Xavier Koller - Privera
Xavier Koller - Privera
Xavier Koller - Privera
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interview<br />
<strong>Xavier</strong> <strong>Koller</strong> kommt mit federndem Schritt und<br />
In den letzten Jahren<br />
wachen Augen zum Interview. Die Sonne sei-<br />
sind ja zuerst auf dem<br />
ner Wahlheimat Kalifornien ist ihm anzusehen.<br />
Berner Hausberg Gur-<br />
«Wie viel Zeit haben wir?», fragt er. <strong>Koller</strong> ist ein<br />
ten ein Theaterstück<br />
gefragter Mann, der Drehplan dichtbepackt. Be-<br />
und später das Musical<br />
reits wartet der Regieassistent für die nächste<br />
«Dällebach Kari» erfolg-<br />
Besprechung mit <strong>Koller</strong>. Doch der charismati-<br />
reich aufgeführt wor-<br />
sche, erfahrene Filmer bleibt gelassen.<br />
den. Da wurde ich angefragt, ob ich nicht einen<br />
<strong>Xavier</strong> <strong>Koller</strong> zündet sich eine Zigarette an, die<br />
Es hat sich für Sie also nichts verändert?<br />
Wo erleben Sie Heimat?<br />
Ja, ich glaube schon. Natürlich verändern sich<br />
Film drehen wolle – obwohl es ja bereits den<br />
Sonnenbrille hält seinen klaren, starken Blick<br />
Sicher hat der Wegzug eine klarere Sicht<br />
Heimat wird ja immer primär mit einem Land in<br />
auch die Sehgewohnheiten. Neue Formen<br />
Wie laufen die Dreharbeiten?<br />
bekannten «Dällebach Kari»-Film von Kurt Früh<br />
nicht zurück. Der Rauch steigt in den Mittags-<br />
gebracht auf meine Herkunft. Ich habe die<br />
Verbindung gebracht. Für mich ist Heimat aber<br />
werden entstehen. Aber ich habe den Eindruck,<br />
Es läuft gut! Aber wir haben ein strenges Pro-<br />
gibt. Ich habe zugesagt, das Drehbuch zu<br />
himmel, die Hände unterstreichen seine Worte.<br />
Schweiz aber nie als langweilig empfunden.<br />
vor allem ein Gefühl. Ein Gefühl von Identität.<br />
dass es am Schluss Geschichten sind, die über-<br />
gramm.<br />
schreiben und Regie zu führen. Mich hat inte-<br />
<strong>Koller</strong> spricht ruhig, gleichzeitig beherzt.<br />
Ich wollte noch nie kein Schweizer sein. Ich<br />
Und Identität spüre ich in der eigenen Kultur,<br />
leben. So wie das Theater überlebt und wie<br />
ressiert, die Geschichte anders zu erzählen.<br />
bin ja auch drei- bis viermal pro Jahr hier. Das<br />
die man in sich trägt. Und so ist Heimat für<br />
die griechische Tragödie und Komödie überlebt<br />
Wie kommt ein Regisseur, der seit<br />
Woher kommt Ihre Passion für den Film?<br />
macht es möglich, verbunden zu bleiben. Es<br />
mich dort, wo ich mich wohlfühle, dort wo die<br />
haben. Am Schluss wollen die Leute ja Geschich-<br />
20 Jahren in Los Angeles lebt und arbeitet,<br />
Wie lässt sich eine bekannte Geschichte<br />
Und wie bleiben Sie immer<br />
waren meine Neugier und «Opportunity», die<br />
Familie ist, wo die Nächsten und die Freunde<br />
ten sehen. Gute, starke Charaktergeschichten<br />
auf einen Stoff wie «Dällebach Kari?»<br />
anders erzählen?<br />
wieder neugierig auf Geschichten?<br />
mich nach Los Angeles gebracht haben. Ich bin<br />
sind. Die Heimat kann wandern, die ist nicht<br />
werden immer erhalten bleiben. Die Formen<br />
Ich will die Geschichte nicht von der «Dällebach<br />
Ein gewisser Teil ist schlicht darin zu suchen,<br />
auch einem Traum nachgegangen. Und dieser<br />
ortsgebunden.<br />
der Vermittlung werden sich verändern, aber<br />
Dällebach Kari<br />
Kari»-Legende aus erzählen, sondern vom Menschen<br />
aus, der dann zur Legende wurde. Wer<br />
wie ich bin. Ich verspüre einfach eine grosse<br />
Lust am Film – ich habe den Film gern, ich habe<br />
Traum war auch nicht nur rosig.<br />
Wo fühlen Sie sich denn zu Hause?<br />
die Empfindung gegenüber einer Geschichte<br />
bleibt. Es wird noch sehr lange dauern, bis wir<br />
die Geschichte<br />
war dieser Mensch, der sich selber nicht genüg-<br />
die Schauspieler gern und ich habe die Cha-<br />
Und, ganz konkret: Wie wohnen Sie<br />
Zombies sind und die Geschichten «plugged in»<br />
te, wer war dieser scheinbar Witzige, der doch<br />
raktere gern! Das kann man nicht steuern, das<br />
in Los Angeles?<br />
erhalten bei der Geburt.<br />
◂<br />
Kari wird gegen Ende des 19. Jahrhun-<br />
einen so grossen Schmerz mit sich herumtrug?<br />
ist ja kein Willensentscheid. Und ich habe zu<br />
(lacht) … ob ich in einem Schloss lebe? Nein,<br />
derts als jüngstes von acht Kindern der<br />
gewissen Geschichten halt eine besondere<br />
nein. Im «Dällebach Kari» gibt es eine Stelle, an<br />
verarmten Bauernfamilie Tellenbach mit<br />
einer Hasenscharte geboren. Der Arzt<br />
Weshalb berührt eine Figur wie Dällebach<br />
Kari noch heute?<br />
Zuneigung. Wenn man zurückschaut auf die<br />
Filme, die ich gemacht habe, sieht man, dass<br />
der Kari gefragt wird, wo er wohne. Und Kari<br />
sagt: «Ich wohne dort, wo ich zu Hause bin.»<br />
<strong>Xavier</strong> <strong>Koller</strong><br />
empfiehlt den Eltern, das Neugeborene<br />
Dällebach Kari kommt 1877 mit einer Hasen-<br />
es immer Geschichten von Aussenseitern sind,<br />
wie eine junge Katze zu ertränken.<br />
Doch Margaretha, die Mutter, füttert<br />
scharte zur Welt. In seiner Zeit gibt es da nur<br />
kleine Überlebenschancen. Man muss sich<br />
von Menschen, die nicht integriert sind in die<br />
Gesellschaft. Es sind zwar nicht unbedingt ein-<br />
Dällebach Kari<br />
<strong>Koller</strong> macht eine Pause, das Feuerzeug<br />
schnappt, wieder klettert weisser Rauch der<br />
1944 im Kanton Schwyz<br />
geboren, absolviert <strong>Xavier</strong><br />
ihren Kari wie einen aus dem Nest ge-<br />
fragen: Wie hat er überlebt? – Es ist die Mutter,<br />
fach Rebellen von Natur aus. Sie sind Rebellen,<br />
der Film<br />
Sonne zu. Der Regisseur lehnt sich zurück,<br />
<strong>Koller</strong> zunächst eine vier-<br />
fallenen Vogel durch. Kari ist eine<br />
die ihm hilft zu überleben. Ihre Liebe ist ein<br />
weil sie sich für etwas Menschliches und Ge-<br />
lächelt und spricht weiter.<br />
jährige Lehre als Mechaniker,<br />
Frohnatur, er glaubt an das Schöne im<br />
Grundstein für sein Leben. Genauso wie der<br />
rechtes einsetzen.<br />
Von Anfang Juli bis Mitte August drehte<br />
danach folgen drei Jahre<br />
Leben. Mit Anfang zwanzig verliebt er<br />
Geburtsfehler ein Grundstein ist für sein Emp-<br />
<strong>Xavier</strong> <strong>Koller</strong> in und um Bern während<br />
In Los Angeles lebe ich mit meiner Frau und<br />
Ausbildung an der Schau-<br />
sich bei einem Schwingfest unsterblich<br />
finden. Dem gehe ich in meinem Film nach. Als<br />
Ihr Lebensalltag ist in Los Angeles, jetzt<br />
31 Drehtagen den «Dällebach-Kari»-<br />
meiner 15-jährigen Tochter, zwei Hunden und<br />
spielakademie in Zürich.<br />
in die hübsche, aus reichem Haus<br />
sich die schöne Annemarie in Kari verliebt, wirft<br />
drehen Sie wieder einmal in der Schweiz<br />
Film – an insgesamt 62 verschiedenen<br />
einer Katze in einem kleinen Haus. Wir haben<br />
Später erhält er Engagements<br />
stammende Annemarie Geiser. Die fein-<br />
ihn das total aus dem Konzept. Denn es tritt<br />
in einer völlig anderen Umgebung.<br />
Drehorten, hauptsächlich in der Berner<br />
einen Garten. Dort wachsen Zitronen- und<br />
in Deutschland und der<br />
fühlige, zarte und humorvolle junge<br />
ein, was er sich erträumt hat – und doch traut<br />
Welche markanten Unterschiede erleben<br />
Innenstadt. Nebst einer Filmcrew aus<br />
Orangenbäume, im Sommer natürlich Tomaten,<br />
Schweiz als Schauspieler und<br />
Frau erwidert seine Gefühle bedin-<br />
er dem nicht. Er fragt sich: Genüge ich dieser<br />
Sie dabei?<br />
55 Mitarbeitenden und 35 Schauspielern<br />
Basilikum, Rosmarin und alles, was dazuge-<br />
Regisseur. <strong>Xavier</strong> <strong>Koller</strong><br />
gungslos. Das Glück scheint perfekt.<br />
Sehnsucht, die ich in mir trage? Das sind ganz<br />
Ja, ich lebe jetzt schon längere Zeit an einem<br />
waren auch 250 Statisten am Werk.<br />
hört. – Meine Tochter geht in Los Angeles zur<br />
realisiert zahlreiche TV-Serien,<br />
Doch als Kari bei der Familie Geiser<br />
primäre Fragen des Lebens. Wir alle haben ja<br />
anderen Ort. Klar erlebe ich in Los Angeles eine<br />
Eine Cateringfirma lieferte jeden Mittag<br />
Schule. Das ist auch ein Grund, weshalb wir dort<br />
TV-Filme und Kinofilme.<br />
antanzen muss, nimmt dieses ein<br />
das Gefühl, wir seien nicht perfekt, der Bauch<br />
andere Kultur als in der Schweiz. Aber ich finde,<br />
60 bis 80 Menüs direkt aufs Filmset.<br />
sesshaft geworden sind.<br />
Für «Reise der Hoffnung»<br />
jähes Ende. Seine Minderwertigkeits-<br />
sei zu dick oder die Haare seien zu dünn oder<br />
es spielt eigentlich keine grosse Rolle, wo<br />
Der Kinofilm kommt voraussichtlich im<br />
erhält er 1991 den Oscar für<br />
gefühle holen Kari in übermächtiger<br />
zu grau, oder was immer … Mit diesem inneren<br />
man lebt und arbeitet. Der Blick auf das eigene<br />
Dezember in die Kinos.<br />
Zurück zum Film: Fast jeder trägt heute<br />
den besten ausländischen<br />
Weise ein – er verliert alles, was ihm<br />
Konflikt wird die Geschichte aus dem Lokalen<br />
Leben, auf die eigene Jugend, auf die eigenen<br />
mit seinem Handy auch eine Filmkamera<br />
Film.<br />
lieb und teuer war.<br />
herausgehoben und damit zugänglich für eine<br />
Erfahrungen bleibt im Grunde genommen im-<br />
www.daellebachfilm.ch<br />
mit sich herum und filmt.<br />
grössere Anzahl von Leuten.<br />
mer gleich.<br />
Verändert diese Entwicklung das Kino?<br />
12 PRIVERA magazin 2011<br />
PRIVERA magazin 2011 13