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Ein Wasser, ein Mond. Walensee. - Peter Donatsch

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<strong>Ein</strong> <strong>Wasser</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Mond</strong>.<br />

<strong>Walensee</strong>.<br />

Walenstadt – Weesen<br />

<strong>Mond</strong> irrlichtert<br />

über den See,<br />

<strong>ein</strong> Boot vertäut<br />

am Hafen, in der<br />

Beiz <strong>ein</strong> Fest im<br />

Gange.<br />

Der <strong>Walensee</strong>. Anders geartet, als viele andere. <strong>Ein</strong> Fjord, erinnernd<br />

an Norwegen oder Neuseeland. <strong>Ein</strong> Relikt jener Zeit, als<br />

eiszeitliche Gletscher den Kontinent bedeckten, sodass die<br />

höchsten Gipfel als unsch<strong>ein</strong>bare Mugel daraus hervorlugten.<br />

Dann zogen sich die Eismassen zurück, hobelten und schrammten<br />

die Erdoberfläche auf und hinterliessen die Topographie,<br />

die wir heute bewundern: Hohe Berge fallen ins tiefe <strong>Wasser</strong><br />

des <strong>Walensee</strong>s. Steile Felswände, durchfurcht von Schluchten<br />

und Tobeln, in deren Innern <strong>Wasser</strong> hinabstürzt, stützen die<br />

Alp-Terrassen unter den Churfirsten. Sonnenverwöhnte Baumarten<br />

wie die Traubeneiche krallen sich in den Fels. Bäche haben<br />

Geschiebe mitgerissen und dort im See abgelagert, wo die<br />

Felswand ins <strong>Wasser</strong> taucht. Als kl<strong>ein</strong>e Deltas, Schuttkegel von<br />

geringer Steilheit, aber besonderer Fruchtbarkeit. Feigen gedeihen<br />

im milden Klima, Palmen, Edelkastanien und Kiwis. <strong>Ein</strong>ige<br />

dieser Schuttkegel sind bewohnt und dauerhaft besiedelt, zum<br />

Beispiel Quinten. <strong>Ein</strong> <strong>ein</strong>zigartiges Resultat von Jahrmillionen<br />

andauernder Veränderung, die bis heute nicht abgeschlossen<br />

ist.<br />

Es gibt nur <strong>ein</strong>en <strong>Walensee</strong> und k<strong>ein</strong> <strong>ein</strong>ziges Auto in Quinten.<br />

<strong>Ein</strong>mal, so erzählen die <strong>Ein</strong>heimischen, wurde aus Jux<br />

<strong>ein</strong>es über den See gebracht, aber viel zu fahren gab es nicht.<br />

Umso mehr gibt es zu erfahren.<br />

Quinten ist für Touristen jener Ort, der bei der Fahrt zwischen<br />

Zürich und Chur «auf der anderen Seite» liegt, <strong>ein</strong>e Postkartendestination:<br />

«Riviera der Ostschweiz» – an Klischees und<br />

Überhöhungen herrscht k<strong>ein</strong> Mangel. Die Quintnerinnen und<br />

Quintner, so sagt man, sind eigen, eigenwillig, eigensinnig. Sie<br />

sind Teil der Tourismusregion «Heidiland». Dabei, so will es<br />

dem aufmerksamen Besucher dieses Landstriches sch<strong>ein</strong>en,<br />

reicht «Quinten» vollauf. Heidi ist weit entfernt, die Gegend<br />

bietet Spannendes zuhauf, auch Idyllen. Und wo diese fehlen,<br />

hat eventuell das Leben <strong>ein</strong>e Chance.<br />

Walenstadt – Weesen<br />

34<br />

35


Walenstadt – Garadur – Josen – Quinten –<br />

Betlis – Weesen<br />

Routencharakter<br />

Lange, abwechslungsreiche Wanderung auf meist markierten Wanderwegen<br />

und Waldstrassen. Mässige Höhendifferenz (zwei Mal ca. 200 m). Die<br />

Wanderung kann in Quinten-Au, Quinten und Betlis vorzeitig beendet werden.<br />

Zeit, Schwierigkeit<br />

Walenstadt – Garadur – Quinten: 3 Std.; T2.<br />

Quinten – Betlis – Weesen: 3 Std.; T2.<br />

Ausgangspunkt: Walenstadt (427 m)<br />

Kl<strong>ein</strong>es Städtchen am Ostende des <strong>Walensee</strong>s. Restaurants, Hotels, Campingplatz,<br />

Strandbad, Schiffshafen. Postauto nach Walenstadtberg – Schrina<br />

Hochrugg.<br />

Hinkommen: SBB-Strecke Zürich – Chur bis Walenstadt. A3 Zürich – Sargans<br />

bis Walenstadt (Ausfahrt 48) oder A13 von St. Margrethen – Verzweigung<br />

Sarganserland Richtung Zürich bis Flums/Walenstadt (Ausfahrt 49).<br />

Informationen: Tourist Information: Tel. +41 81 735 22 22; www.walenstadt.ch.<br />

Endpunkt: Weesen (424 m)<br />

Kl<strong>ein</strong>er Ort am westlichen Ende des <strong>Walensee</strong>s. Restaurants, Hotels,<br />

Strandbad, Schiffshafen. Postauto nach Amden.<br />

Hinkommen: SBB-Strecke Zürich – Chur bis Weesen. A3 Zürich – Sargans<br />

bis Weesen (Ausfahrt 45). Informationen: Tourismus Amden-Weesen: Tel.<br />

+41 55 616 12 30; www.weesen.ch, www.walenseeschiff.ch.<br />

hindurch nach dem idyllisch gelegenen Betlis (Restaurants, Schiffs-Anlegestelle,<br />

Parkplatz). Auf der Strasse, am romantischen Strandbad vorbei nach<br />

Weesen.<br />

<strong>Ein</strong>kehr unterwegs<br />

Walenstadtberg: Bergrestaurant Garadur<br />

Quinten-Au: Restaurant Au (www.seegasthausau.ch)<br />

Quinten: Restaurant Seehus (www.seehusquinten.ch),<br />

Restaurant Schifflände (www.schifflaendequinten.ch)<br />

Betlis: Landgasthof Paradiesli, Restaurant Burg Strahlegg<br />

Informationen: www.heidiland.com, www.walenseeschiff.ch.<br />

Variante: Walenstadt – Schrina – Säls – Laubegg – Quinten<br />

Routencharakter: Lange Bergwanderung auf meist markierten Bergwegen<br />

und Alpstrasse. Mässige Höhendifferenz im Aufstieg (ca. 400 m), grosse<br />

Höhendifferenz im Abstieg (ca. 1200 m). Ausdauer und Trittsicherheit sind<br />

notwendig. Zeit, Schwierigkeit: 3 ½ – 4 Std., T2 – 3. Ausgangspunkt: Schrina<br />

Hochrugg (1290 m) Restaurant. Hinkommen: Strasse ab Walenstadt (Postautobetrieb).<br />

Endpunkt: Quinten (434 m): Kl<strong>ein</strong>e Siedlung am Nordufer des<br />

<strong>Walensee</strong>s. Gasthäuser, Schiff-Anlegestelle. Hinkommen: Autofrei, da<br />

k<strong>ein</strong>e Zufahrtsstrasse. Schiffskurs ab Murg. Im Sommer Ausflugsschiffahrt.<br />

Route: Von Schrina Hochrugg unter den Churfirsten in westlicher Richtung<br />

auf Alpstrasse über Alp Schwalmis und Sälser Hütte bis Säls (P. 1521), wo<br />

die Strasse in <strong>ein</strong>en Bergweg übergeht. Nun zuerst in leichtem Auf und Ab,<br />

danach nur noch abwärts zu den Hütten der Laubegg (1373 m), dem ehemaligen<br />

Quintner Wildheuergebiet. Von hier steil durch den Wald hinab<br />

nach Quinten.<br />

Karten<br />

LK 1:25 000: 1134 <strong>Walensee</strong>.<br />

N<br />

Walenstadt – Weesen<br />

Route<br />

Vom Hafen Walenstadt dem rechten Seeufer folgen, dann auf Schotterstrasse<br />

ansteigend durch den Lindenwald nach Frachtina (<strong>Ein</strong>mündung der<br />

Strasse von Walenstadtberg her). Auf dieser Strasse links bis zur Bauerngaststätte<br />

Garadur.<br />

Nun durch den Wald steil abwärts (bei Nässe oder Vereisung heikel) und<br />

über Josen zum See. Diesem entlang via Josenhaab, Gand, Schilt nach<br />

Quinten-Au und Quinten.<br />

In Quinten an der Kirche vorbei hinauf, dann links haltend (westlich) via<br />

Grappen, Laui, St<strong>ein</strong>laui aufsteigend, durch Wald und hoch über dem St<strong>ein</strong>bruch<br />

hinweg in den Seerenwald, <strong>ein</strong>en schönen Mischwald. Den schäumenden<br />

Seerenbach auf <strong>ein</strong>er Brücke überquerend, unter dem Seerenfall<br />

Weesen<br />

Betlis<br />

Sälserhütte<br />

Laubegg<br />

Seerenwald<br />

Quinten<br />

W A L E N S E E<br />

Josen<br />

Schrina-Hochrugg<br />

Garadur<br />

Walenstadt<br />

Walenstadt – Weesen<br />

36<br />

37


<strong>Ein</strong>tauchen in den Sonderfall Quinten<br />

Über allem stehen die Berge. Der See ist den Menschen näher,<br />

der Wald bietet ihnen Schutz vor Lawinen und St<strong>ein</strong>schlag, die<br />

vergorenen W<strong>ein</strong>trauben erfreuen ihren Gaumen. Aber die<br />

Berge sind allgegenwärtig. Stumm und gewaltig sind sie präsent.<br />

K<strong>ein</strong> Darumherumkommen ändert etwas daran, dass niemand<br />

an ihnen vorbeikommt. Berge. Symbole für alles was solide<br />

ist. Unverrückbar, unveränderlich, ewig. Und immer in Bewegung.<br />

Wenigstens <strong>ein</strong> bisschen ...<br />

Walenstadt – Weesen<br />

Berge<br />

B<strong>ein</strong>ahe 2000 Meter kompakter Steilfels, senkrechte Grashänge,<br />

sanfte Alpweiden, grausige Schluchten, Tannen- und Buchenwälder<br />

und zuletzt sogar noch Rebberge, trennen die Gipfel der<br />

Churfirstenkette vom Spiegel des <strong>Walensee</strong>s. <strong>Ein</strong>e atemberaubende<br />

Naturkulisse, von menschlichem Zugriff dank ihrer<br />

Wildheit weitgehend verschont – knappe zwei Kilometer vertikale<br />

Natur. Und <strong>ein</strong> geologisches Museum erster Güte. Das<br />

atemberaubende Erlebnis, sich durch dieses – durchaus noch<br />

lebende – Museum zu bewegen, ist nicht nur den Extrembergsteigern<br />

vorbehalten.<br />

Mehrere «Furggen» oder «Nideri», Übergänge zwischen<br />

den steil aufragenden Bergen, erlauben es auf zum Teil verwegen<br />

angelegten Wanderwegen, von Norden nach Süden, vom<br />

<strong>Walensee</strong>gebiet ins Toggenburg zu wechseln: Über die Gocht<br />

zwischen Leistchamm und Nägeliberg, über die Obersäss-Nideri<br />

zwischen Frümsel und Brisi, über die Palisnideri zwischen<br />

Brisi und Zustoll. Besonders reizvoll ist das Wandern – und<br />

Wandeln – auf dem «Schnüerli». Diese helvetische Verkl<strong>ein</strong>erungsform<br />

steht für <strong>ein</strong> drahtseilgesichertes Wegstück innerhalb<br />

<strong>ein</strong>es schmalen Pfades, der sich, <strong>ein</strong>er Schnur ähnlich,<br />

mehr oder weniger horizontal vom Chammsäss unter den Südabstürzen<br />

der Churfirsten hindurch bis zur Stollenfurgge zieht,<br />

wo man der Südwestflanke des Schibenstoll entlang auf die<br />

Nordseite wechseln kann.<br />

Von diesen Bergen komme ich her, den weissgrauen, in den<br />

Himmel stürmenden Felsen, und erreiche die ersten grösseren<br />

Grashänge, wo erdige <strong>Ein</strong>drücke am Boden die Gämswechsel<br />

anzeigen. Immer höher wachsen die Berge in den Himmel, im-<br />

mer höher, je tiefer ich komme. Ich steige weiter hinab zu den<br />

Wildheuplanggen, wo, kaum zu glauben, das Gras <strong>ein</strong>en halben<br />

Meter hoch und in unglaublicher Vielfalt spriesst.<br />

Schmerzhafte Kontraste überwältigen jeden, der hier entlang<br />

geht, auf diesem Weg zwischen Erde und Himmel, Berg<br />

und Tal. Zwischen Wildnis und Kulturlandschaft, zwischen<br />

Hirsch und Mensch.<br />

Wiesen<br />

Hier liegt die Laubegg, das abgelegene Wildheuergebiet der<br />

Quintner Bauern. Steilste Grashänge zwischen Wald und Felswand.<br />

<strong>Ein</strong> Stall, <strong>ein</strong>e Hütte, die in ihrer Form an <strong>ein</strong>e Seilbahnstation<br />

erinnert, unterhalb <strong>ein</strong>ige zerfallende, blechgedeckte<br />

Holzhütten in eigenwilliger Form. Zwischendurch <strong>ein</strong><br />

Wanderweg. Steil ist es hier, sehr steil und sehr heiss. Früher<br />

erhielt jeder Quintner <strong>ein</strong>en Blätz zum Heuen per Los zugeteilt.<br />

Auf der Alp Laubegg und sogar noch weiter oben, auf<br />

schmalen, steilen Grasbändern zwischen dem Fels, den «Kämmen»,<br />

wurde gemäht! Im Herbst musste das Wildheu auf<br />

Hornschlitten die tausend Höhenmeter auf steilstem Weg<br />

Alle und alles in<br />

Quinten muss<br />

über den See,<br />

auch die Ziegen,<br />

die im Herbst<br />

von der Alp<br />

kommen,<br />

werden im Weidling<br />

gefahren.<br />

Walenstadt – Weesen<br />

38<br />

39


hinab ins Dorf geführt werden. Das müssen Höllenfahrten gewesen<br />

s<strong>ein</strong>!<br />

Niklaus, der Quintner Ortsgem<strong>ein</strong>depräsident, Landwirt,<br />

Rebbauer war von ihnen der Letzte. Im Blut muss er die Leidenschaft<br />

und das Wissen s<strong>ein</strong>er Vorfahren fürs wilde Heuen mitbekommen<br />

haben, anders kann ich mirs nicht erklären. Ich<br />

weiss noch, wie wir in der Hütte sassen, <strong>ein</strong>e kühle Flasche Bier<br />

in der Hand, während draussen die Brämen surrten und die<br />

Augusthitze über dem abgeschnittenen Gras flirrte. Am Morgen<br />

hatte Niklaus mit dem Motormäher die abschüssigen Hänge<br />

gemäht, bis s<strong>ein</strong>e Arme schmerzten. Loslassen konnte er die<br />

Maschine nicht, sie wäre sofort hangab getrölt. Niklaus mähte,<br />

Heirat mit Hindernissen:<br />

Die Braut<br />

muss den Rock<br />

raffen beim Hochwasser-<strong>Ein</strong>stieg<br />

in<br />

Quinten.<br />

ich fotografierte. Schweiss stand ihm auf der Stirn, Benzingestank<br />

hing in m<strong>ein</strong>er Nase.<br />

Dann war Pause und Niklaus erzählte. Vom Leben in Quinten,<br />

früher und heute. <strong>Ein</strong> Jahr später hat er das Bauern aufgegeben,<br />

die Kühe verkauft. Seither wird auf Laubegg nicht mehr<br />

geheuet. Noch <strong>ein</strong> Jahr später ist er bei s<strong>ein</strong>er anderen Arbeit,<br />

im St<strong>ein</strong>bruch, tödlich verunglückt. Unfassbarkeit macht sich<br />

breit. Worte versagen. Zeit steht still. Damals wie heute.<br />

Walenstadt – Weesen<br />

Winter ist Ruhezeit,<br />

hüben wie<br />

drüben. Das<br />

Kursschiff stellt<br />

die Verbindung<br />

sicher.<br />

Wald<br />

Weiter unten, auf <strong>ein</strong>er Höhenlage von 1800 m bis zum Ufer des<br />

<strong>Walensee</strong>s auf 300 m, unterstützen der durchlässige Kalkboden,<br />

die geschützte Lage und <strong>ein</strong> trockenheisses Klima <strong>ein</strong>en sogenannten<br />

Edelgamander-Traubeneichenwald. Licht stehende Eichen,<br />

Edelgamander, Buchen, Feldahorn, Liguster, Felsenmispel,<br />

Strauchkronwicke und der dornige Wildapfel gedeihen<br />

prächtig. Im Seerenwald gegen Weesen und im Lindenwald bei<br />

Walenstadt wachsen Linden in schönem Mischwald bis auf rund<br />

800 m. Auch das Unterholz und die Krautschicht dieses Waldes<br />

sind sehr vielseitig und blühen von früh im Frühling bis spät im<br />

Herbst. <strong>Ein</strong> langer Sommer ist das, an den Südhängen der Churfirsten!<br />

Die exakte West-Ostausrichtung des fjordartigen <strong>Walensee</strong>s<br />

hat <strong>ein</strong>e ganz eigene Lichtsituation zur Folge – Morgen- und<br />

Abendlicht fallen seitlich auf diese Südhänge. Wenn ich m<strong>ein</strong>e<br />

Augen schliesse, wähne ich mich im Tessin oder im Piemont.<br />

Walenstadt – Weesen<br />

40<br />

41


Walenstadt – Weesen<br />

Die Aussicht<br />

muss verdient<br />

werden. Blick auf<br />

das Quintner<br />

Wildheuergebiet<br />

Laubegg (bei der<br />

Hütte) und den<br />

<strong>Walensee</strong>.<br />

Dorf<br />

Aus dem schattigen Wald tauche ich hinab, in die vorletzte Stufe<br />

dieser himmlischen irdischen Treppe, die mich von den Gipfeln<br />

der Churfirsten, den Kalkwänden entlang, vorbei an den obersten<br />

Tannen, über <strong>ein</strong>en schmalen Alpgürtel und durch den<br />

Mischwald hinabgeführt hat – zu den Rebhängen, den Häusern<br />

und den Menschen von Quinten.<br />

Es gibt k<strong>ein</strong>en mit Quinten vergleichbaren Ort in der<br />

Schweiz. Das kl<strong>ein</strong>e Dorf ist nur mit dem Schiff oder zu Fuss<br />

erreichbar. Es ist abgelegen und doch in Sichtweite. Die Natur<br />

hat hier <strong>ein</strong>en Lebensraum geschaffen, der mit «Riviera der<br />

Ostschweiz» beschrieben wird.<br />

Dazu kamen kulturelle und gesellschaftliche Be<strong>ein</strong>flussungen,<br />

denn der <strong>Walensee</strong> war stets Durchgangsgebiet. Die<br />

«alte Post» gleich am Hafen gilt als Sonderfall im ganzen Sarganserland.<br />

Der Fachwerkbau entstand wohl um die Mitte des<br />

17. Jahrhunderts und verschiedene Bauelemente lassen fremde<br />

<strong>Ein</strong>flüsse erkennen. So findet man in <strong>ein</strong>em Torbogen das Wappen<br />

<strong>ein</strong>es Luzerner Münzmeisters von 1694. <strong>Ein</strong> anderes herausstechendes<br />

Gebäude ist das herrschaftliche, strahlend<br />

weisse «Kublihaus» im Westen von Quinten. Das fünfstöckige<br />

Glarner Herrenhaus stammt aus dem 17. Jahrhundert und verfügt<br />

über 12 Zimmer.<br />

Die 50 <strong>Ein</strong>wohner Quintens leben heute von Landwirtschaft,<br />

Rebbau, Fischfang, St<strong>ein</strong>bruch und Tourismus. <strong>Ein</strong>ige<br />

pendeln und die Schüler fahren ebenfalls über den See. Es gibt<br />

drei Restaurants, neun Voll- und Nebenerwerbsw<strong>ein</strong>bauern –<br />

die Rebfläche beträgt rund 10 Hektaren – bei der Post betreiben<br />

Renate Janser und Rosmarie Büsser <strong>ein</strong> Handarbeits-<br />

Geschenklädeli und im Dorf verkauft die ehemalige Lehrerin<br />

und heutige «Geisslerin» Margrit Bärlocher Ziegenwürste,<br />

selbstgemachte Konfitüre und anderes.<br />

An schönen Wochenenden oder Ferientagen im Sommer<br />

drängen sich die Besucher zu Hunderten auf den Bootsstegen<br />

und Terrassen der Restaurants. Im Kontrast zu dieser Hektik<br />

stehen die stillen Tage des Quintner Winters, wenn sich der <strong>Walensee</strong><br />

<strong>ein</strong>e Nebelkappe aufgesetzt hat und nicht <strong>ein</strong>mal mehr<br />

der Lärm der Autobahn herüberdringt. Quinten ist anders.<br />

Und immer <strong>ein</strong>en Besuch wert.<br />

Zusammen mit dem Mundart-Autoren Hans Bernhard Hobi<br />

Nostalgie: 1999<br />

war zum letzten<br />

Mal Heuet im<br />

Quintner Wildheugebiet<br />

Laubegg.<br />

In der Tiefe<br />

der <strong>Walensee</strong>.<br />

Walenstadt – Weesen<br />

42<br />

43


Moderne Zeiten.<br />

Auf Alp Schwaldis<br />

treibt der<br />

Hirte die Herde<br />

auf der Trialmaschine<br />

zum<br />

abendlichen<br />

Melken herbei.<br />

<strong>ein</strong> fernes Land voller Erinnerungen, Ausgangspunkt für <strong>ein</strong>e<br />

Menge neuer Abenteuer.<br />

Im Hafen dümpeln Boote, darunter <strong>ein</strong>ige Quintner Weidlinge.<br />

Nicht mehr viele beherrschen den Bootsbau nach den alten<br />

Massen, Vorgaben und Richtlinien. <strong>Ein</strong> Quintner Weidling<br />

ist 7 m lang, am Boden 1 m breit und 0,75 m hoch und wiegt 300<br />

kg. Früher waren die Weidlinge mit Ruder und Segel ausgerüstet,<br />

heute mit Aussenbordmotoren. Ich betrachte das farbige<br />

Bild am <strong>Wasser</strong>.<br />

Freiheit hängt über dem See. Unsichtbar. Stark genug für<br />

<strong>ein</strong> Gefühl von Abschied.<br />

Walenstadt – Weesen<br />

44<br />

besuchte ich die Quintnerinnen und Quintner oft und wir versuchten,<br />

uns in ihre besondere Situation jenseits des Postkarten-<br />

und Schlagzeilen-Sonderfalls <strong>ein</strong>zufühlen. <strong>Ein</strong> Vorhaben,<br />

<strong>ein</strong>em Tauchgang in die dunkle Tiefe des <strong>Walensee</strong>s nicht unähnlich,<br />

manchmal wie <strong>ein</strong>e Kletterei durch <strong>ein</strong>e senkrechte<br />

Churfirstenwand sich anfühlend, und manchmal wie <strong>ein</strong> Spaziergang<br />

auf der breiten, gepflegten Chaussée des Lebens.<br />

Hans Bernhard Hobi schreibt: «Die Leute von Quinten wissen<br />

um den Sonderfall Quinten. Die relative Abgeschiedenheit,<br />

das der Natur ausgesetzte Leben, der Kampf um die Existenz,<br />

all das prägt. Ihr Selbstverständnis ist aber auch be<strong>ein</strong>flusst vom<br />

verführerischen Bild der Idylle, das die Besucher wahrnehmen,<br />

auf sie projizieren. Daneben sind die alltäglichen Erfahrungen,<br />

so gewöhnlich wie überall landauf, landab. Wie sich zurechtfinden<br />

auf dieser Schaukel von Bildern und Gefühlen?! Auch wenn<br />

pessimistische Geister über den ‹hoffnungslosen Fall› lamentieren,<br />

auch wenn Macher und Planer die grosse Perspektive vermissen,<br />

in Quinten hat man trotz allem <strong>ein</strong>en geheimen Willen<br />

zum Überleben kultiviert. Man weiss aus jahrhundertalter Erfahrung,<br />

dass Kraft und Erfindungsgeist da ist, wenn es ans Wesentliche<br />

geht. Da wachsen Alleskönner heran, die clever und<br />

kreativ mit ihren Möglichkeiten umgehen, die Mut und Humor<br />

zusammenpacken zu <strong>ein</strong>em ‹Jetzt erst recht›.»<br />

See<br />

Hans Bernhard stopfte dann jeweils s<strong>ein</strong>e Tabakpfeife und ich<br />

liess mich von dem vertrauten Duft des Rauches mitnehmen, in<br />

Das Kursschiff<br />

«Alvier» zeichnet<br />

mystische<br />

Muster von<br />

vergänglicher<br />

Ewigkeit ins<br />

<strong>Wasser</strong>.<br />

Walenstadt – Weesen<br />

45


Walenstadt – Weesen<br />

Sehen und erleben<br />

Bickel und andere Künstler<br />

In den Räumlichkeiten der alten Weberei befindet sich das Museum Bickel.<br />

Das Museum trägt den Namen des Malers, Grafikers, Bildhauers und Briefmarkenstechers<br />

Karl Bickel (1886-1982), der auf Schrina Hochrugg lebte<br />

und arbeitete. Im Zentrum des privaten Museums steht die lebendige Vielfalt<br />

der Kunst der Gegenwart und zusätzlich werden kulturelle Veranstaltungen<br />

durchgeführt.<br />

Museumbickel, Walenstadt: +41 81 710 27 77. www.museumbickel.ch.<br />

Garadur: Selbstgebackenes am Weg<br />

Die Bauerngaststätte Garadur liegt idyllisch, von alten Obstbäumen umstanden,<br />

am Weg von Walenstadtberg nach Quinten. Sie ist ganzjährig und<br />

sieben Tage die Woche offen. Besonders sind die Suppen und hausgebackenen<br />

Kuchen, die Znüni- und Zvieriplättli.<br />

Bauerngaststätte Garadur, Walenstadtberg: Tel. +41 81 735 14 62.<br />

Verkehrs- und Lebensader <strong>Walensee</strong><br />

Der östlichste nordalpine Randsee der Schweiz ist 15,6 km lang, 2 km breit<br />

und misst an s<strong>ein</strong>er tiefsten Stelle 151 m. Die <strong>Wasser</strong>temperatur ist auch<br />

im heissesten Sommer verhältnismässig kühl, ganz zugefroren ist der See<br />

aber noch nie. Das Klima, vor allem am südlichen Rand, ist ausgesprochen<br />

mild. Bis zum Bau der Eisenbahnline war der See die Verbindungsader<br />

zwischen dem Unter- und dem Oberland.<br />

Auf dem See schippern<br />

«Nie ist der See gleich, k<strong>ein</strong> Augenblick gleicht dem anderen», sagen die<br />

Kursschiffer, die sommers und winters den See befahren. Der Schiffsbetrieb<br />

<strong>Walensee</strong> betreibt <strong>ein</strong>e Flotte von vier Schiffen mit 60 bis 270 Plätzen.<br />

Er bietet im Sommer neben den Kursschiffen auch zahlreiche Sonderfahrten,<br />

wie «Geo-Schiff», «Brunch-Schiff», und «Culinarium-Schiff».<br />

Schiffsbetrieb <strong>Walensee</strong>, Murg: Tel. +41 81 720 35 45, www.walenseeschiff.ch.<br />

Bio-W<strong>ein</strong> vom <strong>Walensee</strong><br />

Seit 1982 lassen Esther und Bruno Bosshart sowie Esther Bossharts<br />

Schwester Romy Grimm ihre Mutterkühe auf <strong>ein</strong>er Parzelle in Quinten<br />

weiden und tun das bis heute. In Berschis sind sie domiziliert und von dort<br />

aus bewirtschaften sie ihre Reben in Walenstadt, Flums, Sargans und<br />

Quinten. Sie experimentieren mit neuen Sorten (Baco Noir, DeChaunac,<br />

Maréchal Foch, Plantet, Rudelin, Seyval blanc) und alles biologisch. Auch<br />

die Mutterkuhhaltung.<br />

Zahnstocher für das Land<br />

300 Hektaren Wald gehören der Ortsgem<strong>ein</strong>de Quinten, darunter auch der<br />

Serenwald, den man als letzten durchwandert, bevor man, von Quinten her,<br />

nach Betlis kommt. Der Serenwald ist <strong>ein</strong> aussergewöhnlich schöner Lindenmischwald,<br />

aus dessen schönsten Linden Zündhölzer und Zahnstocher<br />

hergestellt werden.<br />

Höchster <strong>Wasser</strong>fall der Schweiz<br />

Der imposante Seerenbachfall oberhalb von Betlis, ist mit 600 m Höhe der<br />

höchste <strong>Wasser</strong>fall der Schweiz und gehört zu den höchsten <strong>Wasser</strong>fällen<br />

Europas. Daneben, am Fuss des Seerenbachfalls, tritt <strong>Wasser</strong> aus dem<br />

Fels, manchmal als tosender Bach, der in rund 40 m hohem Schwall über<br />

die Felswand schiesst, manchmal als dünnes, kaum sichtbares Rinnsal,<br />

manchmal gar nicht: Die Rinquelle. Ihr <strong>Wasser</strong> kommt von ennet den Bergen,<br />

aus <strong>ein</strong>em weit verzweigten Höhlensystem. Die am weitesten entfernten<br />

<strong>Ein</strong>speisegebiete des <strong>Wasser</strong>s liegen rund 13,5 km von der Austrittstelle<br />

entfernt. Während Jahrtausenden hat sich das <strong>Wasser</strong> s<strong>ein</strong>e<br />

Wege in in den Kalkst<strong>ein</strong> gegraben, indem weichere Bestandteile des Felsens<br />

aufgelöst und ausgeschwemmt wurden (Karst).<br />

<strong>Ein</strong>e Aussichtsplattform mit Infotafel am Fuss der Rinquelle und der Seerenbachfälle<br />

ist in kurzem Aufstieg von Betlis her erreichbar.<br />

www.amden.ch.<br />

Besondere Badi<br />

Hinter dir die Felswand, Hitze strahlt von ihr ab, Sträucher wachsen daraus<br />

hervor. Vor dir der See, glitzernd, funkelnd, manchmal grau. Dazwischen <strong>ein</strong><br />

schmaler Streifen ebenen Landes, <strong>ein</strong>ige Wiesen, Felsen. Das ist das<br />

Strandbad von Weesen am <strong>Walensee</strong>. Zu Fuss <strong>ein</strong>e Viertelstunde von<br />

Weesen-Fly Richtung Betlis.<br />

www.amden.ch<br />

Innovation trotz Randregion<br />

Zwischen <strong>Walensee</strong> und Sargans besteht <strong>ein</strong>e Anzahl von Firmen ganz gut<br />

im nationalen und internationalen Wettbewerb. Die Flumroc AG in Flums,<br />

mit 260 Mitarbeitenden ist <strong>ein</strong>e der grössten Arbeitgeberinnen der Region.<br />

Die landesweit führende Herstellerin von Wärmedämmprodukten aus<br />

St<strong>ein</strong>wolle ging aus der um die Jahrhundertwende in Flums gegründeten<br />

Kalziumkarbidfabrik Schmelzwerke Spoerry AG hervor.<br />

<strong>Ein</strong> anderes erfolgreiches Unternehmen ist Spoerry in Flums. Es stellt <strong>ein</strong><br />

Elektorsmog-Schutzgarn her: <strong>Ein</strong> hauchdünnes, in das Garn <strong>ein</strong>gefügte<br />

Metall-Monofilament verleiht dem Spezialgewebe s<strong>ein</strong>e Abschirmwirkung<br />

gegen elektromagnetische Strahlung. Bis heute ist dieses Garn <strong>ein</strong>zigartig.<br />

Die Firma besteht seit 1866, heute erarbeiten 145 Mitarbeitende rund 1400<br />

Tonnen Garn jährlich.<br />

Flumroc AG, Flums: Tel. + 41 81 734 11 11,www.flumroc.ch;<br />

www.spoerry-yarn.ch.<br />

Nächste Doppelseite:<br />

im See hat<br />

es Albeli, Felchen,<br />

Seesaiblinge,<br />

Seeforellen,<br />

Trüschen,<br />

Hechte, Egli und<br />

Alois Giger fischt.<br />

Walenstadt – Weesen<br />

46<br />

47

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