Alexithymie in der psychosomatischen Rehabilitation - Abteilung für ...
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<strong>Alexithymie</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>psychosomatischen</strong> <strong>Rehabilitation</strong><br />
Grundlagen, Messung und Relevanz<br />
Jochen Müller<br />
Lehrstuhl <strong>für</strong> Psychologie I, Universität Würzburg
Übersicht<br />
1. Def<strong>in</strong>ition von <strong>Alexithymie</strong><br />
2. Erfassung von <strong>Alexithymie</strong><br />
3. Prävalenz<br />
4. <strong>Alexithymie</strong> und Erkrankungen<br />
5. Behandlungsmöglichkeiten
Fallbeschreibung<br />
• Geschiedene Physiotherapeut<strong>in</strong>, Ende 40<br />
• Vor 8 Jahren Operation e<strong>in</strong>er entzündeten Stirnhöhle<br />
• Viele rätselhafte und mediz<strong>in</strong>isch ungeklärte<br />
somatische Symptome<br />
– Gesichtsschmerz<br />
– Brennen auf dem Kopf<br />
– Schwächeanfälle<br />
• Auszug aus e<strong>in</strong>em Interview:<br />
– Frage nach Gefühlen: Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Symptome
• Wie ist es, sich wütend zu fühlen?<br />
Nun, es ist e<strong>in</strong> Ausdruck den ich benutze, aber <strong>in</strong> Wirklichkeit ist es schwierig, es <strong>in</strong> Worte zu<br />
fassen.<br />
• Können Sie versuchen, es <strong>in</strong> Worte zu fassen?<br />
Es schil<strong>der</strong>t was passiert ist und überhaupt ke<strong>in</strong>e Antworten zu bekommen, als sich dieser<br />
Druck <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Kopf aufbaute ... [weitere Beschreibung von Körpersymptomen]<br />
• Haben Sie Schwierigkeiten, die meisten Ihrer Emotionen zu beschreiben?<br />
Ich habe nie wirklich drüber nachgedacht.<br />
• Was ist mit traurigen Gefühlen; werden Sie jemals traurig?<br />
Ich glaube, je<strong>der</strong> wird das zu e<strong>in</strong>em gewissen Grad. Aber ich glaube nicht, dass ich es je war.<br />
• Wissen Sie, wie Traurigkeit ist?<br />
Ja, ich glaube schon. Ich habe mich bestimmt um e<strong>in</strong>ige Leute gekümmert, die traurig waren.<br />
• Haben Sie es selbst gefühlt?<br />
Ich glaube nicht.<br />
• Welche Art von Gefühlen erleben Sie gewöhnlich?<br />
Ich f<strong>in</strong>de es schwer das zu sagen.
Frühe Beschreibungen<br />
• Infantile Personalities (Ruesch, 1948)<br />
• Emotionale Analphabeten (Friedman & Sweet, 1954)<br />
• Pensée Opératoire (Marty & DeM‘Uzan, 1963)<br />
• Psychosomatisches Phänomen (Stephanos, 1973)<br />
• P<strong>in</strong>occhio-Syndrom (Sellschopp-Rüppel & von Rad, 1977)<br />
– „hölzern, langweilig, fehlende Introspektion, ke<strong>in</strong> Gefühlsbericht“
Herleitung und Konzeptualisierung<br />
des Begriffes <strong>Alexithymie</strong><br />
• Prägung des Begriffes durch Sifneos (1972)<br />
• A-lexi-thymie = „Fehlen von Worten <strong>für</strong> Gefühle“<br />
– A = Fehlen<br />
– Lexis = Wort<br />
– Thymos = Gefühl<br />
• Dimensionales Persönlichkeitsmerkmal<br />
• Defizit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verarbeitung und Regulation von<br />
Emotionen
Beschreibung von Gefühlen <strong>in</strong><br />
emotionalen Situationen<br />
• Verwirrung<br />
– „Ich weiß es nicht“<br />
• Vage o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>fache Antworten<br />
– „Ich habe mich schlecht gefühlt“<br />
• Bericht von Körperempf<strong>in</strong>dungen<br />
– „Ich hatte Magenschmerzen“<br />
• Beschreibung von Verhalten o<strong>der</strong> externen Faktoren<br />
– „Er hat dies getan, und ich habe das getan“
Def<strong>in</strong>ition<br />
(1) Schwierigkeiten, eigene Gefühle zu beschreiben<br />
und an<strong>der</strong>en mitzuteilen<br />
(2) Schwierigkeiten, eigene Gefühle zu identifizieren<br />
und von körperlichen Empf<strong>in</strong>dungen zu<br />
unterscheiden<br />
(3) Mangel an Fantasie und Vorstellungsfähigkeit<br />
(4) Extern orientierter Denkstil (pensée opératoire)<br />
- Konkret, realitätsbezogen, handlungsorientiert,<br />
fehlende Tagträume und Er<strong>in</strong>nerung an Träume<br />
(Sifneos,1996; Taylor & Bagby, 2000)
Messung<br />
• Selbstbeurteilung<br />
– Toronto <strong>Alexithymie</strong>-Skala: TAS-20 (Bagby et al., 1994)<br />
– Bermond-Vorst Alexithymia Questionnaire (BVAQ)<br />
(Vorst & Bermond, 2001)<br />
• Fremdbeurteilung<br />
– Observer Alexithymia Scale: OAS (Haviland et al., 2000)<br />
• Sprachliche Fähigkeiten <strong>in</strong> Vignetten<br />
– Levels of Emotional Awareness Scale: LEAS<br />
(Lane et al., 1990)
Toronto-<strong>Alexithymie</strong><br />
<strong>Alexithymie</strong>-Skala<br />
(TAS-20)<br />
Bagby, , Parker & Taylor (1994)<br />
Selbstbeurteilungsverfahren:<br />
• Schwierigkeiten, Gefühle zu beschreiben<br />
– Es fällt mir schwer, die richtigen Worte <strong>für</strong> me<strong>in</strong>e Gefühle zu f<strong>in</strong>den.<br />
– Ich f<strong>in</strong>de es schwierig zu beschreiben, was ich <strong>für</strong> an<strong>der</strong>e Menschen<br />
empf<strong>in</strong>de.<br />
• Schwierigkeiten, Gefühle zu identifizieren<br />
– Mir ist oft unklar, welche Gefühle ich gerade habe.<br />
– Ich b<strong>in</strong> oft über Vorgänge <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Körper verwirrt.<br />
• Extern orientierter Denkstil<br />
– Ich gehe Problemen lieber auf den Grund, als sie nur zu beschreiben.<br />
– Sich mit Gefühlen zu beschäftigen f<strong>in</strong>de ich sehr wichtig.
Korrelation mit negativer Affektivität<br />
(Psychosomatikpatienten)<br />
• Depression<br />
• Angst<br />
• Angstsensitivität<br />
• Neurotizismus<br />
r = 0.51 – 0.55 (SDS, BDI)<br />
r = 0.48 (MAS)<br />
r = 0.53 (ASI)<br />
r = 0.49 (NEO-FFI)<br />
Zusammenhang mittlerer Höhe mit negativer<br />
Affektivität
Observer-<strong>Alexithymie</strong><br />
<strong>Alexithymie</strong>-Skala<br />
(OAS)<br />
Haviland, Warren & Riggs (2000)<br />
Fremdbeurteilungsverfahren:<br />
• Distanziertheit<br />
– Er o<strong>der</strong> sie ist e<strong>in</strong>e gefühlvolle Person.<br />
• Mangelnde E<strong>in</strong>sicht<br />
– Er o<strong>der</strong> sie hat Mühe mit den richtigen Worten se<strong>in</strong>e o<strong>der</strong><br />
ihre Gefühle zu beschreiben.<br />
• Somatisierung<br />
– Er o<strong>der</strong> sie ist häufig besorgt um se<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> ihren Körper.<br />
• Humorlosigkeit<br />
– Er o<strong>der</strong> sie hat guten S<strong>in</strong>n <strong>für</strong> Humor.<br />
• Steifheit<br />
– Er o<strong>der</strong> sie ist steif; unnachgiebig.
<strong>Alexithymie</strong>forschung<br />
(2001 & 2002, N = 164; Lumley, 2003)<br />
Gesundheit<br />
27%<br />
Reviews<br />
5%<br />
Grundlagen<br />
6%<br />
Verhalten<br />
11%<br />
Psychische<br />
Gesundheit<br />
14%<br />
Psychometrik<br />
13%<br />
Kognitiv /<br />
Sozial<br />
12%<br />
Physiologie<br />
12%
Prävalenz: eigene Daten<br />
(TAS-20)<br />
100%<br />
90%<br />
80%<br />
40,1<br />
50<br />
58,3<br />
56,5<br />
25,4<br />
42,5<br />
84,0 73,2<br />
Alexithym<br />
Grenzbereich<br />
Nicht alexithym<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
Alexithym: TAS > 60<br />
Nicht-alex.: TAS < 52<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
34,6 25 19,7 14,5 50,7 27,4 5,0 4,3<br />
Psychosomatik (n = 347)<br />
Psychosomatik (n = 124)<br />
Psychosomatik (n = 127)<br />
Alkoholiker (n = 62)<br />
Depressive (n = 67)<br />
Psychiatrie (n = 200)<br />
Erwachsene (n = 282)<br />
Studenten (n = 138)<br />
Häufigkeit
Prävalenz: Internationale Daten<br />
(TAS)<br />
Häufigkeit<br />
100%<br />
90%<br />
80%<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
10,2 13 31,4 42,2 53 50 77 27,5 37,5 55,3<br />
Allgeme<strong>in</strong>bev. deutsch<br />
Allgeme<strong>in</strong>bev. f<strong>in</strong>nisch<br />
Pathologisches Spielen<br />
Somatoforme Störungen<br />
Chronif. Schmerzsyndrom<br />
Abhängigkeitserkrankungen<br />
Esstörungen<br />
Rheumatoide Arthritis<br />
M. Crohn / Colitis ulcerosa<br />
Hypertonie<br />
• Allgeme<strong>in</strong>bev. Deutsch<br />
(n = 2047; Brosig 2004)<br />
• Allgeme<strong>in</strong>bev. F<strong>in</strong>nisch<br />
(n = 1285; Salm<strong>in</strong>en, 1999)<br />
• Pathologisches Spielen<br />
(n = 1147; Lumley, 1995)<br />
• Somatoforme Störungen<br />
(n = 45; Bach, 1994)<br />
• Chron. Schmerzsyndrom<br />
(n = 55; Cox, 1994)<br />
• Abhängigkeitserkrankung<br />
(n = 169; Haviland, 1994)<br />
• Esstörungen<br />
(n = 48; Bourke, 1992)<br />
• Rheumatoide Arthritis<br />
(n = 40; Fernandez, 1989)<br />
• M. Crohn/Colitis ulcerosa<br />
(n = 112; Porcelli, 1995)<br />
• Essenzielle Hypertonie<br />
(n = 114; Todarello, 1995)
<strong>Alexithymie</strong> &<br />
Gesundheitsprobleme<br />
• Verglichen mit Gesunden ist Prävalenz von<br />
<strong>Alexithymie</strong> erhöht bei Patienten mit:<br />
– Rheumatoi<strong>der</strong> Arthritis, Bluthochdruck,<br />
entzündlicher Darmerkrankung, KHK,<br />
Brustschmerz, Brustkrebs, Diabetes,<br />
Kopfschmerzen, Fettsucht, chronischen<br />
Schmerzen, Essstörungen, Nierenerkrankungen,<br />
Magengeschwüren, HIV, Fibromyalgie,<br />
Panikstörung, Impotenz, Sexueller Dysfunktion,….<br />
• <strong>Alexithymie</strong> als Risikofaktor?<br />
• Wirkmechanismus?
4 mögliche m<br />
Interpretationen<br />
(Lumley et al., 1996; nach Cohen & Rodriguez, 1995)<br />
1) <strong>Alexithymie</strong> trägt bei zur biologischen Ebene von Erkrankungen<br />
(Gewebepathologie: Sterblichkeit, Laborbefunde, kl<strong>in</strong>ische Beobachtungen)<br />
a) über physiologische Verän<strong>der</strong>ungen<br />
b) über ungesundes Verhalten<br />
2) <strong>Alexithymie</strong> trägt bei zur psychosozialen Ebene<br />
von Erkrankungen<br />
(Bericht und Verhalten: Schmerzen, Symptome,<br />
Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung, Stimmung, Behandlungssuche)<br />
a) über Symptome<br />
b) über Behandlungssuche<br />
3) <strong>Alexithymie</strong> resultiert aus Krankheit<br />
(“sekundäre <strong>Alexithymie</strong>”)<br />
Drittvariablen<br />
Physiologischer<br />
Pfad<br />
4) Drittvariablen verursachen <strong>Alexithymie</strong> und Krankheit<br />
Biologisch<br />
<strong>Alexithymie</strong><br />
Krankheit<br />
Störung<br />
Kognitiver<br />
Pfad<br />
Verhaltenspfad<br />
Psychosozial<br />
Sozialer<br />
Pfad
4 mögliche m<br />
Interpretationen<br />
(Lumley et al., 1996; nach Cohen & Rodriguez, 1995)<br />
1) <strong>Alexithymie</strong> trägt bei zur biologischen Ebene von Erkrankungen<br />
(Gewebepathologie: Sterblichkeit, Laborbefunde, kl<strong>in</strong>ische Beobachtungen)<br />
a) über physiologische Verän<strong>der</strong>ungen<br />
b) über ungesundes Verhalten<br />
2) <strong>Alexithymie</strong> trägt bei zur psychosozialen Ebene<br />
von Erkrankungen<br />
(Bericht und Verhalten: Schmerzen, Symptome,<br />
Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung, Stimmung, Behandlungssuche)<br />
a) über Symptome<br />
b) über Behandlungssuche<br />
Drittvariablen<br />
Physiologischer<br />
Pfad<br />
<strong>Alexithymie</strong><br />
Kognitiver<br />
Pfad<br />
Sozialer<br />
Pfad<br />
3) <strong>Alexithymie</strong> resultiert aus Krankheit<br />
(“sekundäre <strong>Alexithymie</strong>”)<br />
4) Drittvariablen verursachen <strong>Alexithymie</strong> und Krankheit<br />
Biologisch<br />
Krankheit<br />
Störung<br />
Verhaltenspfad<br />
Psychosozial
4 mögliche m<br />
Interpretationen<br />
(Lumley et al., 1996; nach Cohen & Rodriguez, 1995)<br />
1) <strong>Alexithymie</strong> trägt bei zur biologischen Ebene von Erkrankungen<br />
(Gewebepathologie: Sterblichkeit, Laborbefunde, kl<strong>in</strong>ische Beobachtungen)<br />
a) über physiologische Verän<strong>der</strong>ungen<br />
b) über ungesundes Verhalten<br />
2) <strong>Alexithymie</strong> trägt bei zur psychosozialen Ebene<br />
von Erkrankungen<br />
(Bericht und Verhalten: Schmerzen, Symptome,<br />
Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung, Stimmung, Behandlungssuche)<br />
a) über Symptome<br />
b) über Behandlungssuche<br />
Drittvariablen<br />
Physiologischer<br />
Pfad<br />
<strong>Alexithymie</strong><br />
Kognitiver<br />
Pfad<br />
Sozialer<br />
Pfad<br />
3) <strong>Alexithymie</strong> resultiert aus Krankheit<br />
(“sekundäre <strong>Alexithymie</strong>”)<br />
4) Drittvariablen verursachen <strong>Alexithymie</strong> und Krankheit<br />
Biologisch<br />
Krankheit<br />
Störung<br />
Verhaltenspfad<br />
Psychosozial
4 mögliche m<br />
Interpretationen<br />
(Lumley et al., 1996; nach Cohen & Rodriguez, 1995)<br />
1) <strong>Alexithymie</strong> trägt bei zur biologischen Ebene von Erkrankungen<br />
(Gewebepathologie: Sterblichkeit, Laborbefunde, kl<strong>in</strong>ische Beobachtungen)<br />
a) über physiologische Verän<strong>der</strong>ungen<br />
b) über ungesundes Verhalten<br />
2) <strong>Alexithymie</strong> trägt bei zur psychosozialen Ebene<br />
von Erkrankungen<br />
(Bericht und Verhalten: Schmerzen, Symptome,<br />
Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung, Stimmung, Behandlungssuche)<br />
a) über Symptome<br />
b) über Behandlungssuche<br />
Drittvariablen<br />
Physiologischer<br />
Pfad<br />
<strong>Alexithymie</strong><br />
Kognitiver<br />
Pfad<br />
Sozialer<br />
Pfad<br />
3) <strong>Alexithymie</strong> resultiert aus Krankheit<br />
(“sekundäre <strong>Alexithymie</strong>”)<br />
4) Drittvariablen verursachen <strong>Alexithymie</strong> und Krankheit<br />
Biologisch<br />
Krankheit<br />
Störung<br />
Verhaltenspfad<br />
Psychosozial
<strong>Alexithymie</strong> verursacht<br />
biologische Krankheit: H<strong>in</strong>weise<br />
Kauhanen (1996): <strong>Alexithymie</strong> als Prädiktor <strong>für</strong> erhöhtes<br />
Sterberisiko über 5.5 Jahre bei 2297 Männern (Alter 42–60)<br />
– 132 Todesfälle (27 gewaltsam)<br />
– TAS: Höchste 20% / niedrigste<br />
60%<br />
– 2x Risiko <strong>für</strong> Gesamtsterblichkeit<br />
3x Risiko <strong>für</strong> gewaltsamen Tod<br />
– Kontrolle konfundieren<strong>der</strong><br />
Variablen (demografisch,<br />
Gesundheitsverhalten, KV<br />
Risikofaktoren, soziale Faktoren,<br />
Depression)<br />
– Mechanismus noch unklar
Trägt A. bei zur biologischen Ebene<br />
(1a) über verän<strong>der</strong>te Physiologie?<br />
<strong>Alexithymie</strong><br />
Drittvariablen<br />
Physiologischer<br />
Pfad<br />
Verhaltens-<br />
Pfad<br />
Kognitiver<br />
Pfad<br />
Sozialer<br />
Pfad<br />
Krankheit<br />
Störung<br />
Biologisch<br />
Psychosozial
Physiologische Reaktivität:<br />
t:<br />
Untersuchung mit Patienten<br />
• Auswahl von 82 Psychosomatikpatienten (39<br />
Männer) aus n = 347 nach TAS-20-Grenzwerten<br />
• Mittleres Alter 46 Jahre<br />
• Experiment mit 39 hoch und 43 niedrig Alexithymen<br />
– Induktion von Emotionen durch Filmausschnitte<br />
(Ärger: „Cry Freedom“, Traurigkeit: „Lovestory“)<br />
– Induktion von kognitivem Stress<br />
• Messung von Herzrate und Hautleitfähigkeitsniveau<br />
Müller (2002)
Physiologische Reaktionen bei<br />
Psychosomatikpatienten<br />
Ke<strong>in</strong>e Unterschiede zwischen hoch und niedrig alexithymen Patienten<br />
Herzrate<br />
Hautleitfähigkeit<br />
86<br />
84<br />
Hoch alexithym<br />
Niedrig alexithym<br />
7<br />
Hoch alexithym<br />
Niedrig alexithym<br />
Herzrate (Schläge / M<strong>in</strong>ute)<br />
82<br />
80<br />
78<br />
76<br />
74<br />
72<br />
Hautleitfähigkeit (µS)<br />
6<br />
5<br />
4<br />
70<br />
3<br />
0<br />
Basel<strong>in</strong>e Test Basel<strong>in</strong>e Film Basel<strong>in</strong>e Film<br />
0<br />
Basel<strong>in</strong>e Test Basel<strong>in</strong>e Film Basel<strong>in</strong>e Film<br />
Stress Ärger Traurigkeit<br />
Stress Ärger Traurigkeit
<strong>Alexithymie</strong> und<br />
physiologische Aktivität<br />
Anzahl Studien mit dem Vergleich hoch und niedrig Alexithymer (TAS)<br />
<strong>in</strong> peripherphysiologischer Aktivität (tonisch und reaktiv)<br />
Anzahl Studien<br />
15<br />
14<br />
13<br />
12<br />
11<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
10<br />
8<br />
6<br />
5<br />
2<br />
> = > = <<br />
Tonisches Niveau Reaktivität auf Stressoren / Emotionen<br />
• Vere<strong>in</strong>zelt H<strong>in</strong>weise auf<br />
erhöhte sympathische<br />
Aktivierung bei Ruhe<br />
(Basel<strong>in</strong>e).<br />
• Wenig H<strong>in</strong>weise <strong>für</strong><br />
Hyper-Reaktivität<br />
• Mehr Belege <strong>für</strong> normale<br />
o<strong>der</strong> Hypo-Reaktivität<br />
auf verschiedene<br />
Stressoren<br />
Physiologie bei hoch Alexithymen
Trägt A. bei zur biologischen Ebene<br />
(1b) über ungesundes Verhalten?<br />
<strong>Alexithymie</strong><br />
Drittvariablen<br />
Physiologischer<br />
Pfad<br />
Verhaltens-<br />
Pfad<br />
Kognitiver<br />
Pfad<br />
Sozialer<br />
Pfad<br />
Krankheit<br />
Störung<br />
Biologisch<br />
Psychosozial
H<strong>in</strong>weise <strong>für</strong> f r den Verhaltenspfad<br />
• <strong>Alexithymie</strong> bei:<br />
– Essstörungen<br />
– Alkohol- und Drogenmissbrauch<br />
– Schlechter Ernährung<br />
– Sitzendem Lebensstil<br />
– Spielsucht<br />
– Selbstverletzendem Verhalten<br />
• Wenig bekannt über meiste gesundheitsbezogene<br />
Verhaltensweisen (Compliance, Risikoverhalten,<br />
Körperpflege)
Trägt A. bei zur psychosozialen Ebene<br />
(2a) über<br />
Symptombericht?<br />
<strong>Alexithymie</strong><br />
Drittvariablen<br />
-Drittvariablen<br />
Soziokulturell<br />
- Neurologisch<br />
Physiologischer<br />
Pfad<br />
Verhaltens-<br />
Pfad<br />
Kognitiver<br />
Pfad<br />
Sozialer<br />
Pfad<br />
Körperliche<br />
Krankheit<br />
Krankheit Störung<br />
Organische Krankheitsverhalten<br />
Biologisch<br />
Psychosozial<br />
Krankheit
Körperempf<strong>in</strong>dungen<br />
(Psychosomatikpatienten)<br />
Gewöhnlich erlebte Empf<strong>in</strong>dungen bei Traurigkeit und Ärger (n = 68):<br />
Stärkere Empf<strong>in</strong>dungen bei hoch alexithymen Patienten (<strong>in</strong> Effektstärken)<br />
Ohrensausen<br />
Aufstoßen/Sodbrennen<br />
Muskelzittern<br />
Schw<strong>in</strong>del<br />
Haut rötet sich<br />
Stuhl- /Harndrang<br />
Magen unruhig<br />
F<strong>in</strong>ger kribbeln / taub<br />
Atmung schneller<br />
Magen verkrampft<br />
Augenflimmern<br />
Stiche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Brust<br />
Mundtrockenheit<br />
Schwitzen<br />
Atmung fällt schwer<br />
Augen tränen<br />
Muskelschwäche<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3<br />
Traurigkeit<br />
0,2 0,1 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9<br />
Effektstärke<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
( * ) *<br />
*<br />
Ärger
Untersuchung: Implizite Reaktion<br />
auf Symptomwörter<br />
• 45 Psychosomatikpatienten, Alter 45 Jahre<br />
• Emotionaler Stroop-Test:<br />
– Benennung <strong>der</strong> Farbe von Wörtern, möglichst schnell und genau<br />
– Ignorieren <strong>der</strong> semantischen Bedeutung<br />
• Darbietung von 4 Wortkategorien <strong>in</strong> 4 Farben<br />
– Neutrale Wörter: Dolmetscher<br />
– Positive Wörter: Fröhlichkeit<br />
– Negative Wörter: Traurigkeit<br />
– Körpersymptome: Schw<strong>in</strong>del<br />
• Erfassung <strong>der</strong> Reaktionszeit: Interferenz-Index<br />
– Positive Wörter: RT positiv –RT neutral<br />
– Negative Wörter: RT negativ –RT neutral<br />
– Körperwörter: RT Körper –RT neutral<br />
Müller, Alpers & Reim
Erhöhte hte Interferenz bei niedrig<br />
Alexithymen (OAS)<br />
• OAS-Mediansplit:<br />
• 22 hoch Alexithyme<br />
• 23 niedrig Alexithyme<br />
• Stärkere Interferenz bei<br />
niedrig alexithymen<br />
Patienten <strong>für</strong><br />
- negative Wörter<br />
- Körpersymptomwörter<br />
• Weniger Aufmerksamkeit<br />
<strong>für</strong> körperbezogene<br />
Wörter bei<br />
niedrig Alexithymen<br />
• S<strong>in</strong>d Alexithyme eher an<br />
Körperempf<strong>in</strong>dungen<br />
gewöhnt?<br />
Mean Interference (ms)<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
-10<br />
-20<br />
-30<br />
High Alexithymia (OAS)<br />
Low Alexithymia (OAS)<br />
Interferenz<br />
*<br />
Positive Negative Bodily Symptoms<br />
Word Category<br />
**<br />
*p < 0.05; **p < 0.001
Symptombericht<br />
• De Gucht & Heiser (2003): Review<br />
– Korrelation zw. <strong>Alexithymie</strong> (TAS-20) und Anzahl<br />
somatischer Symptome von r = 0.23 über 18 Stichproben<br />
(r = 0.05 – r = 0.67)<br />
– Größter Zusammenhang von r = 0.35 mit TAS-20<br />
Schwierigkeiten beim Identifizieren von Gefühlen<br />
(r = 0.20 – 0.58)<br />
• Meist ke<strong>in</strong>e objektiven H<strong>in</strong>weise <strong>für</strong> diese<br />
Beschwerden<br />
• Kausale Beziehung unklar
Trägt A. bei zur psychosozialen Ebene<br />
(2b) über<br />
Behandlungssuche?<br />
<strong>Alexithymie</strong><br />
Drittvariablen<br />
Physiologischer<br />
Pfad<br />
Verhaltens-<br />
Pfad<br />
Kognitiver<br />
Pfad<br />
Sozialer<br />
Pfad<br />
Krankheit<br />
Störung<br />
Biologisch<br />
Psychosozial
<strong>Alexithymie</strong> und<br />
Behandlungsuche<br />
• <strong>Alexithymie</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Studien verbunden mit <br />
Behandlungssuche<br />
• <strong>Alexithymie</strong> mögl. bei Patienten überrepräsentiert<br />
durch verstärkte Nutzung des Gesundheitssystems<br />
• Gilt beson<strong>der</strong>s <strong>für</strong> “Schwierigkeiten, Gefühle zu<br />
identifizieren / beschreiben”
(3) Verursacht Krankheit<br />
<strong>Alexithymie</strong>?<br />
<strong>Alexithymie</strong><br />
Drittvariablen<br />
Physiologischer<br />
Pfad<br />
Verhaltens-<br />
Pfad<br />
Kognitiver<br />
Pfad<br />
Sozialer<br />
Pfad<br />
Krankheit<br />
Störung<br />
Biologisch<br />
Psychosozial
H<strong>in</strong>weise auf<br />
“Sekundäre <strong>Alexithymie</strong>”<br />
• PTSD korreliert stark mit <strong>Alexithymie</strong><br />
• <strong>Alexithymie</strong> ist erhöht bei starkem Stress<br />
(Verbrennung, Gewalt, Unfälle)<br />
• Beschwerden und <strong>Alexithymie</strong> verän<strong>der</strong>n<br />
sich geme<strong>in</strong>sam<br />
Sekundäre <strong>Alexithymie</strong> könnte auf e<strong>in</strong>ige<br />
Fälle von <strong>Alexithymie</strong> zutreffen
(4) S<strong>in</strong>d <strong>Alexithymie</strong> und Krankheit<br />
Produkt e<strong>in</strong>er Drittvariable?<br />
<strong>Alexithymie</strong><br />
Drittvariablen<br />
Physiologischer<br />
Pfad<br />
Verhaltens-<br />
Pfad<br />
Kognitiver<br />
Pfad<br />
Sozialer<br />
Pfad<br />
Krankheit<br />
Störung<br />
Biologisch<br />
Psychosozial
<strong>Alexithymie</strong> und Drittvariablen<br />
• Mögliche Drittvariablen:<br />
– Negativer Affekt (Depression, Angst)<br />
– (Funktionelle) Hirnläsionen<br />
– Soziodemographische Var. (Armut, Bildung)<br />
– Genetik / Persönlichkeit
Anteriorer C<strong>in</strong>gulärer<br />
Cortex<br />
(ACC)<br />
ACC
Funktionen des ACC<br />
Bewusste Aufmerksamkeit<br />
<strong>für</strong> emotionale o<strong>der</strong> kognitive<br />
Informationen<br />
ACC<br />
Hirnstamm:<br />
Vegetatives<br />
Nervensystem<br />
Hypothalamus:<br />
Stresshormonachse<br />
Motorik:<br />
Muskelspannung,<br />
Körperhaltung …
Schlussfolgerung:<br />
<strong>Alexithymie</strong> und Krankheit<br />
1. Wenig H<strong>in</strong>weise <strong>für</strong> Verursachung biologischer Erkrankungen durch A.<br />
– Kaum H<strong>in</strong>weise <strong>für</strong> physiologische Hyperreaktivität<br />
– ungesundes Verhalten möglich<br />
2. A. als Risikofaktor <strong>für</strong> psychosoziale Krankheitsfaktoren<br />
– Symptombericht<br />
– Mögl. Behandlungssuche, Prävalenz<br />
3. Sekundäre <strong>Alexithymie</strong> <strong>in</strong><br />
manchen Fällen<br />
Drittvariablen<br />
?<br />
Physiologischer<br />
Pfad<br />
<strong>Alexithymie</strong><br />
Kognitiver<br />
Pfad<br />
Sozialer<br />
Pfad<br />
4. Drittvariablen denkbar, die Alex. und<br />
Krankheiten verursachen<br />
(Hirnläsionen, Negative Affektivität)<br />
Ursache <strong>für</strong> erhöhte Prävalenzraten bei<br />
unterschiedlichen Erkrankungen unklar<br />
? <br />
? ?<br />
Biologisch<br />
Krankheit<br />
Störung<br />
Verhaltenspfad<br />
Psychosozial
Bee<strong>in</strong>flusst <strong>Alexithymie</strong> das<br />
Therapieergebnis?<br />
• <strong>Alexithymie</strong>: • Besserung bei<br />
– Somatoformen Störungen (Bach & Bach, 1995)<br />
– Alkoholismus (Loas, 1997)<br />
– Funktionalen GI Störungen (Porcelli et al., 2003, 2004)<br />
– Depressionsbehandlung mit Antidepressiva (Ozsah<strong>in</strong> et<br />
al., 2003)
Mögliche Interventionen <strong>für</strong> f<br />
alexithyme Patienten<br />
Direkte Behandlung<br />
von <strong>Alexithymie</strong><br />
(z.B. Emotionstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g)<br />
Alexithyme Person<br />
(mit Gesundheitsproblemen)<br />
Modifizierte<br />
Selbstöffnung<br />
(häufiger, geleiteter)<br />
Nicht-emotionale<br />
Intervention<br />
(z.B. Kognitive VT)<br />
Bessere<br />
Gesundheit<br />
Psychopharmaka<br />
(SSRIs?)<br />
Lumley (2004)
Kontrollierte Therapiestudien <strong>für</strong> f<br />
<strong>Alexithymie</strong> (n = 1)<br />
• Beresnevaite (2000)<br />
– 37 hoch alexithyme (TAS) Patienten nach Myokard<strong>in</strong>farkt<br />
– EG (n = 20): Randomisierte Zuweisung zu 4-monatiger<br />
wöchentlicher Gruppentherapie<br />
– KG (n = 17): Information über KHK <strong>in</strong> 2 Sitzungen<br />
– Gruppentherapie: PMR, Identifikation und Mitteilen von<br />
Gefühlen <strong>in</strong> Rollenspielen, Beschreibungen von<br />
Vorstellungen und Fantasie, nonverbaler Gefühlsausdruck<br />
– TAS Werte <strong>in</strong> EG, nicht <strong>in</strong> KG<br />
– TAS-Werte: besserer KHK Verlauf nach 2 Jahren
Fazit<br />
• Hohe Prävalenzraten bei Patienten<br />
– Mögliche Verursachung von Erkrankungen durch A.<br />
– Möglicher negativer E<strong>in</strong>fluss auf Therapieergebnisse<br />
Relevanz <strong>für</strong> die <strong>Rehabilitation</strong><br />
• Bedarf an an<strong>der</strong>en Untersuchungsdesigns!<br />
– 2001/2002: 81% querschnittlich / korrelativ<br />
Längsschnittstudien<br />
Experimentelle Studien<br />
• Starker Bedarf an kontrollierten Therapiestudien!
Messung von <strong>Alexithymie</strong><br />
• Selbstbeurteilung von <strong>Alexithymie</strong> möglich?<br />
– Spezifische Kritik: TAS<br />
• Korrelation mit negativer Affektivität<br />
• Subskalen: niedrige Interkorrelation, unterschiedliche Korrelate<br />
– Allgeme<strong>in</strong>e Kritik:<br />
• Können stark Alexithyme ihr Defizit e<strong>in</strong>schätzen? Niedrige Werte<br />
• Erhöhte Belastung, Selbstkritik Erhöhte Werte<br />
Erfassung mit mehreren Methoden!<br />
• Fremdbeurteilung (OAS)<br />
• Sprachliche Fähigkeiten <strong>in</strong> Vignetten (LEAS)<br />
• Verhalten <strong>in</strong> emotionsauslösenden Situationen?
Ich hoffe, Sie fühlen f<br />
sich gut –<br />
und dass Sie wissen, wie Sie<br />
sich fühlen! f