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Lebens- und Familienformen - Tatsachen und Normen

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<strong>Lebens</strong>läufe <strong>und</strong> Familiendynamik aus<br />

verfassungsrechtlicher <strong>und</strong> verfassungspolitischer<br />

Perspektive<br />

JUTTA LIMBACH<br />

Über <strong>Lebens</strong>läufe <strong>und</strong> Familiendynamik geben Verfassungen nur sehr begrenzt <strong>und</strong> punktuell Auskunft. Das<br />

gilt erst recht für <strong>Lebens</strong>formen jenseits der traditionellen Familie. Einige Verfassungen erwähnen die Ehe<br />

<strong>und</strong> familiale <strong>Lebens</strong>formen mit keinem Wort. Das darf allerdings nicht als Indifferenz gegenüber diesem<br />

Gr<strong>und</strong>sachverhalt menschlichen Zusammenlebens gewertet werden. Denken Sie an die Staaten Dänemark,<br />

die Niederlande <strong>und</strong> Schweden, die sich trotz – oder gerade wegen? – dieser Abstinenz gegenüber dem<br />

Wandel der <strong>Familienformen</strong> auch juristisch aufgeschlossen zeigen. Die Auskunftsfreude der anderen europäischen<br />

Verfassungen ist sehr unterschiedlich: Während die belgische Verfassung mit einem Satz auskommt,<br />

hat die portugiesische Verfassung 18 Sätze auf das Thema Ehe <strong>und</strong> Familie verwandt. Das Gr<strong>und</strong>gesetz der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland hat diesem Gegenstand einen Artikel mit immerhin fünf Absätzen gewidmet.<br />

Lassen Sie mich vornean diesen mir vertrauten <strong>Normen</strong>komplex aufbieten. Denn er läßt zum einen<br />

wenigstens skizzenhaft spezifische Regelungsbedürfnisse bestimmter <strong>Lebens</strong>phasen <strong>und</strong> vermeintlich unkonventioneller<br />

<strong>Lebens</strong>formen aufscheinen. Aber was mir noch wichtiger ist: In diesem <strong>Normen</strong>gefüge klingen<br />

die verschiedenen Regelungsmotive an, aus denen heraus Ehe <strong>und</strong> Familie in Verfassungsurk<strong>und</strong>en<br />

Aufmerksamkeit gezollt wird. Zum ersten ist die Garantie der Institution Ehe <strong>und</strong> Familie zu nennen; zum<br />

zweiten der Schutz ihrer Privatheit, die auch den Respekt gegenüber der Autonomie von Ehegatten <strong>und</strong><br />

Eltern mitumfaßt, <strong>und</strong> zum dritten der Schutz des sozial Schwächeren. Diese Regelungsabsichten können<br />

durchaus miteinander in Widerspruch geraten. Ihre nähere Inaugenscheinnahme macht das Spannungsverhältnis<br />

deutlich, in dem Parlamente <strong>und</strong> Gerichte agieren, wenn sie auf die Regelungsprobleme der<br />

gegenwärtigen Familienrealität eine Antwort geben müssen.<br />

Artikel 6 des Gr<strong>und</strong>gesetzes unterstellt Ehe <strong>und</strong> Familie dem besonderen Schutz der staatlichen<br />

Ordnung <strong>und</strong> hebt sie damit auf die Ebene einer Institutsgarantie. Einige europäische Verfassungen schützen<br />

Ehe <strong>und</strong> Familie ausdrücklich als Garanten für den eigenen Bestand. Nehmen wir als Beispiel die irische<br />

Verfassung. Laut dieser anerkennt der Staat „die Familie als die natürliche <strong>und</strong> ursprüngliche Gr<strong>und</strong>einheit<br />

der Gesellschaft <strong>und</strong> als eine moralische Einrichtung mit unveräußerlichen <strong>und</strong> unverjährbaren Rechten vor<br />

<strong>und</strong> über allen positiven Gesetzen“ (Art. 41 Abs. 1).<br />

Die Einsicht, daß Ehe <strong>und</strong> Familie gesellschaftliche Gr<strong>und</strong>einheiten seien, auf der das politische<br />

Gemeinwesen aufbaut, findet sich auch in der jüngsten europäischen Verfassung, nämlich in der im Mai<br />

1997 mit einem Referendum verabschiedeten polnischen Verfassung. Sie bringt den Keimzellengedanken<br />

implizit durch den Standort der Norm zum Ausdruck, die der Ehe als Gemeinschaft von Mann <strong>und</strong> Frau,<br />

der Familie, Mutter- <strong>und</strong> Elternschaft gewidmet ist. Denn wir finden diesen Artikel in dem der Republik<br />

gewidmeten Auftaktkapitel, in dem es um die Strukturprinzipien des Staates <strong>und</strong> dessen politische Akteure<br />

<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>einheiten geht. In welchem Maße sich die religiöse <strong>und</strong> konfessionelle Geb<strong>und</strong>enheit einer<br />

Bevölkerung im Verfassungstext niederschlägt, belegen die – allerdings raren – Auskünfte zum Verhältnis<br />

von Ehe <strong>und</strong> Familie. So normieren die irische, als auch die italienische Verfassung, daß sich die Familie auf<br />

die Institution der Ehe gründet (Art. 41 Abs. 3 IrVerf.; Art. 29 Abs. 1 ItVerf.).<br />

Wieder andere europäische Verfassungen, die der Familie Aufmerksamkeit schenken, betonen gegenüber<br />

dem institutionellen Aspekt eher das Private. Vornean sei hier die Europäische Menschenrechtskonvention<br />

genannt. Sie formuliert in Art. 12 „das Recht eine Ehe zu schließen <strong>und</strong> eine Familie [...] zu gründen“. In<br />

Art. 8 wird das Gebot des Schutzes der Privatsphäre normiert, kraft dessen jedermann auch Anspruch auf<br />

Achtung seines Familienlebens hat. So auch schlicht die belgische <strong>und</strong> die spanische Verfassung.<br />

ÖIF – MATERIALIENSAMMLUNG HEFT 4 „LEBENS- UND FAMILIENFORMEN – TATSACHEN UND NORMEN“ 7

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