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Nr. 49 - Soziale Welt

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1941 geboren, am 1. Mai in Danzig. Bin<br />

im Krankenhaus groß geworden. Mutter<br />

war nicht bekannt. Als die Russen kamen,<br />

sind wir geflüchtet, mit den Pflegeeltern<br />

auf dem letzten Schiff sozusagen aus Danzig<br />

raus, nach Dänemark. Lager in Arhus,<br />

Flüchtlingslager. Die Pflegeeltern hatten<br />

noch zwei andere Pflegekinder aufgenommen,<br />

ein Junge und ein Mädchen. Als wir<br />

aus Danzig herauskamen, war ich vier<br />

Jahre, war aber noch nicht lange bei den<br />

Pflegeeltern. Direkt eine Erinnerung habe<br />

ich an die Zeiten nicht, höchstens an die<br />

Flucht. Wir sind mit dem Pferdefuhrwerk<br />

runtergefahren bis zum Hafen, dann Verladung<br />

auf das Schiff. Im Lager bin ich im<br />

Kindergarten gewesen, bis der Pflegevater<br />

langsam mal wieder nach Deutschland<br />

reingefahren ist. Arbeit zu suchen. Dortmund,<br />

Essen, bis runter nach Köln. Er<br />

war Schiffsschlosser. Hat dort eine kleine<br />

Wohnung gekriegt und uns dann nachgeholt.<br />

Als Kind, als ich in die Schule kam, da<br />

wusste ich das schon mit den Pflegeeltern<br />

wegen der verschiedenen Namen. Aber<br />

ich hab das überhaupt nicht empfunden,<br />

weil ich keine Beziehung zu der eigenen<br />

Mutter hatte. Den Vater kannte ich sowieso<br />

ja nicht, weil der schon früh gefallen<br />

ist , er war Pilot und wurde irgendwo in<br />

Russland abgeschossen. Das habe ich aber<br />

erst später erfahren. Nach der Volksschule<br />

bin ich dann in die Lehre gegangen, habe<br />

Sanitär und Heizung gelernt – mit Abschluss,<br />

einer der besten auf der Innung,<br />

und zwar in Brühl. Zu der Zeit wohnte<br />

ich noch zu Hause. Mit den anderen Geschwistern<br />

habe ich mich gut verstanden.<br />

Wir sagten Bruder und Schwestern, wir<br />

konnten ja nicht anders, auch wenn wir<br />

alle drei von verschiedenen Eltern waren.<br />

Wir waren gemischte Pflegekinder,<br />

wie man so sagt, vertrugen uns gut und<br />

bessere Pflegeeltern konnte ich mir nicht<br />

vorstellen. Da hatte ich dann auch nach<br />

der Lehre ein paar Mark in der Tasche,<br />

ging mal aus, mal hier, mal da, Mädchen<br />

kennengelernt. Mit 20 habe ich mich verlobt,<br />

das Mädel war neunzehn. Ein Jahr<br />

später haben wir geheiratet. Dann bin ich<br />

von zuhause ausgezogen – ich hatte von<br />

der Arbeitstelle eine Werkswohnung bekommen,<br />

eine kleine. Na ja, es bleib nicht<br />

aus, der erste Puschel kam auch, ein Junge.<br />

Hardi heißt er. In der Zwischenzeit, als<br />

der Junge unterwegs war, bekam ich von<br />

der Bundeswehr einen Stellungsbefehl, die<br />

Musterung hatte ich schon hinter mich<br />

gebracht, hatte mich aber zurück stellen<br />

S O Z I A L E S<br />

„Das harmoniert irgendwo nicht“<br />

lassen. Damals musste man halt bloß 12<br />

Monate dienen. Nach einem Dreiviertel<br />

Jahr bekam ich wieder ein Schreiben, habe<br />

ich mich wieder zurück stellen lassen. Ich<br />

hatte einfach keine Lust, zur Bundeswehr<br />

zu gehen. Ich war verheiratet und meine<br />

Jugenderfahrung mit Krieg, Flüchtlingslager<br />

und so hat auch nicht dafür begeistert.<br />

Naja, ich musste dann dach gehen und<br />

habe dann achtzehn Monate abgerissen.<br />

Zuerst unten in Speyer, dann am Niederrhein:<br />

war ziemlich weitab vom Schuss.<br />

Und wie das Pech so will, komm ich von<br />

der Bundeswehr zurück und meine Frau<br />

kriegt ein Kind von einem Anderen. Zu<br />

der Zeit war meine Frau nicht mehr berufstätig,<br />

wegen unserem Jungen: früher<br />

war sie Verkäuferin in einem großen Kaufhaus.<br />

Das war natürlich ein Tiefschlag,<br />

und so fing das Drama an. Ich hatte kein<br />

Vertrauen mehr zu ihr: wir wollten uns<br />

einigen, dann wollte sie auch nicht mehr.<br />

Zuerst mal war das für mich ein Schock<br />

– ich spiele den Vaterlandsverteidiger, und<br />

sie sorgt für Nachwuchs. Das harmoniert<br />

ja irgendwie nicht.<br />

Dann haben wir uns scheiden lassen. Fünf<br />

Jahre waren wir da verheiratet gewesen.<br />

Der Sohn war bei der Mutter. Dann; wegen<br />

der Scheidungssache und durch den<br />

Rechtsanwalt, muss man ja Geburtsurkunde<br />

und alles nachweisen, und ich hatte<br />

keine Original-Geburtsurkunde mehr. So<br />

hat man nachgeforscht und plötzlich bekam<br />

ich ein Schreiben, dass meine leibliche<br />

Mutter noch lebt, und zwar hier in<br />

Hamburg. Da war ich mittlerweile 29 Jahre<br />

alt. Ich war zu dem Zeitpunkt alleine,<br />

unabhängig, hatte meine Arbeit, wohnte<br />

bei der Pflegeschwester oder Schwester -<br />

komisch – ja, ich hatte bei ihr da ein Zimmer.<br />

Kurz vor Weihnachten bin ich dann<br />

zum ersten Mal nach Hamburg gefahren,<br />

um meine Mutter mal zu besuchen, sie<br />

überhaupt mal kennen zu lernen. Im ersten<br />

Moment war es nicht so einfach – so,<br />

als wenn da eine Glasscheibe dazwischen<br />

ist: man ist nicht direkt fremd, aber man<br />

hat keine Beziehung zueinander, irgend<br />

etwas fehlt. Ich weiß nicht, wie man das<br />

anders ausdrücken soll, es ist so, als wenn<br />

man mit einem Menschen immer durch<br />

eine Glasscheibe spricht. Es ist immer eine<br />

Hemmschwelle dazwischen. Sie hat mir<br />

erzählt, warum es zu unserer Trennung gekommen<br />

war. Ich war krank, musste ins<br />

Krankenhaus, hatte etwas mit der Lunge<br />

und sie musste zum Arbeitsdienst nach<br />

Berlin. Ob es stimmt, weiß ich nicht. Sie<br />

war damals 21, Köchin, mit meinem Vater<br />

nicht verheiratet.<br />

Nach dem Besuch bin<br />

ich zu meinen Pflegeeltern<br />

nach Brühl, das Alles<br />

noch mal zu besprechen.<br />

Danach bin ich nach<br />

Hamburg gegangen, weil<br />

ich mir sagte, vielleicht<br />

hast Du hier eine bessere<br />

Chance, irgendwie<br />

hochzukommen. Habe<br />

mir halt sozusagen wieder<br />

eine Existenz aufgebaut.<br />

Sechs Jahre habe ich hier<br />

in Hamburg-Winterhude<br />

eine Wohnung gehabt. Für ein Mädchen<br />

aus Köln, aus der Ecke Brühl, habe<br />

ich dann das alles wieder aufgegeben. Die<br />

kannte ich schon von früher. In der Zeit,<br />

wo ich in Hamburg war, hatte sie geheiratet.<br />

Die Ehe war schief gegangen. Wir<br />

waren immer im Kontakt gewesen, erst<br />

geschrieben, dann besucht. Naja, dann<br />

habe ich meine Arbeit und Wohnung aufgegeben.<br />

Zu der Zeit wohnte meine Mutter<br />

noch im Frahmsen, bis sie auch einen<br />

guten Bekannten geheiratet hat und nach<br />

Dänemark gezogen ist. Ja, da war sie wieder<br />

weg, sozusagen.<br />

Im Rheinland bin ich dann auch nur ein<br />

Jahr geblieben, es war doch nicht so, wie<br />

man sich das vorher erträumte. 1983 bin<br />

ich wieder nach Hamburg zurückgekommen.<br />

Na; und dann ging es schon wieder<br />

los mit der Arbeitslosigkeit. In meinem<br />

früheren Beruf konnte ich nichts finden,<br />

ich war dann oben in Lübeck, hab mich<br />

als freier Handelsvertreter – Drücker, wie<br />

man sagt, rumbugsiert. Ware verkaufen,<br />

so von Tür zu Tür, unangenehme Arbeit.<br />

Es war ein Versuch, mich über Wasser zu<br />

halten. Bekannte oder so hatte ich keine.<br />

Jetzt bin ich wieder in Hamburg, jobbe so<br />

im Hafen herum. Ein Zimmer habe ich im<br />

Moment nicht. Früher hatte ich ein Hotelzimmer,<br />

aber im Hafen ist im Moment<br />

noch Flaute. Da hat man mal Schicht und<br />

dann hat man mal wieder keine, da sitzt<br />

man mal wieder zwei Tage rum. Und ein<br />

Hotel ist teuer, da muss man jeden Tag<br />

zahlen. Wenn man dann zwei oder drei<br />

Schichten die Woche nicht hat, sieht es<br />

schon mau aus. Im Moment schlafe ich<br />

in der Christuskirche. Die haben da so ein<br />

Angebot gemacht, für Obdachlose, wie es<br />

so kalt war. Kann man so um acht Uhr<br />

hingehen.<br />

Nachdem alles so passiert ist, bin ich<br />

schon ein bißchen deprimiert. Der zweite<br />

Schlag kam, als ich hier oben in Hamburg<br />

war. Meine Frau hatte den Mann wieder<br />

geheiratet, von dem sie das Kind bekam.<br />

Die Ehe – da hat’s wohl auch gekriselt<br />

– ist schief gegangen, bis meine Frau<br />

Selbstmord gemacht hat. Das war 1987.<br />

Im Moment habe ich keinen Kontakt zu<br />

meinem Sohn. Der hat schon ausgelernt,<br />

er hat Konditor gelernt, ist jetzt 21 und in<br />

di4esm Mai wird er 22.<br />

Ja, das war so der zweite Tiefschlag. Habe<br />

7<br />

ja an meiner Frau gehangen. Auch später<br />

überlegt, ich bin ja öfters unten gewesen,<br />

wenn es irgendwie möglich war, den Jungen<br />

zu besuchen. War dann immer auch<br />

herzlich willkommen, denn wir sind ja<br />

nicht in Feindschaft oder im Krach auseinander<br />

gegangen. Gedanken macht man<br />

sich schon darüber, man fragt sich, wenn<br />

nun das oder dies nicht gewesen wäre, was<br />

wäre dann? Dan Kopf werde ich aber dadurch<br />

durchaus nicht hängen lassen, ich<br />

sehe ja noch eine Chance, wieder hochzukommen.<br />

Momentan habe ich einen<br />

Tiefpunkt. Das ist jetzt aber nicht so, dass<br />

ich moralisch irgendwie fertig bin. Das<br />

bringen jetzt die Umstände mit sich. Man<br />

macht sich Gedanken – was wird morgen<br />

sein, und so. Aber dass ich da resigniere<br />

und zur Flasche greife – ich trinke hier<br />

und da mal ein Bier, aber das ich da die<br />

Bomben 21 Rotweinflaschen in der Tasche<br />

habe, da kann ich darauf verzichten.<br />

In dem Sinne bin ich moralisch nicht so<br />

kaputt, dass ich Trost im Alkohol suche<br />

oder dergleichen. Aber manchmal legt<br />

man auch schon mal ab, trinkt ein Bier<br />

mehr wie man normalerweise vertragen<br />

kann. Am anderen Tage rauft man sich<br />

wieder zusammen, steht wieder unten am<br />

Hafen. Entweder man kriegt einen Job<br />

oder man kriegt keinen. Naja, so versucht<br />

man es jeden Tag.<br />

Das Wichtigste wäre momentan, wieder<br />

einen vernünftigen Job zu finden. Wenn<br />

ich Geld verdiene, kommt alles andere<br />

von allein. Eine kleine Wohnung irgendwie,<br />

die man sich einrichten kann, Auto<br />

und dergleichen braucht es nicht sein. Ich<br />

habe sowieso noch nie ein Auto besessen.<br />

Nicht, dass ich Vorurteile hätte, aber bei<br />

den Leuten hier fühle ich mich durchaus<br />

nicht wohl. Wenn man so sieht, wie die<br />

doch abgerutscht sind, sich was weiß ich<br />

morgens schon eine Flasche Korn holen,<br />

um wieder ruhig zu werden, ich denke<br />

schon mit Grauen daran, dass mir das ja<br />

auch mal passieren könnte. Das ist eine<br />

gewisse Sperre.<br />

Herzlichen Dank für die Abdruckgenehmigung<br />

aus dem Buch:<br />

Selbstaussagen von Außenseitern“, Urhaus-<br />

Verlag, Stuttgart

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