2006-1 - NaturFreunde Deutschlands
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INTERVIEW<br />
TITEL<br />
Energiedebatte verdrängt Friedensfragen<br />
SPD-Experte Michael Müller konstatiert Gesinnungswandel beim Atomthema<br />
bMichael Müller, Staatssekretär im Umweltministerium,<br />
will den Energie-Gipfel mit<br />
der CDU als Startschuss fürs Energiesparen<br />
und für mehr Effizienz nutzen.<br />
2 Ein kleines Gedankenspiel, Herr Müller: Wir<br />
schreiben das Jahr 2009, die SPD bereitet sich<br />
auf den Wahlkampf vor. Wie viele Atomkraftwerke<br />
sind in Deutschland abgeschaltet?<br />
Michael Müller: Wahrscheinlich zwei weitere.<br />
2 Biblis A, Biblis B, Neckarwestheim, Brunsbüttel<br />
– nach dem Atomkonsens sollen vier Reaktoren<br />
bis 2009 abgeschaltet werden!<br />
Das stimmt begrenzt, es kommt nämlich auf die<br />
I Liquidatoren bei Aufräumarbeiten auf dem zerstörten Reaktor<br />
Intensität der Nutzung, Stillzeiten, etc. an. Die<br />
Betreiber können nach dem Atomkonsens Reststrommengen<br />
von Mühlheim-Kährlich auf Biblis<br />
B übertragen. Auch Neckarwestheim und Brunsbüttel<br />
könnten in die nächste Regierungsperio-<br />
de hinüber gerettet werden – bei gedrosseltem<br />
Betrieb und bei Brunsbüttel durch eine Übertragung<br />
von Restlaufzeiten des stillgelegten Reaktors<br />
Stade.<br />
2 Könnte es sein, dass die SPD 2009 in den<br />
Wahlkampf geht und kein AKW ist abgeschaltet?<br />
Biblis A wird abgeschaltet – ich sehe nicht, wie<br />
man das verhindern kann. Und bei Brunsbüttel<br />
glaube ich, dass der Betreiber etwas machen<br />
wird. Der Reaktor steht stark in der Kritik.<br />
2 „Etwas machen“ heißt was?<br />
Sanieren oder abschalten. Ich glaube aber nicht<br />
an die Sanierung. Das wird sehr teuer.<br />
2 Ihr Koalitionspartner, die Union, will den<br />
Atomkonsens am liebsten kippen, die AKWs<br />
länger laufen lassen.<br />
Es geht in dieser Debatte um die ältesten Kraftwerke,<br />
insbesondere um Biblis A. Ältere Kraft-<br />
werke besitzen wesentlich schlechtere Sicherheitssysteme<br />
als neuere: Sie haben dünnere<br />
Wände, weniger gut aufeinander abgestimmte<br />
Kühlsysteme, eine gefährliche Vermaschung von<br />
elektronischen und mechanischen Steuerungen.<br />
Wer Laufzeitverlängerungen vorschlägt, muss<br />
seinen Wählern sagen, dass es um diese alten<br />
Reaktoren geht. Ich wünsche dabei viel Spaß!<br />
2 Zerbricht die Koalition am Thema Atom?<br />
Die Kunst ist, dem Koalitionspartner klar zu machen,<br />
dass diese Frage eine Scheidelinie ist. Die<br />
Kampagne am Jahresanfang war der Versuch,<br />
Leute aus der SPD-Position herauszubrechen.<br />
CDU-Strategie war: Die Umweltleute der SPD zu<br />
isolieren und dann einzelne Prominente zu finden,<br />
die sich öffentlich äußern. Ich glaube, der<br />
Union ist klar geworden, wie fundamental die<br />
Frage für uns ist. Man kann das gut an Sigmar<br />
Gabriel erkennen: Obwohl der nicht aus der<br />
ökologischen Ecke kommt, hat er die SPD-Position<br />
unerbittlich und sehr hart vertreten.<br />
2 Dennoch wittern die Atombefürworter Morgenluft.<br />
Woran liegt das?<br />
Weltweit wird versucht, mit viel Geld Atomkraft<br />
wieder salonfähig zu machen. Hinzu kommen<br />
heute viele Menschen, die nicht durch die Anti-<br />
Atom-Bewegung geprägt sind, die aber die Kostenfrage<br />
oder den Klimaschutz anders bewerten.<br />
Entsprechend glaubt die Atom-Lobby punkten<br />
zu können. Und sie hat dafür augenscheinlich<br />
schlüssige Argumente: den Klimawandel oder<br />
die zunehmende Abhängigkeit von den schwindenden<br />
fossilen Rohstoffen. Gefährlich ist die<br />
Debatte, weil sie auf Unkenntnis setzt: Statt um<br />
Fakten geht es um Stimmungsmache. Ändert<br />
sich die Stimmung, werden sich auch die politischen<br />
Entscheidungen ändern, so das Kalkül.<br />
2 Atompolitik als neuer Zeitgeist?<br />
Das ist zumindest das Ziel der Lobbys. Der Zeitgeist<br />
war in den 70-er und 80-er Jahren nicht<br />
nur sehr stark geprägt durch die GAUs von Harrisburg<br />
oder Tschernobyl, sondern auch durch<br />
Atombomben, die als Hauptbedrohung empfunden<br />
wurden. In den Friedensdebatten gab es eine<br />
enge Verknüpfung zwischen Atom-Waffen und<br />
Atom-Strom. Richtig ist ja auch, dass die nukleare<br />
Stromerzeugung deshalb mit dem Programm<br />
‚Atom for peace’ in den 50-er Jahren so stark gefördert<br />
wurde, weil von der militärischen Seite<br />
abgelenkt werden sollte. Heute werden Atombomben<br />
nicht mehr als Super-Bedrohung empfunden,<br />
der Klimawandel dagegen schon. Das<br />
führt zu einer Relativierung des Gefahrenpotenzials<br />
„Atomkraftwerk“.<br />
2 Der Koalitionsvertrag schreibt fest, in dieser<br />
Legislatur ein Endlager finden zu wollen...<br />
Ein Endlager-Gesetz!<br />
2 Gut. Wie wollen Sie das erreichen?<br />
Als in den 50-er Jahren das Atomministerium ge-<br />
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