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Wie Immigranten Orte und Orte Immigranten verändern

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<strong>Wie</strong> <strong>Immigranten</strong> <strong>Orte</strong> <strong>und</strong> <strong>Orte</strong> <strong>Immigranten</strong> verändern<br />

Auf den Spuren nordafrikanischer Zuwanderer in spanischen Städten <strong>und</strong> Regionen<br />

Vera Buttmann<br />

Reisestipendium Sommer 2011


VORWORT<br />

Der arabische Frühling hat, in vielerlei Hinsicht,<br />

die Verbindungen zwischen Europa <strong>und</strong> der<br />

arabischen Welt erneuert <strong>und</strong> verändert:<br />

Gr<strong>und</strong>legend ist natürlich der Widerstand gegen<br />

die diktatorischen <strong>und</strong> monarchischen Systeme<br />

<strong>und</strong> der Wandel zu Demokratien, insofern<br />

also eine Annäherung der arabischen Welt<br />

an Europa. Umgekehrt sind die Aufstände in<br />

Nordafrika Anstoß für europäische<br />

Protestbewegungen gewesen.<br />

Deutlichstes Beispiel ist diesbezüglich<br />

Spanien, wo vor den Regionalwahlen<br />

am 22. Mai Tausende auf die Straßen<br />

gingen, um ihren Unmut über eine<br />

unzureichende Parteienlandschaft,<br />

die Arbeits- <strong>und</strong> Perspektivlosigkeit<br />

zu äußern. „¡Democracia Real YA!“<br />

– endlich eine wahre Demokratie –<br />

forderten die Demonstranten <strong>und</strong><br />

fordern sie immer noch.<br />

Auch die Migrationsströme zwischen<br />

den beiden Kontinenten haben sich<br />

verändert. Vor allem Italien erfuhr<br />

einen riesigen Flüchtlingszustrom<br />

<strong>und</strong> rief damit in Erinnerung, wie bedeutsam <strong>und</strong><br />

aktuell die Debatte um europäische Grenzpolitik<br />

ist. Weit weniger mediale Aufmerksamkeit als der<br />

Immigration wurde der Emigration zuteil. Auch<br />

sie nahm, wenngleich in sehr viel geringerem<br />

Umfang, zu. Gr<strong>und</strong> ist die wirtschaftliche Schieflage<br />

Europas. Aus dem von Arbeitslosigkeit<br />

<strong>und</strong> geringen Löhnen geplagten Spanien etwa<br />

ziehen Marokkaner zurück in ihre Heimat. Ein<br />

Programm der spanischen Regierung soll diesen<br />

Trend unterstützen <strong>und</strong><br />

bietet eine Auszahlung des<br />

gesamten Arbeitslosengeldes<br />

auf einmal an, wenn dafür das<br />

Aufenthaltsrecht in Spanien<br />

aufgegeben wird. Darauf lassen<br />

sich jedoch nur Wenige ein –<br />

Die spanische Regierung fordert<br />

Marokko auf, der irregulären<br />

Emigration Einhalt zu gebieten.<br />

Allein vom 1.Juni bis zum 15.<br />

Juli dieses Jahres erreichten 400<br />

subsaharianos die spanischen<br />

Enklaven Ceuta <strong>und</strong> Melilla<br />

(Text: EL PAÍS 15.7.2011)<br />

die lang erkämpften spanischen<br />

Papiere <strong>und</strong> damit die Option,<br />

zurückzukehren, wollen sie<br />

behalten.<br />

Dass meine Reise ausgerechnet<br />

durch Spanien führte,<br />

hat neben aktuellen auch<br />

historische Gründe. Aufgr<strong>und</strong><br />

ihrer geografischen Lage war die Iberische<br />

Halbinsel immer schon Schnittstelle verschiedener<br />

Nach dem Jugoslawienkrieg 1995 verursachte der arabische Frühling 2011 eine weitere Migrationskrise<br />

in Europa (Grafik: EL PAÍS 13.5.2011)


<strong>Wie</strong> verändern sich die Städte, in denen<br />

<strong>Immigranten</strong> leben? Warum wohnen sie hier <strong>und</strong><br />

nicht im Nachbarort? Was bedeutet das für den<br />

öffentlichen Raum? Für die Architektur? Für sie<br />

selbst <strong>und</strong> für ihre Nachbarn?<br />

Das prächtige Gebäude der Kathedrale Córdobas<br />

wurde 784 als Moschee errichtet (Foto: GNU Free<br />

Documentation License)<br />

Religionen, Kulturen <strong>und</strong> Herrschaften <strong>und</strong><br />

gilt deshalb als melting pot Europas. So<br />

mancher schwärmt von dem Leben in Eintracht<br />

(convivencia), das die Gemeinschaften der<br />

drei monotheistischen Offenbarungsreligionen<br />

Judentum, Christentum <strong>und</strong> Islam dort zu<br />

Zeiten der arabischen Herrschaft von 711 bis<br />

1492 geführt haben sollen. Literatur wie Irvings<br />

„Erzählungen von der Alhambra“ nähren diesen<br />

Mythos. Auch wenn er natürlich<br />

idealisiert <strong>und</strong> viele Konflikte<br />

außen vor lässt, so ist das<br />

arabische Spanien, das so<br />

genannte Al-Andalus, doch<br />

eine genaue Betrachtung<br />

wert. Es kann uns heute,<br />

da Immigration häufig als<br />

Problem wahrgenommen wird,<br />

eine lehrreiche Inspiration<br />

sein. Der Kosmopolitismus,<br />

die Poesie, die Bauwerke <strong>und</strong><br />

Gärten, die es hervorbrachte,<br />

zeugen noch immer von seiner<br />

Lebensqualität <strong>und</strong> seinem<br />

kulturellen Reichtum. Sie<br />

machen außerdem deutlich:<br />

Der Islam ist kein bedrohlicher<br />

Eindringling, er gehört seit<br />

Langem zu Europa.<br />

<strong>Wie</strong> <strong>Immigranten</strong>, vor allem<br />

arabischen Ursprungs, heute in<br />

Spanien <strong>und</strong> der Europäischen<br />

Union leben <strong>und</strong> aufgenommen<br />

werden, dem bin ich auf meiner sechswöchigen<br />

Reise von Zentral- über Süd- nach Nordspanien<br />

nachgegangen. Von Madrid fuhr ich direkt nach<br />

Gibraltar, nur 14 km von Afrika entfernt, wo viele<br />

<strong>Immigranten</strong> zum ersten Mal europäischen Boden<br />

betreten, <strong>und</strong> weiter entlang der Mittelmeerküste<br />

ins Innere des Kontinents (siehe Karte).<br />

Vieles habe ich im Auto erfahren. Per<br />

Anhalter unterwegs wurde ich größtenteils<br />

von <strong>Immigranten</strong> mitgenommen - scheinbar<br />

haben sie weniger Angst vor Fremden, sind<br />

gastfre<strong>und</strong>licher, einsamer oder schlichtweg<br />

besser mit der Tramperkultur vertraut als<br />

Spanier. Andere im folgenden Bericht erwähnte<br />

Menschen traf ich bei meinen Stadtspaziergängen,<br />

an einschlägigen <strong>Orte</strong>n wie Häfen oder in<br />

bestimmten Straßenzügen, die ich für meine<br />

Recherchen besuchte, oder bei Verabredungen mit<br />

Professoren, Aktivisten <strong>und</strong> Organisationen. Viele<br />

Informationen offenbarten mir die Stadtstrukturen<br />

auch selbst. Karten, Broschüren, das Internet <strong>und</strong><br />

Bücher taten natürlich ihr Übriges.<br />

So, wie ich diese Reise erlebt habe, ist<br />

auch der folgende Bericht aufgebaut:<br />

Vielmehr als thematisch gliedert er sich<br />

nach <strong>Orte</strong>n, Phänomenen <strong>und</strong> Personen.<br />

Hintergr<strong>und</strong>informationen, Daten <strong>und</strong> Fakten<br />

fließen hier <strong>und</strong> da mit ein. Ein allgemeiner, die<br />

Fäden zusammenführender Text steht nach dieser<br />

Einleitung allerdings erst wieder am Schluss,<br />

sozusagen nach Überquerung der französischen<br />

Grenze.


MADRID<br />

Arquitectos sin Fronteras<br />

In einem Hinterhofzimmer im Norden Madrids tagen<br />

die Arquitectos sin Fronteras – die Architekten<br />

ohne Grenzen. Niemals würde man sie ohne Adresse<br />

finden. Steht man aber im Hof, ist die Tür in<br />

ihren ebenerdigen Raum sperrangelweit geöffnet,<br />

warmes Licht, man wird fre<strong>und</strong>lich empfangen.<br />

Stühle werden herangeholt <strong>und</strong> zu Beginn der Sitzung<br />

extra eine Vorstellungsr<strong>und</strong>e gemacht.<br />

richtenkanal France 24 spricht vom größten Slum<br />

Westeuropas. Will man hinfahren, warnen einen<br />

die Madrider es gebe Drogenhandel, Waffen, die<br />

Cañada Real sei gefährlich.<br />

Doch die Arquitectos sin Fronteras bremsen diese<br />

Panikmache: Längst nicht alle Teile der Cañada<br />

Real seien so, längst nicht alle Einwohner arm <strong>und</strong><br />

kriminell. Viele Spanier hätten sich Land genommen,<br />

ohne dafür zu bezahlen, <strong>und</strong> sich Einfamilienhäuser<br />

gebaut wie in anderen Vororten auch.<br />

Die Meldungen über einen fast ausschließlich<br />

marokkanischen Stadtteil bezögen sich auf den<br />

vierten unter den sechs Sektoren des Gebiets, von<br />

diesem Sektor sei es wiederum ein guter Kilometer,<br />

der aufgr<strong>und</strong> des Drogenhandels gefährlich<br />

sei – lediglich ein Kilometer von einer etwa 14 km<br />

langen Siedlung!<br />

Die Arquitectos sin Fronteras haben sich als<br />

Nichtregierungsorganisation zum Ziel gesetzt, das<br />

Recht auf würdigen Lebensraum zu verteidigen,<br />

sowohl in Entwicklungsländern als auch in der<br />

eigenen Gesellschaft. Es sind fast ausschließlich<br />

junge Leute, Studenten <strong>und</strong> Berufsanfänger zwischen<br />

20 <strong>und</strong> 30. Fast alle sind Architekten, aber<br />

auch eine Kunststudentin <strong>und</strong> ein Informatiker<br />

sind dabei. Die Fluktuation ist jedoch groß – kaum<br />

jemand verfolgt ein Projekt von Anfang bis Ende,<br />

weil alle viel reisen, Arbeiten beginnen, pausieren,<br />

später wieder einsteigen.<br />

Gerade entstehen zum Beispiel eine Studie über<br />

die Markthallen Madrids <strong>und</strong> ein Online-Kurs zur<br />

Einführung neuer Freiwilliger. Hinsichtlich Immigration<br />

ist das ein Projekt interessant, das sich im<br />

vierten Sektor der Cañada Real Galiana befindet,<br />

hinter den Siedlungen von Rivas Vaciamadrid.<br />

Cañada ist die Bezeichnung für Wege, auf denen<br />

traditionell Vieh getrieben wurde. Den Zusatz Real<br />

vergab Alfons X im Jahre 1273 für die Wichtigsten<br />

unter den Cañadas – wenn sie also besonders<br />

gelegen, genutzt <strong>und</strong> groß, mindestens 72 m breit<br />

<strong>und</strong> 500 km lang, waren –, um diese zu schützen.<br />

Noch heute ist die Cañada Real Galiana in öffentlicher<br />

Hand <strong>und</strong> andere Nutzungen, insbesondere<br />

für urbanistische Zwecke, sind untersagt.<br />

Alle Siedlungen, die im südlich von Madrid gelegenen<br />

Abschnitt der Cañada gebaut wurden, sind<br />

also illegal. Es begann in den 60er Jahren mit<br />

einigen Hütten. Heute sind es um die 2000 Bauten<br />

mit beinahe 40000 Bewohnern. Der Nach<br />

Nordwestlich die Autobahn M-50, südöstlich zwar<br />

illegale, aber geordnete Wohngebiete. Dazwischen<br />

der Streifen unregelmäßiger, selbstgezimmerter<br />

Hütten (Bild: Google Maps)<br />

In diesem vierten Sektor ist das Projekt der<br />

Arquitectos sin Fronteras angesiedelt. Dort, wo<br />

ein Gebäude abgerissen wurde <strong>und</strong> eine Brache<br />

entstand, bauen sie nun einen Spielplatz aus recycelten<br />

Materialien. Denn öffentliche Plätze sind im<br />

vierten Sektor der Cañada Mangelware. Jeder hat<br />

sich dort um seine eigene Bleibe bemüht, in der<br />

Illegalität gab es aber nie eine Gesamtplanung.<br />

Nun fehlen vielerlei Infrastrukturen. Im Gegensatz<br />

zu technischen Leitungen oder Straßen ist<br />

ein Spielplatz auch nachträglich gut einzurichten,<br />

sobald eben der Raum dafür frei wird. Bedingung<br />

für seine Errichtung ist, dass die Ehrenamtlichen<br />

von den Anwohnern unterstützt werden. Wenn<br />

sich keiner von den Nachbarn motiviert <strong>und</strong> mithilft,<br />

lassen auch die Arquitectos sin Fronteras die<br />

Schaufeln stehen. Sie haben sich der Bevölkerung<br />

langsam angenähert <strong>und</strong> sind in ihrem kleinen Tätigkeitsgebiet<br />

mittlerweile bekannt, werden sogar<br />

zum marokkanischen Essen eingeladen <strong>und</strong> ihre<br />

Hände mit Henna bemalt. Der Spielplatz ist nahezu<br />

fertig <strong>und</strong> wird bereits gut angenommen.


BUSFAHRT<br />

Marokkanischer Bus<br />

Marokkanische Musik dudelt, die Leute sitzen<br />

ermattet <strong>und</strong> ruhig nebeneinander, nur zwei<br />

Mädchen vor uns unterhalten sich. Kein W<strong>und</strong>er,<br />

der Bus rollt so schon seit gestern dahin, aus<br />

Deutschland kommt er, hat Frankreich passiert,<br />

ist nun in Spanien Richtung Südküste unterwegs,<br />

von Almería wird er nach Marokko übersetzen.<br />

Lauter Marokkaner sitzen darin, die verstreut in<br />

Europa leben <strong>und</strong> jetzt im Sommer zum Urlaub<br />

in ihr Heimatland fahren. Das hintere Drittel<br />

des Busses ist voll mit Gepäckstücken – Koffer<br />

<strong>und</strong> Plastiksäcke<br />

stapeln sich auf<br />

Flur <strong>und</strong> Sitzen.<br />

Darin sind vor allem<br />

Geschenke für all die<br />

Familienmitglieder<br />

<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e in der<br />

Heimat, <strong>und</strong> zwar in<br />

solchen Mengen, dass<br />

sie im Gepäckraum<br />

unten im Bus nicht<br />

alle Platz fanden.<br />

Diese Taschen mitnehmen zu können, das ist der<br />

Gr<strong>und</strong>, warum nach wie vor alle mit dem Bus<br />

fahren, obwohl es mittlerweile billigere Flüge gibt.<br />

Zugezogene Vorhänge auf der Sonnenseite halten<br />

die Hitze ab, auf einem kleinen Monitor vorn läuft<br />

ein arabischer Film.<br />

Marokkanische Raststätte<br />

Wir machen Pause an einer Raststätte etwas<br />

abseits. Hier sind keine Spanier, sondern nur<br />

Marokkaner. Sie kommen in großen Bussen<br />

wie dem unseren, der ganze Parkplatz ist<br />

voll damit. Über dem kleinen Laden <strong>und</strong> dem<br />

Restaurant stehen neben der lateinischen<br />

Schrift auch arabische Zeichen, neben der<br />

Selbstbedienungstheke mit Paella gibt es<br />

eine Bar mit süßem Tee <strong>und</strong> marokkanischem<br />

Gebäck. Über alledem prangen Portraits<br />

des marokkanischen Königs, umringt von<br />

Nationalflaggen <strong>und</strong> Bildern nordafrikanischer<br />

Landschaft. Die Raststätte ist beliebt, weil sie ein<br />

heimatliches Ambiente <strong>und</strong> vertraute Produkte,<br />

gleichzeitig aber Speisen aus dem Durchreiseland<br />

bietet. Ein Semmelknödel in Deutschland, ein<br />

Baguette in Frankreich, eine Paella in Spanien –<br />

so wird die Fahrt zum Urlaub.<br />

Natürlich könnten an dieser Raststätte auch<br />

Menschen anderer als marokkanischer Nationalität<br />

Halt machen, aber aus irgendeinem Gr<strong>und</strong> tun sie<br />

es nicht. Vielleicht wird die Raststätte von ihnen<br />

nicht gef<strong>und</strong>en, vielleicht taucht sie in spanischen<br />

Navigationsgeräten nicht auf, vielleicht wird sie<br />

auch gemieden. Es entsteht eine Parallelwelt,<br />

Mitfahrer Laghdar<br />

Laghdar sitzt vor mir <strong>und</strong> ist froh, sich unterhalten<br />

zu können. Er ist in Paris zugestiegen, dort<br />

arbeitet er jetzt. Vor Jahren ist er nach Spanien<br />

gezogen, dort hat er in Almería begonnen zu<br />

arbeiten <strong>und</strong> Spanisch gelernt. Gern wäre<br />

er geblieben, aber wegen der in letzter Zeit<br />

so schlechten Situation auf dem spanischen<br />

Arbeitsmarkt ging er nach Frankreich, zog dort<br />

zu seinem Bruder in die Wohnung <strong>und</strong> ist nun<br />

Maler in Paris. Stolz zeigt er die Fotos von seinem<br />

letzten Auftrag: ein großes Einfamilienhaus,<br />

jedes Zimmer in einer unterschiedlichen<br />

Farbe, manchmal mit Streifen. Danach<br />

kommt ein Foto einer Männerr<strong>und</strong>e,<br />

Wasserpfeife rauchend – da feiern sie<br />

das 4:1 Marokkos gegen Algerien. Sein<br />

Französisch sei noch dürftig, zeigt mir<br />

Laghdar mit einem klitzekleinen Abstand<br />

zwischen zwei Fingern, <strong>und</strong> Almería hat<br />

ihm auch wegen des Wetters weit besser<br />

gefallen. Zwei Wochen wird er dort<br />

jetzt deshalb bei einem Fre<strong>und</strong> Urlaub<br />

machen, danach geht es noch einmal kurz zum<br />

Arbeiten nach Paris <strong>und</strong> erst dann endgültig in den<br />

Sommerurlaub nach Marokko.<br />

in der ein Großteil der Frauen Kopftücher trägt<br />

<strong>und</strong> Plakate dazu aufrufen, für den Bau einer<br />

Moschee in Madrid zu spenden. Fotografieren<br />

darf ich die Spendenbox nur nach Absprache mit<br />

dem Standleiter,<br />

Personen sollen<br />

nicht abgelichtet<br />

werden. Die Angst<br />

vor antiislamischen<br />

Berichten ist offenbar<br />

groß. Bevor es<br />

weiter geht, klappert<br />

vor dem Bus noch<br />

einmal jemand mit<br />

einer Spendendose.<br />

Zurück auf die Autobahn, zwischen spanische<br />

Wagen. An der nächsten Raststätte mischen sich<br />

die Marokkaner schon wieder mit allen anderen.


GIBRALTAR<br />

Ibrahim-al-Ibrahim-Moschee<br />

Die Ibrahim-al-Ibrahim-Moschee<br />

wurde 1997 an die Südspitze<br />

Gibraltars gebaut. Manchen<br />

scheint sie mit ihrem Richtung<br />

Europa weisenden Minarett<br />

ein Versuch des Islam, Europa<br />

zumindest symbolisch zurück<br />

zu erobern. Tatsächlich hat<br />

die Einwanderung über die<br />

Meerenge von Gibraltar deutlich<br />

abgenommen, seit die Guardia<br />

Civil, eine paramilitärische<br />

Polizeieinheit, 2003 SIVE in<br />

(Foto: Wikimedia Commons)<br />

Betrieb nahm, ein spanisches<br />

System zur Überwachung der<br />

Meeresgrenzen mittels Radar,<br />

Video- <strong>und</strong> Infrarotkameras.<br />

Pro Asyl beklagt, dass es „zum<br />

Anstieg der Todefälle unter<br />

MigrantInnen geführt hat <strong>und</strong> die<br />

Migration keineswegs verhindert<br />

hat, sondern nur die Wege<br />

verlängert <strong>und</strong> erschwert hat.“<br />

Nun ist die Küste Motrils Ziel<br />

vieler Boote.<br />

TARIFA<br />

Zollstation<br />

Spaziert man am Strand Tarifas entlang, stößt<br />

man auf ein massiv abgezäuntes Gelände.<br />

Durch die Gitterstäbe erkennt man die Schilder<br />

der Zollstation. Hier werden aus Marokko<br />

ankommende Busse durch die Schranken<br />

geschleust <strong>und</strong> kontrolliert.<br />

Ins Abendrot getauchtes Immigratenzentrum -<br />

die Isla de las Palomas (Foto: Creative Commons-<br />

Lizenz)<br />

Ein Bus voller Kopftuchträgerinnen passiert die<br />

Zollstation<br />

Isla de las Palomas<br />

Sie scheint ganz anders, als sie ist: <strong>Wie</strong> eine<br />

alte Festungsanlage sieht sie aus, ist über einen<br />

steinernen Steg erreichbar, zu dessen einer Seite<br />

der Atlantik <strong>und</strong> zu dessen anderer Seite das<br />

Mittelmeer ihre Wellen schlagen. Die Isla de las<br />

Palomas hängt am südlichsten Zipfel Spaniens,<br />

bis nach Afrika sind es von hier nur noch 14 km.<br />

Die Halbinsel ist ein Postkartenmotiv Tarifas. Doch<br />

Touristen kommen nur bis zum Tor am Ende<br />

des Steges. Was dahinter liegt, ist nicht mehr<br />

ersichtlich: Dort harren <strong>Immigranten</strong> aus, die<br />

versucht haben, über das Meer nach Spanien zu<br />

gelangen, dabei aber aufgegriffen wurden <strong>und</strong><br />

nun auf ihre Rückführung warten müssen. 60<br />

bis 90 Tage verbringen sie in dem so genannten<br />

Centro de Internamiento de Extranjeros,<br />

ohne das Inselgelände verlassen zu dürfen.<br />

Unterkunft <strong>und</strong> Essen bekommen sie, außerdem<br />

gibt es Arztpraxen <strong>und</strong> sonstige notwendige<br />

Einrichtungen sowie ein paar Freizeitangebote.<br />

Kritisiert wird aber die ständige Kontrolle der<br />

<strong>Immigranten</strong> durch Videokamaras, mancherorts<br />

hört man auch, das Zentrum sei überfüllt. Die<br />

Hilfsorganisation Algeciras Acoge spricht von<br />

unheilvollen Bedingungen.


ALGECIRAS<br />

Hafenmeile<br />

Den Hafen von Algeciras säumen hohe, moderne<br />

Bauten aus den 50er Jahren – pastellfarbig,<br />

schmucklos, etwas heruntergekommen. Sie<br />

haben r<strong>und</strong> zehn Geschosse, in den oberen<br />

davon befinden sich Hotels <strong>und</strong> Wohnungen. Die<br />

Erdgeschosse<br />

verbindet ein<br />

Arkadengang<br />

mit Betonsäulen<br />

<strong>und</strong> vergilbter<br />

Pflasterung,<br />

dahinter<br />

liegen kleine<br />

Geschäfte.<br />

Die meisten<br />

von ihnen sind<br />

Ticketschalter<br />

für die<br />

Überfahrt Algeciras-Tánger. Große, bunte<br />

Schilder zeigen die Angebote. Zwei oder drei<br />

Gastronomiebetriebe gibt es auch, sie sind<br />

gleichzeitig Café <strong>und</strong> Kebab-Laden. Auf den<br />

Werbeplastikstühlen, die sie rausgestellt haben,<br />

sitzen fast nur Männer <strong>und</strong> fast nur Marokkaner.<br />

Der Blick von der<br />

Arkadenmeile<br />

fällt auf die<br />

Hauptstraße,<br />

dahinter<br />

liegt das<br />

Hafengelände:<br />

Parkplätze,<br />

Bauzäune,<br />

Kräne <strong>und</strong> die<br />

Ankunftshallen<br />

der Fähren. Es<br />

ist kein Ort, um zu bleiben – man kommt an,<br />

wartet <strong>und</strong> fährt wieder weg.<br />

Hafengelände<br />

Der Puerto de la Bahía de Algeciras, der Hafen<br />

der Bucht von Algeciras, ist der Größte des<br />

Mittelmeerraumes. Er ist vergleichsweise jung<br />

– der entscheidende Ausbau wurde erst ab den<br />

60er Jahren vorgenommen – <strong>und</strong> sowohl Fischerals<br />

auch Fracht- <strong>und</strong> Personenhafen. Die Fähren<br />

haben auf afrikanischer Seite Tánger Med, einen<br />

neuen, riesigen Tiefseehafen 45 km östlich von<br />

Tánger, <strong>und</strong> die spanische Enklave Ceuta zum<br />

Ziel. Auf diesen Wegen verkehrten im Jahr 2010<br />

r<strong>und</strong> 4730000 Personen zwischen den zwei<br />

Kontinenten.<br />

Eine Überfahrt kostet an die 40 Euro, es finden<br />

Pass- <strong>und</strong> Zollkontrollen statt – dieser Weg wird<br />

also, wenn von Einwanderern, dann nur von<br />

solchen mit Einreiseerlaubnis genutzt. Auf den<br />

glänzenden Fliesen <strong>und</strong> vor den großen<br />

Anzeigetafeln der Wartehallen sind Touristen<br />

<strong>und</strong> Menschen im Anzug unterwegs. Die Dame<br />

am Schalter sagt, auch manch ein Gemüseoder<br />

Kleinwarenhändler nutzt die Fähre, um<br />

seine Waren in Marokko einzukaufen, wo<br />

es billiger ist. Für diese Dauerfahrer gibt es<br />

besondere, günstigere Fahrkarten, erzählt<br />

später ein marokkanischer Lastwagenfahrer.<br />

Doch scheinbar muss man früh morgens<br />

kommen, um diese Händler zu sehen. Am<br />

helllichten Tag weisen jedenfalls lediglich noch<br />

ein paar heruntergekommene Autos auf den<br />

Hafenparkplätzen, die teilweise als Wohnwagen<br />

umfunktioniert sind, darauf hin, dass hier neben<br />

den Aktenkoffer-Passagieren auch armes Klientel<br />

verkehrt.<br />

Marokkanischer Lastwagenfahrer<br />

Auf der Suche nach Frühstück zeigt mir ein gut<br />

30 Jahre alter Marokkaner sein Lieblingscafé:<br />

groß, viel Auswahl, modern mit orangefarbenen<br />

Plastikstühlen. Glücklicherweise ist es<br />

geschlossen, denn so landen wir stattdessen in<br />

einem gemütlichen kleinen Eckcafé im Gewirr der<br />

Straßen hinter dem Hafen. Dort wird der Minztee<br />

gemacht, das Gebäck können wir uns aus der<br />

marokkanischen Bäckerei gegenüber aussuchen.<br />

Beim Essen erzählt er mir: Er ist Lastwagenfahrer<br />

<strong>und</strong> hat gerade Urlaubstage in Algeciras. Er lebt<br />

<strong>und</strong> arbeitet schon länger in Spanien. Trotzdem<br />

hat er noch den marokkanischen Pass. Das stört<br />

keineswegs, er wolle<br />

gar keinen anderen<br />

Ausweis. Um über die<br />

europäischen Grenzen<br />

zu kommen, genüge<br />

sein europäischer<br />

Lastfahrerschein – er<br />

zeigt ihn stolz. Außerdem<br />

sei er Marokkaner, kein<br />

Spanier, <strong>und</strong> wolle früher<br />

oder später in die Heimat<br />

zurück.


wurde sie von der Polizei erwischt – schlimm<br />

ist das aber nicht gewesen. Solange man keine<br />

Schwierigkeiten macht, arbeitet, sich bemüht,<br />

solange machen die Polizisten nichts, sagt sie.<br />

Eine Moschee nahe des Hafens, von außen kaum<br />

als solche ekennbar<br />

Durch Arbeit legal<br />

Mit einem „Regularisierungsprogramm, das die<br />

sozialistische Regierung in Spanien im Jahr 2005<br />

einführte, wurden etwa 600.000 eingewanderte<br />

Arbeiter legalisiert. Es war nicht das erste<br />

Programm dieser Art, aber das umfangreichste.<br />

Migranten, die nachweisen konnten, dass sie einen<br />

Arbeitsplatz in Aussicht hatten, erhielten eine<br />

offizielle Arbeits- <strong>und</strong> Aufenthaltsgenehmigung für<br />

Spanien.“<br />

Mittlerweile ist sie legal in Spanien, arbeitet aber,<br />

obwohl sie ausgebildete Psychologin ist, nach wie<br />

vor in der Pflege. Die Löhne sind dort im Vergleich<br />

zu Rumänien immer noch hoch. Trotzdem will sie<br />

irgendwann zurück.<br />

Gigi, die lebendige Statue<br />

„Pension Marrakesh“ <strong>und</strong> „Viajes Tánger“ - die<br />

Hafengegend ist marrokanisch geprägt<br />

Taffe Rumänin<br />

Im Auto sitze ich mit einer Rumänin, etwa 27<br />

Jahre alt. Sie hat spontan angehalten <strong>und</strong> ist<br />

nun selbst von ihrem Vertrauen überrascht –<br />

jemanden mitnehmen, das hat sie noch nie<br />

gemacht. Nach dem Studium ist sie nach Spanien<br />

gekommen, ohne das Land zu kennen. Die ersten<br />

Jahre war sie illegal da, aber Arbeit hat sie<br />

trotzdem gef<strong>und</strong>en: erst als Kindermädchen, dann<br />

als Altenpflegerin.<br />

Druck auf Arbeitgeber illegaler <strong>Immigranten</strong><br />

„Im Februar 2009 stimmte das<br />

Europäische Parlament für die so genannte<br />

Arbeitgebersanktionsrichtlinie, die auf die<br />

Arbeitgeber illegaler Migranten abzielt.<br />

„Dieses Gesetz wird ein deutliches Signal an<br />

alle Arbeitgeber <strong>und</strong> an potentielle illegale<br />

Einwanderer sein, dass Europa nicht jedem offen<br />

steht <strong>und</strong> dass illegale Erwerbstätigkeit nicht<br />

länger geduldet wird“, sagte der maltesische<br />

Abgeordnete Simon Busuttil vor der Abstimmung.“<br />

Die Sprache konnte sie schnell lernen, weil<br />

Spanisch dem Rumänischen ähnelt, <strong>und</strong> auch eine<br />

Wohnung hat sie sich organisiert. Manchmal<br />

Gigi muss sein Auto erst aufräumen, ehe noch<br />

Mitfahrer hineinpassen. Der Beifahrersitz ist zum<br />

Bett umgebaut, auf der Rückbank liegen seine<br />

Habseligkeiten, im Kofferraum sein Kostüm.<br />

Gigi ist von Beruf lebendige Statue <strong>und</strong> deshalb<br />

immer dort, wo gerade eine feria, ein Stadtfest,<br />

ist. Sein Zuhause ist sein Auto. Ein Hotel kann<br />

er sich nur an den wenigen Tagen leisten, an<br />

denen die feria besonders voll ist <strong>und</strong> die Leute<br />

besonders spendabel sind. Aber die mühselig mit<br />

Reiszwecken fixierte<br />

Decke des Autos lässt<br />

erahnen, wie spärlich<br />

die Erträge seiner<br />

Arbeit sind. Wenn er<br />

fünf St<strong>und</strong>en arbeitet,<br />

kommen an guten<br />

Tagen 30, oft aber<br />

auch nur 20 Euro<br />

zusammen. Das ist ein<br />

St<strong>und</strong>enlohn von vier<br />

Euro für eine Arbeit, die<br />

wegen des absoluten<br />

Stillhaltens nicht nur<br />

enorm anstrengend,<br />

sondern auch<br />

ges<strong>und</strong>heitsschädlich ist. Auf etwas bessere<br />

Erträge hofft Gigi nun im Norden, wohin er<br />

unterwegs ist. Dort, hat er gehört, verdient<br />

man besser. Doch es bleibt zu befürchten,<br />

dass er zum Arbeiten gar nicht erst kommt:<br />

In vielen nördlichen Städten ist es mittlerweile<br />

verboten, sich auf Festen oder in Einkaufsstraßen<br />

aufzubauen, oder die Verwaltungen verlangen<br />

dafür komplizierte Anträge sowie Zahlungen.<br />

Schon häufiger wurde er bei derartigen Prozessen


diskriminiert, sagt Gigi, <strong>und</strong> die Genehmigung<br />

wurde ihm aus nichtigen Gründen verwehrt.<br />

Im Süden sei das leichter. Worunter Gigi bei<br />

seiner Arbeit jedoch am meisten leidet, ist die<br />

Einsamkeit. Das ständige Unterwegssein macht es<br />

ihm unmöglich, einen Fre<strong>und</strong>eskreis aufzubauen.<br />

Überall ist er fremd. Dass er sich nach intensiven<br />

Gesprächen sehnt, merkt man umgehend daran,<br />

wie bereitwillig er auch über private Dinge erzählt:<br />

Seine Liebe hat ihn verlassen, das Vertrauen in<br />

die Frauen ist dahin. Zu Obdachlosenheimen <strong>und</strong><br />

Hilfsstationen will er nicht mehr, seit ihn dort<br />

Männer belästigt haben <strong>und</strong> erkaufen wollten.<br />

Fahrgemeinschaften zu bilden mag günstig <strong>und</strong><br />

gesellig sein, ist ihm nach all den schlechten<br />

Erfahrungen aber zu riskant. Er schüttet sein Herz<br />

vor einem aus <strong>und</strong> hat doch ein abgr<strong>und</strong>tiefes<br />

Misstrauen gegenüber jedem. Gigi erwartet sich<br />

vom Leben nicht mehr viel.<br />

Abteilung Extranjería der Policía Nacional<br />

In den Randgebieten von Algeciras, in einem<br />

Neubau an einem großen Verkehrskreisel, sitzt<br />

die nationale Polizei. Die Unterhaltung, die<br />

ich im Büro der Auslandsabteilung mit einem<br />

der Polizisten führe, wird von Zeit zu Zeit vom<br />

Polizisten am Nachbartisch kommentiert. Keiner<br />

der beiden möchte mit Namen genannt werden.<br />

Ob es an ihrem Unmut liegt, den sie über die<br />

Immigration äußern? Sie sagen, die illegale<br />

Einwanderung hat an der Meerenge von Gibraltar<br />

deutlich abgenommen, seit Meer <strong>und</strong> Küste<br />

dort verstärkt überwacht werden. Während<br />

vor drei Jahren noch r<strong>und</strong> 40 Personen täglich<br />

gekommen sind, sind es heute durchschnittlich<br />

drei. Die starke Kontrolle hat jedoch nicht zu einer<br />

Abnahme der Immigration insgesamt, sondern<br />

lediglich zu ihrer Verschiebung Richtung<br />

Osten geführt. An der Küste südlich von Granada,<br />

um Motril <strong>und</strong> bis nach Almería, kommen jetzt<br />

bestimmt 40 <strong>Immigranten</strong> pro Tag an, mutmaßen<br />

die beiden. Viele pateras, so der spanische Name<br />

der überfüllten <strong>Immigranten</strong>boote, steuern<br />

auch die Kanarischen Inseln an. Wenn man sie<br />

entdeckt, werden die Boote aufgegriffen <strong>und</strong> im<br />

Kommissariat Ankunftsort <strong>und</strong> –zeit notiert. Im<br />

seltenen Falle, dass die Ankömmlinge Pässe mit<br />

sich führen, werden diese kontrolliert, ansonsten<br />

werden in Interviews so viele Daten wie möglich,<br />

etwa über die Familiensituation, Nationalität <strong>und</strong><br />

den Gr<strong>und</strong> der Migration, ermittelt. Auf dieser<br />

Basis entsteht eine persönliche Akte, die dann<br />

von einem Rechtsanwalt gezeichnet werden muss<br />

<strong>und</strong> als Gr<strong>und</strong>lage des weiteren Verfahrens dient.<br />

Dabei gibt es gr<strong>und</strong>sätzlich zwei Möglichkeiten:<br />

erstens die so genannte devolución, die<br />

Rückführung, welche die meisten Marokkaner<br />

<strong>und</strong> einige weitere Maghrebiner betrifft, sowie<br />

zweitens die expulsión, die Ausweisung. Letztere<br />

betrifft nahezu alle, die keinen Pass haben <strong>und</strong><br />

aus anderen afrikanischen Ländern stammen.<br />

Obwohl Spanien sie offiziell des Landes verweist,<br />

ist eine Abschiebung tatsächlich meist unmöglich,<br />

weil das Heimatland eine Rückkehr ohne Papiere<br />

verwehrt. Sie bleiben also – illegal zwar, aber<br />

geduldet. Bis zu der juristischen Verfügung<br />

über devolución oder expulsión dauert es ab<br />

dem Aufgreifen im Hafen maximal 72 St<strong>und</strong>en,<br />

während derer die <strong>Immigranten</strong> bei der nationalen<br />

Polizei Algeciras festgehalten werden. Ist eine<br />

Rückführung geplant, so kommen die Frauen <strong>und</strong><br />

Männer in ein CIE, ein Centro de Internamiento de<br />

Extranjeros. Dies ist im Falle Algeciras’ entweder<br />

das alte Gefängnisgebäude der Stadt oder eine<br />

Halbinsel in Tarifa, wo die <strong>Immigranten</strong> 60 bis 90<br />

weitere Tage auf ihre Rückfahrt warten.<br />

SEVILLA<br />

El Cerezo im Viertel La Macarena<br />

Am nordwestlichen Rand des Altstadtkerns liegt<br />

das Viertel La Macarena, einen Teil davon bildet<br />

El Cerezo. Diese Straßenzüge sind weit <strong>und</strong><br />

großteilig, die Blöcke aus gelblichen Klinkerbauten<br />

schlicht <strong>und</strong> einheitlich. Hier wohnen viele<br />

<strong>Immigranten</strong>, das merkt man auf den Straßen, wo<br />

– wie das in <strong>Immigranten</strong>vierteln immer so ist –<br />

mehr los ist als in den übrigen Vierteln der Stadt.<br />

Hier haben die Cafés trotz Siesta <strong>und</strong> gleißender<br />

Hitze geöffnet, ebenso die kleinen internationalen<br />

Läden <strong>und</strong> Gastronomien (siehe Fotos nächste<br />

Seite).


Die Küche des wohl besten lateinamerikanischen<br />

Restaurants. Hier wird jede einzelne<br />

Pommes per Hand geschnitzt<br />

In der Kühltruhe eines lateinamerikanischen<br />

Ladens mischen sich Würstchen <strong>und</strong> Spongebob-<br />

Torten mit Gemüse<br />

„Ecuatoriano, columbiano, boliviano“<br />

Die Flaggen<br />

an der Decke<br />

zeigen, aus<br />

welchen Ländern<br />

der Laden seine<br />

Produkte bezieht<br />

(links)<br />

GRANADA<br />

Eine Moschee lädt zur Feier (rechts). Sie<br />

wurde erst 2003 gegen Widerstände, unter<br />

anderem eines benachbarten Klosters, in<br />

bester Lage mit Blick auf die Alhambra<br />

<strong>und</strong> über die Stadt erbaut. Von hier wirbt<br />

die Moschee „aktiv <strong>und</strong> erfolgreich für die<br />

Ausbreitung des Islams<br />

Die berühmte Alhambra Granadas<br />

(unten) ist eine Spätblüte der maurischen<br />

Herrschaft. An ihr wurde noch gebaut, als<br />

der Rest Spaniens bereits wieder unter der<br />

Herrschaft der katholischen Könige stand<br />

(reconquista)<br />

„El Polígamo“<br />

Trotz Warnungen von allen Seiten wage ich mich<br />

ins „Polígamo“. Der Spitzname des Viertels basiert<br />

auf dem spanischen Wort polígono für eindeutig<br />

begrenzte, unter einem einzigen Bauherrn <strong>und</strong><br />

Architekten sowie mit einem Mal entstandene<br />

Siedlungseinheiten. Dies trifft auf das Gebiet<br />

tatsächlich zu: Es wurde in den 70er Jahren vom<br />

Architekten Luis Aparicio entworfen <strong>und</strong> gebaut.


Mit seiner äußerst kleinteiligen Struktur soll es<br />

günstigsten<br />

Wohnraum<br />

für sozial <strong>und</strong><br />

ökonomisch<br />

Schwache<br />

bieten – die<br />

Ausrichtung auf<br />

dieses Klientel<br />

provozierte die<br />

Abwandlung<br />

des Wortes zu<br />

„Polígamo“.<br />

Zugänge über Stufen trennen das<br />

Eigentlich heißt<br />

Viertel von seiner Umgebung. Es<br />

der Stadtteil<br />

scheint wie ein Dorf in der Stadt<br />

La Paz. Die<br />

zweistöckigen Häuschen sind kaum mehr als<br />

5 m breit <strong>und</strong> haben, trotz der einheitlichen<br />

Planung, mit Türmchen, Kacheln, Anbauten<br />

<strong>und</strong> Vorhängen alle ihren sehr individuellen<br />

Charakter bekommen. Nur wenige Straßen lassen<br />

Autoverkehr zu, die meisten sind schmale Gassen<br />

mit kleiner Pflasterung. Die Warnungen wurden<br />

ausgesprochen, weil dieses enge Viertel vielen als<br />

Drogenumschlagspunkt <strong>und</strong> Kriminalitätsherd gilt.<br />

Die Polizei verstärkt diese Bedenken noch, indem<br />

sie mich schließlich mit den Worten abholt, ich<br />

werde verfolgt.<br />

Im Norden des „Polígamos“<br />

Eine spanische Frau<br />

zeigt die Henna-<br />

Malereien, die ihre<br />

maghrebinischen<br />

Nachbarinnen ihr<br />

auf Hände <strong>und</strong> Füße<br />

gemalt haben<br />

Nördlich von La Paz liegt ein von der Baustruktur<br />

zwar konträres, von der Bewohnerschaft jedoch<br />

ähnlich sozialschwaches Gebiet.<br />

Undenkbar in<br />

den restlichen<br />

Wohngebieten der<br />

Stadt: Bis weit in<br />

den öffentlichen<br />

Raum, mitten auf die<br />

schmalen Straßen<br />

<strong>und</strong> Plätze, erweitern<br />

die Bewohner<br />

des „Polígamos“<br />

ihren Wohnraum,<br />

hier in Form von<br />

Planschbecken<br />

An den einfachen, großen Bauten hängt viel<br />

Wäsche<br />

Ein kleiner Platz mit einem kleinen Laden liegt im<br />

Zentrum des Viertels La Paz<br />

Der Zustand des öffentlichen Raums lässt<br />

vermuten: Die städtische Reinigung hat sich hier<br />

seit Langem nicht mehr blicken lassen. Ehemalige<br />

Grünflächen sind ausgedorrt, platt getreten <strong>und</strong><br />

vermüllt


Professor José Luis Gómez Ordoñez<br />

Wir treffen uns in seinem Büro in der Universidad<br />

de Granada, dort betreibt Professor Gómez sein<br />

Laboratorio de Urbanismo.<br />

Auf der Straße stehen containerweise kaputte<br />

Möbel <strong>und</strong> sonstiges Gerümpel<br />

Trotzdem sind die<br />

Wege belebt. Vor<br />

einem Gebäudeblock<br />

sind ein Pferd <strong>und</strong> ein<br />

H<strong>und</strong> angeb<strong>und</strong>en,<br />

daneben scharen<br />

sich junge Männer<br />

osteuropäischen<br />

Ursprungs. Sie<br />

wollen mir ein noch<br />

größeres Pferd<br />

zeigen, laufen mir<br />

sogar beharrlich<br />

hinterher, als ich<br />

dies ablehne. Ob<br />

sie flirten oder mich<br />

in eine dunkle Ecke<br />

locken wollen, lässt<br />

sich schwer sagen.<br />

Ich gehe lieber<br />

schnell.<br />

Im Schatten der Bäume wird<br />

auf dem Bürgersteig frisiert<br />

Eine kleine Baracke als Wohnhaus, von außen<br />

sieht man den Fernseher laufen. Die beiden<br />

gitano-Frauen, die davor saßen, gehen für das<br />

Foto lieber weg. Die Hanfpflanze kann stehen<br />

bleiben<br />

Diese Andalusienkarte ist ihm als Verpackung<br />

einer offiziellen Sendung zugekommen. „So<br />

ruiniert ist also die Region“ hat er damals gedacht<br />

<strong>und</strong> sie aufgehängt<br />

Auch wenn viele <strong>Immigranten</strong> an der<br />

andalusischen Küste ankommen, beginnt<br />

der Professor einen R<strong>und</strong>umschlag über den<br />

Arbeitsmarkt <strong>und</strong> die Immigration in Südspanien,<br />

so bleiben doch die Wenigsten von ihnen dort.<br />

Schließlich ist die Region arm <strong>und</strong> die Arbeit<br />

rar. Deutliche Ausnahmen bilden jedoch die<br />

landwirtschaftlich geprägten Räume. Da arbeiten<br />

nicht nur viele Nordafrikaner, sondern auch viele<br />

Osteuropäer.<br />

Es werden sogar Witze erzählt über die<br />

spanischen Tölpel vom Lande, die dank der<br />

Immigration hübsche osteuropäische Frauen<br />

heiraten können. Laut Gómez gibt es tatsächlich<br />

viele gemischte Ehen in den landwirtschaftlich<br />

geprägten Räumen.<br />

Der Professor erzählt außerdem über die Prägung<br />

Spaniens durch Nordafrika <strong>und</strong> andersherum: Die<br />

marokkanische Stadt Tetuán stand bis 1956 unter<br />

franquistischem Einfluss – die Stadterweiterungen<br />

aus der Mitte des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts etwa<br />

wurden von Spaniern vorgenommen <strong>und</strong> haben<br />

dementsprechend spanische Siedlungsmuster.<br />

Andersherum schwappten sprachliche Einflüsse<br />

von Nordafrika nach Spanien. Die größte Quelle<br />

des Flusses Guadalquivir etwa heißt Jenil, was<br />

neuer Nil bedeutet.<br />

Von all den afrikanischen <strong>Immigranten</strong>, die<br />

heutzutage mit pateras nach Spanien übersetzen,<br />

merkt man in Granada nicht viel. Hier in der Stadt<br />

landen lediglich die reichen Araber, sagt Professor<br />

Gómez.


MOTRIL<br />

Cruz Roja<br />

Am Ende eines Anlegers im Hafen von Motril steht<br />

das kleine Häuschen des Roten Kreuzes.<br />

Ein einziger<br />

Festangestellter<br />

<strong>und</strong><br />

zahlreiche<br />

Ehrenamtliche<br />

arbeiten hier.<br />

Ihre Hauptaufgabe:<br />

Die<br />

Inempfangnahme<br />

der<br />

<strong>Immigranten</strong>.<br />

Seit die<br />

Meerenge von Gibraltar stärker überwacht<br />

wird, kommen die meisten der pateras in<br />

diesem Küstenabschnitt an. Gr<strong>und</strong> dafür ist<br />

eine Militärinsel im Alboran, wie das Mittelmeer<br />

hier heißt, mit Leuchtturm. Sie ermöglicht<br />

einen Zwischenstopp <strong>und</strong> erleichtert so die<br />

Überfahrt. Oftmals rufen die Bootsinsassen von<br />

dieser Insel aus sogar schon das Rote Kreuz<br />

an. Die afrikanischen Handys, die geringere<br />

Strahlenschutzauflagen erfüllen müssen als<br />

die europäischen, haben einen größeren<br />

Empfangsradius <strong>und</strong> können so bereits von der<br />

Insel auf 600 km Entfernung das spanische<br />

Festland erreichen. Das Rote Kreuz ist dann<br />

verpflichtet, sich um die patera zu kümmern<br />

<strong>und</strong> schickt Rettungsboote mit je einem Skipper,<br />

zwei Rettern <strong>und</strong> einem Arzt an Bord. Auf diese<br />

Art kommen die Übersetzenden sicherer an<br />

Land, als in ihrem eigenen kleinen Boot. Gefahr,<br />

zurückgewiesen<br />

zu werden,<br />

laufen sie auch<br />

vom Festland<br />

nicht, wenn der<br />

Rettungsauftrag<br />

erst einmal<br />

erfüllt ist. Eine<br />

zunehmende<br />

Anzahl der<br />

<strong>Immigranten</strong><br />

hat Anspruch<br />

auf Asyl –<br />

Mitarbeiter des Roten Kreuzes ziehen<br />

ein Rettungsboot an Land<br />

aus Somalia,<br />

Eritrea <strong>und</strong><br />

Sierra Leone etwa flüchten die Menschen vor<br />

Bürgerkriegen. Im Jahr 2011 kamen schon bis<br />

zum 9. Juli so viele politisch Verfolgte an wie<br />

im gesamten Jahr 2010. Ohnehin besteht aber<br />

ohne Pässe keine Möglichkeit, die <strong>Immigranten</strong><br />

in ihr Heimatland zurück zu schicken. So sind sie<br />

zwar offiziell illegal, können aber doch in Spanien<br />

bleiben. Lediglich die Marokkaner, deren Land ein<br />

Rückführungsabkommen mit Spanien hat, müssen<br />

das Rote Kreuz fürchten <strong>und</strong> versuchen deshalb,<br />

gänzlich aus eigenen Mitteln <strong>und</strong> unentdeckt das<br />

andere Ufer zu erreichen. Der Leuchtturm Sacratif<br />

in der Nähe von Motril bietet ihnen ab der Insel<br />

Orientierung. Werden sie dennoch vom Roten<br />

Kreuz aufgelesen, versuchen die Marokkaner<br />

beim Erblicken der spanischen Küste oft, von den<br />

Rettungsbooten wieder herunter zu springen <strong>und</strong><br />

das Ufer schwimmend zu erreichen.<br />

Einen Sonderfall, egal welcher Nationalität sie<br />

sind, bilden Schwangere <strong>und</strong> Mütter mit Kindern.<br />

Sie dürfen immer bleiben, weshalb natürlich viele<br />

Frauen versuchen, mit Kindern überzusetzen<br />

<strong>und</strong> ggf. probieren, fremde als eigene Kinder<br />

auszugeben. Mit Verbreitung des Internets <strong>und</strong><br />

Vereinfachung der Telekommunikation nimmt das<br />

Wissen um solche Gesetze <strong>und</strong> damit auch die<br />

Zahl der Schwangeren <strong>und</strong> Kleinkinder an Bord<br />

zu.<br />

Ehe sie die Insel oder gar das Festland erreichen,<br />

müssen die Einwanderer jedoch einen schweren<br />

Weg zurücklegen. Aus ihren Ursprungsländern<br />

kommend, versammeln sie sich zunächst in<br />

Marokko beim Monte Guruguru, einem Berg<br />

nahe der Stadt Nadora südlich von Melilla. In<br />

den marokkanischen Städten können sie sich<br />

nicht aufhalten, dort würden sie von Polizisten<br />

aufgegriffen <strong>und</strong> zurückgeschickt – auch das ist<br />

Teil des marokkanisch-spanischen Abkommens.<br />

Von dem Berg brechen sie in geführten Gruppen<br />

nach Spanien auf. Die Führer sind nach wie vor<br />

fast immer Marokkaner, obwohl ihre Landsleute<br />

immer seltener solche Boote nehmen: Eine einzige<br />

patera mit marokkanischen Insassen erreichte<br />

dieses Jahr die Küste Motrils.<br />

Fünf bis acht Boote kommen im Monat dort an,<br />

jeweils mit etwa 60 Personen. Der allergrößte<br />

Teil sind nach wie vor Männer, nur vier bis fünf<br />

Kinder <strong>und</strong> zwei bis drei Schwangere fahren im<br />

Durchschnitt mit. Die pateras sind mit 7,5 m<br />

Länge viel zu klein für diese Passagierzahlen, die<br />

Menschen sitzen auf dem Boden, in der Hocke <strong>und</strong><br />

übereinander darin.<br />

Aus Algerien kommende Boote sind weniger<br />

ausgelastet, bei 6 m Länge fahren auf ihnen<br />

in der Regel nur um die sechs Personen mit.<br />

Diese Boote landen jedoch meist weiter östlich,<br />

an der Küste Almerías, wo neben Motril die<br />

größte Auffangstation Spaniens ist, <strong>und</strong> auf der<br />

italienischen Insel Lampedusa.<br />

Kommen die <strong>Immigranten</strong> nach ein bis<br />

zweitägiger Überfahrt beim Roten Kreuz in Motril<br />

an, bekommen sie dort zunächst medizinische,<br />

soziale <strong>und</strong> humanitäre Betreuung. Sie können<br />

essen, trinken, duschen, sich wärmen. Ärzte sind<br />

anwesend <strong>und</strong> Verletzungen werden behandelt.<br />

Häufig haben die Flüchtlinge Verbrennungen<br />

erlitten, weil sich auf den pateras Benzinkanister<br />

befinden, deren Inhalt sich bei Kontakt mit<br />

Wasser entzündet. Ggf. werden Menschen ins<br />

Krankenhaus gebracht. Zur Verständigung


sind Übersetzer an der Auffangstation –<br />

hauptsächlich für Französisch, was die meisten<br />

Einwanderer sprechen. So kann psychologisch<br />

betreut werden. Im Container des Salvamento<br />

Marítimo, der Küstenwache des spanischen<br />

Verkehrsministeriums, die im Hafen eng mit<br />

dem Roten Kreuz kollaboriert, werden schließlich<br />

Interviews mit den <strong>Immigranten</strong> geführt. Wenn<br />

vorhanden, werden ihre Pässe kontrolliert,<br />

ansonsten nach Möglichkeit Herkunft <strong>und</strong><br />

Hintergr<strong>und</strong> der Flucht ermittelt <strong>und</strong> demnach<br />

der legale Status bestimmt. Alle, die danach nicht<br />

direkt zurückgeführt werden, machen diejenige<br />

Prozedur mit, welche die Polizei in Algeciras<br />

bereits geschildert hat.<br />

Die Rotes Kreuz-Mitarbeiter Carlos <strong>und</strong><br />

Miguel haben zuletzt einen Flüchtling<br />

gerettet, der noch Folterspuren hatte<br />

EL EJIDO<br />

<strong>Immigranten</strong>straßen<br />

<strong>Wie</strong> ausgestorben liegt die Stadt am Morgen da.<br />

Das einzige belebte Gebiet sind die Straßen mit<br />

den Cafés <strong>und</strong> Läden der <strong>Immigranten</strong>.<br />

Der Kellner liest seinen<br />

K<strong>und</strong>en die Wünsche<br />

von den Augen ab:<br />

Zum marokkanischen<br />

Frühstück bringt er<br />

ungefragt Messer <strong>und</strong><br />

Teller für mitgebrachtes<br />

Obst <strong>und</strong> Leitungswasser.<br />

Die Preise sind trotz<br />

der hervorragenden<br />

Gastfre<strong>und</strong>schaft<br />

ungemein niedrig<br />

Hier sitzen <strong>und</strong> stehen Gruppen von<br />

Männern auf der Straße. Frauen sieht<br />

man allerdings nur vereinzelt mit ihren<br />

Einkaufstaschen die Straßen entlang gehen<br />

ALMERÍA<br />

Buntes Treppenviertel<br />

Über eine Fußgängerbrücke erreicht man ein<br />

kunterbuntes Viertel. Es liegt am Hang zum Meer,<br />

zwischen den Häusern sind schmale Straßen mit<br />

vielen Treppen. Auf deren Stufen <strong>und</strong> vor den<br />

Häusern sitzen die Menschen,<br />

die Türen zu ihren kleinen<br />

Häusern stehen offen <strong>und</strong> von<br />

drinnen hört man Stimmen <strong>und</strong><br />

Fernsehgeräusche. Man blickt oft<br />

geradewegs in die ebenerdigen<br />

Küchen oder Wohnzimmer. Alles<br />

ist hier sehr klein. <strong>Wie</strong> es in<br />

solchen Stadtteilen mit niedrigen<br />

Miet- oder Kaufpreisen meist ist,<br />

wohnen auch hier verhältnismäßig<br />

Auf den Dächern häufen<br />

sich Antennen<br />

viele <strong>Immigranten</strong>.<br />

Das Viertel wirkt mit seinen bevölkerten Gassen,<br />

den farbigen Wänden <strong>und</strong> der heimeligen<br />

Kleinteiligkeit wie ein harmonisches, sicheres Dorf.<br />

Höfe hängen voller Wäsche


El Puche<br />

Ganz anders El Puche. <strong>Wie</strong> vor dem Viertel La<br />

Paz in Granada wird auch vor diesem Stadtteil<br />

überall gewarnt. Mit dem Bus fahre ich hin <strong>und</strong><br />

lasse mir an der Endstation die Einschätzung<br />

des Fahrers geben, die später von Bewohnermeinungen<br />

ergänzt wird: Der weiße Siedlungsteil<br />

mit seinen<br />

engen, tief<br />

liegenden<br />

Durchgängen<br />

(links) ist<br />

gefährlich,<br />

hier ist der<br />

Drogenhandel<br />

zuhause <strong>und</strong><br />

die Polizei oft<br />

beschäftigt.<br />

Am Ende liegen hohe Häuserblöcke mit<br />

Sozialwohnungen, auch hier wird gerade saniert<br />

Bis die<br />

Arbeiten<br />

fertig sind,<br />

sind die<br />

Bewohner in<br />

Containern<br />

zuhause<br />

Dahinter liegt ein Gebiet selbst gebauter Hütten,<br />

eingeschossig, von kleinen Sträßchen wird es<br />

durchzogen, ein Slum (oben). Eine Freifläche im<br />

Norden davon (unten) entstand durch den Abriss<br />

eben solcher Slumhäuser. Ihre Bewohner wurden<br />

umgesiedelt auf die andere<br />

Straßenseite. Dort wohnen sie<br />

nun in kleinen, einfachen <strong>und</strong><br />

eintönigen Reihenhäusern (rechts)<br />

zur Miete. So ist ihr Haus zwar<br />

nicht mehr ihr Besitz, dafür ist es<br />

ruhiger. So gleichmütig, wie die<br />

Anwohner das erzählen, scheinen<br />

sich Vor- <strong>und</strong> Nachteile der<br />

alten <strong>und</strong> neuen Wohnsituation<br />

aufzuwiegen.<br />

Daneben<br />

sind<br />

wiederum<br />

eigene<br />

kleine<br />

Bauten<br />

entstanden<br />

Das Leben spielt sich dennoch zwischen<br />

den Geschossbauten ab. Durch die weiten<br />

Straßenflächen wirkt es dort zunächst sicher.<br />

Als ich das Drogenangebot eines jungen Mannes<br />

ablehne, schalten sich jedoch ganz plötzlich viele<br />

Menschen aus meiner Umgebung ein. Alle kennen<br />

sich hier, gegen Fremde halten sie zusammen.<br />

Ich fühle mich umzingelt, bedroht <strong>und</strong> verlasse<br />

das Viertel. Soziale Netze funktionieren in<br />

dieser Siedlung offensichtlich<br />

hervorragend.


LORCA<br />

Erdbeben<br />

Nach wie vor ist die Stadt vom Erdbeben gezeichnet,<br />

das sie im Mai dieses Jahres heimsuchte.<br />

Dieser Supermarkt hat den Betrieb wieder aufgenommen,<br />

obwohl längst nicht alles repariert ist<br />

Die größten Verlierer der Naturkatastrophe sind<br />

die <strong>Immigranten</strong>. Wenn ihr Haus zerstört wurde,<br />

haben sie im Gegensatz zu den Spaniern oft keine<br />

Angehörigen, zu denen sie ziehen können. In den<br />

Flüchtlingslagern stellen sie deshalb r<strong>und</strong> 95% der<br />

Belegschaft.<br />

Said, der Gewächshausarbeiter<br />

Said ist knapp 30, er kommt aus einem<br />

marokkanischen Dorf etwa 130 km entfernt von<br />

der Hauptstadt Casablanca im Landesinneren<br />

gelegen. Heute sitzt er in der Tetería Salma in<br />

Lorca, draußen an einem der zwei kleinen Tische<br />

auf dem Bürgersteig,<br />

vor einer Tasse süßem<br />

Schwarztee. Neben ihm<br />

ein marokkanischer<br />

Fre<strong>und</strong>, der stumm bleibt<br />

während all der Zeit, in<br />

der Said mir von seinem<br />

Alltag im Gewächshaus<br />

erzählt. Dass Said<br />

gerade nicht arbeitet,<br />

hat mehrere Gründe:<br />

Zunächst liegt im Juli<br />

<strong>und</strong> August ein Großteil<br />

der Arbeit brach, weil es unter den Plastikdächern<br />

der Gewächshäuser zu heiß wird. Nur Melonen<br />

könnte er gerade ernten, denn die wachsen auf<br />

freiem Feld. Dass er auch das nicht macht, liegt<br />

an seinem Chef, der ihm aufgr<strong>und</strong> der Krise<br />

lediglich die Hälfte seines Gehaltes aufs Konto<br />

überweist. Unter diesen Bedingungen möchte Said<br />

nicht weiterarbeiten. Normalerweise bekommt er<br />

300 Euro monatlich für 40 Wochenst<strong>und</strong>en Arbeit,<br />

das entspricht einem St<strong>und</strong>enlohn von 7,50 Euro.<br />

Versichert ist er jedoch in keiner Weise, Urlaub<br />

oder Krankheit sind in seinem dürftigen Vertrag<br />

nicht geregelt. Geld kommt, solange er arbeitet,<br />

<strong>und</strong> keinen Tag länger. <strong>Wie</strong> das zuletzt von seinem<br />

Chef an den Tag gelegte Verhalten jedoch zeigt,<br />

ist selbst der versprochene Lohn nicht sicher.<br />

Organisierten Protest gibt es deshalb aber nicht.<br />

Nicht alle Gewächshausarbeiter werden nach<br />

St<strong>und</strong>en bezahlt, vor allem bei der Melonenernte<br />

zählt oftmals auch die Leistung. Junge, ges<strong>und</strong>e<br />

Männer wie Said können so deutlich mehr<br />

verdienen. Drei Paletten Melonen schafft er in<br />

20 Minuten, rechnet er mir vor, das sind etwa<br />

1000 kg, dafür gibt es 1000 Pesetas. 15 Euro die<br />

St<strong>und</strong>e also. Doch die Melonenernte ist besonders<br />

hart, leichter ist die tomatera, die Tomatenernte.<br />

Dementsprechend arbeiten dort mehr Alte <strong>und</strong><br />

mehr sehr Junge. Obwohl es offiziell erst ab 18<br />

Jahren erlaubt ist, in den Gewächshäusern zu<br />

arbeiten, war die Jüngste, die er dort bislang<br />

getroffen hat, gerade einmal 14 Jahre alt. Mit<br />

60 Jahren ist normalerweise Schluss, doch auch<br />

diese Grenze wird überschritten <strong>und</strong> er hat schon<br />

mit 65-Jährigen zusammen geerntet. Um auch<br />

bei geringerer Leistung mehr zu verdienen, kann<br />

länger, bis zu zwölf St<strong>und</strong>en täglich, gearbeitet<br />

werden. Um vier Uhr morgens geht es für die<br />

Arbeiter üblicherweise los. Dann treffen sie sich<br />

auf dem Parkplatz vor dem Maxi Día-Supermarkt<br />

in Lorca, um in Bussen aufs Land hinaus zu<br />

fahren. Ein Großteil der Arbeitgeber stellt diese<br />

Busse, weil jedoch in vielen Dörfern noch Leute<br />

aufgesammelt werden, dauert die Fahrt damit<br />

oft über 30 Minuten. Wer es sich leisten kann,<br />

organisiert deshalb eigene Fahrgemeinschaften<br />

<strong>und</strong> nimmt es in Kauf, Wagen <strong>und</strong> Sprit selbst zu<br />

bezahlen. Oder, wie Said es macht, zieht gleich<br />

aus der Stadt heraus. Der Stadtrandort<br />

Torrecilla ist ohnehin ruhiger <strong>und</strong> die Luft dort<br />

frischer, sagt er. Einmal in den<br />

Gewächshäusern, arbeiten die Leute in<br />

gemischten Gruppen: Etwa zur Hälfte Frauen<br />

<strong>und</strong> Männer, Alter <strong>und</strong> Nationalitäten spielen<br />

keine Rolle. Vor allem sind jedoch Ecuadorianer,<br />

Rumänen <strong>und</strong> Marokkaner da, manchmal<br />

als ganze Familien. Je nach Arbeitgeber ist es<br />

verboten, sich während der Ernte zu<br />

unterhalten, oder auch erlaubt, währenddessen<br />

Witze zu machen <strong>und</strong> Musik vom Handy<br />

zu hören. Muslime rollen ein paar Mal<br />

zwischendurch ihre Teppiche aus <strong>und</strong> beten.<br />

Gegen 13 Uhr ist Schichtende bzw. Mittagspause.<br />

Es gibt zwar Cafeterías vor Ort, in denen man<br />

dann essen könnte, sie sind aber teuer <strong>und</strong> fast<br />

alle bringen sich deshalb ihr eigenes Essen mit.<br />

Um 14 Uhr geht die nächste Schicht los, weitere<br />

Arbeiter kommen <strong>und</strong> gehen bis etwa 20 Uhr.<br />

Jetzt im Sommer, wo er nicht arbeitet, fährt Said<br />

zurück nach Marokko. Er ist bereits seit sechs<br />

Jahren in Spanien, hat auch spanische Papiere,<br />

aber seine Familie in der Heimat besucht er<br />

regelmäßig zwei bis drei Mal im Jahr.


VALENCIA<br />

Marivi, Aktivistin in Ruzafa<br />

Marivi ist Aktivistin der kürzlich in Spanien<br />

aufgekommenen Massenbewegungen für wahre<br />

Demokratie, des „15-M“ <strong>und</strong> der „¡Democracia<br />

Real YA!“. Seit sich die Demonstranten nach<br />

den stadtweiten Protesten auf Stadtteilgruppen<br />

aufgeteilt haben, engagiert sie sich für ihr hinter<br />

dem Bahnhof gelegenes Viertel Ruzafa (Russafa<br />

auf valenciano), das stark durch Immigration<br />

geprägt ist.<br />

Die Straßen Ruzafas sind klar nach Nationalitäten<br />

aufgeteilt, die größten vertretenen Gruppen sind<br />

Chinesen, Lateinamerikaner, Araber <strong>und</strong> Afrikaner.<br />

Die chinesische Gemeinde zeichnet sich durch<br />

eine in sozialer <strong>und</strong> kommerzieller Hinsicht gute<br />

Organisation aus: Sie bringt viele Gruppierungen<br />

hervor, beispielsweise einen eigenen Frauenverein<br />

<strong>und</strong> eine eigene Vereinigung für Kinderrechte.<br />

Sie besitzt zwei Kirchen <strong>und</strong> eine Vielzahl von<br />

Restaurants, Bars <strong>und</strong> Geschäften, konzentriert in<br />

einem Straßenzug.<br />

<strong>Wie</strong> in vielen<br />

anderen<br />

Lokalen auch,<br />

hat sich die<br />

Inneneinrichtung<br />

dieser<br />

Bar nicht<br />

verändert, seit<br />

Chinesen sie<br />

von spanischen<br />

Besitzern<br />

übernahmen<br />

Kleine Läden<br />

säumen<br />

die Straßen<br />

Ruzafas. Am<br />

Ende der<br />

Straße sieht<br />

man das<br />

Bahngelände<br />

stärker im öffentlichen Raum vertreten, man<br />

sieht sie in den Portalen ihrer Häuser stehen<br />

<strong>und</strong> bekommt daher, im Gegensatz zu der<br />

chinesischen Bevölkerung, auch eine Idee davon,<br />

wo sie wohnen. Viele von ihnen mieten möblierte<br />

Wohnungen <strong>und</strong> oft leben sie gedrängt auf<br />

engem Raum. Weil die Haushaltsstärken bis zu<br />

15 Personen erreichen, ist es um ihre Wohnungen<br />

meist betriebsam <strong>und</strong> laut. Der Stadtteil Ruzafa<br />

bietet wenig Platz, um die Enge der Viel-Personen-<br />

Haushalte auszugleichen. Die Latinos verlassen<br />

ihn, um Freizeit in den Parks, am Fluss <strong>und</strong> am<br />

Strand zu verbringen. Dort sind sie sehr präsent,<br />

ebenso wie im Nachtleben, den Diskotheken<br />

der Stadt. Arbeit haben lateinamerikanische<br />

Frauen häufig im sozialen Sektor, viele von ihnen<br />

betreuen Senioren.<br />

Die Araber Ruzafas leben laut Marivi genauso<br />

verstreut wie die Latinos. Ihre Geschäfte, häufig<br />

Dekoration <strong>und</strong> Ernährung, sowie Restaurants<br />

häufen sich jedoch in einer Straße. Immerzu<br />

sind die Araber auf der Straße, erklärt Marivi,<br />

unbewegt <strong>und</strong> ruhig stehen sie auf den<br />

Bürgersteigen.<br />

Bedienung <strong>und</strong> Rechnung sind jedoch heute auf<br />

Chinesisch. Essen gibt es aus beiden Kulturen<br />

In den chinesischen Geschäften Ruzafas wird vor<br />

allem Kleidung angeboten. Es sind Großhändler<br />

mit sehr niedrigen Preisen, kaum ein Artikel<br />

übersteigt die 20 Euro, <strong>und</strong> viele Sinti <strong>und</strong> Roma,<br />

so genannte gitanos, kaufen hier die Ware für<br />

ihren Straßenhandel. Die gitanos sprechen ein<br />

für viele Einheimische schwer verständliches<br />

Spanisch, doch von den chinesischen<br />

<strong>Immigranten</strong>, sagt Marivi, wird ihr Akzent<br />

verstanden. Ansonsten bleiben die Chinesen in<br />

Ruzafa unter sich, kaufen in ihren Läden, essen in<br />

ihren Lokalen <strong>und</strong> verschwinden mit Ladenschluss<br />

um 20 Uhr von der Straße.<br />

Die lateinamerikanische Gemeinde ist weitaus<br />

Vormittags<br />

vor einem<br />

Brillengeschäft<br />

Die Afrikaner haben unter den <strong>Immigranten</strong><br />

Ruzafas die schlechtesten Lebensbedingungen,<br />

in Bezug auf die Arbeit, die Unterkunft <strong>und</strong> die<br />

Achtung. Sie wohnen oft mit acht oder neun<br />

Leuten zusammen <strong>und</strong> in Gebäuden schlechten<br />

Zustands. Vor allem die subsaharianos arbeiten zu<br />

großen Teilen auf dem Land, weshalb sie bereits<br />

morgens in aller Frühe von Bussen geholt <strong>und</strong><br />

hinausgefahren werden.


PAMPLONADie Bevölkerung Pamplonas ist im letzten<br />

Viertel<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert deutlich <strong>und</strong> stetig gewachsen, von<br />

gut 30000 Einwohnern im Jahr 1900 auf knapp<br />

200000 im Jahr 2010. Der stärkste Anstieg ist in<br />

den 50er bis 70er Jahren zu verzeichnen.<br />

Begoña García, Stadtentwicklungsexpertin<br />

In einem Stadtplanungsbüro gibt Begoña García<br />

einen rasendschnellen, vor Informationen<br />

überquellenden Überblick über die<br />

Stadtentwicklung Pamplonas: Bis in die 40er<br />

Jahre beschränkte sich Pamplona auf das Gebiet<br />

innerhalb der Stadtmauern. So wurde der<br />

Altstadtkern ständig überarbeitet <strong>und</strong> verdichtet,<br />

was seine heutige schmucke Kompaktheit<br />

erklärt. Ab den 50er Jahren entstanden die so<br />

genannten ensanches, die Stadterweiterungen:<br />

als Erstes zwischen Altstadt <strong>und</strong> ciudadela, der<br />

alten Festungsanlage, als Zweites südöstlich der<br />

Altstadt. Der Großteil der weiteren ensanches<br />

kam in den 60er <strong>und</strong> 70er Jahren hinzu, etwa<br />

das studentische Iturrama in Universitätsnähe<br />

oder das völlig ungeplante Milagrosa. Es sticht<br />

zwischen den orthogonalen Straßennetzen der<br />

umliegenden Stadtteile durch seine schrägen,<br />

unterschiedlich langen, kurzen, breiten <strong>und</strong><br />

schmalen Straßen <strong>und</strong> Häuserblöcke heraus.<br />

So angenehm sie für den Spaziergänger sein<br />

mag – die Planlosigkeit wird wegen der sich<br />

im Nachhinein ergebenden infrastrukturellen<br />

Probleme bemängelt. Aus den 90er <strong>und</strong> 2000er<br />

Jahren stammen die weitläufigeren Viertel im<br />

Osten der Stadt. So ergibt sich ein starker<br />

Kontrast zwischen dem historischen Kern mit<br />

cuidadela einerseits <strong>und</strong> den Erweiterungen der<br />

Stadt aus den letzten Jahrzehnten andererseits.<br />

Der Ausländeranteil der Stadt beträgt 14,6%<br />

im Jahr 2008, er hat sich seit 1999 bis dahin<br />

vervierfacht. Die <strong>Immigranten</strong> leben verstreut<br />

über die ganze Stadt.<br />

Chantrea, Rochapea, San Jorge <strong>und</strong><br />

besonders Milagrosa gelten als immigrantisch<br />

geprägt. Verglichen mit den Städten im Süden<br />

findet jedoch auch hier keine nennenswerte<br />

Konzentration statt. Es gibt weder Einkaufsmeilen<br />

mit vielen internationalen Geschäften, noch sind<br />

die Straßen auffällig belebt <strong>und</strong> von <strong>Immigranten</strong><br />

dominiert. Vielmehr ist es schwer, Anzeichen der<br />

immigrantischen Bevölkerung im Stadtraum zu<br />

finden.<br />

Eine der wenigen Ecken, die auf eine<br />

immigrantische Prägung des Stadtteils Milagrosa<br />

schließen lässt<br />

Heimatliche<br />

Dekoration<br />

einer<br />

bolivianischen<br />

Bar. Trotz<br />

winziger Preise<br />

findet sich hier<br />

kaum eine<br />

einzige<br />

spanischstämmige<br />

Person<br />

Nach wie vor sind die meisten der <strong>Immigranten</strong><br />

lateinamerikanischen Ursprungs (48,7% im<br />

Jahr 2008), wenngleich der Anteil anderer<br />

Nationalitäten prozentual zunimmt. So sorgt die<br />

Erweiterung der EU etwa für einen größeren Anteil<br />

osteuropäischer Bevölkerung, besonders Bulgaren<br />

sind in Pamplona stark vertreten.<br />

An den Wochenenden treiben viele, vor allem<br />

lateinamerikanische <strong>Immigranten</strong> Sport in den<br />

Parkanlagen, wie hier auf der <strong>Wie</strong>se neben der<br />

ciudadela


SAN SEBASTIÁN<br />

Die Bevölkerungsentwicklung San Sebastiáns<br />

bzw. Donostias, wie die Stadt auf Euskadi, der<br />

Sprache der Basken, heißt, ist der Pamplonas<br />

sehr ähnlich. Die Bewohnerzahl beträgt heute<br />

r<strong>und</strong> 185000 <strong>und</strong> ist im letzten Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

ebenfalls stark gewachsen. San Sebastián erfuhr<br />

das deutlichste Wachstum jedoch ein wenig<br />

früher, bereits zwischen 1930 <strong>und</strong> ’65. Die<br />

Wohntürme des Viertels Alza wurden explizit für<br />

die Arbeitsmigranten aus Südspanien gebaut,<br />

die in den 50er Jahren in großer Zahl zuzogen.<br />

Heute wohnen hier dennoch auch internationale<br />

<strong>Immigranten</strong>, es ist der am ehesten orientalisch<br />

geprägte Bereich der Stadt. Insgesamt ist<br />

San Sebastián mit r<strong>und</strong> 5% migrantischer<br />

Bevölkerung (2006) jedoch sehr ausländerarm,<br />

den wohl größten fremden Einfluss stellen die<br />

vielen französischen Touristen dar. Wenngleich<br />

die Tendenz steigt: Noch 2002 betrug der<br />

Ausländeranteil nur 2,2%.<br />

Das Stadtbild<br />

San Sebastiáns<br />

ist geordnet,<br />

sauber<br />

<strong>und</strong> sehr<br />

europäisch<br />

FAZIT<br />

Arbeitsmarkt geht über Distanz<br />

Im Süden Spaniens leben wesentlich<br />

mehr <strong>Immigranten</strong> als im Norden. Diese<br />

Konzentration ist jedoch nicht nur auf<br />

geografische Gegebenheiten zurückzuführen,<br />

wie gleich mehrere Aspekte zeigen: Hafen- <strong>und</strong><br />

Ankunftsstädte wie Algeciras oder Tarifa sind<br />

erstens nicht diejenigen <strong>Orte</strong> mit den höchsten<br />

Ausländeranteilen. Zweitens: Wenn man die<br />

spanisch-französische Grenze gen Norden<br />

passiert, sich also weiter ins Innere Europas<br />

bewegt, nimmt der Anteil maghrebinischer<br />

<strong>Immigranten</strong> in den Städten zu.<br />

Was Einwanderer zum Kommen <strong>und</strong> Bleiben<br />

bewegt, ist oft die Sprache. Nordafrikaner reisen<br />

deshalb durch das nahe Spanien hindurch nach<br />

Frankreich <strong>und</strong> Lateinamerikaner ziehen darum<br />

nach Spanien, obwohl andere europäische<br />

Länder wirtschaftlich stärker sind. Welche Region<br />

<strong>Immigranten</strong> innerhalb Spaniens wählen, hängt<br />

wiederum hauptsächlich vom Arbeitsmarkt ab.<br />

Dass neben den Großstädten, in denen sich<br />

generell mehr Arbeitsmöglichkeiten als auf<br />

dem Land ergeben, ausgerechnet die Region<br />

zwischen Motril <strong>und</strong> Murcia eine horrende<br />

Zahl ausländischer Bewohner hat, liegt an<br />

der ausgeprägten Landwirtschaft dort: Die<br />

Gewächshäuser bieten eine Menge Arbeit, zu der<br />

keine spezielle Qualifikation von Nöten ist. Diese<br />

Beschäftigung im Agrarsektor hat an Bedeutung<br />

noch gewonnen, seit die Baubranche in der Krise<br />

zusammenbrach, dort also eine Vielzahl von Jobs<br />

verloren ging. Der Umstieg vom Bauen aufs<br />

Ernten fällt jedoch nicht allen leicht, denn<br />

er bedeutet geringere Löhne. Im Zuge der<br />

Immobilienkrise verloren deshalb nicht nur<br />

Regionen wie Valencia, die vormals hohe<br />

Beschäftigungszahlen im Bausektor aufwiesen,<br />

sondern Spanien als Ganzes für <strong>Immigranten</strong> an<br />

Attraktivität. Teilweise findet sogar eine Rückoder<br />

Weiterwanderung der <strong>Immigranten</strong> statt.<br />

Stadtstrukturelle Veränderungen<br />

Diese Entwicklung ist jedoch so aktuell, dass<br />

Stadtstrukturen davon noch nicht merklich<br />

beeinflusst wurden. Überhaupt schlägt sich die<br />

Migration heute kaum mehr baulich-physisch<br />

nieder. Denn mit Ausnahme illegaler <strong>und</strong><br />

slumähnlicher Viertel (siehe Cañada Real im<br />

Süden Madrids) errichten <strong>Immigranten</strong> selten<br />

eigene Häuser. Sie ziehen vielmehr oftmals in<br />

staatlich geförderte Wohnungen, die meist in<br />

großteiligen, schmucklosen Baublöcken liegen,<br />

oder in andere bereits vorhandene preisgünstige<br />

Gebäude, die sich vor allem am Stadtrand,<br />

wo die Lage den Preis drückt, <strong>und</strong> in alten<br />

innerstädtischen Quartieren, die aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

Bausubstanz benachteiligt sind, finden. Letztere<br />

werden jedoch in dem Maße unattraktiver für die<br />

meisten <strong>Immigranten</strong>, wie das Bildungsbürgertum<br />

die Zentralität <strong>und</strong> den Charme der Altstadt für<br />

sich entdeckt <strong>und</strong> mit seiner Nachfrage auch<br />

dort die Mieten steigen lässt. So kommt es,<br />

dass sich die Einflüsse der <strong>Immigranten</strong> heute,<br />

ganz im Gegensatz zur Zeit der muslimischen<br />

Vorherrschaft, in der die maurische Architektur


Einzug in die Stadtkerne hielt, auf die Ränder der<br />

Städte konzentrieren.<br />

Der Öffentliche Raum<br />

Doch inwiefern wird das Stadtbild überhaupt von<br />

<strong>Immigranten</strong> geprägt, wenn keine nennenswerten<br />

baulichen Veränderungen auftreten? In allen<br />

bereisten Städten viel auf, dass Migranten<br />

den öffentlichen Raum beleben: durch eine<br />

kleinteilige Ladennutzung der Erdgeschosse <strong>und</strong><br />

ihre starke Präsenz auf den Straßen. Diese ist<br />

jedoch keineswegs nur auf eine andere Mentalität<br />

zurückzuführen. Vielmehr, so lässt sich vermuten,<br />

führt die dichte Belegung der Wohnungen dazu.<br />

Aufgr<strong>und</strong> geringer finanzieller Ressourcen leben<br />

afrikanische, asiatische sowie lateinamerikanische<br />

<strong>Immigranten</strong> mit mehr Menschen auf weniger<br />

Raum zusammen, als die meisten Europäer. So<br />

entsteht eher das Bedürfnis, herauszugehen<br />

<strong>und</strong> den Wohnraum in den öffentlichen Raum<br />

auszudehnen (siehe La Paz in Granada oder El<br />

Puche in Almería).<br />

Von Spanien zur EU<br />

andererseits. <strong>Wie</strong> können wir uns miteinander<br />

arrangieren <strong>und</strong> nachhaltige Umgangsformen<br />

finden?<br />

Das Beispiel Spanien zeigt zweitens die<br />

historische Verwurzelung des Islam in Europa.<br />

Dass dieser aktuell als bedrohender Eindringling<br />

wahrgenommen wird, scheint demnach absurd.<br />

Dass <strong>Immigranten</strong> meist in Länder ziehen, mit<br />

deren Sprache sie groß geworden sind, macht<br />

zudem die immerwährende Barrierewirkung von<br />

Sprachen deutlich. Sie zeigt sich nicht nur an<br />

Europas Vielzahl von National-, sondern bereits<br />

an Regionalgrenzen. Allein auf meiner Reise habe<br />

ich nach Valencia <strong>und</strong> ins Baskenland zwei davon<br />

überschritten. Wenn über „Vereinigte Staaten von<br />

Europa“, wie sie B<strong>und</strong>esarbeitsministerin Ursula<br />

von der Leyen kürzlich forderte, nachgedacht<br />

wird, stellen diese sprachlichen Hürden eine<br />

besondere Herausforderung dar.<br />

Als Viertes zeigte die Studie nochmals in aller<br />

Deutlichkeit, dass soziale Segregation mehr<br />

als kulturell finanziell bedingt ist. Die viel<br />

beschworene Integration, das Voneinander-lernen<br />

<strong>und</strong> Sich-gegenseitig-verstehen, setzen also vor<br />

allem soziale Gerechtigkeit voraus.<br />

Die Beschäftigung mit <strong>Immigranten</strong> in Spaniens<br />

Städten macht so auf zahlreiche Phänomene<br />

aufmerksam, die zum Einen die Rolle Europas<br />

in der Welt sowie zum Anderen die Beziehung<br />

europäischer Staaten untereinander prägen.<br />

Erstens <strong>und</strong> nahe liegend ist die Fragestellung,<br />

wie wir Grenzen gestalten <strong>und</strong> mit Migration<br />

umgehen. Eine gänzliche Überwachung der<br />

EU-Außengrenzen ist kaum möglich <strong>und</strong> ihre<br />

teilweise Überwachung führt im Wesentlichen<br />

zur Verschiebung, nicht aber zur Vermeidung der<br />

Migration. Das bedeutet meist eine Verlängerung<br />

der Wege <strong>und</strong> eine Erhöhung der Gefahr für die<br />

<strong>Immigranten</strong>. Über die Überwachung <strong>und</strong> ihre<br />

Methoden lässt sich also streiten.<br />

Einmal im Zielland, können so genannte illegale<br />

Einwanderer kaum mehr ins Herkunftsland<br />

zurückgeführt werden, auch wenn dies der Wille<br />

des Ankunftslandes ist, da viele Ursprungsländer<br />

eine <strong>Wie</strong>deraufnahme verweigern. Sie werden also<br />

geduldet <strong>und</strong> gehören längst zum europäischen<br />

Alltag, Arbeit bleibt ihnen offiziell jedoch verwährt.<br />

Dies führt im besten Falle zu Schwarzarbeit,<br />

ansonsten zu Armut, Obdachlosigkeit <strong>und</strong><br />

Kriminalität. Unter diesen Bedingungen muss<br />

man sich fragen, ob die Kriminalisierung der<br />

<strong>Immigranten</strong> tatsächlich sinnvoll ist. Wenn der<br />

Schriftsteller <strong>und</strong> Orientalist Navid Kermani<br />

die europäische Kardinalfrage „Wer ist Wir?“<br />

stellt, bezieht er sich damit zwar erstrangig auf<br />

die Eingliederung von Muslimen, benennt aber<br />

insgesamt das Problem der fälschlicherweise<br />

vorgenommenen Gegenüberstellung von<br />

Europäern einerseits <strong>und</strong> <strong>Immigranten</strong>

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