eine Konzentration des AT<br />

ggf. durch Substitution aufrechterhalten bzw. auf einem Level von mindestens 70-80 % gehalten<br />

werden. Umgekehrt muss auch beachtet werden, daß eine laufende Heparintherapie durch<br />

unkontrollierte AT-Gabe in ihrer Wirksamkeit erheblich gesteigert werden kann, so daß die Gefahr<br />

einer Blutung durch überschießende Heparinwirkung entsteht. AT alleine verursacht keine erhöhte<br />

Blutungsneigung, da es ein langsamer Inhibitor der Gerinnung ist (auch nicht bei einer<br />

Überdosierung). Erst in Kombination mit Heparin wird die AT-Wirkung erheblich verstärkt (um<br />

ca. Faktor 1000). Dann können sich die globalen Gerinnungstests verändern (v.a. Verlängerung der<br />

aPTT) und eine erhebliche Blutungsneigung entstehen.<br />

Besonders wichtig ist die Kontrolle des AT vor der Gabe von PPSB, da die Anhebung der<br />

Gerinnungsfaktorenaktivität ohne Angleichung des Inhibitors zu einer erhöhten<br />

Thromboemboliegefahr führt. Daher nochmals zur Wiederholung: Wird die Indikation zur


Substitution mit AT gestellt, so sollte eine AT-Aktivität im Plasma >70% aufrechterhalten<br />

werden (gem. den aktuellen Leitlinien der Bundesärztekammer)


5.6 Protein C - Mangel<br />

Protein C ist ein Vitamin K abhängiges Protein, das in der Leber synthetisiert wird. Die<br />

Aktivierung des Protein C findet am sog. Thrombinvermittelt am Thrombomodulinkomplex an der<br />

Endothelzelle statt. APC stellt einen zentralen Inhibitor des Gerinnungssystems dar, der die<br />

Thrombinbildung durch Inaktivierung der Faktoren Va und VIIIa drosselt. Aufgrund der kurzen<br />

Halbwertszeit von Protein C fällt bei einer Leberfunktionsstörung der Protein C-Spiegel rasch ab.<br />

Der angeborene und erworbene Protein C-Mangel führt zu einem erhöhten Thromboserisiko.<br />

5.6.1 Angeborener Protein C Mangel (heterozygot/homozygot):<br />

Der angeborene Protein C-Mangel wurde erstmals von Griffin 1981 beschrieben und wird autosomal<br />

rezessiv vererbt. Die genetischen Ursachen können vielfältig sein. Grundsätzlich werden<br />

hinsichtlich der Protein C-Aktivität und -Konzentration 2 Typen unterschieden:<br />

Typ 1: Verminderung der Protein C Aktivität und Protein C Konzentration.<br />

Typ 2: Verminderung der Protein C Aktivität bei normaler Protein C Konzentration.<br />

Genetisch unterscheidet man:<br />

Heterozygote Merkmalsträger:<br />

Die klinische Manifestation eines angeborenen Protein C-Mangels kann auch innerhalb einer<br />

Familie sehr unterschiedlich sein. Bei schwerem angeborenen (oder erworbenem, s.u.) Protein-C-<br />

Mangel kann eine Purpura fulminans auftreten. Sie entsteht durch Blutgerinnsel in der<br />

Mikrozirkulation. Es folgen Blutergüsse in das Gewebe. Dermatologisch imponieren nichterhabene,<br />

kleine, runde, purpurfarbene Rötungen der Haut. Schwere behandlungsbedürftige<br />

Symptome sind bei Protein-C-Spiegeln unter 20 bis 25 Prozent des Protein-C-Normwertes zu<br />

erwarten.<br />

Zumeist sind für die Entstehung einer Thrombose zusätzliche Risikofaktoren erforderlich.<br />

Besonders nach Operationen oder bei septischen Prozessen wird die Thromboseentstehung<br />

begünstigt. Neben Bein- und Beckenvenenthrombose, die mit oder ohne Lungenembolie auftreten<br />

können, treten Thrombosen auch an seltenen Lokalisationen (z.B. Mesenterialvenen, Sinusvenen<br />

des Gehirns, der Pfortader oder der Retina) auf. Auch arterielle Thrombosen sind beschrieben; es<br />

kommt zuweilen zur Apoplexie bereits im jugendlichen Alter.<br />

Homozygote Merkmalsträger:<br />

Der homozygote Protein C-Mangel ist kaum mit dem Leben vereinbar und eine ausgesprochene<br />

Rarität. Wenn vorhanden, dann tritt die klinische Manifestation bereits im Neugeborenenalter als<br />

schwere Verlaufsform einer intravasalen Gerinnung (DIC) mit Purpura fulminans (disseminierte<br />

Hautnekrosen) und rezidivierenden massiven Thromboembolien auf.<br />

5.6.2 Erworbener Protein C-Mangel:<br />

Ein erworbener Protein C-Mangel kann infolge einer Synthesestörung (Leber), eines erhöhten<br />

Proteinumsatzes (schwere Entzündungen, Infektionen) oder bei Eiweißverlust auftreten. Da<br />

Protein C ein Vitamin K-abhängiges Protein darstellt, fällt Protein C auch unter Gabe von<br />

Kumarinen (Vitamin-K-Antagonisten) ab. Die Halbwertszeit des Protein C liegt mit 10h unter der<br />

Halbwertszeit der Gerinnungsfaktoren (mit Ausnahme des Faktor VII, der allerdings auch in<br />

geringer Konzentration noch wirksam ist). Darum besteht in der initialen Phase einer<br />

Kumarinbehandlung vorübergehend eine Verschiebung des hämostatischen Gleichgewichtes in<br />

Richtung Thrombogenität, unter der es zur gefürchteten Kumarinnekrose oder Thromboembolien<br />

kommen kann. Aus diesem Grund muß der Beginn einer oralen Antikoagulation mit<br />

Kumarinderivaten unter gleichzeitiger Gabe von Heparin stattfinden, die erst bei Erreichen einer


INR von 2,0 abgesetzt wird. Ein kongenitaler Protein-C-Mangelzustand kann unter oraler<br />

Antikoagulation nicht beurteilt werden. Selten tritt bei Patienten mit Lupus antikoagulans eine<br />

Inhibition von Protein C auf. Nachfolgend werden Ursachen für einen erworbenen Protein C-<br />

Mangel aufgeführt:<br />

Synthesestörungen:<br />

- Lebererkrankungen (verminderte Proteinsynthese)<br />

- Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (Vit. K Resorptionsstörung + Proteinverlust)<br />

- Vitamin-K-Mangel (Vit. K abhängige Proteinsynthese)<br />

- Kumarintherapie (Vit. K Antagonist), cave: Protein C steigt nach Kumarintherapie sehr langsam<br />

(Kontrolle nach 8 – 12 Wochen).<br />

- Intoxikation mit Rattengift auf Kumarinbasis<br />

- Asparaginasetherapie<br />

- Infektionen<br />

Erhöhter Umsatz:<br />

- DIC<br />

- Postoperativ (Minimum: 3. postop. Tag mit ca. 70%, nach 7-15 Tagen Normalisierung)<br />

- Akute Thromboembolie<br />

- Polytrauma<br />

5.6.3. Therapie des Protein-C-Mangels<br />

Bei schwerem kongenitalen Protein-C-Mangel kann eine orale Antikoagulation indiziert sein. Bei<br />

nur mäßig vermindertem Protein C sollte eine dauerhafte Antikoagulation erst nach einem<br />

idiopathischem thrombotischen Erstereignis diskutiert werden. Hierbei muß bei sehr ausgeprägtem<br />

Mangel in der Einstellungsphase ggf. Protein C (Ceprotin ® ) substituiert werden, um eine<br />

Kumarinnekrose zu vermeiden. Die Gabe von Protein C kann auch zur kurzfristigen Korrektur des<br />

hämostatischen Gleichgewichtes eingesetzt werden. Die aktuellen Leitlinien der<br />

Bundesärztekammer sehen – neben der Purpura fulminans - folgende Indikationen vor:<br />

Hierbei werden initial Werte um 100% angestrebt, anschließend sollen Werte über 25%<br />

aufrechterhalten werden.<br />

5.7 Protein S - Mangel<br />

Protein S ist ebenfalls ein Vitamin K abhängiges Leberprotein, das als Kofaktor des aktivierten<br />

Protein C (APC) die Inaktivierung der Faktoren Va und VIIIa beschleunigt. Ein Protein S-Mangel<br />

verschiebt das hämostaseologische Gleichgewicht dahingehend, dass die Gerinnungsfaktoren Va<br />

und VIIIa zu gering inaktiviert werden. Die erheblichen Schwankungen des Protein S<br />

Plasmaspiegels in Abhängigkeit verschiedener Umstände bereiten erhebliche Schwierigkeiten in<br />

der korrekten Diagnose eines Protein S-Mangels. Beispielsweise kann der Protein S-Spiegel kann<br />

in Abhängigkeit bestimmter Medikamente (z.B. Kumarine) oder unter Hormoneinfluss<br />

(Östrogene) passager vermindert sein. Hintergrund hierbei ist, dass Protein S im Plasma an die<br />

Komplementkomponente C4b gebunden ist, d.h. nur ein Teil des Protein S liegt wirklich aktiv und<br />

frei im Blut vor. Hormonelle Veränderungen führen z.B. zur Erhöhungen von C4b und dadurch zur


vermehrten Bindung von Protein S an C4b und folglich zu einer geringeren Aktivität des Protein S.<br />

Ebenso ist Protein S ein sehr labiles Protein und somit können gerade bei insuffizienter Präanalytik<br />

fälschlicherweise niedrige Protein S-Aktivitäten gemessen werden.<br />

Klinisch imponieren bei Patienten mit Protein-S-Mangel am häufigsten:<br />

- Thrombosen der tiefen Beinvenen und Lungenembolien (nicht selten atypische Lokalisation)<br />

- Häufung arterieller Thrombosen, bes. Zerebralarterien bei jungen Frauen mit gleichzeitiger<br />

Ovulationshemmereinnahme und Nikotinabusus<br />

- Herzinfarkte<br />

Der Protein S-Mangel ist häufiger bei Frauen als bei Männern, wobei hierbei einschränkend<br />

betont werden muss, dass gerade durch die Veränderungen unter Hormoneinfluss hier<br />

möglicherweise eine sog. Bias zugunsten der höheren Prävalenz bei Frauen besteht.<br />

5.7.1 Angeborener Protein S-Mangel:<br />

Das Thromboserisiko durch einen angeborenen Protein S (PS) Mangel wurde 1984 durch Comp<br />

und Schwarz beschrieben. Die Prävalenz des PS Mangels in der Normalbevölkerung ist nicht<br />

genau bekannt. Bei Patienten mit venösen Thromboembolien wird eine Prävalenz von 5-15%<br />

angenommen. Der Normbereich für Protein S beträgt 65-170%. Zwischen Normalbereich und<br />

Subnormalbereich gibt es erhebliche Überlappungen. So muß ein heterozygoter Protein-S-Mangel<br />

nicht unbedingt mit einer Thrombophilie einhergehen, während bei positiver Anamnese bereits<br />

Konzentrationen um 70% als klinisch relevanter Protein-S-Mangel eingestuft werden können.<br />

Man unterscheidet genetisch 3 Typen des Protein S Mangels:<br />

Typ 1: Verminderung von freiem und gesamten Protein S (die Protein S-Aktivität ist<br />

Vermindert, quantitativer Defekt)<br />

Typ 2: Verminderung der Protein S-Aktivität bei normalem oder erhöhtem freiem und<br />

gesamten Protein S (nur funktionelles Protein S ist vermindert, also qualitativer Defekt)<br />

Typ 3: Verminderung von freiem Protein S und Protein S-Aktivität bei normalem gesamten<br />

Protein S<br />

Zusätzlich (z.B. exogene oder weitere genetische) Risikofaktoren können ein bestehendes<br />

Thromboserisiko deutlich erhöhen. Bei einem schweren Protein S-Mangel (< 1% Restaktivität),<br />

der selten vorkommt, treten bereits in der Neugeborenenphase schwerste thromboembolische<br />

Komplikationen auf. Man findet ebenso wie beim schweren Protein C-Mangel Fälle mit Purpura<br />

fulminans (siehe oben). Dieser genetische Schaden ist mit dem Leben nicht vereinbar. Ebenso<br />

kann bei Protein S-Mangel eine Kumarinnekrose zu Behandlungsbeginn auftreten. Dies zeigt die<br />

enge funktionelle Verwandtschaft von Protein S und Protein C.<br />

5.7.2 Erworbener Protein S-Mangel:<br />

Ein Protein S Mangel ist schwierig zu verifizieren, da vielfältige Ursachen (s.u.) zu einer<br />

verminderten Protein S-Aktivität führen können.<br />

Ursachen:<br />

- Schwangerschaft (besonders gegen Ende)<br />

- Verminderung der APC-Ratio mit zunehmender Dauer der Schwangerschaft<br />

- Kontrazeptiva-Einnahme (östrogenhaltige Pille)<br />

- Orale Antikoagulantienbehandlung (z.B. Marcumar ® )


- Intoxikation mit Rattengift auf Kumarinbasis<br />

- Vitamin-K-Mangel (verminderte Protein S Synthese)<br />

- Lebererkrankungen (verminderte Protein S Synthese)<br />

- Verminderung des freien Protein S im Rahmen von Akute-Phase-Reaktionen (z.B. entzündliche<br />

Prozesse)<br />

- Auto-Antikörper gegen Protein S (selten)<br />

- Akute Thromboembolie<br />

-<br />

Selten findet sich auch ein Inhibitor gegen Protein S, der mit einem erhöhten Abbau der Protein S -<br />

Antikörperkomplexe einhergeht. Nach einem ausgeprägten Blutverlust kann Protein S (ebenso wie<br />

Protein C) abfallen (Dilutionseffekt).<br />

5.7.3. Therapie des Protein-S-Mangels<br />

Bei Auftreten interkurrenter Risikofaktoren ist ähnlich wie bei anderen Thrombophilien eine<br />

verschärfte Thromboseprophylaxe (i.d.R. Heparin) ratsam. Nur bei einem (äußerst seltenen)<br />

schweren Protein-S-Mangel (Restaktivität unter 5%) ist primär eine Dauerantikoagulation<br />

indiziert. Die Indikationsstellung erfolgt insgesamt analog zum Protein-C-Mangel. Ein Protein-S-<br />

Präparat steht nicht zur Verfügung.<br />

5.8 Prophylaxe und Therapie der venösen Thromboembolien<br />

Folgende Medikamentengruppen werden bei zur Prophylaxe und Therapie von Thromboembolien<br />

generell eingesetzt:<br />

Orale Antikoagulantien vom Kumarintyp (z.B. Marcumar ® )<br />

Heparine (Unterscheidung in unfraktioniertes und fraktioniertes, niedermolekulares Heparin)<br />

Pentassacharide<br />

Heparinoide<br />

Hirudine<br />

Orale und parenterale direkte Thrombininhibitoren<br />

Orale und parenterale direkte Faktor-Xa-Inhibitoren<br />

Thrombozytenaggregationshemmer (z.B. Azetylsalizylsäure)<br />

Fibrinolytika (z.B. Streptokinase, Urokinase)<br />

5.8.1 Cumarine (Phenprocoumon, Warfarin)<br />

Cumarine sind Vitamin-K-Antagonisten. Mit Hilfe des Vitamin K erfolgt die γ-Carboxylierung<br />

(posttranslationelle Modifizierung) der Gerinnungsfaktoren IX, X, VII und II (Eselsbrücke:<br />

„1972“) sowie auch Protein C und S, die für die Funktion dieser Faktoren notwendig ist<br />

(Interaktion mit Calcium und Phospholipiden). Hierdurch wird ein Teil der Gerinnungsfaktoren als<br />

unwirksame nicht-γ-carboxylierte Form sezerniert, wodurch die Gerinnbarkeit des Blutes absinkt.<br />

Dieser Mechanismus erklärt auch den um einige Tage verzögerten Wirkungseintritt der Cumarine,<br />

da die bereits zirkulierenden Faktoren entsprechend ihrer Halbwertszeit erst abgebaut sein müssen.<br />

Die Medikation mit Cumarinen wird auch allgemein als „orale Antikoagulation“ bezeichnet (da<br />

neuerdings weitere oral applizierbare Gerinnungsinhibitoren ganz anderer Substanzklassen und<br />

Wirksamkeit eingeführt wurden - s.u.-, dürfte diese Bezeichnung in Zukunft möglicherweise nicht<br />

mehr eindeutig sein). In Deutschland wird am häufigsten Phenprocoumon (z.B. Marcumar®)<br />

eingesetzt, das eine Halbwertszeit von 6,5 Tagen aufweist. Üblicherweise wird die Therapie mit 2-<br />

3 Tabletten täglich (1 Tbl etspr. 3,0 mg Phenprocoumon) begonnen. Da es aufgrund der kurzen<br />

Halbwertszeit von Protein C dieses als erstes absinkt, fällt das hämostatische Gleichgewicht<br />

zunächst Richtung Thromboseneigung, weshalb der Beginn einer Cumarinmedikation stets unter<br />

begleitender Heparinantikoagulation erfolgen muß (z.B. UFH 20.000 – 30.000 IE/d oder auch


NMH in halbtherapeutischer Dosierung). Erst wenn die INR den Wert 2,0 überschritten hat, wird<br />

die Heparingabe eingestellt. Zur Prophylaxe venöser Thrombosen wird allgemein eine INR von<br />

2,0-3,0 angestrebt. Als Erhaltungsdosis werden durchschnittlich 1½ Tabletten/Tag benötigt,<br />

entscheidend ist jedoch die INR und nicht die benötigte Medikamentendosis. Die INR ist eine<br />

standartisierte Maßeinheit der Thromboplastinzeit, die im Gegensatz zur Thromboplastinzeit nach<br />

Quick nicht je nach Labor unterschiedlich ausfallen kann. Die aPTT ist zum Monitoring einer<br />

Cumarintherapie ungeeignet, da sie den Faktor VII nicht abbildet.<br />

Im angloamerikanischen Raum wird häufiger Warfarin (z.B. Coumadin®) eingesetzt. Wesentlicher<br />

Unterschied zu Phenprocoumon ist die Plasmahalbwertszeit mit 35-45 Stunden deutlich kürzer. Im<br />

Gegensatz zu Phenprocoumon überschreitet Warfarin nicht die Plazentaschranke.<br />

5.8.2. Heparine, Heparinoide und Fondaparinux:<br />

Die Antikoagulationstherapie bei Thromboembolien erfolgt in der Regel mit Heparinen, die durch<br />

Verstärkung der AT-Wirkung (um ca. Faktor 1000) das zentrale Gerinnungsenzym Thrombin und<br />

den Faktor Xa, der die Thrombinbildung verstärkt hemmen. Bei den niedermolekularen Heparinen<br />

(NMH) tritt in unterschiedlichem Ausmaß primär die Anti-Xa-Wirkung in den Vordergrund.<br />

Die Überwachung der Therapie mit unfraktionierten Heparine erfolgt anhand der aPTT<br />

(Therapieziel: Verlängerung auf das 1,5-2,5-fache der Norm), während die NMH anhand der Anti-<br />

Xa-Aktivität überwacht werden können, falls dies notwendig ist (sinnvoll z.T. bei therapeutischen<br />

Dosierungen bei niereninsuffizienten Patienten oder Schwangeren).<br />

Das Ziel einer Antikoagulationstherapie ist generell die Hemmung des apositionellen<br />

Thrombuswachstums, Verhinderung von Lungenembolien, Verhinderung der Neubildung von<br />

Thromben und die Begünstigung der körpereigenen Fibrinolyse.<br />

Klinische Vorteile des Einsatzes von NMH Heparin vs. UFH:<br />

- NMH wirken sicherer<br />

- NMH erfordern eine geringere Zahl von Injektionen<br />

- NMH weist jedoch ein eingeschränktes Indikationsspektrum auf (beachten!)<br />

Nebenwirkungen:<br />

Eine naheliegende Nebenwirkung der Heparine ist die Blutungskomplikation. Heparine sind durch<br />

Protamin antagonisierbar. Dieses ist ein basisches argininreiches Protein, also ein Polykation, das<br />

mit hoher Affinität an das Polyanion Heparin bindet. 1 ml Protamin antagonisiert 1000 I.E.<br />

Heparin. Protamin darf nicht überdosiert werden, da es alleine ebenfalls gerinnungshemmend<br />

wirkt. Darum empfiehlt sich eine sog. „Titrationsantagonisierung“ (langsam i.v.) unter Kontrolle<br />

der Gerinnungsparameter. Als Nebenwirkung kann v.a. eine Überempfindlichkeitsreaktion oder<br />

ein RR-Abfall auftreten. Die Halbwertszeit von Protamin ist i.d.R. geringer als die von Heparin,<br />

weshalb die Heparinaktivität wiederauftreten kann. NMH können durch Protamin nur zu ca. 60%<br />

gehemmt werden (bei Titration beachten!)<br />

Bei Langzeitanwendung von UFH in Dosierungen von 15 000 – 30 000 I.E./Tag über 4-6 Monate<br />

ist bekannt, dass eine Osteoporose auftreten kann. Kürzlich publizierte Untersuchungen haben<br />

gezeigt, dass NMH im Vergleich zu UFH ein geringeres Osteoporoserisiko verursacht.<br />

Wichtigste Nebenwirkung von Heparinen ist jedoch die HIT II (ausgiebig beschrieben in Punkt<br />

3.4.4.6). Da NMH weniger Bindungsstellen für PF-4 enthalten, verursachen sie seltener eine HIT.<br />

Der genaue Mechanismus der Entstehung einer HIT wurde bereits zuvor erklärt.<br />

Bei einer HIT II muss auf alternative Antikoagulantien ausgewichen werden. In erster Linie wird<br />

Orgaran ® (Danaparoid-Natrium) eingesetzt, das eine geringere Kreuzreaktivität mit HIT II-<br />

Antikörpern aufweist. Orgaran ® ist ein Heparansulfat mit Glykosamidanteil, der neben Faktor Xa<br />

und Thrombin auch den Faktor IXa hemmt. Nachteile bestehen in der fehlenden Antagonisier-


arkeit des Medikaments. Außerdem muss bei Dialysepatienten die Dosierung angepasst werden.<br />

Ein Monitoring ist nur über die Bestimmung der Anti-Xa-Aktivität möglich.<br />

Als weiterere Ausweichpräparate bei HIT II sind die weiter unten aufgeführten direkten<br />

Thrombininhibitoren Hirudin und Argatroban zu nennen.<br />

Als weiterer Heparinabkömmling ist Fondaparinux (Arixtra ® ) zu nennen, das aus den<br />

pharmakophorischen fünf Zuckern (Pentasaccharid) im Heparinmolekül besteht (also kein Gemisch<br />

unterschiedlich langer Molekülfragmente), die der AT-Bindungsstelle genau entsprechen.<br />

Fondaparinux wird im Gegensatz zu den o.g. Heparinen und Heparinoiden synthetisch hergestellt.<br />

Noch deutlicher wie bei NMH überwiegt die Hemmung des F.Xa gegenüber der Hemmung des<br />

Thrombin. Derzeit zugelassen ist die Fondaparinux zur Prophylaxe venöser thromboembolischer<br />

Ereignisse bei Patienten, größeren orthopädischen Eingriffen an den unteren Extremitäten oder<br />

abdominalen Eingriffen unterziehen müssen. Außerdem wird es auch zur Prophylaxe venöser VTE<br />

bei internistischen sowie zur Therapie tiefer Venenthrombosen und ggf. von Lungenembolien<br />

eingesetzt. Fondaparinux hat in den vergangenen Jahren eine deutliche Indikationsausbreitung<br />

erfahren. Fondaparinux darf nur s.c. appliziert werden. Die prophylaktische Dosierung beträgt 2,5<br />

mg 1x tgl. Die therapeutische Dosierung erfolgt gewichtsadaptiert:<br />

Einmal täglich 5,0 mg (Patienten mit KG < 50 kg)<br />

Einmal täglich 7,5 mg (Patienten mit KG von 50-100 kg)<br />

Einmal täglich 10,0 mg (Patienten mit KG < 100 kg)<br />

Fondaparinux beeinflußt in therapeutischer Dosierung die Standardgerinnungstests nicht (allenfalls<br />

geringe aPTT-Verlängerung). Ein Monitoring ist nur über die Bestimmung der Anti-Xa-Aktivität<br />

möglich. Ein Antidot ist nicht bekannt.<br />

Da Fondaparinux in extrem seltenen Fällen eine HIT II auslösen kann, ist es nicht als<br />

Ausweichpräparat bei HIT II geeignet! Bzgl. der Thromboseprophylaxe hat Fondaparinux in<br />

einigen Studien sogar eine gegenüber NMH überlegene Wirksamkeit gezeigt. Auch Fondaparinux<br />

ist nur parenteral anzuwenden.<br />

5.8.3 Direkte Thrombininhibitoren<br />

5.8.3.1. Hirudin<br />

Hirudin ist der gerinnungshemmede Wirkstoff des Blutegels (Hirudo medicinalis). Es wirkt<br />

Antithrombin-unabhängig über direkte Thrombinhemmung. In Deutschland sind derzeit Lepirudin<br />

(Refludan ® ) und Bivalirudin (Angiox ® )zugelassen.<br />

Lepirudin ist ein sehr starker und irreversibler direkter Thrombininhibitor, während Bivalirudin<br />

etwas schwächer und auch reversibel wirkt.<br />

Zugelassene Indikation für Lepirudin: Gerinnungshemmung bei Erwachsenen mit HIT und<br />

thromboembolischer Erkrankung, die eine parenterale antithrombotische Therapie erfordern.<br />

Zugelassene Indikation für Bivalirudin: Behandlung von Erwachsenen mit akutem<br />

Koronarsyndrom (instabile Angina/Nicht-ST-Hebungsinfarkt) bei einem Notfalleingriff oder wenn<br />

eine frühzeitiige Intervention vorgesehen ist. Auch für Patienten, die sich einer perkutanen<br />

Koronarintervention (PCI) unterziehen.<br />

Vorteil: Keine Kreuzreaktivität mit HIT-Antikörpern,.<br />

Nachteil: Kein spezifisches Antidot verfügbar (im Notfall evtl. Hämofiltration od. Hämodialyse<br />

mit speziellen Dialysemembranen), Hirudin wird renal eliminiert, so dass bei Niereninsuffizienz<br />

eine Dosisanpassung erfolgen muss.<br />

Beachtet werden muss, dass bei aPTT-Werten >60 sec. keine ausreichende lineare Dosis-<br />

Wirkungsbeziehung mehr besteht (Gefahr der Unterschätzung der Hirudinwirkung mit<br />

Nichterkennung einer Überdosierung).


Die erste aPTT-Bestimmung sollte 4 Stunden nach Beginn der Refludan-Therapie durchgeführt<br />

werden. Die aPTT muß mindestens einmal täglich bestimmt werden, ggf. häufiger bei<br />

eingeschränkter Nierenfunktion oder erhöhtem Blutungsrisiko. Der aPTT-Zielbereich liegt bei einer<br />

1,5 - 2,5-fachen Verlängerung des Normalwertes.<br />

In der Schwangerschaft und Stillzeit ist Hirudin kontraindiziert. Auch Hirudine können nur<br />

parenteral angewendet werden.<br />

5.8.3.2. Argatroban (Argatra ® Fa. Mitsubishi Pharma)<br />

Argatroban ist ein reversibler direkter Thrombininhibitor, der selektiv an die aktive katalytische<br />

Bindungsstelle des Thrombins bindet.<br />

Argatroban ist parenteral als Dauerinfusion anzuwenden (2µg/kgKG/min als Dauerinfusion, max<br />

steigerbar auf 10µg/kgKG/min. Die Überwachung der Therapie mit Argatroban wird im<br />

Allgemeinen mit der aPTT durchgeführt. Zielbereich das 1,5 - 3,0-fache des anfänglichen Basis-<br />

Wertes (soll 100 Sekunden jedoch nicht überschreiten). Nierenfunktionsstörung führen nicht zu<br />

einer Reduktion der Dosierung. Bei mäßiger Beeinträchtigung der Leberfunktion muß die<br />

Anfangsdosis jedoch auf 0,5 µg/kg/min reduziert werden – unter engmaschiger aPTT-Kontrolle.<br />

Die schwere Leberfunktionsstörung ist eine Kontraindikation.<br />

Argatroban wird ebenfalls als Alternativpräparat bei HIT II eingesetzt und hat hier gerade in den<br />

letzten Jahren sehr an Bedeutung gewonnen. (Indikation: Antikoagulation bei erwachsenen<br />

Patienten mit HIT II, die einer parenteralen antithrombotischen Therapie bedürfen).<br />

5.8.3.3. Dabigatran (Pradaxa ® Fa. Boehringer Ingelheim)<br />

Dabitragan ist ein neuartiger synthetischer Thrombininhibitor, dessen herausragendes Merkmal es<br />

ist, dass er oral verabreicht werden kann.<br />

Dabigatran bindet direkt am aktiven Zentrum des Enzyms und blockiert dessen katalytische<br />

Aktivität in der Gerinnungskaskade. Alle weiteren Gerinnungsprozesse, welche aktives Thrombin<br />

katalysiert, werden somit unterbunden. So hemmt es die Aktivierung der Faktoren XI, VIII und V<br />

durch Thrombin. Die Thrombin-induzierte Aktivierung von Thrombozyten und deren Aggregation<br />

wird ebenfalls blockiert. Vor allem aber hemmt Dabigatran die Umwandlung von Fibrinogen zu<br />

Fibrin. Darüber hinaus hemmt Dabigatran nicht nur freies, sondern auch das bereits Fibringebundene<br />

Thrombin und ist somit in der Lage, bereits bestehende Thromben aufzulösen.<br />

Dabigatran wird als Prodrug Dabigatranetexilat verabreicht<br />

Dabigatranetexilat ist bislang nur für die Indikation Thromboembolie-Prophylaxe nach Knie- und<br />

Hüftgelenkersatz. zugelassen. Eine Ausweitung der Zulassung auch für andere Indikationen ist in<br />

den nächsten Jahren jedoch zu erwarten.<br />

5.8.4 Direkte Faktor-Xa-Inhibierung: Rivaroxaban (Xarelto® - Fa. Bayer)<br />

Rivaroxaban ist ebenfalls ein neuer Wirkstoff, der oral verabreicht wird. Im Unterschied zu<br />

Dabigatran greift Rivaroxaban eine Stufe früher in die Gerinnungskaskade ein. Er hemmt nämlich<br />

den Faktor Xa. Somit wird die Aktivierung von Prothrombin zu Thrombin gehemmt.<br />

Auch Rivaroxaban ist bislang nur für die Indikation Thromboembolie-Prophylaxe nach Knie- und<br />

Hüftgelenkersatz. zugelassen. Eine Ausweitung der Zulassung auch für andere Indikationen ist<br />

auch für diesen viel versprechenden Wirkstoff zu erwarten.<br />

5.8.5. Kurzer Überblick: Thromboseprophylaxe bei chirurgischen und immobilisierten<br />

internistischen Patienten:


Für operierte (und ebenso für immobilisierte internistische Patienten) besteht ein erhöhtes<br />

Thromboserisiko. Kompressionsstrümpfe, Krankengymnastik und Frühmobilisation sind die<br />

Basismaßnahmen zur Verhütung einer Thrombose, die jedoch eine indizierte medikamentöse<br />

Thromboseprophylaxe nicht ersetzen können. Umgekehrt kann bei einer medikamentösen<br />

Thromboseprophylaxe nicht auf die Basismaßnahmen verzichtet werden. Zur wirksamen<br />

medikamentösen Thromboseprophylaxe stehen die oben erläuterten Antikoagulantien zur<br />

Verfügung. In aller Regel kommen primär Heparine zum Einsatz. Während unfraktionierte<br />

Heparine den Vorteil der einfacheren Steuerbarkeit (bei i.v.-Gabe über Perfusor) und besseren<br />

Antagonisierbarkeit durch Protamin aufweisen, ist die Applikation und Dosierung der NMH<br />

einfacher (nur s.c.). Zudem ist ihre Halbwertszeit länger. Die medikamentöse Prophylaxe wird in<br />

Europa üblicherweise präoperativ bzw. unmittelbar nach einem Trauma begonnen, wogegen eine<br />

Heparinprophylaxe in den USA häufig erst postoperativ eingesetzt wird. Bei jeder<br />

medikamentösen Prophylaxe müssen Kontraindikationen und ggf. notwendige Laborkontrollen<br />

beachtet werden.<br />

Neben Heparinen dürften in Zukunft das synthetische Heparinoid Fondaparinux sowie die oral<br />

verabreichbaren Antikoagulantien Dabigatran und Rivaroxaban eine wichtige Rolle spielen.<br />

Momentan sind sie, insbesondere die beiden letztgenannten, nur für wenige Indikationen<br />

zugelassen.<br />

Die vollständige Abhandlung der perioperativen Thromboseprophylaxe würde den Rahmen dieses<br />

Scriptums bei weitem sprengen. Als Beispiel seien Auszüge aus den aktuellen Leitlinien der<br />

Deutschen Gesellschaft für Chirurgie „Stationäre und ambulante Thromboembolie-Prophylaxe<br />

in der Chirurgie und der perioperativen Medizin“ angeführt:<br />

In Tabelle 1 sind die mit einem objektiven Diagnoseverfahren (Radiofibrinogentest,<br />

Phlebographie) ermittelten Thrombosehäufigkeiten für Patienten der Allgemein- und<br />

Visceralchirurgie, Urologie, Gynäkologie und in der Unfall- und orthopädischen Chirurgie ohne<br />

Verfahren der medikamentösen Thromboembolieprophylaxe dargestellt.<br />

Tabelle 1:<br />

Häufigkeiten tiefer Beinvenenthrombosen in der operativen Medizin ohne<br />

medikamentöse Prophylaxe:<br />

(International Consensus 2001: International Angiology 16;3-38:2001)<br />

Studien<br />

n<br />

Patienten<br />

n<br />

TVT<br />

%<br />

%<br />

95 %CI<br />

%<br />

Abdominalchirurgie 54 4310 25 24-26<br />

Retropubische<br />

Prostatektomie<br />

Transurethrale<br />

Prostatektomie<br />

Gynäkologie:<br />

- Malignomchirurgie<br />

- benigne Erkrankung<br />

Elektiver<br />

Hüftgelenkersatz<br />

8 335 32 27-37<br />

3 150 9 5-15<br />

4<br />

4<br />

297<br />

460<br />

22<br />

14<br />

17-26<br />

11-17<br />

17 851 51 48-54<br />

Multiples Trauma 4 536 50 46-55


Kniegelenkersatz 7 541 47 42-51<br />

Hüftfrakturen 16 836 45 41-48<br />

Neurochirurgie 5 280 22 17-27<br />

Neben den operations-, verletzungs- und/oder immobilisationsbedingten Thromboserisiken<br />

(expositionelles Risiko) sind die dispositionellen Risikofaktoren des Patienten (Tabelle 2) zu<br />

berücksichtigen, um zu entscheiden, ob überhaupt und wenn ja, welche Art und Intensität der<br />

Thromboembolieprophylaxe notwendig ist.<br />

Von besonderer Bedeutung sind die Erhebung und klinische Beurteilung der Anamnese bezüglich<br />

früher aufgetretener venöser Thromboembolien in der eigenen oder familiären Vorgeschichte<br />

sowie die frühere Exposition gegenüber Antithrombotika und gegebenenfalls aufgetretene<br />

Reaktionen darauf. Bei positiver Anamnese sollten ein erhöhtes dispositionelles Risiko vermutet<br />

und eine laboranalytische Abklärung einer Hämostasestörung erwogen werden.<br />

Tabelle 2: Dispositionelle Risikofaktoren für eine venöse Thromboembolie<br />

Thrombophilie:<br />

Venöse Thromboembolie in der Anamnese<br />

Angeborene oder erworbene thrombophile Hämostasedefekte<br />

(z.B.: Antiphospholipidsyndrom, Antithrombin-, Protein C-, Protein-S Mangel,<br />

APC-Resistenz / Faktor V Leiden Mutation, thrombophiler<br />

Prothrombinpolymorphismus, u.a.)<br />

Malignome<br />

Schwangerschaft und Postpartalperiode<br />

Höheres Alter (>50 Jahre; Risikozunahme mit dem Alter)<br />

Therapie mit oder Blockade von Sexualhormonen (einschl. Kontrazeptiva und<br />

Hormonersatztherapien)<br />

Chronisch venöse Insuffizienz<br />

Schwere systemisch wirksame Infektion<br />

Starkes Übergewicht (Body Mass Index > 30)<br />

Herzinsuffizienz NYHA III° oder IV°<br />

Nephrotisches Syndrom<br />

Die dispositionellen Risikofaktoren definieren zusammen mit den expositionellen die individuelle<br />

Thrombosegefahr eines Patienten. Berücksichtigt man die bisherigen mit objektiven<br />

Nachweisverfahren ermittelten Thrombosehäufigkeiten bei operierten und/oder traumatisierten<br />

Patienten (Tab. 1) und die zusätzliche, nicht-eingriffsbedingte Risikokonstellation (Tab. 2), so lässt<br />

sich eine Eingruppierung der Patienten nach niedrigem, mittlerem und hohem Thromboserisiko<br />

vornehmen (Tab. 3, 4).<br />

Tabelle 3:<br />

Risikogruppen und Thrombosehäufigkeit (ohne Prophylaxe)


Thromboembolische<br />

Komplikationen<br />

Distale<br />

Beinvenenthrombose<br />

Proximale<br />

Beinvenenthrombose<br />

Tödliche<br />

Lungenembolie<br />

Niedriges<br />

Thromboembolierisiko<br />

Mittleres<br />

Thromboembolierisiko<br />

Hohes<br />

Thromboembolierisiko<br />

< 10 % 10 - 40 % 40 - 80 %<br />

< 1 % 1 - 10 % 10 - 30 %<br />

< 0,1 % 0,1 - 1 % > 1 %<br />

(International Consensus 2001: International Angiology 16;3-38:2001)<br />

Tabelle 4: Beispielhafte Risikogruppen<br />

niedriges<br />

Risiko:<br />

mittleres<br />

Risiko:<br />

hohes<br />

Risiko:<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

kleinere oder mittlere operative Eingriffe mit geringer<br />

Traumatisierung<br />

Verletzungen ohne oder mit geringem Weichteilschaden,<br />

kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositionelles Risiko<br />

länger dauernde Operationen,<br />

gelenkübergreifende Immobilisation der unteren Extremität im<br />

Hartverband<br />

niedriges operations- bzw. verletzungsbedingtes<br />

Thromboembolierisiko und zusätzlich dispositionelles<br />

Thromboembolierisiko<br />

Größere Eingriffe in der Bauch- und Beckenregion bei malignen<br />

Tumoren oder entzündlichen Erkrankungen,<br />

Polytrauma, schwerere Verletzungen der Wirbelsäule, des<br />

Beckens und/oder der unteren Extremität,<br />

größere Eingriffe an Wirbelsäule, Becken, Hüft- und<br />

Kniegelenk,<br />

größere operative Eingriffe in den Körperhöhlen der Brust-,<br />

Bauch- und/oder Beckenregion<br />

mittleres operations- bzw. verletzungsbedingtes Risiko und<br />

zusätzliches dispositionelles Risiko<br />

Patienten mit Thrombosen oder Lungenembolien in der<br />

Eigenanamnese<br />

Unfraktioniertes Heparin (UFH)<br />

Die zwei- oder dreimal tägliche subkutane Gabe von UFH ("low-dose-heparin": 2-3 x 5000 bzw.<br />

2x7500 IE/Tag) ist wirksam bei Patienten mit einem mittleren Thromboserisiko. Bei pauschalierter<br />

s.c. Dosierung bis zu 15 000 I.E./Tag ist eine aPTT-Kontrolle nicht notwendig.<br />

Diese Form der Prophylaxe führt zu einer Thrombosereduktion in der Allgemeinchirurgie von ca.<br />

30 % auf 5 - 15 % und in der Unfallchirurgie von ca. 50 % auf 25 - 30 %.<br />

Niedermolekulare Heparine (NMH)


Aufgrund ihrer verbesserten pharmakologischen Eigenschaften (z.B. bessere Bioverfügbarkeit und<br />

längere Halbwertszeit), einer im Vergleich zu UFH geringeren Häufigkeit von unerwünschten<br />

Wirkungen und ihrer antithrombotischen Effizienz sowie guten Praktikabilität (einmal tägliche<br />

Verabreichung) bieten NMH Vorteile gegenüber UFH.<br />

Die niedermolekularen Heparine sind keine einheitliche Substanzgruppe. Sie haben<br />

unterschiedliche antithrombotische Wirksamkeiten und Dosierungsempfehlungen.. Erkenntnisse<br />

über die Wirksamkeit und Verträglichkeit der verschiedenen niedermolekularen Heparine werden<br />

durch kontrollierte klinische Studien bei Patienten mit unterschiedlichen Thromboserisiken<br />

gewonnen. Eine Reihe von niedermolekularen Präparaten haben sich bei Patienten mit niedrigem,<br />

mittlerem bzw. hohem Risiko als wirksame und verträgliche Form der medikamentösen<br />

Thromboembolieprophylaxe erwiesen. Einzelne haben sich bei pauschalierter Dosierung im<br />

Hochrisikobereich als effizient erwiesen, andere werden hier gewichtsadaptiert verabreicht.<br />

Präparatespezifische Unterschiede sind deshalb zu beachten. Niedermolekulare Heparine, die bei<br />

guter Verträglichkeit ihre Wirksamkeit durch Reduktion der Thromboembolierate bei Patienten im<br />

Hochrisikobereich gezeigt haben, können auch bei mittlerem Risiko eingesetzt werden.<br />

Aufgrund der erwähnten präparatespezifischen Unterschiede sind in dieser Leitlinie keine<br />

konkreten Dosierungsempfehlungen erwähnt. Darum sind im einige verfügbaren NMH<br />

beispielhaft und zur Orientierung aufgeführt. Details sind in den jeweiligen Fachinfos hinterlegt<br />

(www.fachinfo.de)<br />

Fraxiparin®:<br />

niedriges bis mittleres Risiko: 0,3 ml (2850 Anti-Xa IE) 2 h prä-OP<br />

Dann 1 x tgl. 0,3 ml morgens<br />

hohes Risiko* (nach kgKG):<br />

Beginn 12 h prä-OP! (jeweils 1x tgl.)<br />


2500 IE 2 h prä-OP, dann nach 8-12 h 2500 IE,<br />

Dann 1 x tgl. 5000 IE<br />

Variante 2:<br />

2500 IE 4-8 h post-OP, dann 1 x tgl. 5000 IE.


5.8.6. Fibrinolytika:<br />

Fibrinolytika werden meist zur lokalen arteriellen Lyse, beispielsweise der Thrombolyse des<br />

akuten Myokardinfarkts, oder zur Therapie tiefer venöser Thrombosen eingesetzt. Die Indikation<br />

betrifft nicht nur die akute, sondern auch chronische, akut exazerbierte arterielle<br />

Gefäßobstruktionen.<br />

Streptokinase: Ein aus ß-hämolysierenden Streptokokken gewonnenes Protein bindet an<br />

Plasminogen und setzt als Komplex aus weiteren Plasminogenmolekülen das fibrinolytische<br />

Molekül Plasmin frei. Durch intravenöse Gabe der Streptokinase erreicht man eine sog.<br />

„systemische Lyse“ mit raschem Verbrauch an Plasmininhibitor und einer massiven<br />

Plasminfreisetzung (Plasminämie).<br />

Die Streptokinase, die bereits 1933 von TILLET und GARNER entdeckt wurde, wird heutzutage<br />

allerdings kaum noch eingesetzt. Ein wesentlicher Nachteil der Streptokinase ist z.B. deren<br />

vergleichbar lange Halbwertszeit (30 min) sowie ihre Antigenität, die in 1,5 - 20% der Fälle<br />

allergische Reaktionen hervorruft<br />

Urokinase wandelt Plasminogen direkt in Plasmin um. Sie wird von den renaler Tubuluszellen<br />

sezerniert. Das Protein wurde 1947 erstmals von MACFARLANE und PILLING isoliert. Die Substanz<br />

kann heute industriell aus Nierenzellkulturen gewonnen werden. Die Halbwertszeit der Urokinase<br />

nach Bolusinjektion beträgt 14 +/- 6 min.<br />

Tissue plasminogen activator (t-PA) ist eine nahezu in allen humanen Geweben präsente<br />

Substanz, die von Endothelzellen synthetisiert und bevorzugt basal sezerniert wird. Seit einigen<br />

Jahren steht rekombinanter t-PA zur Verfügung. rt-PA ist ein direkter Plasminogen - Aktivator,<br />

der in Gegenwart von Fibrin ein Vielfaches seiner basalen Aktivität entwickelt und somit<br />

"thrombusselektiv" wirkt. Die Halbwertzeit von rt-PA ist mit ca. 4,4 min. (Nebenkomponente ca.<br />

40 min) besonders kurz.<br />

Weitere Substanzen mit potentiell höherer lytischer Aktivität, wie Pro-Urokinase, Anisoylated<br />

Plasminogen Streptokinase Activator Complex (= APSAC), FAB - Urokinase, sind gegenwärtig in<br />

Erprobung.<br />

Im Gegensatz zur systemischen i.v. - Lyse haben sich lokale Lysetechniken in der Behandlung<br />

peripherer thrombotischer Okklusionen als wesentlich effektiver (bis zu 10-fach) und auch<br />

nebenwirkungsärmer erwiesen (höhere Dosis am Applikationsort bei geringerer systemischer<br />

Wirkung, darum weniger Blutungskomplikationen) und werden daher in erster Linie angewandt.<br />

Das Fibrinolytikum wird hierbei über spezielle Lysekatheter in den zuvor mit einem<br />

Führungsdraht sondierten Thrombus appliziert; dies dient der Vergrößerung der Angriffsfläche.<br />

Ein ledigliches "Berieseln" einer Okklusion von proximal ist hingegen nicht sinnvoll. Eine<br />

Variante ist die Pulse - spray - Lyse, bei der impulsweise Fibrinolytikum aus einem Katheter mit<br />

Seitenlöchern forciert unter absichtlicher Inkaufnahme mechanischer Effekte in den Thrombus<br />

eingebracht wird. Sogar Okklusionen mit längerer Anamnese können erfolgreich lysiert werden,<br />

sofern wesentliche thrombotische Anteile vorliegen (ggf. mit subsequenter PTA). Da<br />

Thrombusmaterial in atherosklerotischen Arterien vergleichsweise langsam organisiert, kann dies<br />

auch für Okklusionen mit mehr als 6 - monatiger Anamnese zutreffen.<br />

Die Komplikationsrate der lokalen peripheren Lyse ist insgesamt gering: Zwar treten<br />

Blutungsprobleme - in erster Linie im Bereich der Punktionsstelle - bei bis zu 35% d.F. auf,<br />

ernsthafte Komplikationen wie retroperitoneale oder gar intrazerebrale Blutungen sind jedoch<br />

selten (< 1% d.F.).<br />

Am Anfang der fibrinolytischer Therapien steht der Ausschluss von Kontraindikationen, die zu<br />

einer Blutungskomplikation führen könnten:<br />

- Absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern<br />

- Floride Magen-Darm-Ulzera<br />

- Hypertonus, insbesondere bei diastolischen Werten über 100 mmHg<br />

- Alter (relative KI, bei über 65 Jahren)


- Zustand nach: Apoplex, arteriellen Punktionen (weniger als 7 Tage), intramuskuläre<br />

Injektionen (weniger als 10 Tagen), Schädel-Hirn-Operationen (weniger als 8 Wochen),<br />

Operationen (weniger als 4 Wochen).<br />

- Gefäßaneurysmen<br />

- Hämorrhagischen Diathesen (insbesondere Thrombozytopenien)<br />

- Retinablutungen (Diabetes mellitus)<br />

- Leberinsuffizienz<br />

- Niereninsuffizienz<br />

- Malignome<br />

- Gravidität (in der ersten SS-Hälfte Abortgefahr, bei vitaler Indikation in der 2. SS-Hälfte)<br />

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