Grundwerte im Wilhelminischen Zeitalter - Praktikum macht Schule

Diskussionen oft nicht aufeinander. Damit ergibt sich ein weiterer Bereich, der zu üben
ist: Im Unterrichtsgespräch gilt es, die verschiedenen Beiträge miteinander zu verknüpfen
und die Verantwortung für den Gesprächsverlauf zusehends abzugeben. Positiv
entwickelt ist hingegen das soziale Klima der 10a. So sind selten Spannungen oder Misstöne
aufgetreten. Vielmehr sind die Schülerinnen und Schüler bemüht, rücksichtsvoll
miteinander umzugehen. Dies zeigt sich z.B. bei der Zusammensetzung der Gruppen
und nach Stundenausfällen bei der Suche nach Ausgleichsmöglichkeiten für die verlorene
Arbeitszeit.
2. Einordnung der Stunde
Seit Beginn des neuen Halbjahres wurden zwei Unterrichtseinheiten über Die nationale
deutsche Bewegung zwischen 1815 und 1848 sowie über Die Reichsgründung von 1849 bis
1871 abgeschlossen. Hier wurden die eigenwilligen Dynamiken einer politischen Entwicklung
von unten und oben nachvollzogen. Im Kontrast zu dieser Entwicklung (im
Sinne einer Ereignisgeschichte) geht es in der jetzigen Unterrichtseinheit um die gesellschaftliche
Entwicklung des Kaiserreiches (im Sinne einer Mentalitätsgeschichte). Zum
einen wird mit diesem Schwerpunkt den Ansprüchen des Stoffverteilungsplanes für das
Fach „Deutschsprachiger Geschichtsunterricht an den Deutschen Schulen auf der Iberischen
Halbinsel“ entsprochen 1 . Zum anderen wird mit dem Thema ein Blick in den vielschichtigen
Nährboden für die weitere deutsche Geschichte, den Ausbruch des Ersten
Weltkrieges, die Schwierigkeiten der Weimarer Republik, die Machtergreifung A. Hitlers
und den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eröffnet. Im Zentrum der Einheit stehen
dabei nicht politische Zäsuren, sondern vielmehr der Habitus einer ganzen Generation.
Deutlich wird hier die inhaltliche Akzentuierung dieser Unterrichtseinheit: Sie ist zuerst
systemisch ausgerichtet (mit Blick auf die Geisteshaltungen im Wilhelminischen Zeitalter)
und folgt nur bedingt einem chronologischen Muster (mit dem Umbruch im Dreikaiserjahr
1888). Damit wird ein zweiter Schwerpunkt berührt, das Verhältnis von Kontinuitäten
und Brüchen. Tatsächlich impliziert das Thema die Akzentuierung und Verbreitung
eines neuen gemeinsamen Wertekanons im Deutschen Reich und damit die Grundlage
für die Stimmungslage vor dem Ersten Weltkrieg. Methodisch stehen im Zentrum dieser
Unterrichtseinheit nach der Analyse von Karikaturen und Techniken der Quellenreduktion
vor allem Umgangsweisen mit Sachtexten. (Damit wird auch das Fach Deutsch berührt,
denn hier wird am 17. Mai die letzte Klausur zur Analyse von Sachtexten geschrieben.)
Die Prüfungsstunde befindet sich relativ am Anfang der Unterrichtseinheit. Nachdem zu
Beginn die Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles anhand einer autobiographischen
Erinnerung des Malers Anton von Werner wiederholt wurde, und vor der Prüfungsstunde
in einer Doppelstunde die Lehrbuchseiten (a) zur Bedeutung des Militärs,
(b) zur Rolle der Frau, (c) zum nationalen Selbstbild sowie (d) zum Umgang mit Andersdenkenden
in Gruppen erarbeitet wurden, sollen nun die Ergebnisse referiert werden.
Damit eröffnet sich die Möglichkeit, die verschiedenen Anstrengungen um eine
gemeinschaftliche deutsche Identität am Ende des 19. Jahrhunderts nachzuvollziehen 2 .
3. Sachanalyse
Am 18. Januar 1871 fand im Spiegelsaal von Versailles die Kaiserproklamation von Wilhelm
I. statt. Damit einher ging die Gründung des Deutschen Reiches. Schon am 16. April
trat die Verfassung in Kraft. Der neue deutsche Nationalstaat entwickelte sich schnell,
dabei suchte er sein Selbstbild nicht nur über politische Strukturen und eine außenpolitische
Neuorientierung, sondern auch mittels unterschiedlicher Wertemuster und Refe-
1 Vgl. Stoffverteilungsplan für das Fach Deutschsprachiger Geschichtsunterricht an den Deutschen Schulen auf der
Iberischen Halbinsel. Klasse 10, Punkt 2.
2 Das Ende der achtstündigen Unterrichtseinheit wird mit dem Film „Der Untertan“ von W. Staudte beschlossen.
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