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Gisela Dischner: Oh Gott, ich bin mit diesem Mahnmal nicht sehr zufrieden, deswegen habe<br />

ich meine Schwierigkeiten damit. Ich denke, es ist etwas anderes, denn Nelly Sachs geht<br />

sozusagen in die Naturgeschichte. Das Mahnmal ist Kunst, künstlerisch, wobei Steine verwendet<br />

werden. Nelly Sachs spricht vom Erdball und daß wir auf einem glühenden Ball sind usw. Sie<br />

sieht den Zusammenhang auch vom Steinkohlenwald zum Diamanten – der Diamant ist ja<br />

ursprünglich ein Wald gewesen –, und diese Naturmetaphorik nimmt sie auf in ihre eigene<br />

Metaphorik. Deswegen würde ich das eigentlich in einer anderen Ebene sehen. Wobei, mir fällt<br />

dazu natürlich die Celan-Metapher ein: »Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt, / daß<br />

der Unrast ein Herz schlägt« – dieses Moment des Steins wird natürlich auch eine Metapher für<br />

Versteinerung, <strong>als</strong>o es kann sowohl negativ wie positiv sein und da käme ich dann auch auf die<br />

absolute Metapher zurück. Die absolute Metapher ist etwas, was in jeder Konstellation einen<br />

neuen Bezug haben kann, <strong>als</strong>o im Unterschied zum Symbol. Und im Unterschied zu<br />

zeichenhaften Symbolen, die noch da sind, die auch bei Celan, wie bei Nelly Sachs da sind, gibt<br />

es diese absolute Metapher, die überhaupt nur aus der Konstellation zu erklären ist. Also wenn<br />

Sie jetzt »Blauhaar« in einem anderen Zusammenhang lesen, könnte es etwas anderes bedeuten.<br />

Nun hat Nelly Sachs noch einen sehr festen Symbolkatalog. Ich hatte einen riesigen Zettelkasten<br />

dam<strong>als</strong>, es gab noch keine Computer, und darin habe ich über »Stern« und »Sand«, »Staub für<br />

Vergänglichkeit« usw. alles gesammelt. Das ist ein sehr fester Symbolkatalog bei ihr, während bei<br />

Celan, das hat Chris Bezzel mal so formuliert, eher eine »Privatsymbolik« vorherrscht. Eine die<br />

nicht traditionell ist. Das unterscheidet die beiden auch, würde ich sagen. Und die absolute<br />

Metapher gibt es eigentlich bei Nelly Sachs selten. In den späten Gedichten, in den Glühenden<br />

Rätseln zum Beispiel, aber bei Celan eben viel häufiger.<br />

AG: Und noch ein Satz aus Ihrer Dissertation, den ich aufgreifen möchte: »Das Ungeheuerliche hat sich im<br />

täglichen Umgang mit diesem verbraucht, es muß in seiner Ungeheuerlichkeit neu wahrgenommen werden. Deshalb<br />

kann es nicht mehr um die Mitteilung bekannter Tatsachen allein gehen, sondern um die Mitteilungsweise«. Diese<br />

Mitteilungsweise von Nelly Sachs findet momentan allerdings kaum noch Beachtung – woran liegt das?<br />

Gisela Dischner: Ich würde überhaupt sagen, daß diese schnellebige Zeit nicht sehr viel Raum<br />

und Zeit hat, sich auf etwas meditatives, langsames, wie diese Gedichte – und die Rezeption kann<br />

nur langsam und vorsichtig sein – einzulassen. Aber ich denke, es sind auch Zufälligkeiten, denn<br />

Celan wird weiterhin immer berühmter und bekannter und bei Nelly Sachs da ist das Gegenteil<br />

der Fall. Also ich würde mich anheischig machen zu sagen, wenn es gute Manager gäbe, dann<br />

würde auch Nelly Sachs bekannt und berühmt. Ich schätze das Werk von Celan mehr, das<br />

merken Sie ja, aber trotzdem finde ich es ungerecht, das von Nelly Sachs so wenig noch wirklich<br />

bekannt ist. Wenn man Studenten fragt, gibt es sehr viele, die den Namen noch nie gehört haben.<br />

So weit geht das. Während Paul Celan, danach können Sie heute beinahe jeden fragen. Die<br />

meisten haben schon mal etwas von der »Todesfuge« gehört, oder in einem Film irgend etwas<br />

gesehen oder etwas ähnliches, weil’s überall zitiert wird. Und ich denke, dieses sich »Verbrauchen<br />

des Ungeheuerlichen«, nimmt unglaublich zu. Es ist ja nicht etwa so, daß geistig der Faschismus<br />

überwunden wäre, wir haben ihn überall und er hat viel subtilere Formen angenommen, ich habe<br />

das einmal so formuliert: »es ist nicht mehr notwendig mit äußerer Gewalt zu arbeiten, weil jeder<br />

des anderen und sein eigener Polizist geworden ist.« Insofern ist diese ganze Gewalt noch viel<br />

stärker verinnerlicht, denke ich, und da wäre es durchaus sehr angebracht in dieser Richtung<br />

etwas aufmerksam zu werden. Ich denke aber, daß Nelly Sachs wieder kommen wird, daß<br />

überhaupt die Zeit wieder kommen wird.<br />

AG: Liegt das heute verbreitete Desinteresse an Nelly Sachs’ Werk vielleicht auch daran, daß sie sehr dicht<br />

hintereinander viele Preise verliehen bekam und dadurch – sage ich mal – abgenutzt wurde, bzw.<br />

instrumentalisiert?<br />

Gisela Dischner: Also instrumentalisiert wurde sie ganz sicher. Das habe ich ja auch kritisch im<br />

Apropos Nelly Sachs-Buch angemerkt – daß sie nämlich <strong>als</strong> Dichterin jüdischen Schicks<strong>als</strong> den<br />

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