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Kristallographische Gruppen

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<strong>Gruppen</strong>theoretische Methoden in der Physik 1<br />

Prof. Dr. H.-R. Trebin<br />

Auszug aus dem Vorlesungsmanuskript, WS 06/07<br />

3.4 <strong>Kristallographische</strong> <strong>Gruppen</strong><br />

Im vorherigen Abschnitt beschäftigten wir uns mit diskreten Symmetriegruppen endlicher Teilbereiche<br />

des R 3 , also mit Untergruppen von O(3).<br />

Kristalle denken wir uns idealisiert als unendlich ausgedehnt. Ihre Symmetriegruppen enthalten<br />

auch Translationen und sind damit Untergruppen der euklidischen Gruppe E(3). Damit können<br />

auch Operationen wie Gleitspiegelungen und Schraubenachsen als Symmetrieelemente auftreten.<br />

Im Folgenden wollen wir die vielen schon aus der elementaren Festkörperphysik bekannten Begriffe<br />

wie Kristall, Gitter, Basis, Einheitszelle, Bravais-Gitter etc. in axiomatischer Form einführen und<br />

darüber zu den Raumgruppen, d.h. den diskreten Untergruppen von E(3) gelangen. Zunächst<br />

betrachten wir nur die Translationsanteile, Gittergruppen genannt.<br />

3.4.1 Gittergruppen<br />

Definition 3.1 Eine Gittergruppe H ist eine nichttriviale diskrete Untergruppe der Translationsgruppe<br />

T(3) ∼ = (R 3 , +) des R 3 .<br />

Nichttrivial soll heißen, daß H nicht nur aus dem neutralen Element besteht. Da die Elemente<br />

der Translationsgruppe durch Vektoren des R 3 vollständig bestimmt sind, kann man sich die<br />

Gittergruppe als eine Menge von Vektoren mit der Vektoraddition als <strong>Gruppen</strong>multiplikation<br />

vorstellen. H heißt nach der Zahl ihrer linear unabhängigen Vektoren 3-, 2- oder 1-dimensionale<br />

Gittergruppe. Im Folgenden betrachten wir nur noch dreidimensionale Gittergruppen.<br />

Für dreidimensionale Gittergruppen gibt es drei linear unabhängige Vektoren b 1 , b 2 , b 3 , so daß<br />

jeder Vektor a ∈ H als Linearkombination der b i geschrieben werden kann:<br />

a = n 1 b 1 + n 2 b 2 + n 3 b 3 n i ∈ Z. (3.1)<br />

(Beweis siehe Miller, Seite 35 ff). Mathematisch gesehen haben wir nicht nur eine <strong>Gruppen</strong>struktur,<br />

sondern einen Z 3 -Modul vorliegen.<br />

Die Vektoren b i heißen Basisvektoren und spannen die primitive Zelle der Gittergruppe auf.<br />

Die Basisvektoren sind nicht eindeutig.<br />

Definition 3.2 Sei x ∈ R 3 ein Element des affinen Raumes und H eine Gittergruppe. Der Orbit<br />

Hx bildet ein geometrisches Gitter L. Die Menge aller Orbits heißt Kristallgitter oder Raumgitter.<br />

Man kann sich das Raumgitter als durch die Eckpunkte der periodisch fortgesetzten primitiven<br />

Zelle repräsentiert vorstellen.<br />

Die Menge der Repräsentanten R 3 /H = (S 1 ) 3 ((S 1 ) 3 ist der dreidimensionale Torus) heißt Fundamentalbereich.<br />

Man erhält ihn z.B. durch Identifizieren einiger Ecken, Kanten und Flächen<br />

aus der primitiven Zelle. Eine andere Wahl ist die Wigner-Seitz-Zelle, auch Voronoi-Zelle<br />

genannt. Im reziproken Raum heißt sie Brillouin-Zone.


2<br />

Auf diese Art lassen sich unendlich viele verschiedene Gitter erzeugen. Ihre Vielfalt läßt sich jedoch<br />

in den Griff bekommen, indem man die zusätzlich zur Translationssymmetrie vorhandenen Punktsymmetrien<br />

betrachtet. (Zum Beispiel enthält die Symmetriegruppe jedes Gitters die Inversion).<br />

Dies ist das Thema des nun folgenden Abschnittes.<br />

3.4.2 <strong>Kristallographische</strong> Punktgruppen<br />

Sei H eine Gittergruppe und L das von ihr erzeugte Gitter Hx. Dieses Gitter hat eine maximale<br />

(vollständige) Symmtriegruppe G, die natürlich H als Untergruppe enthält. Jede Translation aus<br />

G ist auch in H enthalten: H = G ∩ T(3). Wir werden nun sehen, daß auch G diskret ist, und<br />

daß es zur Klassifikation der Gitter genügt, die diskreten Punktgruppen zu betrachten, die in H<br />

enthalten sind.<br />

Mit h ∈ G ist b := hx wieder ein Gitterpunkt. Es gibt also eine Translation t, die von x nach b<br />

führt. Somit gilt t −1 hx = x (andere Schreibweise: hx −t = x), und die Transformation f := t −1 h<br />

hat x als Fixpunkt. Die Menge aller f bildet eine diskrete Punktgruppe F mit Fixpunkt x.<br />

Man kann jedes Element von G eindeutig in der Form h = tf mit t ∈ H und fx = x schreiben. G<br />

ist damit das semidirekte Produkt ihrer Untergruppe F und der Gittergruppe H:<br />

Als Produkt diskreter <strong>Gruppen</strong> ist auch G diskret.<br />

G = F ∧ H (3.2)<br />

Zur Bestimmung aller Symmtriegruppen der Gitter genügt es, alle möglichen Punktgruppen F zu<br />

bestimmen.<br />

Definition 3.3 Eine Untergruppe G der euklidischen Gruppe E(3), die ein Gitter L auf sich selbst<br />

abbildet und einen Punkt x ∈ L als Fixpunkt hat, heißt kristallographische Punktgruppe. Die<br />

maximale kristallographische Punktgruppe F von x heißt Holoedrie von L bei x.<br />

<strong>Kristallographische</strong> Punktgruppen sind definitionsgemäß nichts anderes als Untergruppen der Holoedrien.<br />

Doch kommen keinesfalls alle Punktgruppen als kristallographische in Frage. Die Tatsache,<br />

daß diese Punktgruppen ein Gitter invariant lassen, also mit einer Translationsperiodizität<br />

verträglich sein müssen, stellt eine starke Einschränkung dar, über die der folgende Satz Auskunft<br />

gibt.<br />

Satz 3.1 (von der kristallographischen Beschränkung) Eine kristallographische Punktgruppe<br />

kann nur Drehachsen c n der Zähligkeiten n = 1, 2, 3, 4 und 6 enthalten. Holoedrien<br />

enthalten stets die Inversion i und, sofern sie eine zyklische Untergruppe einschließen, gleichzeitig<br />

auch C nv .<br />

Beweis:<br />

Sei g ∈ H. Stelle g in einer Gitterbasis dar:<br />

gb i = ∑ j<br />

b j c ji (g) (3.3)<br />

muß wieder ein Gittervektor sein, d.h. die Matrix c ist unimodular: c ji ∈ Z und det c = ±1. Also<br />

muß ihre basisunabhängige Spur ebenfalls ganzzahlig sein:<br />

∑<br />

c ii (g) = 1 + 2 cosϕ = 1 + 2 cos 2π n ∈ Z (3.4)<br />

i<br />

Diese diophantische Gleichung wird nur gelöst von n = 1, 2, 3, 4, 6.<br />

Daß die Holoedrie die Inversion enthält ist unmittelbar einsichtig.


3.4. KRISTALLOGRAPHISCHE GRUPPEN 3<br />

S 2 < C 2h < D 2h < D 4h < O h<br />

∧ ∧<br />

D 3d <<br />

D 6h<br />

Tabelle 3.1: Die sieben Holoedrien und ihre Beziehungen untereinander<br />

Von den unendlich vielen Punktgruppen bleiben mit dieser Einschränkung nur wenige als Kandidaten<br />

für kristallographische Punktgruppen übrig, die tatsächlich auch alle Symmtriegruppe eines<br />

Gitters sind.<br />

Satz 3.2 Es gibt 32 kristallographische Punkgruppen und zugehörige Kristallklassen sowie sieben<br />

Holoedrien.<br />

Die Holoedrien und ihre Untergruppenrelationen sind in Tabelle 3.1 aufgeführt.<br />

Eine vollständige Liste der zugehörigen Punktgruppen findet sich in Tabelle 3.2.<br />

Definition 3.4 Zwei Gitter L und L ′ gehören zum selben Kristallsystem, wenn ihre Holoedrien<br />

F, F ′ konjugierte Untergruppen in E(3) sind. Es gibt somit sieben Kristallsysteme.<br />

Mit den sieben maximalen Punktgruppen sind die möglichen Gitter noch nicht festgelegt, sie<br />

können noch unterschiedliche Raumgruppen haben. Zur weiteren Klassifikation benötigen wir<br />

noch folgende Definition:<br />

Definition 3.5 Zwei Gitter L 0 , L 1 derselben Holoedrie F sind vom gleichen Gittertyp, wenn<br />

das eine aus dem anderen durch eine stetige Deformation L t , 0 ≤ t ≤ 1 erreicht wird, wobei die<br />

Holoedrie F t stets F enthält.<br />

Satz 3.3 In drei Dimensionen gibt es 14 Gittertypen, die Bravais-Gitter genannt werden.<br />

Sie sind zusammen mit den Holoedrien und den kristallographischen Punktgruppen in Tabelle 3.2<br />

aufgeführt.<br />

In zwei Dimensionen gibt es nur fünf verschiedene Bravais-Gitter, die in Abbildung 3.1 dargestellt<br />

sind.<br />

• Zwei Gitter desselben Typs besitzen isomorphe vollständige Symmetriegruppen (Raumgruppen).<br />

Zwei Gitter derselben Holoedrie können nichtisomorphe Raumgruppen haben, also zu<br />

verschiedenen Gittertypen gehören. Der Gittertyp bestimmt die Raumgruppe eindeutig, und<br />

jedes Gitter gehört zu genau einem Typ.<br />

• Eine Kristallklasse oder Punktgruppe K gehört zu dem Kristallsystem mit Holoedrie F,<br />

wenn F die kleinste Holoedrie mit K < F ist.<br />

Haben wir hiermit nun alles für die Festkörperphysik wichtige zusammengetragen? Mitnichten,<br />

denn bisher haben wir nur Gitter behandelt, keine Kristalle, die man durch hinzufügen einer Basis<br />

erhält. Diese Basis kann die Symmetrie des Kristalles gegenüber seinem Gitter erniedrigen,<br />

so daß hier nicht mehr nur die sieben Holoedrien als maximale Punktgruppe auftauchen, sondern<br />

alle 32 kristallographischen Punktgruppen. Dies führt zu einer schwindelerregenden Zahl<br />

von vollständigen Symmetriegruppen (Raumgruppen), die wir uns im nächsten Abschnitt näher<br />

anschauen wollen.


4<br />

quadratisches Gitter<br />

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rechtwinkliches Gitter<br />

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hexagonales Gitter<br />

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zentriertes rechtwinkliches Gitter<br />

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schiefwinkliches Gitter<br />

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Abbildung 3.1: In zwei Dimensionen gibt es fünf Bravais-Gitter


3.4. KRISTALLOGRAPHISCHE GRUPPEN 5<br />

Kristallsystem Schönflies Hermann-Maugin Isomorphie<br />

triklin S 2<br />

¯1 C 2<br />

Γ t primitiv C 1 1 C 1<br />

monoklin C 2h 2/m D 2<br />

Γ m primitiv, Γ b m basiszentriert C 2, C 1h 2, m C 2<br />

orthorhombisch D 2h mmm D 2 × C 2<br />

Γ o primitiv, Γ b o basiszentriert D 2, C 2v 222, mm2 D 2<br />

Γ o raumzentriert, Γ f o flächenzentriert<br />

tetragonal D 4h 4/mmm D 4 × C 2<br />

Γ q primitiv, Γ v q raumzentriert D 4, C 4v , D 2d 42, 4mm, ¯42m D 4<br />

C 4h 4/m C 4 × C 2<br />

C 4 , S 4 4, ¯4 C 4<br />

rhomoboedrisch D 3d<br />

¯3m D 6<br />

Γ rh primitiv D 3 , C 3v 32, 3m D 3<br />

S 6<br />

¯3 C 6<br />

C 3 3 C 3<br />

hexagonal D 6h 6/mmm D 6 × C 2<br />

Γ h primitiv D 6 , C 6v , D 3h 62, 6mm, ¯6m2 D 6<br />

C 6h 6/m C 6 × C 2<br />

C 6 , C 3h 6, ¯6 C 6<br />

kubisch O h m3m O × C 2<br />

Γ c primitiv, Γ v c raumzentriert O, T d 43, ¯43m O<br />

Γ f c flächenzentriert T h m3 T × C 2<br />

T 23 T<br />

Tabelle 3.2: Tabelle der kristallographischen Punktgruppen. Angegeben sind auch die sieben Holoedrien,<br />

zu denen die Punktgruppen gehören, inklusive der möglichen Bravaisgitter.<br />

3.4.3 Raumgruppen<br />

Raumgruppen sind die Symmetriegruppen von Kristallen, also von Gittern mit Basis. Unter einem<br />

Kristall verstehen wir ein unendlich ausgedehntes, periodisch aufgebautes Medium mit physikalisch<br />

äquivalenten Punkten x ∼ y. Physikalisch äquivalent sind zumindest die Punkte, die durch eine<br />

Gittertranslation auseinander hervorgehen.<br />

Definition 3.6 Eine Raumgruppe ist eine diskrete Untergruppe G < E(3), wobei H := G ∩ T(3)<br />

eine dreidimensionale Gittergruppe darstellt.<br />

Einige Aussagen:<br />

• H ist Normalteiler von G<br />

• x ∈ R 3 , Hx = L ist das Kristallgitter<br />

• ˜G = F ∧ L mit der Holoedrie F ist definitionsgemäß Symmetriegruppe des Gitters. Sie muß<br />

aber nicht Symmetriegruppe des Kristalls sein:<br />

g ∈ ˜G ≠⇒ g ∈ G (3.5)<br />

Dies ist dann der Fall, wenn die Basis eine niedrigere Symmetrie hat als das Gitter, also zum<br />

Beispiel die Inversion nicht enthält, siehe Abbildung 3.2.


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Abbildung 3.2: Die Basis eines Kristalls kann seine Symmetrie gegenüber der des Gitters erniedrigen,<br />

so daß die Holoedrie keine Untergruppe der Raumgruppe mehr ist. Beispielhaft ist<br />

rechtwinkliches Gitter mit einer nicht inversionssymmetrische Basis, eingezeichnet.<br />

• Es gibt Symmetrieelemente in G, deren Translationsanteil nicht zur Gittergruppe gehört:<br />

Dies sind entweder Gleitspiegelungen oder Schraubungen.<br />

• Die durch<br />

{R,a} ∈ G ≠⇒ {1,a} ∈ H (3.6)<br />

K := {R = {R,0} |{R,a} ∈ G,a ∈ T(3) beliebig} (3.7)<br />

definierte Punktgruppe des Kristalls ist isomorph zur Faktormenge G/H:<br />

K ∼ = G/H (3.8)<br />

Sie muß keine Untergruppe von G sein, d.h. sie ist nicht notwendig Symmetriegruppe des<br />

Kristalls. Beispiel: Bei einer Gleitspiegelung muß die reine Spiegelung kein Element aus G<br />

sein.<br />

• Die Nebenklassen werden durch<br />

{R,a}<br />

a = ∑ i<br />

α i b i , 0 ≤ α i < 1 (3.9)<br />

repräsentiert.<br />

• Die Länge der Basisvektoren b i ist von atomarer Größenordnung und damit viel zu klein,<br />

um bei makroskopischen Beobachtungen eine Rolle zu spielen. Wichtig ist dann nur noch die<br />

Punktsymmetrie K des Kristalls, was schon lange vor der gruppentheoretischen Klassifikation<br />

zur Einteilung in 32 Kristallklassen durch die Kristallographen geführt hat.<br />

• Zwei Kristalle derselben Kristallklasse besitzen im allgemeinen nichtsymmorphe Raumgruppen,<br />

die Kristallklassen spalten auf in 219 Isomorphieklassen.<br />

Beispiel: Die kubische Kristallklasse O spaltet auf in acht Raumgruppen:<br />

O 1 = P 432 O 2 = P 4 2 32 O 3 = F 432 O 4 = F 4 1 32<br />

O 5 = I 432 O 6 = P 4 3 32 O 7 = P 4 1 32 O 8 = I 4 1 32<br />

(3.10)<br />

• Es gibt zwei Möglichkeiten:<br />

– Symmorphe Raumgruppen: Die Punktgruppe K ist Untergruppe von G und es gilt:<br />

G ∼ = K ∧ H (3.11)<br />

Sie spalten auf in 73 Isomorphieklassen


3.4. KRISTALLOGRAPHISCHE GRUPPEN 7<br />

– Nichtsymmorphe Raumgruppen: Sie enthalten Gleitspiegelungen und Schraubungen,<br />

und im allgemeinen gilt:<br />

{R,a}, a ∉ H, K ≮ G (3.12)<br />

• 11 Isomorphieklassen von Raumgruppen enthalten Paare mit entgegengesetztem Schraubensinn,<br />

sogenannte “enantiomorphe” Paare. Diese können physikalisch unterschiedliche<br />

Eigenschaften haben, sie werden deshalb oft extra gezählt: Kristallographen unterscheiden<br />

230 Raumgruppen, obwohl es nur 219 Isomorphieklassen gibt.<br />

Abschließen wollen wir dieses Kapitel mit einer kleinen Übersicht:<br />

Zahl der Punktgruppen<br />

Zahl der Raumgruppen<br />

Bravais-Gitter<br />

Basis mit sphärischer Symmetrie<br />

7<br />

Holoedrien<br />

14<br />

Bravais-Gitter<br />

Kristallstruktur<br />

Basis beliebiger Symmetrie<br />

32<br />

kristallographische Punktgruppen<br />

230<br />

Raumgruppen<br />

✬<br />

✩<br />

Kasten 3.1 Beispiel einer symmorphen und einer nichtsymmorphen Raumgruppe<br />

Wir betrachten die Raumgruppe C2h 3 = C 2 . Der Punktgruppenanteil ist C m 2h = 2 , so daß die<br />

m<br />

Struktur eine zweizählige Drehachse besitzt, die senkrecht auf einer Spiegelebene steht. Die monokline<br />

Einheitszelle besitzt zwei rechte Winkel und einen schiefen, der in der Spiegelebene liegt.<br />

Die Dekoration (Zentrierungstyp) der Elementarzelle wird in der Hermann-Mauguin-Notation durch<br />

den Buchstaben vor dem Punktgruppensymbol angezeigt. Das C“ in unserem Beispiel steht für die<br />

”<br />

Zentrierung zweier gegenüberliegender rechtwinkligen Seitenflächen der Elementarzelle (vgl. linker<br />

Teil der Abb. 3.3). Beschränken wir uns bei dem Translationsanteil auf die Elementarzelle, dann<br />

besitzt die betrachtete Raumgruppe die folgenden acht Symmetrieelemente:<br />

{1,0}, {1,t}, {c 2,0}, {c 2,t}, {i,0}, {i,t}, {σ h ,0}{σ h ,t} (3.13)<br />

wobei t = (1/2, 0, 1/2) T und c 2 = diag(−1, −1,1), i = diag(−1, −1, −1) und σ h = diag(1,1, −1) in<br />

der Basis, die die Einheitszelle aufspannt. Man erkennt, daß es sich um eine symmorphe Raumgruppe<br />

handelt: Zu jedem {R,a} ist auch {R,0} Element der Gruppe.<br />

Die Menge der acht <strong>Gruppen</strong>elemente (3.13) sind bezüglich der <strong>Gruppen</strong>multiplikation abgeschlossen,<br />

wenn man den Translationsanteil modulo der Gitterbasis versteht. Im rechten Teil der Abb.<br />

3.3 ist die Lage der Dreh- und Schraubenachsen in der ab-Ebene angezeigt. Im Folgenden wird nun<br />

gezeigt, wie man aus der symmorphen Raumgruppe eine nichtsymmorphe konstruieren kann.<br />

Wählt man aus (3.13) vier Elemente<br />

{1,0}, {c 2,t}, {i,0}, {σ h ,t} (3.14)<br />

aus, so bilden diese eine Untergruppe der C2h, 3 wovon man sich durch Nachrechnen überzeugt.<br />

Die durch die Elemente (3.14) definierte Raumgruppe wird mit C2h 5 = P 2 1<br />

c<br />

bezeichnet; dabei<br />

steht 2 1 für eine zweizählige Schraubenachse und c für eine Gleitspiegelung. Diese Raumgruppe ist<br />

nichtsymmorph: Der zur Schraubung {c 2,t} gehörende Punktgruppenanteil {c 2,0} ist kein Symmetrieelement<br />

mehr. Eine unter C2h 5 invariante Struktur läßt sich aus dem linken Teil der Abb.<br />

3.3 erhalten, indem man die Kugeln durch Objekte ersetzt, die zwar inversionssymmetrisch sind,<br />

aber nicht invariant unter c 2 und σ h (s. linker Teil der Abb. 3.4). Die entstehende Struktur besitzt<br />

Schraubenachsen, aber keine Drehachsen (s. Abb. 3.4).<br />

✫<br />


8<br />

b<br />

a<br />

c<br />

b<br />

a<br />

Abbildung 3.3: Links: Struktur, die unter der symmorphen Raumgruppe C2h 3 invariant ist. Rechts:<br />

Lage der zweizähligen Dreh-(ausgefüllte Kreise) und Schraubenachsen (leere Kreise) in der ab-<br />

Ebene.<br />

b<br />

a<br />

c<br />

b<br />

a<br />

Abbildung 3.4: Links: Struktur, die unter der nichtsymmorphen Raumgruppe C2h 5<br />

Rechts: Lage der zweizähligen Schraubenachsen in der ab-Ebene.<br />

invariant ist.

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