Trödler Faller (Vorschau)
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BLICKPUNKT<br />
23<br />
SKULPTUR<br />
■ Figuren des Orient<br />
In der Malerei spielt seit einiger Zeit der<br />
Orientalismus, sowohl was die publizistische<br />
Aufmerksamkeit als auch das Marktinteresse<br />
anbelangt, eine bemerkenswerte<br />
Rolle. Es gab in der zweiten Hälfte des<br />
19. Jahrhunderts eine international gemischte<br />
Anzahl von herausragenden Malern,<br />
die in den nahen und fernen Osten<br />
reisten und dort, oder nach ihrer Rückkehr,<br />
orientalische Darstellungen und Szenen<br />
auch imperialer, die Orientmalerei ist auch<br />
ein Teil ihrer Kolonialpolitik, der Eroberung<br />
und Konsolidierung des Empire. Bei den<br />
Deutschen sind es eher Einzelgänger, mitunter<br />
gar Sonderlinge, die in den Osten<br />
reisen, weil sie dort Selbstfindung und<br />
Abenteuer oder eine fremde Welt entdecken.<br />
Karl May (1842-1912) hat diesem<br />
Fluchtreflex aus dem Mief der deutschen<br />
Gründergesellschaft literarisch Ausdruck<br />
verliehen. Die Österreicher sind demgegenüber<br />
unmittelbar betroffen, denn über<br />
den Balkan sind sie (in)direkte Nachbarn<br />
zur islamischen Welt und zudem historisch<br />
vorbelastet: 1668 standen die Türken bereits<br />
zum zweiten Mal vor Wien und konnten<br />
nur durch extrem unwahrscheinliche<br />
zählung der Moderne basiert auf dem Gegensatz<br />
von real und imaginär, modern<br />
und antiquiert, experimentell und traditionell.<br />
Realismus/Impressionismus werden<br />
dabei gegen Akademismus/Salonmalerei<br />
gestellt. In diese Geschichtskonstruktion<br />
passt der Orientalismus überhaupt nicht.<br />
Denn diese Bilder sind überwiegend realistisch<br />
und nicht idealisiert, eher nüchtern<br />
als sentimental, eher zeitgenössisch als historisierend<br />
und vor allem wurden sie häufig<br />
im Freien bei extremen Lichtverhältnissen<br />
gemalt, lassen den Alleinstellungsanspruch<br />
des Impressionismus fast lächerlich<br />
erscheinen.<br />
Gerade im Zeitalter der Postmoderne, als<br />
man sich laut oder leise von den Dogmen<br />
des Modernismus verabschiedet, kommt<br />
dem Orientalismus eine Vermittlerrolle zu.<br />
Im Krieg zwischen alt und neu stellt er eine<br />
neutrale Zwischenposition dar, indem<br />
er eine traditionell unbelastete Gegenstandswelt<br />
in einer realistisch frischen, teilweise<br />
von stupendem malerischen Können<br />
ausgezeichneten und bei allem Detailreichtum<br />
nicht notwendigerweise kleinlichen<br />
Weise präsentiert. Obwohl die Malerei<br />
im Orientalismus die erste Geige<br />
spielt, konnte es natürlich nicht ausbleiben,<br />
dass auch die Skulptur den Orient als<br />
Themenfeld entdeckte und hier interessante<br />
und vielfältige Werke hervorbrachte.<br />
Den ausführlichen Artikel „Figuren des Orient”<br />
(acht Seiten, 20 Abbildungen) von Dr. Dieter Weidmann<br />
finden Sie in der aktuellen Juli-Ausgabe der<br />
Zeitschrift „Sammler Journal” (ab 26. Juni im Handel<br />
erhältlich)<br />
Rudolf Thiele (1856-1930), Büste eines Arabers,<br />
München, 1883, dunkel und braun patinierte Bronze,<br />
H 53 cm. Diesem großartigen Araberkopf merkt<br />
man deutlich an, dass Thiele nicht nur Bildhauer,<br />
sondern auch Maler war. Wenn er nicht in München<br />
arbeitete, bereiste er Europa und den Orient<br />
(Foto: Nagel)<br />
Agostino Graf Marazzani-Visconti (1835 -1914), Arabischer Reiter, Gießerei H. Gladenbeck & Sohn, Berlin,<br />
1895, patinierte Bronze, H 37 cm. Der aus adeligem Hause stammende Tierbildhauer Marazzani-Visconti<br />
gehörte zu den führenden Pferdemodelleuren Italiens im 19. Jahrhundert. Die Aktiengesellschaft H. Gladenbeck<br />
& Sohn vor den Toren Berlins war damals die modernste Bronzegießerei Europas (Foto: Nagel)<br />
malten, die auf dem Kunstmarkt auf reges<br />
Interesse stießen. Manche von ihnen verschrieben<br />
sich dabei ganz dem orientalischen<br />
Genre, andere, wie der französische<br />
Salonmaler Jean-Leon Gérome<br />
(1824-1904), widmeten ihm nur einen Teil<br />
ihrer Schaffenskraft neben anderen Genres<br />
wie historische Szenen oder Porträts.<br />
Trotz eines ähnlich detaillierten und gegenstandsbezogenen<br />
Stils und eines gemeinsamen<br />
Interesses für das Exotische<br />
gibt es nationale Unterschiede. Die Franzosen<br />
sind vor allem von ihrer literarischen<br />
und romantischen Vergangenheit inspiriert,<br />
für sie war der Orient zumindest im<br />
Zeitalter der Romantik vor allem auch ein<br />
Ort der Träume und Fantasien. Die Engländer<br />
sehen es rationaler, möglicherweise<br />
militärische Fügungen zurückgeschlagen<br />
werden. Noch stärker gilt dies für die Russen,<br />
deren Zarenreich unmittelbar an das<br />
osmanische Reich grenzte und mit ihm<br />
auch im Krimkrieg (1853-56) um Macht<br />
und Einfluss rang. Bei den Italienern und<br />
Spaniern merkt man ebenfalls, dass sie klimatisch<br />
und kulturell aus der Nachbarschaft<br />
kommen. Selbst die fern beheimateten<br />
Amerikaner beteiligten sich auf hohem<br />
qualitativen Niveau an diesem internationalen<br />
Unternehmen, dessen Erfolg<br />
auf dem Kunstmarkt alles andere als überraschend<br />
kam.<br />
In der etablierten Kunstgeschichtsschreibung<br />
spielte der Orientalismus lange eine<br />
erstaunlich geringe Rolle. Er wurde teilweise<br />
regelrecht verdrängt. Die große Er-<br />
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