16-21 Storchenzug-3 - Natürlich
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NATUR<br />
Reportage<br />
Auf Nahrungssuche:<br />
Viele Störche ernähren<br />
sich von Abfällen auf<br />
offenen Müllhalden<br />
tausende von Weissstörchen, wohin sein<br />
Auge blickte. Aber: Viele der Tiere waren<br />
schwer krank oder bereits qualvoll verendet.<br />
Auf seine Frage, «kümmert sich<br />
hier jemand um die Tiere, gibt es eine<br />
Versorgungsstation oder eine Tierklinik»,<br />
bekam Dinsmore nur erstauntes Achselzucken<br />
zur Antwort. Offensichtlich hatte<br />
sich noch nie jemand Gedanken um das<br />
Schicksal der Zugvögel gemacht.<br />
Mit viel Idealismus gründete er das<br />
Sinai Wildlife Project (SWP) und machte<br />
sich mit seinem Vorhaben in Sachen Tierschutz<br />
nicht nur Freunde unter den<br />
Ägyptern und den Behörden. Der Gouverneur<br />
des Sinai behielt seine Aktivitäten<br />
argwöhnisch im Auge.<br />
Tod in der Kläranlage<br />
Dass die Störche auf dem Weg zur Südspitze<br />
Afrikas ausgerechnet die Touristenhochburg<br />
Sharm el-Sheikh anfliegen,<br />
wurde vielen von ihnen zum Verhängnis.<br />
Baumüll und gefährliche Chemikalien<br />
verschmutzten und vergifteten die Wasserstellen,<br />
tausende Vögel wurden Opfer<br />
des Verkehrs und verletzten sich an den<br />
Stromleitungen. Auf ihrem Weg in den<br />
Sinai überqueren viele Zugvögel Länder,<br />
in denen die Jagdsaison gerade in vollem<br />
Gange ist. Schussverletzungen der weissen<br />
Federtiere müssen daher auch dringend<br />
behandelt werden.<br />
Wenn die erschöpften Vögel ihre<br />
Energiereserven auftanken müssen, sind<br />
sie oft gezwungen, in den Mangroven<br />
und auf den ausgedehnten Korallenriffen<br />
des Roten Meeres auf Nahrungssuche<br />
zu gehen. Andere picken nach Essbarem<br />
auf einer der Mülldeponien und nicht<br />
selten versuchen die Tiere auf einem der<br />
künstlich bewässerten Golfplätze Sharm<br />
el-Sheikhs nach Beute zu suchen. Oder<br />
sie landen – angezogen vom Wasser – in<br />
der einer Seenlandschaft gleichenden<br />
Kläranlage dieses stetig wachsenden<br />
Ferienortes. Für einen Teil der Tiere bedeutet<br />
es das sichere Ende. Die wenigsten<br />
der geschwächten und kranken Tiere<br />
schaffen es, sich aus eigener Kraft aus<br />
den Klärbecken wieder zu befreien.<br />
Storchendoktor James Dinsmore: Beduinen liefern ihm wichtige Hinweise<br />
Flugrouten und Zugverhalten<br />
Milliarden von Zugvögeln ziehen jährlich im<br />
Herbst in den Süden und im Frühjahr zurück<br />
in den Norden. Unter ihnen sind schätzungsweise<br />
600 000 Weissstörche. Im August, zwei<br />
Wochen vor den Altstörchen, starten bereits<br />
die Jungvögel in Richtung Afrika, wo sie die<br />
ersten zwei bis drei Jahre leben. Erst bei Eintritt<br />
der Geschlechtsreife kehren sie in ihre<br />
heimatlichen Brutgebiete und somit auch in<br />
die Schweiz zurück («<strong>Natürlich</strong>» 7-05).<br />
Kulturfolger und Babybringer<br />
Störche gehören zu den Schreitvögeln, die<br />
mit 19 Arten überall auf der Welt verbreitet<br />
sind. Im Volksglauben spielt der Weissstorch<br />
(Ciconia ciconia) die Rolle des Babybringers<br />
oder des Stifters ehelichen Friedens. Adebar,<br />
wie er im Volksmund auch genannt wird, hat<br />
sich wie kein anderer Vogel dem Menschen<br />
angeschlossen (Kulturfolger). Mit einer<br />
Grösse von bis zu 80 Zentimeter und einem<br />
18 <strong>Natürlich</strong> | 10-2006