Layout 2 - an der Universität Duisburg-Essen
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Kapitel 4<br />
sich nach ihrer Dissertation, findet sie interess<strong>an</strong>t. ‚Und das alles mit Kind! Außergewöhnlich!<br />
Wie machen Sie das?’ (…) Beim Mittagessen <strong>an</strong>gekommen, setzen sich die drei Herren<br />
und geben <strong>der</strong> jungen Frau das Gefühl, bemerkenswert zu sein. Wie<strong>der</strong> wird kurz über<br />
die Dissertation gesprochen, interess<strong>an</strong>t gefunden, d<strong>an</strong>n: ‚Es ist ungewöhnlich, dass sich<br />
eine Frau mit Kind bei uns bewirbt. Wie machen Sie das denn, wenn Sie reisen müssen?’<br />
Geduldig, auch ein wenig stolz erläutert sie, wie sie ihren Alltag org<strong>an</strong>isiert, wie sie sich mit<br />
<strong>der</strong> Tagesmutter arr<strong>an</strong>giert, (…) Das Gespräch kommt auf Tätigkeitsmerkmale, auf Aufgaben,<br />
Kontakt mit Partnerunternehmen im Ausl<strong>an</strong>d zu halten. ‚Wie machen Sie das mit<br />
Ihrem Kind?“ Sie erläutert, und diesmal einer <strong>der</strong> Herren: ‚Ja, das nehmen wir Ihnen so<br />
nicht ab.’“<br />
Nach einigen Tagen kommt die Absage. Auf Nachfrage erfährt sie, das Gespräch sei hochr<strong>an</strong>gig<br />
gewesen, aber Frauen mit Kin<strong>der</strong>n stelle die Firma für die ausgeschriebene Position nicht ein. Der<br />
zu Beginn dargestellten Erfolgsgeschichte folgt somit die Geschichte einer Entwertung, einer Desillusionierung<br />
über den Versuch als Chemikerin (und Mutter) in <strong>der</strong> Chemiebr<strong>an</strong>che arbeiten<br />
zu wollen.<br />
G<strong>an</strong>z gegensätzlich verlief das Bewerbungsgespräch ihres M<strong>an</strong>nes, <strong>der</strong> sich bei <strong>der</strong> gleichen Firma<br />
beworben hatte.<br />
„Er erinnert sich, dass auch er nach <strong>der</strong> Familiensituation gefragt wurde. Er verwies auf die<br />
Tagesmutter. Das Thema wurde nicht weiter besprochen.“<br />
Die Antwort des M<strong>an</strong>nes zu diesem Thema wurde akzeptiert und nicht weiter hinterfragt.<br />
In dem Abschnitt wird einprägsam geschil<strong>der</strong>t, dass Chemikerinnen und Chemiker bei <strong>der</strong> Stellensuche<br />
mit Rollenklischees über die berufliche Tätigkeit, über familiäre Arbeitsteilung und jeweilige<br />
Prioritäten konfrontiert sind. Stereotype Bil<strong>der</strong> gelten nicht nur für Frauen, son<strong>der</strong>n für beide<br />
Geschlechter, aber die Konsequenzen aus den stereotypen Wahrnehmungen sind völlig unterschiedlich.<br />
Während die Familie für den männlichen Bewerber kein Hin<strong>der</strong>nis darstellt – <strong>der</strong> Verweis<br />
auf die Tagesmutter genügt – verhin<strong>der</strong>t sie den beruflichen Erfolg von Frauen o<strong>der</strong> gar – wie<br />
im geschil<strong>der</strong>ten Fall – den Einstieg in Erfolg versprechende Laufbahnen.<br />
Im zweiten Sinnabschnitt wird nun versucht, die geschil<strong>der</strong>ten Erlebnisse zu erklären. Es ist offensichtlich,<br />
dass Personalentschei<strong>der</strong> in <strong>der</strong> chemischen Industrie Lebens- und Karrieremuster im<br />
Kopf haben, die <strong>an</strong><strong>der</strong>s ausgerichtete Lebensformen mit neu definierten Geschlechterrollen gar<br />
nicht zulassen. Gegen die Definitionsmacht <strong>der</strong> so gen<strong>an</strong>nten Entschei<strong>der</strong> haben somit nicht-traditionelle<br />
Lebensentwürfe keine Ch<strong>an</strong>ce, werden sogar als nicht praktikabel <strong>an</strong>gesehen und damit<br />
abgewertet. Während die junge Chemikerin ihre eigene Lebenspl<strong>an</strong>ung – <strong>der</strong> M<strong>an</strong>n geht ins Ausl<strong>an</strong>d,<br />
sie selbst bleibt in Deutschl<strong>an</strong>d, um ihre Promotion fertig zu stellen – für eine gelungene<br />
Lösung des Vereinbarkeitsproblems zweier hoch qualifizierter Menschen hält, wird sie mit einer<br />
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