Langskript Allgemeine Hämostaseologie - Transfusionsmedizin
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Hämostaseologie<br />
Teil I: <strong>Allgemeine</strong> Hämostaseologie<br />
1 Physiologie der Gerinnung<br />
1.1 Grundlagen der Hämostase<br />
1.1.1 Einleitung<br />
1.1.2 Die Gefäßwand<br />
1.1.3 Thrombozyten<br />
1.1.4 Plasmatische Gerinnung – Sekundäre Hämostase<br />
1.1.5 Das Zell-basierte Model der Hämostase<br />
1.1.6 Inhibitoren der Hämostase<br />
1.1.7 Fibrinolyse<br />
1.1.8 Zusammenfassung Physiologie der Hämostase<br />
2. Labordiagnostik des Gerinnungssystems<br />
2.1. Probenentnahme für hämostaseologische Analysen<br />
2.1.1 Funktionelle Tests<br />
2.1.2 Antigentests<br />
2.1.3 Molekularbiologische Testverfahren<br />
2.2 Spezielle Tests zur Untersuchung der primären Hämostase<br />
2.3 Spezielle Tests zur Untersuchung der sekundären Hämostase<br />
2.3.1 Die Thromboplastinzeit (Quicktest ; INR)<br />
2.3.2 Die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT)<br />
2.3.3 Die Thrombinzeit (TZ)<br />
2.3.4 Bestimmung der Aktivität einzelner Faktoren<br />
2.4 Diagnostische Lücken des Basistestprogrammes<br />
2.6 Befundinterpretation – Einflussgrößen<br />
2.7 Buchempfehlungen
1 Physiologie der Gerinnung<br />
1.1 Grundlagen der Hämostase<br />
1.1.1 Einleitung<br />
Zwei gegensätzliche Aufgaben kennzeichnen das Hämostasesystem. Einerseits muss durch<br />
ständige Antikoagulation eine kontinuierliche Strömung des Blutes gewährleistet sein, andererseits<br />
muss im Bedarfsfall so rasch wie möglich und exakt auf den Verletzungsort begrenzt die<br />
Blutstillung induziert werden. Zur Erfüllung dieser lebensnotwendigen Aufgaben stehen dem<br />
Hämostasesystem zahlreiche Mechanismen zur Verfügung. Beispielsweise ist zu nennen, dass die<br />
Gerinnungsenzyme im Blut in sog. Ruheformen (Proenzyme) vorliegen, die zwar ständig<br />
vorhanden sind, aber nur im Bedarfsfall (Blutung, Verletzung) aktiv werden. Eine weitere wichtige<br />
Eigenschaft ist die gegenseitige Abstoßung der Thrombozyten und der Endothelzellen im<br />
Ruhezustand. Bei Endotheldefekten bzw. Aktivierung der Thrombozyten kommt es dagegen zur<br />
Freilegung bzw. Bildung von Rezeptoren auf den aktivierten Thrombozyten- oder<br />
Endotheloberflächen. Ebenso wichtig wie die rasche Aktivierung des Hämostasesystems ist auch<br />
die gezielte Inaktivierung des Hämostasesystems durch vorhandene physiologische Inhibitoren der<br />
Gerinnung bzw. die Aktivierung des Fibrinolysesystems.<br />
Die Interaktionen im Hämostasesystem sind eminent komplex und auch heutzutage noch nicht bis<br />
ins letzte Detail vollständig verstanden. Ein kurzer Ausflug in die Historie zeigt, dass die<br />
Gerinnung des Blutes auch schon im Altertum von Hippokrates, Platon und anderen beobachtet<br />
wurde, jedoch die zentrale Bedeutung lange Zeit nicht erkannt wurde. Im 2. Jahrhundert vor<br />
Christus wurden Todesfälle bei Circumcisionen (Beschneidungen) durch Verbluten beschrieben,<br />
wodurch die Relevanz der Blutgerinnung dann zunehmend deutlicher wurde. Entscheidende<br />
Fortschritte ergaben sich in den folgenden Jahrhunderten bis ins Mittelalter hinein jedoch nicht. So<br />
beschrieb Petit auch 1730 noch die Problematik des Verblutens bei Amputationen, blieb jedoch<br />
weitgehend ungehört. Erst Ende des 18. Jahrhunderts entdeckten Hunter und Hewson die<br />
Bedeutung der Blutgerinnung sozusagen neu und beschrieben die Zusammenhänge zwischen<br />
Gefäßen und Verletzungen. Dieser Zeitpunkt kann heute rückblickend als der Beginn der<br />
wissenschaftlichen Untersuchung des Blutgerinnungsprozesses bezeichnet werden, sozusagen die<br />
Geburtsstunde der Hämostaseologie, der „Lehre vom Stehen und Steckenbleiben des Blutes“<br />
(Rudolf Marx 1953) oder nach neuerer Definition der „Lehre der Regulation und Dysregulation des<br />
Hämostasesystems“.<br />
Im 19. Jahrhundert erfolgte die Entdeckung und Beschreibung der zentralen und wichtigsten<br />
Prozesse des Hämostasesystems. Buchanan entdeckte so z.B. 1838 die „Thrombin-Wirkung“,<br />
Hammarsten 1875 das Fibrinogen und Arthus erkannte 1890 die Calciumabhängigkeit des<br />
Gerinnungsprozesses. Prothombin, die inaktive Vorstufe des Thrombin, wurde parallel hierzu von<br />
Pekelharing (1848-1922) entdeckt. Allen Wissenschaftlern war die Beobachtung gemein, dass Blut<br />
generell schneller gerinnt, wenn man ihm sog. „Gewebssäfte“ zugibt. Letztendlich war es dann<br />
Morawitz (1879-1936) vorbehalten, die bislang gewonnen Erkenntnisse in einer Formel zur<br />
klassischen Theorie der Blutgerinnung zusammenzustellen:<br />
Prothrombin + Calcium + Thromboplastin → Thrombin.<br />
Thrombin + Fibrinogen → Fibringerinnsel
In den folgenden Jahren wurde erkannt, dass sich das Hämostasesystem in weitere Teilbereiche<br />
bzw. Reaktionswege einteilen lässt. Zum einen ließen sich prokoagulatorische und<br />
gerinnungshemmende Reaktionswege in verschiedene Kompartimenten des Gerinnungssystems<br />
finden. Formell und nach dem „zeitlichen“ Ablauf des Gerinnungsprozesses wird von der sog.<br />
primären Hämostase gesprochen, zu der in erster Linie die Thrombozyten und die Blutgefäße zu<br />
zählen sind. Der sekundären Hämostase werden dagegen die klassischen, im Blutplasma gelösten<br />
Gerinnungsfaktoren zugeordnet. Zwischenzeitlich ist jedoch bekannt, dass auch den Endothelien<br />
der Blutgefäße eine wichtige Rolle in der Hämostase zukommt. Neben der primären und<br />
sekundären Hämostase bleiben ergänzend noch die Inhibitoren der Gerinnung zu nennen, die eine<br />
unkontrollierte Aktivierung verhindern, sowie das sog. fibrinolytische System, welchem die<br />
Aufgabe zukommt, entstandene Blutgerinnsel wieder aufzulösen. Die Darstellung des<br />
Hämostasesystems in den genannten Kompartimenten hat sicherlich didaktische Vorteile, jedoch<br />
sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass in vivo keine strenge Trennung dieser<br />
Kompartimente vorliegt, sondern diese ineinander greifen.<br />
Nach einer Gefäßverletzung laufen parallel mehrere Vorgänge ab: Zum einen kommt es zur<br />
Gefäßkontraktion in den zur Verletzung führenden Blutgefäßen, um den Blutverlust durch die<br />
Verletzungsstelle möglichst gering zu halten (sog. „Reparaturischiämie“). Hier spielen primär<br />
nervale Impulse eine Rolle. Weiterhin kommt es durch die Zerstörung des Endothels zum Kontakt<br />
des Blutes mit Substanzen aus dem subendothelialen Bereich (Kollagen und zellgebundenes<br />
Gewebsthromboplastin, sog. „tissue factor“ [TF]). Vermittelt durch von-Willebrand-Faktor lagern<br />
sich die Thrombozyten zunächst an freiliegenden Kollagenstrukturen an und aggregieren<br />
untereinander, wodurch ein Thrombozytenpfropf entsteht. Durch das freigelegte<br />
Gewebsthromboplastin (tissue factor mit Phospholipiden) erfolgt über den extrinsischen<br />
Aktivierungsweg die Initiierung der Gerinnung, die auf dem freigelegten Gewebeflächen und auf<br />
der Oberfläche der adhärierenden und aggregierenden Thrombozyten voranschreitet. Diese führt<br />
zur Fibrinbildung und somit zur Stabilisierung und Verfestigung dieses Thrombozytenpropfes.(die<br />
genauen Mechanismen sind unten näher erläutert)<br />
Spezifische Inhibitoren beschränken die Hämostase auf den Ort der Verletzung. Die Inhibierung<br />
der Hämostase wird durch im Blut zirkulierende Inhibitoren, vor allem aber durch die Funktion des<br />
Endothels bewirkt.<br />
Zusammenfassend kann der physiologische Ablauf der Gerinnung als eine „Wechselwirkung<br />
zwischen Gefäßwand, Thrombozyten, plasmatischer Gerinnung und dem fibrinolytischen System“<br />
angesehen werden. Auf all diesen Ebenen können pathologische Zustände eintreten, die im<br />
folgenden besprochen werden.<br />
1.1.2 Die Gefäßwand<br />
Die innerste Auskleidung der Gefäße im menschlichen Körper ist eine einschichtige Lage<br />
spezialisierter Zellen, der Endothelzellen. Je nach vaskulärer Provinz sind die Endothelzellen<br />
unterschiedlich ausdifferenziert; so bilden sie in den Kapillaren im ZNS eine sehr dichte Lage, die<br />
einen wesentlichen Teil der Blut-Hirn-Schranke darstellt, während die Endothelzellen in den<br />
Glomeruli der Nieren Lücken zwischen sich lassen, die die spezielle Filterfunktion der Niere erst<br />
ermöglichen. Insgesamt beinhaltet das menschliche Gefäßsystem ca. 10 11 Endothelzellen mit einem<br />
Gewicht von ca. 720 g. Diesen Zellen kommen einige wichtige Funktionen zu, wie die aktive<br />
Regelung der Extravasation von Flüssigkeiten, löslichen Substanzen, Hormonen und<br />
Makromolekülen. Daneben spielen sie eine wichtige Rolle in der Aktivierung der<br />
Entzündungsreaktion, kontrollieren das Leukozytenrekruitment und sind in den Heilungsprozess
nach Verletzungen (Angioneogenese) involviert. Von hämostaseologischer Seite steht primär die<br />
zentrale und essentielle Funktion zur Aufrechterhaltung des flüssigen Zustandes des Blut und somit<br />
der Hemmung der Thromboseentstehung im Mittelpunkt. Neben dieser thrombophoben oder auch<br />
antikoagulatorischen Funktion besitzt das Endothel jedoch auch thrombophile oder<br />
prokoagulatorische Eigenschaften, die bei Verletzung bzw. Blutungsgefahr von Bedeutung sind.<br />
Die wichtigsten thrombophoben und thrombophilen Eigenschaften des Endothels sind in Abb. 1<br />
zusammengefasst. Zusätzlich kommt die bereits eingangs erwähnte Abstoßung von intakter<br />
Endothel- und Thrombozytenmembran aufgrund gleichsinniger Ladung im Ruhezustand hinzu.<br />
Auch ein Plasmafilm auf dem Endothel sorgt für eine räumliche Distanz zwischen Thrombozyten<br />
und Endothel. Nicht aktivierte Thrombozyten binden somit nicht an intaktes Endothel. Werden<br />
Thrombozyten dagegen aktiviert, so sind sie in der Lage auch an intaktes Endothel zu binden.<br />
Wichtige thrombophobe Eigenschaften des Endothels<br />
Synthese und Sekretion von Protacyclin (PGI 2 ) – Hemmung der Thrombozytenaggregation<br />
Abbau von thrombozytenaktivierendem ADP zu thrombozyteninhibierendem Adenosin über<br />
Ektophosphatasen<br />
Bildung von Thrombomodulin – nach Bindung von Thrombin Aktivierung von Protein C<br />
Bindung von Antithrombin an Heparansulfate auf der Endotheloberfläche – effektivere<br />
Hemmung von Thrombin<br />
Bildung und Sekretion von Plasminogenaktivator (t-PA) – Förderung der Fibrinolyse<br />
Wichtige thrombophile Eigenschaften des Endothels<br />
Ausschüttung und Bereithaltung von Von-Willebrand-Faktor – Thrombozytenadhäsion<br />
(Lagerung in den Weibel-Palade-Bodies)<br />
Bildung und Sekretion von Plasminogenaktivator-Inhibitor (PAI-1)<br />
Exprimierung von Gewebsthromboplastin (tissue factor)-Komplex unter bestimmten<br />
pathophysiologischen Bedingungen.<br />
Abb. 1<br />
Durch das Zusammenspiel dieser Eigenschaften sind die Endothelzellen in der Lage, eine prompte<br />
Blutstillung und insbesondere auch eine strenge Lokalisation des Prozesses (Thrombophobe<br />
Eigenschaften der unverletzten Nachbarendothelien!) sicherzustellen. Die Aktivatoren und<br />
Inhibitoren der Hämostase sind in den nachfolgenden Kapiteln näher erläutert. Hervorzuheben ist<br />
an dieser Stelle jedoch die zeitliche und räumliche Verteilung auf dem Endothel. So sezerniert das<br />
gesunde Endothel in das Gefäßlumen kontinuierlich Protacyclin, welches die Schwelle der<br />
Thrombozytenaktivierung erhöht. Darüber hinaus vermag das Endothel auch durch<br />
Ektophosphatasen sowie die 5´-Nukleotidase das stark thrombozytenaktivierende ADP in<br />
thrombozyteninhibierendes Adenosin zu verwandeln. Auch das Thrombomodulin wirkt nach dem<br />
Prinzip, einen Aktivator in einen Inhibitor zu konvertieren, da es Thrombin, welches Fibrin bildet,<br />
die Gerinnungskaskade verstärkt und zusätzlich einen starken Thrombozytenaktivator darstellt,<br />
bindet und in seiner Konformation verändert. Hierdurch ändert sich die Sepezifität des Thrombins,<br />
welches nun Protein C aktiviert, das die Gerinnungskaskade an zwei Stellen hemmt. Das<br />
Thrombomodulin ist bandförmig an den Rändern der Endothelzellen angeordnet. Eine mögliche<br />
Deutung dieser Verteilung ist, daß hier eine besonders hohe antithrombotische Aktivität benötigt<br />
wird, da durch die Interzellularspalten ein gewisser Kontakt des Plasmas mit subendothelialer<br />
Matrix möglich ist. Auf der Endotheloberfläche exprimiertes Heparansulfat vermittelt die<br />
Hemmung von Thrombin und Faktor Xa durch Antithrombin. Während die Endothelzellen auf der<br />
luminalen Seite tissue plasminogen activator (t-PA) ausschütten, der die Fibrinolyse durch Plasmin<br />
initiiert, sezernieren sie basal, also in die Gefäßwand, den Hemmstoff von t-PA, Plasminogen<br />
activator inhibitor 1 (PAI-1). Das Endothel stellt auch von-Willebrand-Faktor her, ein polymeres<br />
Protein, dessen einzelne Untereinheiten zu langen Ketten angeordnet sind. Während alle Formen
dieses Proteins den im Plasma gelösten Faktor VIII vor zu raschem Abbau schützen, können nur<br />
langkettige von-Willebrand-Moleküle die Thrombozytenadhäsion ermöglichen. Der im<br />
Ruhezustand kontinuierlich ausgeschüttete endotheliale von-Willebrand-Faktor ist kürzerkettig als<br />
solcher, der vom aktivierten Endothel ausgeschüttet wird. Überdies hält das Endothel besonders<br />
langkettigen vonWillebrand-Faktor in den Weibel-Palade-Bodies vorrätig, der nicht nur durch<br />
aktive Sekretion, sondern natürlich auch durch mechanische Zerstörung der Zellen freigesetzt<br />
werden kann. Den Endothelzellen wird vielfach auch die Eigenschaft zugeschrieben, unter diversen<br />
pathophysiologischen Umständen tissue factor (Gewebsthromboplastin) exprimieren zu können.<br />
Die Datenlage in der Literatur hierzu ist jedoch widersprüchlich; hinzu kommt, daß viele Berichte<br />
über tissue-factor-exprimierende Endothelzellen auf Untersuchungen an kultivierten<br />
Endothelzellen beruhen, die praktisch immer mit Zellen tieferer Gefäßwandschichten kontaminiert<br />
sind, die ohnehin zur tissue-factor-Synthese befähigt sind.<br />
Die tieferen Schichten der Gefäßwand sind thrombogen und treten im Normalfall mit dem Blut<br />
nicht in Kontakt. Bereits direkt unter den Endothelzellen finden sich Zellen, die mit diesen in<br />
dichtem Kontakt stehen. In den sehr kleinen Gefäßen (Kapillaren und Venulen) sind dies die<br />
Perizyten. Zellen mit ganz ähnlichen Eigenschaften finden sich auch in der Intima der größeren<br />
Gefäße, in deren tieferen Wandschichten noch viele weitere spezialisierte Zellen (Fibrozyten, glatte<br />
Muskelzellen etc) beheimatet sind. Die meisten der subendothelialen Zellen tragen konstitutiv<br />
tissue factor und sind von einer interzelluläten Matrix umgeben, die durch ihren hohen<br />
Kollagengehalt thrombozytenaktivierend ist.<br />
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Blut durch aktive Prozesse des Endothels flüssig<br />
erhalten wird. Sobald Blut aus den Gefäßen austritt, setzen ungebremst die Vorgänge der<br />
Hämostase ein.<br />
1.1.3 Thrombozyten<br />
Die Thrombozyten oder auch Blutplättchen stehen im Zentrum der primären Hämostase. Sie sind<br />
in ihrer nichtaktivierten Form kleine runde Scheiben mit einem Durchmesser von 1-3 µm und<br />
zirkulieren im peripheren Blut vorzugsweise in der Nähe des Endothels, ohne sich an dieses<br />
anzulagern oder untereinander zu aggregieren. Kommt es zu einer Verletzung des Endothels und<br />
damit zum Freilegen des subendothelialen Gewebes, binden die Thrombozyten über Rezeptoren<br />
auf Ihrer Oberfläche (Glykoproteine) an subendotheliale Strukturen. So bindet z.B. Glykoprotein<br />
(GP) Ia/IIa an Kollagen und GP Ib/IX an den Von-Willebrand-Faktor (VWF), der wiederum an<br />
Kollagen binden kann. Durch diese Thrombozytenadhäsion werden die Blutplättchen aktiviert<br />
und verändern ihre Aussehen von der Scheibenform zur einer Kugelform mit Bildung von<br />
Pseudopodien. Dieser Prozess wird als Gestaltwandel bezeichnet. Weiterhin werden aus den<br />
Granula der Thrombozyten verschiedene Inhaltsstoffe freigesetzt, die ihrerseits die<br />
Thrombozytenaktivierung oder/und die Gefäßkontraktion verstärken (z.B. ADP, PAF,<br />
Thromboxan). Die Thrombozyten exprimieren parallel hierzu weitere Rezeptoren auf ihrer<br />
Oberfläche, wovon das GP IIb/IIIa als Bindungsstelle für Fibrinogen und VWF am wichtigsten ist.<br />
Die Brückenbildung zwischen den Thrombozyten über Fibrinogen oder VWF an GP IIb/IIIa leitet<br />
die Thrombozytenaggregation ein, die zur Vergrößerung des primären Thrombozytenpfropfes<br />
führt. Der in der initialen Phase entstandene, noch recht instabile und lockere Thrombozytenpfropf,<br />
auch „weißer Thrombus“ genannt, verfestigt sich in der Folge zusehends zu einem nicht mehr<br />
auflösbaren Thrombozytenpropf unter Einbau von Leukozyten und Erythrozyten, dem „roten<br />
Thrombus“. Unter Annahme einer strengen Trennung von primärer und sekundärer Hämostase, die<br />
tatsächlich in vivo so nicht besteht (!), ist an dieser Stelle das Ende der primären Hämostase
erreicht. Zur Übersicht sind in den Abb. 3 und 4 die wichtigsten Rezeptoren auf der<br />
Thrombozytenoberfläche und ihre Liganden bzw. die Inhaltsstoffe der Thromboyzten in den<br />
verschiedenen Granula dargestellt.<br />
Die wichtigsten Glykoproteine auf der Thrombozytenoberfläche und ihre Liganden<br />
GP Ia/IIa – Kollagen<br />
GP Ib/IX – Von-Willebrand-Faktor, Thrombin<br />
GP IIb/IIIa – Fibrinogen, Fibrin, Von-Willebrand-Faktor<br />
Abb. 3<br />
Inhaltsstoffe der Thrombozyten (Freisetzung bei Aktivierung)<br />
Alpha-Granula:<br />
Fibrinogen, Von-Willebrand-Faktor, Plättchenfaktor 4 (Pf-4), PAI-1, ß-Thromboglobulin, F.V<br />
Dense bodies:<br />
Serotonin, Calcium, ATP, ADP, AMP, Thromboxan A2*, Plättchen-aktivierender Faktor<br />
(PAF)<br />
Lysosomale Granula:<br />
Saure Hydoxylasen<br />
*Thrombozytenaggregation und Vasokonstriktion – Gegenspieler von Prostazyklin aus dem<br />
Endothel (Vasodilatator und Hemmung der Thromboyztenaggregation)<br />
Abb. 4<br />
1.1.4 Plasmatische Gerinnung – Sekundäre Hämostase<br />
Die Endziel des kaskadenartig ablaufenden Gerinnungsprozesses ist die Bildung von Fibrin.<br />
Hierdurch wird die Verletzungsstelle bis zum Abschluss der Wundheilung durch Fibroblasten<br />
verklebt. Eine suffiziente Wundheilung benötigt daher ein stabiles Fibrinnetz, wodurch deutlich<br />
wird, dass Gerinnung und Wundheilung eng miteinander verflochten sind.<br />
Die Gerinnungsaktivierung erfolgt nach neueren Erkenntnissen in-vivo primär durch die Bildung<br />
des Komplexes „VIIa-tissue factor“ an der Verletzungsstelle. Hierbei kann es dann zum Kontakt<br />
von Gerinnungsfaktor VIIa mit TF und nachfolgender Gerinnungsaktivierung kommen. Diese<br />
Form der Aktivierung wird auch als exogen oder extrinsisch bezeichnet. Im Kaskadenmodell ist<br />
auch eine alternative Form der Aktivierung, die sog. endogene oder intrinsische Form beschrieben.<br />
Dem Kontakt des Blutes mit Fremdoberflächen wird hier die entscheidende Bedeutung<br />
zugesprochen. Durch Kontakt mit negativ geladenen Oberflächen (z.B. Glas von Laborröhrchen)<br />
kommt es zu einer Konformationsänderung des F. XII, so daß dieser rasch durch Proteasen<br />
aktiviert werden kann. Seine aktivierte Form XIIa wiederum aktiviert den Faktor XI. Nach<br />
Aktivierung von F. IX entsteht ein Enzymkomplex (sog. Endogene Tenase), der den zentralen F. X<br />
aktivieren kann (s. Abb. 5). Dieser endogene oder intrinsische Weg ist aber primär nur in-vitro von<br />
Relevanz. In-vivo wird dem endogenen Weg hauptsächlich eine Verstärkerwirkung nach bereits<br />
erfolgter Gerinnungsaktivierung zugesprochen, da Thrombin in einer Rückkoppelungschleife<br />
Faktor XI aktiviert. Aus heutiger Sicht ist eine strenge Differenzierung zwischen intrinsischen und<br />
extrinsischem System überholt. Zum Verständnis der später zu besprechenden Gerinnungstests und<br />
der korrekten Interpretation der Ergebnisse, ist es jedoch weiterhin sinnvoll, die einzelnen Abläufe<br />
des klassischen Kaskadenmodels zu kennen. Die Kenntnis dieser beiden Gerinnungswege ist<br />
überdies im klinischen Alltag von Bedeutung, da der intrinsische Gerinnungsweg durch die aPTT,<br />
der extrinsiche durch die Thromboplastinzeit (Quick / INR) abgebildet wird.
Bis auf eine Ausnahme (F. XIII) sind alle beteiligten Gerinnungsfaktoren sog. Serinproteasen mit<br />
der Aminosäure Serin in ihrem aktiven Zentrum und zirkulieren in ihrer inaktiven Form<br />
(Proenzym) im Blut. Sie werden meist mit römischen Ziffern benannt, deren Abfolge dem<br />
Zeitpunkt Ihrer Charakterisierung entsprechen. Alle in Abb. 5 aufgeführten Gerinnungsfaktoren<br />
werden primär in der Leber gebildet, sind jedoch teilweise auch in Thrombozyten (z.B. F. V) oder<br />
den Endothelien (F. VIII) gespeichert, von wo aus sie bei Aktivierung freigesetzt werden können.<br />
So kann im Bedarfsfall z. B. die Konzentration eines der Faktoren direkt an der betreffenden<br />
Verletzungsstelle zusätzlich erhöht werden. Die Bildung einiger Gerinnungsfaktoren (II, VII, IX<br />
und X) ist abhängig vom Vorhandensein von Vitamin K („K“ von Koagulation!). Auf Hemmung<br />
der Bildung dieser Faktoren beruht der antikoagulatorische Effekt der sog. Vitamin K-<br />
Antagonisten (z. B. Marcumar ® ), der an späterer Stelle noch zu besprechen sein wird.<br />
Exogenes/Extrinsisches System<br />
Endogenes/Intrinsisches System
Aktivierung durch:<br />
Gewebsthromboplastin<br />
TF . VIIa<br />
Ca 2+<br />
Aktivierung durch:<br />
Kallikrein<br />
HMWG<br />
Oberflächenkontakt<br />
XIIa<br />
XII<br />
X<br />
XIa<br />
XI<br />
VII<br />
VIIa<br />
IXa<br />
IX<br />
Ca 2+<br />
Pl.<br />
VIIIa<br />
VIII<br />
Ca 2+<br />
Pl.<br />
Xa<br />
Va<br />
V<br />
XIII<br />
Prothrombin<br />
Thrombin<br />
Ca 2+<br />
XIIIa<br />
Ca 2+<br />
Fibrinogen<br />
Fibrin löslich<br />
Fibrin<br />
quervernetzt<br />
Abb. 5<br />
Die Aktivierung des Gerinnungsprozesses entspricht einer Kette enzymatischer, proteolytischer<br />
Prozesse, wobei jedes Enzym ein weiteres Proenzym aktiviert. Die Bildung von Komplexen<br />
beschleunigt die Wirkung der Enzyme erheblich, sog. Katalysatoreffekt. Die Komplexe bestehen<br />
neben dem zentralen Enzym aus sog. Akzeleratoren (Co-Faktoren), negativ geladenen<br />
Phospholipiden aus freigelegten Zelloberflächen (PL) und Calciumionen (s. Abb. 6). Beispiele für<br />
solche Enzymkomplexe sind:<br />
2+<br />
F.VIIa-TF-Komplex (VIIa, TF, Ca , PL)<br />
Initiatorkomplex der Gerinnung in-vivo – Aktivierung von F. X (exogene Tenase)<br />
Tenase-Komplex (IXa, VIIIa, Ca 2+ , PL)<br />
Aktivierung von F. X = engl. „Ten“ (endogene Tenase)<br />
Prothrombinasekomplex (Xa, Va, Ca 2+ , PL)<br />
Aktivierung von Prothrombin
Abb. 6: Prinzip der Bildung von Enzymkomplexen<br />
Zwischen den beiden Aktivierungsschritten, exogen und endogen, sind auch zahlreiche<br />
Querverbindungen bekannt, die letztendlich zur ungeheueren Komplexität des Gerinnungssystems<br />
führen. So kann z. B. der Komplex VIIa-TF auch den F. IX aktivieren (sog. „Josso-Schleife“).<br />
Zudem sind auch einige Gerinnungsfaktoren in der Lage, sich selbst im Sinne einer Auto-<br />
Aktivierung oder Selbstverstärkung zu aktivieren (z. B. F. XIIa, XIa, VIIa etc.).<br />
Von großer Bedeutung für einen erfolgreichen Ablauf des Gerinnungprozesses ist das<br />
Vorhandensein von Calciumionen (Ca 2+ ). Diese sind an vielen Stellen in der Gerinnung als<br />
essentieller Bausteine in die Enzymkomplexe bzw. Aktivierungsschritte einbezogen. Ein Fehlen<br />
von Ca 2+ , z. B. durch Entzug der Ionen mittels Komplexbildung, führt zu einer Hemmung des<br />
Gerinnungsprozesses. Auf diesem Prinzip des Calciumentzugs basiert beispielsweise die<br />
Anwendung der Chelatoren Citrat oder EDTA als Antikoagulantien für Vollblut in<br />
Blutentnahmeröhrchen.<br />
Von entscheidender zentraler Stellung im Gerinnungssystem ist das Enzym Thrombin. Neben der<br />
Umwandlung von Fibrinogen zu Fibrin als letztem und entscheidendem Schritt in der<br />
Gerinnungskaskade, katalysiert Thrombin auch viele andere Schritte (s. Abb. 7). So finden sich<br />
über Thrombin auch Querverbindungen zur Fibrinolyse (Freisetzung von t-PA und PAI –<br />
Aktivierung von TAFI) sowie zu Inhibitorsystemen der Hämostase (Thrombomodulin-Protein C/S-<br />
System). Die Stabilisierung des gebildeten Fibrins ist auch abhängig davon, ob eine ausreichende<br />
Menge von Thrombin gebildet wird. Hierbei spielt vor allem die Thrombin-getriggerte Aktivierung<br />
des F. XIII eine Rolle. Der F. XIIIa induziert die Quervernetzung von Fibrin und sorgt letztendlich<br />
für die endgültige Stabilität der gebildeten Fibrinstruktur. Dieser Faktor hat insofern eine<br />
Ausnahmestellung im Gerinnungsablauf, als er keine Serinprotease, sondern eine Transglutaminase<br />
(katalysiert eine Amidbindung zwischen Lysin und Glutamin) darstellt, und in den später zu<br />
besprechenden Global- oder Suchtests der Gerinnungsanalyse – aPTT und Thromboplastinzeit -<br />
nicht erfasst wird.<br />
Thrombin – Wichtige Funktionen des zentralen Enzyms in der Hämostase<br />
Umwandlung von
Fibrinogen zu Fibrin<br />
XIII zu XIIIa<br />
V zu Va<br />
VIII zu VIIIa<br />
XI zu XIa (positive Rückkopplung!)<br />
Aktivierung von<br />
Protein C über Thrombin-Thrombomodulinkomplex<br />
Thrombozyten (Aggregation, Granulasekretion)<br />
Endothel (Freisetzung von t-PA und PAI-1)<br />
Hemmung von<br />
Fibrinolyse über Thrombin-aktivierbaren Fibrinolyse-Aktivator (TAFI)<br />
Abb. 7<br />
Eine wichtige Rolle im Gerinnungsablauf kommt den bereits erwähnten Co-Faktoren zu, die<br />
letztendlich den jeweiligen Aktivierungsschritt entscheidend beschleunigen. Von großer Bedeutung<br />
sind hier neben TF (Co-Faktor zu VIIa) die Gerinnungsfaktoren V und VIII. Besonders der<br />
letztgenannte Faktor aus dem endogenen Tenasekomplex ist von großer klinischer Bedeutung. Die<br />
reduzierte Aktivität bzw. das Fehlen des F. VIII ist die Ursache der klassischen Bluterkrankheit,<br />
der Hämophile A. Ebenso ist dieser Faktor beim häufigsten angeborenen Blutungsübel, dem Von-<br />
Willebrand-Syndrom, erniedrigt und somit neben der ebenfalls vorhandenen<br />
Thrombozytenfunktionsstörung für die Blutungsneigung bei diesem Syndrom verantwortlich.<br />
Näheres zu diesen Krankheitsbildern wird in den entsprechenden Abschnitten dargestellt.<br />
1.1.5 Das Zell-basierte Model der Hämostase<br />
Gegen Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wuchs die Erkenntnis, dass eine strenge<br />
Trennung zwischen zellulärer (Thrombozyten, Endothel) und plasmatischer (Gerinnungsfaktoren)<br />
Gerinnung sicher nicht zutreffend ist. Einige Autoren beschrieben in der Folge das sog. „Cell-based<br />
model of hemostasis“, das letztendlich den Ablauf des Gerinnungsvorganges im menschlichen<br />
Körper besser wiedergeben soll als die oben dargestellte klassische Gerinnungskaskade (Abb. 8).<br />
Gleichwohl ist letztere auch zu didaktischen Zwecken und zum Verständnis der Analytik auch<br />
heute noch von großer Bedeutung.<br />
Zentrale Schlüsselreaktion des neuen Models der Gerinnung ist die Interaktion zwischen dem VIIa-<br />
TF-Komplex und der Zelloberfläche aktivierter Thrombozyten. Letzteren kommt in diesem Modell<br />
neben der Bereitstellung negativ geladener Phospholipide durch Umstülpung der Zellmembran eine<br />
wesentlich größere und zentrale Bedeutung in der Fibrinbildung zu. Eine strenge Trennung<br />
zwischen primärer und sekundärer Hämostase existiert somit nicht mehr! Neben Thrombozyten<br />
kommt auch Endothelien, Fibroblasten und Leukozyten eine große Bedeutung im gesamten<br />
Gerinnungsablauf zu. So wird auch verständlich, warum eine Mangel oder eine Fehlfunktion von<br />
Thrombozyten (Thrombozytopenie bzw. –pathie) den Erfolg der plasmatischen Gerinnung mit dem<br />
Endziel der stabilen Fibrinbildung eminent beeinträchtigt.<br />
Der Ablauf der Gerinnung wird im neuen Zell-basierten Model durch 3 Phasen charakterisiert. In<br />
der ersten Phase, der Initiation, kommt es nach Verletzung zum Kontakt mit TF-tragenden Zellen<br />
(z.B. Fibroblasten) mit Plasma. Faktor VIIa, der in Spuren stets im Plasma zirkuliert (ca. 1% des<br />
gesamten Faktor VII), bindet an TF. In Gegenwart von Calcium und Phospholipiden, in die der TF<br />
als Transmembranprotein eingebettet ist, aktiviert der an TF gebundende VIIa die<br />
Gerinnungsfaktoren. IX und X. In einer positiven Rückkoppelungsschleife aktiviert er auch
weiteren Faktor VII, so daß rasch weitere TF-VIIa-Komplexe entstehen können. In Gegenwart der<br />
ebenfalls in geringer Konzentration zirkulierenden Faktoren VIIIa und Va kann nun, noch in relativ<br />
geringen Mengen, Thrombin entstehen.<br />
In der zweiten Phase, der Amplifikation, können nun diese kleinen Mengen an Thrombin die<br />
bereits zuvor eingesetzte Adhäsion und Aktivierung von Thrombozyten verstärken. Die weiteren<br />
entscheidenden Schritte im Gerinnungsablauf finden von nun an auf der Thrombozytenoberfläche<br />
statt. Hier kommt es zu Aktivierung großer Mengen von F. V (auch aus Granula der<br />
Thromboyzten), VIII und XI. Damit sind in dieser Phase die Voraussetzungen geschaffen, die<br />
prokoagulatorische Komplexbildung und Thrombinbildung beginnen zu lassen. Dies öffnet die Tür<br />
zur 3. Phase, der Propagation. In großem Maße kommt es nun zur Bildung der Tenase und<br />
Prothrombinase auf der Thrombozytenoberfläche und Thrombin wird in großen Mengen (sog.<br />
„thrombinburst“) gebildet. Die Lokalisation des Ablaufes auf der Thrombozytenoberfläche wird<br />
vor allem auch durch hoch affine Bindungsstellen auf Thromboyzten für die Faktoren IXa, Xa und<br />
XIa unterstützt.<br />
A bb. 8 Das “cell-based model of hemostasis”<br />
1.1.6 Inhibitoren der Hämostase<br />
Zur strengen lokalen Begrenzung des Gerinnungsprozesses und zur Verhinderung einer<br />
überschießenden Hämostasereaktion sind weitere Faktoren notwendig. Von zentraler Bedeutung<br />
hierfür sind die physiologischen Gerinnungsinhibitoren. Abb. 9 gibt einen Überblick über die<br />
wichtigsten Inhibitorensysteme. Von besonderer Bedeutung sind Antithrombin (AT) als zentraler<br />
Gegenspieler des Thrombin und das Thrombomodulin-Protein-C-S-System.<br />
Antithrombin<br />
Polyvalenter Serinproteasen-Inhibitor<br />
Physiologische Gerinnungsinhibitoren
Heparin Cofaktor II (HCII)<br />
Hemmt Thrombin, Kathepsin, Chymotrypsin<br />
Thrombomodulin-Protein-C-S-System<br />
Inhibition der Cofaktoren VIIIa und Va und Hemmung von PAI-1<br />
Tissue Factor Pathway Inhibitor (TFPI)<br />
Calcium-abhängige Inhibition des Xa und des VIIa/TF-Komplexes<br />
Abb. 9<br />
AT ist ein sog. „Serinproteasen-Inhibitor“, kurz SERPIN. Hieraus ergibt sich, dass AT nicht nur<br />
Thrombin, sondern auch andere Serinproteasen (XIIa, XIa, IXa, VIIa, Kallikrein, Plasmin etc.)<br />
hemmt. Eine besonders hohe Affinität besteht jedoch zu Thrombin und gleichermaßen zu F. Xa.<br />
Alleine ist AT jedoch ein sehr schwacher und langsamer Inhibitor, der erst nach einer gewissen<br />
Latenzzeit wirkt (sog. Progressivinhibitor). Die Inhibition erfolgt durch Bildung von inaktiven<br />
Enzyminhibitorkomplexen, wie z. B. Thrombin-Antithrombin-Komplex (TAT). Die inhibierende<br />
Wirkung von AT kann entscheidend (700 – 1000-fach) durch Heparin beschleunigt werden, woraus<br />
sich die gerinnungshemmende (antikoagulative) Wirkung von Heparin als später zu<br />
besprechendem Antikoagulans ergibt. Eine wichtige Botschaft sei daher auch schon an dieser Stelle<br />
erwähnt: Heparin kann als Gerinnungshemmer nur dann effizient wirken, wenn ausreichend AT<br />
vorhanden ist!<br />
Im physiologischen Zustand wird die Wirkung von AT durch auf der Endotheloberfläche<br />
befindliche Heparansulfat beschleunigt, die sozusagen dem „endogenen Heparin“ entsprechen.<br />
Hierdurch kommt es im Bedarfsfall (Thrombinbildung) zu einer in der Regel ausreichenden<br />
Antithrombinwirkung, um eine überschäumende Gerinnung zu verhindern.<br />
Eine entscheidende Rolle im zweiten wichtigen Inhibitorensystem der Hämostase kommt dem<br />
Protein C zu. Ähnlich wie bei den Gerinnungsfaktoren liegt auch Protein C in einer inaktiven Form<br />
vor und muss, um die inhibierende Funktion ausüben zu können, zunächst aktiviert werden. Dies<br />
geschieht auf der Endotheloberfläche nach Bindung von Thrombin an Thrombomodulin. Das durch<br />
den Thrombomodulin-Thrombin-Komplex aktivierte Protein C kann dann die Faktoren Va und<br />
VIIIa durch limitierte Proteolyse inaktivieren (Abb. 10). Eine entscheidende beschleunigende<br />
Wirkung dieser Prozesses wird durch Protein S als Co-Faktor erzielt. Neben dieser hemmenden<br />
Wirkung auf die beiden Gerinnungsfaktoren, besitzt aktiviertes Protein C noch eine zweite<br />
wichtige Funktion, die bereits in das letzte noch zu besprechende System, dem Fibrinolysesystem,<br />
überleitet. Aktiviertes Protein C hemmt den sog. Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1 (PAI-1). Dies<br />
führt zu einem Ansteigen der Aktivität des tissue-Plasminogen-Aktivator (t-PA), dem wichtigsten<br />
Aktivator der fibrinolytischen Systems. Hierdurch wird die Aktivität der Fibrinolyse gesteigert.<br />
Endothel<br />
Thrombomodulin
Thrombin<br />
Va<br />
Protein C<br />
aktiviertes PC<br />
+<br />
Protein S<br />
VIIIa<br />
Abb. 10<br />
1.1.7 Fibrinolyse<br />
Dem fibrinolytischen System kommt primär die Aufgabe des Wiederauflösens eines<br />
Fibringerinnsels zu. Hierdurch wird wieder eine freie Durchgängigkeit des Blutgefäßsystems nach<br />
abgeschlossenen Reparaturmechanismen erreicht. Zentrales Schlüsselenzym in diesem System ist<br />
Plasmin, das ebenfalls als Proenzym (Plasminogen) im Blut zirkuliert (Abb. 11). Ähnlich wie die<br />
prokoagulatorischen Reaktionsschritte auf der Zelloberfläche (Phospholipide!) ablaufen und somit<br />
die lokale Begrenzung der Prozesse sichergestellt ist, findet sich Entsprechendes auch für die<br />
Plasminwirkung. Hier stellt das gebildete Fibrin die Matrix für die enzymatischen Schritte dar. Die<br />
primäre Aktivierung des Plasminogens erfolgt durch das aus dem Endothel stammende Enzym t-<br />
PA, das typischerweise eine hohe Affinität zu Fibrin (nicht Fibrinogen!) besitzt. Es entsteht daher<br />
ein Komplex aus Fibrin-t-PA-Plasminogen, der die lokale Bildung von Plasmin zur Folge hat. Die<br />
Fibrinbindung des Plasmins wiederum schützt dieses auch vor vorschneller Inaktivierung durch<br />
den spezifischen Plasmininhibitor (früher als Antiplasmin bezeichnet). Ein weiterer<br />
physiologischer Aktivator ist die Urokinase (u-PA). Diese findet sich überwiegend in der Niere<br />
(Urogenitaltrakt) und besitzt sowohl in seiner Vorform (Prourokinase) als auch in der endgültigen<br />
Form (Urokinase) fibrinolytische Aktivität. Die Aktivierung erfolgt durch Kallikrein. Interessant ist<br />
ferner, dass Urokinase auch freies, d. h. nicht fibringebundenes Plasminogen aktivieren kann, was<br />
zu einer systemischen Fibrinolyse führen kann!<br />
Der Begriff „Fibrinolyse“ (Auflösung eines Fibringerinnsels) sollte nicht mit dem Begriff der<br />
„Thrombolyse“ verwechselt werden. Hierunter versteht man die medikamentöse Auflösung eines<br />
Fibrin-Thrombus mittels des therapeutischen Einsatzes eines Aktivators der Fibrinolyse (heute<br />
zumeist gentechnologisch hergestellter t-PA). Streptokinase, ein unphysiologischer Aktivator der<br />
Fibrinolyse aus Streptokokken, wird heute aufgrund des Nebenwirkungsprofils (bes. allergische<br />
Reaktionen) kaum mehr therapeutisch eingesetzt.<br />
Plasmin kann Fibrin an verschiedenen Stellen spalten. Hierdurch entstehen demnach verschiedene<br />
Fibrinspaltprodukte, wovon insbesondere die sog. D-Dimere von praktischer Bedeutung sind.<br />
Diese entstehen durch die Spaltung der Fibrin-Gamma-Kette und sind spezifisch für die Plasminabhängige<br />
Spaltung von Fibrin. Können im Labor D-Dimere im Blut eines Patienten nachgewiesen<br />
werden, so bedeutet dies, dass irgendwo im Körper ein Prozess mit Gerinnung und Fibrinolyse<br />
abgelaufen sein muss. Umgekehrt kann bei eindeutig negativem D-Dimer-Befund ein solcher<br />
Prozess praktisch ausgeschlossen werden. Dies hat heute hohe praktische Relevanz beim<br />
Ausschluss einer tiefen Beinvenenthrombose oder einer Lungenembolie!<br />
Eine überschießende und insbesondere lokal nicht begrenzte Fibrinolyse würde zu einer<br />
erheblichen und gefährlichen Blutungsneigung führen. Diesem ist von physiologischer Seite auf<br />
mehreren Ebenen Einhalt geboten. Zum einen kommt hier die lokale Begrenzung des Prozesses<br />
(Fibrin als Matrix) zum Tragen, zum anderen befinden sich im Blut einige Inhibitoren der<br />
Fibrinolyse. Diese sind gegenüber den Aktivatoren im Überschuss vorhanden. Hierunter ist vor
allem der Plasminhibitor zu nennen, der früher auch als (alpha-2-Antiplasmin) bezeichnet wurde.<br />
Hierbei handelt es sich um einen „Sofortinhibitor“, der vorhandenes, freies Plasmin unmittelbar<br />
bindet und inaktiviert.<br />
Ein weiterer Fibrinolyseinhibitor stellt der Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1 (PAI-1) dar, der im<br />
Zusammenhang mit aktiviertem Protein C bereits erwähnt wurde. PAI-1 greift an noch früherer<br />
Stelle in die Fibrinolyse ein, indem er bereits die beiden wichtigsten Aktivatoren der Fibrinolyse (tund<br />
u-PA) hemmt. Ein erst in den letzten Jahren entdeckter weiterer Fibrinolyseinhibitor stellt ein<br />
interessantes Bindeglied zwischen Gerinnung und Fibrinolyse dar. Dieser Thrombin-aktivierbare<br />
Fibrinolyse-Inhibitor (TAFI) spaltet an Fibrin einen Lysinrest ab und verhindert dadurch die für<br />
dessen Aktivierung notwendige Bindung von Plasminogen an Fibrin.<br />
t-PA, u-PA<br />
Plasminogen<br />
Plasmin<br />
Fibrin<br />
Fibrinspaltprodukte<br />
Abb. 11<br />
(X, Y, D, E oder FDP oder FSP)<br />
1.1.8 Zusammenfassung Physiologie der Hämostase<br />
Die zahlreichen und z. T. unübersichtlich erscheinenden Interaktionen des Blutgerinnungssystem<br />
dienen letztendlich einem großen Ziel: Das physiologische Gleichgewicht der Gerinnung aufrecht<br />
zu halten und die Integrität des Blutkreislaufes bei Verletzungen wieder rasch herzustellen. Ein<br />
Mangel eines prokoagulatorischen Gerinnungsfaktors kann darum zu einem gestörten<br />
Reparaturmechanismus und zur Blutungsgefahr führen. Demgegenüber kann ein Mangel eines<br />
Inhibitors der Gerinnung zu überschäumender Gerinnung und zur Thrombose führen. Gleicher Art<br />
können die Überlegungen für das fibrinolytische System vorgenommen werden. Die Kenntnis der<br />
physiologischen Aufgaben der einzelnen beteiligten Faktoren im Hämostasesystem erleichtert dem<br />
klinisch tätigen Arzt die Entscheidung zur richtigen und adäquaten Therapie und die korrekte<br />
Interpretation der Ergebnisse der hämostaseologischen Laboruntersuchungen.<br />
2. Labordiagnostik des Gerinnungssystems<br />
Die Basis für eine adäquate Untersuchung des hämostaseologischen Systems stellen ausreichende<br />
Kenntnisse der physiologischen Abläufe der Gerinnung dar. Trotz der Darlegungen in Teil 1, dass<br />
eine strenge Trennung der Abläufe in primäre und sekundäre Hämostase sowie die kaskadenartige<br />
Darstellung nach exogener und endogener Aktivierung, nicht dem tatsächlichen Vorgang in-vivo<br />
entsprechen, ermöglicht das gedankliche Zerlegen des komplexen Vorganges in getrennte Abläufe<br />
ein besseres Verständnis der hämostaseologischen Labordiagnostik. So stehen Tests zur<br />
Verfügung, die Störungen der primären Hämostase erkennen (z.B. Blutungszeit,
Thrombozytenaggregationstest), während andere Verfahren pathologische Veränderungen im<br />
plasmatischen System abbilden (z. B. Global- oder Suchtest wie aPTT, TZ, PTZ).<br />
Eine entscheidende Frage ist auch, wann Gerinnungsdiagnostik durchgeführt werden muss. Wie in<br />
anderen Teilen der Medizin beruht dies vereinfachend auf 3 Pfeilern. Neben bereits bestehenden<br />
Symptomen im Sinne von Blutungen oder Thrombose kann durch eine eindrückliche Eigen- oder<br />
Familienanamnese die Indikation zur weiteren Abklärung gegeben sein. Hinzu kommt der Aspekt,<br />
vor invasiven Eingriffen relevante Störungen im Hämostasesystem auszuschließen, um<br />
perioperative Blutungskomplikationen vermeiden zu können. Neben der Untersuchung mittels<br />
Globaltests kann auch in diesen Fällen nicht auf eine gründliche Anamnese des Patienten verzichtet<br />
werden. Die Ursache hierfür liegt in den diagnostischen Lücken der Labordiagnostik, die im<br />
Folgenden noch besprochen werden. Eine positive Anamnese kann dann dazu führen, dass die<br />
Routinediagnostik erweitert und ggf. spezifisch nach bestimmten Blutungs- oder Thromboserisiken<br />
gesucht wird.. Die Laboruntersuchungen ersetzen also auf keinen Fall und nie die Anamnese!<br />
Grundlage einer guten und aussagekräftigen Labordiagnostik ist die korrekte Abnahme der<br />
Blutproben. Gerade hämostaseologische Untersuchungen zur Aktivitätsbestimmung der<br />
Gerinnungsfaktoren sind sehr anfällig für Fehler bei der Blutentnahme, da z.B. durch langes und<br />
übermäßiges Stauen der Gerinnungsvorgang bereits initiiert werden kann. Abb. 12 gibt eine<br />
Übersicht über die wichtigsten Grundregelung der Blutentnahme für hämostaseologische<br />
Untersuchungen.<br />
Eine besondere Bedeutung kommt hierbei dem „vollen Analyseröhrchen“ zu. Die<br />
hämostaseologischen Untersuchungen erfolgen in aller Regel in mit Natriumcitrat (0,11 mol/l)<br />
antikoaguliertem Blut. Die verwendeten Röhrchen beinhalten daher soviel Natriumcitrat, dass bei<br />
kompletter Füllung eine Mischungsverhältnis von 1:10 besteht. Unterfüllungen des Röhrchens<br />
bedeuten einen relativ erhöhten Anteil von Natriumcitrat und damit ggf. eine verstärkte<br />
Gerinnungshemmung mit Verlängerungen der Gerinnungszeit.<br />
Ein weiterer kritischer Punkt ist der Transport bzw. die Lagerung der Proben nach der Entnahme.<br />
Generell sollte Untersuchungsmaterial für Gerinnungsanalysen schnell ins Labor gebracht werden.<br />
Das Plasma sollte möglichst innerhalb einer bis max. zwei Stunden abzentrifugiert werden. Länger<br />
und gar über Nacht gelagertes Citratblut ist für die Untersuchungen ungeeignet. Einerseits aufgrund<br />
der Lagerungsinstabilität vieler Gerinnungsfaktoren, andererseits kommt es zur Freisetzung von<br />
Plättchenfaktor 4 (PF4) aus zerfallenden Thrombozyten, wodurch z. B. Heparin in der Probe<br />
neutralisiert werden kann. Der Zellzerfall liefert ebenso Phospholipid, die insbesondere bei der<br />
Untersuchung auf Phospholipidantikörper (z. B. sog. Lupus antikoagulans) zu Fehlbestimmungen<br />
führen können.<br />
Bei Blutentnahme für Gerinnungsanalysen bitte beachten:<br />
Möglichst nüchterner Patient (ggf. leichtes Frühstück ohne starke Fettaufnahme – Lipämie<br />
erschwert Extinktionsmessungen!)<br />
Möglichst liegender Patient (Gerinnungsaktivierung durch Stress, Aufregung)<br />
Ausreichende Kanülenweite (21-19 gauge – sonst Gerinnungsaktivierung)<br />
Stauung maximal 1 Minute (sonst Gerinnungsaktivierung). Wenn möglich, sollte die<br />
Staubinde nach dem Legen der Nadel und vor der Blutabnahme gelöst werden.<br />
Bei Abnahme mehrerer Blutröhrchen, das 2. oder nachfolgende Röhrchen für<br />
Gerinnungsanalyse verwenden. (Evtl. Aktivierung durch Punktion in Röhrchen 1).<br />
Idealerweise ist das zuvor abgenommene Röhrchen kein EDTA-Röhrchen, um eine<br />
Kontamination mit EDTA sicher auszuschließen.<br />
Bei Fehlpunktion: Nicht lange suchen – Entnahme nochmals möglichst am anderen Arm (falls
nicht möglich – nochmalige Punktion distal von der Erstpunktionsstelle)<br />
Blutentnahme möglichst nicht aus zentralem Venenkatheter – falls unumgänglich: Mind. 3-<br />
faches Füllvolumen (5-10 ml) verwerfen bzw. für andere Laborzwecke verwenden, bevor<br />
hämostaseologische Proben abgenommen werden! (CAVE: Heparinbeschichtete Katheter:<br />
Heparin-empfindliche Tests (z. B. aPTT) nicht aussagekräftig!<br />
Analyseröhrchen stets komplett füllen!! Sorgfältige Mischung von Blut und Antikoagulans<br />
nach Entnahme (3-5 mal, ohne Schaumbildung)!<br />
Abb. 12<br />
2.1 Testprinzipien in der Gerinnungsdiagnostik<br />
Um die einzelnen Tests besser verstehen zu können, ist es sinnvoll, sich mit den typischen<br />
Testprinzipien in der Gerinnungsdiagnostik auseinander zusetzen. Hierbei können drei Testarten<br />
prim är unterschieden werden:<br />
1. Funktionelle Tests<br />
2. Antigentests<br />
3. Molekularbiologische<br />
Tests<br />
2.1.1<br />
Funktionelle Tests<br />
Diese Tests liefern Informationen über die biologische Aktivität eines Analysaten, sprich über die<br />
enzymatische Aktivität der Gerinnungsfaktoren oder –inhibitoren. Der klassischen Variante dieser<br />
Testart, der koagulometrischen Methode, steht auch eine modernere Variante im Sinne der<br />
Chromogenen Substrat-Methode gegenüber.<br />
Der gemeinsame Endschritt aller koagulatorischen Tests ist die durch Thrombin initierte<br />
Umwandlung von Fibrinogen zu Fibrin bei 37°C. Die Messgröße dieser Tests ist die Zeit zwischen<br />
dem Starten der Gerinnungsreaktion (individuell nach Test) bis zur sichtbaren<br />
Fibringerinnselbildung. Diese Methode ist generell technisch einfach durchzuführen und gut<br />
reproduzierbar und standardisierbar. Klassische Vertreter ist die Häkel- oder Häkchenmethode, bei<br />
der ein sauberer ausgeglühter (dadurch thrombinfreier) Platinhaken manuell von der Zugabe des<br />
Startreagenz bis zur Bildung eines optisch erkennbaren Fibringerinnsels in regelmäßigen<br />
Abständen durch den Gerinnungsansatz geführt wird. Ein geübte MTLA kann hier auch noch bei<br />
niedrigen Fibrinogenkonzentrationen den Gerinnungsendpunkt erkennen. Letztendlich sind in<br />
nahezu allen Laboratorien die Methoden heutzutage automatisiert, so dass die klassische, manuelle<br />
Fibrinbildung nur noch in MTA-Schulen oder in Studentenpraktika (!) zu sehen ist. Eine wichtige<br />
Information ist, dass diese koagulometrischen Tests letztendlich immer davon abhängig sind, ob<br />
genügend Fibrinogen vorhanden ist. Bei Hypofibrinogenämien versagt dementsprechend dieser<br />
Analyseweg.<br />
Diese letztgenannte Schwäche zeigen die chromogenen Tests nicht. Bei diesen Tests wird anstelle<br />
eines biologischen Substrates ein synthetisches Tri- oder Tetrapeptid (chromogenes Substrat)<br />
verwendet. Dieses trägt an der potentiellen Spaltstelle einen Farbstoff (p-Nitroanillin oder Derivat<br />
an Carboxylende), der zunächst farblos ist. Nach Abspaltung von Para-Nitro-Anillin durch den zu<br />
messenden Parameter wird eine Gelbfärbung sichtbar, die dann bei 405 nm im Photometer<br />
gemessen werden kann. Da hier eine Amidbindung gespalten wird, spricht man bei diesen Tests<br />
auch von sog. „amidolytischen“ Testverfahren. Diese Methode besitzt im Gegensatz zur
Koagulometrie einige wichtige Vorteile, wie z. B. eine generell höhere Messgenauigkeit<br />
insbesondere im Bereich niedriger Aktivitäten. Zudem sind kleine Probenmengen für die Messung<br />
ausreichend. Von Nachteil sind die höheren Kosten und das Problem, dass die Spezifität des<br />
chromogenen Substrats durch unterschiedliche Störmöglichkeiten wie pH-Wert, Inkubationszeiten<br />
etc. beeinflußbar ist. Die allgemeine Beeinträchtigung photometrischer Methoden durch<br />
hämolytische, ikterische oder lipämische Proben kommt hier ebenfalls zur Geltung. Ein klassisches<br />
Reaktionsbeispiel für eine amidolytische Bestimmung ist in Abb.13 gegeben.<br />
Amidolytische AT-Aktivitätsbestimmung<br />
Reaktionsschema:<br />
Abb. 13<br />
1) Thrombin (im Überschuss in definierter Menge) + AT (Probe) ⇒<br />
AT-Thrombin) + Thrombin-Rest (freies Thrombin)<br />
2) Thrombin-Rest* + chromogenes Substrat ⇒ Gelber Farbstofff + Substrat<br />
2.1.2 Antigentests<br />
* Ergebnis umgekehrt proportional der AT-Aktivität<br />
Hierbei handelt es sich um klassische immunologische Verfahren, wie z. B. ELISA („enzyme-<br />
assay“), bei denen mit Hilfe spezifischer Antikörper die zu bestimmenden<br />
linked-immunosorbent<br />
Proteine quantitativ erfaßt werden können. Wichtig ist zu beachten, dass die Ergebnisse dieser<br />
Messungen nur Aussagen über das Vorhandensein des untersuchten Parameters geben können.<br />
Eine Aussage über die Funktion ist somit nicht möglich. Solche Testverfahren sind in der<br />
Hämostaseologie notwendig, um beispielsweise rein qualitative Störungen eines Enzyms zu<br />
erkennen. Hierbei ist eine normale Konzentration des Enzyms vorhanden, jedoch die Funktion oder<br />
Aktivität reduziert. So lassen sich verschiedene Mangelzustände wie z.B. AT-Mangel besser<br />
charakterisieren. Bei einem AT-Mangel Typ I sind sowohl Aktivität als auch Konzentration des AT<br />
reduziert, bei einem AT-Mangel Typ II dagegen ist die Konzentration normal, die Aktivität aber<br />
herabgesetzt.<br />
2.1.3 Molekularbiologische Testverfahren<br />
Diese Verfahren basieren zumeist auf der Methode der Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Die<br />
PCR und verwandte Methoden werden in der Gerinnung in der Regel angewandt, um Mutationen<br />
in Gerinnungsfaktoren zu erkennen, die mit einer Fehlfunktion, einer reduzierten Inaktivierbarkeit<br />
oder dem völligen Fehlen des jeweiligen Faktors einhergehen. Die wohl bekannteste Mutation auf<br />
diesem Gebiet dürfte die in den 90er Jahren entdeckte Mutation des F. V (Arg506Gln) sein, die<br />
nach dem Ort der Entdeckung, der holländischen Stadt Leiden, benannt wurde und mit einem<br />
erhöhten Thromboserisiko einhergeht. Näheres hierzu folgt in einem speziellen Teil des Skriptes.<br />
2.2 Spezielle Tests zur Untersuchung der primären Hämostase
Mit Hilfe dieser Tests werden Störungen im Bereich der Thrombozyten und der Blutgefäße erkannt<br />
werden. Wie für die später zu besprechenden Tests der sekundären Hämostase kommen auch im<br />
Bereich der primären Hämostase zunächst orientierende Such- oder Globaltests zum Einsatz. Zur<br />
weiteren Analyse stehen dann Tests zur Verfügung, die spezifische Störungen erkennen lassen.<br />
Vor dem klassischen Globaltest der primären Hämostase, der Blutungszeit, soll zunächst ein<br />
einfacher und nicht invasiver Test vorgestellt werden, der Hinweis auf eine gestörte<br />
Kapillarresistenz gibt, der Rumpel-Leede-Test. Dieser Test ist benannt nach den Deutschen<br />
Theodor Rumpel und S. C. Leede. Darum sollte die Aussprache der Testbezeichnung, wie leider<br />
oft heute üblich, nicht in „Englisch“, sondern in Deutsch erfolgen! Zur Durchführung des Testes<br />
wird lediglich eine Blutdruckmanschette benötigt, mit der am Oberarm für ca. fünf bis fünfzehn<br />
Minuten eine Stauung zwischen systolischem und diastolischem Blutdruck (Radialis-Puls noch<br />
tastbar!) angelegt wird. Danach erfolgt die Inspektion der Haut unterhalb der Manschette. Finden<br />
sich mehr als fünf Einblutungen pro Quadratzentimeter, so deutet dies auf eine gestörte<br />
Kapillarresistenz hin.<br />
Vom Prinzip her ähnlich einfach ist auch die Durchführung der in-vivo Blutungszeit. Allen<br />
Verfahren ist gleich, dass eine Verletzung gesetzt und die Dauer bis zum sichtbaren Sistieren der<br />
Blutung gemessen wird. Die Dauer der Blutung bei einer stich- oder schnittförmigen Verletzung<br />
der Haut hängt von der Bildungsgeschwindigkeit und Festigkeit des entstehenden<br />
Plättchenthrombus ab, damit also primär von der Zahl und Funktion der Thrombozyten. Die<br />
Blutungszeit ist der einzige in-vivo Test zur Erfassung der Thrombozytenfunktion. Die Sensitivität<br />
dieses Tests ist jedoch relativ niedrig, wodurch leichte Störungen der Thrombozytenfunktion auch<br />
übersehen werden können (z. B. mildes Von-Willebrand-Syndrom). Der Vorteil der Methode liegt<br />
in der Einfachheit der Durchführung bei geringem technischem Aufwand. Eine<br />
Routineuntersuchung, z. B. vor Operationen, stellt die in-vivo Blutungszeit jedoch nicht dar, da<br />
neben der erwähnten niedrigen Sensitivität die mangelnde Standardisierbarkeit, die große<br />
Streubreite der Ergebnisse, die Infektions- und Blutungsgefahr und die Narbenbildung einer breiten<br />
Anwendung entgegen stehen. In Abb. 14 sind die Ursachen für eine Verlängerung der Blutungszeit<br />
aufgelistet.<br />
Verlängerung der Blutungszeit<br />
Thrombozytopenien (< 100.000/µl)<br />
Thrombozytosen (>500.000/µl) – essentielle Thrombozythämie<br />
Thrombozytenfunktionsstörungen<br />
Angeboren (selten)
Erworben (häufig)<br />
Grundkrankheiten (z. B. Urämie, Leberzirrhose, M. Waldenström)<br />
Medikamente (häufig – Anamnese!)<br />
Plasmatische Gerinnungsstörungen<br />
Von Willebrand Syndrom<br />
Schwerer angeborener F. V-Mangel<br />
Schwere angeborene Hypo- bis Afibrinogenämie<br />
Heparin in höherer Dosierung<br />
Hämatokrit < 30%<br />
Abb. 14<br />
Für die Durchführung der Blutungszeit sind verschiedene Methoden beschrieben. Die klassische<br />
Form ist die nach DUKE benannte. Hierbei wird eine Stichinzision mit einer sterilen<br />
Einmallanzette am Ohrläppchen oder Fingerbeere durchgeführt. Das austretende Blut wird<br />
vorsichtig, ohne die Wunde direkt zu berühren, mit einem Filterpapier aufgenommen. Die Zeit von<br />
der Stichinzision bis zum Blutungsstillstand (Filterpapier nimmt kein Blut mehr auf!) wird<br />
gemessen. Der Normbereich der Methode liegt in der Regel zwischen 1,5 und 5 Minuten.<br />
Idealerweise sollte die Methode, wie auch alle anderen Blutungszeiten, immer im Doppelansatz<br />
durchgeführt werden.<br />
Eine Variante der DUKE´schen Blutungszeit stellt die subaquale Blutungszeit nach Marx und<br />
Ressels dar. Die Verletzung wird entsprechend DUKE gesetzt, jedoch wird der Blutaustritt „im<br />
Wasser“ beobachtet. Hierzu wird der Finger oder das Ohrläppchen in einen mit sterilem Aqua dest.<br />
gefüllten Becher gehalten.<br />
Etwas besser standardisiert ist die Methode nach IVY. Hier wird zunächst mittels einer<br />
Blutdruckmanschette eine Stauung von 40 mmHg am Oberarm angelegt. Danach wird am<br />
Unterarm eine definierte Wunde (2 mm lang, 2 mm tief) gesetzt und wiederum die Zeit bis zur<br />
Blutstillung wie bei DUKE gemessen. Die Normbereich wird hier zumeist bis zu 6 Minuten<br />
angegeben. Einen noch höheren Grad der Standardisierung weisen die Template-Blutungszeit<br />
nach Mielke und die Simplate-Blutungszeit auf. Bei beiden Verfahren ist die Schnittführung<br />
gegenüber IVY noch besser standardisiert, wobei die Simplate-Methode mit einem sehr kurzen<br />
Schnitt arbeitet.<br />
Als Indikationen für die Durchführung einer Blutungszeit, gleich welches Verfahren, wird primär<br />
die Abklärung eines Blutungsleidens unklarer Genese angesehen. Andere Autoren sehen zudem<br />
eine Indikation in der Beurteilung und Klassifikation des Von-Willebrand-Syndroms sowie in der<br />
Beurteilung der Blutungsgefährdung von Patienten mit Thrombozytopenien bzw. zur<br />
Verlaufskontrollen im Rahmen der Therapie hämophiler Störungen. Die beiden letztgenannten<br />
Indikationsgruppen sind sicherlich als umstritten anzusehen und auch kaum von praktischer<br />
Relevanz im klinischen Alltag. Zudem kann es bei der Durchführung des Tests bei Patienten mit<br />
ausgeprägten hämophilen Störungen (z. B. hochgradiger Thrombozytopathie oder –penie, Von<br />
Willebrand-Syndrom Typ III) zu deutlichen Hämatomen im Bereich der Einstichstelle (z. B.<br />
Ohrhämatom) kommen.<br />
Eine neuere Methode, die Blutungszeit auf alternativem Wege, nämlich in-vitro, zu bestimmen, hat<br />
sich in den letzten Jahren zunehmend durchgesetzt. Der sog. „Platelet Function Analyzer“ (PFA-<br />
®<br />
100 ) bietet die Möglichkeit, eine in-vitro Blutungszeit aus antikoaguliertem Vollblut zu<br />
bestimmen. Hierbei werden Strömungsbedingungen mit hohen Scherkräften simuliert. Durch die<br />
Öffnung einer Kollagen-beschichteten Membran (150 µm) strömt Vollblut unter einem definierten<br />
Sog. In den beiden zur Verfügung stehenden Testkammern wurde neben Kollagen entweder<br />
Adrenalin(Epinephrin) oder ADP auf die Membran aufgetragen. Dadurch werden die im Blut
efindlichen Thrombozyten aktiviert und zur Adhäsion und Aggregation auf der Membran<br />
angeregt. Die Messgröße bei diesem Test ist die sog. Verschlusszeit, d. h. die Zeit von Testbeginn<br />
bis zum durch die Thrombozytenaggregation verursachten Verschluss der Membranöffnung.<br />
Dieser Test kann im Prinzip für die gleichen Indikationen wie die in-vivo Blutungszeit angewendet<br />
werden. Insbesondere eignet er sich auch sehr gut für als Suchtest für das von-Willebrand-Syndrom<br />
oder zur Überprüfung plättchenfunktionshemmender Medikamente. In Abb. 15 sind die<br />
standardisierten Untersuchungsbedingungen für die Durchführung des PFA-Testes beschrieben.<br />
Wie bei allen anderen Verfahren sind auch die jeweiligen Referenzbereich immer individuell für<br />
das eigene Labor zu ermitteln.<br />
PFA-100 ® – Standardisierte Untersuchungsbedingungen<br />
- Schonende Blutentnahme mit kurzer, leichter Stauung<br />
- Gutes und vorsichtiges Mischen der Probe<br />
- Entnahme idealerweise in gepufferter Na-Citratlösung 3,8%ig, Verhältnis 1:10<br />
- Ruhezeit der Blutprobe nach Entnahme mindestens 15 Minuten bei Raumtemperatur<br />
- Test muss innerhalb 2 Stunden nach Entnahme durchgeführt werden – vorsichtiges Mischen<br />
nochmals vor der Messung<br />
- Thrombozytenzahl zwischen 100.000 und 500.000/µl<br />
- Hämatokrit nicht unter 30%<br />
Abb. 15<br />
Als letzter Test für die Untersuchung der Thrombozytenfunktion soll auf die<br />
Thrombozytenaggregationsmessung eingegangen werden. Die Methode nach Born lässt einen<br />
empfindlichen Nachweis einer Thrombozytenfunktionsstörung zu und kann im Zusammenhang mit<br />
der Anamnese bereits gute Hinweise auf die Art der Thrombozytenfunktionsstörung geben.<br />
Insgesamt ist die Methode aber auch recht störanfällig und wird daher zumeist nur in<br />
Speziallaboratorien von erfahrenen Mitarbeitern durchgeführt.<br />
Zur Durchführung des Testes muss zunächst Plättchenreiches Plasma (PRP) gewonnen werden. In<br />
manchen Laboratorien wird dieses PRP auf eine Konzentration von ca. 250.000 Thrombozyten pro<br />
µ l eingestellt, in anderen nicht. Ob eine Einstellung der Thrombozytenkonzentration wirklich<br />
notwendig ist und zu besseren Ergebnissen führt, wird derzeit untersucht. Von dem gewonnen PRP<br />
wird eine bestimmte Menge in eine Küvette mit einem Rührmagnet gegeben, die im Strahlengang<br />
eines Photometers steht. Nach Nullabgleich erfolgt dann die Zugabe einer definierten Menge einer<br />
aggregationsauslösenden Substanz („Aggreganz“), z. B. Thrombin, Kollagen, ADP mit/ohne<br />
Adrenalin(Epinephrin), Ristocetin. Im Folgenden wird die Messung der Änderung der<br />
Lichtdurchlässigkeit der Probe (Extinktionsabnahme) über die Zeit gemessen und dies auf einem<br />
Schreiber oder mittels spezieller software im PC registriert (siehe Praktikumsdemonstration).<br />
Durch die Verwendung unterschiedlicher Aggregantien, die die Aggregation über verschiedene<br />
Rezeptoren auslösen, ist die Art des Ergebnismusters sehr oft wegweisend für die Diagnose. So<br />
zeigen z. B. Menschen mit einem von-Willebrand-Syndrom eine pathologisch verminderte<br />
Thrombozytenaggregation nur auf Ristocetin, wogegen die Aggregationen auf ADP, Epinephrin<br />
oder Kollagen unauffällig sind. Patienten mit der seltenen angeborenen Thrombasthenia<br />
Glanzmann-Nägeli (Defekt des GP IIb/IIIa) dagegen zeigen eine pathologische Reaktion auf alle<br />
Aggregantien mit Ausnahme von Ristocetin.<br />
Weitere diagnostische Möglichkeiten zur Erfassung thrombozytärer Störungen können mittels<br />
Durchflußzytometrie oder Elektronenmikroskopie erfolgen. Aber auch das normale<br />
Differentialblutbild<br />
liefert ggf. wichtige Hinweise auf eine mögliche
Thromboyztenfunktionsstörung, z. B. durch abnorme Form oder Größe wie bei den typischen<br />
Riesenthrombozyten beim Bernard-Soulier-Syndrom (Defekt des GP Ib/IX). Hochspezialisierten<br />
Labors ist es weiter vorbehalten, die Freisetzungen thrombozytärer Inhaltstoffe zu messen, um so z.<br />
B. den Verdacht auf eine sog. „storage-pool-disease“ abzuklären. Die Detailbeschreibung dieser<br />
Methoden geht aber über die Zielsetzung dieses Skriptes hinaus, weshalb an dieser Stelle auf<br />
Speziellliteratur oder die Lehrbücher der Inneren Medizin verwiesen wird.<br />
2.3 Spezielle Tests zur Untersuchung der sekundären Hämostase<br />
Gegenstand der täglichen Praxis vieler Ärzte in Kliniken und Praxen ist die Interpretation der<br />
Ergebnisse der typischen Global- oder Suchtests der plasmatischen Gerinnung, die Prothrombinzeit<br />
(PTZ oder Quicktest) und die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT). Diese beiden Tests<br />
gehören neben dem zellulären Blutbild zur Bestimmung der Thrombozytenzahl zum sog.<br />
Basistestprogramm der Gerinnung (Abb. 16). Gleichwohl kann auch dieses Basistestprogramm<br />
nicht alle Störungen der Hämostase sicher erfassen, worauf später nochmals genauer eingegangen<br />
wird. Darum sind bei auffälliger Anamnese ggf. weitergehende Untersuchung indiziert.<br />
Quicktest<br />
aPTT<br />
VII<br />
X<br />
V<br />
II<br />
I<br />
VIII<br />
IX<br />
XI<br />
XII<br />
XIII<br />
Abb. 16<br />
2.3.1 Die Thromboplastinzeit (Quicktest ; INR)<br />
Dieser Screeningtest wurde bereits 1935 von Armand James Quick, einem Arzt und Biochemiker<br />
aus Milwaukee (USA), beschrieben. Der Test dient zur Abklärung von Störungen im exogenen<br />
Aktivierungsweg und der sog. gemeinsamen Endstrecke (s. Abb. 14). Plättchenarmem Citratplasma<br />
(PPP) wird auf 37°C erwärmt und ebenfalls vorgewärmte Calcium-Thromboplastinlösung<br />
hinzugegeben (Abb. 17). Die Zeit von der Zugabe der Ca-Thromboplastinlösung bis zur Bildung<br />
eines sichtbaren Fibringerinnsels wird gemessen. Es handelt sich hierbei um eine klassische<br />
koagulometrische Methode. Das Ergebnis des Testes wird aber nicht in Sekunden angegeben,<br />
sondern anhand einer in jedem Labor für jeden Test anzufertigende Bezugskurve<br />
(Verdünnungstandards) in „%“ umgerechnet.
Reagenz: TF + Ca 2+ + Pl.<br />
VII<br />
VIIa<br />
VIIa<br />
X<br />
Xa<br />
Va + Pl. + Ca 2+<br />
Prothrombin<br />
Thrombin<br />
Fibrinogen<br />
Fibrin<br />
Abb. 17<br />
Mit Hilfe des Quicktestes wird nicht die Aktivität einzelner Gerinnungsfaktoren gemessen, sondern<br />
global mehrere enzymatische Reaktionen im sog. extrinsischen oder exogenen System untersucht.<br />
In erster Linie werden so z. B. 3 der 4 Faktoren des Prothrombinkomplexes (F. II, VII und X – alle<br />
Vitamin-K-abhängig!) erfasst. Weniger empfindlich werden die Aktivitäten der Faktoren V und I<br />
(Fibrinogen) erfasst. Unempfindlich ist der Test dagegen auf die Faktoren des endogenen Systems<br />
VIII, IX, XI, XII, HMWK, Präkallikrein und des Faktors XIII.<br />
Einige Besonderheiten sind noch zu erwähnen. Das beim Quicktest verwendete Reagenz besteht<br />
immer aus 2 Anteilen: Dem TF (Proteinanteil) und den gerinnungsaktiven Phospholipiden. Der<br />
Proteinanteil kann je nach Testhersteller aus verschiedenen Organen (Hirn, Lunge, Placenta) oder<br />
von verschiedenen Spezies (Mensch, Kaninchen, Affe, Rind) bzw. auch gentechnologisch<br />
hergestellt sein. Daraus lässt sich folgern, dass diese Unterschiedlichkeit der Tests ein Problem für<br />
die Vergleichbarkeit der Ergebnisse in „%“ ergibt. Vereinfacht ausgedrückt, ein Testergebnis von<br />
25% aus 3 unterschiedlichen Laboratorien kann je nach verwendetem Test 3 unterschiedliche<br />
Bedeutungen haben! Diese Problematik wurde bereits früh erkannt und vor diesem Hintergrund<br />
von der WHO 1983 ein internationaler Standard eingeführt, der die Vergleichbarkeit der<br />
Ergebnisse ermöglicht. Neben der Angabe in „%“ muss daher jedes Labor auch die sog.<br />
International Normalized Ratio (INR) angeben. Die Berechnung ist in Kasten 10 dargestellt. Jedem<br />
verwendeten Reagenz ist somit ein Chargen- und Geräte-abhängiger Umrechnungsfaktor, der<br />
International Sensitivity Index (ISI), zugeordnet. Dem ersten WHO-Standard wurde willkürlich der<br />
Wert 1.0 zugeordnet. Diese Praxis ermöglicht nun also dem Arzt, Quickwerte aus verschiedenen<br />
Laboratorien mittels INR vergleichen zu können. Mit der Angabe in „%“ ist dies nicht möglich.<br />
Darum ist es sehr wichtig, eine empfohlene Einstellung des Quickwertes in einem Arztbrief für<br />
einen anderen Kollegen, z. B. den Hausarzt eines Patienten, immer in INR und nicht (nur) in „%“<br />
anzugeben. Dagegen kann und soll in der Neueinstellung eines Patienten mit einem Antikoagulans,<br />
das mittels Quickwert überwacht wird (z. B. Marcumar), der „%“-Wert benutzt werden. Hier<br />
finden die Testungen in der Regel immer nur in einem Labor (Krankenhauslabor) statt. Nach<br />
Erreichen der stabilen Phase der Einstellung sollte die Überwachung dann nach der INR-Vorgabe
erfolgen. So wird z. B. von einem therapeutischen Bereich von INR 2,0 bis 3,0 gesprochen, wenn<br />
es um die primäre oder sekundäre Prophylaxe venöser Thrombosen geht. Weiter Details hierzu<br />
folgen später.<br />
Zusammengefasst bestehen die Hauptindikationen für die Quickwerttestung aus:<br />
Der Quicktest ist dagegen nicht geeignet zur<br />
- Suchtest für Mangel an F. II, V, VII und X<br />
- Vitamin-K-Mangel u./o. Vitamin-K-Verwertungsstörung<br />
- Beurteilung der Leberfunktion<br />
- Überwachung einer Therapie mit oralen Antikoagulantien<br />
- Überwachung einer Heparintherapie<br />
a. Verlängerung ist bei hochdosierter Therapie nicht<br />
dosisabhängig<br />
b. Heparin-neutralisierende Substanzen sind im Testansatz<br />
- Hämophilie-Diagnostik<br />
- Erkennen eines F. XIII-Mangels<br />
2.3.2 Die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT)<br />
Die aPTT ist neben dem Quicktest der 2. Globaltest in der Analyse des plasmatischen<br />
Gerinnungssystems. Im Gegensatz zum Quicktest ist die aPTT der Screeningtest zur Beurteilung<br />
des endogenen oder intrinsischen Aktivierungsweges. Die Durchführung erfolgt ebenfalls bei<br />
37°C in PPP. Im Gegensatz zum Quickreagenz besteht das aPTT-Reagenz aus zwei Komponenten:<br />
Einem Aktivator der Kontaktphase (z. B. Kaolin, Ellagsäure oder Celit) und gerinnungsaktiven<br />
Phospholipiden. Somit „fehlt“ gegenüber dem Quickreagenz der sog. Proteinanteil (TF!). Genau<br />
hierauf bezieht sich die Bezeichnung „partiell“ in aPTT. Man spricht bzgl. des Reagenz auch von<br />
einem sog. Partiellen Thromboplastin, dass für die aPTT verwendet wird.<br />
Ein weiterer Unterschied zum Quicktest liegt in der Durchführung der aPTT (s. Abb. 18). Der Test<br />
läuft in 2 Schritten ab. Zunächst wird das PPP mit dem PTT-Reagenz (Kontaktaktivator) versetzt<br />
und über eine definierte Zeit inkubiert. In diesem Zeitraum findet die sog. Kontaktaktivierung statt.<br />
Die Gerinnungsreaktion, ab der die Zeit bis zur sichtbaren Fibrinbildung gemessen wird, beginnt<br />
aber erst mit Zugabe von Calcium-Chloridlösung und Phospolipiden („Rekalzifierung“). Die<br />
Angabe der aPTT erfolgt in Sekunden. Auch hier ist der jeweilige Normbericht methoden- und<br />
geräteabhängig.
XII, XI<br />
Reagenzanteil 1: Kaolin z. B.<br />
XIIa, XIa<br />
Reagenzanteil 2: Pl. + Ca 2+<br />
X<br />
X<br />
Va + Pl. + Ca 2+<br />
Prothrombin<br />
Thrombin<br />
Fibrinogen<br />
Fibrin<br />
Abb. 18<br />
Folgende Faktoren werden in der aPTT im Speziellen erfasst: F. VIII, IX, XI, XII, Präkallikrein,<br />
HMWK. Damit wird bereits deutlich, dass die aPTT der klassische Suchtest für die Hämophilie A<br />
oder B darstellt. Wichtig ist hierbei aber zu erwähnen, dass eine normale aPTT eine Sub-<br />
Hämophilie (z. B. auch Konduktorin) oder einen sehr mildes Von-Willebrand-Syndrom nicht<br />
gänzlich ausschließt. Auch hier gilt: Gibt die Eigen- oder Familienanamnese des Patienten einen<br />
Hinweis auf eine solche Blutungsneigung, sollte die gezielte Einzelfaktorenkontrolle erfolgen!<br />
Da die aPTT für die Thrombininhibition durch unfraktioniertes Heparin (oder auch Hirudin) sehr<br />
sensitiv ist und in den Testansatz auch keine Heparininhibierende Substanzen (wie beim Quicktest)<br />
gegeben werden, eignet sich die aPTT sehr gut zur Überwachung einer Therapie mit<br />
unfraktioniertem Heparin. Eine 1,5 – 2,0-fache Verlängerung der aPTT entspricht dem<br />
therapeutisch angestrebten Bereich.<br />
Zusammengefasst ergeben sich also folgende Hauptindikationen für die aPTT:<br />
Die aPTT ist dagegen nicht geeignet zur<br />
- Suchtest für Mangel an F. VIII, IX, XI, XII, HMWG, Präkallikrein –<br />
folglich Suchtest auf Hämophilie A und B!!<br />
- Überwachung einer Therapie mit Heparin (u. Hirudin)<br />
- Suche nach Lupus antikoagulans<br />
- Suche nach neutralisierenden Hemmkörpern gegen PTT-sensitive<br />
Gerinnungsfaktoren (z. B. F. VIII-Hemmkörper!)
- Überwachung einer Therapie mit oralen Antikoagulantien<br />
- Suchtest auf Vitamin-K-Mangel<br />
- Suchtest auf Mangel an Vitamin-K-abhängigen Faktoren, z. B. II, VII<br />
und X.<br />
- Erkennen eines F. XIII-Mangels<br />
Im Gegensatz zum Quicktest ergibt sich bei der aPTT auch die Frage, ob einer evtl. Verkürzung<br />
der aPTT eine pathologische Bedeutung zukommt. Diesbzgl. kann geantwortet werden, dass dies<br />
zumeist nicht der Fall ist. Die häufigste Ursache für eine aPTT-Verkürzung ist eine nicht korrekte<br />
Blutentnahme bzw. Probenbehandlung (z. B. zu lange Stauung, Aktivierung während Entnahme<br />
und Lagerung). Es gibt jedoch auch Hinweise, dass bei nachweislich korrekter Blutentnahme und<br />
Probenbehandlung, die aPTT-Verkürzung doch auf eine sog. Hyperkoagulabilität oder<br />
Thrombophilie (s. dort) hinweisen kann.<br />
Häufig fällt eine aPTT-Verlängerung z.B. im Rahmen einer routinemäßigen präoperativen<br />
Bestimmung bei Personen auf, die keine anamnestische Blutungsneigung aufweisen. Sehr häufig<br />
findet sich dann in der Einzelfaktorenanalyse ein isolierter Faktor-XII-Mangel. Dieser führt – im<br />
Gegensatz zu einem Mangel anderer Gerinnungsfaktoren - nicht zu einer Blutungsneigung, was die<br />
geringe Bedeutung der intrinsischen Aktivierung in vivo unterstreicht. Nach neueren statistischen<br />
Untersuchungen führt ein Faktor-XII-Mangel auch nicht zu einer Thromboseneigung.<br />
2.3.3 Die Thrombinzeit (TZ)<br />
Neben den beiden Globaltests Quick und aPTT wird in einigen Laboratorien routinemäßig auch die<br />
Thombinzeit (TZ) durchgeführt. Dieser Test kontrolliert die sog. Endphase der Gerinnung, also die<br />
Thrombin-induzierte Umwandlung von Fibrinogen zu Fibrin, wobei die Fibrinopeptide A und B<br />
abgespalten werden. Dieser Schritt ist nicht Calcium-abhängig! Das Prinzip des Tests ist recht<br />
einfach. Zu unverdünntem PPP wird bei 37°C eine definierte Menge einer verdünnten<br />
Thrombinlösung zugegeben und wiederum die Zeit bis zur sichtbaren Gerinnselbildung gemessen<br />
(Abb. 19). Analog zur aPTT erfolgt bei der TZ die Angabe des Messergebnisses in Sekunden.<br />
Reagenz Thrombin<br />
Fibrinogen<br />
Fibrin<br />
Fibrinopeptide A und B<br />
Abb. 19<br />
Die Thrombinzeit kann alternativ zur aPTT zur Überwachung einer Therapie mit unfraktioniertem<br />
Heparin und anderen Antikoagulantien mit primär Thrombin-hemmendem Effekt eingesetzt<br />
werden. Gegenüber der aPTT ist aber eine geringere Präzision bei höheren Heparinkonzentrationen<br />
festzustellen. Vorteilhaft dagegen ist die höhere Sensitivität der TZ, da die TZ im Gegensatz zur<br />
aPTT kaum von anderen Einflussgrößen abhängig ist. In der Regel wird heute aber der aPTT der<br />
Vorzug bei der Überwachung einer Therapie mit unfraktioniertem Heparin gegeben.
Die TZ eignet sich auch als Suchtest zur Erfassung einer Störung des Fibrinogens. Sind z. B. aPTT,<br />
Quick und TZ pathologisch, so kann die Störung nur im Bereich des letzten Gerinnungsschrittes<br />
liegen. Nicht die Thrombinbildung, sondern die Thrombin-Fibrinogen-Interaktion ist gestört, z. B.<br />
durch eine Funktionsstörung (Dysfibrinogenämie) oder einen Mangel des Fibrinogens. Umgekehrt<br />
weist eine normale TZ bei pathologischem Ausfall von Quick und aPTT auf eine<br />
Thrombinbildungsstörung hin, die in der gemeinsamen Strecke von Quick und aPTT bis zur<br />
Thrombinbildung liegen muss. Primär muss also an einen Mangel der Faktoren X, V und II gedacht<br />
werden. Durch die Kombination der Ergebnisse dieser Tests, ggf. zuzüglich der Thrombozytenzahl,<br />
lassen sich somit die möglichen Diagnosen einer Störung der Hämostase bereits sehr gut<br />
eingrenzen.<br />
2.3.4 Bestimmung der Aktivität einzelner Faktoren<br />
Ergibt sich nun in der Suchdiagnostik bzw. aus der Anamnese heraus der Verdacht auf den Mangel<br />
eines oder ggf. mehrerer Gerinnungsfaktoren, ist die Analyse der Aktivität einzelner Faktor gezielt<br />
zu veranlassen. Vorab sei angemerkt, dass die Einzelanalyse in der Regel nicht in jedem Labor<br />
durchgeführt werden kann, sondern in der Regel größeren oder Speziallaboratorien vorbehalten ist.<br />
Dies ist primär nicht in einer evtl. schwierigen Durchführung der Tests begründet, sondern hat<br />
zumeist logistische und auch wirtschaftliche Gründe.<br />
Es bestehen prinzipiell 3 Möglichkeiten, die einzelnen Gerinnungsfaktoren zu analysieren. Die<br />
Aktivität der Faktoren kann entweder mit einer koagulometrischen Methode oder mit chromogenen<br />
Substraten bestimmt werden. Das Vorhandensein des Faktors wird dagegen mit immunologischen<br />
Verfahren (ELISA – Antigenkonzentrationsmessung) geprüft.<br />
Das Prinzip der Koagulometrischen Methoden ist wiederum relativ einfach. Zu verdünntem PPP<br />
des Patienten wird ein sog. „Mangelplasma“ zugegeben. Dieses Mangelplasma enthält alle<br />
Gerinnungsfaktoren außer dem zu untersuchenden Faktor. Damit ist die in der Folge gemessene<br />
Gerinnungszeit nur von der Aktivität des zu messenden Gerinnungsfaktors im Patientenplasma<br />
abhängig. Die Umrechnung der gemessenen Gerinnungszeit (Sekunden) in eine prozentuale<br />
Gerinnungsaktivität (%) erfolgt ähnlich wie beim Quicktest anhand einer in jedem Labor<br />
individuell erstellten Bezugskurve.<br />
Für die Bestimmung der Faktoren II, V, VII und X kommt somit eine modifizierte<br />
Thromboplastinzeitbestimmung (mod. Quick), für die Bestimmung der F. VIII, IX, XI, XII und<br />
Präkallikrein (also der endogenen Faktoren) eine modifizierte aPTT zum Einsatz.<br />
Vereinbarungsgemäß entspricht eine Aktivität von 100% (1 IE) der Aktivität der<br />
Gerinnungsfaktoren in 1 ml Normalplasmapool. Unter Letzterem versteht man einen Pool von<br />
Plasmen mehrerer gesunder Menschen (z. B. Blutspender).<br />
2.4 Diagnostische Lücken des Basistestprogrammes<br />
Ein in der Praxis oft durchgeführtes hämostaseologisches Screening, z. B. vor Operationen,<br />
umfasst die folgenden Parameter:<br />
Blutbild (Thrombozytenzahl)<br />
Quickwert<br />
aPTT
Hiermit werden zwar viele relevante Hämostasestörungen erfasst, es bleibt jedoch eine<br />
diagnostische Lücke. Nicht erkannt werden durch dieses Basisprogramm z.B<br />
Thrombozytenfunktionsstörungen (Thrombozytopathien) sowie ein Faktor-XIII-Mangel.(s. Abb<br />
20)<br />
Gerade auch im Rahmen des präoperativen hämostaseologisches Screenings darf eine entscheidend<br />
wichtige hämostaseologische Untersuchung nicht außer acht gelassen werden: Die Eigen- und<br />
Familienanamnese!<br />
Hierin soll nach auffälligen Blutungsneigungen im Alltag oder nach operativen Eingriffen gefragt<br />
werden. Oft sind diese Angaben, gerade nach „blauen Flecken nach leichtem Anstoßen“, sehr<br />
subjektiv, geben aber doch wichtige Hinweise. Im speziellen sollte daher auch nach<br />
Komplikationen wie abnormalem Nachbluten nach Bagatelleingriffen wie Tonsillektomie,<br />
Adenoidektomie oder Zahnextraktionen gefragt werden. Weiterhin z. B. nach Hämatomneigung<br />
nach i.m.-Injektionen (z. B. Impfungen!) oder Zahnfleischbluten. Gab es Gelenk- oder<br />
Weichteilblutungen ohne Trauma? Diese Angaben können etwas besser objektiviert werden, indem<br />
man z. B. nach der Notwendigkeit einer Re-Operation wegen Nachblutung oder gar von<br />
Transfusionen fragt. Bei Frauen sollte zudem nach der Stärke der Regelblutung sowie nach<br />
Blutungskomplikationen während evtl. Schwangerschaften und Entbindungen gefragt werden.<br />
Neben Blutungsereignissen sollte in der Anamnese auch gezielt nach thromboembolischen<br />
Ereignissen gefahndet werden. Ggf. ergeben sich hieraus spezielle Untersuchungen (s. Kapitel<br />
Thrombphilie) oder die Notwendigkeit einer intensiveren Antikoagulation während und nach<br />
einem Eingriff.<br />
Weiterhin sind von speziellem Interesse für Störungen in der Hämostase z. B. Erkrankungen der<br />
Leber (Bildungsort der Gerinnungsfaktoren), der Niere (Thrombozytenfunktionsstörungen bei<br />
Urämie, Verlust von Eiweißen), des Darms (Eiweißverlust) oder des hämatologischen<br />
(Thrombozytenbildung) und immunologischen Systems (Antikörperbildung).<br />
Die wohl aber häufigste Ursache einer Hämostasestörung liegt heutzutage zweifelsohne in der<br />
Einnahme von Arzneimitteln. Bzgl. des hämophilen Risikos sind hier in erster Linie<br />
Acetylsalicylsäure (ASS) und andere nicht steroidale Antirheumatika zu nennen. Diese in aller<br />
Regel frei verkäuflichen Medikamente führen zu einer Thrombozytenfunktionsstörung (bis zu 10<br />
Tage nach Einnahme) und werden oft von den Patienten auch aufgrund der leichten Verfügbarkeit<br />
nicht als „wirkliche“ Medikamente angesehen. Darum empfiehlt es sich in der Anamnese gezielt<br />
nach der Einnahme von Schmerztabletten oder ähnlichem zu fragen. Viele Menschen ab dem<br />
mittleren Altern nehmen z. B. auch regelmäßig ASS auf Empfehlung des Hausarztes ein, ohne dass<br />
ein wirklicher Grund (z. B. koronare Herzkrankheit) vorliegt.<br />
Müßig zu erwähnen, dass die Frage nach der Einnahme „echter“ Antikoagulantien wie Heparin,<br />
Marcumar oder neuerer Thrombozytenfunktionshemmer (z. B. Plavix ® ) nicht fehlen darf. Neben<br />
dem durch die Medikation verursachten Blutungsrisiko verbirgt sich in der Regel auch ein Grund<br />
hinter der Einnahme dieser Medikamente. Neben der Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern<br />
ist hier in erster Linie an ein somit bereits bekanntes erhöhtes thrombophiles Risiko zu denken<br />
(Z.n. Thrombose, Lungenembolie oder hohes angeborenes oder erworbenes Risiko für<br />
Thromboembolien).<br />
Weitere Medikamente wie einige Antibiotika oder Valproinsäure können die Gerinnung ebenfalls<br />
beeinflussen, so dass eine detaillierte Medikamentenanamnese in der Hämostaseologie immer von<br />
großer Bedeutung ist.<br />
Oft haben die Patienten wichtige Informationen in Form von Notfallausweisen oder Vorbefunden<br />
bei sich. Es ist daher ratsam nach solchen Unterlagen zu fragen und diese Vorbefunde in der<br />
Planung von Diagnostik und Therapie zu berücksichtigen. Bei einer geplanten Antikoagulation mit<br />
Heparin sollte die Frage nach einer erlittenen Heparin-induzierten-Thrombozytopenie Typ II nicht
fehlen, da die Re-Exposition mit Heparin gerade in kurzem Abstand wieder zu dieser<br />
immunologischen Komplikation führen kann. Details hierzu folgen später.<br />
Zusammenfassend kann die eingehende Anamnese dazu beitragen, die diagnostischen Lücken des<br />
Basistestprogrammes zu schließen (s. Abb. 20). Neben den angeborenen oder zumeist erworbenen<br />
(MEDIKAMENTE!) Thrombozytopathien kommt besonders den leichten Formen hämophiler<br />
Erkrankungen eine große Bedeutung zu. So ist z. B. die aPTT erst dann über die Norm verlängert,<br />
wenn die Aktivität eines Faktors (z. B. VIII oder IX) bis auf ca. 30% herabgesetzt ist! Dies mag bei<br />
kleinen Operationen ohne großen Blutverlust in Körperregionen ohne hohe fibrinolytische<br />
Aktivität noch von relativ geringer klinischer Bedeutung sein. Sollten bei solchen Patienten aber<br />
Operationen mit zu erwartendem großen Blutverlust und/oder in Körperregionen mit hoher<br />
fibrinolytischer Aktivität (z. B. Mundhöhle, Urogenitaltrakt, Uterus) durchgeführt werden, so ist es<br />
von großer Bedeutung, sich dieser reduzierten Aktivitäten bewusst zu sein.<br />
Ein wichtiger Gerinnungsfaktor wird weder durch den Quicktest oder die aPTT erfasst: Der Fibrinstabilisierende<br />
Faktor XIII. Während angeborene F. XIII-Mangelzustände sehr selten ist und<br />
klinisch daher kaum eine Rolle spielen (Klassisches Symptom bei Geburt: Nabelschnurblutungen),<br />
sind erworbene F. XIII-Mangelzustände gerade nach großen Operationen keine Seltenheit. So ist<br />
insbesondere bei postoperativen Patienten mit Blutungsneigung bei nachgewiesener normalen<br />
Thrombozytenzahl und –funktion und unauffälligen Globaltests (Quick und aPTT), die selektive<br />
Untersuchung auf die F. XIII-Aktivität dringend zu empfehlen. Auch bei fehlender klinischer<br />
Blutungsneigung, aber deutlicher Wundheilungsstörung ist diese Untersuchung indiziert. So sind<br />
bereits F. XIII-Aktivitäten zwischen 30 und 50%, bei denen in der Regel keine Blutungsneigung zu<br />
erkennen ist, mit einer Wundheilungsstörung assoziiert. Eine selektive Substitution dieses Faktors<br />
kann die klinische Situation dann entsprechend verbessern.<br />
Abschließend sei erwähnt, dass bis auf eine evtl. verkürzte aPTT (s. dort) die Basisdiagnostik<br />
keinen Hinweis auf ein evtl. bestehendes erhöhtes Thromboserisiko bei dem Patienten zu erkennen<br />
gibt. Spezifische Untersuchungen, die eine klinische Einordnung des Risikos des Patienten zu<br />
lassen, können daher in aller Regel nur aufgrund anamnestischer Angaben veranlasst werden.<br />
Wichtige diagnostische Lücken des Basistestprogrammes<br />
1. Thrombozytopathien<br />
2. Von-Willebrand-Syndrom (leichte Formen)<br />
3. Subhämophilie, Hämphilie-Konduktorinnen<br />
4. F. XIII-Mangel<br />
5. Alpha-2-Antiplasmin-Mangel<br />
6. Angeborene thrombophile Risikofaktoren (z. B. Mangel an AT, Protein C, Protein S, APC-<br />
Resistenz)<br />
Abb. 20<br />
2.6 Befundinterpretation – Einflussgrößen<br />
Um Ergebnisse von Gerinnungsanalysen richtig interpretieren zu können, ist es wichtig, einige<br />
Testeinflussgrößen zu kennen. Im Wesentlichen zu unterscheiden sind hier:<br />
Physiologische Einflussgrößen<br />
Methodische Einflussgrößen<br />
Präanalytische Fehler<br />
In-Prozess-Fehler (Labor)
Fehlinterpretationen<br />
Die wichtigsten physiologischen Einflussgrößen sind in Abb. 21 zusammengestellt.<br />
Physiologische Einflussgrößen<br />
Alter<br />
Kinder haben z. B. anderen Referenzbereich!<br />
Fibrinogen- oder Faktor V-Aktivitäten steigen mit dem Alter an<br />
Akutphase-Reaktion<br />
Fibrinogen, Cofaktoren V und VIII, Plasminogen, PAI-1 steigen bei akuter<br />
Entzündung an<br />
AB0-Blutgruppe<br />
Die Plasmakonzentration des Von-Willebrand-Faktors ist bei Trägern der Blutgruppe<br />
0 ca. 15-20% niedriger als bei Menschen mit Blutgruppe A<br />
Diurnale Rhythmen<br />
Hormone<br />
Schwangerschaft (Östrogene, Gestagene hoch): F. VIII, Prothrombin, Fibrinogen höher,<br />
Protein S erniedrigt.<br />
Abb. 21<br />
Bzgl. präanalytischer Fehler sei auf die oben genannten möglichen Probleme bei der Blutentnahme<br />
und dem Umgang mit der Probe verwiesen. In-Prozess-Fehler betreffen dagegen nicht den klinisch<br />
tätigen Arzt, sondern vielmehr das die Bestimmung durchführende Labor. Mittels entsprechender<br />
Qualitätskontrolle im Sinne einer sog. „Good-laboratory-practise“ (GLP) können diese Fehler<br />
sicher zum großen Maß vermieden werden. Weitere postanalytische Fehler können in der<br />
insuffizienter EDV-Übertragung liegen, der Auswertung mittels falscher oder nicht mehr gültiger<br />
Eichkurven oder der möglichen Fehlinterpretation des Befundes durch den zuständigen Arzt.<br />
Neben den physiologischen Einflussgrößen sind pathophysiologische Veränderungen beim<br />
Patienten (Grundkrankheit, Medikation etc.) hierbei von großer Bedeutung.<br />
2.7 Buchempfehlungen<br />
Dieses Skript kann nur einen ersten und orientierenden Einblick in die Physiologie und<br />
Labordiagnostik des Gerinnungssystems geben. Wichtige essentielle Informationen, die für die<br />
spätere klinische Tätigkeit eine Hilfe darstellen sollen, sind darin enthalten. Das komplexe<br />
Gerinnungssystem kann bzgl. dieser beiden Gesichtpunkte hier jedoch nicht vollständig dargestellt<br />
werden. Diesbzgl. sei für Interessierte auf folgende Bücher verwiesen:<br />
Das Gerinnungskompendium (M. Barthels, M. von Depka) – Thieme Verlag (1. Auflage<br />
2003)<br />
Gerinnungskonsil (B. Pötzsch, K. Madlener) – Thieme Verlang (1. Auflage 2002)<br />
Hämostaseologie für die Praxis (H.D. Bruhn, V. Hach-Wunderle, C.M. Schambeck) –<br />
Schattauer Verlag (1. Auflage 2007)<br />
Das hämostaseologische Konsil (E. Hiller, A. Rank) – Urban und Vogel Verlag (1. Auflage<br />
2007)