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Wie Immigranten Orte und Orte Immigranten verändern

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LORCA<br />

Erdbeben<br />

Nach wie vor ist die Stadt vom Erdbeben gezeichnet,<br />

das sie im Mai dieses Jahres heimsuchte.<br />

Dieser Supermarkt hat den Betrieb wieder aufgenommen,<br />

obwohl längst nicht alles repariert ist<br />

Die größten Verlierer der Naturkatastrophe sind<br />

die <strong>Immigranten</strong>. Wenn ihr Haus zerstört wurde,<br />

haben sie im Gegensatz zu den Spaniern oft keine<br />

Angehörigen, zu denen sie ziehen können. In den<br />

Flüchtlingslagern stellen sie deshalb r<strong>und</strong> 95% der<br />

Belegschaft.<br />

Said, der Gewächshausarbeiter<br />

Said ist knapp 30, er kommt aus einem<br />

marokkanischen Dorf etwa 130 km entfernt von<br />

der Hauptstadt Casablanca im Landesinneren<br />

gelegen. Heute sitzt er in der Tetería Salma in<br />

Lorca, draußen an einem der zwei kleinen Tische<br />

auf dem Bürgersteig,<br />

vor einer Tasse süßem<br />

Schwarztee. Neben ihm<br />

ein marokkanischer<br />

Fre<strong>und</strong>, der stumm bleibt<br />

während all der Zeit, in<br />

der Said mir von seinem<br />

Alltag im Gewächshaus<br />

erzählt. Dass Said<br />

gerade nicht arbeitet,<br />

hat mehrere Gründe:<br />

Zunächst liegt im Juli<br />

<strong>und</strong> August ein Großteil<br />

der Arbeit brach, weil es unter den Plastikdächern<br />

der Gewächshäuser zu heiß wird. Nur Melonen<br />

könnte er gerade ernten, denn die wachsen auf<br />

freiem Feld. Dass er auch das nicht macht, liegt<br />

an seinem Chef, der ihm aufgr<strong>und</strong> der Krise<br />

lediglich die Hälfte seines Gehaltes aufs Konto<br />

überweist. Unter diesen Bedingungen möchte Said<br />

nicht weiterarbeiten. Normalerweise bekommt er<br />

300 Euro monatlich für 40 Wochenst<strong>und</strong>en Arbeit,<br />

das entspricht einem St<strong>und</strong>enlohn von 7,50 Euro.<br />

Versichert ist er jedoch in keiner Weise, Urlaub<br />

oder Krankheit sind in seinem dürftigen Vertrag<br />

nicht geregelt. Geld kommt, solange er arbeitet,<br />

<strong>und</strong> keinen Tag länger. <strong>Wie</strong> das zuletzt von seinem<br />

Chef an den Tag gelegte Verhalten jedoch zeigt,<br />

ist selbst der versprochene Lohn nicht sicher.<br />

Organisierten Protest gibt es deshalb aber nicht.<br />

Nicht alle Gewächshausarbeiter werden nach<br />

St<strong>und</strong>en bezahlt, vor allem bei der Melonenernte<br />

zählt oftmals auch die Leistung. Junge, ges<strong>und</strong>e<br />

Männer wie Said können so deutlich mehr<br />

verdienen. Drei Paletten Melonen schafft er in<br />

20 Minuten, rechnet er mir vor, das sind etwa<br />

1000 kg, dafür gibt es 1000 Pesetas. 15 Euro die<br />

St<strong>und</strong>e also. Doch die Melonenernte ist besonders<br />

hart, leichter ist die tomatera, die Tomatenernte.<br />

Dementsprechend arbeiten dort mehr Alte <strong>und</strong><br />

mehr sehr Junge. Obwohl es offiziell erst ab 18<br />

Jahren erlaubt ist, in den Gewächshäusern zu<br />

arbeiten, war die Jüngste, die er dort bislang<br />

getroffen hat, gerade einmal 14 Jahre alt. Mit<br />

60 Jahren ist normalerweise Schluss, doch auch<br />

diese Grenze wird überschritten <strong>und</strong> er hat schon<br />

mit 65-Jährigen zusammen geerntet. Um auch<br />

bei geringerer Leistung mehr zu verdienen, kann<br />

länger, bis zu zwölf St<strong>und</strong>en täglich, gearbeitet<br />

werden. Um vier Uhr morgens geht es für die<br />

Arbeiter üblicherweise los. Dann treffen sie sich<br />

auf dem Parkplatz vor dem Maxi Día-Supermarkt<br />

in Lorca, um in Bussen aufs Land hinaus zu<br />

fahren. Ein Großteil der Arbeitgeber stellt diese<br />

Busse, weil jedoch in vielen Dörfern noch Leute<br />

aufgesammelt werden, dauert die Fahrt damit<br />

oft über 30 Minuten. Wer es sich leisten kann,<br />

organisiert deshalb eigene Fahrgemeinschaften<br />

<strong>und</strong> nimmt es in Kauf, Wagen <strong>und</strong> Sprit selbst zu<br />

bezahlen. Oder, wie Said es macht, zieht gleich<br />

aus der Stadt heraus. Der Stadtrandort<br />

Torrecilla ist ohnehin ruhiger <strong>und</strong> die Luft dort<br />

frischer, sagt er. Einmal in den<br />

Gewächshäusern, arbeiten die Leute in<br />

gemischten Gruppen: Etwa zur Hälfte Frauen<br />

<strong>und</strong> Männer, Alter <strong>und</strong> Nationalitäten spielen<br />

keine Rolle. Vor allem sind jedoch Ecuadorianer,<br />

Rumänen <strong>und</strong> Marokkaner da, manchmal<br />

als ganze Familien. Je nach Arbeitgeber ist es<br />

verboten, sich während der Ernte zu<br />

unterhalten, oder auch erlaubt, währenddessen<br />

Witze zu machen <strong>und</strong> Musik vom Handy<br />

zu hören. Muslime rollen ein paar Mal<br />

zwischendurch ihre Teppiche aus <strong>und</strong> beten.<br />

Gegen 13 Uhr ist Schichtende bzw. Mittagspause.<br />

Es gibt zwar Cafeterías vor Ort, in denen man<br />

dann essen könnte, sie sind aber teuer <strong>und</strong> fast<br />

alle bringen sich deshalb ihr eigenes Essen mit.<br />

Um 14 Uhr geht die nächste Schicht los, weitere<br />

Arbeiter kommen <strong>und</strong> gehen bis etwa 20 Uhr.<br />

Jetzt im Sommer, wo er nicht arbeitet, fährt Said<br />

zurück nach Marokko. Er ist bereits seit sechs<br />

Jahren in Spanien, hat auch spanische Papiere,<br />

aber seine Familie in der Heimat besucht er<br />

regelmäßig zwei bis drei Mal im Jahr.

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