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Mein lieber Schwan - Rondo

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Antoine Tamestit<br />

ein Kindheitstraum<br />

Der Tag ist vom frühen Morgen bis zum Abend<br />

verplant, auch dieser. Konzerte und Aufnahmen<br />

drängen sich längst dicht an dicht,<br />

dazu der Unterricht in Köln, die Familie in<br />

Paris – man könnte dabei hektisch werden.<br />

Doch Antoine Tamestit ist die Ruhe selbst,<br />

er kommt mit einem freundlichen Lachen<br />

durch die Tür, bestellt einen schwarzen Tee,<br />

legt seine geliebte Stradivari neben sich auf<br />

die Bank und beginnt zu erzählen. Dass er<br />

sich einen langen Traum erfüllt habe mit der<br />

neuen CD und ihn die Cello-Suiten von Bach<br />

überhaupt erst zum Bratscher gemacht haben.<br />

Zehn Jahre war er damals, fast die Hälfte seines<br />

jungen Lebens hatte er nach allen Regeln der<br />

Kunst auf der Geige geschrubbt, bis er plötzlich<br />

diese Musik hörte. Vielleicht war es Paul<br />

Tortelier, der da spielte auf der Schallplatte<br />

der Eltern, sicher ist er nicht. Aber er weiß<br />

noch ganz genau, dass er diese Suiten auch<br />

spielen wollte. Das Cello hat ihm die Lehrerin<br />

gerade noch ausreden können und ihm einen<br />

Kompromiss vorgeschlagen: die Bratsche.<br />

Kompromiss? Von wegen! Man muss<br />

Tamestits Worten gar nicht glauben, man<br />

muss nur diese neue Aufnahme hören. Wenn<br />

der 33-jährige Franzose den Bogen auf sein<br />

Instrument setzt, klingt das Beste beider<br />

Welten: Vom Cello borgt er die dunklen Farben,<br />

die Schatten, das Volumen, von der Geige den<br />

Gesang, das Flinke und Leichte. Tamestits<br />

Bach ist standhaft und hat doch Grazie, er lädt<br />

zum Tanz und dreht bisweilen Pirouetten,<br />

bei denen man ihm zu Fuß nicht mehr folgen<br />

könnte. Die Gigue sei zu Bachs Zeiten ja längst<br />

eine übermütige Fiddle-Musik gewesen,<br />

während die Sarabande sich in die andere<br />

Richtung entwickelt habe und immer gemächlicher<br />

geworden sei. Tamestit hat Mattheson<br />

gelesen und manches mehr, er ist als Kind aufgewachsen<br />

mitten in Musik und doch auch<br />

umgeben von Büchern.<br />

Ein zweiter Teil mit den restlichen drei<br />

Sui ten soll folgen, sobald er eine Lösung gefunden<br />

hat für das ewige Problem mit der<br />

Nummer 6. Fünf Saiten bräuchte man dafür.<br />

Soll er die Suite in eine andere Tonart transponieren?<br />

Oder gar spielen auf einer alten<br />

Viola pomposa? Heute wird er keine Entscheidung<br />

mehr fällen. Die Studenten warten<br />

schon ...<br />

Raoul Mörchen<br />

Neu erschienen: Bach: Suiten für Violoncello<br />

(arr. für Bratsche), naïve<br />

Abonnenten-CD: Track 12<br />

David Fray Zurück zu Bach<br />

Nägelbeißen ist nicht die feine,<br />

französische Art. David Fray<br />

scheint damit nicht einmal auf<br />

Fotos Probleme zu habe. Es ist<br />

überall zu sehen. Er frönt damit<br />

einer scheinbar instrumententypischen<br />

Schwäche – ähnlich<br />

wie rauchende Tenöre,<br />

schwerenöterische Dirigenten<br />

und heißhungrige Diven. All<br />

dies sind Klischees. Aber eben<br />

welche, für die es erstaunlich<br />

viele, wahre Beispiele gibt.<br />

David Fray, Pianist und<br />

Schwiegersohn von Riccardo<br />

Muti, kehrt mit seiner sechsten<br />

CD zu Bach zurück. Er bekennt<br />

sich zur empfindsamen Ekstase,<br />

zur kleinen, kantablen Tasten-<br />

Neurose und zum feinsinnigen<br />

Aufblättern Bachscher Albumherrlichkeit.<br />

„Das Klavier darf<br />

nicht wie ein Klavier klingen“,<br />

sagt er im Interview. Und begründet<br />

dies mit Bachs Neigung<br />

zum Clavichord. „Das Pedal ist<br />

eine tolle Sache, weil man es<br />

falsch benutzen kann“, grübelt<br />

er. Und sitzt da in seinem überheizten<br />

Backstage-Zimmer der<br />

Philharmonie. Soll man die<br />

Temperatur etwas runterdrehen?<br />

„Nein“, freut sich Fray, weil er in<br />

diesem schwitzigen Zimmerchen<br />

endlich mal nicht friert wie sonst<br />

immer.<br />

David Fray sieht diesmal<br />

aus wie ein dünner, leicht ungewaschener<br />

Mädchenschwarm.<br />

Auf betont wegwerfende Weise<br />

lässig und ungekämmt. Seine<br />

Bach-Konzerte vor fünf Jahren<br />

gehörten zu den schönsten<br />

Klavierentdeckungen der letzten<br />

Jahrzehnte. „Ich mag keinen<br />

trockenen Bach“, meint er, um<br />

zu erklären, warum sein Klavier-<br />

Ton stets einen leichten Kirchen-<br />

Nachklang suggeriert. Seine Vorliebe<br />

für’s Sfumato, also für verrauchte<br />

Farbgebung, stand<br />

tänzelnder Beschwingtheit nie<br />

im Weg. Kein Zweifel, dass David<br />

Fray die französischste, undogmatischste<br />

Verlockung ist, seit<br />

man Bach auf die Grundsätze der<br />

historischen Aufführungspraxis<br />

einschwor.<br />

Auch das Missverständnis,<br />

ein Nachfolger von Glenn Gould<br />

zu sein, hat Fray – trotz gebückter<br />

Sitzhaltung und harter Stühle<br />

– inzwischen abgestreift.<br />

Mit den Partitas Nr. 2 und<br />

6 (sowie der Toccata in c-<br />

Moll) bringt er den Leichtsinn,<br />

ein schönes Laissezfaire,<br />

in die Klavierszene<br />

zurück, die man dort gut<br />

brauchen kann. Immer<br />

noch der rätselvollste,<br />

reizbarste, erfreulichste<br />

Pianist der<br />

letzten Zeit.<br />

Robert Fraunholzer<br />

Neu erschienen: J.S. Bach:<br />

Partita Nr. 2 & 6; Toccata BWV<br />

911, EMI/Virgin<br />

Abonnenten-CD: Track 5<br />

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