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NaturaMed2108<br />
1/2009 | 24. Jahrgang<br />
Forschung und Praxis<br />
Schwerpunkt<br />
Prävention mit<br />
Naturstoffen<br />
Osteoporose: Wirkt Cimicifuga protektiv?<br />
Integrative Medizin: Universitätspräsenz wächst<br />
Vorsicht mit Ginkgo-Tees!
IMPRESSUM<br />
EDITORIAL<br />
NaturaMed<br />
NaturaMed ist das offizielle Organ <strong>de</strong>s Komitee<br />
Forschung Naturmedizin e.V. (KFN) und seiner<br />
internationalen Sektion CRNM<br />
VERLAG<br />
Medizinische Medien Informations GmbH<br />
Am Forsthaus Gravenbruch 7, 63263 Neu-Isenburg<br />
GESCHÄFTSFÜHRUNG<br />
Dr. med. Uwe A. Richter, Henry Scott Elkington<br />
HERAUSGEBER<br />
Prof. Dr. Theodor Dingermann<br />
LEITUNG JOURNALS<br />
Dr. med. Ralf Stölting<br />
REDAKTION<br />
Chefredakteurin: Dr. Marcela Ullmann (v.i.S.d.P.),<br />
Dr. med. Karola Scheffer,<br />
Redaktionsassistenz: Sylwia Förs<br />
Marienplatz 3, 80331 München<br />
Tel.: 089/294770, Fax: 089/294775<br />
E-Mail:redbuero_ull@web.<strong>de</strong><br />
STÄNDIGE AUTOREN<br />
Dr. Helga Kästner (hk), Dr. A<strong>de</strong>lheid Müller-Lissner (am),<br />
Dr. rer. biol. hum. Ina Schicker (isi), Ralf Schlenger,<br />
Apotheker (rs), Dipl. soz. Werner Stingl (wst),<br />
Dr. med. Bar-bara Weitz (we)<br />
Namentlich gezeichnete Veröffentlichungen geben in<br />
erster Linie die Auffassung <strong>de</strong>s Autors wie<strong>de</strong>r.<br />
WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT<br />
Prof. Dr. Susanne Alban, Kiel<br />
PD Dr. med. A. Balogh, Jena<br />
Prof. Dr. Dr. med. habil. Hartwig W. Bauer, München<br />
PD Dr. med. André-Michael Beer, Hattingen<br />
Prof. Dr. Theodor Dingermann, Frankfurt<br />
Prof. Dr. med. Volker Fintelmann, Hamburg<br />
Prof. Dr. Wilhelm Gaus, Ulm<br />
Prof. Dr. Gerd Glaeske, Bremen<br />
Dr. med. Leonhard Hansen, Alsdorf<br />
Dr. med. Erwin Häringer, München<br />
PD Dr. med. Klaus Lin<strong>de</strong>, München<br />
Prof. Dr. Dr. Ernst Mutschler, Frankfurt<br />
Prof. Dr. Peter Oberen<strong>de</strong>r, Bayreuth<br />
Dr. med. Benno Ostermayr, München<br />
Prof. Dr. Ivar Roots, Berlin<br />
Prof. Dr. med. Reinhard Saller, Zürich<br />
Prof. Dr. rer. nat. Hilke Winterhoff, Münster<br />
ANZEIGENDISPOSITION UND VERTRIEB<br />
Anzeigen: Annette Selzer<br />
Tel: 0 61 02 / 502-284, Fax: 0 61 02 / 502-299<br />
E-Mail: a.selzer@mmi.<strong>de</strong><br />
Zurzeit ist Anzeigenpreisliste vom 1. Januar 2008 gültig.<br />
Vertrieb: Tel: 0 61 02 / 502-244, Fax: 0 61 02 / 53779<br />
HERSTELLUNG<br />
Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG<br />
Frankfurter Straße 168, 34121 Kassel<br />
NATURAMED erscheint 6-mal im Jahr. Der Preis <strong>de</strong>s Jahresabonnements<br />
beträgt innerhalb <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik<br />
Deutschland 44,40 Euro, Einzelheft auf Nachfrage.<br />
Das Verlagsrecht für alle Sprachen und Län<strong>de</strong>r, einschließlich<br />
<strong>de</strong>s Rechts <strong>de</strong>r fotomechanischen Wie<strong>de</strong>rgabe o<strong>de</strong>r<br />
einer an<strong>de</strong>rsartigen Vervielfältigung, geht mit <strong>de</strong>r Annahme<br />
<strong>de</strong>s Manuskripts und seiner Veröffentlichung an <strong>de</strong>n Verlag<br />
über. Die veröffentlichten Vorträge wer<strong>de</strong>n Eigentum<br />
<strong>de</strong>s Verlages. Nachdruck verboten. Mit <strong>de</strong>r Annahme<br />
zur Veröffentlichung überträgt <strong>de</strong>r Autor <strong>de</strong>m Verlag das<br />
ausschließliche Verlagsrecht für die Zeit bis zum Ablauf<br />
<strong>de</strong>s Urheberrechts. Diese Rechteübertragung bezieht sich<br />
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Zwecken per Kopie (Mikrofilm, Fotokopie, CD-<br />
ROM o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Verfahren) zu vervielfältigen und/o<strong>de</strong>r in<br />
elektronische o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Datenbanken aufzunehmen.<br />
©<br />
natura-med Verlagsgesellschaft Neckarsulm<br />
www.natura-med.<strong>de</strong><br />
Der IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung<br />
<strong>de</strong>r Verbreitung von Werbeträgern e.V.) angeschlossen.<br />
Druckauflage: 20 501 Exemplare/Quartal 4/2008<br />
Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. ISSN 0931-1513<br />
Mehr als nur ein<br />
Jahresanfang<br />
➔<br />
Eigentlich hat am 1. Januar 2009<br />
ein neues GKV-Zeitalter begonnen.<br />
Die meisten Bun<strong>de</strong>sbürger nahmen es<br />
aber, durch die Finanzkrise abgelenkt, gar<br />
nicht bewusst zur Kenntnis. Deshalb blieb<br />
auch – an<strong>de</strong>rs als beim GMG 2004 – eine<br />
öffentliche Diskussion darüber weitgehend<br />
aus. Allerdings kann <strong>de</strong>rzeit sowieso<br />
keiner präzise voraussagen, welche Konsequenzen<br />
dieser Systemwechsel haben<br />
wird.<br />
Wir können nur mit ziemlicher Sicherheit<br />
davon ausgehen, dass es nicht so kommt,<br />
wie es die Politik geplant hat. Immerhin<br />
ist es bereits das 18. Reformgesetz für das<br />
Gesundheitswesen innerhalb von knappen<br />
20 Jahren. Und nach keiner einzigen <strong>de</strong>r<br />
vorausgegangenen Reformen ist das eingetreten,<br />
was die dafür verantwortlich zeichnen<strong>de</strong>n<br />
Politiker erwartet haben bzw. <strong>de</strong>n<br />
Bürgern versprachen: We<strong>de</strong>r eine bessere<br />
Versorgung <strong>de</strong>r Patienten o<strong>de</strong>r eine rationellere<br />
Nutzung vorhan<strong>de</strong>ner Ressourcen<br />
noch eine Senkung <strong>de</strong>r Kassenbeiträge<br />
kam zustan<strong>de</strong>. Statt<strong>de</strong>ssen bescherten die<br />
Maßnahmen <strong>de</strong>n Patienten immer höhere<br />
Kosten für immer weniger Leistungen und<br />
<strong>de</strong>n Leistungserbringern einen wachsen<strong>de</strong>n<br />
bürokratischen Aufwand. So wird es<br />
wohl auch diesmal kommen. Vor allem die<br />
Patienten müssen damit rechnen, dass sie<br />
immer mehr ihrer gesundheitlichen Probleme<br />
– wie es so schön heißt in „Eigenverantwortung“<br />
– wer<strong>de</strong>n regeln müssen.<br />
Sie sollten daher rechtzeitig dafür sorgen,<br />
dass sie über die wichtigsten gesundheitlichen<br />
Zusammenhänge wenigstens so viel<br />
wissen wie über ihren Pkw.<br />
Die Chancen <strong>de</strong>r Naturmedizin<br />
wachsen<br />
Das birgt natürlich nicht nur Nachteile,<br />
son<strong>de</strong>rn auch Chancen in sich. Zunächst<br />
mal Chancen für die Naturmedizin, <strong>de</strong>nn<br />
dort, wo Naturheilmittel und -metho<strong>de</strong>n<br />
indiziert sind, wer<strong>de</strong>n sie, wie Umfragen<br />
immer wie<strong>de</strong>r bestätigen, von Patienten<br />
auch bevorzugt.<br />
Dr. Marcela Ullmann<br />
Chefredaktion<br />
Wir sollten <strong>de</strong>swegen aber nicht voreilig<br />
jubeln, <strong>de</strong>nn diese Tatsache wird von<br />
einem prinzipiellen Problem wie<strong>de</strong>r wettgemacht<br />
– <strong>de</strong>r insuffizienten Art, mit <strong>de</strong>r<br />
die Öffentlichkeit <strong>de</strong>rzeit über Naturmedizin<br />
und Naturheilmittel informiert wird.<br />
Frau Professor Alban beschreibt es in ihrem<br />
Gastkommentar (Seite 18) sehr klar<br />
und <strong>de</strong>utlich.<br />
Nicht zuletzt war das ein Grund, warum<br />
es ab dieser Ausgabe von NATURAMED<br />
jeweils auch eine für die Patienten bestimmte<br />
Zeitschrift „naturmedizin – Gesundheit<br />
für die ganze Familie“ gibt. Sie<br />
soll dazu beitragen, dass die Betroffenen<br />
so viel Qualitätsbewusstsein entwickeln,<br />
dass sie keine leichte Beute mehr für unseriöse<br />
Werbung sind und auch nicht länger<br />
auf Billigangebote aus <strong>de</strong>m Internet reinfallen<br />
(siehe Seite 26).<br />
Ihre Marcela Ullmann<br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 3
INHALT<br />
24. Jahrgang<br />
NaturaMed Februar 2009<br />
Die nächste NaturaMed erscheint am 17. April 2009.<br />
EDITORIAL/IMPRESSUM<br />
3 Mehr als nur ein Jahresanfang<br />
REVIEW<br />
6 Diabetes: Vitamin-B 1 -Mangel ist für mikrovaskuläre<br />
Schä<strong>de</strong>n verantwortlich<br />
8 Depression:<br />
Johanniskraut auch zur Rezidivprophylaxe geeignet<br />
11 Kann Brokkoli Raucher vor COPD schützen?<br />
Es gibt eine ganze Reihe von Naturheilmitteln, die zur Präven tion<br />
genutzt wer<strong>de</strong>n können. So lassen sich beispielsweise Johanniskraut-Extrakte<br />
zur Rezidivprophylaxe einsetzen (Seite 8).<br />
Cimicifuga-Extrakte scheinen, aktuellen Daten zufolge, günstige<br />
Wirkungen auf <strong>de</strong>n Knochenmetabolismus auszuüben, die in <strong>de</strong>r<br />
Osteoporoseprävention nützlich sein können (Seite 12). Weißdorn-Extrakte<br />
wie<strong>de</strong>rum zeigen einen positiven Einfl uss auf<br />
die Herzleistung, was sie zu Kandidaten für die unterstützen<strong>de</strong><br />
Anwendung bei <strong>de</strong>r Bewegungstherapie von Herzpatienten<br />
macht (Seite 20).<br />
REPORT<br />
17 Vitamin- und Mineralstoffversorgung:<br />
Alles im grünen Bereich?<br />
GASTKOMMENTAR<br />
18 Prof. Dr. Susanne Alban:<br />
Die gegenwärtigen Regularien für pfl anzliche<br />
Produkte sind insuffi zient<br />
SCHWERPUNKT<br />
12 Klimakterium:<br />
Schützt Cimicifuga-Spezialextrakt vor Osteoporose?<br />
20 Herzprävention:<br />
Weißdorn-Extrakt: Günstig für Herzkraft und Endothel<br />
25 Kasuistik: Phytotherapie zur Prävention<br />
NATURAMED AKTUELL<br />
Nach <strong>de</strong>r Nationalen Verzehrstudie II gibt es in Deutschland<br />
keine wesentlichen Defi zite bei <strong>de</strong>r Versorgung mit Vitamin- und<br />
Mineralstoffen. Dem wi<strong>de</strong>rspricht die Gesellschaft für Biofaktoren<br />
und for<strong>de</strong>rt eine differenziertere Betrachtungsweise.<br />
Seite 17<br />
Bildnachweis: jupiterimages (Titel)<br />
Auf <strong>de</strong>m 1. Europäischen Kongress für Integrative<br />
Medizin in Berlin wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, dass <strong>de</strong>r Dialog<br />
zwischen Komplementärmedizin und Schulmedizin<br />
keinen Seltenheitswert mehr hat. Inzwischen gibt es<br />
sogar an sechs <strong>de</strong>utschen Universitäten komplementärmedizinische<br />
Professuren.<br />
22 Integrative Medizin:<br />
Die Universitätspräsenz ist stark gewachsen<br />
4 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
KFN BERICHTET<br />
Ginkgo-Tee: 26<br />
Keine Alternative zu geprüften Arzneimitteln<br />
Interview mit Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz<br />
Mehrwertsteuersenkung für Arzneimittel gefor<strong>de</strong>rt 27<br />
CONSILIUM<br />
Morbus Parkinson: Kann Naturheilkun<strong>de</strong> helfen? 28<br />
Ist die Ozon-Eigenbluttherapie seriös? 31<br />
Johanniskraut-Extrakte sind auch von <strong>de</strong>r Schulmedizin anerkannt.<br />
Seite 22<br />
BIOSIMILARS<br />
Pressekonferenz in Berlin: 32<br />
Sandoz sieht Wege zur Kostensenkung<br />
KONGRESSBERICHT<br />
Fortbildung in Hattingen: 35<br />
Ärzte und Apotheker drücken gemeinsam die Schulbank<br />
PÄDIATRIE<br />
Neuro<strong>de</strong>rmitis beim Kind: 36<br />
Johanniskraut-Creme unterstützt die Basistherapie<br />
Symposium <strong>de</strong>r DPhG-Fachgruppe<br />
„Pharmazeutische Biologie“ in Bonn: 38<br />
Pädiatrie: Phytoforschung im Aufwind<br />
In <strong>de</strong>r EU gewähren nur noch drei Län<strong>de</strong>r Arzneimitteln keine<br />
Mehrwertsteuerermäßigung: Bulgarien, Dänemark und Deutschland.<br />
Seite 27<br />
RECHT<br />
Chiropraktik: Risikoaufklärung dringend notwendig 41<br />
VERANSTALTUNGEN<br />
Tagungen, Fortbildungsveranstaltungen 42<br />
Topische Zubereitungen mit Johanniskraut-Extrakt sind auch bei<br />
Säuglingen und Kleinkin<strong>de</strong>rn mit Neuro<strong>de</strong>rmitis unbe<strong>de</strong>nklich<br />
anzuwen<strong>de</strong>n. Seite 36<br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 5
REVIEW<br />
Diabetes: Vitamin-B 1 -Mangel ist für<br />
mikrovaskuläre Schä<strong>de</strong>n verantwortlich<br />
➔Läsionen an Nieren, Nerven und<br />
Augen zählen zu <strong>de</strong>n gefürchteten<br />
Spätfolgen <strong>de</strong>s Diabetes. Neben<br />
chronisch erhöhten Blutzuckerwerten<br />
spielt dabei auch ein Mangel an Vitamin<br />
B 1 eine Rolle, so das Ergebnis einer<br />
britischen Studie. Aktives Thiamin ist<br />
ein zentrales Coenzym im Kohlenhydratstoffwechsel,<br />
und Diabetiker sind<br />
sichere Mangelkandidaten. Denn <strong>de</strong>r<br />
Löwenanteil <strong>de</strong>s zugeführten Vitamins<br />
geht bei ihnen über die Niere verloren.<br />
Abhilfe versprechen hoch dosierte Supplemente.<br />
Zwei aktuelle klinische Studien<br />
mit Diabetikern stellten positive<br />
Effekte hoch dosierter Vitamingaben<br />
auf eine vorhan<strong>de</strong>ne Albuminurie bzw.<br />
Polyneuropathie fest. Eine weitere Studie<br />
erklärt <strong>de</strong>n Mechanismus und warum<br />
das Labor selbst extreme Thiamin<strong>de</strong>fizite<br />
oft nicht ent<strong>de</strong>ckt.<br />
Die Diabetiker erhielten sechs Wochen<br />
lang täglich Benfotiamin in Dosen von<br />
300 mg, 600 mg o<strong>de</strong>r Placebo.<br />
Primärer Endpunkt waren Verän<strong>de</strong>rungen<br />
im Neuropathischen Symptomen<br />
Score (NSS). Der NSS besserte<br />
sich signifikant (p = 0,033) in <strong>de</strong>r Patientengruppe,<br />
die das Studienprotokoll<br />
eingehalten hatte (per-protocol-Analyse,<br />
n = 124). In <strong>de</strong>r Gesamtgruppe <strong>de</strong>r<br />
behan<strong>de</strong>lten Patienten (Intention-totreat,<br />
n = 133) wur<strong>de</strong> die Signifi kanz<br />
knapp verfehlt (p = 0,055). Keine signifikanten<br />
Verbesserungen ergaben sich<br />
im Totalen Symptomen Score (TSS),<br />
wenn auch ten<strong>de</strong>nziell Schmerzen reduziert<br />
wur<strong>de</strong>n: „Benfotiamin lin<strong>de</strong>rt<br />
auch ohne zusätzliche Gabe an<strong>de</strong>rer<br />
Wirkstoffe die Schmerzen <strong>de</strong>utlich“,<br />
meinte dazu <strong>de</strong>r Endokrinologe Prof.<br />
Reinhard Bretzel, Direktor <strong>de</strong>r Medizi-<br />
Das Vitamin wird lediglich in „physiologischen“<br />
Dosen von bis zu 1 mg vollständig<br />
resorbiert; schon 5 mg nimmt<br />
<strong>de</strong>r Körper nur zu einem Drittel auf.<br />
„Pharmakologisch“ hoch dosiertes Thiamin<br />
vermag <strong>de</strong>nnoch in experimentellen<br />
Studien <strong>de</strong>r Entwicklung einer<br />
Mikroalbuminurie vorzubeugen. Inwieweit<br />
dies klinisch zum Tragen kommt,<br />
untersuchte eine Forschergruppe <strong>de</strong>r<br />
Diabetesklinik in Lahore/Pakistan. In<br />
die Pilotstudie wur<strong>de</strong>n 40 Typ-2-Diabetiker<br />
mit erhöhter Albuminausscheidung<br />
eingeschlossen. Doppelblind und<br />
randomisiert erhielten die Patienten für<br />
drei Monate täglich 3 x 100 mg Thiamin<br />
o<strong>de</strong>r Placebo. Sie wur<strong>de</strong>n dann zwei<br />
Monate nachbeobachtet.<br />
Primärer Endpunkt dieser kleinen Studie<br />
war die Albuminausscheidung im<br />
Urin (UAE). In <strong>de</strong>r Verumgruppe sank<br />
die UAE hoch signifikant um 17,7 mg/<br />
24 h im Median, während sich unter<br />
Placebo kein signifikanter Effekt zeigte.<br />
In bei<strong>de</strong>n Gruppen nahm die UAE in <strong>de</strong>r<br />
Nachbeobachtung ten<strong>de</strong>nziell (weiter)<br />
ab. Nebenwirkungen wur<strong>de</strong>n nicht beobachtet.<br />
„Hoch dosierte Thiamingaben<br />
können die Behandlung früher Stadien<br />
diabetischer Neuropathie verbessern“,<br />
resümieren die Forscher.<br />
Diabetiker weisen in <strong>de</strong>r Regel zu niedrige Vitamin-B 1 -Spiegel auf. Eine<br />
präventive Substitution ist bei ihnen daher stets sinnvoll.<br />
Betformin verringert<br />
neuropathische Schmerzen<br />
Diabetiker mit symmetrischer, distaler<br />
Polyneuropathie wur<strong>de</strong>n in einer doppelblin<strong>de</strong>n<br />
randomisierten Studie <strong>de</strong>r<br />
Gießener Universitätsklinik mit Benfotiamin<br />
behan<strong>de</strong>lt. Benfotiamin ist ein<br />
lipidlösliches Prodrug von Vitamin B 1 ,<br />
das wesentlich besser resorbiert wird<br />
als das wasserlösliche Vitamin selbst.<br />
nischen Klinik und Poliklinik III, Gießen.<br />
Die <strong>de</strong>utlicheren Erfolge erzielte<br />
jeweils die Hochdosisbehandlung mit<br />
600 mg Benfotiamin. Die Verträglichkeit<br />
bei<strong>de</strong>r Dosierungen war gut.<br />
Thiamin bessert diabetische<br />
Neuropathie<br />
Hilft auch die Gabe von Vitamin B 1<br />
selbst gegen diabetische Folgeschä<strong>de</strong>n?<br />
Vitamin B 1 bremst Glukosetoxizität<br />
Die Plasmakonzentration <strong>de</strong>s wasserlöslichen<br />
Vitamins B 1 liegt bei Menschen<br />
mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes rund 75<br />
Prozent niedriger als bei Gesun<strong>de</strong>n, fan<strong>de</strong>n<br />
Thornalley und seine Arbeitsgruppe<br />
in Warwick/UK bei <strong>de</strong>r Untersuchung<br />
von 26 Typ-1- und 48 Typ-2-Diabetikern.<br />
Ursache <strong>de</strong>s Thiamin<strong>de</strong>fizites sei<br />
eine pathologisch gesteigerte renale<br />
Clearance. Gegen über <strong>de</strong>n gesun<strong>de</strong>n<br />
Kontrollen war diese bei Typ-1-Diabetikern<br />
24-fach und bei Typ-2-Diabetikern<br />
16-fach erhöht. „Hohe Blutzuckerkonzentrationen<br />
unterdrücken in vitro die<br />
Expression eines Thiamintransporters<br />
im proximalen Tubulus <strong>de</strong>r Niere“,<br />
erklärte Dr. James Larkin aus <strong>de</strong>r britischen<br />
Arbeitsgruppe. „Dieses Molekül<br />
begrenzt normalerweise die Thiaminausscheidung,<br />
in<strong>de</strong>m es das Vitamin<br />
aus <strong>de</strong>m Glomerulusfiltrat rückresor-<br />
Bildnachweis: jupiterimages (1)<br />
6 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
REVIEW<br />
biert.“ Fehlen Thiamintransporter, geht<br />
das Vitamin über <strong>de</strong>n Urin verloren.<br />
Die genügen<strong>de</strong> Aktivierumg <strong>de</strong>r Transketolasen<br />
unterbleibt, somit wird das<br />
körpereigene Entgiftungssystem für<br />
Zwischen- und Abfallprodukte <strong>de</strong>s Zuckerstoffwechsels<br />
ausgebremst.<br />
Dies <strong>de</strong>utet darauf hin, dass <strong>de</strong>r Weg<br />
von einem schlecht eingestellten Zuckerstoffwechsel<br />
hin zu mikrovaskulären<br />
Komplikationen wohl über <strong>de</strong>n<br />
Verlust von Vitamin B 1 führt, meinten<br />
die Forscher. Glukotoxische Effekte<br />
auf die Gefäße wer<strong>de</strong>n gesteigert. Für<br />
diesen Zusammenhang spricht auch die<br />
inverse Korrelation <strong>de</strong>s Vitamin-B 1 -Status<br />
mit einem Marker <strong>de</strong>r endothelialen<br />
Dysfunktion und <strong>de</strong>r Arteriosklerose,<br />
<strong>de</strong>m löslichen vaskulären Adhäsionsmolekül<br />
(sVCAM-1), so Thornalley. Die<br />
therapeutische Gabe von exogenem Vitamin<br />
B 1 bzw. vitaminähnlichen Stoffen<br />
wie Benfotiamin kann die Aktivität <strong>de</strong>r<br />
Transketolase um das Drei- bis Vierfache<br />
steigern – eine aussichtsreiche Option<br />
zur Vorbeugung und Behandlung<br />
diabetischer Gefäßkomplikationen.<br />
Thiaminmangel maskiert sich<br />
selbst<br />
Eine Erklärung, warum die starken<br />
Vitamin-B 1 -Verluste bei Diabetikern<br />
bisher weithin unbekannt blieben, liefern<br />
die Wissenschaftler gleich mit: Bei<br />
<strong>de</strong>r konventionellen Bestimmung <strong>de</strong>s<br />
Thiamin: Zentral im Glukosestoffwechsel<br />
Das B-Vitamin Thiamin (Aneurin) spielt eine zentrale Rolle als Coenzym im Kohlenhydratstoffwechsel.<br />
Der Organismus phosphoryliert das Vitamin zunächst zu Thiamindiphosphat<br />
(TDP; ältere Bezeichnung Thiaminpyrophosphat, TPP). TDP ist Coenzym von<br />
Multienzymkomplexen, welche 2-Ketosäuren unter Decarboylierung in Acyl-Coenzym-<br />
A-Verbindungen umwan<strong>de</strong>ln. Thiamin ist ferner an <strong>de</strong>r Transketolasereaktion beteiligt,<br />
wobei Glykolal<strong>de</strong>hyd auf einen C5-Zucker, z.B. Ribose o<strong>de</strong>r Erythrose, übertragen wird.<br />
Zu<strong>de</strong>m ist Vitamin B 1 maßgeblich an <strong>de</strong>r Erregungsleitung im peripheren Nervensystem<br />
beteiligt. Es unterstützt die Bildung von Neurotransmittern wie Azetylcholin, GABA,<br />
Glutamat und Aspartat, die in enger Verzahnung mit <strong>de</strong>m Glukosestoffwechsel erfolgt.<br />
Normale Thiaminplasmaspiegel wer<strong>de</strong>n mit 10 bis 64 ng/ml angegeben. Doch die Verteilung<br />
von Thiamin im Vollblut ist inhomogen: Zu 15 Prozent fi n<strong>de</strong>t es sich in Leukozyten,<br />
zu 75 Prozent in Erythrozyten und zu zehn Prozent im Plasma. Durch tubuläre<br />
Rückresorption verhin<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Organismus Thiaminverluste, sofern die Zufuhr im physiologischen<br />
Bereich bleibt. Hohe Dosen jedoch, z.B. 100 mg parenteral, führen zum<br />
renalen „Überlauf“, sie wer<strong>de</strong>n vollständig eliminiert.<br />
Wegen <strong>de</strong>r begrenzten Speicherkapazität und <strong>de</strong>r hohen Umsatzrate muss Thiamin täglich<br />
in ausreichen<strong>de</strong>r Menge aufgenommen wer<strong>de</strong>n. Die empfohlene physiologische<br />
Zufuhr liegt bei täglich 1,1 bis 1,5 mg.<br />
Thiamins, <strong>de</strong>r Messung <strong>de</strong>s Thiamineffekts<br />
(Transketolase-Aktivierungskoeffizient)<br />
in <strong>de</strong>n Erythrozyten, wird <strong>de</strong>r<br />
Mangel maskiert. Denn Erythrozyten<br />
sind in <strong>de</strong>r Lage, bei Thiaminmangel<br />
die Expression von Transportproteinen<br />
zu steigern, die Thiamin in die Blutkörperchen<br />
schleusen.<br />
Über diese ausgleichen<strong>de</strong>n Mechanismen<br />
scheinen aber die gefähr<strong>de</strong>ten<br />
Quelle: Pietrzik, Golly, Loew: Handbuch Vitamine, Urban & Fischer 2008<br />
Gewebe von Diabetikern, wie beispielsweise<br />
Nieren, Augen und Nerven, nicht<br />
zu verfügen. Hier manifestiert sich Thiaminmangel<br />
auch in <strong>de</strong>n Zellen – mit<br />
komplexen metabolischen Störungen<br />
als Folge.<br />
■<br />
Apotheker Ralf Schlenger<br />
Quelle: Stracke H et al., Exp Clin Endocrinol Diabetes<br />
2008; 116: 600–605; Rabbani N et al., Diabetologie 2008;<br />
Dec.5. (Epub ahead of print): Thornalley et al., Diabetologia<br />
2007, 50: 2164–2170<br />
Depression: Johanniskraut auch zur<br />
Rezidivprophylaxe geeignet<br />
➔Depressive Erkrankungen nehmen<br />
im Praxisalltag einen wachsen<strong>de</strong>n<br />
Anteil ein. Das lässt sich vor<br />
allem auf zwei Ursachen zurückführen:<br />
Einerseits lei<strong>de</strong>n immer mehr Patienten<br />
unter <strong>de</strong>pressiven Verstimmungen, an<strong>de</strong>rerseits<br />
tritt die Erkrankung bei mehr<br />
als <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>r Betroffenen nicht<br />
nur einmal, son<strong>de</strong>rn immer wie<strong>de</strong>r auf.<br />
Die normalerweise kurzzeitig, d.h. über<br />
einen Zeitraum von sechs Wochen durchgeführte<br />
Therapie mit Anti<strong>de</strong>pressiva ist<br />
<strong>de</strong>shalb in vielen Fällen unzureichend.<br />
Um ein Rezidiv beziehungsweise das<br />
Wie<strong>de</strong>rauftreten <strong>de</strong>pressiver Symptome<br />
zu verhin<strong>de</strong>rn, muss die Behandlung<br />
längerfristig durchgeführt wer<strong>de</strong>n. Dies<br />
setzt allerdings voraus, dass <strong>de</strong>r Patient<br />
we<strong>de</strong>r im Hinblick auf seine täglichen<br />
Aktivitäten noch auf seine Lebensqualität<br />
therapiebedingte Einschränkungen in<br />
Kauf nehmen muss – Bedingungen, die<br />
vor allem von pflanzlichen Medikamenten<br />
erfüllt wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Wirksamkeit von mehreren Johanniskraut-Extrakten,<br />
indiziert zur Behandlung<br />
leichter bis mittelschwerer akuter<br />
Depressionen, ist durch zahlreiche Studien<br />
belegt. Was die Langzeittherapie<br />
anbetrifft, gibt es bisher allerdings nur<br />
wenige gesicherte Daten. Zwar wur<strong>de</strong><br />
im Jahr 2005 von M. Gastpar und Kollegen<br />
eine kontrollierte Doppelblindstudie<br />
publiziert, in <strong>de</strong>r Patienten mit<br />
<strong>de</strong>pressiven Störungen mit <strong>de</strong>m Johanniskraut-Extrakt<br />
STW 3 (Tagesdosis<br />
612 mg) im Vergleich zu Sertralin (50<br />
mg/Tag) zweimal zwölf Wochen lang<br />
behan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>n. Diese Untersuchung<br />
ist allerdings kritisiert wor<strong>de</strong>n, weil die<br />
Studienteilnehmer nach <strong>de</strong>m ersten Behandlungsintervall<br />
nicht neu randomisiert<br />
wur<strong>de</strong>n. Außer<strong>de</strong>m fehlte eine mit<br />
Placebo behan<strong>de</strong>lte Kontrollgruppe. Das<br />
veranlasste S. Kasper et al., beim Design<br />
8 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
REVIEW<br />
ihrer aktuellen randomisierten<br />
und placebokontrollierten Doppelblindstudie,<br />
diese Datenlücke<br />
zu schließen.<br />
In drei Stufen zum<br />
Langzeitergebnis<br />
An <strong>de</strong>r Multicenterstudie nahmen<br />
mehr als 700 Patienten<br />
im Alter zwischen 18 und 65<br />
Jahren teil, die in 62 psychiatrischen<br />
sowie allgemeinmedizinischen<br />
Praxen in Deutschland<br />
und Schwe<strong>de</strong>n mehrmals wegen<br />
einer mittelschweren Depression<br />
ambulant behan<strong>de</strong>lt wor<strong>de</strong>n<br />
waren.<br />
Voraussetzung für die Teilnahme<br />
an <strong>de</strong>r Studie war eine <strong>de</strong>pressive<br />
Verstimmung (Score ><br />
20 auf <strong>de</strong>r Hamilton Rating Scale<br />
for Depression – HAMD), <strong>de</strong>r<br />
min<strong>de</strong>stens drei entsprechen<strong>de</strong><br />
Episo<strong>de</strong>n vorausgegangen waren.<br />
Um die Schwere <strong>de</strong>r <strong>de</strong>pressiven<br />
Störung zu ermitteln,<br />
wur<strong>de</strong>n zusätzlich zur HAMD<br />
weitere Verfahren wie Beck Depression<br />
Inventar (BDI) und die<br />
Clinical Global Impression (CGI) Score<br />
herangezogen. Nicht in die Studie aufgenommen<br />
wur<strong>de</strong>n Patienten mit einer<br />
Schizophrenie, einer akuten Angststörung,<br />
einer chronischen Psychose o<strong>de</strong>r<br />
einer bipolaren Störung.<br />
Untersucht wur<strong>de</strong>n Wirksamkeit und<br />
Verträglichkeit <strong>de</strong>s Johanniskraut-Extrakts<br />
WS ® 5570 zur Rezidivprophylaxe<br />
(als Fortführung <strong>de</strong>r akuten sechswöchigen<br />
Therapie über einen Zeitraum von<br />
sechs Monaten sowie zur Langzeittherapie<br />
über zwölf Monate) bei Patienten mit<br />
wie<strong>de</strong>rholt aufgetretenen <strong>de</strong>pressiven<br />
Verstimmungen.<br />
Die Therapie war in drei Abschnitte geglie<strong>de</strong>rt:<br />
1. Akute Therapie<br />
(Dauer: sechs Wochen)<br />
Nach einer einwöchigen Placebo- bzw.<br />
Screeningphase erhielten 703 Patienten<br />
sechs Wochen lang täglich dreimal<br />
300 mg <strong>de</strong>s Johanniskraut-Präparates<br />
WS ® 5570.<br />
2. Weiterführen<strong>de</strong> Therapie<br />
(Dauer: 26 Wochen)<br />
Bei <strong>de</strong>n 570 Patienten, die im ersten<br />
Therapieabschnitt gut auf das pflanzliche<br />
Medikament angesprochen hatten<br />
Johanniskraut-Extrakte wirken nicht nur bei akuter<br />
Depression. Sie sind auch zur Rezidivprophylaxe<br />
geeignet.<br />
(Rückgang <strong>de</strong>s HAMD um > 50 Prozent<br />
und Verbesserung auf <strong>de</strong>r CGI-Skala<br />
um min<strong>de</strong>stens zwei Scorepunkte),<br />
wur<strong>de</strong> die Behandlung fortgeführt. Ein<br />
Drittel <strong>de</strong>r Patienten (194) wur<strong>de</strong> nach<br />
<strong>de</strong>m Randomisierungsprinzip <strong>de</strong>r Placebogruppe<br />
zugeordnet, die übrigen zwei<br />
Drittel (376) erhielten weiterhin das<br />
pflanzliche Präparat in <strong>de</strong>r bisher verwen<strong>de</strong>ten<br />
Dosierung.<br />
3. Langzeittherapie<br />
(Dauer: 52 Wochen)<br />
Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s zweiten Therapieabschnitts<br />
konnten 425 Patienten (274 aus <strong>de</strong>r<br />
Verum- und 134 aus <strong>de</strong>r Placebogruppe)<br />
in die dritte und letzte Behandlungsphase<br />
eintreten. Zuvor wur<strong>de</strong>n die Patienten<br />
aus <strong>de</strong>r Verumgruppe erneut randomisiert:<br />
138 von ihnen erhielten weiterhin<br />
WS ® 5570, 136 Placebo.<br />
Kontrolluntersuchungen fan<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r<br />
akuten Therapiephase alle drei Wochen,<br />
danach alle vier bis sechs Wochen und<br />
im letzten Behandlungsabschnitt alle<br />
vier bis acht Wochen statt.<br />
Dabei wur<strong>de</strong> die Schwere <strong>de</strong>r <strong>de</strong>pressiven<br />
Störung anhand <strong>de</strong>r genannten Parameter<br />
(HAMD, BDI und CGI) jeweils<br />
erneut bestimmt.<br />
Je ausgeprägter die<br />
Störung, <strong>de</strong>sto größer die<br />
Effekte<br />
Primärer Endpunkt war die Zeit<br />
bis zum Auftreten eines Rezidivs<br />
in <strong>de</strong>r zweiten Behandlungsphase.<br />
Als sekundäre Endpunkte galten<br />
die Zeit bis zum Auftreten eines<br />
Rezidivs bzw. Wie<strong>de</strong>rauftreten <strong>de</strong>pressiver<br />
Symptome in <strong>de</strong>r dritten<br />
Therapiephase (Langzeitprophylaxe),<br />
die Rezidivrate ab Beginn <strong>de</strong>s<br />
zweiten Behandlungsabschnitts,<br />
d.h. in <strong>de</strong>r zweiten und dritten Therapiephase,<br />
sowie HAMD-, BDIund<br />
CGI-Scores. Die Auswertung<br />
ergab folgen<strong>de</strong> Ergebnisse:<br />
■ Rezidive traten in <strong>de</strong>r zweiten<br />
Behandlungsphase nicht nur<br />
seltener (18,1 Prozent in <strong>de</strong>r<br />
Verumgruppe gegenüber 25,7<br />
Prozent in <strong>de</strong>r Placebogruppe),<br />
son<strong>de</strong>rn auch später auf.<br />
In <strong>de</strong>r Verumgruppe dauerte<br />
es durchschnittlich 177 Tage<br />
bis zum Rezidiv, unter Placebo<br />
163 Tage. Der Unterschied<br />
war allerdings statistisch nicht<br />
signifikant.<br />
■ Der HAMD- Score nahm auch im<br />
zweiten Therapieabschnitt unter <strong>de</strong>m<br />
pflanzlichen Präparat weiter ab. Er sank<br />
von 8,6 Punkte auf 7,3 Punkte, während<br />
er unter Placebo unver än<strong>de</strong>rt blieb.<br />
■ Analoge Ergebnisse haben auch die<br />
bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Scores erbracht. Der<br />
CGI-Score zeigte in <strong>de</strong>r Verumgruppe<br />
eine Besserung bei 73,8 Prozent <strong>de</strong>r<br />
Patienten gegenüber 64,4 Prozent in<br />
<strong>de</strong>r Placebogruppe, <strong>de</strong>r BDI-Score<br />
wies in <strong>de</strong>r Verumgruppe einen Rückgang<br />
um 1,2 Punkte aus, im Vergleich<br />
zu 0,7 Punkten unter Placebo.<br />
■ Nach <strong>de</strong>m Ergebnis <strong>de</strong>r Untergruppenanalysen<br />
war die prophylaktische<br />
Wirkung <strong>de</strong>s pflanzlichen Extrakts<br />
umso größer, je ausgeprägter die <strong>de</strong>pressive<br />
Störung <strong>de</strong>r Patienten war.<br />
In <strong>de</strong>r Placebogruppe verhielt es sich<br />
genau umgekehrt.<br />
■ Im dritten Therapieabschnitt traten<br />
bei 17,2 Prozent <strong>de</strong>r mit Johanniskraut-Extrakt<br />
behan<strong>de</strong>lten Patienten<br />
erneut <strong>de</strong>pressive Symptome auf, in<br />
<strong>de</strong>r Placebogruppe bei 20,4 Prozent.<br />
Die häufigsten Ursachen für einen vorzeitigen<br />
Therapieabbruch waren – neben<br />
einem Rezidiv – unerwünschte Ereignisse<br />
wie etwa Infektionen, muskuläre<br />
Bildnachweis: jupiterimages (2)<br />
10 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
o<strong>de</strong>r gastrointestinale Störungen sowie Juckreiz. Insgesamt<br />
gesehen waren Sicherheit und Verträglichkeit <strong>de</strong>r Langzeittherapie<br />
mit <strong>de</strong>m Johanniskraut-Extrakt WS ® 5570 sehr gut; die<br />
Nebenwirkungsrate befand sich auf Placeboniveau.<br />
■<br />
Dr. Barbara Weitz<br />
Quelle: European Neuropsychopharmacology (2008) 18, 803–813<br />
Kann Brokkoli Raucher vor<br />
COPD schützen?<br />
➔Oxidativer Stress spielt<br />
für die Entstehung chronisch-obstruktiver<br />
Lungenerkrankungen<br />
(COPD), die durch<br />
(Zigaretten-)Rauchen verursacht<br />
wer<strong>de</strong>n, eine wesentliche<br />
Rolle. An<strong>de</strong>rerseits ist bekannt,<br />
dass antioxidativ wirksame Substanzen<br />
<strong>de</strong>n (oxidativen) Stress<br />
reduzieren und zur Stärkung <strong>de</strong>s<br />
Immunsystems beitragen können.<br />
Diese Eigenschaften besitzt<br />
Sulforaphan – ein Pflanzenstoff, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>m grünen Kohlgemüse<br />
Brokkoli in hoher Konzentration enthalten ist.<br />
Wie eine kürzlich veröffentlichte Studie aus Baltimore gezeigt<br />
hat, verstärkt Sulforaphan die Aktivität <strong>de</strong>s Transkriptionsfaktors<br />
NRF2. Dieser wie<strong>de</strong>rum induziert die Ausschüttung protektiver<br />
antioxidativer und <strong>de</strong>toxifizieren<strong>de</strong>r, d.h. entgiften<strong>de</strong>r<br />
Enzyme. Somit hat NRF2 eine – wenn auch indirekte – antioxidative<br />
Wirkung. Zu diesen Erkenntnissen hat eine Untersuchung<br />
<strong>de</strong>r Arbeitsgruppe um Deepti Malhotra von <strong>de</strong>r Johns<br />
Hopkins Universität geführt. Die Wissenschaftler hatten die<br />
NRF2-Konzentration im Lungengewebe gesun<strong>de</strong>r Proban<strong>de</strong>n<br />
mit <strong>de</strong>r von Rauchern verglichen, bei <strong>de</strong>nen eine fortgeschrittene<br />
chronisch-obstruktive Lungenerkrankung bestand.<br />
Bei <strong>de</strong>n Rauchern war <strong>de</strong>mnach nicht nur die Aktivität von<br />
NRF2 im Vergleich zu <strong>de</strong>n bei gesun<strong>de</strong>n Versuchspersonen<br />
gemessenen Werten <strong>de</strong>utlich verringert, son<strong>de</strong>rn auch die Konzentration<br />
NRF2-abhängiger Antioxidantien wie etwa Glutathion.<br />
Wie Malhorta und sein Team außer<strong>de</strong>m nachgewiesen<br />
haben, konnte Sulforaphan <strong>de</strong>n Abbau von NRF2 in <strong>de</strong>n durch<br />
Zigarettenrauch geschädigten Lungenzellen verhin<strong>de</strong>rn, was zu<br />
einer vermehrten Freisetzung antioxidativ wirksamer Substanzen<br />
führt. Brokkoli gilt zwar als wichtiger Vitamin- und Mineralstofflieferant<br />
und wird als Krebsschutz und Immunverstärker<br />
gelobt, aber durchaus nicht von je<strong>de</strong>m geliebt. Zu seinen prominenten<br />
„Gegnern“ zählt u.a. <strong>de</strong>r amerikanische Ex-Präsi<strong>de</strong>nt<br />
George Bush. Welche Rolle das grüne Gemüse beim Schutz <strong>de</strong>r<br />
Raucherlungen vor einer COPD tatsächlich spielt, müssen nun<br />
weitere Untersuchungen klären.<br />
■<br />
Dr. Barbara Weitz<br />
Quelle: Am. J. Respir. Crit. Care Med. 2008; 178: 592–604<br />
Nr. 1 | Februar 2009
SCHWERPUNKT<br />
Klimakterium<br />
Schützt Cimicifuga-Spezialextrakt<br />
vor Osteoporose?<br />
Der Cimicifuga-Spezialextrakt BNO 1055 hat sich in <strong>de</strong>r Behandlung von Wechseljahresbeschwer<strong>de</strong>n<br />
bewährt. Aktuelle pharmakologische und klinische Daten weisen jetzt darauf hin, dass das Phytopharmakon<br />
nicht nur die charakteristische klimakterische Symptomatik zu lin<strong>de</strong>rn vermag, son<strong>de</strong>rn auch über<br />
osteoprotektive Effekte verfügt. [ von Dr. med. Dana Seidlová-Wuttke ]<br />
➔Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Schlafstörungen,<br />
<strong>de</strong>pressive Verstimmungen und Reizbarkeit zählen zu<br />
<strong>de</strong>n typischen Beschwer<strong>de</strong>n, über die viele Frauen während <strong>de</strong>s<br />
Klimakteriums klagen. Infolge <strong>de</strong>s Östrogenmangels kann es<br />
neben diesen neurovegetativen Symptomen jedoch auch zu somatischen<br />
Verän<strong>de</strong>rungen wie vaginaler Trockenheit o<strong>de</strong>r Gewichtszunahme<br />
kommen. Eine <strong>de</strong>r schwerwiegendsten Folgen<br />
<strong>de</strong>s postmenopausalen Östrogen<strong>de</strong>fizits stellt die Osteoporose<br />
dar. Eine Hormonsubstitution ist in <strong>de</strong>r Lage, <strong>de</strong>n Knochenabbau<br />
zu bremsen, wird aber aufgrund <strong>de</strong>r zahlreichen unerwünschten<br />
Nebenwirkungen, insbeson<strong>de</strong>re karzinogener und<br />
kardiovaskulärer Risiken, von vielen Frauen abgelehnt. Es<br />
besteht daher ein hoher Bedarf an wirksamen und gleichzeitig<br />
sicheren Behandlungsalternativen.<br />
Die in zahlreichen Nahrungsergänzungsmitteln enthaltenen<br />
Phytoöstrogene zeigen zwar östrogenartige Effekte, ihre Wirksamkeit<br />
und Sicherheit gilt jedoch nicht als ausreichend belegt.<br />
Das Bun<strong>de</strong>sinstitut für Risikobewertung (BfR-Stellungnahme<br />
Nr. 23/2007) rät daher von einem Einsatz von Produkten mit<br />
isolierten Isoflavonen auf Soja- und Rotkleebasis als Alternative<br />
zur Hormonersatztherapie ab. Zur Behandlung klimakterischer<br />
Beschwer<strong>de</strong>n haben sich dagegen Phytotherapeutika mit<br />
Extrakten aus <strong>de</strong>m getrockneten Wurzelstock <strong>de</strong>r Traubensilberkerze<br />
(Cimicifuga racemosa, syn. Actaea racemosa) in <strong>de</strong>r<br />
Alltagspraxis gut etabliert. Zu <strong>de</strong>n pharmakologisch und klinisch<br />
am besten erforschten Cimicifuga-Präparaten zählt <strong>de</strong>r<br />
standardisierte Spezialextrakt BNO 1055 (Klimadynon ® ). Die<br />
wichtigsten wirksamkeitsbestimmen<strong>de</strong>n Inhaltsstoffe sind<br />
■ Triterpenglykosi<strong>de</strong>,<br />
■ Phytosterine,<br />
■ Flavonoi<strong>de</strong>,<br />
■ Salizylsäure und<br />
■ Bitterstoffe.<br />
Die Inhaltsstoffe von Cimicifuga lin<strong>de</strong>rn nicht nur<br />
klimakterische Beschwer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn scheinen auch<br />
osteoprotektiv zu wirken.<br />
Heute geht man davon aus, dass die Lin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r typischen<br />
klimakterischen Symptomatik durch <strong>de</strong>n Cimicifuga-Extrakt<br />
nicht über eine Bindung an bekannte Östrogenrezeptoren vermittelt<br />
wird. Diskutiert wer<strong>de</strong>n vielmehr an<strong>de</strong>re Mechanismen,<br />
wie die Aktivierung <strong>de</strong>s Arylhydrokarbonrezeptors (Jarry et<br />
al. 2003, 2005). Umfangreiche klinische Daten bei postmenopausalen<br />
Patientinnen belegen die Wirksamkeit, Sicherheit<br />
und Verträglichkeit <strong>de</strong>s Cimicifuga-Spezialextrakts. BNO 1055<br />
erwies sich in <strong>de</strong>n Studien als ähnlich wirksam wie eine Hormonersatztherapie<br />
mit einem weitaus geringerem Nebenwirkungspotenzial<br />
(Wuttke et al. 2003, 2006). Den Studiendaten<br />
zufolge lassen sich mit <strong>de</strong>m Cimicifuga-Spezialextrakt klimakterische<br />
Beschwer<strong>de</strong>n insgesamt um 50 Prozent reduzieren,<br />
Hitzewallungen sogar um 80 Prozent. Zu berücksichtigen ist,<br />
dass sich die volle Wirkung erst nach etwa zwölf Wochen entfaltet.<br />
Auch bei Langzeitanwendung sind – im Gegensatz zur<br />
Hormonersatztherapie – keine proliferativen Wirkungen auf<br />
Mamma- und Endometriumgewebe zu befürchten (z.B. Wuttke<br />
et al. 2003, 2006, Raus et al. 2006).<br />
Einige Daten weisen außer<strong>de</strong>m darauf hin, dass <strong>de</strong>r Cimicifuga-Extrakt<br />
BNO 1055 über eine osteoprotektive Wirkung verfügen<br />
könnte, wie sie für die Östrogensubstitution bekannt ist.<br />
Bildnachweis: Bionorica (1)<br />
12 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
SCHWERPUNKT<br />
Das RANK/RANKL/OPG-Konzept<br />
Abbildung 1: Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Knochenmarker unter Laborbedingungen.<br />
Quelle: Lippuner, Schweiz Med Forum 8 (12-13): 229–232<br />
Bei Osteoporose gerät <strong>de</strong>r Knochenmetabolismus<br />
aus <strong>de</strong>r Balance<br />
Damit die Knochen ihre Funktionen erfüllen können, muss sich<br />
<strong>de</strong>r Auf- und Abbau von Knochensubstanz die Waage halten.<br />
Dafür sorgt ein komplexes Zusammenspiel zwischen Osteoklasten<br />
und Osteoblasten (Lippuner 2008). Die Osteoklasten<br />
sind für die resorptiven Prozesse zuständig, in<strong>de</strong>m sie durch<br />
ein saures Milieu mineralische und organische Bestandteile aus<br />
<strong>de</strong>r Knochenmatrix lösen. Danach kommt es zur Apoptose <strong>de</strong>r<br />
Osteoklasten. Während <strong>de</strong>r Knochenbildungsphase gelangen<br />
Osteoblasten an die Knochenoberfläche und lagern neu synthetisiertes<br />
Osteoid ab, das anschließend mineralisiert wird.<br />
Für die Koordination dieser Umbauvorgänge sind Kopplungsmechanismen<br />
zwischen Osteoklasten und Osteoblasten erfor<strong>de</strong>rlich,<br />
bei <strong>de</strong>nen verschie<strong>de</strong>ne Hormone, Wachstumsfaktoren,<br />
Zytokine und Sterole als Botenstoffe eine Rolle spielen. Die<br />
entsprechen<strong>de</strong>n Rezeptoren fin<strong>de</strong>n sich auf <strong>de</strong>n Osteoblasten.<br />
Die Osteoblasten bil<strong>de</strong>n auch <strong>de</strong>n Ligan<strong>de</strong>n für <strong>de</strong>n Rezeptoraktivator<br />
von Nuclear Factor-B (RANK), <strong>de</strong>r auf Osteoklasten<br />
und <strong>de</strong>ren Vorläuferzellen exprimiert wird. Die Bindung<br />
<strong>de</strong>s RANK-Ligan<strong>de</strong>n (RANKL) an seinen spezifischen<br />
Rezeptor stimuliert die Reifung, Proliferation und Aktivierung<br />
von Osteo klasten. Dadurch erhöht sich die Knochenresorption,<br />
und die Knochenmineraldichte und -masse nimmt ab.<br />
Ebenfalls von Osteoblasten sezerniert wird <strong>de</strong>r lösliche Zytokinrezeptor<br />
Osteoprotegerin (OPG), <strong>de</strong>r als natürlicher „Decoy“-Rezeptor<br />
(Fangrezepter) <strong>de</strong>s RANKL fungiert. Über<br />
kompetitive Bindung an RANK hemmt OPG die RANKL-induzierte<br />
Osteoklastenfunktion und reduziert so die Knochenresorption<br />
(Abbildung 1).<br />
Störungen <strong>de</strong>s RANK/RANKL/OPG-Pfa<strong>de</strong>s spielen bei einer<br />
Reihe von Knochenerkrankungen eine Rolle. So gerät bei <strong>de</strong>r<br />
postmenopausalen Osteoporose <strong>de</strong>r Knochenmetabolismus aus<br />
seinem physiologischen Gleichgewicht: Aufgrund sinken<strong>de</strong>r<br />
Genexpression Knochen (Ovx-Ratten)<br />
Abbildung 2: Effekte von BNO 1055 auf die Genexpression in <strong>de</strong>r Femur-Metaphyse<br />
von ovarektomierten Ratten.<br />
Quelle: Wuttke et al.,<br />
Maturitas Supplement 2003,9–20<br />
14 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
Trabekuläre Knochendichte (Ovx-Ratten)<br />
Abbildung 3: Verluste <strong>de</strong>r Knochendichte von ovarektomierten Ratten.<br />
Quelle: Seidlovà-Wuttke et al., Maturitas Supplement 2003,39–50<br />
Östrogenspiegel kommt es zur gesteigerten RANKL-Expression,<br />
welche zu <strong>de</strong>r vermehrten Bildung von aktivierten Osteoklasten<br />
und somit zu einem erhöhten Knochenabbau führt.<br />
Das resultieren<strong>de</strong> Ungleichgewicht zwischen Knochenresorption<br />
und -neubildung führt zum Verlust an Knochenmasse und<br />
zur Beeinträchtigung <strong>de</strong>r Mikroarchitektur <strong>de</strong>s Knochens. Eine<br />
OPG-Sekretion <strong>de</strong>s Osteoblasten, verursacht durch Östrogen-<br />
Rezeptor-Agonisten, kann hingegen <strong>de</strong>n RANKL-induzierten<br />
Knochenabbau verhin<strong>de</strong>rn.<br />
Aktuelle Forschungsergebnisse (Seidlová-Wuttke et al. 2008)<br />
haben jetzt gezeigt, dass <strong>de</strong>r Cimicifuga-Extrakt BNO 1055 in<br />
<strong>de</strong>r Lage ist, die Freisetzung von RANKL aus <strong>de</strong>n Osteoblasten<br />
signifikant zu vermin<strong>de</strong>rn und so die Osteoklastengenese<br />
zu hemmen. Zu<strong>de</strong>m stimulierte <strong>de</strong>r Cimicifuga-Extrakt (CR)<br />
im Tiermo<strong>de</strong>ll die Osteokalzinproduktion in <strong>de</strong>n Osteoblasten<br />
und damit die Knochenneubildung. Auf die OPG-Sekretion<br />
blieb BNO 1055 ohne Einfluss. Östradiol senkte im Gegensatz<br />
dazu nicht nur die RANKL-Konzentration im Serum, son<strong>de</strong>rn<br />
hemmte auch die Osteokalzinproduktion und die Sekretion von<br />
OPG. Diese Befun<strong>de</strong> könnten die osteoprotektiven Effekte <strong>de</strong>s<br />
Bruchfestigkeit (Orx-Ratten)<br />
Cimicifuga-Extrakts erklären, die im Tiermo<strong>de</strong>ll sowie in klinischen<br />
Studien bei postmenopausalen Patientinnen beobachtet<br />
wur<strong>de</strong>n.<br />
Günstiger Einfluss auf <strong>de</strong>n Knochenstoffwechsel<br />
Bei ovarektomierten (Ovx) Ratten ließen sich zahlreiche positive<br />
Effekte <strong>de</strong>s Cimicifuga-Spezialextraktes auf <strong>de</strong>n Knochenstoffwechsel<br />
nachweisen. Das aus einer Ovarektomie<br />
resultieren<strong>de</strong> Östrogen<strong>de</strong>fizit führt zu einer verstärkten Knochenumbauaktivität.<br />
Der Knochenmetabolismus gerät aus <strong>de</strong>m<br />
Gleichgewicht, und schon nach wenigen Wochen entwickeln<br />
die Tiere eine schwere östrogenmangelinduzierte Osteoporose.<br />
■ Cimicifuga-Extrakt kann die Genexpression am<br />
Knochen günstig beeinflussen (Wuttke et al. 2003).<br />
Bei ovarektomierten Ratten konnte bereits nach einer einwöchigen<br />
Behandlung mit BNO 1055 ebenso wie mit Östradiol (E 2 )<br />
an <strong>de</strong>r Femur-Metaphyse eine verstärkte Expression <strong>de</strong>s IGF-<br />
1-Gens (Insulin-like Growth Factor) gemessen wer<strong>de</strong>n. IGF-1<br />
gilt als wichtiger Marker für die Osteoblastenaktivität und <strong>de</strong>n<br />
Knochenstoffwechsel (Pat.)<br />
Abbildung 4: Entwicklung <strong>de</strong>r Bruchfestigkeit <strong>de</strong>r<br />
Knochen von kastrierten (Orx) Ratten.<br />
Quelle: Seidlovà-Wuttke<br />
et al., Maturitas 2006<br />
Abbildung 5: Verän<strong>de</strong>rungen im Knochenstoffwechsel<br />
von klimakterischen Frauen.<br />
Quelle: Wuttke et al.,<br />
Maturitas Supplement 2003, 67–77<br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 15
SCHWERPUNKT<br />
Knochenaufbau. Die Expression<br />
von TRAP (Tartrate Resistent<br />
Acid Phosphatase), ein Marker<br />
für die Osteoklastenaktivität und<br />
somit für die Knochenresorption,<br />
wur<strong>de</strong> dagegen vermin<strong>de</strong>rt (Abbildung<br />
2, Seite 14).<br />
Knochenmarker (Patientinnen)<br />
■ Cimicifuga-Extrakt reduziert<br />
<strong>de</strong>n postmenopausalen<br />
Verlust an Knochendichte<br />
(Seidlová-Wuttke et al. 2003)<br />
Bei ovarektomierten Ratten wur<strong>de</strong><br />
die Spongiosadichte (cancellous<br />
<strong>de</strong>nsity) an <strong>de</strong>r Tibia-Metaphyse<br />
mittels quantitativer Computertomographie<br />
gemessen. Unter<br />
einer dreimonatigen Behandlung<br />
mit BNO 1055 war <strong>de</strong>r Verlust an<br />
Spongiosadichte im Vergleich zu<br />
unbehan<strong>de</strong>lten Kontrolltieren signifikant geringer. Der Effekt<br />
unter Östradiol war <strong>de</strong>utlich ausgeprägt, trat jedoch unter Soja<br />
nicht auf (Abbildung 3, Seite 15).<br />
Abbildung 6: Entwicklung <strong>de</strong>r Knochenmarker von Patientinnen mit stark erhöhten<br />
beta-Crosslaps-Werten.<br />
Quelle: Raus et al., Menopause 2006, 13, 1–14<br />
■ Cimicifuga-Extrakt verbessert <strong>de</strong>n Knochenstoff wechsel<br />
(Wuttke et al. 2003)<br />
In einer doppelblin<strong>de</strong>n placebokontrollierten Studie, an <strong>de</strong>r 62<br />
postmenopausale Frauen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren<br />
teilnahmen, wur<strong>de</strong>n die Verän<strong>de</strong>rungen von Knochenstoffwechselparametern<br />
im Serum unter zwölfwöchiger Behandlung<br />
mit BNO 1055 versus konjugierten Östrogenen überprüft.<br />
Als Marker für <strong>de</strong>n Knochenabbau wur<strong>de</strong>n die beta-Crosslaps<br />
bestimmt, die knochenspezifische alkalische Phosphatase wur<strong>de</strong><br />
als Parameter für <strong>de</strong>n Knochenaufbau herangezogen.<br />
Während die beta-Crosslaps-Werte unter Placebo anstiegen,<br />
kam es im Vergleich dazu unter BNO 1055 zu einer leichten<br />
und unter <strong>de</strong>r Östrogenbehandlung zu einer signifikanten Reduktion<br />
<strong>de</strong>s Knochenabbaumarkers. Die knochenspezifische<br />
alkalische Phosphatase verän<strong>de</strong>rte sich unter Placebo wie auch<br />
unter Östrogengabe kaum, war jedoch nach zwölfwöchiger Behandlung<br />
in <strong>de</strong>r Cimicifuga-Gruppe signifikant erhöht.<br />
Diese Befun<strong>de</strong> weisen darauf hin, dass <strong>de</strong>r Cimicifuga-Spezialextrakt<br />
die Aktivität <strong>de</strong>r Osteoklasten und damit <strong>de</strong>n Knochenabbau<br />
leicht zu hemmen vermag und gleichzeitig die Aktivität<br />
<strong>de</strong>r Osteoblasten und damit <strong>de</strong>n Knochenaufbau <strong>de</strong>utlich för<strong>de</strong>rt<br />
(Abbildung 5, Seite 15).<br />
■ Cimicifuga-Extrakt stärkt die Bruchfestigkeit <strong>de</strong>r<br />
Knochen (Seidlová-Wuttke et al. 2006)<br />
Wie bei weiblichen Ratten führt auch bei männlichen Tieren<br />
eine Kastration zu einem erhöhten Knochenumsatz, <strong>de</strong>r in<br />
eine Osteoporose mün<strong>de</strong>t. Bei orchi<strong>de</strong>ktomierten (Orx) Ratten<br />
konnten ähnliche osteoprotektive Effekte von BNO 1055 gezeigt<br />
wer<strong>de</strong>n wie in <strong>de</strong>n Untersuchungen mit ovarektomierten<br />
Tieren. Darüber hinaus war unter einer zwölfwöchigen Gabe<br />
von BNO 1055 die mechanische Bruchfestigkeit an <strong>de</strong>r Tibia-<br />
Metaphyse höher als bei unbehan<strong>de</strong>lten kastrierten Tieren. Dieser<br />
Effekt trat auch unter Östradiol auf, Testosteron (T) verbesserte<br />
die Stabilität dagegen nicht (Abbildung 4, Seite 15).<br />
Die im Tiermo<strong>de</strong>ll gefun<strong>de</strong>nen günstigen osteoprotektiven Effekte<br />
konnten durch Daten bei postmenopausalen Patientinnen<br />
bestätigt wer<strong>de</strong>n.<br />
■ Stark osteoporosegefähr<strong>de</strong>te Patientinnen profitieren<br />
beson<strong>de</strong>rs von einer Langzeitbehandlung mit<br />
Cimicifuga-Extrakt (Raus et al. 2006)<br />
In einer prospektiven offenen Phase-IV-Studie wur<strong>de</strong>n 375<br />
postmenopausale Frauen mit gesichertem Östrogenmangel im<br />
Alter zwischen 50 und 75 Jahren zwölf Monate lang mit BNO<br />
1055 behan<strong>de</strong>lt. Als Marker für <strong>de</strong>n Knochenabbau wur<strong>de</strong>n die<br />
beta-Crosslaps bestimmt, und als Marker für <strong>de</strong>n Knochenaufbau<br />
diente die Messung von Osteokalzin. Die Daten wur<strong>de</strong>n für<br />
drei Subgruppen separat ausgewertet, die zu Beginn <strong>de</strong>r Studie<br />
auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r beta-Crosslaps-Ausgangskonzentrationen gebil<strong>de</strong>t<br />
wor<strong>de</strong>n waren.<br />
In <strong>de</strong>r Gruppe <strong>de</strong>r 80 Patientinnen mit erhöhten beta-Crosslaps-Spiegeln<br />
zu Studienbeginn war <strong>de</strong>r antiresorptive Effekt<br />
<strong>de</strong>s BNO 1055 beson<strong>de</strong>rs ausgeprägt (Abbildung 6). Am En<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>r 52-wöchigen Behandlung war <strong>de</strong>r beta-Crosslaps-Spiegel<br />
gegenüber <strong>de</strong>r Baseline signifikant gesunken, das heißt, eine<br />
Überaktivität <strong>de</strong>r Osteoklasten konnte reduziert wer<strong>de</strong>n. Osteokalzin<br />
war gleichzeitig leicht erhöht. Bei Patientinnen, die<br />
ohnehin niedrige beta-Crosslaps-Ausgangswerte aufwiesen,<br />
stiegen dagegen sowohl beta-Crosslaps als auch Osteokalzin<br />
an. Im Teilkollektiv mit mittleren beta-Crosslaps-Ausgangskonzentrationen<br />
ließen sich nur geringfügige Verän<strong>de</strong>rungen<br />
feststellen.<br />
Diese vielversprechen<strong>de</strong>n Ergebnisse sollten in weiteren klinischen<br />
Untersuchungen überprüft wer<strong>de</strong>n, um das Potenzial<br />
<strong>de</strong>s Cimicifuga-Extraktes in <strong>de</strong>r Prävention <strong>de</strong>r postmenopausalen<br />
Osteoporose besser beurteilen zu können.<br />
■<br />
AUTOR<br />
MU Dr. Dr. med. Dana Seidlová-Wuttke<br />
Department of Endocrinology<br />
University Göttingen<br />
Robert-Koch-Straße 40 | 37075 Göttingen<br />
E-Mail: seidlova@med.uni-goettingen.<strong>de</strong><br />
Bildnachweis: fotolia (1)<br />
16 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
REPORT<br />
Vitamin- und Mineralstoffversorgung:<br />
Alles im grünen Bereich?<br />
➔<br />
Die im Januar 2008 veröffentlichte<br />
Nationale Verzehrstudie II zur<br />
Vitamin- und Mineralstoffversorgung<br />
zeichnete ein optimistisches Bild <strong>de</strong>r Versorgungssituation<br />
in Deutschland. Dem<br />
wi<strong>de</strong>rsprach die Gesellschaft für Biofaktoren<br />
e.V. (GfB) und for<strong>de</strong>rte in ihrer<br />
Stellungnahme eine differenziertere Betrachtung<br />
<strong>de</strong>r Realität.<br />
Die Gesellschaft für Biofaktoren<br />
ist ein gemeinnütziger Verein, <strong>de</strong>r das<br />
Ziel verfolgt, die wissenschaftlichen<br />
Grundlagen <strong>de</strong>r Therapie und Prophylaxe<br />
mit Biofaktoren zu för<strong>de</strong>rn. Vorsitzen<strong>de</strong>r<br />
ist Prof. Dr. med. Hans-Georg<br />
Classen, Stuttgart-Hohenheim. Dem<br />
wissenschaftlichen Beirat gehören an:<br />
Apotheker Uwe Gröber, Essen, Prof. Dr.<br />
Dr. med. Dieter Loew, Wiesba<strong>de</strong>n, Prof.<br />
Dr. med. Joachim Schmidt, Dres<strong>de</strong>n, und<br />
Prof. Dr. med. Hilmar Stracke, Gießen.<br />
berücksichtige nicht die Randgruppen.<br />
Viele Menschen erreichen aber die empfohlenen<br />
Dosen wichtiger Vitalstoffe aufgrund<br />
ungünstiger Nahrungsauswahl o<strong>de</strong>r<br />
wegen höheren Bedarfs nicht, betonen die<br />
Wissenschaftler von <strong>de</strong>r GfB. Dies gelte<br />
insbeson<strong>de</strong>re für Folsäure und Vitamin D,<br />
aber auch für die Vitamine A, E, B-Komplex,<br />
und sogar Kalzium, Magnesium,<br />
Zink und Jod wer<strong>de</strong>n nicht ausreichend<br />
zugeführt. Aufgrund <strong>de</strong>s seltenen Verzehrs<br />
von Fisch o<strong>de</strong>r Fischgerichten sei<br />
außer<strong>de</strong>m die Versorgung mit Omega-3-<br />
Fettsäuren oftmals mangelhaft.<br />
Risikogruppen sind oft keine<br />
Min<strong>de</strong>rheit mehr<br />
Dass zwischen ausgewogener Ernährung<br />
in <strong>de</strong>r Theorie und <strong>de</strong>m tatsächlichen<br />
Ernährungsverhalten Einzelner oft eine<br />
große Lücke klafft, zeigt selbst die Nationale<br />
Verzehrstudie, in<strong>de</strong>m sie feststellt,<br />
dass 79 Prozent <strong>de</strong>r befragten Männer<br />
und 86 Prozent <strong>de</strong>r Frauen nicht ausreichend<br />
mit Folsäure versorgt sind, 82<br />
Prozent <strong>de</strong>r Männer und 91 Prozent <strong>de</strong>r<br />
Frauen die Empfehlungen für die Aufnahme<br />
von Vitamin D unterschreiten und 46<br />
Prozent <strong>de</strong>r Männer und 55 Prozent <strong>de</strong>r<br />
Frauen nicht die empfohlene Kalziumzufuhr<br />
erreichen.<br />
Trotz dieser be<strong>de</strong>nklichen Daten muss<br />
man nach Meinung <strong>de</strong>r GfB davon ausgehen,<br />
dass die Metho<strong>de</strong>, mit <strong>de</strong>r die<br />
Zufuhr an Biofaktoren berechnet wur<strong>de</strong>,<br />
ein viel zu günstiges Bild vermittelt hat.<br />
Der aktuelle Lebensmittelverzehr wur<strong>de</strong><br />
nämlich mit Fragebögen erfasst und dann<br />
<strong>de</strong>r Gehalt an Biofaktoren mithilfe <strong>de</strong>s<br />
Bun<strong>de</strong>slebensmittelschlüssels berechnet.<br />
„Studien unter an<strong>de</strong>rem vom Arbeitskreis<br />
von Prof. Anke in Jena o<strong>de</strong>r von Prof.<br />
Classen in Hohenheim haben gezeigt,<br />
dass <strong>de</strong>rartige Schätzwerte z.B. für Magnesium<br />
und Zink um bis zu 25 Prozent<br />
über <strong>de</strong>n tatsächlich vorliegen<strong>de</strong>n Konzentrationen<br />
lagen. Das heißt, die Schätzwerte<br />
sind – außer beim Natrium – meist<br />
zu hoch“, erklären die Wissenschaftler<br />
von <strong>de</strong>r GfB.<br />
Die Gesellschaft für Biofaktoren appelliert<br />
daher an alle Verantwortlichen, Rand- und<br />
Risikogruppen mehr Aufmerksamkeit zu<br />
schenken. Wenn eine Umstellung <strong>de</strong>s Ernährungsverhaltens<br />
nicht möglich ist o<strong>de</strong>r<br />
ein durch Krankheit, Medikamenteneinnahme<br />
o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Umstän<strong>de</strong> bedingter<br />
Mehrbedarf vorliegt, sei <strong>de</strong>shalb eine<br />
Ergänzung durch geeignete Supplemente<br />
zu empfehlen. Detaillierte Informationen,<br />
z.B. über Risikogruppen o<strong>de</strong>r krankheitsund<br />
medikamentös bedingte Vitamin<strong>de</strong>fizite,<br />
fin<strong>de</strong>n sich auf <strong>de</strong>r Internetseite<br />
<strong>de</strong>r Gesellschaft für Biofaktoren unter<br />
www.gf-biofaktoren.<strong>de</strong>.<br />
■<br />
Dr. Marcela Ullmann<br />
Wer sich in Deutschland ausgewogen<br />
ernährt, kann sicher sein, mit <strong>de</strong>n wichtigsten<br />
Vitaminen und Nährstoffen versorgt<br />
zu sein, so die Kernaussage <strong>de</strong>r<br />
im Auftrag <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sministeriums für<br />
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz<br />
durchgeführten bun<strong>de</strong>sweiten,<br />
bevölkerungsrepräsentativen Querschnittstudie<br />
(siehe Kasten rechts).<br />
Ein kritischer Blick auf die Details <strong>de</strong>r Erhebung<br />
zeige aber, dass das nur die halbe<br />
Wahrheit ist, meint die in Stuttgart ansässige<br />
Gesellschaft für Biofaktoren dazu.<br />
Die positive Beurteilung beziehe sich auf<br />
die Mittelwerte <strong>de</strong>r erhobenen Daten und<br />
Nationale Verzehrstudie II<br />
Im Auftrag <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz<br />
wur<strong>de</strong>n in einer bun<strong>de</strong>sweiten, bevölkerungsrepräsentativen Querschnittsstudie von November<br />
2005 bis Januar 2007 Daten von 580 Jungen und 544 Mädchen im Alter zwischen<br />
14 und 17 Jahren sowie 6 117 Männern und 7 090 Frauen im Alter zwischen 18 und 80<br />
Jahren erfasst. Neben Körpergröße, Körpergewicht und Taillenumfang wur<strong>de</strong>n mithilfe<br />
einer ausführlichen Befragung mit standardisierten Fragebögen auch die Ernährungsgewohnheiten<br />
festgehalten. Die Zufuhr an Biofaktoren wie Vitaminen, Mengen- und Spurenelementen<br />
wur<strong>de</strong> allerdings nicht gemessen, son<strong>de</strong>rn nur geschätzt. Und zwar anhand<br />
<strong>de</strong>s Lebensmittelverzehrs von rund 1 000 Proban<strong>de</strong>n, die am Telefon über ihre Nahrungsaufnahme<br />
Auskunft gaben. Aus diesen Angaben wur<strong>de</strong>n die Inhaltsstoffe errechnet und<br />
in Beziehung zu <strong>de</strong>n Zufuhrempfehlungen <strong>de</strong>r Ernährungsgesellschaften von Deutschland,<br />
Österreich und <strong>de</strong>r Schweiz (D-A-CH-Referenzwerte) gesetzt.<br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 17
GASTKOMMENTAR<br />
Die gegenwärtigen<br />
Regularien für pflanzliche<br />
Produkte sind insuffizient<br />
Prof. Dr. Susanne Alban<br />
Pharmazeutisches Institut <strong>de</strong>r Universität Kiel<br />
➔Nach Umsatzeinbrüchen pflanzlicher Arzneimittel in<br />
<strong>de</strong>n letzten Jahren infolge <strong>de</strong>s GMG von 2004 sind<br />
unsere guten alten Arzneipflanzen wie<strong>de</strong>r stark im Aufwind!<br />
In Kapsel- und Drageeform füllen sie die Regale in<br />
Drogerie- und Supermärkten und wan<strong>de</strong>rn „en passent“ in<br />
<strong>de</strong>n Einkaufswagen o<strong>de</strong>r können bequem im Internet bestellt<br />
wer<strong>de</strong>n. Der Verbraucher ist begeistert, <strong>de</strong>nn die Werbung<br />
verheißt ja so viel Gutes, und diese Mittel haben im Gegensatz<br />
zu Arzneimitteln offensichtlich keinerlei Risiken. Es<br />
han<strong>de</strong>lt sich nämlich um Lebensmittel, insbeson<strong>de</strong>re Nahrungsergänzungsmittel,<br />
die nun auch in Deutschland zunehmend<br />
auf <strong>de</strong>n Markt drängen. Während sich Hersteller<br />
pflanzlicher Arzneimittel mit gefor<strong>de</strong>rten Prüfungen zur<br />
Qualität und Stabilität, zur Unbe<strong>de</strong>nklichkeit und Wirksamkeit<br />
abmühen, lassen die Marketingstrategen im Lebensmittelbereich<br />
ihrer Phantasie freien Lauf – wobei die Juristen<br />
ihnen Kniffe und Tricks verraten, wie sich zunächst unbehelligt<br />
Umsätze erzielen lassen.<br />
Diese Schil<strong>de</strong>rung ist sicherlich eine nicht objektive Karikatur<br />
zum aktuellen Spannungsfeld zwischen pflanzlichen<br />
Arzneimitteln und Produkten mit pflanzlichen Zutaten, die<br />
<strong>de</strong>n Lebensmitteln zugeordnet wer<strong>de</strong>n. Diese oberflächlich<br />
betrachtet vor allem für <strong>de</strong>n Verbraucher vergleichbaren<br />
Produkte sorgen zurzeit für sehr viel Zündstoff.<br />
Der grundlegen<strong>de</strong> und für die Praxis relevante Unterschied<br />
zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln liegt<br />
auf regulatorischer Ebene. Während Arzneimittel nur nach<br />
aufwendigem Beleg <strong>de</strong>r Qualität, Wirksamkeit und Unbe<strong>de</strong>nklichkeit<br />
zugelassen wer<strong>de</strong>n, besteht bei Lebensmit teln,<br />
abgesehen von speziellen Ausnahmen wie Novel Food, lediglich<br />
eine Anzeigepflicht bei <strong>de</strong>r zuständigen Bun<strong>de</strong>soberbehör<strong>de</strong>.<br />
Infolge<strong>de</strong>ssen können Lebensmittel mit geringen<br />
Entwicklungskosten schnell in Verkehr gebracht wer<strong>de</strong>n.<br />
Bei Kritik aus <strong>de</strong>r Arzneimittel-Liga verweisen die Lebensmittelprotagonisten<br />
gerne auf die komplexen rechtlichen Anfor<strong>de</strong>rungen,<br />
<strong>de</strong>nen Lebensmittel unterliegen. Demzufolge<br />
dürfen Lebensmittel nur in Verkehr gebracht wer<strong>de</strong>n, wenn<br />
sie sicher sind und nicht irreführend beworben wer<strong>de</strong>n. Das<br />
Problem ist aber, dass diesen Vorgaben <strong>de</strong> facto – bewusst<br />
o<strong>de</strong>r unbewusst – oft wenig Beachtung geschenkt wird.<br />
Wozu auch dieser Aufwand, <strong>de</strong>nn es wird ja von keinem – im<br />
Gegensatz zu Arzneimitteln – a priori überprüft!<br />
Die Konsequenzen im Bereich <strong>de</strong>r Sicherheit und Werbung<br />
sind bekannt: Zum einen eine steigen<strong>de</strong> Zahl von Meldungen<br />
und Publikationen über schädliche Wirkungen pflanzlicher<br />
Produkte, wobei auf diesem Weg auch sowohl hochwertige<br />
pflanzliche Lebensmittel als auch Phytopharmaka unberechtigt<br />
in Misskredit geraten. Deshalb wer<strong>de</strong>n nun verstärkt<br />
For<strong>de</strong>rungen nach strengeren Qualitäts- und Sicherheitsanfor<strong>de</strong>rungen<br />
bzw. -kontrollen laut.<br />
Mit <strong>de</strong>r Schaffung <strong>de</strong>r Kategorie traditioneller Arzneimittel<br />
hatte man ursprünglich auf europäischer Ebene die Intenti-<br />
Bildnachweis: privat (1)<br />
18 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
on, diesbezüglich Abhilfe zu schaffen. Aber die hohen Anfor<strong>de</strong>rungen an Qualität<br />
und Sicherheit för<strong>de</strong>rn gera<strong>de</strong>zu die „Flucht“ <strong>de</strong>r Hersteller zu <strong>de</strong>n Nahrungsergänzungsmitteln.<br />
Zum an<strong>de</strong>ren ist ein wahrer „Wildwuchs“ an Wirkversprechen<br />
zu verzeichnen. Manchmal mag eine Formulierung zwar juristisch akzeptabel<br />
sein, aber die Erwartungen, die sie beim Verbraucher auslöst, können <strong>de</strong>nnoch<br />
jenseits <strong>de</strong>r Realität liegen.<br />
Diesem Punkt möchte man auf europäischer Ebene mit <strong>de</strong>r Health-Claims-Verordnung<br />
– Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene<br />
Angaben über Lebensmittel – begegnen. Die aus Vorschlägen europäischer<br />
Hersteller erstellte „Health Claims List Draft“ liest sich wie ein Auszug aus einem<br />
alten Kräuterbuch und lässt die „Indikationslyrik“ vergangener Zeiten wie<strong>de</strong>r<br />
aufleben. Da eigene Daten zu <strong>de</strong>n Claims fehlen, beruft man sich u.a. auf die<br />
Anwendung in <strong>de</strong>r Medizin. Es wird also Erkenntnismaterial zur therapeutischen<br />
Wirksamkeit bei Patienten kritiklos auf Gesun<strong>de</strong> übertragen. Wie die EFSA <strong>de</strong><br />
facto über Health-Claims-Anträge entschei<strong>de</strong>n wird, bleibt abzuwarten.<br />
Die Problematik liegt aber nicht nur auf <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>r Produkte, son<strong>de</strong>rn auch auf<br />
<strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>r Verbraucher. Zwar möchte man, dass <strong>de</strong>r Verbraucher mehr Verantwortung<br />
für seine Gesundheit übernimmt, die jetzige Situation wird <strong>de</strong>m aber<br />
nicht gerecht. Bedingt durch das Heilmittelwerbegesetz (HWG) erhalten sie Informationen<br />
über Arzneimittel primär aus <strong>de</strong>r Gebrauchsinformation. Aufgrund<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>taillierten Angaben über potenzielle Risiken wird er eher abgeschreckt bzw.<br />
gegebenenfalls bemüht sein, das Arzneimittel richtig anzuwen<strong>de</strong>n. Nahrungsergänzungsmittel,<br />
die <strong>de</strong>m Eindruck zufolge <strong>de</strong>mgegenüber nur positive Wirkungen<br />
und keine Risiken aufweisen, erscheinen daher nachvollziehbar als die bessere<br />
Wahl.<br />
Der Verbraucher konsumiert sie eigenmächtig ohne Beratung beziehungsweise<br />
Kontrolle durch einen Arzt o<strong>de</strong>r Apotheker und ohne eine in allen Punkten korrekte<br />
Information. In bestimmten Fällen wie zum Beispiel bei Diabetikern kann<br />
eine <strong>de</strong>rartige „Selbstmedikation“ ausgesprochen inadäquat sein. Ferner können,<br />
abgesehen von einer nicht gewährleisteten Qualität, Überdosierungen o<strong>de</strong>r Interaktionen<br />
mit gleichzeitig eingenommenen Arzneimitteln eine zusätzliche Gefahr<br />
darstellen.<br />
Ein Aspekt, <strong>de</strong>r die regulatorische Diskrepanz zwischen Arzneimitteln und<br />
Lebensmitteln gera<strong>de</strong>zu grotesk wer<strong>de</strong>n lässt, ist die Tatsache, dass vergleichbare<br />
Produkte <strong>de</strong> jure sowohl als Arzneimittel wie als bilanzierte Diät o<strong>de</strong>r als<br />
Nahrungsergänzungsmittel vermarktet wer<strong>de</strong>n können. Dies kann hinsichtlich<br />
<strong>de</strong>r Wirkungen sogar gerechtfertigt sein, <strong>de</strong>r unterschiedliche Aufwand bis zum<br />
Marktzugang ist es aber sicherlich nicht. Ebenso wenig ist zu verstehen, dass<br />
beispielsweise Anistee gera<strong>de</strong>zu „gefährlich“ ist, wenn er als Arzneitee verkauft<br />
wird, als Lebensmitteltee kann er aber weiterhin ohne Be<strong>de</strong>nken auch kleinen<br />
Kin<strong>de</strong>rn verabreicht wer<strong>de</strong>n.<br />
Ähnlich absurd ist das juristische Wortspiel, dass Nahrungsergänzungsmittel<br />
das „Risiko für eine Erkrankung reduzieren“, während Arzneimittel „einer Erkrankung<br />
vorbeugen“. Es veranschaulicht die Schwierigkeit, (ernährungs)physiologische<br />
und pharmakologische Wirkungen voneinan<strong>de</strong>r abzugrenzen.<br />
Insgesamt wird <strong>de</strong>utlich, dass die gegenwärtigen Regularien für pflanzliche Produkte<br />
insuffi zient sind, und dass für ein konstruktives Vorgehen eine engere<br />
Zusammenarbeit <strong>de</strong>r zuständigen Behör<strong>de</strong>n wünschenswert wäre. Aus pharmazeutisch-wissenschaftlicher<br />
Sicht sollten alle Produkte, die eingesetzt wer<strong>de</strong>n,<br />
um das hohe und sensible Gut <strong>de</strong>r Gesundheit zu beeinflussen, mit <strong>de</strong>r gleichen<br />
Vorsicht und Seriosität behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Demzufolge sollte vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n,<br />
dass <strong>de</strong>r mühsam erarbeitete Standard pflanzlicher Arzneimittel zugunsten von<br />
Lebensmitteln aufgegeben wird.<br />
Ihre Susanne Alban<br />
Nr. 1 | Februar 2009
SCHWERPUNKT<br />
Herzprävention<br />
Weißdorn-Extrakt: Günstig<br />
für Herzkraft und Endothel<br />
Weißdorn-Extrakt ist ein pflanzliches Kardiakum, <strong>de</strong>m positiv inotrope Effekte zugeschrieben wer<strong>de</strong>n.<br />
Seine Wirksamkeit bei <strong>de</strong>r Behandlung leichterer Stadien <strong>de</strong>r Herzinsuffi zienz (NYHA I und II) ist klinisch<br />
gut dokumentiert. Die Ergebnisse einer experimentellen Studie geben jetzt Aufschluss über die zugrun<strong>de</strong><br />
liegen<strong>de</strong>n Wirkmechanismen. [ von Dr. rer. nat. Klara Brixius ]<br />
➔Körperliche Aktivität geht stets mit einer verstärkten<br />
Kontraktion <strong>de</strong>r Skelettmuskulatur einher, was dazu<br />
führt, dass die beanspruchten Muskeln besser mit Sauerstoff<br />
und Nährstoffen versorgt wer<strong>de</strong>n als im Ruhezustand. Das ist<br />
allerdings nur dann <strong>de</strong>r Fall, wenn sich das Herz-Kreislauf-<br />
Sys tem an die erhöhte Belastung anpasst und durch Weitstellung<br />
<strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n Blutgefäße und Erhöhung <strong>de</strong>s Schlagvolumens<br />
<strong>de</strong>s Herzens eine verstärkte Durchblutung <strong>de</strong>r<br />
Muskeln ermöglicht. Letztlich be<strong>de</strong>utet es, dass die Fähigkeit<br />
<strong>de</strong>s Herz-Kreislauf-Systems, seine Leistung zu steigern, eine<br />
Vor aussetzung für die körperliche Aktivität darstellt. Diese ist<br />
aber wie<strong>de</strong>rum für das Herz-Kreislauf-System im Sinne eines<br />
Trainingseffektes unentbehrlich. Diese enge Wechselwirkung<br />
zwischen Herzleistung und körperlicher Aktivität kann therapeutisch<br />
genutzt wer<strong>de</strong>n.<br />
Die rein physikalische Funktionsweise <strong>de</strong>s Herz-Kreislauf-<br />
Sys tems hat bekanntlich Ähnlichkeiten mit einer „Hau-<strong>de</strong>n-<br />
Lukas“-Apparatur. Die Herzkontraktion stellt <strong>de</strong>n Hammerschlag<br />
dar, und <strong>de</strong>r im Körper aufgebaute (systolische)<br />
Blutdruck entspricht <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>r Säule, die durch <strong>de</strong>n Hammerschlag<br />
erreicht wird. Die physikalische Definition von<br />
Druck ist <strong>de</strong>r Quotient aus Kraft – bzw. <strong>de</strong>m Produkt aus<br />
Masse und Beschleunigung – und Fläche.<br />
Kraft<br />
Druck = =<br />
Fläche<br />
Masse x Beschleunigung<br />
Fläche<br />
In medizinischer Hinsicht versteht man unter Blutdruck <strong>de</strong>n<br />
Druck, <strong>de</strong>n das Blut auf die Gefäßwand ausübt. Er entsteht<br />
dadurch, dass die Masse <strong>de</strong>r Blutkörperchen durch <strong>de</strong>n Herzschlag<br />
beschleunigt wird. Die Blutdruckregulation ist dabei<br />
im Wesentlichen von drei Faktoren abhängig:<br />
■ <strong>de</strong>r Blutviskosität,<br />
■ <strong>de</strong>r Herzkontraktilität,<br />
■ <strong>de</strong>r Fläche <strong>de</strong>r Gefäßwän<strong>de</strong>.<br />
Gefäßelastizität<br />
Abbildung 1: Entwicklung <strong>de</strong>r Gefäßelastizität<br />
im Alter.<br />
Modifi ziert nach Grandi et al., Cardiology (1992) 81: 8–13 (links),<br />
modifi ziert nach Celermajer et al., J Am Coll Cardiol (1994) 24: 471–476 (rechts)<br />
Das Endothel stellt die Weichen<br />
Für die Weitstellung <strong>de</strong>r Blutgefäße unter körperlicher Belastung<br />
– und damit für eine Zunahme <strong>de</strong>r Gefäßfläche bzw.<br />
eine Abnahme <strong>de</strong>s Blutdrucks – ist das Endothel zuständig.<br />
In <strong>de</strong>r Medizin wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Endothel lange Zeit keine beson<strong>de</strong>re<br />
Be<strong>de</strong>utung zugemessen. Es wur<strong>de</strong> lediglich als Barriere<br />
zwischen <strong>de</strong>m Blut in <strong>de</strong>n Gefäßen und <strong>de</strong>r darunter liegen<strong>de</strong>n<br />
glatten Muskulatur angesehen. Dieses Verständnis vom<br />
Endothel wur<strong>de</strong> 1980 durch eine Publikation aus <strong>de</strong>m Labor<br />
von Prof. Furchgott grundlegend verän<strong>de</strong>rt.<br />
Dem Assistenten von Prof. Robert F. Furchgott war aufgefallen,<br />
dass sich die isolierten Aortenringe in seiner Präparationsschale<br />
in Reaktion auf Acetylcholin manchmal kontrahierten<br />
und manchmal relaxierten. Für die Aufklärung <strong>de</strong>r darin<br />
zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Mechanismen erhielt Prof. Furchgott zusammen<br />
mit Prof. Murad und Prof. Ignarro <strong>de</strong>n Nobelpreis.<br />
Unter Belastung wird aus <strong>de</strong>m Endothel Stickstoffmon oxid<br />
(engl. „nitric oxi<strong>de</strong>“, NO) freigesetzt. NO ist ein relativ<br />
kleines Molekül, das ungehin<strong>de</strong>rt durch die Zellmembranen<br />
diffundieren kann und somit von <strong>de</strong>r Endothelzelle in die<br />
Bildnachweis: KFN (3)<br />
20 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
Erhöhung <strong>de</strong>r Herzkraft<br />
Gefäßerweitern<strong>de</strong> Wirkung<br />
Abbildung 2: Erhöhung <strong>de</strong>r Herzkraft und Steigerung<br />
<strong>de</strong>r Calciumkonzentration nach Gabe von WS ® 1442 im<br />
Vergleich zur Kontrolle.<br />
Quelle: Brixius et al.,<br />
J Cardiovasc Ther (2000) 35: 700–707<br />
Abbildung 3: Gefäßerweitern<strong>de</strong> Wirkung von WS ® 1442<br />
und seiner Fraktionen.<br />
Quelle: Brixius et al.,<br />
Cardiovasc Drugs Ther (2006) 20: 177–184<br />
Gefäßmuskelzelle gelangt. Hier bewirkt NO durch ein Absenken<br />
<strong>de</strong>r intrazellulären Calciumkonzentration eine Relaxation<br />
<strong>de</strong>r Gefäßmuskelzellen. Durch die Gefäßweitstellung<br />
verbessert sich die Durchblutung und damit auch die Sauerstoff-<br />
und Nährstoffversorgung <strong>de</strong>s betreffen<strong>de</strong>n Organs, z.B.<br />
<strong>de</strong>s Herzmuskels.<br />
Für die Erhöhung <strong>de</strong>s Schlagvolumens unter körperlicher Belastung<br />
ist es notwendig, dass sich die Muskelzellen <strong>de</strong>s Herzens<br />
stärker kontrahieren. Im Gegensatz zur Gefäßmuskulatur<br />
muss <strong>de</strong>shalb die intrazelluläre Calciumkonzentration in<br />
<strong>de</strong>n Herzmuskelzellen (Kardiomyozyten) durch körperliche<br />
Aktivität gesteigert wer<strong>de</strong>n. Parallel hierzu kommt es durch<br />
eine verstärkte Sympathikusaktivität zu einer Steigerung <strong>de</strong>r<br />
Herzfrequenz. Der Zusammenhang zwischen einem Anstieg<br />
<strong>de</strong>r Herzfrequenz und <strong>de</strong>r Zunahme <strong>de</strong>r Kontraktionskraft <strong>de</strong>s<br />
Herzens wird als „positive Treppe“ o<strong>de</strong>r „Bowditch-Effekt“<br />
bezeichnet. Dieser Effekt trägt mit dazu bei, dass sich unter<br />
körperlicher Belastung die Durchblutung verbessert.<br />
Studie untersucht Wirkprinzip von Crataegus-Extrakt<br />
Mit zunehmen<strong>de</strong>m Alter verschlechtern sich bei<strong>de</strong> Faktoren –<br />
die Endothelfunktion und die Herzkraft. Das beeinträchtigt<br />
neben verschie<strong>de</strong>nen an<strong>de</strong>ren Faktoren auch die körperliche<br />
Belastungsfähigkeit, ein Effekt, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Regel bereits ab<br />
<strong>de</strong>n mittleren Lebensjahren eintritt (Abbildung 1). Um das<br />
auszugleichen bzw. die Progression dieses Prozesses abzubremsen,<br />
wer<strong>de</strong>n unterschiedliche Strategien diskutiert, u.a.<br />
körperliches Training und die Gabe von Extrakten aus Weißdorn.<br />
Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r positive Einfluss von standardisierten Crataegus-Extrakten<br />
auf leichtere Formen <strong>de</strong>r Herzinsuffizienz und<br />
die typischen Symptome nachlassen<strong>de</strong>r Herzkraft bereits in<br />
einer Reihe von klinischen Studien dokumentiert wer<strong>de</strong>n<br />
konnte, wollten wir experimentell <strong>de</strong>n Wirkmechanismus<br />
klären, <strong>de</strong>r diesen Effekten zugrun<strong>de</strong> liegt. In unseren Untersuchungen<br />
interessierte uns vor allem, welche Wirkungen <strong>de</strong>r<br />
Gesamtextrakt auf die Endothelfunktion und die Herzkraft<br />
ausübt und welche Fraktionen <strong>de</strong>s Extrakts hierzu in welcher<br />
Weise beitragen. Als Prüfsubstanz diente WS ® 1442, ein Spezialextrakt<br />
aus Weißdornblättern mit -blüten, <strong>de</strong>r auf einen<br />
gleichbleibend hohen Gehalt oligomerer Procyanidine (Herz-<br />
OPCs) quantifiziert ist. Gleichzeitig untersucht wur<strong>de</strong>n drei<br />
seiner Fraktionen:<br />
■ Fraktion A, reich an Flavon<strong>de</strong>rivaten,<br />
■ Fraktion B, die nie<strong>de</strong>rmolekulare Fraktion,<br />
■ Fraktion C, reich an oligomeren Procyanidinen.<br />
In Abbildung 2 und 3 sind die Ergebnisse unserer Untersuchungen<br />
an isolierten Papillarmuskelstreifen aus menschlichem<br />
nicht insuffi zientem Myokard dargestellt. Aus <strong>de</strong>n<br />
Daten lassen sich folgen<strong>de</strong> Schlussfolgerungen ziehen:<br />
■ WS ® 1442 steigert konzentrationsabhängig die Herzkraft.<br />
■ Die Erhöhung <strong>de</strong>r Konzentrationskraft beruht auf einer<br />
Steigerung <strong>de</strong>r intrazellulären Calciumkonzentration in<br />
<strong>de</strong>n Kardiomyozyten.<br />
■ Der Spezialextrakt verbessert auch die Kraft-Frequenz-<br />
Beziehung.<br />
■ Die Steigerung <strong>de</strong>r Kontraktionskraft beruht vor allem<br />
auf <strong>de</strong>n Inhaltsstoffen <strong>de</strong>r Fraktion A (reich an Flavon<strong>de</strong>rivaten),<br />
wobei jedoch <strong>de</strong>r Gesamtextrakt die stärkste<br />
Wirkung zeigt.<br />
■ Die vasodilatatorischen Eigenschaften <strong>de</strong>s Extrakts sind<br />
endothelabhängig.<br />
■ Sie beruhen auf einer Aktivierung <strong>de</strong>r endothelialen NO-<br />
Synthase und <strong>de</strong>r Freisetzung von Stickstoffmonoxid.<br />
■ Diese endothelialen Effekte wer<strong>de</strong>n vor allem durch<br />
die Wirkstoffe <strong>de</strong>r Fraktion C (reich an Herz-OPCs)<br />
vermittelt, die in diesem Fall sogar stärker sind als <strong>de</strong>r<br />
Gesamtextrakt.<br />
■<br />
AUTOR<br />
PD Dr. rer. nat. Klara Brixius<br />
Abteilung für Molekulare und Zelluläre Sportmedizin<br />
Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin<br />
Deutsche Sporthochschule Köln<br />
50933 Köln<br />
E-Mail: Brixius@dshs-koeln.<strong>de</strong><br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 21
AKTUELL<br />
Integrative Medizin<br />
Die Universitätspräsenz<br />
ist stark gewachsen<br />
Schulmediziner und Vertreter komplementärmedizinischer Ansätze (CAM) wollen künftig enger zusammenarbeiten.<br />
Unter diesem Leitgedanken stand <strong>de</strong>r 1. Europäische Kongress für Integrative Medizin, <strong>de</strong>r im<br />
November in Berlin stattfand. Die Veranstaltung ermöglichte einen konstruktiven Austausch zwischen<br />
Vertretern unterschiedlicher medizinischer Weltbil<strong>de</strong>r, die sich bislang oft noch skeptisch gegenüberstehen.<br />
Die Abstracts <strong>de</strong>r Kongressbeiträge erschienen in <strong>de</strong>r ersten Ausgabe <strong>de</strong>s ebenfalls neu gegrün<strong>de</strong>ten<br />
European Journal of Integrative Medicine. NATURAMED sprach mit <strong>de</strong>m Initiator <strong>de</strong>s Kongresses,<br />
Prof. Dr. med. Stefan Willich vom Institut für Sozialmedizin <strong>de</strong>r Charité Berlin.<br />
[ von Dr. Ina Schicker ]<br />
Johanniskraut-Extrakte sind auch von<br />
<strong>de</strong>r Schulmedizin anerkannt.<br />
NATURAMED: Was ist „Integrative<br />
Medizin“?<br />
PROF. WILLICH: Unter „Integrativer Medizin“<br />
verstehen wir die Kooperation von Schulmedizin<br />
und Komplementärmedizin inklusive<br />
<strong>de</strong>r etablierten alternativmedizinischen<br />
Richtungen. Wir halten dies für dringend<br />
notwendig im Sinne einer bestmöglichen<br />
Behandlung <strong>de</strong>s Patienten. Bisher sitzt er<br />
oft zwischen <strong>de</strong>n Stühlen und geht entwe<strong>de</strong>r<br />
zum Schulmediziner, <strong>de</strong>r nichts von <strong>de</strong>r<br />
alternativen Medizin wissen will, o<strong>de</strong>r zum<br />
Alternativmediziner, <strong>de</strong>r ihm wie<strong>de</strong>rum von<br />
<strong>de</strong>r Schulmedizin abrät. Und dieser Dualismus<br />
– so sind wir überzeugt – ist bei vielen<br />
Krankheitsbil<strong>de</strong>rn ungünstig. Die Schulmedizin<br />
hat ihre Stärken vor allem in <strong>de</strong>r Akutmedizin,<br />
und die Komplementärmedizin erscheint<br />
bei vielen chronischen Erkrankungen<br />
sinnvoll. Man sollte daher <strong>de</strong>n Patienten je<br />
nach Stadium seiner Erkrankung die jeweils<br />
optimale Kombination anbieten.<br />
NATURAMED: Welche komplementärmedizinischen<br />
Maßnahmen beziehen<br />
Sie da mit ein?<br />
PROF. WILLICH: Es geht um medizinische Metho<strong>de</strong>n,<br />
die sich in wissenschaftlichen Studien<br />
als sinnvoll und wirkungsvoll erwiesen<br />
haben. So haben wir an unserem Institut in<br />
<strong>de</strong>n Bereichen Akupunktur, Naturheilverfahren<br />
und Homöopathie viele Studien durchgeführt<br />
mit vielversprechen<strong>de</strong>n Ergebnissen.<br />
Es gibt an<strong>de</strong>re alternativmedizinische Richtungen,<br />
für die bisher weitaus weniger o<strong>de</strong>r<br />
überhaupt keine soli<strong>de</strong>n Daten vorliegen. Da<br />
muss man natürlich vorsichtig sein. Es geht<br />
darum, dass die integrative Zusammenarbeit<br />
und entsprechen<strong>de</strong> Patientenangebote<br />
auf <strong>de</strong>r Basis guter Forschungsergebnisse<br />
erfolgen.<br />
NATURAMED: Was ist Ihr Hintergrund<br />
und was sind Ihre Beweggrün<strong>de</strong>?<br />
PROF. WILLICH: Ich selbst bin Schulmediziner<br />
und habe zehn Jahre in <strong>de</strong>r Kardiologie<br />
gearbeitet – teils in Deutschland, teils in<br />
<strong>de</strong>n USA. Dabei habe ich die großen Stärken<br />
<strong>de</strong>r Schulmedizin kennengelernt und in<br />
<strong>de</strong>r Patientenversorgung genutzt. Ich habe<br />
Prof. Dr. med. Stefan Willich<br />
Berlin<br />
aber auch ihre Limitationen erlebt, gera<strong>de</strong><br />
bei vielen chronischen Krankheiten wie<br />
etwa bei Bluthochdruck o<strong>de</strong>r bei lebensbedrohlichen<br />
Krebserkrankungen. Aber auch<br />
bei akuten Erkrankungen, wie zum Beispiel<br />
<strong>de</strong>m Herzinfarkt, muss man längerfristig für<br />
erfolgreiche Rehabilitation auch Fragen <strong>de</strong>s<br />
Lebensstils und <strong>de</strong>r Lebenseinstellung <strong>de</strong>r<br />
Patienten mit berücksichtigen. Da sollte es<br />
nicht nur um Medikation gehen.<br />
Was die ganzheitliche Betrachtung und<br />
Beratung <strong>de</strong>s Patienten betrifft, könnte die<br />
Schulmedizin einiges von <strong>de</strong>r Komplementärmedizin<br />
lernen. Als ich dann Mitte <strong>de</strong>r<br />
90er-Jahre an die Charité berufen wur<strong>de</strong>,<br />
haben wir von Anfang an neben schulmedi-<br />
Bildnachweis: Schwabe (1), privat (1)<br />
22 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
zinischen Themen zunehmend auch komplementärmedizinische<br />
Projekte durchgeführt,<br />
<strong>de</strong>ren Ergebnisse zum großen Teil überraschend<br />
positiv und sehr ermutigend waren.<br />
Vor zwei Jahren haben wir die Charité-Ambulanz<br />
für Prävention und Integrative Medizin<br />
(CHAMP) eröffnet, in <strong>de</strong>r wir Konzepte<br />
einer kombinierten Herangehensweise entwickeln,<br />
wissenschaftlich überprüfen und<br />
<strong>de</strong>n Patienten anbieten.<br />
klinische Studien, was mit diesen Therapien<br />
zu erreichen ist. Und die Komplementärmediziner<br />
kritisieren das „fragmentarische“<br />
Menschenbild <strong>de</strong>r Schulmedizin.<br />
NATURAMED: Wie ge<strong>de</strong>nken Sie diese<br />
Hin<strong>de</strong>rnisse zu überbrücken? Sind die<br />
herkömmlichen wissenschaftlichen<br />
Metho<strong>de</strong>n auf die komplementärmedizinischen<br />
Ansätze anwendbar?<br />
NATURAMED: Sind das die Brücken,<br />
die Sie nutzen wollen, um die Lager<br />
einan<strong>de</strong>r näher zu bringen und skeptische<br />
Kollegen mit ins Boot <strong>de</strong>r Integrativen<br />
Medizin zu holen?<br />
PROF. WILLICH: Ja genau. Da braucht man<br />
sich gar nicht bis in die letzten Details zu<br />
akzeptieren. Das übergeordnete Ziel sollte<br />
für alle Beteiligten sein, für die Patienten die<br />
beste Therapieoption anzubieten. Dafür sind<br />
NATURAMED: An welche Patienten<br />
richtet sich dieses Angebot?<br />
PROF. WILLICH: Wir haben uns zunächst auf<br />
die Erkrankungen beschränkt, für die wir<br />
hier am Institut fachliche Kompetenz haben,<br />
zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen,<br />
Magen-Darm-Erkrankungen, chronische<br />
Schmerzen, chronische rheumatische Beschwer<strong>de</strong>n.<br />
Aber wir weiten das Behandlungsspektrum<br />
kontinuierlich in Zusammenarbeit<br />
mit an<strong>de</strong>ren Charité-Abteilungen aus<br />
und beabsichtigen, <strong>de</strong>mnächst auch zum<br />
Beispiel psychiatrische o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rmatologische<br />
Erkrankungen zu behan<strong>de</strong>ln. Die enge<br />
Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n Fachspezialisten<br />
wollen wir sukzessive ent wickeln.<br />
NATURAMED: Das heißt, Integrative<br />
Medizin richtet sich im Grun<strong>de</strong> genommen<br />
an alle Fachrichtungen?<br />
PROF. WILLICH: Ja, wir <strong>de</strong>nken, dass die<br />
Integrative Medizin künftig für die meisten<br />
Fachrichtungen relevant sein wird.<br />
Sechs Universitäten haben bereits Professuren für Naturheilkun<strong>de</strong> bzw.<br />
Komplementärmedizin:<br />
Universität Berlin (Charité)<br />
■ Lehrstuhl am Zentrum für Naturheilkun<strong>de</strong> Wannsee<br />
■ Professur zur Erforschung <strong>de</strong>r Komplementärmedizin<br />
Universität Bochum<br />
■ Professur für Phytotherapie und Naturstoffforschung<br />
Universität Essen<br />
■ Lehrstuhl für Naturheilkun<strong>de</strong> und Integrative Medizin<br />
Technische Universität München<br />
■ Professur für Naturheilkun<strong>de</strong> und Komplementärmedizin<br />
Universität Rostock<br />
■ Lehrstuhl für Naturheilkun<strong>de</strong><br />
Universität Witten-Her<strong>de</strong>cke<br />
■ Lehrstuhl für Medizintheorie und Komplementärmedizin<br />
NATURAMED: Wie waren die Reaktionen<br />
auf Ihre Initiative?<br />
PROF. WILLICH: Die Reaktionen waren<br />
insgesamt sehr ermutigend. Die Zeiten, in<br />
<strong>de</strong>nen sich die medizinischen Lager feindselig<br />
gegenüberstan<strong>de</strong>n, scheinen zum Glück<br />
vorbei zu sein. Wir haben viele positive<br />
Kommentare bekommen und durchaus auch<br />
Mitarbeit von schulmedizinischen und komplementärmedizinischen<br />
Kollegen. Sicherlich<br />
sind an<strong>de</strong>re noch immer skeptisch.<br />
NATURAMED: Was sind bisher die<br />
größten Hin<strong>de</strong>rnisse für die Zusammenarbeit<br />
von Schulmedizinern und Anhängern<br />
komplementärer Met ho<strong>de</strong>n?<br />
PROF. WILLICH: Schulmediziner bemängeln<br />
zu Recht die unzureichen<strong>de</strong> wissenschaftliche<br />
Basis <strong>de</strong>r Komplementärmedizin, insbeson<strong>de</strong>re,<br />
dass viele dieser Richtungen<br />
nicht mit <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen naturwissenschaftlichen<br />
Prinzipien in Einklang zu bringen sind,<br />
z.B. fehlen für Homöopathie nach wie vor<br />
plausible Vorstellungen <strong>de</strong>r Wirkungsmechanismen.<br />
Ebenso erwarten sie zu Recht<br />
PROF. WILLICH: Wenn man genau hinschaut,<br />
haben bei<strong>de</strong> Richtungen letztlich ähnliche<br />
Fragestellungen. Nehmen wir zum Beispiel<br />
die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Arzt-Patienten-Beziehung<br />
o<strong>de</strong>r die Frage von Placeboeffekten.<br />
Diese Aspekte spielen in bei<strong>de</strong>n Richtungen<br />
<strong>de</strong>r Medizin eine außeror<strong>de</strong>ntlich wichtige<br />
Rolle, sodass es hierüber thematische Brücken<br />
gibt. Mit diesen Fragen wird sich je<strong>de</strong>r<br />
ernsthafte Arzt ohnehin beschäftigen.<br />
Methodisch ist als ein erster Schritt zum<br />
Beispiel ein Wirksamkeitsvergleich von Therapiesystemen<br />
sinnvoll und wichtig. Solche<br />
Studien kann man machen, in<strong>de</strong>m man zwei<br />
Patientengruppen vergleicht, die dieselbe<br />
Krankheit haben und entwe<strong>de</strong>r schulmedizinisch<br />
o<strong>de</strong>r komplementärmedizinisch behan<strong>de</strong>lt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Dann lassen sich Effekte im längerfristigen<br />
Krankheitsverlauf beurteilen. Zugegebenermaßen<br />
löst das noch nicht die Frage, worauf<br />
genau mögliche Wirksamkeitsunterschie<strong>de</strong><br />
beruhen.<br />
vor allem interdisziplinäre und integrative<br />
Fallkonferenzen sinnvoll. Das starten wir<br />
jetzt an <strong>de</strong>r Charité. Wir bieten integrative<br />
Fallkonferenzen an, in <strong>de</strong>nen Schulmediziner<br />
und Vertreter verschie<strong>de</strong>ner komplementärmedizinischer<br />
Richtungen über einen Patienten<br />
diskutieren, um zu sehen, welche Erfolg<br />
versprechen<strong>de</strong> Kombination man dann<br />
anbieten kann.<br />
NATURAMED: In welchen Entwicklungen<br />
sehen Sie die größten Chancen<br />
<strong>de</strong>r Integrativen Medizin? Was tut sich<br />
in diesem Bereich an <strong>de</strong>utschen Universitäten<br />
bzw. international?<br />
PROF. WILLICH: Es gibt mittlerweile an fünf<br />
medizinischen Fakultäten in Deutschland<br />
die strukturelle Etablierung von Integrativer<br />
Medizin in Form von Professuren bzw.<br />
Abteilungen. Neben Berlin sind das Essen,<br />
Rostock, Witten-Her<strong>de</strong>cke und <strong>de</strong>mnächst<br />
auch München. Diese Entwicklung ist sehr<br />
ermutigend, <strong>de</strong>nn sie zeigt, dass diese<br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 23
AKTUELL<br />
Richtung inzwischen an <strong>de</strong>n medizinischen<br />
Fakultäten „angekommen“ ist. Wichtig ist<br />
auch, was operativ passiert: Es gibt viele<br />
anspruchsvolle Forschungsprojekte z.B. zur<br />
Akupunktur bei chronischen Schmerzen. In<br />
<strong>de</strong>n letzten Jahren haben mehrere Arbeitsgruppen<br />
in Deutschland große, wissenschaftlich<br />
hochrangige Studien durchgeführt<br />
und dadurch die wissenschaftliche Basis<br />
<strong>de</strong>utlich verbreitert. Die Ergebnisse zeigen<br />
gute Wirksamkeit von Akupunktur bei bestimmten<br />
chronischen Schmerzen. Ähnliche<br />
Forschungsprojekte gibt es für an<strong>de</strong>re medizinische<br />
Richtungen wie Naturheilverfahren,<br />
Homöopathie, Traditionelle Chinesische Medizin,<br />
anthroposophische Medizin.<br />
Akupunktur wird infolge <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r<br />
Charité durchgeführten Studien bei zwei<br />
Indikationen von <strong>de</strong>r GKV erstattet.<br />
Dann die Herausfor<strong>de</strong>rung einer Zusammenarbeit<br />
in <strong>de</strong>r Klinik. In <strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rgelassenen<br />
medizinischen Praxis gibt es dieses Problem<br />
weniger, weil viele Ärzte bereits komplementärmedizinische<br />
Verfahren anbieten,<br />
schließlich besteht hohe Patientennachfrage<br />
für solche Angebote. Ein Problem ist, dass<br />
wir uns an <strong>de</strong>n Universitäten bisher diesen<br />
Fragen nicht gestellt haben. Wir haben hier<br />
eine „duale“ Situation in Deutschland: Die<br />
Bürger nehmen komplementärmedizinische<br />
Angebote von nie<strong>de</strong>rgelassenen Ärzten in<br />
Anspruch, aber an <strong>de</strong>n Universitätskliniken<br />
wollte man bisher mit diesen Metho<strong>de</strong>n<br />
nichts zu tun haben. Hier setzen wir mit unseren<br />
I<strong>de</strong>en und Arbeiten an: Die Universitäten<br />
sind für die wissenschaftliche Klärung<br />
dieser Fragen zuständig und verantwortlich.<br />
NATURAMED: Entspricht das Angebot<br />
<strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rgelassenen Ärzte bereits <strong>de</strong>r<br />
Nachfrage o<strong>de</strong>r muss sich hier auch<br />
noch einiges tun?<br />
PROF. WILLICH: Es gibt ca. 20 000 bis<br />
30 000 nie<strong>de</strong>rgelassene Ärzte mit Akupunkturausbildung<br />
und entsprechen<strong>de</strong>m Therapieangebot.<br />
Dazu gibt es mehrere Tausend Ärzte mit<br />
Homöopathie- o<strong>de</strong>r Naturheilverfahren-Zusatzausbildung.<br />
Somit besteht in <strong>de</strong>r Praxis<br />
ein or<strong>de</strong>ntliches Angebot, aber dass solche<br />
Behandlungen in Anspruch genommen wer<strong>de</strong>n,<br />
heißt noch längst nicht, dass sie etwas<br />
bringen.<br />
Wir sollten quasi „Spreu vom Weizen trennen“<br />
und mögliche Scharlatanerie verhin<strong>de</strong>rn.<br />
Deshalb ist es so wichtig, dass sich<br />
Forscher ernsthaft mit Integrativer Medizin<br />
auseinan<strong>de</strong>rsetzen.<br />
NATURAMED: Wo sehen Sie die Integrative<br />
Medizin in <strong>de</strong>r Zukunft?<br />
PROF. WILLICH: Wir sehen die Integrative<br />
Medizin nicht als ein neues Fachgebiet,<br />
son<strong>de</strong>rn als übergeordnete Ausrichtung<br />
in <strong>de</strong>r Medizin. Konkret heißt das, dass in<br />
allen großen Kliniken in Zukunft auch komplementärmedizinische<br />
Ärzte zumin<strong>de</strong>st<br />
konsiliarisch tätig sein sollten. Auch das<br />
erproben wir hier an <strong>de</strong>r Charité. Je<strong>de</strong>r<br />
Schulmediziner, <strong>de</strong>r Fragen zur Integrativen<br />
Medizin hat o<strong>de</strong>r mit einem Patienten nicht<br />
weiter kommt, kann unsere CHAMP-Expertise<br />
in Anspruch nehmen (www.champ-info.<br />
<strong>de</strong>). Dieses Mo<strong>de</strong>ll wird die Medizin <strong>de</strong>utlich<br />
erweitern und die Behandlungsoptionen für<br />
<strong>de</strong>n Patienten optimieren.<br />
Wir wer<strong>de</strong>n auf europäischer Ebene eine<br />
Fachgesellschaft grün<strong>de</strong>n, weil sich in verschie<strong>de</strong>nen<br />
Län<strong>de</strong>rn viele Kollegen für diese<br />
Entwicklungen interessieren, aber teilweise<br />
wenig nationalen Rückhalt haben. Wir wer<strong>de</strong>n<br />
uns auf <strong>de</strong>m jährlichen Europäischen<br />
Kongress für Integrative Medizin austauschen,<br />
das nächste Mal am 20./21. November<br />
2009 in Berlin.<br />
Die Fachgesellschaft steht natürlich allen<br />
Medizinern, Wissenschaftlern und<br />
weiteren Personen offen, die sich für die<br />
Schnittfl ächen zwischen Schul- und Komplementärmedizin<br />
interessieren. Diese neue<br />
Gesellschaft steht nicht in Konkurrenz zu<br />
Fachgesellschaften, son<strong>de</strong>rn ist Ausdruck<br />
dieser neuen Entwicklung <strong>de</strong>r Medizin hin<br />
zu einem integrierten Ansatz.<br />
NATURAMED: Wie kann sich die Integrative<br />
Medizin auf das Gesundheitssystem<br />
in Deutschland auswirken?<br />
Welche Chancen hat sie angesichts<br />
<strong>de</strong>r wirtschaftlichen Zwänge?<br />
PROF. WILLICH: Der wirtschaftliche Druck,<br />
unter <strong>de</strong>m sich das Gesundheitssystem<br />
schon seit Jahrzehnten befi n<strong>de</strong>t, ist ein<br />
weiteres Argument für Integrative Medizin.<br />
Natürlich stellt sich die Frage, inwieweit<br />
auch komplementäre Verfahren von <strong>de</strong>n<br />
Kostenträgern erstattet wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r ob die<br />
Patienten selber dafür aufkommen müssen.<br />
Im Bereich Akupunktur haben wir einen<br />
wichtigen Durchbruch erreicht: Sie wird für<br />
Rücken- und Kniegelenksschmerzen jetzt<br />
von <strong>de</strong>n Krankenkassen erstattet, basierend<br />
vor allem auf <strong>de</strong>n Ergebnissen unserer<br />
Studien.<br />
Die Politik ist aufgefor<strong>de</strong>rt, solche integrativen<br />
Mo<strong>de</strong>lle mit För<strong>de</strong>rgel<strong>de</strong>rn zu unterstützen,<br />
um bestmögliche Therapieoptionen<br />
zu gewährleisten. Denn das Problem für die<br />
Forschung ist hier, dass keine zahlungskräftige<br />
Pharmaindustrie dahinter steht und<br />
daher öffentliche Forschungsmittel erfor<strong>de</strong>rlich<br />
sind.<br />
NATURAMED: Wie sehen sie die Position<br />
<strong>de</strong>r rationalen Phytotherapie in <strong>de</strong>r<br />
Integrativen Medizin?<br />
PROF. WILLICH: Sie spielt eine wichtige<br />
Rolle. Zum einen ist Phytotherapie gut<br />
etabliert, mit ihr hat man jahrhun<strong>de</strong>rtelange<br />
klinische Erfahrungen, und für einige<br />
Substanzen ist auch die Studienlage inzwischen<br />
or<strong>de</strong>ntlich.<br />
Die Phytotherapie als einer <strong>de</strong>r Eckpfeiler<br />
<strong>de</strong>r Naturheilverfahren ist auch ein „i<strong>de</strong>ologisch“<br />
relativ unproblematischer Bereich.<br />
Hier können sich Schulmediziner und Komplementärmediziner<br />
ganz gut treffen. Viele<br />
Phytopharmaka – wie zum Beispiel Johanniskraut-Extrakte<br />
– sind in <strong>de</strong>r Schulmedizin<br />
auch anerkannt, dass man sich fast fragen<br />
kann, ob sie nicht schon zur Schulmedizin<br />
zählen.<br />
NATURAMED: Wie beurteilen Sie vor<br />
diesem Hintergrund die Tatsache, dass<br />
Phytopharmaka vom Gesetzgeber aus<br />
<strong>de</strong>r Erstattungsfähigkeit herausgenommen<br />
wur<strong>de</strong>n, weil sie aufgrund<br />
ihrer geringen Nebenwirkungen nicht<br />
unter Rezeptpflicht stehen?<br />
PROF. WILLICH: Die Argumentation, dass<br />
etwas nicht erstattet wird, weil es kaum<br />
Nebenwirkungen hat und damit nicht gefährlich<br />
ist, erscheint obskur.<br />
Die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Frage für Kostenerstattung<br />
kann nur lauten: „Wie wirksam sind<br />
diese Präparate im Vergleich zu an<strong>de</strong>ren<br />
schulmedizinisch anerkannten Präparaten<br />
o<strong>de</strong>r im Vergleich zu Placebo?“ Wenn ein<br />
Mittel sich in einem solchen Vergleich als<br />
wirksam erweist, sollte es auch erstattet<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Bildnachweis: jupiterimages (1), Springer (1)<br />
24 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
SCHWERPUNKT<br />
Kasuistik<br />
Phytotherapie zur Prävention<br />
Gut dokumentierte Fallbeispiele sind eine bewährte Handlungshilfe für die Praxis. Kasuistiken zum Beleg<br />
<strong>de</strong>r internen Evi<strong>de</strong>nz dienen gleichzeitig auch als wichtiges Anschauungsmaterial für die Fortbildung. Sie<br />
liefern Beispiele, die zum Nachahmen anregen sollen.<br />
➔<br />
Wer tagtäglich mit Patienten zu tun hat, <strong>de</strong>r kennt die<br />
Problematik <strong>de</strong>r Behandlung rezidivieren<strong>de</strong>r Infekte.<br />
Prävention mit Naturstoffen ist gera<strong>de</strong> bei solchen Lei<strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>rs<br />
sinnvoll.<br />
Anamnese<br />
Der 54-jährige Patient kam wegen rezidivieren<strong>de</strong>r Harnwegsinfekte<br />
in die Praxis. Er berichtete, dass er vor etwas mehr als<br />
einem Jahr wegen eines Prostatakarzinoms operiert wur<strong>de</strong>, danach<br />
habe er sich einer Bestrahlungstherapie unterziehen müssen.<br />
Seitens <strong>de</strong>r Krebserkrankung sei seit<strong>de</strong>m alles in Ordnung,<br />
es seien keine Metastasen vorhan<strong>de</strong>n, und <strong>de</strong>r PSA-Wert sei<br />
extrem niedrig. Das eigentliche Problem ist jetzt seine Harnblase.<br />
Er habe seit<strong>de</strong>m einen Harnwegsinfekt nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren,<br />
die wie<strong>de</strong>rholt mit Antibiotikum behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Der Infekt<br />
kündige sich zunächst mit dumpfer Missempfindung im Genitalbereich<br />
und gehäuftem Harndrang an, das Wasserlassen<br />
wird dann schmerzhaft, und <strong>de</strong>r Urin verfärbt sich. Er könne<br />
dann oftmals <strong>de</strong>n Urin nicht mehr halten, es träufelt auch nach.<br />
Vor <strong>de</strong>m urologischen Eingriff hatte <strong>de</strong>r Patient keine Probleme<br />
im Urogenitalbereich, auch waren keine Zystiti<strong>de</strong>n aufgetreten.<br />
Auf Nachfrage gibt <strong>de</strong>r Patient an, täglich maximal zwei Tassen<br />
Kaffee zu trinken, ansonsten stilles Wasser, geschätzt einen<br />
Liter, und am Abend ein „Viertele“ Rotwein. Ansonsten waren<br />
bei <strong>de</strong>m sportlich wirken<strong>de</strong>n und jünger aussehen<strong>de</strong>n Mann<br />
bisher keine schweren Erkrankungen aufgetreten.<br />
Befund<br />
Auf Basis <strong>de</strong>r mitgebrachten Befun<strong>de</strong> ergab sich die Diagnose<br />
„Zustand nach Prostatektomie (pT2c, pNO, MO, G2) und Radiotherapie“.<br />
RR 125/85; Puls 64. Palpatorisch Abdomen leicht<br />
gebläht, kein Druckschmerz, keine Resistenzen, reizlose OP-<br />
Narbe, äußeres Genitale unauffällig. Ein in <strong>de</strong>r Praxis durchgeführter<br />
Urin-Stix zeigt Spuren von Leukozyten, sonst OB.<br />
Therapie<br />
An Allgemeinmaßnahmen empfehle ich <strong>de</strong>m Patienten, täglich<br />
mehr zu trinken. Für <strong>de</strong>n normalgewichtigen Mann (Körperlänge<br />
177 cm) halte ich 1,75 Liter stilles Wasser für ausreichend.<br />
Ausführlich informiere ich ihn, warum er <strong>de</strong>n Nieren- und Blasentee<br />
nicht längerfristig trinken solle, son<strong>de</strong>rn nur während<br />
eines akuten Harnwegsinfekts. Dazu verordne ich als Standby-Medikation<br />
die Phytokombination Angocin ® Anti-Infekt,<br />
dreimal täglich vier Tabletten, sowie Cystinol akut ® dreimal<br />
täglich zwei Dragees, jeweils nach <strong>de</strong>m Essen, mit <strong>de</strong>m nachdrücklichen<br />
Hinweis, die bei<strong>de</strong>n Arzneimittel bei <strong>de</strong>n ersten<br />
Anzeichen eines beginnen<strong>de</strong>n Infekts zu nehmen und sich umgehend<br />
beim Urologen o<strong>de</strong>r bei mir zu mel<strong>de</strong>n. Zur Langzeitbehandlung<br />
im Sinne <strong>de</strong>r Rezidivprophylaxe erhält <strong>de</strong>r Patient<br />
die Phytokombination Canephron ® N, dreimal täglich zwei<br />
Dragees. Im Hinblick auf die Tumorerkrankung schlage ich<br />
eine supportive Therapie vor (siehe Buchtipp), in <strong>de</strong>ren Mittelpunkt<br />
eine Iscador ® -Behandlung steht. Diesbezüglich erbittet<br />
sich <strong>de</strong>r Patient eine Be<strong>de</strong>nkzeit, auf Nachfrage bei einem<br />
Folgetermin lehnt er jedoch ohne weitere Begründung dieses<br />
Therapieangebot ab.<br />
Verlauf<br />
Bei <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvorstellung nach etwa einem Vierteljahr berichtet<br />
<strong>de</strong>r Patient, dass sich etwa drei Wochen nach <strong>de</strong>m letzten<br />
Termin übers Wochenen<strong>de</strong> ein akuter Harnwegsinfekt eingestellt<br />
hat. Der Urologe wollte ihn stationär einweisen, was er<br />
aber ablehnte. Als Folge wur<strong>de</strong> er ohne Medikation wie<strong>de</strong>r<br />
nach Hause geschickt. Deshalb habe er dann sofort mit <strong>de</strong>r von<br />
mir verordneten Medikation begonnen und viel Nieren- und<br />
Blasentee getrunken. Nach<strong>de</strong>m die Beschwer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Folgetagen<br />
immer mehr abgeklungen seien, sei er erst nach etwa<br />
zehn Tagen wie<strong>de</strong>r zur Nachkontrolle beim Urologen gewesen.<br />
Allerdings habe er dort nur <strong>de</strong>n Urin abgegeben, und nach<strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>r Urin ohne Befund war, hatte ihn die Sprechstun<strong>de</strong>nhilfe darüber<br />
informiert, dass ihn <strong>de</strong>r Doktor nicht zu sehen brauche.<br />
Er habe die verordneten Naturheilmittel aufgebraucht und seither<br />
war auch nichts mehr mit seiner Harnblase. Ich empfahl<br />
ihm, nach einer zweiwöchigen Therapiepause zur Vorbeugung<br />
erneut noch drei Monate lang Canephron ® N einzunehmen.<br />
Fazit<br />
Etwa vier Monate später bat <strong>de</strong>r Patient erneut um einen Termin:<br />
Der bisherige Behandlungsverlauf habe ihn sehr beeindruckt,<br />
er habe auch das Gefühl, sein Allgemeinbefin<strong>de</strong>n sei<br />
<strong>de</strong>utlich stabiler. Anlass seines jetzigen Termins sei die Frage<br />
nach einer Misteltherapie.<br />
■<br />
Dr. med. Markus Wiesenauer<br />
LITERATURTIPP<br />
PhytoPraxis<br />
3. Auflage<br />
Springer-Verlag Hei<strong>de</strong>lberg 2008<br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 25
KFN<br />
Ginkgo-Tee<br />
Keine Alternative zu<br />
geprüften Arzneimitteln<br />
Das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) hat eine<br />
Untersuchung mit Ginkgo-Tees durchgeführt, die zu alarmieren<strong>de</strong>n<br />
Ergebnissen kam (siehe Kasten). Wir fragten beim wissenschaftlichen<br />
Leiter <strong>de</strong>s ZL nach.<br />
[ von Dr. Marcela Ullmann ]<br />
Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz<br />
Frankfurt, wissenschaftlicher Leiter <strong>de</strong>s<br />
Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker<br />
NATURAMED: Was hat Sie veranlasst,<br />
sich gera<strong>de</strong> Ginkgo-Tees genauer anzuschauen?<br />
PROF. SCHUBERT-ZSILAVECZ: Unsere Untersuchung<br />
war eine logische Fortsetzung<br />
einer Untersuchungsreihe, die wir bereits<br />
vor einer geraumen Zeit begonnen haben.<br />
Dabei ging es uns – vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>s<br />
Wildwuchses an Naturprodukten, die im Internet<br />
angeboten wer<strong>de</strong>n – zunächst darum,<br />
festzustellen, wie es mit <strong>de</strong>ren Qualität und<br />
Unbe<strong>de</strong>nklichkeit aussieht. Für die Pilotstudie<br />
haben wir Ginkgo-Produkte ausgewählt.<br />
Es han<strong>de</strong>lte sich allerdings ausschließlich um<br />
Extrakte, zum Teil auch um Drogenprodukte,<br />
die in Deutschland im Han<strong>de</strong>l nicht legal erhältlich<br />
waren. Tees waren keine dabei. Uns<br />
hat dabei konkret die Frage interessiert, ob<br />
und in welchem Ausmaß diese Produkte die<br />
gesundheitsschädlichen Ginkgolsäuren enthalten.<br />
Und es hat sich tatsächlich gezeigt,<br />
dass sie alle im hohen Maße Ginkgolsäuren<br />
enthalten.<br />
NATURAMED: In <strong>de</strong>r aktuellen Untersuchung<br />
haben Sie Ginkgo-Tees analysiert,<br />
die in Deutschland im Han<strong>de</strong>l<br />
legal erhältlich sind. Mit einem ähnlichen<br />
Resultat. Hat Sie das überrascht?<br />
PROF. SCHUBERT-ZSILAVECZ: Zunächst ist<br />
wichtig zu wissen, dass es keine medizinischen<br />
Tees waren, die wir analysierten,<br />
son<strong>de</strong>rn Lebensmittel. Wir haben sie auch<br />
genauso zubereitet, wie sie im Alltag von<br />
Verbrauchern zubereitet wer<strong>de</strong>n. Wir haben<br />
also nicht etwa <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>r Beutel untersucht,<br />
son<strong>de</strong>rn daraus Tee gekocht. Wir<br />
wollten ja die gleichen Konzentrationen haben,<br />
wie sie unter realistischen Bedingungen<br />
zustan<strong>de</strong> kommen. Die Tatsache, dass wir<br />
darin Ginkgolsäuren gefun<strong>de</strong>n haben, hat<br />
uns nicht überrascht, davon sind wir ausgegangen.<br />
Die Höhe <strong>de</strong>r Konzentrationen dieser<br />
Stoffe hat uns aber doch erstaunt.<br />
Alarmieren<strong>de</strong> Ergebnisse<br />
NATURAMED: Was spricht überhaupt<br />
für einen Ginkgo-Tee?<br />
PROF. SCHUBERT-ZSILAVECZ: Eigentlich gar<br />
nichts. Wer in <strong>de</strong>n Wintermonaten gerne<br />
Tee konsumiert, <strong>de</strong>r hat eine große Auswahl<br />
an schmackhaften, erprobten Lebensmitteltees,<br />
die einen Genuss ohne Reue bieten.<br />
Das Problem ist allerdings, dass für Ginkgo-<br />
Tees oft in einer Art geworben wird, dass<br />
Verbraucher <strong>de</strong>n Eindruck bekommen, nach<br />
<strong>de</strong>m Genuss dieser Tees ähnliche Effekte auf<br />
die kognitive Leistung erwarten zu können,<br />
wie nach Einnahme von Ginkgo-Arzneimitteln.<br />
Und das ist natürlich nicht <strong>de</strong>r Fall. Im<br />
Gegenteil. Wie wir festgestellt haben, kann<br />
es sogar gesundheitsgefähr<strong>de</strong>nd wer<strong>de</strong>n.<br />
Warum sollte man sich aber einem solchen<br />
Alarmieren<strong>de</strong> Ergebnisse einer Untersuchung mit Ginkgo-Tees:<br />
Extrakte aus Ginkgo-Blättern haben sich bei <strong>de</strong>r Behandlung von hirnorganisch bedingten<br />
kognitiven Leistungsstörungen als wirksam und sicher erwiesen. Bei <strong>de</strong>n in<br />
letzter Zeit in Drogerien, Reformhäusern und Supermärkten zunehmend angebotenen<br />
ginkgohaltigen Teemischungen ist das nicht <strong>de</strong>r Fall. Es gibt keinerlei Wirkungsbeleg,<br />
im Gegenteil: Sie enthalten unzulässig hohe Mengen von unter Umstän<strong>de</strong>n gesundheitsschädlichen<br />
Ginkgolsäuren! Ginkgolsäuren können Allergien auslösen und Nervenzellen<br />
schädigen. Bei <strong>de</strong>r Herstellung von ginkgohaltigen Fertigarzneimitteln wird <strong>de</strong>shalb <strong>de</strong>r<br />
zulässige Gehalt an Ginkgolsäuren auf einen winzigen Anteil von 5 ppm (parts per million)<br />
reduziert. An<strong>de</strong>rs stellt sich die Situation für die Konsumenten von ginkgohaltigen<br />
Teemischungen und Lebensmitteln dar. Eine im Eschborner Zentrallaboratorium Deutscher<br />
Apotheker durchgeführte Analyse von neun verschie<strong>de</strong>nen ginkgohaltigen Teeprodukten<br />
ergab eine zum Teil enorme Belastung mit <strong>de</strong>n be<strong>de</strong>nklichen Ginkgolsäuren.<br />
Die für Arzneimittel zulässige höchste Tagesdosis wur<strong>de</strong> erheblich überschritten. Beim<br />
Genuss von nur einer Tasse solchen Tees nähme man das 40-fache bis mehr als das<br />
80-fache <strong>de</strong>r arzneilich zulässigen Ginkgolsäuren ein.<br />
Bildnachweis: privat (1), Europäische Kommission (1)<br />
26 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
unnötigen Risiko aussetzen? Wir haben bei<br />
<strong>de</strong>n pfl anzlichen Arzneimitteln die beson<strong>de</strong>re<br />
Situation, dass hier nicht ein bestimmter,<br />
genau <strong>de</strong>fi nierter Stoff <strong>de</strong>r Wirkstoff ist,<br />
son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r jeweilige Extrakt. Und <strong>de</strong>r ist<br />
durch mehrere Parameter <strong>de</strong>fi niert, unter<br />
an<strong>de</strong>rem durch das Extraktionsmittel, das<br />
Droge-Extrakt-Verhältnis (DEV) und oft auch<br />
durch weitere qualitative Merkmale. Monographiekonforme<br />
Ginkgo-Extrakte beispielsweise,<br />
die in Deutschland als Arzneimittel<br />
zur Anwendung kommen, müssen bestimmte<br />
Inhaltsstoffe in ganz vorgeschriebenen Konzentrationen<br />
enthalten. Dazu gehören im<br />
positiven Sinn Flavonoi<strong>de</strong> und im negativen<br />
die Ginkgolsäuren. Wer also seine kognitiven<br />
Leistungen mit Ginkgo stärken will, <strong>de</strong>r<br />
sollte nicht Tee kochen, son<strong>de</strong>rn statt<strong>de</strong>ssen<br />
ein zugelassenes Ginkgo-Arzneimittel in<br />
<strong>de</strong>r Apotheke kaufen. Diese Produkte sind<br />
geprüft und nicht nur sicher, son<strong>de</strong>rn auch<br />
nachgewiesenermaßen wirksam.<br />
NATURAMED: Wir kommen damit zu<br />
einem allgemeineren Problem, nämlich<br />
<strong>de</strong>r manchmal zu sehr fließen<strong>de</strong>n Grenze<br />
zwischen Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln.<br />
Wie sehen<br />
Sie dieses grundsätzliche Problem?<br />
PROF. SCHUBERT-ZSILAVECZ: Das muss<br />
nicht grundsätzlich ein Problem sein. Wir<br />
haben in Deutschland eine relativ komfortable<br />
Situation, weil wir eine große Tradition<br />
<strong>de</strong>r Phytotherapie haben. In einigen an<strong>de</strong>ren<br />
Län<strong>de</strong>rn Europas gelten Pfl anzenprodukte<br />
grundsätzlich nur als Lebensmittel, egal<br />
wie hochwertig sie als Arzneiprodukte sind.<br />
Deutschland wür<strong>de</strong> daher gut daran tun,<br />
sich <strong>de</strong>n hohen Standard, <strong>de</strong>n es sich im<br />
Bereich <strong>de</strong>r Phytotherapie erarbeitet hat, zu<br />
erhalten. Insbeson<strong>de</strong>re was die Qualität <strong>de</strong>r<br />
pfl anzlichen Arzneimittel anbetrifft, sollten<br />
die Beteiligten alles daran setzen, sie nicht<br />
zu verwässern. Auch nicht wegen kurzfristiger<br />
wirtschaftlicher Vorteile.<br />
NATURAMED: Zum Teil wer<strong>de</strong>n fragwürdige<br />
Produkte auch in Apotheken vertrieben.<br />
Hat <strong>de</strong>r Apotheker nicht eine beson<strong>de</strong>re<br />
Pflicht <strong>de</strong>r Verbraucheraufklärung?<br />
PROF. SCHUBERT-ZSILAVECZ: Er hat eine<br />
Aufklärungspflicht und er trägt auch Verantwortung.<br />
Er ist dafür verantwortlich, sein<br />
Produktsegment nicht zu beschädigen. Die<br />
Apotheke in Deutschland steht für hochwertige,<br />
geprüfte, wirksame und sichere Produkte.<br />
Der Apotheker scha<strong>de</strong>t sich selbst,<br />
wenn er kurzsichtig <strong>de</strong>n ökonomischen Nutzen<br />
sucht und dabei langfristig seine Reputation<br />
beschädigt.<br />
Mehrwertsteuersenkung für Arzneimittel gefor<strong>de</strong>rt<br />
➔Die EU-Kommission hat bereits<br />
vor mehreren Monaten <strong>de</strong>n Mitgliedslän<strong>de</strong>rn<br />
empfohlen, für Arzneimittel<br />
EU-weit ermäßigte Mehrwertsteuersätze<br />
einzuführen. Als letztes Land ist dieser<br />
Empfehlung im Herbst 2008 Österreich<br />
gefolgt: Für erstattete Arzneimittel wird<br />
dort keine MwSt erhoben, für alle an<strong>de</strong>ren<br />
Medikamente gilt seit<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r halbe Steuersatz.<br />
Inzwischen gibt es nur noch drei<br />
EU-Län<strong>de</strong>r, die Arzneimittel mit <strong>de</strong>r vollen<br />
Mehrwertsteuer belegen: Bulgarien, Dänemark<br />
und Deutschland. Gera<strong>de</strong> angesichts<br />
<strong>de</strong>r aktuellen wirtschaftlichen Situation<br />
wür<strong>de</strong> aber eine Senkung <strong>de</strong>r Mehrwertsteuer<br />
auf Arzneimittel einen wichtigen<br />
Beitrag zur Stabilisierung darstellen. Denn<br />
sie wür<strong>de</strong>, so die Auskunft <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung<br />
im Parlament, die GKV um etwa<br />
2,8 Milliar<strong>de</strong>n Euro entlas ten, was 0,3 Prozentpunkten<br />
entspricht. Weitere Milliar<strong>de</strong>n<br />
wür<strong>de</strong>n Verbraucher beim Kauf von OTC-<br />
Arzneimitteln sparen.<br />
(Die dunkelblau gefüllten Balken beziehen<br />
sich auf alle Arzneimittel, die<br />
hellblauen auf bestimmte Medikamentengruppen.<br />
Weitere Einzelheiten sind<br />
auf <strong>de</strong>r EU-Homepage http://ec.europa.<br />
eu/taxation_customs/taxation/vat/<br />
consumers/vat_rates/in<strong>de</strong>x_<strong>de</strong>.htm abrufbar.)<br />
■<br />
Dr. Marcela Ullmann<br />
Mehrwertsteuersätze in Europa<br />
Tabelle 1: Mehrwertsteuersätze für Arzneimittel in Europa.<br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 27
CONSILIUM<br />
Morbus Parkinson: Kann Naturheilkun<strong>de</strong> helfen?<br />
Frage<br />
Welche naturheilkundlichen Behandlungsmöglichkeiten bestehen<br />
bei einem M. Parkinson? Aktuelle Medikation: Stalevo,<br />
Madopar ® LT, Madopar ® Depot, Neupro ® Pflaster, Azilect ® . Trotz<br />
<strong>de</strong>r Therapie weiterhin bestehen<strong>de</strong> Belastungsschmerzen im Mittelfuß<br />
links, Schlafstörungen, Depressionen, morgens kleinschrittiges<br />
Gangbild.<br />
Antwort 1:<br />
Wie Sie beschreiben nimmt trotz <strong>de</strong>r<br />
Ausschöpfung <strong>de</strong>r konventionellen medikamentösen<br />
Möglichkeiten (Stalevo,<br />
Madopar ® LT, Madopar ® <strong>de</strong>pot, Neupro ®<br />
trans<strong>de</strong>rmales Pflaster, Azilect ® ) die Parkinsonsymptomatik<br />
weiter zu. Es besteht<br />
ein vor allem morgendliches kleinschrittiges<br />
Gangbild und belas tungsabhängige<br />
Schmerzen im linken Mittelfuß, Schlafstörungen<br />
sowie Depressionen. Grundsätzlich<br />
ist hier natürlich ein integrativer<br />
Therapieansatz zu favorisieren, d.h. dass<br />
hier <strong>de</strong>r behan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Neurologe und<br />
<strong>de</strong>r Naturheilkundler eng zusammenarbeiten<br />
müssen. Aus komplementärmedizinischer<br />
Sicht sind ergänzend zur<br />
konventionellen Therapie folgen<strong>de</strong> Therapieverfahren<br />
sinnvoll:<br />
■ Heilfasten (z.B. nach Buchinger,<br />
Info unter www.buchinger.<strong>de</strong> )in<br />
Abhängigkeit von Konstitution,<br />
BMI und evtl. bestehen<strong>de</strong>n Kontraindikationen.<br />
Hierunter kommt es<br />
zu einer Ausschüttung von neurotrophen<br />
und neuroproliferativen<br />
Substanzen, die die Regeneration bei<br />
neuro<strong>de</strong>generativen Erkrankungen<br />
positiv beeinflussen.<br />
■ Neue Schä<strong>de</strong>lakupunktur nach<br />
Yamamoto (YNSA). Diese Form <strong>de</strong>r<br />
Akupunktur kann sowohl die neurologischen<br />
Symptome beeinflussen<br />
als auch die beschriebene Schmerzsymptomatik.<br />
■ Des Weiteren kann in Abhängigkeit<br />
von <strong>de</strong>r chinesischen Syndromdiagnostik<br />
natürlich auch die<br />
chinesische Kräutermedizin angewen<strong>de</strong>t<br />
wer<strong>de</strong>n, vor allem um<br />
Schlafstörungen und Depression<br />
nachhaltig zu verbessern.<br />
Dr. Mike Schaar, 24534 Neumünster<br />
■ Falls Störfel<strong>de</strong>r im Sinne <strong>de</strong>r Neuraltherapie<br />
nach Huneke vorliegen,<br />
müssen diese selbstverständlich<br />
behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n.<br />
■ Mind/Body-Medizin o<strong>de</strong>r Ordnungstherapie<br />
zur besseren Krankheitsbewältigung<br />
und zur Verbesserung<br />
<strong>de</strong>r Selbstwirksamkeit und <strong>de</strong>r<br />
Selbsthilfestrategien.<br />
Insgesamt han<strong>de</strong>lt es sich hier um einen<br />
Fall, an <strong>de</strong>m das Konzept einer Integrativen<br />
Medizin, bestehend aus Schulmedizin,<br />
Naturheilkun<strong>de</strong> und Mind/Body-<br />
Medizin, sinnvoll zur Anwendung<br />
kommen kann.<br />
■<br />
Dr. med. Thomas Rampp<br />
Leiter <strong>de</strong>r Ambulanz für<br />
Naturheilkun<strong>de</strong> und<br />
Traditionelle Chinesische Medizin<br />
Lehrstuhl für Naturheilkun<strong>de</strong><br />
Alfried Krupp von Bohlen und<br />
Halbach-Stiftung<br />
Universität Duisburg-Essen<br />
Kliniken Essen-Mitte<br />
Knappschafts-Krankenhaus<br />
Am Deimelsberg 34a<br />
45276 Essen<br />
E-Mail: t.rampp@kliniken-essen-mitte.<strong>de</strong><br />
Antwort 2:<br />
Im Rahmen <strong>de</strong>r anthroposophisch erweiterten<br />
Medizin (nicht gleichzusetzen<br />
mit Naturheilkun<strong>de</strong>) wird von einer<br />
über die übliche Sichtweise hinausgehen<strong>de</strong>n<br />
Anthropologie ausgegangen,<br />
die neben <strong>de</strong>n konventionell messbaren<br />
und untersuchbaren Anteilen <strong>de</strong>s Men-<br />
schen weitere funktionelle Systeme,<br />
die „Wesensglie<strong>de</strong>r“, mit einbezieht. Es<br />
han<strong>de</strong>lt sich hierbei um Funktionsebenen,<br />
<strong>de</strong>ren Erkenntnis neben <strong>de</strong>n rein<br />
physikalisch-biochemischen Gesetzmäßigkeiten<br />
auch diejenigen Anteile<br />
<strong>de</strong>s Menschen berücksichtigt, die für<br />
Aufbau- und Abbauprozesse sowie seelische<br />
und geistige Funktionen als eigenständige<br />
Entitäten wesentlich sind;<br />
auch pathophysiologische Polaritäten<br />
wie Entzündungs-/Skleroseten<strong>de</strong>nz<br />
wer<strong>de</strong>n berücksichtigt.<br />
Im Rahmen dieser erweiterten Sichtweise<br />
haben sich Therapieerfahrungen<br />
ergeben, die neben medikamentösen<br />
Ansätzen (homöopathische Präparate<br />
aus <strong>de</strong>m pflanzlichen, tierischen und<br />
mineralischen Bereich) auch und vor<br />
allem äußere Anwendungen (rhythmische<br />
Massage nach Hauschka, Organeinreibungen<br />
u.a.), künstlerische<br />
Therapien (Mal-, Musik-, Sprach- und<br />
Plastiziertherapie, Heileurythmie als<br />
beson<strong>de</strong>re Form einer das Seelische berücksichtigen<strong>de</strong>n<br />
Bewegungstherapie)<br />
mit einbeziehen.<br />
Je<strong>de</strong>r Patient erhält einen individuellen<br />
Therapieplan, <strong>de</strong>r sich aus einer gründlichen<br />
Anamnese ergibt. Insofern ist die<br />
Therapie weniger auf ein spezifisches<br />
Krankheitsbild als vielmehr auf <strong>de</strong>n individuellen<br />
Patienten mit seiner Erkrankung<br />
abgestimmt. Die pauschale Beantwortung<br />
<strong>de</strong>r Frage: „Wie behan<strong>de</strong>lt man<br />
einen M. Parkinson in <strong>de</strong>r anthroposophischen<br />
Medizin?“ ist insofern nicht<br />
möglich.<br />
Es gibt aber Erfahrungen mit bestimmten<br />
Präparaten, Anwendungen<br />
und vor allem auch künstlerischen<br />
Therapien, hier insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Heileurythmie.<br />
Eine solche Behandlung<br />
wird sich grundsätzlich immer als Erweiterung,<br />
nicht als Alternative einer<br />
konventionellen Therapie verstehen, auf<br />
die in <strong>de</strong>r Regel nicht verzichtet wer<strong>de</strong>n<br />
kann.<br />
■<br />
Dr. med. Oliver M. Czech<br />
Abteilung für Neurologie<br />
Gemeinschaftskrankenhaus<br />
Her<strong>de</strong>cke<br />
Gerhard-Kienle-Weg 4<br />
58313 Her<strong>de</strong>cke<br />
28 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
CONSILIUM<br />
✃<br />
Redaktion<br />
NaturaMed<br />
Marienplatz 3<br />
80331 München<br />
Unsere Faxnummer:<br />
089-29 47 75<br />
E-mail:<br />
redbuero_ull@web.<strong>de</strong><br />
Um die Beantwortung Ihrer Frage<br />
zu beschleunigen, bitten wir Sie,<br />
Ihre Angaben mit <strong>de</strong>r Maschine<br />
o<strong>de</strong>r in Druckschrift zu schreiben.<br />
Nachfolgend formulieren Sie bitte Ihre Frage, auf die Sie eine Expertenantwort suchen.<br />
Die Redaktion wird bei Experten, die führend auf <strong>de</strong>m jeweiligen Gebiet arbeiten, die<br />
Antwort einholen.<br />
Frage:<br />
Anschrift:<br />
Praxis- bzw. Firmenstempel<br />
■<br />
Titel, Name, Vorname<br />
■<br />
Straße/Hausnummer<br />
■<br />
PLZ/Ort<br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 29
CONSILIUM<br />
Ist die Ozon-Eigenbluttherapie seriös?<br />
Frage<br />
Ist das Anbieten <strong>de</strong>r Ozon-Eigenbluttherapie seriös? Seit nunmehr 17 Jahren führe ich die große<br />
Ozon-Eigenblutbehandlung mit größter Akzeptanz durch, dies unter <strong>de</strong>n ärztlich gebotenen sterilen<br />
Anfor<strong>de</strong>rungen mit sterilem Einmalmaterial als ozoniertes Eigenblut i.v.<br />
Indikationen: Aktivierung <strong>de</strong>r Abwehrkräfte, För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Durchblutung, Besserung <strong>de</strong>s Wohlbefin<strong>de</strong>ns,<br />
insbeson<strong>de</strong>re bei Patienten mit Gefäßerkrankungen und chronischem Schwin<strong>de</strong>l.<br />
Unterstützend ebenso auf Anfrage bei palliativen Tumorerkrankungen. Komplikationen hatte ich<br />
bisher nie.<br />
Ist es trotz fehlen<strong>de</strong>r wissenschaftlicher Anerkennung ärztlich vertretbar, diese Option anzubieten?<br />
Klaus Schäffer,<br />
Facharzt für Allgemeinmedizin,<br />
48231 Warendorf<br />
Antwort:<br />
Die Angaben zur Durchführung und<br />
zu <strong>de</strong>n Indikationen <strong>de</strong>r Ozontherapie<br />
stimmen mit <strong>de</strong>m in <strong>de</strong>n Praxen nie<strong>de</strong>rgelassener<br />
Ärzte üblichen Vorgehen<br />
überein. Ozontherapie wird heute in<br />
<strong>de</strong>r Alltagspraxis vielfach erfolgreich<br />
eingesetzt.<br />
Aktuelle Recherchen zeigen allerdings,<br />
dass <strong>de</strong>r Nutzen, die Notwendigkeit<br />
und die Wirtschaftlichkeit <strong>de</strong>r Ozontherapie<br />
im Sinne <strong>de</strong>r evi<strong>de</strong>nzbasierten<br />
Medizin noch nicht als ausreichend belegt<br />
gilt. Dennoch kann die Ozon-Eigenbluttherapie<br />
<strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen einer<br />
verantwortungsvollen Medizin Rechnung<br />
tragen, <strong>de</strong>nn selbst die streng<br />
evi<strong>de</strong>nzbasierte Medizin, wie sie heute<br />
international zur Qualitätssicherung<br />
gefor<strong>de</strong>rt wird, för<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n bewussten,<br />
ausdrücklichen und abwägen<strong>de</strong>n Gebrauch<br />
<strong>de</strong>r jeweils besten empirischen<br />
Evi<strong>de</strong>nz für Entscheidungen in <strong>de</strong>r<br />
Patientenversorgung. Die Praxis <strong>de</strong>r<br />
evi<strong>de</strong>nzbasierten Medizin beinhaltet<br />
die Integration von klinischer Expertise,<br />
Patientenpräferenzen und externer<br />
Evi<strong>de</strong>nz aus systematischer patientenorientierter<br />
Forschung. Studien dienen<br />
dabei nur als Grundlage und müssen<br />
auf die Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s Patienten<br />
übertragen wer<strong>de</strong>n. Evi<strong>de</strong>nzbasierte<br />
Medizin be<strong>de</strong>utet hiernach auch, dass<br />
man aus Erfahrung heraus han<strong>de</strong>ln<br />
kann.<br />
Gera<strong>de</strong> die Ozon-Eigenbluttherapie ist<br />
ein Musterbeispiel dafür, in welchem<br />
Verhältnis interne und externe Evi<strong>de</strong>nz<br />
stehen.<br />
Die Expertenmeinung ist wichtiger,<br />
aber das individuelle Vorgehen, die<br />
individuelle Fall<strong>de</strong>utung (interne Evi<strong>de</strong>nz)<br />
spielt eine wesentliche Rolle.<br />
Vor diesem Hintergrund und <strong>de</strong>n genannten<br />
Rahmenbedingungen ist das<br />
Anbieten <strong>de</strong>r Ozon-Eigenbluttherapie<br />
durchaus als seriös zu beurteilen. ■<br />
Bildnachweis: fotolia (1)<br />
Gera<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Ozon-Eigenbluttherapie spielt <strong>de</strong>r Behandler eine zentrale Rolle.<br />
Er muss <strong>de</strong>n Einzelfall genau abwägen.<br />
PD Dr. med. André-Michael Beer,<br />
M.Sc<br />
Chefarzt <strong>de</strong>r Abteilung<br />
für Naturheilkun<strong>de</strong><br />
Klinik Blankenstein<br />
Leiter <strong>de</strong>s Bereiches Naturheilkun<strong>de</strong><br />
und Prävention<br />
(Abteilung Allgemeinmedizin) an <strong>de</strong>r<br />
Ruhr-Universität Bochum<br />
Im Vogelsang 5–11<br />
45527 Hattingen<br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 31
BIOSIMILARS<br />
Pressekonferenz in Berlin<br />
Sandoz sieht Wege zur<br />
Kostensenkung<br />
Biosimilars spielen bisher im Arzneimittelmarkt keine große Rolle. Experten gehen aber davon aus, dass<br />
<strong>de</strong>r Anteil dieses neuen Arzneimittelsegments in <strong>de</strong>n nächsten Jahren stark wachsen wird. Ob es die<br />
Therapie preiswerter macht, ist dagegen umstritten.<br />
[ von Werner B. Hoppe ]<br />
➔<br />
Um <strong>de</strong>r Öffentlichkeit zu signalisieren, dass Biosimilars<br />
keine Kostentreiber sind, son<strong>de</strong>rn im Gegenteil<br />
zur Reduzierung von Arzneimittelausgaben beitragen können,<br />
ging Sandoz kurz vor <strong>de</strong>r Jahreswen<strong>de</strong> in Berlin mit<br />
einer Studie <strong>de</strong>s Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung<br />
(IGES) gleich zweimal an die Öffentlichkeit: Im<br />
Rahmen einer Pressekonferenz und nachfolgend in einem<br />
Forum für Ärzte, Apotheker und Wissenschaftler.<br />
„Biosimilars – Similar Biological Medicinal Products – das<br />
steht für Folgeprodukte biopharmazeutischer Medikamente.<br />
Sie erwachsen aus kultivierten modifi zierten organischen<br />
Substanzen – Bakterien, Hefen o<strong>de</strong>r Zellen von Säugetieren“,<br />
erklärte Hannes Teissl von Sandoz <strong>de</strong>r Presse. Es ist<br />
ein kostspieliger Weg, ehe ein Biosimilar auf <strong>de</strong>n Markt gebracht<br />
wer<strong>de</strong>n könne, <strong>de</strong>nn dazu muss erst eine eigene Zucht<br />
aufgebaut wer<strong>de</strong>n. Das kennzeichne nachvollziehbar sowohl<br />
<strong>de</strong>n Aufwand als auch die Gefahren, die mit einem solchen<br />
Vorhaben verbun<strong>de</strong>n sind, fügte Hannes Teissl hinzu.<br />
Ein Biosimilar ist kein Generikum<br />
Während Biopharmazeutika, also gentechnisch hergestellte<br />
rekombinante Proteine wie zum Beispiel Insulin, Interferone<br />
o<strong>de</strong>r Epoetine, aus <strong>de</strong>r Praxis längst nicht mehr wegzu<strong>de</strong>nken<br />
sind, müssen Biosimilars auf <strong>de</strong>m Markt erst bekannt<br />
Biosimilars könnten <strong>de</strong>r GKV<br />
jährlich eine Ersparnis von bis<br />
zu einer Milliar<strong>de</strong> Euro<br />
bringen, meint Sandoz.<br />
wer<strong>de</strong>n. Schon <strong>de</strong>r Begriff bedarf einer Klarstellung: Biosimilars<br />
sind Folgepräparate meist patentierter biologischer<br />
Arzneimittel, die nach <strong>de</strong>m Ablauf <strong>de</strong>s Patentschutzes auf<br />
bio technologischem Weg nachgebaut wer<strong>de</strong>n. Sandoz gehört<br />
zu <strong>de</strong>n forschen<strong>de</strong>n Pharmaunternehmen, <strong>de</strong>r Konzern ist<br />
aber auch, vor allem durch die Marke Hexal, einer <strong>de</strong>r führen<strong>de</strong>n<br />
Generikahersteller. Bekannt ist das Unternehmen.<br />
Als einer <strong>de</strong>r weltweit Ersten hat sich Sandoz zur Weiterentwicklung<br />
von patentierten Biopharmazeutika zu neuen Biosimilars<br />
entschlossen und diese Position bisher konsequent<br />
gehalten. Ein Biosimilar ist mehr als ein Generikum. Für<br />
die Marktzulassung herkömmlicher synthetisierter Generika<br />
reicht ein einfacher I<strong>de</strong>ntitätsnachweis durch Bioäquivalenzstudien<br />
aus. Die sind aber auf biologische Folgeprodukte nicht<br />
so anwendbar. Aufgrund ihrer komplexen Molekularstruktur<br />
und <strong>de</strong>r hohen Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n Herstellungsprozess<br />
unterschei<strong>de</strong>n sie sich prinzipiell von <strong>de</strong>n gängigen<br />
Nachahmerpräparaten. Angesichts dieser Beson<strong>de</strong>rheiten<br />
müs sen in das Zulassungsdossier neben <strong>de</strong>n üblichen<br />
eingehen <strong>de</strong>n physikalisch-chemischen und biologischen<br />
Vergleichen auch vergleichen<strong>de</strong> präklinische und klinische<br />
Daten Eingang fin<strong>de</strong>n.<br />
Europa ist bei Biosimilars <strong>de</strong>r Vorreiter<br />
Alle diese Verfahrensschritte wur<strong>de</strong>n bei Sandoz das erste<br />
Mal für das Wachstumshormon Omnitrope gegangen, bis<br />
das Unternehmen für dieses Präparat, mit <strong>de</strong>ssen Entwicklung<br />
man 2001 begann, im Jahr 2006 endlich die Zulassung,<br />
die erste dieser Art in <strong>de</strong>r EU, bekam. Dadurch leistete das<br />
Unternehmen als Pionier einen wesentlichen Beitrag zur<br />
Etablierung von Qualitäts- und Sicherheitsrichtlinien gemäß<br />
<strong>de</strong>n allgemeingültigen strengen Standards von Originalpräparaten.<br />
Die betreffen<strong>de</strong> EU-Richtlinie gibt vor :<br />
„Erfüllt ein biologisches Arzneimittel, das einem<br />
biologischen Referenzarzneimittel ähnlich ist, die in<br />
<strong>de</strong>r Defi nition von Generika enthaltenen Bedingungen<br />
nicht, ... so sind die Ergebnisse geeigneter vorklinischer<br />
o<strong>de</strong>r klinischer Versuche hinsichtlich<br />
dieser Bedingungen vorzulegen.“<br />
Bildnachweis: jupiterimages (1)<br />
32 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
Biosimilars bauen auf biotechnologischem Weg<br />
biologische Originalprodukte nach.<br />
Eine angestrebte Zulassung ist also kein Selbstläufer. Die<br />
Ausarbeitung <strong>de</strong>r regulatorischen Grundlagen für die Entwicklung<br />
und Herstellung biologischer Folgeprodukte beansprucht<br />
in je<strong>de</strong>m Fall einen Zeitraum von mehreren Jahren.<br />
Alleine für die klinischen Studien sind mehrere Jahre zu veranschlagen,<br />
für die Prozessentwicklung einschließlich Präklinik<br />
ebenfalls. Weitere ein bis zwei Jahre nimmt außer<strong>de</strong>m<br />
die Zulassung durch die EMEA in Anspruch.<br />
Nach<strong>de</strong>m im Rahmen einer Musterentscheidung <strong>de</strong>r europäischen<br />
Arzneimittelagentur EMEA Sandoz für Omnitrope<br />
im Jahr 2006 die erste EU-Zulassung für Biosimilars überhaupt<br />
bekam, folgten 2007 noch die bei<strong>de</strong>n Glykoproteine<br />
Binokrit und Epoetin alfa.<br />
„Bereits um 2010 wer<strong>de</strong>n mehr als 50 Prozent <strong>de</strong>r neu zugelassenen<br />
Arzneimittel Biopharmazeutika sein“, schätzt<br />
Hannes Teissl. Bis 2020 en<strong>de</strong>t außer<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Patentschutz<br />
von weiteren 74 wichtigen Substanzen, die <strong>de</strong>rzeit weltweit<br />
ein Umsatzvolumen von rund 80 Milliar<strong>de</strong>n Dollar erzielen.<br />
Von diesen dann patentfreien Medikamenten biete sich etwa<br />
ein Drittel zur Aufwertung als Biosimilar an. Bereits heute<br />
sind die Wirkstoffe Somatropin, Epoetin alfa, Filgrastim,<br />
Interferon alfa 2a und 2b, Interferon beta 1b sowie beta 1a<br />
(lyo) für eine solche Aufarbeitung frei. Gegenwärtig habe<br />
die Sandoz-Gruppe 25 Projekte in unterschiedlichen Entwicklungsstadien<br />
in <strong>de</strong>r Pipeline. Europa hat insgesamt auf<br />
diesem Gebiet einen beträchtlichen Vorsprung gegenüber<br />
<strong>de</strong>n USA und Japan, die bei<strong>de</strong> noch in <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rschuhen<br />
stecken, betonte <strong>de</strong>r Sandoz-Vertreter. Diesen Wissens- und<br />
Zeitvorsprung gelte es nicht nur zu halten, son<strong>de</strong>rn nach<br />
Möglichkeit noch auszubauen. Das gelingt allerdings nur,<br />
wenn man die bestehen<strong>de</strong> Kostenfalle umgeht.<br />
Die Kostenproblematik ist eine Crux<br />
Was es mit <strong>de</strong>r Kostenproblematik auf sich hat, das erläuterte<br />
Prof. Dr. Bertram Häussler, Leiter <strong>de</strong>s IGES, <strong>de</strong>r Presse<br />
Anmerkung <strong>de</strong>r Redaktion:<br />
Nicht nur das Wörtchen „Bio“ zeugt von <strong>de</strong>r Nähe, die zwischen<br />
<strong>de</strong>r Problematik besteht, die Biosimilars bei <strong>de</strong>r Zulassung zu<br />
bewältigen haben und Problemen, mit <strong>de</strong>nen Arzneimittel aus<br />
Naturstoffen kämpfen. Vor allem für gut dokumentierte Phytopharmaka<br />
aus Spezialextrakten gilt, dass sie keine Generika<br />
sind.<br />
Sie wer<strong>de</strong>n ebenfalls wesentlich durch ihren Herstellungsprozess<br />
<strong>de</strong>fi niert, was durchaus plausibel macht, warum die<br />
„Nachahmerpräparate“, nämlich Produkte, die aus gleichen<br />
Drogen nach an<strong>de</strong>ren Verfahren hergestellt wur<strong>de</strong>n, ihre Äquivalenz<br />
– vor allem im Hinblick auf ihre Wirksamkeit – eigens<br />
beweisen sollten.<br />
Bei Biosimilars hat EMEA diese Zusammenhänge begriffen<br />
und daraus regulatorische Konsequenzen gezogen. Bei Phytopharmaka<br />
ist man von solchem Bewusstsein noch meilenweit<br />
entfernt.<br />
in Berlin. In seiner im Auftrag von Sandoz durchgeführten<br />
Studie „Zur Rolle <strong>de</strong>r Biosimilars im Wettbewerb auf <strong>de</strong>m<br />
GKV-Arzneimittelmarkt“ macht er folgen<strong>de</strong> Rechnung auf:<br />
Nach IGES-Prognose ist anzunehmen, dass <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r<br />
Original-Biopharmazeutika an <strong>de</strong>n GKV-Ausgaben von <strong>de</strong>rzeit<br />
vier Milliar<strong>de</strong>n Euro bis 2013 auf über sechs Milliar<strong>de</strong>n<br />
Euro anwachsen wird, und 2020 die Grenze von zehn Milliar<strong>de</strong>n<br />
Euro überschreitet.<br />
Damit wür<strong>de</strong> gleichzeitig ihr Anteil an <strong>de</strong>n GKV-Gesamtausgaben,<br />
die 2008 rund 28 Milliar<strong>de</strong>n Euro betragen haben,<br />
von 13 auf 21 Prozent ansteigen und von <strong>de</strong>n <strong>de</strong>rzeit etwa 60<br />
Millionen Euro ab 2017 auf über eine Milliar<strong>de</strong> Euro jährlich<br />
anwachsen.<br />
Diese Ausgaben ließen sich, so Prof. Häussler, mihilfe von<br />
Biosimilars verringern. Biosimilars sind zwar keine Generika,<br />
die sich weitgehend auf die Daten <strong>de</strong>s Referenzprodukts<br />
stützen können, son<strong>de</strong>rn sie müssen in eigenen klinischen<br />
Studien ihre Wirksamkeit und Unbe<strong>de</strong>nklichkeit jeweils beweisen.<br />
Trotz<strong>de</strong>m können sie billiger angeboten wer<strong>de</strong>n als<br />
die Originalpräparate. Nach Erfahrungen von Sandoz dauert<br />
die Entwicklung eines Biosimilars in <strong>de</strong>r Regel sieben bis<br />
zehn Jahre und kostet die Summe von 70 bis 100 Millionen<br />
Dollar. Trotz dieser gewaltigen Investition könnte ein Biosimilarprodukt<br />
pro Abgabedosis jeweils um etwa 15,7 Prozent<br />
billiger angeboten wer<strong>de</strong>n, als das patentgeschützte Original.<br />
Für die GKV wür<strong>de</strong> es bis 2020 eine Kostenersparnis<br />
von 8,1 Milliar<strong>de</strong>n Euro be<strong>de</strong>uten.<br />
Dieses Einsparpotenzial ist aber an Konditionen gebun<strong>de</strong>n,<br />
die wenig realistisch erscheinen. Die IGES-Rechnung<br />
wür<strong>de</strong> nämlich nur dann funktionieren, wenn die Biosimilarhersteller<br />
mit ihren Medikamenten einen Preis erzielen<br />
könnten, <strong>de</strong>r die Gesamtkosten für Entwicklung und Einführung<br />
wie<strong>de</strong>r einspielt. Darin besteht aber die von Sandoz<br />
angesprochene Kostenfalle.<br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 33
BIOSIMILARS<br />
Dieses Preisniveau kann nicht sichergestellt wer<strong>de</strong>n, wenn<br />
■ die Hersteller <strong>de</strong>r Originalpräparate ihren Preis nach Auslaufen<br />
<strong>de</strong>s Patenschutzes so weit absenken wür<strong>de</strong>n, dass<br />
das Biosimilar teurer käme als das Originalpräparat,<br />
■ die Hersteller <strong>de</strong>r Originalpräparate vor Ablauf <strong>de</strong>s<br />
Patentschutzes Rabattverträge mit Krankenkassen,<br />
Apotheken o<strong>de</strong>r Kliniken abschließen wür<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen<br />
sie <strong>de</strong>n weiteren Absatz ihrer Produkte sichern,<br />
■ die Hersteller <strong>de</strong>r Originalpräparate Festbeträge mit<br />
Vertreibern vertraglich vereinbaren.<br />
Der IGES-Leiter schlug daher vor, Markteintrittsbarrieren,<br />
die die Einführung <strong>de</strong>r Biosimilars behin<strong>de</strong>rn, abzuschaffen<br />
und die Politik <strong>de</strong>r Exklusivverträge zu unterbin<strong>de</strong>n.<br />
Hannes Teissl unterstrich diese For<strong>de</strong>rungen zusätzlich mit<br />
<strong>de</strong>r Warnung, dass sich Deutschland sonst von <strong>de</strong>r weltweiten<br />
Entwicklung abkoppeln und die Gelegenheit, mithilfe<br />
von Biosimilars dauerhalft Kosten zu sparen, versäumen<br />
wür<strong>de</strong>. „Die Politik hat es in <strong>de</strong>r Hand, die Weichen dafür<br />
zu stellen, dass sich Biosimilars erfolgreich auf <strong>de</strong>m Markt<br />
etablieren“, stellte er fest.<br />
Staatliche Eingriffe unerwünscht<br />
Bei <strong>de</strong>n meisten an <strong>de</strong>r Pressekonferenz teilnehmen<strong>de</strong>n<br />
Journalisten hat <strong>de</strong>r Vorschlag allerdings pures Kopfschütteln<br />
hervorgerufen.<br />
Auch bei <strong>de</strong>r zweiten Veranstaltung, zu <strong>de</strong>r Fachleute eingela<strong>de</strong>n<br />
waren, fand <strong>de</strong>r Vorschlag nach Staatsintervention<br />
wenig Zustimmung. Beson<strong>de</strong>rs klar hat sich Prof. Dr. Gerd<br />
Glaeske, Bremen, dazu geäußert.<br />
Er halte die kritisierten Instrumentarien zur Kostenbegrenzung<br />
für unverzichtbar, sie verhelfen mehr Menschen zu bezahlbaren,<br />
sicheren und wirksameren Versionen bestehen<strong>de</strong>r<br />
Pharmazeutika.<br />
In Kenntnis <strong>de</strong>r permanenten Auseinan<strong>de</strong>rsetzung über die<br />
Preisfestsetzung patentierter Neuentwicklungen durch die<br />
forschen<strong>de</strong>n Pharmaunternehmen halte er außer<strong>de</strong>m die von<br />
Sandoz und IGES gefor<strong>de</strong>rten staatlichen Eingriffe für nicht<br />
verantwortbar. Bei günstigem Verhältnis von Nutzenzuwachs<br />
zu Kostenaufwand wer<strong>de</strong> sich Sandoz mit seiner Vorreiterrolle<br />
bei Biosimilars durch höhere Effektivität sicher<br />
auf <strong>de</strong>m Markt durchsetzen, stellte Prof. Glaeske abschließend<br />
fest.<br />
■<br />
AUTOR<br />
Werner B. Hoppe<br />
E-Mail: wbhoppe@aol.com<br />
Bildnachweis: Löffl er (1), PD Dr. med. André-Michael Beer (1)<br />
34 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
KONGRESSBERICHT<br />
Fortbildung in Hattingen<br />
Ärzte und Apotheker drücken<br />
gemeinsam die Schulbank<br />
Große Resonanz zum Thema Phytotherapie fand eine gemeinsame Fortbildungsveranstaltung von<br />
Apothekern und Ärzten. Hierzu haben sich Ärzte- und Apothekerkammern in Westfalen-Lippe bereits<br />
zum zweiten Mal zusammengetan und eine gemeinsame Fortbildung zum Thema Phytotherapie auf<br />
<strong>de</strong>n Weg gebracht. [ von Dr. André-Michael Beer ]<br />
➔<br />
November 2008 fand im Klinikum Blankenstein in<br />
Hattingen die Veranstaltung zum Thema „Stellenwert<br />
und evi<strong>de</strong>nzbasierter Einsatz von Phytopharmaka“ statt. Unter<br />
<strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>ration von Professor Dr. med. Falk Oppel, <strong>de</strong>m<br />
Leiter <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie für ärztliche Fort- und Weiterbildung<br />
<strong>de</strong>r Ärztekammer und KV Westfalen-Lippe, hielten Professor<br />
Dr. Theodor Dingermann, Universität Frankfurt, und PD Dr.<br />
med. André-Michael Beer, Ruhr-Universität Bochum, Vorträge<br />
zum Thema. Prof. Dingermann vermittelte die pharmakologischen<br />
und pharmazeutischen „Basics“ <strong>de</strong>r Phytotherapie.<br />
So machte er <strong>de</strong>utlich, dass die Droge nur als Rohstoff zu<br />
betrachten ist, <strong>de</strong>r eigentliche Wirkstoff ist <strong>de</strong>r jeweilige Extrakt.<br />
Das sei <strong>de</strong>shalb von beson<strong>de</strong>rer Be<strong>de</strong>utung, weil sich<br />
Extrakte, auch wenn sie aus <strong>de</strong>r gleichen Droge stammen,<br />
stark unterschei<strong>de</strong>n können. Kritisch äußerte er sich über traditionelle<br />
Präparate nach § 109 a (AMG), vor allem was <strong>de</strong>ren<br />
Wirksamkeit anbetrifft. Diese Produkte seien per <strong>de</strong>finitionem<br />
unwirksam, was er für gera<strong>de</strong>zu skandalös halte.<br />
Ein ganz beson<strong>de</strong>res Anliegen war ihm die For<strong>de</strong>rung nach<br />
einer Apothekerkommission, die <strong>de</strong>n Apotheker im Rahmen<br />
eines Qualitätsmanagements einbin<strong>de</strong>t. Darüber hinaus regte<br />
er an, dass sich Firmen, die Präparate aus gleichen Drogen<br />
herstellen, zusammenschließen, um gemeinsam die Extrakte<br />
zu beforschen. Darin wür<strong>de</strong> er für die Zukunft <strong>de</strong>r Phytotherapie<br />
einen <strong>de</strong>utlichen Vorteil sehen. Auf diese Weise könnten<br />
das optimale Drogen-Extrakt-Verhältnis, die Pharmakodynamik,<br />
die Pharmakokinetik wie auch die Wirkmechanismen<br />
dieser Phytopharmaka umfassend <strong>de</strong>finiert wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Pause ist die produktivste Zeit einer Tagung<br />
Prof. Dingermann begeisterte in seinem lebendigen Vortrag<br />
sowohl Apotheker als auch Ärzte, sodass es in <strong>de</strong>r Pause zu<br />
einer angeregten Diskussion zwischen Referenten und Teilnehmern,<br />
aber auch unter <strong>de</strong>n Teilnehmern kam.<br />
Das Wichtigste im Rahmen von Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen<br />
ist, folgt man <strong>de</strong>n Ergebnissen einer amerikanischen<br />
Untersuchung, die Pause. Dort kommt es zu einer<br />
„Kalibrierung“ (Calibration) zwischen <strong>de</strong>n Teilnehmern:<br />
Aussagen an<strong>de</strong>rer wer<strong>de</strong>n kritisch überdacht und gegebenenfalls<br />
auch zum Anlass genommen, am eigenen Meinungsbild<br />
Korrekturen vorzunehmen. Diese Form einer Kalibrierung<br />
zwischen Apothekern und Ärzten ist heute ohnehin dringend<br />
notwendig. Zunehmend wen<strong>de</strong>n sich Patienten bei leichten bis<br />
mittelschweren Erkrankungen an Apotheker. Dies wur<strong>de</strong> von<br />
<strong>de</strong>n Teilnehmern auch in <strong>de</strong>r Diskussion angesprochen, und<br />
die Apotheker machten dabei <strong>de</strong>utlich, dass sie sich bemühen,<br />
Phytopharmaka gemäß ärztlicher Indikationsstellung zu empfehlen.<br />
Die meisten sprachen sich dafür aus, in Abgrenzung<br />
zu Discountermärkten in <strong>de</strong>r Apotheke nur Phytopharmaka<br />
vorzuhalten, die nach Qualität, Wirksamkeit und Unbe<strong>de</strong>nklichkeit<br />
getestet sind und die traditionellen Präparate nach<br />
§ 109 a (AMG) bzw. Nahrungsergänzungsmittel, die diesen<br />
Qualitätskriterien nicht Rechnung tragen, eher <strong>de</strong>m Verkauf<br />
in Discountermärkten zu überlassen.<br />
Pflanzliche Gynäkologika haben gute Perspektiven<br />
Dr. Beer ging in seinem Vortrag auf <strong>de</strong>n Stellenwert <strong>de</strong>r Phytopharmaka<br />
am Beispiel <strong>de</strong>r Wechseljahresbeschwer<strong>de</strong>n ein.<br />
Er ver<strong>de</strong>utlichte, dass zwei Drittel <strong>de</strong>r Frauen in <strong>de</strong>n Wechseljahren<br />
nur leichte bis mittelschwere Beschwer<strong>de</strong>n aufweisen,<br />
die sie zunächst in die Apotheke führen. Er zeigte, dass<br />
gera<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Wechseljahresbeschwer<strong>de</strong>n seitens<br />
<strong>de</strong>r Phytopharmaka eine breite Evi<strong>de</strong>nz durch eine lange Erfahrung,<br />
aber auch durch eine Reihe von klinischen Studien<br />
vorliegt. Zum Stellenwert <strong>de</strong>r Isoflavone, die vor allem als<br />
Nahrungsergänzungsmittel vermarktet wer<strong>de</strong>n, äußerte er<br />
sich zurückhaltend, da we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ren Wirksamkeit noch <strong>de</strong>ren<br />
Unbe<strong>de</strong>nklichkeit ausreichend belegt seien.<br />
Da die Hormonersatztherapie aber immer stärker in das<br />
Kreuzfeuer <strong>de</strong>r Kritik gerät, sehe er für die gut dokumentierten<br />
Phytopharmaka gera<strong>de</strong> bei Wechseljahrsbeschwer<strong>de</strong>n<br />
gute Perspektiven.<br />
■<br />
AUTOR<br />
PD Dr. med. André-Michael Beer, M. Sc<br />
Chefarzt <strong>de</strong>r Abteilung Naturheilkun<strong>de</strong> – Klinik Blankenstein<br />
Im Vogelsang 5–11 | 45527 Hattingen<br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 35
SCHWERPUNKT<br />
Neuro<strong>de</strong>rmitis beim Kind<br />
Johanniskraut-Creme<br />
unterstützt die Basistherapie<br />
Die atopische Dermatitis (AD) gehört zu <strong>de</strong>n häufigsten Hauterkrankungen im Kin<strong>de</strong>salter. Eine gezielte, auf<br />
die Bedürfnisse <strong>de</strong>r Betroffenen abgestimmte tägliche Hautpflege ist dabei ein wichtiger Bestandteil <strong>de</strong>r<br />
Basistherapie. Wie die Ergebnisse einer aktuellen Anwendungsbeobachtung zeigen, eignen sich Produkte<br />
mit Johanniskraut-Extrakten für eine solche Basispflege beson<strong>de</strong>rs gut.<br />
➔Weltweit sind rund 10 bis 20 Prozent aller Kin<strong>de</strong>r von<br />
atopischer Dermatitis betroffen (Wüthrich et al. 1998),<br />
die Prävalenz beträgt in Deutschland 13,2 Prozent (Kamtsiuris<br />
2007). Die gestörte Hautbarriere ist eines <strong>de</strong>r Charakteristika<br />
<strong>de</strong>r atopischen Dermatitis. Symptome wie Hauttrockenheit<br />
und Rötung sind dabei typisch und in aller Regel selbst<br />
bei mil<strong>de</strong>n Formen <strong>de</strong>s atopischen Ekzems zu fin<strong>de</strong>n (Diepgen<br />
et al. 1991). Der gezielten täglichen Hautpflege kommt daher<br />
im Rahmen <strong>de</strong>r Basistherapie <strong>de</strong>r atopischen Dermatitis eine<br />
beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung zu. Medizinische Hautpflegeprodukte<br />
können bei regelmäßiger Anwendung zu einer Stabilisierung<br />
<strong>de</strong>r Barrierefunktion und zur Abnahme <strong>de</strong>r Xerosis führen<br />
(Abels et al. 2006).<br />
Noch relativ neu ist hierbei <strong>de</strong>r Einsatz von Zubereitungen<br />
mit Johanniskraut-Extrakten zur topischen Anwendung. Ein<br />
Johanniskraut-Spezialextrakt, für <strong>de</strong>ssen Inhaltsstoffe antiinflammatorische<br />
und antibakterielle Wirkungen nachgewiesen<br />
wer<strong>de</strong>n konnten (Schempp et al. 1999, 2003), zeigte bei erwachsenen<br />
Proban<strong>de</strong>n eine gute Verträglichkeit<br />
sowie eine klinische Verbesserung<br />
<strong>de</strong>s atopischen Ekzems (Schempp et al.<br />
2003, Heinrich et al. 2003).<br />
Mithilfe <strong>de</strong>r In-vitro-Laser-Scan-Mikroskopie<br />
konnte bei <strong>de</strong>r Verwendung einer<br />
Gesichtscreme mit diesem Johanniskraut-<br />
Spezialextrakt eine Verbesserung <strong>de</strong>r<br />
Barriereeigenschaften <strong>de</strong>r Haut und <strong>de</strong>r<br />
Hauttrockenheit (Teichmann et al. 2006) dokumentiert<br />
wer<strong>de</strong>n. Das Beson<strong>de</strong>re an <strong>de</strong>m<br />
hier besprochenen Johanniskraut-Spezialextrakt<br />
ist sein hoher Hyperforinanteil und das<br />
Fehlen <strong>de</strong>s normalerweise in Johanniskraut<br />
vorkommen<strong>de</strong>n Hypericins, <strong>de</strong>m photosensibilisieren<strong>de</strong><br />
Effekte zugeschrieben wer<strong>de</strong>n.<br />
Studie prüft Anwendung bei Kin<strong>de</strong>rn<br />
Kin<strong>de</strong>r sind keine „kleinen Erwachsenen“.<br />
Daher ist es auch im Bereich <strong>de</strong>r medizinischen<br />
Hautpflege wichtig, die Verträglichkeit<br />
entsprechen<strong>de</strong>r Produkte bei <strong>de</strong>r<br />
[ von Dr. med. Swarna Ekanayake und Anke Kleemann ]<br />
Anwendung auf <strong>de</strong>r kindlichen Haut zu überprüfen. In drei<br />
Anwendungsbeobachtungen wur<strong>de</strong> jeweils <strong>de</strong>r Einsatz <strong>de</strong>s<br />
Johanniskraut-Spezialextraktes in drei unterschiedlichen<br />
topischen Formen (Bedan ® Creme, Lotion und Gesichtscreme)<br />
speziell bei Babys und Kleinkin<strong>de</strong>rn im Alter von sechs Monaten<br />
bis zwei Jahren untersucht. Aufnahmekriterium für die<br />
kleinen Patienten war eine anamnestisch festgestellte empfindliche<br />
und/o<strong>de</strong>r trockene Haut mit Rötungen als Minimalform<br />
<strong>de</strong>r atopischen Hautdiathese, die dann durch einen Dermatologen<br />
objektiviert wur<strong>de</strong>.<br />
■ In je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r drei unabhängigen Studien wur<strong>de</strong> eine<br />
an<strong>de</strong>re Produktform untersucht. Insgesamt wur<strong>de</strong>n<br />
42 Kin<strong>de</strong>r eingeschlossen.<br />
■ In <strong>de</strong>n Studien I und II musste das jeweilige Testprodukt<br />
(Creme und Lotion) min<strong>de</strong>stens zweimal täglich am<br />
Körper <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r angewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />
■ In <strong>de</strong>r Studie III war die Gesichtscreme min<strong>de</strong>stens<br />
einmal pro Tag aufzutragen.<br />
Mittelwerte <strong>de</strong>r Scores<br />
Abbildung 1: Dermatologische Bewertung <strong>de</strong>r Haut zu Beginn und nach<br />
Abschluss <strong>de</strong>r Studie.<br />
Bildnachweis: Dr. Michael Ploch (1), proDerm (1)<br />
36 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
Die Eltern <strong>de</strong>r teilnehmen<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n gebeten, während<br />
<strong>de</strong>r Anwendungsbeobachtung die bisherigen Wasch- und<br />
Reinigungsgewohnheiten nicht zu verän<strong>de</strong>rn, jedoch auf die<br />
Verwendung eigener Körperpflegeprodukte (in Studie I und II)<br />
bzw. eigener Gesichtscreme (in Studie III) zu verzichten.<br />
Bei Aufnahme und nach zweiwöchiger Anwendung von Bedan<br />
® erfolgte zur Bestimmung <strong>de</strong>r objektiven klinischen Parameter<br />
jeweils eine Untersuchung <strong>de</strong>s Hautorgans durch einen<br />
Dermatologen. Als klinische Parameter dienten die Symptome<br />
■ Erythem,<br />
■ Xerosis,<br />
■ Schuppung,<br />
■ Papeln.<br />
Sie wur<strong>de</strong>n einzeln entsprechend ihrer Intensität mithilfe eines<br />
Scores bewertet. Die Eltern wur<strong>de</strong>n zu Studienen<strong>de</strong> mithilfe<br />
eines Fragebogens zu <strong>de</strong>n kosmetischen Eigenschaften <strong>de</strong>s<br />
Prüfproduktes befragt.<br />
Der Hautzustand verbessert sich<br />
Die Auswertung hat hinsichtlich <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r objektiven<br />
klinischen Parameter folgen<strong>de</strong> Ergebnisse erbracht (Abbildung<br />
1):<br />
Studie I (Creme): Zu Studienbeginn wiesen alle eingeschlossenen<br />
Kin<strong>de</strong>r eine trockene Haut am Körper mit einem mittleren<br />
Score-Wert von 0,73 auf. Nach 14-tägiger Anwendung lag<br />
<strong>de</strong>r mittlere Scorewert nur noch bei 0,18. Insgesamt reduzierte<br />
sich die Anzahl <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r mit klinisch erkennbarer trockener<br />
Haut von 100 Prozent auf nur noch 25 Prozent.<br />
Eine <strong>de</strong>utliche Verän<strong>de</strong>rung während <strong>de</strong>s Testzeitraums zeigte<br />
sich auch bei <strong>de</strong>n übrigen Parametern.<br />
■ Während zu Beginn <strong>de</strong>r Studie bei 85 Prozent <strong>de</strong>r Babys<br />
und Kleinkin<strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Parameter Schuppung ein mittlerer<br />
Score-Wert von 0,55 festgestellt wur<strong>de</strong>, wiesen am En<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>s Beobachtungszeitraums nur noch 20 Prozent <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<br />
eine schuppen<strong>de</strong> Haut auf, <strong>de</strong>r Mittelwert <strong>de</strong>s Scores betrug<br />
nur noch 0,10.<br />
■ Eine Rötung <strong>de</strong>r Haut wur<strong>de</strong> bei 55 Prozent und Papeln<br />
bei 15 Prozent <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r zu Beginn <strong>de</strong>s Testzeitraumes<br />
diagnostiziert. Bei <strong>de</strong>r Abschlussuntersuchung war nur<br />
noch bei 25 Prozent <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r eine sehr leichte Rötung erkennbar,<br />
<strong>de</strong>r Mittelwert <strong>de</strong>s Scores sank von 0,48 auf<br />
0,15. Papeln waren am letzen Tag bei keinem Kind mehr<br />
vorhan<strong>de</strong>n.<br />
Studie II (Lotion): Nach zweiwöchiger täglicher Anwendung<br />
<strong>de</strong>r Johanniskraut-Lotion zeigte sich eine <strong>de</strong>utliche Verbesserung<br />
<strong>de</strong>s Hautzustan<strong>de</strong>s, insbeson<strong>de</strong>re im Bezug auf die<br />
Hauttrockenheit. Während zu Beginn <strong>de</strong>r Studie bei 53 Prozent<br />
<strong>de</strong>r Babys und Kleinkin<strong>de</strong>r Hauttrockenheit diagnostiziert<br />
wur<strong>de</strong>, war diese am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Testzeitraumes nur noch bei<br />
37 Prozent <strong>de</strong>r Teilnehmer zu beobachten. Der Mittelwert <strong>de</strong>s<br />
Scores nahm dabei von 0,53 auf 0,24 ab.<br />
■ Schuppung wur<strong>de</strong> bei 16 Prozent <strong>de</strong>r Teilnehmer zu Studienanfang<br />
festgestellt. Dieses Symptom war nach 14 Tagen<br />
bei keinem <strong>de</strong>r Teilnehmer mehr nachweisbar.<br />
■ Leichte Rötungen fan<strong>de</strong>n sich zwar noch bei zwei Kin<strong>de</strong>rn<br />
(elf Prozent), jedoch sank <strong>de</strong>r Mittelwert <strong>de</strong>s Scores von<br />
0,13 auf 0,05 (dies entspricht einem „sehr leichten“ Befund).<br />
Bei einem Kind wur<strong>de</strong> eine sehr leichte Papelbildung<br />
dokumentiert.<br />
Studie III (Gesichtscreme): Alle behan<strong>de</strong>lten Kin<strong>de</strong>r wiesen<br />
zum Studienbeginn eine trockene Gesichtshaut auf. Nach<br />
14-tägiger Anwendung <strong>de</strong>r Gesichtspflege verbesserte sich die<br />
Hauttrockenheit im Gesicht <strong>de</strong>utlich. Der Mittelwert von 1,3<br />
bei Beginn <strong>de</strong>r Studie sank um mehr als die Hälfte auf einen<br />
mittleren Score-Wert von lediglich 0,6. Immerhin 25 Prozent<br />
<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r waren bei Abschluss <strong>de</strong>r Studie völlig frei vom<br />
Symptom Hauttrockenheit. Ein Erythem wur<strong>de</strong> bei 23 Prozent<br />
und Schuppung bei 27 Prozent <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r zu Beginn <strong>de</strong>r Studie<br />
diagnostiziert. Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Studienzeitraumes war eine<br />
Schuppung nur noch bei 18 Prozent <strong>de</strong>r Teilnehmer festzustellen.<br />
Der mittlere Score für Rötung fiel während <strong>de</strong>s Beobachtungszeitraums<br />
von 0,23 auf 0,14 ab. Papeln bestan<strong>de</strong>n weiterhin<br />
bei 68 Prozent <strong>de</strong>r Teilnehmer<br />
Elternurteil bestätigt guten Pflegeeffekt<br />
Die drei Anwendungsbeobachtungen bestätigen die bereits bei<br />
Erwachsenen dokumentierte gute Verträglichkeit und Wirksamkeit<br />
<strong>de</strong>r Hautpflegeprodukte mit Johanniskraut-Spezialextrakt.<br />
So konnte für Bedan ® Creme eine „sehr gute“, für<br />
Bedan ® Lotion und Bedan ® Gesichtscreme eine „sehr gute bis<br />
gute“ Hautverträglichkeit während <strong>de</strong>r täglichen Anwendung<br />
bei Babys und Kleinkin<strong>de</strong>rn gezeigt wer<strong>de</strong>n. Bei allen drei Produkten<br />
kam es dabei zu einer Verbesserung <strong>de</strong>s Hautzustan<strong>de</strong>s<br />
vor allem durch die Min<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Hauttrockenheit. Die kosmetischen<br />
Eigenschaften wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r Eltern<br />
ebenfalls mit „sehr gut“ o<strong>de</strong>r „gut“ bewertet. Die Feststellung<br />
von Abels (2006), dass kosmetische Hautpflegeprodukte bei<br />
regelmäßiger Anwendung zu einer Stabilisierung <strong>de</strong>r Barrierefunktion<br />
<strong>de</strong>r Haut und zur Reduktion <strong>de</strong>r Xerosis führen, konnte<br />
durch die drei Anwendungsbeobachtungen auch bei Kin<strong>de</strong>rn<br />
bestätigt wer<strong>de</strong>n. Die Pflege mit Johanniskraut-Spezialextrakt<br />
bietet zusätzlich zur Stabilisierung <strong>de</strong>r Hautbarriere <strong>de</strong>n Vorteil<br />
antientzündlicher und antibakterieller Effekte.<br />
■<br />
AUTOREN<br />
Dr. med. Swarna Ekanayake<br />
proDerm Institut für Angewandte Dermatologische Forschung<br />
Kiebitzweg 2 | 22869 Schenefeld<br />
Anke Kleemann<br />
Motzener Straße 41 | 12277 Berlin<br />
E-Mail: akleemann@web.<strong>de</strong><br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 37
PÄDIATRIE<br />
Symposium <strong>de</strong>r DPhG-Fachgruppe „Pharmazeutische Biologie“ in Bonn<br />
Pädiatrie: Phytoforschung<br />
im Aufwind<br />
Auf einem Symposium <strong>de</strong>r Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft e.V. (DPhG), Fachgruppe Pharmazeutische<br />
Biologie, das unter <strong>de</strong>r Leitung von Prof. Dr. Susanne Alban (Universität Kiel) und PD Dr. Werner<br />
Knöss (BfArM) am 10. Oktober 2008 in Bonn stattfand, diskutierten Experten die aktuelle Situation <strong>de</strong>r<br />
Phytotherapie in <strong>de</strong>r Pädiatrie.<br />
[ von Dr. med. Karola Scheffer ]<br />
➔<br />
Indikationen<br />
Übersicht zum Einsatz von Phytopharmaka in <strong>de</strong>r Behandlung<br />
■ von Erkältungskrankheiten<br />
■ von Bronchialerkrankungen<br />
■ <strong>de</strong>s Asthma bronchiale<br />
■ <strong>de</strong>s atopischen Ekzems<br />
■ von Hals- und Rachenentzündungen<br />
■ von Magen-Darm-Erkrankungen<br />
■ von Harnwegsinfektionen<br />
■ von Schlafstörungen u.a. (psychotrope Phytopharmaka)<br />
Tabelle 1<br />
Quelle: Prof. Dr. Walter Dorsch<br />
Traditionelle Therapie<br />
Bewährte pfl anzliche Mittel für <strong>de</strong>n Säugling mit Blähungen<br />
■ Windtee<br />
Kamillenblüten (geschn.) 30,0<br />
Pfefferminzblätter (geschn.) 15,0<br />
Kümmelfrüchte (angestoßen) 20,0<br />
Fenchelfrüchte (angestoßen) 30,0<br />
Pomeranzenschale (geschn.) 5,0<br />
■ Windsalbe<br />
Anis, Fenchel, Kümmel + Basilikumöl, Kirschlorbeeröl o<strong>de</strong>r<br />
Majoranöl (<strong>de</strong>m Dickdarmverlauf folgend im Uhrzeigersinn<br />
einmassieren, richtig aufstoßen lassen!)<br />
■ Kümmelöl<br />
pur o<strong>de</strong>r besser 1/10 verdünnt<br />
Tabelle 2<br />
Quelle: Prof. Dr. Walter Dorsch<br />
Pflanzliche Arzneimittel bieten im Vergleich zu vielen chemischen<br />
Substanzen einen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Vorteil, <strong>de</strong>r sie<br />
für die Anwendung im Kin<strong>de</strong>salter prä<strong>de</strong>stiniert: Sie sind in aller<br />
Regel gut verträglich und weitgehend frei von unerwünschten<br />
Nebenwirkungen. Obwohl aber pflanzliche Arzneimittel in <strong>de</strong>r<br />
kin<strong>de</strong>rärztlichen Praxis einen hohen Stellenwert einnehmen,<br />
wird in <strong>de</strong>n gängigen Lehrbüchern <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rheilkun<strong>de</strong> die<br />
Phytotherapie kaum berücksichtigt. Ebenso vergessen allerdings<br />
die Lehrbücher <strong>de</strong>r Phytotherapie meist, Kin<strong>de</strong>r als eine eigenständige<br />
Patientengruppe aufzuführen, berichtete Prof. Dr. med.<br />
Walter Dorsch, München. Dabei bietet die Pflanzenheilkun<strong>de</strong><br />
ein reichhaltiges Spektrum an Arzneien, die gera<strong>de</strong> bei Kin<strong>de</strong>rn<br />
für zahlreiche Indikationen zum Einsatz kommen können. Allen<br />
voran sind Erkältungskrankheiten, Atemwegserkrankungen und<br />
Hals- bzw. Rachenentzündungen zu nennen.<br />
Wie <strong>de</strong>r in München nie<strong>de</strong>rgelassene Pädiater erläuterte, können<br />
Phytopharmaka aber auch bei vielen an<strong>de</strong>ren Erkrankungen im<br />
Kin<strong>de</strong>salter eine wirksame und gleichzeitig schonen<strong>de</strong> Behandlung<br />
gewährleisten (Tabelle 1).<br />
Als Beispiele nannte er Extrakte aus Birkenblättern und Goldrutenkraut<br />
bei Harnwegsproblemen o<strong>de</strong>r Phytosedativa (Baldrian,<br />
Melisse, Hopfenzapfen und Passionsblumenkraut) bei<br />
kindlichen Schlafstörungen. Sogar die quälen<strong>de</strong>n Symptome <strong>de</strong>s<br />
atopischen Ekzems können – unterstützend zur konventionellen<br />
Therapie – mithilfe von pflanzlichen Dermatika gelin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />
Dazu gehören topische Zubereitungen aus Johanniskraut,<br />
Kamille, Stiefmütterchenkraut o<strong>de</strong>r Ringelblume, die antiinflammatorische,<br />
antiexsudative, adstringieren<strong>de</strong> und antimikrobielle<br />
Eigenschaften besitzen.<br />
Atemwegsinfekte – eine Domäne <strong>de</strong>r Phytotherapie<br />
beim Kind<br />
Allein für die Behandlung von Atemwegsinfekten steht eine Vielzahl<br />
wirksamer und gut verträglicher Phytopharmaka zur Verfügung.<br />
Zur Lin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r typischen Erkältungssymptome eignen<br />
sich Schlüsselblumenblüten, Primelwurzel o<strong>de</strong>r Thymian- und<br />
Quen<strong>de</strong>lkraut mit ihren sekretolytischen, expektorieren<strong>de</strong>n und<br />
teils antiphlogistischen Eigenschaften. Thymian verfügt zusätzlich<br />
über <strong>de</strong>utliche antivirale Effekte, die bei <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Regel<br />
viral bedingten grippalen Infekten von beson<strong>de</strong>rem Nutzen sind.<br />
Hilfreich können auch die fiebersenken<strong>de</strong>n und schweißtreiben<strong>de</strong>n<br />
Effekte von Lin<strong>de</strong>nblüten o<strong>de</strong>r Holun<strong>de</strong>rblüten sein.<br />
Bei Bronchiti<strong>de</strong>n bieten sich drei Gruppen pflanzlicher Arzneimittel<br />
an, die je nach Hustenqualität indiziert sind:<br />
■ schleimlösen<strong>de</strong> Phytopharmaka wie Anis, Fenchel, Primelwurzel<br />
und Schlüsselblumenblüten sowie Senegawurzel,<br />
38 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
Qualitätsbewertung von Phytopharmaka<br />
Arzneimittel 1 Arzneimittel 2 Arzneimittel 3<br />
Inhaltstoffe Thymian-Fluid-Extrakt (1 : 2–2,5) 9 % Thymian-Fluid-Extrakt (1 : 2–2,5) 15 % Thymian-Fluid-Extrakt (1 : 2–2,5) 5 %<br />
Thymian-Fluid-Extrakt (TFE) Efeublätter-Fluid-Extrakt (1 : 1) 1,5 % Primelwurzel-Fluid-Extrakt (1 : 2–2,5) 2,5 %<br />
Efeublätter-Fluid-Extrakt (EFE)<br />
Primelwurzel-Fluid-Extrakt (PFE)<br />
Tagesdosis Erw. 90–120 ml = 10,125 g bis 13,5 g TFE 16,4 ml = 2,43 g TFE und 0,243 g EFE 30 ml = 1,5 g TFE und 0,75 g PFE<br />
Tagesdosis 4 J. 30 ml = 3,375 g TFE 9,6 ml = 1,44 g TFE und 0,144 g EFE 15 ml = 0,75 g TFE und 0,375 g PFE<br />
Alkoholgehalt <strong>de</strong>r Formulierung 4 Vol % 7 Vol % 5,4 Vol %<br />
Gebin<strong>de</strong>/AVK/Rohertrag 200 g/6,31 €/4,26 € 100 ml/9,53 €/4,26 € 135 g/6,18 €/2,72 €<br />
E/S/C/O/P Dosis f. Thymian 1–2 g getrocknetes Kraut als Aufguss mehrere Male am Tag; Flüssigextrakte wer<strong>de</strong>n analog berechnet (Kin<strong>de</strong>r ab 1Jahr<br />
(Kin<strong>de</strong>r > 1 Jahr, Erwachsene) und Erwachsene) Keine Angabe zu Kombinationsverwendung<br />
EMEA: Monographie (2007) Erwachsene und Kin<strong>de</strong>r > 12 Jahre: 1–14 g TFE<br />
T. vulgaris und T. zygis Kin<strong>de</strong>r 4–12 Jahre: 2,4–4 ml Keine Angabe zu Kombinationsverwendung<br />
EMEA: Monographie (2007) Tagesdosis Erwachsene <strong>de</strong>r Einzeldroge: 1,5 g Flüssigextrakt Keine Angabe zu Kombinationsverwendung<br />
P. veris und P. elatior<br />
nach „Kin<strong>de</strong>rdosierungen von<br />
Phytopharmaka“, 2. Auflage 2002<br />
Erwachsene (10–16 Jahre): 1,0–2,0 g je Einzeldosis<br />
Kin<strong>de</strong>r 1–4 Jahre: 0,3–1,0 g je Einzeldosis<br />
Tabelle 3: Vergleich von drei Fertigarzneimitteln am Beispiel von Thymian-Fluid-Extrakt beziehungsweise Thymian-<br />
Fluid-Extrakt-Kombinationen.<br />
Quelle: Dr. Andreas Genau<br />
■ hustenreizlin<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Arzneipflanzen wie Eibischwurzel,<br />
Isländisch Moos o<strong>de</strong>r Spitzwegerichkraut,<br />
■ hustendämpfen<strong>de</strong> Phytopharmaka wie Efeublätter,<br />
Lin<strong>de</strong>nblüten o<strong>de</strong>r Sonnentaukraut.<br />
Für einige <strong>de</strong>r pflanzlichen Antitussiva, wie beispielsweise bestimmte<br />
Efeublätter-Extrakte, sind zusätzliche bronchospasmolytische<br />
Wirkungen belegt. Pflanzliche Arzneimittel aus diesen<br />
Drogen sind sowohl als Monopräparate als auch als fixe Phytokombinationen<br />
auf <strong>de</strong>m Markt, wobei die Wirksamkeit einiger<br />
Präparate – dazu gehören beispielsweise Bronchicum ® , Bronchipret<br />
® , Prospan ® o<strong>de</strong>r Sinupret ® – durch entsprechen<strong>de</strong> klinische<br />
Studien auch bei Kin<strong>de</strong>rn gut dokumentiert ist. Zur ärztlich gestützten<br />
Selbstmedikation eignen sich nach Meinung von Prof.<br />
Dorsch auch vom Arzt individuell zusammengestellte Teerezepturen.<br />
Allerdings ist die Wirksamkeit von Tees – im Gegensatz zu<br />
vielen Fertigarzneien – nicht wissenschaftlich untermauert. Teezubereitungen<br />
reichen jedoch meist aus, um kindliche Bauchschmerzen<br />
zu lin<strong>de</strong>rn, die durch Blähungen verursacht sind.<br />
Mögliche Kombinationen sind hier<br />
■ Angelikawurzel, Enzianwurzel und Kümmelfrüchte,<br />
■ Kamillenblüten o<strong>de</strong>r alternativ Fenchelfrüchte, Pfefferminzblätter,<br />
Melissenblätter und Calmuswurzelstock sowie<br />
■ Malven- und Kamillenblüten, kombiniert mit Gänsefingerkraut<br />
und Fenchelfrüchten.<br />
Speziell für Säuglinge empfiehlt <strong>de</strong>r Pädiater eine externe Anwendung<br />
von Kümmelöl kombiniert mit einer Teemischung (Tabelle<br />
2). Bei akuten Diarrhöen wie<strong>de</strong>rum können pflanzliche Gerbstoffe<br />
z.B. aus Hei<strong>de</strong>lbeerfrüchten, Tormentillwurzelstock o<strong>de</strong>r<br />
Brombeerblättern, die sekretionshemmend, antimikrobiell und<br />
adstringierend wirken, von Nutzen sein. In <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rheilkun<strong>de</strong><br />
lohnt es sich also – so das Fazit <strong>de</strong>s Experten – die vielfältigen<br />
phytotherapeutischen Optionen zu kennen und auch zu nutzen.<br />
Unter <strong>de</strong>r Regelungswut lei<strong>de</strong>t die Compliance<br />
Über Phytopharmakaanwendungen bei Kin<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>s<br />
Apothekenalltags berichtete <strong>de</strong>r Apotheker Dr. Andreas Genau,<br />
Warburg. Etwa die Hälfte aller Phytopharmakaanwendungen<br />
bei Kin<strong>de</strong>rn wird, so seine Erfahrung, durch ärztliche Empfehlung<br />
o<strong>de</strong>r Verordnung veranlasst, die an<strong>de</strong>re Hälfte erfolgt über<br />
Selbstmedikation. Etwas mehr als die Hälfte davon entfällt auf<br />
die Empfehlung durch <strong>de</strong>n Apotheker, in <strong>de</strong>n übrigen 20 Prozent<br />
<strong>de</strong>r Fälle wünschen die Eltern ein ganz bestimmtes pflanzliches<br />
Präparat. Das Ausmaß <strong>de</strong>r Akzeptanz <strong>de</strong>r Phytopharmaka ist immer<br />
noch sehr unterschiedlich. Von vielen behan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Ärzten<br />
wer<strong>de</strong>n sie voll akzeptiert, es gibt aber noch einige Mediziner,<br />
die solchen Arzneimitteln gegenüber eine ablehnen<strong>de</strong> Haltung<br />
einnehmen – primär wegen vermeintlicher Wirkungslosigkeit.<br />
Für Eltern stehen dagegen pflanzliche Arzneimittel hoch im<br />
Kurs, weil sie von ihnen eine sanfte und risikolose Wirkung er-<br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 39
PÄDIATRIE<br />
Gesundheitsreformen<br />
Gesundheits-Reformgesetz (GRG) 1989<br />
Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) 1993<br />
Beitrags-Entlastungsgesetz 1997<br />
1. GKV-Neuordnungsgesetz 1997<br />
2. GKV-Neuordnungsgesetz 1997<br />
GKV-Finanzstärkungsgesetz 1998<br />
GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz 1998<br />
GKV-Gesundheitsreform 2000 2000<br />
Festbetrags-Neuordnungsgesetz 2001<br />
Festbetrags-Anpassungsgesetz 2001<br />
Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz (ABAG) 2002<br />
Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz (AABG) 2002<br />
Fallpauschalen-Gesetz 2002<br />
Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) 2003<br />
GKV-Mo<strong>de</strong>rnisierungsgesetz (GKV-M) 2004<br />
Arzneimittelversorgungs-<br />
Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) 2006<br />
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) 2007<br />
Tabelle 4: Gesundheitsreformen <strong>de</strong>r letzten Jahre.<br />
Quelle: Dr. Andreas Genau<br />
warten. Aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>s Apothekers spielen bei <strong>de</strong>r Empfehlung<br />
von Phytopharmaka gera<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Anwendung an Kin<strong>de</strong>rn<br />
die Qualitätsaspekte eine wichtige Rolle.<br />
Als Grundlage für die Arzneimittelwahl dient die Qualitätsbewertung,<br />
die nicht immer leicht zu treffen ist. Wie unterschiedlich<br />
die einzelnen Arzneimittel beschaffen sein können, auch<br />
wenn sie aus <strong>de</strong>r gleichen Droge hergestellt sind, zeigte Dr.<br />
Genau am Beispiel von Thymian-Fluid-Extrakten (Tabelle 3).<br />
Die Gegenüberstellung zeigt, dass die Kenntnis <strong>de</strong>s Droge-Extrakt-Verhältnisses<br />
(DEV) und <strong>de</strong>ssen Anwendbarkeit im Alltag<br />
alleine nicht ausreicht, um einen Vergleich zu ermöglichen, weil<br />
je nach <strong>de</strong>m Herstellverfahren die Zusammensetzung und damit<br />
auch die Wirkung <strong>de</strong>r Extrakte sehr unterschiedlich ausfallen<br />
können. Ähnliches gilt für die Vergleichbarkeit <strong>de</strong>r Wirkstärke<br />
von Phytopharmaka mit chemischen Monosubstanzen. Der Apotheker<br />
empfiehlt daher, möglichst gut untersuchte Phytopharmaka<br />
zu bevorzugen, <strong>de</strong>ren Wirksamkeit und Unbe<strong>de</strong>nklichkeit<br />
durch entsprechen<strong>de</strong> Studien wissenschaftlich belegt sind. Von<br />
Be<strong>de</strong>utung für die Pädiatrie sind ferner compliancerelevante<br />
Aspekte wie speziell für Kin<strong>de</strong>r geeignete Darreichungsformen.<br />
Das Qualitätsbewusstsein wird jedoch durch die zahlreichen Gesundheitsreformen,<br />
die vor allem in <strong>de</strong>n letzten Jahren erhebliche<br />
strukturbedingte Verän<strong>de</strong>rungen mit sich brachten, nicht gera<strong>de</strong><br />
gestärkt (Tabelle 4).<br />
In erster Linie hat sich das GMG von 2004, das die Ausgrenzung<br />
<strong>de</strong>r meisten Phytopharmaka aus <strong>de</strong>r GKV bewirkte, <strong>de</strong>utlich auf<br />
das Verschreibungsverhalten von Ärzten – und damit indirekt<br />
auch auf die Selbstmedikation – ausgewirkt, wobei beim Arzt<br />
eine „Flucht“ in verschreibungspflichtige Arzneimittel mit allen<br />
absehbaren Folgen zu verzeichnen ist. Als Beispiel nannte Dr.<br />
Genau die Verschreibung von Antibiotika o<strong>de</strong>r ß-Sympathikomimetika<br />
anstelle pflanzlicher Antitussiva. Diese Entwicklung<br />
ist auch bei Pädiatern zu verzeichnen, obwohl die Verordnungseinschränkungen<br />
nicht für Kin<strong>de</strong>r unter zwölf Jahren gelten.<br />
Schließlich behan<strong>de</strong>ln sie in <strong>de</strong>r Regel auch die über Zwölfjährigen.<br />
Darüber hinaus führte die Aut-i<strong>de</strong>m-Regelung zu einem<br />
<strong>de</strong>utlichen allgemeinen Complianceverlust bei <strong>de</strong>r medikamentösen<br />
Therapie, beklagte <strong>de</strong>r Apotheker.<br />
Mehr Therapieoptionen für Kin<strong>de</strong>r gewünscht<br />
In Europa leben <strong>de</strong>rzeit 80 bis 100 Millionen Kin<strong>de</strong>r, die alle<br />
einen Anspruch auf kin<strong>de</strong>rgerechte Behandlung haben, erklärte<br />
in seinem Vortrag Prof. Dr. Hanns Häberlein, Universität Bonn.<br />
Derzeit sind aber nur wenige <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Pädiatrie angewen<strong>de</strong>ten<br />
Arzneimittel an Kin<strong>de</strong>rn geprüft wor<strong>de</strong>n bzw. zur Behandlung von<br />
Kin<strong>de</strong>rn zugelassen. Das be<strong>de</strong>utet, dass je<strong>de</strong> zweite Verordnung<br />
eine Off-label-Verordnung ist, in manchen Schätzungen wird sogar<br />
von 50 bis 90 Prozent ausgegangen. Diese Situation hat die<br />
EU-Behör<strong>de</strong>n dazu veranlasst, eine Regelung anzustreben, die<br />
für Verbesserung sorgt. Mit <strong>de</strong>r Verordnung EC 1901/2006 ist im<br />
Januar 2007 eine solche Regelung in Kraft getreten. Sie schreibt<br />
<strong>de</strong>n Herstellern verbindlich vor, für je<strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r EU neu zuzulassen<strong>de</strong><br />
Arzneimittel ein pädiatrisches Prüfkonzept vorzulegen,<br />
das Vorhaben von Forschungsaktivitäten für die Anwendung bei<br />
Kin<strong>de</strong>rn verbindlich beschreibt. Für das Fehlen guter klinischer<br />
Studien mit Kin<strong>de</strong>rn gibt es allerdings nachvollziehbare Grün<strong>de</strong>.<br />
Nicht zuletzt ist es eine Folge <strong>de</strong>r erheblichen Probleme, die sich<br />
bei <strong>de</strong>r Durchführung von Studien mit Kin<strong>de</strong>rn ergeben. So ist<br />
schon die Rekrutierung <strong>de</strong>r kleinen Proban<strong>de</strong>n ein schwieriges<br />
Unterfangen, weil nur die wenigsten Eltern bereit sind, <strong>de</strong>r Teilnahme<br />
ihres Kin<strong>de</strong>s an einer placebokontrollierten Studie zuzustimmen.<br />
Solche Probleme wird die neue Verordnung nicht<br />
lösen können, zumal sie zusätzlich jeweils eigene Prüfungen in<br />
allen fünf Altersgruppen vorschreibt – bei Frühgeborenen, Neugeborenen,<br />
Kleinkin<strong>de</strong>rn, Kin<strong>de</strong>rn und Heranwachsen<strong>de</strong>n. Die<br />
Kosten einer solchen Prüfung belaufen sich pro Wirkstoff je nach<br />
Substanz und Indikation auf ein bis sieben Millionen Euro. Das<br />
be<strong>de</strong>utet für die Hersteller aber, dass sie nur kaum damit rechnen<br />
können, diese Kosten durch die Vermarktung bei Kin<strong>de</strong>rn wie<strong>de</strong>r<br />
einzuspielen. Die EU-Verordnung versuchte dieses Problem<br />
etwas zu entschärfen, in<strong>de</strong>m sie für patentgeschützte Substanzen<br />
<strong>de</strong>n Patentschutz nach Durchführung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rstudien um weitere<br />
sechs Monate verlängert. Für nicht patentgeschützte Substanzen<br />
– und damit auch für die meisten Phytopharmaka – gilt<br />
statt <strong>de</strong>ssen die sogenannte PUMA (paediatric use marketing<br />
authorisation), ein zehnjähriger Unterlagenschutz, <strong>de</strong>r allerdings<br />
nur für die Anwendung bei Kin<strong>de</strong>rn gilt. Abschließend zeigte<br />
Prof. Häberlein am Beispiel <strong>de</strong>s Hustenpräparates Prospan ® , wie<br />
eine Forschung mit Kin<strong>de</strong>rn aussehen kann. Mit <strong>de</strong>m Spezialextrakt<br />
aus Efeu sind bisher elf klinische Studien und Anwendungsbeobachtungen<br />
mit insgesamt 6 000 Kin<strong>de</strong>rn durchgeführt<br />
wor<strong>de</strong>n. Der Hersteller hat außer<strong>de</strong>m eine alkoholfreie und zuckerfreie<br />
Darreichungsform für Kin<strong>de</strong>r ab <strong>de</strong>m Säuglingsalter<br />
entwickelt. Trotz aller Probleme, die mit <strong>de</strong>r neuen Regelung<br />
verbun<strong>de</strong>n sind, so Prof. Häberlein, sei es zu erwarten, dass sie<br />
zu einer größeren Auswahl an Therapieoptionen für <strong>de</strong>n Pädiater<br />
führen wird.<br />
■<br />
AUTOREN<br />
Dr. med. Karola Scheffer, Dr. Marcela Ullmann<br />
E-Mail: redbuero_ull@web.<strong>de</strong><br />
Bildnachweis: jupiterimages (1)<br />
40 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009
Chiropraktik: Risikoaufklärung dringend notwendig<br />
RECHT<br />
➔Vor einer chiropraktischen Manipulation<br />
an <strong>de</strong>r Halswirbelsäule<br />
ist <strong>de</strong>r Patient über die damit verbun<strong>de</strong>nen<br />
Risiken, etwa eine Verletzung<br />
<strong>de</strong>r Arteria vertebralis mit Hirndurchblutungsstörungen,<br />
aufzuklären, entschied<br />
das Oberlan<strong>de</strong>sgericht (OLG)<br />
Ol<strong>de</strong>nburg mit Urteil vom 25. Juni 2008<br />
(Az.: 5 U 10/08), wie die Zeitschrift<br />
„Versicherungsrecht“ (59 [2008] 1496)<br />
berichtet.<br />
Eine 24 Jahre alte Frau hatte sich wegen<br />
Kopfschmerzen und Schmerzen<br />
im Bereich <strong>de</strong>r Halswirbelsäule in die<br />
Behandlung eines nie<strong>de</strong>rgelassenen<br />
Allgemeinmediziners, mit <strong>de</strong>n Zusatzbezeichnungen<br />
Sportmedizin und Chirotherapie,<br />
begeben. Dieser diagnostizierte<br />
eine Blockierung <strong>de</strong>s vierten<br />
Halswirbels und behan<strong>de</strong>lte die Patientin<br />
mit einer chiropraktischen Manipulation<br />
<strong>de</strong>r HWS.<br />
Nach Angaben <strong>de</strong>r Patientin kam es<br />
sofort danach zu stärksten okzipitalen<br />
Kopfschmerzen. Eine Woche später<br />
traten plötzlich Sehstörungen, stärkste<br />
Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwin<strong>de</strong>l<br />
und wechseln<strong>de</strong> Taubheit <strong>de</strong>r Fingerkuppen<br />
auf. Die Patientin wur<strong>de</strong><br />
am gleichen Tag notfallmäßig in eine<br />
neurologische Klinik stationär aufgenommen,<br />
wo die Diagnose einer „Vertebralisdissektion<br />
rechts iatrogen nach<br />
HWS-Expansionsbehandlung“ gestellt<br />
wur<strong>de</strong>.<br />
Die Patientin verklagte daraufhin <strong>de</strong>n<br />
Arzt auf Scha<strong>de</strong>nsersatz und Schmerzensgeld.<br />
Das erstinstanzlich zuständige<br />
Landgericht sah eine fehlerhafte<br />
chiropraktische Behandlung zwar für<br />
nicht erwiesen an, wegen mangeln<strong>de</strong>r<br />
Aufklärung verurteilte es <strong>de</strong>n Arzt jedoch<br />
zu materiellem Scha<strong>de</strong>nsersatz<br />
in Höhe von 100 Euro sowie zu einem<br />
Schmerzensgeld von 7 500 Euro. Dieses<br />
Urteil wur<strong>de</strong> in zweiter Instanz vom<br />
OLG Ol<strong>de</strong>nburg bestätigt.<br />
Als Begründung führen die Richter<br />
an, dass in diesem Fall nicht nur eine<br />
Aufklärung im „Großen und Ganzen“<br />
gefehlt hatte. Darüber hinaus wäre es<br />
erfor<strong>de</strong>rlich gewesen, die Patientin<br />
speziell auf die Möglichkeit einer Verletzung<br />
<strong>de</strong>r Arteria vertebralis und das<br />
damit verbun<strong>de</strong>ne Risiko dauerhafter<br />
Folgeschä<strong>de</strong>n hinzuweisen. Denn<br />
Über alle Risiken einer chiropraktischen Manipulation muss <strong>de</strong>r Patient<br />
informiert wer<strong>de</strong>n, auch wenn sie sehr selten sind.<br />
grundsätzlich hat <strong>de</strong>r Arzt seinen Patienten<br />
auch über seltene, sogar äußerst<br />
seltene Risiken aufzuklären, wenn <strong>de</strong>ren<br />
Realisation die Lebensführung <strong>de</strong>s<br />
Patienten schwer belasten wür<strong>de</strong> und<br />
die entsprechen<strong>de</strong>n Risiken trotz ihrer<br />
Seltenheit für <strong>de</strong>n Eingriff spezifisch,<br />
für <strong>de</strong>n Laien aber überraschend sind.<br />
Die Entscheidung muss beim<br />
Patienten bleiben<br />
Nach <strong>de</strong>m Gutachten <strong>de</strong>s vom Gericht<br />
beauftragten Sachverständigen wird<br />
aus <strong>de</strong>r Fachliteratur <strong>de</strong>utlich, dass die<br />
Dissektion <strong>de</strong>r Arteria vertebralis als<br />
Folge einer chiropraktischen Manipulation<br />
<strong>de</strong>r HWS bereits vor <strong>de</strong>r zu beurteilen<strong>de</strong>n<br />
Behandlung in Fachkreisen<br />
diskutiert und überwiegend auch als<br />
Risikofaktor eingestuft wor<strong>de</strong>n war.<br />
Wenn aber in <strong>de</strong>r medizinischen Wissenschaft<br />
bereits ernsthafte Stimmen,<br />
die nicht als unbeachtliche Außenseitermeinungen<br />
abgetan wer<strong>de</strong>n können,<br />
darauf hinweisen, ist <strong>de</strong>r Patient selbst<br />
über extrem seltene Risiken aufzuklären,<br />
die für ihn von schwerwiegen<strong>de</strong>r<br />
Be<strong>de</strong>utung sein können.<br />
Selbst wenn die chiropraktische Manipulation<br />
<strong>de</strong>r HWS für die Patientin<br />
die größten Aussichten auf eine rasche<br />
und vollständige Beseitigung ihrer Beschwer<strong>de</strong>n<br />
bot, war <strong>de</strong>r Arzt nicht berechtigt,<br />
ihr die Entscheidung über die<br />
Art <strong>de</strong>r Behandlung abzunehmen und<br />
ihr die – wenn auch seltenen – Risiken<br />
dieser Therapie zu verschweigen. Denn<br />
bei <strong>de</strong>r Entscheidung für o<strong>de</strong>r gegen<br />
eine Behandlungsmaßnahme darf <strong>de</strong>r<br />
Patient sich auch von übervorsichtigen<br />
und aus medizinischer Sicht unvernünftigen<br />
Erwägungen leiten lassen; seinen<br />
Standpunkt hat <strong>de</strong>r behan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Arzt<br />
zu respektieren, so die Ol<strong>de</strong>nburger<br />
Richter.<br />
In Ermangelung <strong>de</strong>r notwendigen Risikoaufklärung<br />
fehlte <strong>de</strong>r Einwilligung<br />
<strong>de</strong>r Patientin in die chiropraktische Behandlung<br />
die erfor<strong>de</strong>rliche Grundlage,<br />
sodass <strong>de</strong>r Eingriff <strong>de</strong>s Arztes rechtswidrig<br />
war.<br />
■<br />
Dr. Gerd-Marko Ostendorf<br />
Nr. 1 | Februar 2009 NaturaMed 41
VERANSTALTUNGEN<br />
März<br />
■ 4. bis 8. März 2009 Naturheilverfahren – Fallseminare Teil 2<br />
München<br />
Info: Aka<strong>de</strong>mie für Naturheilverfahren <strong>de</strong>r Erich Rothenfußer Stiftung und Zentrum für<br />
naturheilkundliche Forschung <strong>de</strong>r II. Medizinischen Klinik und Poliklinik Technische<br />
Universität München, Tel. 089/7 26 69 70, Fax 089/72 66 97 21, ZnF@lrz.tu-muenchen.<strong>de</strong>,<br />
http://ers.rothenfusser-stiftungen.<strong>de</strong><br />
■ 6. bis 8. März 2009 Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren (Wochenendkurs)<br />
Bonn<br />
Info: Ärztegesellschaft für Präventionsmedizin und klassische Naturheilverfahren,<br />
Kneippärztebund e.V., Bad Wörishofen, Tel. 0 82 47/9 01 10, Fax 0 82 47/9 01 11,<br />
info@kneippaerztebund.<strong>de</strong>, www.kneippaerztebund.<strong>de</strong><br />
■ 11. März 2009 Phytotherapie Ausbildung (5 Blöcke)<br />
Freiburg<br />
Info: Freiburger Heilpfl anzenschule Ursel Bühring, Zechenweg 6, 79111 Freiburg,<br />
Tel. 07 61/55 65 59 05, Fax 07 61/55 65 59 06, info@heilpfl anzenschule.<strong>de</strong>,<br />
www.heilpfl anzenschule.<strong>de</strong><br />
■ 11. bis 15. März 2009 80 Std. Fallseminare Naturheilkun<strong>de</strong> – Modul II<br />
Essen<br />
Info: Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftungsprofessur für Naturheilkun<strong>de</strong>,<br />
Tel. 02 01/17 42 55 12, Fax 02 01/17 42 50 00, e.markakidou@kliniken-essen-mitte.<strong>de</strong>,<br />
www.zusatzbezeichnungnaturheilkun<strong>de</strong>.<strong>de</strong><br />
■ 13. März 2009 Zusatz-Weiterbildung Naturheilverfahren – Kurs III<br />
Bad Segeberg Info: Aka<strong>de</strong>mie für medizinische Fort- und Weiterbildung, Esmarchstr. 4–6,<br />
23795 Bad Segeberg, Tel. 0 45 51/80 31 79, Fax 0 45 51/80 31 94, aka<strong>de</strong>mie@aeksh.org,<br />
www.aeksh.<strong>de</strong>/aka<strong>de</strong>mie<br />
■ 20. bis 22. März 2009 80 Std. Fallseminare Naturheilkun<strong>de</strong> – Modul I<br />
Bonn<br />
Info: Ärztegesellschaft für Präventionsmedizin und klassische Naturheilverfahren,<br />
Kneippärztebund e.V., Bad Wörishofen, Tel. 0 82 47/9 01 10, Fax 0 82 47/9 01 11,<br />
info@kneippaerztebund.<strong>de</strong>, www.kneippaerztebund.<strong>de</strong><br />
■ 25. bis 29. März 2009 116. ZAEN-Kongress: Die Schlüsselrolle von Haut, Schleimhaut und Faszien bei<br />
Freu<strong>de</strong>nstadt Krankheit und Heilung, Info: ZAEN-Geschäftsstelle, Am Promena<strong>de</strong>nplatz 1,<br />
72250 Freu<strong>de</strong>nstadt, Tel. 0 74 41/91 85 80, www.zaen.org<br />
■ 26. März 2009 Kurs: Erkrankungen <strong>de</strong>s Bewegungsapparates und Schmerztherapie<br />
Wä<strong>de</strong>nswil (CH)<br />
Info: Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften und Schweizerische<br />
Medizinische Gesellschaft für Phytotherapie, Tel. 00 41/58/9 34 59 80,<br />
Fax 00 41/58/9 34 50 01, kurse-smgp.lsfm@zhaw.ch, www.smgp.ch<br />
■ 28. bis 29. März 2009 Phytotherapie Aufbaukurs<br />
Freiburg<br />
Info: Freiburger Heilpfl anzenschule Ursel Bühring, Zechenweg 6, 79111 Freiburg,<br />
Tel. 07 61/55 65 59 05, Fax 0761/5565 5906, info@heilpfl anzenschule.<strong>de</strong>,<br />
www.heilpfl anzenschule.<strong>de</strong><br />
April<br />
■ 1. bis 5. April 2009 Kurs I: Weiterbildung zur Erlangung <strong>de</strong>r Zusatzbezeichnung „Naturheilverfahren“<br />
München<br />
Info: Aka<strong>de</strong>mie für Naturheilverfahren <strong>de</strong>r Erich Rothenfußer Stiftung und Zentrum für<br />
naturheilkundliche Forschung <strong>de</strong>r II. Medizinischen Klinik und Poliklinik Technische<br />
Universität München, Tel. 089/7 26 69 70, Fax 089/72 66 97 21, ZnF@lrz.tu-muenchen.<strong>de</strong>,<br />
http://ers.rothenfusser-stiftungen.<strong>de</strong><br />
■ 1. bis 5. April 2009 80 Std. Fallseminare Naturheilkun<strong>de</strong> – Modul I<br />
Bad Wörishofen<br />
Info: Ärztegesellschaft für Präventionsmedizin und klassische Naturheilverfahren,<br />
Kneippärztebund e.V., Bad Wörishofen, Tel. 0 82 47/9 01 10, Fax 0 82 47/9 01 11,<br />
info@kneippaerztebund.<strong>de</strong>, www.kneippaerztebund.<strong>de</strong><br />
42 NaturaMed Nr. 1 | Februar 2009