12. November `09 (PDF) - E1NS-Magazin
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Tokio Hotel gegen Züri West<br />
Warum man in Deutschland (fast) keine Schweizer Bands kennt<br />
Ob Tokio Hotel, Rammstein oder Silbermond – in der Schweiz kennt man auch deutsche<br />
Bands. Doch wer kennt in Deutschland Schweizer Musikgrößen wie Züri West,<br />
Gölä oder Bligg? Der einfache Grund dafür: Sie singen – wie die meisten Schweizer<br />
Musiker – Schwyzertüütsch und werden darum weder verstanden noch vermarktet<br />
im „großen Kanton“. Das ist nicht nur für die Musiker schade, denn gerade Schweizerdeutsche<br />
Lieder vermitteln Einblicke in das für Deutsche manchmal fremde Wesen<br />
der Schweizer.<br />
Lange ist‘s her, dass mit „Grüeziwohl Frau Stirnimaa“ ein Schweizerdeutsches Lied in Deutschland<br />
gehört wurde. Das heitere, „lüpfige“ Stück soll Deutsche damals sogar zum (versuchten)<br />
Nachsingen animiert haben. Zu einem vergleichbaren Schweizer Erfolg ennet der Grenze hat es<br />
höchstens noch Stephan Eicher mit seiner Version von Mani Matters „Hemmige“ (Hemmungen)<br />
gebracht, allerdings nicht etwa in Deutschland oder Österreich, sondern in Frankreich! Dies<br />
hängt sicher auch mit der Bekanntheit des teilweise französisch singenden Stephan Eicher<br />
zusammen, doch damit ein berndeutsches Lied auswendig von Franzosen mitgesungen wird,<br />
braucht es schon eine geniale Vorlage. Auch heute – 37 Jahre nach seinem frühen Tod – werden<br />
Mani Matters Lieder noch gecovert und eifrig in den Schweizer Schulen gesungen. Das<br />
Geniale der Lieder liegt allerdings weniger in der Musik als vielmehr in den pointierten Texten.<br />
Ob „Hemmige“, „Si hei dr Wilhälm Täll ufgfüert“ oder „Mir hei e Verein“, seine Lieder sind<br />
nicht nur Musik gewordene Geschichten eines Berner Sängers, sie sind Ausdruck Schweizer<br />
Alltagssituationen und -befindlichkeiten.<br />
Mitte der 1970er Jahre betrat mit Polo Hofer eine weitere Mundartlegende die Schweizer Musikbühne<br />
und machte den Mundart-Rock salonfähig. Und auch er sprach wohl manchem aus<br />
der Seele, wenn er sich etwa über Institutionen und Schnorrer nervte, die ständig etwas von<br />
einem wollen: „Bini Gottfried Schtutz e Kiosk? Oder bini öpe e Bank? Oder gsehni us wie es<br />
Hotel? Oder wie e Kasseschrank?“ Der bekennende Kiffer ist heute eine lebende Legende („Polo<br />
national“) und sein „Alperose“ wurde 2006 vom Schweizer Fernsehpublikum gar zum größten<br />
Schweizer Hit aller Zeiten gewählt. Mit Yello und Krokus feierten in den 1980er Jahren dann vor<br />
allem englisch singende Schweizer Bands Erfolge – diese dafür international. Ende der 1980er<br />
und Anfang der 1990er Jahre wurde die Schweiz wieder um zwei nationale Musik-Institutionen<br />
reicher: Züri West und Patent Ochsner. Wie Matter, Hofer und Eicher stammen beide Bands aus<br />
Bern, dem Mekka der Schweizer Mundart-Musik. Während Züri West mit originellen Texten und<br />
anfangs noch wildem Rock „äm Blues vorus“ waren, spielten Patent Ochsner eher melancholische<br />
Balladen mit musikalischen Einflüssen aus der Schweizer Folklore. Ihr nach dem Berner<br />
Flugplatz benanntes „Bälpmoos“ war zugleich Sozialkritik und Inbegriff Schweizer Fernwehs.<br />
Der Mann, der den startenden Fliegern zuschaut und von einem anderen, freieren Leben in der<br />
Ferne träumt, verkörpert so etwas wie den Prototyp helvetischer Sehnsucht.<br />
Ende der 1990er erschien Gölä, der singende Büezer (deutsch: Arbeiter, Handwerker), auf der<br />
Bühne. Mit eingängigen Rocksongs besingt der ehemalige Maler die Gedanken und Sehnsüchte<br />
des einfachen Mannes. Und trotz aller Heimatliebe träumt auch er in vielen seinen<br />
Liedern von einem unabhängigen Leben in einem fernen Land. Sein erstes Album „Uf u dervo“<br />
(Auf und davon) war über zwei Jahre in den Charts und wurde das erfolgreichste Schweizer<br />
Mundart-Album aller Zeiten. Nach drei sehr erfolgreichen Alben begann Gölä jedoch englisch<br />
zu singen und hatte damit nicht annähernd den gleichen Erfolg. Erst als er sich wieder auf<br />
seine „bärndütsche“ Wurzeln besann, schaffte er es zurück an die Spitze der Charts – und in<br />
die Gunst seiner Fans.<br />
Zur gleichen Zeit wie Gölä erschienen auch die ersten Deutschschweizer Rapper auf der Bildfläche.<br />
Während bislang praktisch alle erfolgreichen Schweizer Musiker aus Bern stammten,<br />
kamen die HipHopper nun aus allen Teilen der Schweiz und hatten bzw. haben auch mit<br />
Züritüütsch oder Bündertüütsch Erfolg. Kreativität in Wort und Musik stehen dabei mehr im<br />
Vordergrund als Macho-Posen nach amerikanischem Vorbild. Einer ihrer Vorreiter, der Zürcher<br />
Bligg, wagte etwa den Spagat zwischen HipHop und traditioneller Volksmusik und spielte sogar<br />
zusammen mit der Appenzeller Streichmusik Alder.<br />
Es gibt also wirklich nichts, was es nicht gibt in der Schweizer Mundart-Musik. Mit Volksmusik<br />
im üblichen Sinn hat das meist nichts zu tun und dennoch ist es im Prinzip Musik über und für<br />
das „Volk“ und darum auch in der Sprache des Volkes. Besonders beliebte Themen sind dabei<br />
Alltagsbeobachtungen, Sozialkritik und – interessanterweise – Fernweh! Und obwohl sich der<br />
internationale Erfolg durch das Schweizerdeutsche verschließt, ziehen es die meisten Schweizer<br />
Musiker dennoch vor, in ihrer Muttersprache zu singen. Musik ist nun einmal eine emotionale<br />
Sache und Gefühle drückt man am besten in der Muttersprache aus.<br />
Text und Bilder: Reto Dräger<br />
E1ns fragt<br />
nach:<br />
Welche Schweizer<br />
Bands/Musiker<br />
kennen Sie?<br />
Welche<br />
deutschen?<br />
E ns noch<br />
Bligg kenne ich vom Namen her. Bei<br />
elektronischer Musik kenne ich Luciano aus<br />
Genf. Deutsche Bands im HipHop sind zum<br />
Beispiel Blumentopf, Fettes Brot und die<br />
Fantastischen Vier, im Pop Wir sind Helden<br />
oder Silbermond und in der elektronischen<br />
Musik natürlich Sven Väth.<br />
Michael, Konstanz<br />
Schweizer Bands kenne ich keine. Ich hab<br />
zwar mal eine CD von einer Schweizer Band<br />
bekommen, weiß aber nicht mehr, wer das<br />
war. Bei deutsche Bands finde ich Dendemann<br />
und Jan Delay die besten. Ich mag<br />
gern HipHop. Da gefallen mir die Wortspiele<br />
und die Wortgewandtheit, was mir beim<br />
Schwyzerdütschen abgehen würde.<br />
Anna, Konstanz<br />
Ich habe zwar auch schon Schweizer Musik<br />
gehört, kenne aber keine Bands mit Namen.<br />
Deutsche Bands gibt es etwa die Toten Hosen,<br />
Sportfreunde Stille, Ärzte, Silbermond,<br />
Fanta4 oder Tokio Hotel.<br />
Marco Bonfiglio, Konstanz<br />
Ich kenne keine Schweizer Bands und hab<br />
auch noch nie etwas von einer Schweizer<br />
Band gehört. In Deutschland gibt’s zum<br />
Beispiel die Ärzte, die Toten Hosen, die<br />
Beatsteaks, die Donots oder Muff Potter aus<br />
dem Münsterland.<br />
Katarina Herget, Konstanz