Nr. 43 - Soziale Welt
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Die unabhängige Frankfurter Straßenzeitung <strong>Nr</strong>. <strong>43</strong> Euro 1,80<br />
Seite<br />
2<br />
Koalitionsvertrag<br />
Rot mit schwarzen Punkten<br />
oder umgekehrt?<br />
Seite<br />
4<br />
Keiner verliert ungern<br />
Fußball zwischen<br />
Kommerz und Politik<br />
Seite<br />
6<br />
Gerechtigkeit und<br />
sozialer Wandel<br />
Gerechtigkeit sozialen Handelns<br />
- Ein Anstoß zur Diskussion<br />
Mitglied im „International Network of Street Papers“ INSP<br />
Fussball nach Deutschland —<br />
Obdachlose nach Mallorca?<br />
Zum ersten Mal seit 1974 ist der <strong>Welt</strong>fußball<br />
wieder zu Gast in Deutschland.<br />
Das beschäftigt die Öffentlichkeit nicht<br />
nur im Vorfeld und während der Spiele,<br />
es wird auch nachher noch zu endlosen<br />
Diskussionen kommen. Zum Beispiel<br />
darüber, wie man ein guter Gastgeber für<br />
die internationale Fußballszene ist – oder<br />
war.<br />
Der Internationale Fußball ist vom 9. Juni<br />
bis zum 9. Juli auf der Wanderschaft<br />
durch ganz Deutschland, von München<br />
bis Berlin, von Hamburg bis Leipzig.<br />
12 Stadien und 32 Nationen sind an<br />
diesem Großereignis beteiligt: groß<br />
sowohl in Hinsicht auf die eingesetzten<br />
Werbemillionen, den Vorabruhm der<br />
Spieler, den Medieneinsatz – und auch<br />
den Megaschaden bei missglücktem<br />
Ablauf, sei es durch Fifa-Fehler beim<br />
Kartenverkauf, bei terroristischem Angriff<br />
oder bei Hooligan-Aktionen. GoLeo<br />
wandert durch die Republik und zieht<br />
einen großen Schatten mit sich.<br />
nicht in die Hand genommen hat, soll in<br />
sieben Wochen mit Gewalt gerichtet werden.<br />
Neue Rolltreppen, endlich reparierte<br />
Aufzüge, zu Ende gebaute Treppenaufgänge,<br />
neue Hinweis- und Führungssysteme<br />
und und und.<br />
Hinter den Kulissen tagen die zuständigen<br />
Behörden von der Polizei über Zivil- und<br />
dem Straßenbild. Betroffen sind in erster<br />
Linie die Obdachlosen und die Suchtabhängigen.<br />
Ihre bevorzugten Treffpunkte<br />
sind durch Baumaßnahmen belegt, es<br />
wird kontrolliert und zur Benutzung der<br />
Drückerstuben angehalten. Das hat den<br />
Vorteil, dass einige der unangenehmeren<br />
Figuren in der Drogenszene aus dem Verkehr<br />
gezogen werden.<br />
Das hat aber auch den Nachteil, dass die<br />
Betroffenen, die ohnehin unter besonderen<br />
sozialen Schwierigkeiten leben, noch<br />
weiter verunsichert werden. Die Szene<br />
flattert – und sucht sich neue Schauplätze<br />
abseits von den kontrollierten Orten. Das<br />
trägt soziale Schwierigkeiten an ganz neue<br />
Schauplätze zum Leidwesen anderer Bürger.<br />
Denn es ist bekannt, das auch radikalster<br />
Polizeieinsatz mit „Zero Tolerance“-<br />
Vorgaben die Zahl und das Verhalten der<br />
Süchtigen nicht ändert, sondern nur die<br />
Verhaltensweisen um neue Varianten der<br />
Verschleierung und der Beschaffungskriminalität<br />
bereichert.<br />
Seite<br />
9<br />
Denn die Republik macht sich ganz eilig<br />
fein. Alleine in Frankfurt soll eine Meisterleistung<br />
gelingen: Die Commerzbank-<br />
Arena soll von einigen Baufehlern kuriert<br />
werden, die Haltestelle Waldstadion ist<br />
eine einzige Großbaustelle und am Hauptbahnhof<br />
ist fast kein Durchkommen mehr.<br />
Kein Wunder: was man in sieben Jahren<br />
Katastrophenschutz bis zum Verfassungsschutz<br />
und den Betreuern der Junkies.<br />
Zwar versichert Hessens Innenminister<br />
Bouffier lächelnden Gesichtes, dass alles<br />
in Ordnung sei und unter Kontrolle. Aber<br />
im Hintergrund wird eifrig aufgerüstet,<br />
von neuen Autos über Urlaubssperren<br />
bis zur Vertreibung von Missliebigen aus<br />
Die Rechnung für die Operation<br />
„Deutschland macht sich fein – Obdachlose<br />
und Suchtkranke aus den Städten“ ist<br />
hinterher zu zahlen. Die Höhe ist noch<br />
nicht absehbar. Wie bei allen Schönheitsoperationen,<br />
wird sie heftig ausfallen.<br />
–rs-<br />
Kulturpass für Frankfurt<br />
Der Mensch lebt nicht<br />
vom Brot allein<br />
Seite<br />
10<br />
Obdachlos<br />
Geschichten von Außenseitern<br />
und Selbstaussagen<br />
Seite<br />
16<br />
Künstler des Monats<br />
Der Frankfurter Adam Elsheimer:<br />
Im Detail die <strong>Welt</strong> entdecken<br />
Kirchenasyl für Bayern-Bärchen<br />
Man mag es kaum glauben: da verirrte<br />
sich ein veritabler Braunbär in die Gegend<br />
von Garmisch-Partenkirchen. Er soll aus<br />
Italien über Österreich eingewandert<br />
sein, hieß es. Sicher ist das nicht, denn<br />
Bären sind heimliche Tiere, die eigentlich<br />
den Kontakt zu Menschen scheuen.<br />
Er wurde von der bayerischen Landesregierung<br />
jubelnd begrüßt, denn es ist<br />
über 200 Jahre her, dass der letzte Bär<br />
in Deutschland geschossen wurde (Ausgebüxte<br />
Exemplare aus Tierschauen und<br />
–Transporten gelten nicht). Der Bär sei<br />
eine Bereicherung der Alpenlandschaft<br />
und ein wichtiger Schritt zu einer heilen,<br />
naturverbundenen Landschaft, so hörte<br />
man es zunächst. Doch dann kam es ganz<br />
anders.<br />
Meister Petz, ganz naturverbunden,<br />
wurde mit von Menschen geschaffenen<br />
künstlichen Anhäufungen von<br />
Nahrungsmitteln konfrontiert, die so ganz<br />
und gar nicht einer artgerechten Haltung<br />
entsprechen. Konkret: Schafpferche und<br />
ein Hühnerstall. Das Wasser muss ihm<br />
literweise im Maul zusammengeflossen<br />
sein. Und so reagierte Ursus major wie<br />
es nun mal seiner Art entsprechend ist:<br />
Erstmal Fressen, dann wieder zuschlagen<br />
und nur noch die Leckerbissen nehmen.<br />
Auch die Bären in Kanada fressen ab dem<br />
zweiten Tag nur noch den Kaviar und<br />
lassen den Lachs liegen. Ein Bär verlässt<br />
sich eben darauf, dass in der Natur nichts<br />
wegkommt und Überangebote von<br />
Nahrungsmitteln Anlass zu Fressorgien<br />
sind.<br />
Der für Landwirtschaft und Forsten<br />
zuständige Minister Schnappauf reagierte<br />
mit Panik und derben Sprüchen: der nicht<br />
mehr sozialisierbare Bär sei zu erschießen,<br />
tönte es weit vom Jagdrevier in München.<br />
Das war daneben, denn Deutschland liebt<br />
die Bärchen, insbesondere dann, wenn<br />
sie weit weg sind und nur in Form von<br />
Teddy- und Gummibärchen vorkommen.<br />
Es ist ja auch kein Fall bekannt, bei<br />
dem ein Gummibärchen versucht hätte,<br />
beispielsweise Herrn Gottschalk in die<br />
weiß Gott große Nase zu beißen.<br />
Und ausgerechnet da nahm Papst Benedikt,<br />
bekennender Ex-Bayer, auch noch<br />
das Wappen seines ehemaligen Heimatsbistums<br />
in das persönliche Papstwappen<br />
auf — mit einem Bär. Schnappauf<br />
schnappte ein und rudert zurück. Denn<br />
von vorlauter, wenn auch niicht qualifizierter<br />
Seite verlautete, dass Seine Heiligkeit<br />
damit seine Sympathie für den einsamen<br />
Bär in Bayern ausdrücken wollte.<br />
Jetzt soll der Direktor des Tiergartens<br />
Hellabrunn mit Blasrohr auf die Bärenjagd<br />
gehen. Das wird der sich möglicherweise<br />
sehr überlegen, denn dank Vierradantrieb<br />
sind Bären im Antritt einiges schneller<br />
als Zweibein Mensch und reagieren<br />
manchmal relativ heftig auf Störungen in<br />
der durch die Jagdwaffe bedingten großen<br />
Nähe.<br />
Vorschlag zur Güte: Jeder neu zugereiste<br />
Bär erhält Kirchenasyl in einem von<br />
Bayerns großen Klöstern und kann sich<br />
dort der friedlichen Kunst der Imkerei<br />
widmen statt sich zu benehmen wie Conan<br />
der Barbar im Penny-Markt.<br />
Der Minister aber, da er sich in dieser<br />
Sache selbst einen Bärendienst geleistet<br />
und pisastudienmäßig auffällige Biologiekenntnisse<br />
offenbart hat, muss nachsitzen.<br />
Man hätte den Bär nämlich ganz einfach<br />
vertreiben können. Öffentliches lautes<br />
Abspielen von Stoiber-Reden reicht aus,<br />
um selbst hungrige Bären vom einsamsten<br />
Hof fernzuhalten. Ansonsten sollte er realisieren,<br />
dass Bären wilde Tiere sind und<br />
damit sozialpädagogisch einfach nicht ansprechbar.<br />
–rs-
2 POLITIK<br />
An ihren Worten sollt Ihr sie erkennen<br />
Grundsatzprogramme heißen angeblich<br />
so, weil sie grundsätzlich keiner liest. In<br />
Anbetracht des Verhaltens deutscher Politiker<br />
mag da was dran sein. Folgerichtig<br />
wäre ein Koalitionsvertrag eine Vereinbarung,<br />
an die sich von vorneherein keiner<br />
halten will. Im täglichen Politikgeschäft<br />
ist der nächste Wahlkampf immer wichtiger<br />
als gemachte Versprechungen. Wir<br />
haben uns mit dem Koalitionsvertrag<br />
beschäftigt und geben hier wichtige Passagen<br />
wieder, die die Zielsetzungen für<br />
soziale Zwecke wiedergeben. Diese Texte<br />
lassen wir unkommentiert – das Verhalten<br />
der Parteien wird Kommentar genug<br />
sein.<br />
Präambel: Wohlstand sichern – Arbeit<br />
schaffen<br />
Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist zentrale<br />
Verpflichtung unserer Regierungspolitik…<br />
Zur Stärkung von Innovationen, Investitionen,<br />
Wachstum und Beschäftigung sowie<br />
zur Stärkung des Verbrauchervertrauens<br />
werden wir in fünf zentralen Bereichen<br />
konkrete Impulse in einem Gesamtvolumen<br />
von 25 Mrd.Euro in den kommenden<br />
vier Jahren gegeben (sic).<br />
2.Arbeitsmarkt<br />
2.1 Senkung von Lohnzusatzkosten<br />
CDU, CSU und SPD stellen sicher,<br />
dass die Lohnzusatzkosten (Sozialversicherungsbeiträge)<br />
dauerhaft unter<br />
40% gesenkt werden. Dazu wird<br />
der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung<br />
zum 1.1.2007 von 6,5% auf<br />
4,5% reduziert. Einen Prozentpunkt<br />
davon finanziert die Bundesagentur<br />
für Arbeit….,<br />
ein weiterer Prozentpunkt wird<br />
durch den Einsatz eines vollen<br />
Punktes Mehrwertsteuer finanziert.<br />
Gleichzeitig steigt der Beitrag zur<br />
gesetzlichen Rentenversicherung von<br />
19,5% auf 19,9%.<br />
2.2 Vorfahrt für junge Menschen<br />
Wir wollen, dass in Zukunft kein Jugendlicher<br />
länger als drei Monate arbeitslos<br />
ist…<br />
Konkret bedeutet dies die Bereitstellung<br />
von jährlich 30.000 neuen Ausbildungsplätzen,<br />
25.000 betrieblichen Einstiegsqualifizierungen<br />
durch Wirtschaft und<br />
Handwerk und passgenaue Maßnahmen<br />
der Bundesagentur für Arbeit für<br />
Förderung von Ausbildung…junge(r)<br />
hilfsbedürftige(r) erwerbsfähiger Menschen:<br />
Diesen Jugendlichen wird ein persönlicher<br />
Ansprechpartner und Arbeitsvermittler<br />
zur Seite gestellt. Dieser soll<br />
künftig flächendeckend höchstens 75 Jugendliche<br />
betreuen…<br />
Der persönliche Arbeitsvermittler hat<br />
Hilfen anzubieten – einschließlich der<br />
Schuldner- und Suchtberatung<br />
2.3 Impulse für mehr Beschäftigung von<br />
älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern<br />
Internationale Erfahrungen belegen, dass<br />
hierzu ein ganzes Bündel abgestimmter<br />
Maßnahmen in den Bereichen Arbeit, Bildung<br />
und Gesundheit notwendig ist, und<br />
dass sowohl Anreize zur Frühverrentung<br />
beseitigt als auch Maßnahmen zum Erhalt<br />
und zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit<br />
und zur Wiedereingliederung älterer<br />
Arbeitsloser erforderlich sind…<br />
Arbeitsplatzbezogene Qualifizierungsmaßnahmen<br />
sollen durch die Betriebe und<br />
nicht durch die Beitragszahler finanziert<br />
werden…<br />
Langzeitsarbeitskonten werden gesetzlich<br />
gesichert. Dabei werden wir eine Regelung<br />
nach dem Vorbild der Insolvenzsicherung<br />
bei der Altersteilzeit prüfen…<br />
In vielen Regionen .. ist es daher unerlässlich,<br />
gemeinsame sinnvoller Maßnahmen<br />
mit den Ländern zur Förderung<br />
gesellschaftlich sinnvoller gemeinnütziger<br />
Arbeiten für arbeitsmarktlich nicht mehr<br />
integrierbare Langzeitsarbeitslose in der<br />
letzten Phase ihres Erwerbslebens zu ergreifen.<br />
Dabei sollen zunächst die vom<br />
Bund zur Verfügung gestellten 30.000<br />
Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitsarbeitslose<br />
ab 58 Jahre in dreijährigen<br />
Zusatzjobs genutzt werden. …<br />
Soweit die 30.000 Förderungsmöglichkeiten<br />
ausgeschöpft sind, schlagen wir den<br />
Ländern vor, weitere bis zu 20.000 gemeinnützige<br />
Beschäftigungen gemeinsam<br />
zu finanzieren.<br />
2.5 Aktive Arbeitsmarktpolitik<br />
CDU, CSU und SPD werden ... alle arbeitsmarktpolitischen<br />
Maßnahmen auf<br />
den Prüfstand stellen…<br />
Diese Überprüfung soll bis Ende kommenden<br />
Jahres abgeschlossen sein. Auf der<br />
Grundlage dieser Wirksamkeitsanalyse<br />
wird dann spätestens im Jahr 2007 die aktive<br />
Arbeitsmarktpolitik insgesamt grundlegend<br />
neu ausgerichtet und sichergestellt,<br />
dass die Mittel der Beitrags- und Steuerzahler<br />
künftig so effektiv und effizient wie<br />
möglich eingesetzt werden.<br />
6.7 Stadtentwicklung als Zukunftsaufgabe<br />
Das Programm Stadtteile mit besonderem<br />
Entwicklungsbedarf – die <strong>Soziale</strong> Stadt -<br />
… soll weiterentwickelt und auf die gesetzlichen<br />
Ziele konzentriert werden….<br />
Zur Verminderung der Flächeninanspruchnahme<br />
und zur Beschleunigung<br />
wichtiger Planungsvorhaben, vor allem<br />
in den Bereichen Arbeitsplätze, Wohnbedarf<br />
und Infrastrukturausstattung, werden<br />
wir das Bau- und Planungsrecht für<br />
entsprechende Vorhaben zur Stärkung der<br />
Innenentwicklung vereinfachen und be-<br />
schleunigen. Wir werden die gesetzlichen<br />
Rahmenbedingungen erhalten und wenn<br />
nötig ausbauen, um die Innenstädte als<br />
Einzelhandelsstandorte zu erhalten….<br />
Zur Bewältigung des demographischen<br />
Wechsels und der Migration wollen wir<br />
mit Modellvorhaben Städte dabei unterstützen,<br />
Wohnquartiere kinder- und<br />
familienfreundlich zu gestalten und die<br />
Infrastruktur barrierefrei und altengerecht<br />
umzubauen.<br />
9.1 Entlastung der Bürger und der Wirtschaft<br />
von Bürokratiekosten<br />
….Die neue Bundesregierung wird deshalb<br />
als Sofortmaßnahme…Unternehmen<br />
von besonders wachstumshemmenden<br />
Überregulierungen befreien und insbesondere<br />
dem Mittelstand sowie Existenzgründern<br />
mehr Luft zum Atmen verschaffen.<br />
Vordinglich sind dabei der Abbau von Statistik-,<br />
Nachweis-, Dokumentations- und<br />
Buchhaltungspflichten, die Vereinfachung<br />
und Beschleunigung von Planungs- und<br />
Genehmigungsverfahren, der Abbau von<br />
Doppel- und Mehrfachprüfungen, die<br />
Vereinheitlichung von Schwellenwerten<br />
zum Beispiel im Bilanz- und Steuerrecht,<br />
die Begrenzung der Verpflichtung von Betrieben<br />
zur Bestellung von Beauftragten,<br />
die Vereinfachung der betriebsärztlichen<br />
und sicherheitstechnischen Betreuung von<br />
Kleinbetrieben sowie die Entbürokratisierung<br />
der bestehenden Förderprogramme.<br />
Die Erfahrungen der Vergangenheit<br />
haben gezeigt, dass eine<br />
auf Einzelmaßnahmen beschränkte<br />
Rechtsbereinigung nicht ausreicht<br />
um die Bürokratie…und die Lasten<br />
insbesondere der kleinen und<br />
mittleren Unternehmen zu beseitigen.<br />
Als wesentliches Hindernis hat<br />
sich dabei erwiesen, dass bis heute<br />
in Deutschland keine Methode existiert,<br />
bestehende Bürokratiekosten<br />
zuverlässig zu erfassen und für neue<br />
Gesetze sicher vorherzusagen.<br />
IV <strong>Soziale</strong> Sicherheit verlässlich und<br />
gerecht gestalten –<br />
4 Verlässliche Sozialhilfe<br />
Die Sozialhilfe bildet mit ihren Leistungen,<br />
insbesondere der Hilfe zum Lebensunterhalt,<br />
der Eingliederungshilfe für behinderte<br />
Menschen, der Hilfe zur Pflege und der<br />
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung,<br />
das unterste soziale Netz. Ferner<br />
ist sie in ihrer Funktion als Referenzsystem<br />
für die Leistungen der Grundsystem<br />
für Arbeitssuchende unverzichtbare Säule<br />
des Sozialstaates in Deutschland. Diese<br />
beiden Funktionen der Sozialhilfe gilt es<br />
dauerhaft zu erhalten, um auch künftig<br />
bei Notfällen und bei Hilfebedürftigkeit<br />
die erforderliche Absicherung weiterhin<br />
sicherzustellen.<br />
8.1 Pflegeversicherung – Sicherung einer<br />
nachhaltigen und gerechten Finanzierung<br />
Um Angesichts der demographischen<br />
Entwicklung sicherzustellen, dass die<br />
Pflegebedürftigen auch in Zukunft die<br />
Pflegeleistungen erhalten, die sie für eine<br />
ausreichende und angemessene Pflege zu<br />
einem bezahlbaren Preis brauchen, ist die<br />
Ergänzung des Umlageverfahrens durch<br />
kapitalgedeckte Elemente als Demographiereserve<br />
notwendig.<br />
Wahlbetrug oder<br />
Haushaltsrettung?<br />
Der Bundestag hat abgestimmt und die<br />
überwiegende Mehrheit hat eine Haushaltssicherung<br />
beschlossen, die klar zu<br />
Lasten der kleineren Einkommen geht.<br />
Streichungen bei der Kilometerpauschale,<br />
vorgesehene Einsparungen bei ALG II<br />
und als Krönung die Erhöhung der Mehrwertsteuer<br />
auf 19 Prozent – die höchste<br />
Steuererhöhung seit 1949. Die Einführung<br />
der sogenannten Reichensteuer hat<br />
sich schon bei den Finanzplanungen als<br />
bloße Kosmetik mit sehr begrenztem finanziellen<br />
Ergebnis herausgestellt.<br />
Die kleine Opposition läuft zu großer<br />
Form auf. Die FDP wirft der SPD genüsslich<br />
Wahlbetrug vor. Die Linkspartei hat<br />
es schon immer gewusst und tönt entsprechend.<br />
Die CDU macht auf staatsmännisch zurückhaltend<br />
und nur die SPD muß die<br />
Kröten schlucken. Die Kröten einer von<br />
A bis Z verfehlten Politik des Weiterwurstelns<br />
zu Lasten der Bürger.<br />
Denn es ist in der einzig wichtigen Sache<br />
nichts geschehen: Die Staatsquote muss<br />
runter. Der Behördenapparat muss abgebaut<br />
werden, es muss mehr Geld für den<br />
Ausbau der Wirtschaft her. Nur so gibt<br />
es neue Arbeitsplätze und wieder mehr<br />
Steuergeld für die Staatskassen, die nicht<br />
wirklich Not leiden, sondern deren Geld<br />
behördlicherseits in ungeheuerlichem<br />
Ausmaß verschwendet und falsch eingesetzt<br />
wird.<br />
Der neu gekürte SPD-Chef Kurt Beck<br />
wird in den nächsten Landtagswahlen die<br />
üble Suppe auslöffeln müssen.<br />
Außenpolitische Erfolge nimmt die CDU<br />
für sich in Anspruch, innenpolitisch ist<br />
Stagnation angesagt. Es bleibt wieder bei<br />
kleinen Pseudoänderungen, die nichts<br />
anderes sind als kassenbelastende Lieblingsprojekte<br />
von einzelnen Politikern.<br />
Kurt Beck stößt weiterhin in das alte<br />
Schröder-Horn vom armen Staat, der erst<br />
einmal neues Geld haben muss, bevor er<br />
irgendwas unternehmen könnte. Aber diese<br />
Posaune gibt einen falschen Ton, und<br />
die einzigen Mauern, die bei ihrem Klang<br />
einstürzen werden, sind die deutschen.<br />
Wenn Rot-Schwarz unsozial ist, wie es eine<br />
Regierung mit einem grundfalschen Konzept<br />
inhärent sein muss, geht das zu Lasten<br />
der Roten. Insbesondere die Gewerkschaften<br />
nehmen übel, dass Vizekanzler<br />
Müntefering eilig heilige Kühe schlachtet,<br />
von der Ausbildungsabgabe bis zum Kündigungsschutz<br />
und – man hatte sich mal<br />
dafür stark gemacht, und die damaligen<br />
Töne klingen nach – zum Mindestlohn.<br />
Dass diese Positionen einfach nur hirnlos<br />
sind, spielt keine Rolle mehr.<br />
Wenn die Regierung nicht aus dieser Falle<br />
findet, gibt es vier weitere Jahre wirtschaftlichen<br />
Stillstand und weitere Flucht von<br />
Arbeitsplätzen aus Deutschland. Es muss<br />
ein Weg gefunden werden, aus den vorhandenen<br />
Mitteln Gelder für Zukunftsaufgaben<br />
freizumachen, statt dem Bürger<br />
aus der Tasche zu ziehen. Es steht viel<br />
mehr auf dem Spiel als nur der Wahlerfolg<br />
der einen oder anderen Regierungspartei.<br />
Rüdiger Stubenrecht
Frankfurter<br />
Salomon Korn wird<br />
Ehrenprofessor<br />
Salomon Korn, Vorsitzender der<br />
Jüdischen Gemeinde in Frankfurt und<br />
Vizepräsident des Zentralrats der Juden<br />
in Deutschland, hat vom Land Hessen<br />
einen Professor ehrenhalber bekommen.<br />
Mit der Ehren-Professur wolle man das<br />
vielfältige ehrenamtliche Engagement<br />
ehren, so der Hessische Minister für<br />
Wissenschaft und Kunst, Udo Corts bei<br />
der Verleihung im Römer. Salomen Korn,<br />
seines Zeichens Architekt, darf darüber<br />
hinaus auf eine intensive Vortrags- und<br />
Publikationstätigkeit zurückblicken. Er<br />
ist in zahlreichen wissenschaftlichen und<br />
Gedenkstätten-Beiräten tätig Sein wirken,<br />
so Udo Corts, sei stets eng verbunden<br />
mit der deutsch-jüdischen Vergangenheit<br />
gewesen. „Immer wieder den Finger in die<br />
Wunde legen“ ist Voraussetzung für eine<br />
Versöhnung. Dazu gehört eine konkrete<br />
und ehrliche Erinnerung an die dunkelsten<br />
Tag der deutschen Geschichte, die<br />
Salomon Korn in der wissenschaftlichen<br />
und publizistischen Arbeit immer wieder<br />
eingefordert und zu der er beigetragen hat.<br />
Das sei notwendig, so Minister Corts, weil<br />
es der deutschen Mehrheitsgesellschaft in<br />
der Nachkriegszeit der Mut fehlte, sich mit<br />
der Vernichtung der Juden auseinander zu<br />
setzten.<br />
Sichtbarstes Zeichen des Wirkens des<br />
62-jährigen in Frankfurt ist das von ihm<br />
geplante jüdische Gemeindezentrum. In<br />
Salomon Korns eigenen Worten beginnt<br />
Normalität im Zusammenleben dann,<br />
wenn es tendenziell gleichgültig ist, ob<br />
Juden in der gesellschaftlichen aufgehen<br />
oder bewusst religiöse Minderheit bleiben<br />
wollen. Für ein solches dauerhaftes<br />
Miteinander der Religionen habe sich<br />
Korn stets nachdrücklich eingesetzt, so<br />
Udo Corts. Man darf hinzufügen, das<br />
Gleiches auch für das Zusammenleben<br />
aller Religionen in Deutschland gilt.<br />
Homeless World Cup<br />
2006 in Kapstadt<br />
Nach der Fußballweltmeisterschaft kommt<br />
der <strong>Welt</strong>cup im Obdachlosenfußball, in<br />
der Zeit vom 24-30. Oktober 2006. die<br />
Obdachlosenzeitschrift The Big Issue<br />
(South Africa) wird diese Meisterschaft<br />
ausrichten. Wie verlautet, werde die<br />
erfolgreiche Durchführung des Homeless<br />
World Cup als Unterstützung zur<br />
Bewerbung von Südafrika für die Vergabe<br />
der nächsten Fußballweltmeisterschaft<br />
gesehen. Südafrika hat sich für 2010<br />
beworben.<br />
Die Idee für eine <strong>Welt</strong>meisterschaft<br />
der Obdachlosen unter Beteiligung der<br />
Obdachlosenzeitschrift, die es in vielen<br />
Ländern der <strong>Welt</strong> gibt, ist 2001 bei der<br />
jährlichen Veranstaltung der INSP in<br />
Südafrika entstanden (Die <strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong><br />
gehöt diesem Verband an.) Das sorgt<br />
natürlich für beondere Aufmerksamkeit bei<br />
den Beteiligten wie INSP-Präsident Young<br />
und Harald Schmied aus Österreich, der die<br />
Idee erstmals vorgelegt hat, und natürlich<br />
auch bei The Big Issue South Africa.<br />
Immerhin hat sich ein Kreis geschlossen.<br />
INSP-Mitglied The Big Issue South Africa,<br />
sozusagen Schwesterzeitschrift der <strong>Soziale</strong>n<br />
<strong>Welt</strong>, hat seit 1995 mehr als 8 Millionen<br />
Rand in die Taschen von Obdachlosen<br />
und Arbeitslosen einbringen können.<br />
NACHRICHTEN<br />
Parade der Kulturen<br />
trotz Regen ein voller<br />
Erfolg<br />
Inzwischen hat die vierte Parade der Kulturen<br />
unter Beteiligung von Musik- und<br />
Tanzensembles zahlreicher Länder in<br />
Frankfurt stattgefunden. Leider machte<br />
diesmal das Wetter einen heftigen Strich<br />
durch das Präsentationskonzept. Immerhin<br />
4000 Menschen haben die kulturelle<br />
Vielfalt der Stadt unterstrichen. Es wären<br />
sicherlich mehr gewesen, wenn es nicht<br />
kräftig geschüttet hätte. Trotzdem waren<br />
weder die durchnässten Tänzer und Musiker<br />
noch die Zuschauer von der Freude<br />
am langen Tanzwurm abzubringen. Frankfurt<br />
konnte zeigen, für wie viele Kulturen<br />
die Stadt inzwischen Heimat ist und wie<br />
harmonisch das Zusammenlaben unterschiedlichster<br />
Kulturen ablaufen kann.<br />
In Frankfurt kennt man keine Zonen, wo<br />
man besser nicht hingeht, und das gilt für<br />
Deutsch gleichermaßen wie für Ausländer<br />
aller Hautfarben. Wie schon letztes Jahr,<br />
endete der große Festzug wieder direkt am<br />
Mainufer, wo ein Multinationaler Markt<br />
aufgebaut war. Die Jury-Mitglieder Renan<br />
Demirkan (Schauspielerin), damals-noch<br />
Sozialdezernent Franz Frey (SPD) und<br />
Integrationsdezernent Albrecht Magen<br />
(CDU) nahmen das Wetter nicht tragisch<br />
und freuten sich über das bunte Bild der<br />
Nationen, das Frankfurt bietet.<br />
INSP begrüßt neue<br />
Mitglieder<br />
Seit der letzten Vollversammlung in<br />
Glasgow (Mai 2005- wir berichteten)<br />
sind vorbehaltlich der Zustimmung<br />
der Mitgliederversammlung drei neue<br />
Obdachlosenzeitungen dem Verband<br />
beigetreten. Es handelt sich um die<br />
Zeitschriften = aus Oslo; Ulica aus<br />
Mazedonien und Revistas Caminantes<br />
aus Kolumbien. Eine weitere Anmeldung<br />
aus Argentinien wird noch geprüft, da<br />
das INSP-Netzwerk über den Einsatz<br />
von Kindern für den Vertrieb von<br />
Straßenzeitungen noch entscheiden muss.<br />
Diese Entscheidung und die offizielle<br />
Aufnahme der Kandidaten soll auf der<br />
nächsten INSP-Konferenz in Montreal<br />
2006 erfolgen. Inzwischen liegen<br />
Hilfsersuchen über die Gründung einer<br />
Straßenzeitung aus den Ländern Kenia,<br />
Sambia, Ghana, Kanada, Neuseeland,<br />
Mexiko, Indien und Venezuela vor. Der<br />
Verband hilft den Neugründern bei der<br />
Vorbereitung der Geschäftsplanung.<br />
Gegen Obdachlosen-<br />
Mord in Brasilien<br />
Auf einer Konferenz in Argentinien hat<br />
das INSP eine Kampagne gegen inzwischen<br />
16 Bluttaten gegen Obdachlose<br />
in Brasilien begonnen. Alle Betroffenen<br />
sind mit einem stumpfen Gegenstand auf<br />
den Kopf geschlagen worden, während<br />
sie in Sao Paolo auf der Strafe geschlafen<br />
hatten.<br />
Es gab auch Hinweise auf eine Polizeibeteiligung;<br />
es wurden keine Anklagen erhoben.<br />
mit einer „No Justice“ Kampagne<br />
wollte INSP auf diese grauenhaften Übergriffe<br />
und das Fehlern juristischer Verfolgung<br />
aufmerksam machen. Eine ganzseitige<br />
Anzeige wurde entwickelt und in vielen<br />
Mitgliedspublikationen abgedruckt. Über<br />
die INSP-Website, auf die in der Anzeige<br />
hingewiesen wurde, konnten Leser Protest-Emails<br />
an den verantwortlichen Justizminister<br />
von Brasilien senden. Über<br />
300 Personen haben diese Möglichkeit<br />
wahrgenommen. Der Minister weigert<br />
sich weiterhin, die Aktion zu kommentieren.<br />
Die in Sao Paolo ansässige Straßenzeitung<br />
Ocas meldet, dass noch immer nichts<br />
unternommen wurde, um wenigstens den<br />
betroffenen Familien zu ihrem Recht zu<br />
verhelfen. Der INSP wird sich auch weiterhin<br />
mit Kampagnen dieser Art befassen<br />
und die Möglichkeit für die Beeinflussung<br />
der Öffentlichkeit weiter ausbauen.<br />
Aus Russland –<br />
mit Liebe?<br />
Arkady Tiurin von der INSP-Mitgliedszeitung<br />
„Weg Heimwärts“ in St. Petersburg<br />
berichtet: Wir arbeiten nun seit mehr als<br />
10 Jahren mit Obdachlosen in Russland<br />
zusammen und wir sind überzeugt, dass<br />
eine der wichtigsten Aspekte unserer Arbeit<br />
die Beeinflussung der Öffentlichen<br />
Meinung ist. Eine kürzlich durchgeführte<br />
Studie hat gezeigt, dass nur rund ein<br />
Drittel der Bürger von St. Petersburg mit<br />
den Obdachlosen sympathisieren oder<br />
bereit sind, ihnen zu helfen.<br />
Wenn im Krieg Menschen sterben, ist das<br />
schrecklich, aber verständlich. Wenn in<br />
Friedenszeiten Menschen auf der Straße<br />
sterben, ist das unvorstellbar. Eine offizielle<br />
Zahl Obdachloser, die im Winter an der<br />
Kälte in St. Petersburg sterben, ist nicht<br />
bekannt, aber die Polizei bittet uns wiederholt<br />
um die Identifizierung von Leichen<br />
der Obdachlosen und wir kennen Hunderte<br />
von Akten von Obdachlosen, die auf<br />
der Straße gestorben sind. So haben wir<br />
beschlossen, diesen Personen einen öffentlichen<br />
Tribut zu zollen. Wir haben dies<br />
durch eine einzigartige Freiluftausstellung<br />
zu ihren Ehren unternommen.<br />
Die schrecklich kalten Winter von Russland<br />
sind legendär. Ebenso auch die „Straße<br />
der Lebens“ – die einzige Straße, über<br />
die während der Blockade im 2. <strong>Welt</strong>krieg<br />
Lebensmittel für die Bürger von St. Petersburg<br />
in die Stadt gebracht werden konnten.<br />
Am 17. Januar 2006 haben wir 100<br />
Gedenkstätten entlang der Straße des Lebens<br />
niedergelegt, gewidmet denen, die in<br />
diesem Winter schon gestorben sind und<br />
noch sterben werden. Die Gedenkstätten<br />
bestanden aus alten Kleidern, die uns ein<br />
Second-Hand-Laden zur Verfügung gestellt<br />
hatte. Anstelle von Gedächtnisplaketten<br />
wurde an jedes Bündel ein Blatt<br />
Papier mit dem einzigen Wort „Ich“ angeheftet.<br />
Eine Ausstellung dieser Art war etwas ganz<br />
neues für St. Petersburg, also haben mehrere<br />
TV-Kanäle und Journalisten berichtet.<br />
Die Berichterstattung war maßgebend<br />
dafür, ein größeres Publikum daran zu<br />
erinnern, dass Leben ein kollektives Spiel<br />
ist und das die Menschen eine Verantwortung<br />
haben, sich um andere zu sorgen.<br />
In den folgenden Tagen hat unsere Zeitung<br />
mehr als 100 Anrufe von Menschen<br />
erhalten, die wissen wollten, wie sie den<br />
Obdachlosen helfen könnten und wo sie<br />
warme Kleidung spenden sollten. Die Gesamtkosten<br />
für diese PR-Aktion betrug<br />
gerade mal 104 Euro. Kann man den Wert<br />
eines Menschenlebens genau so einfach<br />
berechnen?<br />
Paul Spiegel verstorben<br />
Wieder einmal müssen wir Abschied nehmen<br />
von einem engagierten Demokraten,<br />
der einen Teil der deutschen Nachkriegsgesellschaft<br />
wesentlich bestimmt hat. Am<br />
3<br />
30 April ist Paul Spiegel, Präsident des<br />
Zentralrats der Juden in Deutschland,<br />
gestorben.<br />
Paul Spiegel stammte aus Warendorf im<br />
Münsterland. Die Nazijahre versuchte die<br />
Familie in Belgien zu überstehen; seine<br />
Schwester wurde in Brüssel verhaftet und<br />
kam um, sein Vater überlebt Auschwitz<br />
und Dachau. Der 1937 geborene Knabe<br />
überlebte bei einer Bauernfamilie in<br />
Flandern. 1945 kehrte er nach Warendorf<br />
zurück und beendete dort seine Schulausbildung.<br />
Er hat darüber geschrieben, in<br />
seinem Buch „Wieder zu Hause?“ Seine<br />
berufliche Karriere begann er mit einem<br />
Volontariat bei der Allgemeinen jüdischen<br />
Wochenzeitung in Düsseldorf. Arbeiten<br />
für viele andere namhafte Presseorgane<br />
sollten folgen, zuletzt zwei Jahre lang als<br />
Chefredakteur der Zeitschrift „Mode und<br />
Wohnen“ Danach wendete er sich anderen<br />
Seiten der journalistisch-unternehmerischen<br />
Tätigkeit zu, zunächst zwölf Jahre<br />
lang als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des<br />
Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes.<br />
1986 gründete er mit Initiative von<br />
Dalli-Dalli-Moderator Heinz Rosenthal<br />
(selbst ein NS-Überlebender aus Berlin)<br />
eine Künstler- und Medienagentur.<br />
Er war seit 1967 in verschiedenen Positionen<br />
für die jüdischen Gemeinden in<br />
Deutschland engagiert und wurde als<br />
Nachfolger des Frankfurters Ignaz Bubis<br />
2000 zum Präsident des Zentralrats der<br />
Juden in Deutschland berufen.<br />
Zu vielen Gelegenheiten hat er viel Beachtenswertes<br />
gesagt, was leider in Gefahr ist,<br />
wie alle journalistischen Beiträge mit den<br />
Tagesaktualitäten schnell vergessen zu werden.<br />
Außer dem schon erwähnten Buch<br />
über seine Heimkehr hat er noch ein Buch<br />
hinterlassen: „Was ist koscher ?“ als locker<br />
geschriebene Einführung in das Verständnis<br />
jüdischer Ernährungsvorschriften. Er<br />
hinterlässt eine Lücke, die schwer zu füllen<br />
sein wird.<br />
Auszeichnung ist<br />
15.000 Euro schwer<br />
Im November 2006 verleiht Frankfurt<br />
am Main zum fünften Mal den Integrationspreis.<br />
Mit ihm würdigt die Stadt<br />
Personen und Institutionen, die sich im<br />
alltäglichen Leben um die Integration<br />
und Gleichberechtigung ausländischer<br />
Bürgerinnen und Bürger besonders verdient<br />
gemacht haben und die für eine<br />
gegenseitige Anerkennung der Kulturen<br />
eintreten. Der Preis ist mit 15.000 Euro<br />
dotiert und wird jährlich vom Magistrat<br />
vergeben.<br />
„Die Idee der zivilen Gesellschaft und die<br />
Offenheit gegenüber anderen Kulturen gehören<br />
von jeher zur Bürgerstadt Frankfurt<br />
am Main“, so Integrationsdezernent Dr.<br />
Albrecht Magen. Der Magistrat und die<br />
städtischen Gremien sind auf das bürgerschaftliche<br />
Engagement angewiesen – nur<br />
so kann die Integration weiter verfestigt<br />
werden. Die Förderung der ausländischen<br />
Vereine und der im Bereich Integration<br />
arbeitenden Personen und Organisationen<br />
ist daher von hoher Bedeutung für die<br />
Stadt. Institutionen oder Personen, die als<br />
Preisträger in Frage kommen, können der<br />
Jury bis spätestens 31. Juli vorgeschlagen<br />
werden. Die Vorschläge nimmt das Amt<br />
für multikulturelle Angelegenheiten entgegen<br />
(Walter-Kolb-Straße 9-11, 60594<br />
Frankfurt am Main). Sie können auch per<br />
Mail an integrationspreis.amka@stadtfrankfurt.de<br />
eingesandt werden.
4 FUSSBALL<br />
„Keiner verliert ungern“<br />
Fußball zwischen Leidenschaft, Kontrolle<br />
und banalem Tiefsinn<br />
„Linker“ und „rechter“ Fußball<br />
Über Größenphantasien, symbolische Konflikte und politische Okkupation einer populären Sportart<br />
Prof. Dr. Titus Simon<br />
Auch wenn bei aktuellen Betrachtungen<br />
des Phänomens Fußball immer mehr<br />
dessen Rolle als Wirtschaftsfaktor und<br />
eine zunehmende Entfremdung von<br />
seinen Wurzeln – worunter sehr Unterschiedliches<br />
verstanden werden kann<br />
– betont werden, sind dessen prägende<br />
Eigenschaften auf gesamtkulturelle Phänomene<br />
unstrittig. Fußball wirkt in Lebensbereiche<br />
hinein, in denen er wirklich<br />
nichts zu suchen hat. In dem Teil der<br />
Sprache, der in besonderer Weise mediale<br />
Beachtung und Verbreitung findet, macht<br />
sich eine deutliche „Fußballerisierung“<br />
breit, was ganz besonders für Politikerreden<br />
gilt, in die gerne zentrale Begriffe<br />
des Fußballs und der Fußballberichterstattung<br />
aufgenommen werden. Im<br />
Landtagswahlkampf 2006 warb die CDU<br />
Sachsen-Anhalt am häufigsten mit dem<br />
Slogan: „Wir bleiben am Ball“. Abgebildet<br />
war neben dem Schriftzug ein Lederball,<br />
der dem ähnelte, der 1954 in Bern<br />
getreten wurde. Und seit die deutschen<br />
Intellektuellen in den 1970er-Jahren den<br />
Fußball, dem sie bis dahin mehrheitlich<br />
ignorierend oder entschieden ablehnend<br />
gegenüberstanden, zumindest als Objekt<br />
skurriler Deutungen entdeckt haben,<br />
werden wir mit immer neuen Versuchen<br />
konfrontiert, den Fußball als Projektionsfläche<br />
für gesellschaftspolitische Fantasien<br />
oder gar als Abbild für alte und neue<br />
Klassenantagonismen zu benutzen.<br />
Bei einer analytischen Betrachtung des<br />
sozialen Phänomens Fußball können wenigstens<br />
fünf Herangehensweisen gewählt<br />
werden.<br />
Zum einen sind die objektiven Tatsachen,<br />
die realen Verhältnisse im Fußballgeschäft<br />
zu betrachten. Fußball ist ein Riesengeschäft<br />
geworden, in dem alle Entscheidungen<br />
- von der Vermarktung des Stadionnamens<br />
über das Transfergeschäft<br />
und das Merchandising bis hin zur medialen<br />
Inszenierung und den darin enthaltenen<br />
ökonomischen Dimensionen – im<br />
strengen Sinne den Regeln des Marktes<br />
unterworfen sind. Dieses Geschäft wird<br />
von Kaufleuten dominiert, unter denen<br />
es natürlich erfolgreiche und weniger erfolgreiche<br />
gibt, uns sie bleiben auch dann<br />
Kaufleute, wenn sie bei Aufstiegs- oder<br />
Meisterschaftsfeiern einen Fanschal über<br />
den Boss-Anzug legen. Die Gesetze des<br />
Marktes bestimmen alles. Selbst der Kultund<br />
Kiezclub FC St.Pauli muss im nationalen<br />
Pokalwettbewerb seine Auflaufhymne<br />
„Hells Bells“ auf eine Kurzfassung reduzieren<br />
– weil das Fernsehen, die Sponsoren<br />
und der Deutsche Fußballbund (DFB) es<br />
so wollen.<br />
In dem Maße, wie Fußball Attraktivität<br />
gewann und zu einem Massenphänomen<br />
heranwuchs, wurden Versuche unternommen,<br />
Fußball für politische Ziele und Zwecke<br />
zu instrumentalisieren. Diese Tradition<br />
wurde bereits im italienischen Faschismus<br />
der 1920er und 1939er Jahre begründet.<br />
Noch ehe sich das Konzept einer linken<br />
Hegemonie der Alltagskultur ausbreiten<br />
konnte – Antonio Gramsci entwickelte<br />
hierzu elementare Wesenszüge erst in den<br />
faschistischen Gefängnissen – eroberte die<br />
siegreiche Rechte erfolgreich die Orte der<br />
Volkskultur, zu denen in Italien bereits<br />
früh das Fußballgeschehen gehörte. Die<br />
faschistische Bewegung okkupierte Lazio<br />
Rom, was bis heute in deren Faninszenierungen<br />
fortwirkt, und erprobte am Beispiel<br />
des vormals linken Arbeitervereins<br />
AC Bologna den erfolgreichen Umbau zu<br />
einem stramm faschistisch ausgerichteten<br />
Fußballclub, der – wie in Deutschland der<br />
FC Schalke 04 – seine größten Erfolge<br />
als gleichgeschalteter Verein während des<br />
Faschismus erzielte. Die Instrumentalisierung<br />
für den NS-Staat hat der deutsche<br />
Fußball vor allem als Gleichschaltung und<br />
der Zerstörung der Kultur der Arbeitersportbewegung<br />
innerhalb und außerhalb<br />
des Fußballes erlebt. Der Fußball wurde<br />
aber nicht wie in Italien und auch in Spanien<br />
zu einem herausgehobenen Manipulationsinstrument.<br />
Während italienische<br />
Faschisten in ihrer Leidenschaft für den<br />
Fußball durchaus authentisch waren –<br />
Mussolini besuchte regelmäßig Spiele von<br />
Lazio Rom – hatten die führenden Köpfe<br />
der NSDAP keine ausgeprägte Affinität zu<br />
dieser Sportart. Dies unterschied den Fußball<br />
vom Film, der anderen aufstrebenden<br />
Massenkultur der Dreißigerjahre des letzten<br />
Jahrhunderts. Hinzu kam der Umstand<br />
dass der deutsche Fußball weder 1936 bei<br />
den Olympischen Spielen in Berlin noch<br />
1938 bei der <strong>Welt</strong>meisterschaft in Italien<br />
besonders erfolgreich war und sich zudem<br />
die Hoffnung zerschlug, dass nach dem<br />
„Anschluss“ Österreichs eine Kombination<br />
deutscher und österreichischer Spielkultur<br />
zur „Unbesiegbarkeit“ führen würde. Dieser<br />
gewaltsamen und radikalen politischen<br />
Okkupation hat Silvio Berlusconi in den<br />
letzten 20 Jahren ein neues Gesicht gegeben.<br />
Nachfaschistische Ideologie wurde<br />
gepaart mit gewaltiger Kampfkraft und<br />
zunehmender Medienkontrolle.<br />
Hiervon zu unterschieden ist die meist<br />
emotional unterlegte Bündelung politisch<br />
eingefärbter Projektionen, die sich innerhalb<br />
der Fangemeinden entwickeln können.<br />
Diese knüpfen meist an die Antagonismen<br />
früherer Klassenkämpfe an, wobei<br />
die Ausdrucksformen der linken wie der<br />
rechten Fankultur tradierte Symboliken<br />
mit höchst aktuellen Themenstellungen<br />
und modernen Choreografien mischen<br />
können.<br />
Eine vierte Dimension besteht in der Allgegenwärtigkeit<br />
des Fußballgeschehens,<br />
der Kritiker wohl zu Recht ein erhebliches<br />
Manipulationspotenzial zuschreiben.<br />
Die moderne Variation von „Brot und<br />
Spiele(n)“ ist in unserem Kulturraum eng<br />
mit dem Fußballgeschehen verbunden.<br />
Geht man aber den Folgen dieser in der<br />
Tat vorhandenen Omnipräsenz stärker<br />
nach, so wird keineswegs ein geschlossenes<br />
System manipulativer Mechanismen und<br />
Wirkungen sichtbar. Die Dominanz des<br />
Fußballs in der öffentlichen Berichterstattung<br />
hat ambivalente Folgen. Zum einen<br />
kann sehr wohl bei einem bestimmten Teil<br />
der RezipientInnen davon ausgegangen<br />
werden, dass sie der Fußball davon abhält,<br />
sich anderen wichtigen gesellschaftlichen<br />
Angelegenheiten und Konflikten<br />
in einer Weise zuzuwenden, die sogar bis<br />
zur aktiven Einmischung in das politische<br />
Geschehen führen könnte. Auf der anderen<br />
Seite führt die Überbetonung der<br />
Bedeutung des Fußballgeschehens zu zunehmenden<br />
Unmutsbekundungen derer,<br />
die als KonsumentInnen den Mehrwert<br />
produzieren sollen. Selbst eingefleischten<br />
Fußballfans missfällt, dass Banalitäten aus<br />
dem Fußballgeschehen zunehmend auf<br />
den Titelseiten seriöser Tageszeitungen<br />
platziert werden. Die in der Regel als unumkehrbar<br />
wahrgenommene Ökonomisierung<br />
des Fußballs erfährt gelegentlich<br />
Grenzen, löst kritische Diskurse aus, die<br />
auch auf andere politische Themenstellungen<br />
überspringen können.<br />
Noch stärker als die bislang genannten<br />
Aspekte wirken in unserem Kulturraum<br />
heute jene sozialen Dimensionen, die dem<br />
Spiel eigentümlich sind. Spannungsaufbau<br />
und Spannungsabfuhr sind ebenso möglich<br />
wie das Erleben von Erwartung, Hoffnung,<br />
Freude und Enttäuschung. Zu streiten<br />
wäre hier lediglich darüber, ob es sich<br />
dabei um authentische Gefühlswelten oder<br />
um „Emotionen aus der Dose“ handelt.<br />
In diesem Zusammenhang gehören auch<br />
jene identitätsbildenden Projektionen, die<br />
sich aus dem sozialpsychologisch begründeten<br />
Phänomen der Suche nach einem<br />
„Größenselbst“ ergeben.<br />
Fußball als Objekt kultureller Hegemonieversuche<br />
and als Projektionsfläche für<br />
Imaginationen<br />
Die Redaktion meint:<br />
Während diese Zeitung zum Verkauf<br />
auf der Strasse ist, fiebert eine ganze<br />
Nation mit der schönsten Nebensache<br />
der <strong>Welt</strong>. König Fußball regiert und<br />
hält Hof in Deutschland – und alle<br />
Nationen kommen, 48 davon zum<br />
Spiel um die <strong>Welt</strong>meisterschaft und<br />
eine ziemlich missgestaltete Trophäe,<br />
der Rest einzeln oder in kleinen Gruppen<br />
zum Zuschauen als – hoffentlich<br />
– ziemlich willkommener Tourist in<br />
Sachen Kicken und Tore treffen.<br />
Diese <strong>Welt</strong>meisterschaft, für viele von<br />
uns die letzte in Deutschland, die wir<br />
wohl in unserem Leben sehen werden,<br />
ist geeignet, sich die Fülle dessen, was<br />
international unter Fußball gesehen<br />
wird und gespielt wird, vor Augen zu<br />
führen.<br />
In vielen Ländern der Entwicklungsstaaten<br />
und der Dritten <strong>Welt</strong> hat Fußball<br />
noch heute eine Funktion, die er<br />
einstmals auch in Deutschland hatte:<br />
Aus einem schuhlosen, in Lumpen<br />
gehüllten kleinen Buben einen internationalen<br />
Star zu machen, mit Kohle<br />
reichlich und als nationale Ikone geehrt<br />
wie ein zweiköpfiger Elefant.<br />
Fußball ist eben nicht nur ein Spiel,<br />
sondern er hatte seit seinen Anfängen<br />
stets eine gesellschaftliche und<br />
politische Dimension. Fußballspiele<br />
zwischen Nationen haben nicht selten<br />
die Dimensionen eines Ersatzkrieges,<br />
es hat auch schon kriegerische Auseinandersetzungen<br />
wegen eines Fußballspieles<br />
gegeben. Allerdings wahrscheinlich<br />
nur deshalb, weil man einen<br />
vorgeschobenen Anlass braucht,<br />
sich gegenseitig an die Hälse zu fahren.<br />
Und was zwischen Nationen gilt, gilt<br />
auch zwischen Klassen und Schichten<br />
in einer Gesellschaft.<br />
Den vielfältigen Beziehungen zwischen<br />
Fußball, Klassen und Politik<br />
geht der Artikel nach und zeigt, dass<br />
es sich um eine Geschichte mit vielen<br />
Seiten handelt, denn auch aus dem<br />
Sport geht Einfluss auf die Mentalität<br />
der Politiker aus.<br />
„Der VFB grüßt den tapferen Vietcong<br />
– Borussia grüßt die Kumpels in Hanoi“<br />
(Transparent, gezeigt während des Spiels<br />
VFB Stuttgart – Borussia Dortmund, im<br />
November 1967). Bis in die frühen 1970er<br />
Jahre war der deutsche Fußball keine Projektionsfläche<br />
für die politischen Diskurse<br />
der Zeit. Fankultur vollzog sich als konventionelle<br />
Interaktionen zwischen einem<br />
Ort und seinem Verein. Lebenslagen von<br />
Anhängern und Spielern waren noch miteinander<br />
vergleichbar. Fußball war Vehikel<br />
für die Entwicklung von totaler Identität,<br />
wobei die territoriale und symbolische Abgrenzung<br />
zum jeweiligen Lieblingsgegner<br />
immer eine große Bedeutung hatte. Vor<br />
allem in Italien und in Frankreich wurde<br />
das Fußballgeschehen weitaus früher in<br />
die Politisierungsprozesse einbezogen. Das<br />
Erstarken der Kommunistischen Partei<br />
Italiens und die größere Nähe zwischen<br />
linken Intellektuellen und politisierter Arbeiterklasse<br />
führten in diesem Land bereits<br />
in den 1990er Jahren zu einer Neuauflage<br />
des Versuches, eine linke kulturelle Hegemonie<br />
über relevante gesellschaftliche<br />
Bereiche herzustellen. Zumindest in den<br />
kommunistischen Hochburgen des Nordens<br />
gelang dies bis hinein in die städtische<br />
und dörfliche Festkultur, im Film und im<br />
Theater ohnehin, und nicht zuletzt auch<br />
im Fußball. Dies hatte zur Folge, dass in<br />
den 1970er Jahren die aktive Fanszene<br />
mehrheitlich links war – oder sich zumin-
FUSSBALL<br />
5<br />
dest so gerierte.<br />
Auch im Frankreich der 1960er Jahre – in<br />
denen der französische Fußball im internationalen<br />
Vergleich eher zweitklassig war<br />
– begegneten sich Arbeiterschaft und linke<br />
Intellektuelle im heimischen Stadion. Albert<br />
Camus erfuhr während eines Spiels<br />
von Paris St.Germain, dass er den Nobelpreis<br />
für Literatur erhalten hatte. Und<br />
von Jean Paul Sartre stammt der schönste<br />
und zugleich der skurrilste Satz, der jemals<br />
über Fußball gesagt wurde: „Bei einem<br />
Fußballspiel kompliziert sich alles durch die<br />
Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft“.<br />
Anders im damals noch faschistischen<br />
Spanien. Die auch heute noch bestehende<br />
Rivalität zwischen dem F.C.Barcelona<br />
und Real Madrid ging immer weit über<br />
die im Fußball vieler Länder existierende<br />
Polarisierung zwischen symbolträchtigen<br />
Vereinen hinaus. Während des spanischen<br />
Bürgerkrieges bildeten Barca-Mitglieder<br />
eine schwarzrote kämpfende Brigade, die<br />
der „Confederation National de Trabajo<br />
(CNT)“ (Nationale Konföderation der<br />
Arbeit, eine anarcho-syndikalistische Gewerkschaft)<br />
nahe stand. Der Vorsitzende<br />
des Vereins war zu dieser Zeit Josep<br />
Sunyol, Abgeordneter der „Katalanischen<br />
Linkspartei (ERC)“, der im Bürgerkrieg<br />
bei einem Gefecht in der Sierra Guardarrama<br />
starb. Obwohl nach der Niederlage des<br />
republikanischen Spaniens die Clubführung<br />
„gesäubert“ und von Mitgliedern der<br />
„Falange Espanola Tradicionalista (FET)“<br />
übernommen wurde, hatten Begegnungen<br />
zwischen Barca und Real während des spanischen<br />
Faschismus immer eine politische<br />
Bedeutung. Der F.C. Barcelona war neben<br />
dem Kloster Montserrat das Symbol für ein<br />
freies Katalonien. Es war somit nur konsequent,<br />
dass sich bei der ersten politischen<br />
Versammlung nach Ende der Franco-Ära<br />
13.000 Zuhörer in der vom F.C.Barcelona<br />
zur Verfügung gestellten Sporthalle „Palau<br />
Blau-Grana“ versammelten. Von der<br />
Mannschaft des Jahres 1939 war die Mehrheit<br />
der Spieler ins mexikanische oder ins<br />
französische Exil gegangen. Auch von den<br />
anderen ist kein Einziger in das Lager der<br />
Franquisten übergewechselt, was sie von<br />
den damals bedeutenden deutschen Fußballspielern<br />
unterschied, deren Anpassung<br />
an den Nationalsozialismus bruchlos vonstatten<br />
ging, wenn man einmal von jenen<br />
absieht, die im deutschen Faschismus aus<br />
„rassischen Gründen“ verfolgt wurden.<br />
„Linker“ und „rechter“ Fußball in<br />
Deutschland<br />
Im Unterschied zu Spanien, Frankreich<br />
und Italien haben die deutschen Intellektuellen<br />
erst in den 1970er Jahren den<br />
Fußball als Objekt entdeckt, an dem symbolische<br />
Deutungen sowie die Herstellung<br />
von Analogien zum aktuellen Zustand der<br />
Gesellschaft vorgenommen werden konnten.<br />
Die lustfeindlichen marxistischen<br />
Theoretiker, die sich im 1968er Deutschland<br />
überhaupt herabließen, über Fußball<br />
zu reden oder zu schreiben, sahen im<br />
Sportplatz den Ort, an dem das reibungslose<br />
Funktionieren eingeübt wurde, was<br />
damals seinen sprachlichen Höhepunkt<br />
in der Feststellung fand: „Die Tore auf<br />
dem Fußballfeld sind die Eigentore der<br />
Beherrschten“ (VINNAI 1970). Als sozialpsychiologisch<br />
relevante Erklärung und<br />
somit zur Entlastung kann der Umstand<br />
herangezogen werden, dass die spielfeindlichen<br />
Rebellen nicht selten während ihrer<br />
Schulzeit einen freudlosen Schulunterricht<br />
unter Anleitung jener Übungsleitergeneration<br />
erlebte, die sich zahlreich aus den<br />
Ausbildern der Wehrmacht rekrutierte.<br />
Erst mit Ror Wolfs Band „Punkt ist Punkt“<br />
(1971), einer Collage aus eigener Dichtung<br />
und Fragmenten der Fußballberichterstattung,<br />
wurde der Eispanzer der deutschen<br />
Linken wenigstens angeschmolzen.<br />
Sätze wie „Brozulat, der Einbein-Dribbler<br />
mit Schlepperqualitäten, wird niemals die<br />
Zange sein, die gebraucht wird“ (Wolf<br />
1971) schafften den Durchmarsch bis ins<br />
Germanistik-Oberseminar. Ein weiteres<br />
Feuerchen entfachte der Umstand, dass<br />
Paul Breitner, der heute vor allem in Bild<br />
schreiben lässt, für kurze Zeit als Maoist<br />
gehandelt wurde, hatte er sich doch neben<br />
einem Mao-Plakat ablichten lassen.<br />
In den von nun an vorgenommenen Betrachtungen<br />
des Fußballs tauchten Interpretationen<br />
des Spielgeschehens auf, die<br />
die Art und Weise, wie gespielt wurde, als<br />
Abbild der herrschenden politischen Verhältnisse<br />
deuteten. Diese bis heute praktizierte<br />
Unart ließ sich sogar am Nürnberger<br />
„Rumpelfußball“ festmachen, den<br />
die „Clubberer“ 1969, im Jahr nach ihrer<br />
letzten Meisterschaft spielten:<br />
„Der Club war die Avantgarde. Im Aufstieg<br />
und im Fall der Nürnberger kam<br />
die Bewegung der Zeit am reinsten zum<br />
Vorschein. Dass sich der große Sturmlauf<br />
des Jahres 1968 so rasch verflüchtigte, hat<br />
etwas mit dem Halbherzigen, Zögerlichen<br />
zu tun, mit dem die neuen Ideen bei den<br />
meisten anderen aufgenommen wurden“<br />
(Böttinger).<br />
Dieser in den frühern 1970er Jahren begründete<br />
intellektuelle Unsinn trieb immer<br />
wieder neue Blüten, die insbesondere<br />
den Stilwechsel des deutschen Fußballs<br />
mit den Politikwechseln auf Bundesebene<br />
in Beziehung zu bringen gedachten:<br />
„Die Ära Helmut Schmidt begann: Von den<br />
weiten raumgreifenden Pässen zum Klein-<br />
Klein-Gekicke, von den wieselflinken Dribbelkünstlern<br />
zu den Defensivstrategen, von<br />
Hacki Wimmer zu Hans-Georg Schwarzenbeck.<br />
Der Geist Gladbachs konnte sich auf<br />
Dauer nicht gegen den Pragmatismus Bayerns<br />
durchsetzen“ (Böttiger 1997).<br />
Ein besonderer Kristallisationspunkt für<br />
politische Kontroversen um den Fußball<br />
bot die <strong>Welt</strong>meisterschaft 1978 in Argentinien,<br />
das damals unter einer Militärdiktatur<br />
stand.<br />
Für junge Linke wurde es nun zu einer<br />
Glaubensfrage, ob sie die Übertragungen<br />
anschauen würden. Wohngemeinschaften<br />
stritten darüber, ob in ihren Räumen der<br />
Galt eine Zeit lang als Maoist - Paul Breitner<br />
Fernseher angestellt werden sollte. Und<br />
die Unbedarftheit deutscher Fußballspieler<br />
heizte die Debatte weiter an:<br />
„Nein, belasten tut mich das nicht, dass dort<br />
gefoltert wird“ (Manfred Kaltz, Hamburger<br />
SV). „ I hoab no koan Brief kriagt und<br />
mogg dazua a nix sagn“ (Georg Schwarzenbeck,<br />
Bayern München). „Militär stört<br />
mich nicht. Ich hoffe, wir kommen weiter“<br />
(Klaus Fischer, FC Schalke 04).<br />
Der erste, der als Fußballverantwortlicher<br />
das bislang nur in Intellektuellenzirkeln<br />
gepflegte Fantasiegebilde vom „linken<br />
Fußball“ aufgriff, war just zu dieser Zeit<br />
der argentinische Nationaltrainer Cesar<br />
Luis Menotti, der es sich sogar erlauben<br />
konnte, nach der gewonnenen <strong>Welt</strong>meisterschaft<br />
demonstrativ dem argetinischen<br />
Diktator den Handschlag zu verweigern.<br />
Der Fußball konnte von der Junta nicht<br />
für ihre Ziele instrumentalisiert werden.<br />
Dem stand schon Menotti entgegen. Und<br />
in den Städten skandierten die Zuschauer:<br />
„Argentinien wird <strong>Welt</strong>meister – Videla<br />
an die Wand“. Was denn am Fußball<br />
„links“ sei? Dieser nicht eindeutig zu beantwortenden<br />
Frage ging mit Blick auf das<br />
„gespielte Spiel“ Steve Highway nach, einer<br />
der besten Außenstürmer, die der FC<br />
Liverpool jemals hervorgebracht hat:<br />
„Wir haben hier seit Jahrzehnten einen sehr<br />
sozialistischen, gemeinschaftlichen Stil. Jeder<br />
macht seinen Job, so gut er kann, und hilft<br />
dem anderen. Die Grundsätze unser Spielweise<br />
sind sehr einfach: Bewegung ohne Ball<br />
und schnelle Abgabe des Balles, das ständige<br />
Passspiel – den Ball nur einmal berühren<br />
und sofort wieder abgeben“(Schulze-Marmeling<br />
1992).<br />
„Rechter“ Fußball dagegen ist die einer<br />
buchhalterischen Logik folgende Domestizierung<br />
des Spiels, die der reinen Ergebnisorientierung<br />
strikt unterworfen ist. In<br />
Deutschland musste lange Zeit Borussia<br />
Mönchengladbachs „Fohlen-Elf“ mit<br />
einem im Prinzip aus der Not geborenen<br />
Offensivfußball als Projektionsfläche für<br />
die Reformhoffnungen der späten 1960er<br />
und frühen 1970er Jahre herhalten.<br />
Mönchengladbach war das Synonym für<br />
den sozialdemokratischen Aufbruch. Aus<br />
diesem Verein stammte auch Günter Netzer,<br />
die einzige Pop-Ikone, die der deutsche<br />
Fußball wirklich hervorgebracht hat.<br />
Franz Beckenbauer mutierte schon früh<br />
zur „Lichtgestalt“, Paul Breitner blieb immer<br />
unberechenbar. Hansi Müller, Karl-<br />
Heiz Rummenige und Rudi Völler fehlten<br />
der subtile Hauch der Subversion und<br />
Michael Ballack ist bar jedes Mythos, der<br />
wichtigsten Ingredienz in der Melange der<br />
Projektionen und Bricolagen, die Pop-Ikonen<br />
produziert. Günter Netzer ist im <strong>Welt</strong>fußball<br />
derjenige, der dem im letzten Jahr<br />
verstorbenen „Georgie“ Best am nächsten<br />
kam, auch wenn David Beckham heute<br />
hundertmal mehr verdient und sein Poster<br />
häufiger in den Zimmern kleiner Mädchen<br />
hängt. David Beckham ist letztendlich<br />
ein Medienprodukt, George Best und<br />
Günter Netzer hingegen waren Meister der<br />
Selbstinzenierung und sie waren revoltetauglich.<br />
David Beckham handelt so, wie<br />
es die ihm zugewiesene Rolle vorschreibt.<br />
Netzer und Best waren auf und neben den<br />
Fußballplatz völlig unberechenbar, mit<br />
dem Unterschied freilich, dass George<br />
Best sich mit seinen Alkoholexzessen auf<br />
den Weg der Selbstvernichtung gemacht<br />
hatte. Günter Netzer war mehr Beatle als<br />
George Best, den die Presse häufig als den<br />
„fünften Beatle“ bezeichnete. Ihm gelang<br />
die erfolgreiche Transformation eines Popstars<br />
zum Geschäftsmann, der die Ökonomisierung<br />
seines Genres noch konsequenter<br />
vorantrieb als die erfolgreichsten<br />
„Nur-Kapitalisten“.<br />
Nur wenige Jahre später – die Reformeuphorie<br />
war beim Überschreiten der Millionengrenze<br />
bei der Zahl der Arbeitslosen<br />
ebenso verglüht wie die Erfolge<br />
Mönchengladbachs – erlebte die deutsche<br />
Fanszene ihre erste echte Politisierung.<br />
Und diese kam von rechts.<br />
Der Aufmarsch von Rechtsextremisten<br />
in den deutschen Fußballstadien war auf<br />
das Wirken von Michael Kühnen zurückzuführen,<br />
der das Stadion als einen geeigneten<br />
Ort für politische Provokationen<br />
erkannt hatte. Hinzu kam ein Umbruch<br />
in der Fanszene, in die sich zunehmend<br />
Skinheads mischten. In den 1980er Jahren<br />
nannten sie sich „Destroyers“, „HSV<br />
Hooligans“, „Adler-Front“ oder „Borussen-Front“.<br />
Sie skandierten im Stadium<br />
„Schiri nach Auschwitz“ oder „Zyklon B<br />
für Hertha BSC“. Sogar organisierte Fußballfans<br />
trugen Nazisymbole neben den<br />
Vereinsabzeichen und hoben den Arm<br />
zum Hitlergruß (Simon 1996).<br />
Subkulturelles Gegenstück war in den<br />
1980er Jahren die Minderheit der „linken“<br />
organisierten Fans, am deutlichsten wahrgenommen<br />
im „Schwarzen Block“ des FC<br />
St.Pauli. Mit dem Auftreten von Hamburger<br />
linken Gruppen und phasenweise auch<br />
der BesetzerInnen der Hafenstraße wurde<br />
der „linke“ Mythos des Vereins begründet,<br />
der bis dahin allerhöchstens durch seine<br />
„ehrlichen Fußballarbeiter“ und durch die<br />
Luden und Huren auf der Haupttribüne<br />
Aufmerksamkeit erregt hatte.<br />
Vom Fehlen der linken Ikonen<br />
Auch wenn sich Vereine und Spielweise als<br />
Projektionsfläche für politische Imaginationen<br />
anboten, war es schwer, Spieler zu<br />
identifizieren, die als Typenideal für derartige<br />
Inszenierungen taugten. Zwar gab es<br />
Ewald Lienen, der in den 1970er Jahren<br />
für die DKP-nahe Friedensliste kandidierte,<br />
später als Trainer jedoch konsequent<br />
zu politischen Sachverhalten schwieg. Der<br />
Stuttgarter Karl Allgöwer legte sich immerhin<br />
mit seinem Vereinsboss Gerhard<br />
Meyer-Vorfelder an, als er im schwarzen<br />
Ländle zur Wahl der SPD aufrief. In den<br />
1990er Jahren überschlugen sich die Medien<br />
förmlich, als Ives Eigenrauch nicht<br />
nur als Freund von Kultur und Literatur<br />
geoutet wurde, sondern sich sogar dazu<br />
bekannte, „Die Grünen“ zu wählen.<br />
Selbst der Kiez-Klub St. Pauli bot eher<br />
„ehrliche Arbeiter“ (Golke, Druve, Trulsen)<br />
oder den „überzeugten Nicht-Leser“<br />
„Boller“ Jeschke auf. Einzige linke Ikone<br />
im Spielerkader bleibt somit bis heute der<br />
vormalige Bewohner der Hafenstraße und<br />
Nicaragua-Aktivist Volker Ippig, der quasi<br />
vom „Kommunen-Lotterbett“ direkt in<br />
die erste Bundesliga stolperte.<br />
Italien hat es da besser. Dort wird in<br />
den Stadien wieder das klassische Links-<br />
Rechts gespielt, wenngleich derzeit mit<br />
zahlenmäßiger Überlegenheit der Ultra-<br />
Rechten, de Idol Paolo di Canio für Lazio<br />
Rom aufläuft und bei Toren dem 7.000<br />
Personen umfassenden faschistischen Fanclub<br />
„Irriducibili“ ( „Die Unbeugsamen“)<br />
den römischen Gruß entbietet. Die rote<br />
Fahne wird nach dem Abstieg von gleich<br />
drei „linken“ Vereinen im letzten Jahr nur<br />
noch vom AS Livorno hochgehalten. Dort<br />
Fortsetzung Seite 6
6 FUSSBALL / SOZIALES<br />
grüßt Cristiano Lucarelli, der sich bei<br />
schlechten Leistungen schon mal selbst<br />
das Gehalt kürzt, mit dem Kommunistengruß.<br />
Das „Centro <strong>Soziale</strong> Godzilla“, das<br />
Zentrum der organisierten Fans, sieht aus<br />
wie ein Parteibüro der PCI zu Zeiten Pepones:<br />
rote Fahnen, Hammer und Sichel,<br />
Stalinportraits. Alles in allem eine neue<br />
Variante des immer wieder auftretenden<br />
Versuchs der „magischen Rückgewinnung<br />
der Gemeinschaft“ durch Protagonisten<br />
expressiver Subkultur.<br />
Und auch die nach Abspaltung gierenden<br />
Linkskatalanen haben bei Barca ihr neues<br />
Idol in Oleguer. Er würde nur für eine katalanische,<br />
niemals aber für die spanische<br />
Nationalmannschaft auflaufen. In seiner<br />
Heimatstadt Sabadell unterstützt er Hausbesetzer<br />
und linke Kritiker der EU-Verfassung.<br />
Solche „Kerle“ sind in Deutschland<br />
weit und breit nicht zu sehen. Also doch<br />
nur ein Spiel?<br />
Über den Autor:<br />
Prof. Dr. Titus Simon, Jahrgang 1954, ist<br />
Hochschullehrer für <strong>Soziale</strong> Arbeit an der<br />
Hochschule und Beirat der SOZIALEX-<br />
TRA. Er spielte in der Kindheit sieben Tage<br />
in der Woche Fußball (ständiger Kampf um<br />
den Sonntag, und verfeinerte sein Kopfballspiel<br />
am Kopfballgalgen des SV Murrhardt.<br />
Nach erfolgreicher Zuwendung zu anderen<br />
Sportarten war er Gründer und Spieler der<br />
im Umkreis von zehn Kilometern gefürchteten<br />
„Wolfenbrücker Wölfe, für die er 1998 –<br />
im hohen Sportleralter von 44 Jahren – das<br />
letzte Mal gegen einen Fußball trat.<br />
(Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung<br />
des Verlages der Zeitschrift SO-<br />
ZIALEXTRA, VB Verlag, www.sozialextra.<br />
de erreichbar, entnommen).<br />
Hochglanz-<br />
Fankultur wird<br />
abgelehnt<br />
Das Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF)<br />
will bei der WM mit „friedlichen<br />
Störmanövern“ Gegenpositionen<br />
beziehen. „Die Hochglanz-Fankultur,<br />
wie FIFA-Präsident Joseph Blatter sie<br />
sich wünscht, entspricht nicht unserer<br />
Vorstellung“, sagte BAFF-Sprecher<br />
Johannes Stender.<br />
Dem offiziellen WM-Motto „Zu Gast bei<br />
Freunden“ will die Fan-Initiative die Kampagne<br />
„Spielverderba 2006“ entgegen setzen.<br />
Das WM-Maskottchen „Goleo“ wird<br />
von BAFF in „Prolleo“ umbenannt und<br />
soll mit einer Flasche Bier in der Hand<br />
über die Fanmeilen marschieren, kündigte<br />
Stender an. Eines hat er dem Original-Löwen<br />
voraus: „Er wird eine Hose tragen“,<br />
verriet der BAFF-Sprecher. Zum „Spielverderba“-Programm<br />
sollen zudem Ausstellungen<br />
zur Korruption innerhalb der<br />
FIFA sowie zur weltweiten Migration von<br />
Fußballern gehören.<br />
Die Fan-Initiative befürchtet während der<br />
WM das verstärkte Ausbrechen nationalistischer<br />
Tendenzen in Deutschland. „Das<br />
Thema Rassismus ist gerade bei Länderspielen<br />
immer noch aktuell“, sagte Stender.<br />
Als Beispiel nannte er diskriminierende<br />
Rufe aus der deutschen Fankurve<br />
während des Länderspiels der Nationalmannschaft<br />
in Slowenien im vergangenen<br />
Jahr. Dort war es auch zu Ausschreitungen<br />
gekommen.<br />
Gerechtigkeit und sozialer Wandel<br />
„Jeder Mensch hat Anspruch auf eine<br />
soziale und internationale Ordnung, in<br />
welcher die in der vorliegenden Erklärung<br />
verbrieften Rechte voll verwirklicht<br />
werden können“ (UNO-Menschenrechtskonvention<br />
Art. 28)<br />
Wir kennen sie vermutlich alle bis zum<br />
Überdruss, die Statistiken und Trendaussagen,<br />
die belegen, dass der Abstand zwischen<br />
Reich und Arm, Managern in den<br />
Chefetagen und mittleren und unteren<br />
Angestellten immer größer wird – und<br />
zwar sowohl in den westlichen wie in den<br />
vom Sovietkommunismus oder der Apartheit<br />
befreiten Nationen, sowohl national<br />
wie international. Ich will die LeserInnen<br />
deshalb nicht mit Zahlen langweilen. Aber<br />
gerade dieser Überdruss ist aus Sicht der<br />
UNO-Menschenrechtskonferenz von<br />
1993 in Wien das allergrößte, schockierende<br />
Problem. Der schalltote Raum, in dem<br />
die massive Verweigerung und Verletzung<br />
von Sozialrechten erfolgt, die Verletzung<br />
von Freiheits- und Bürgerrechten leitet<br />
einen konzertierten Aufschrei aller möglichen<br />
Gruppierungen, NGOs, Amnesty<br />
International und Massenmedien bewirkt<br />
und nach dem sofortigen Eingreifen verlangt.<br />
Obwohl die Sonntagsrhetorik die<br />
Unteilbarkeit der Menschen beschwört,<br />
zeigt sich im politischen Alltag, dass die<br />
Verletzung des individuellen Eigentums<br />
– Freiheit – und der politischen Rechte als<br />
etwas viel Gravierenderes betrachtet wird<br />
als die Verletzung der Sozialrechte. Die<br />
knappeste Form der Folgen dieses schalltoten<br />
Raumes brachte Mary Robinson, die<br />
ehemalige Menschenrechts-Kommissarin<br />
der UNO, in einem Vortrag über die <strong>Welt</strong><br />
nach dem 11. September auf den Punkt:<br />
„Die Verletzungen der Menschenrechte<br />
von heute führen zu den Kriegen – und zu<br />
dem Terror von morgen.“<br />
Vor diesem Hintergrund ist zunächst zu<br />
fragen, inwiefern das Gerechtigkeitsthema<br />
in die über hundertjährige Theorie- und<br />
Professionsgeschichte der <strong>Soziale</strong>n Arbeit<br />
Eingang gefunden hat. Als nächstes befasse<br />
ich mich mit einigen ungelösten Fragen im<br />
Verhältnis zwischen realwissenschaftlichem<br />
und sozialphilosophischem Zugang zur<br />
Thematik, um dann den Versuch zu wagen,<br />
die Elemente einer gerechten Gesellschaft<br />
zu bestimmen. Dieser wird ergänzt durch<br />
einen Vorschlag zur Frage, wer wem was<br />
schuldig ist.<br />
1. Etappen des Gerechtigkeitsdiskurses<br />
im Rahmen der sozialen Arbeit.<br />
Man darf aufgrund der Theoriebeiträge<br />
Ende des neunzehnten und Anfang<br />
des zwanzigsten Jahrhunderts davon<br />
ausgehen, dass Gerechtigkeit eine zentrale<br />
handlungstheoretische (normative)<br />
Leitidee der sozialen Arbeit war. Ich<br />
erwähne hier nur zwei herausragende<br />
TheoretikerInnen: Für Alice Salomon<br />
(1912) war soziale Arbeit die Bemühung,<br />
das Gemeinschaftsleben in stärkere<br />
Übereinstimmung mit den Forderungen<br />
der Gerechtigkeit zu bringen. <strong>Soziale</strong><br />
Arbeit ist daher nicht Güte, nicht<br />
Wohltun, sondern nur gerechtes Handeln.<br />
Gerechtigkeit kann aber nur verwirklicht<br />
werden, wenn die Starken an einem<br />
Missbrauch ihrer Macht gehindert werden.<br />
Und auch die Freiheit der Schwachen<br />
kann nur gesichert werden, wenn das<br />
Silvia Staub-Bernasconi<br />
Gesetz sie vor der Übermacht der Starken<br />
schützt. Im Denken von Jane Addams<br />
und den Frauen von Hull House in den<br />
Universitätsniederlassungen in den Slums<br />
von Chicago stand der Zusammenhang<br />
zwischen Verteilungsrecht und Demokratie<br />
im Zentrum. Addams befasste sich in<br />
ihrem Buch „Demokratie und soziale<br />
Ethik“ im Besonderen mit der unter<br />
demokratischen Vorzeichen bestehenden<br />
Doppelmoral der Ober- und Mittelschicht<br />
in Bezug auf die Unterschicht. Ein Beispiel:<br />
Mit welcher Legitimation fordere eine<br />
freundliche Besucherin als Wohltäterin<br />
aus der Mittelschicht, die ohne jede<br />
Eigenleistung vom Einkommen ihres<br />
Mannes lebe, dass die alleinerziehende<br />
Wäscherin mit kleinen Kindern in<br />
unmenschlichen Arbeitsverhältnissen<br />
ihr Brot verdiene? Oder: Die Forderung<br />
zu sparen sei kriminell in einem Milieu,<br />
wo Menschen fast nichts zum Leben<br />
hätten und auch in Geldangelegenheiten<br />
auf gegenseitige Hilfe angewiesen seien.<br />
Für J. Addams gab es keinen konkreten<br />
Interaktionszusammenhang in unserer<br />
modernen Gesellschaft, der so klar das<br />
Fehlen von demokratischer Gleichheit und<br />
Verteilungsgerechtigkeit sichtbar macht,<br />
wie die soziale Arbeit. Entsprechend forderte<br />
sie die durchgehende Demokratisierung<br />
sozialer Arbeit sowohl in praktischer als<br />
auch theoretischer Hinsicht.<br />
Zwischen 1930 und 1970 haben wir einerseits<br />
Rassendiskurse, die nicht nur Gerechtigkeit,<br />
sondern auch eine pervertierte<br />
Rechtsstaatlichkeit auf die weiße, insbesondere<br />
arische Rasse beschränken. Andererseits<br />
ist sowohl in den USA als auch in<br />
Europa, mit eingeschlossen Deutschland,<br />
ein theoretischer Rückzug auf das Individuum,<br />
genauer auf Innerpsychisches,<br />
festzustellen. Es ist die Phase der Psychologisierung,<br />
Therapeutisierung und – in<br />
Deutschland – teilweise Pädagogisierung<br />
der sozialen Arbeit.<br />
Man hoffte, das fehlende Ansehen, das<br />
man sich mit den Schmuddelkindern der<br />
Gesellschaft einhandelte, würde sich mit<br />
einer Orientierung an Medizin, Psychiatrie<br />
und klinischer Psychologie einstellen. Es<br />
kam zu geradezu grotesken Vorstellungen,<br />
dass man mit einer bestimmten Klientel<br />
sozialer Arbeit nicht arbeiten könne, weil<br />
sie zuviel reale Probleme habe. Ein Beispiel:<br />
Eine junge Frau, die dringend eine<br />
Wohnung suchte, weil man ihr gekündigt<br />
hatte, wurde daraufhin gefragt, welche<br />
emotionale Bindung bzw. Ablösungsprobleme<br />
sie mit ihrer Mutter habe und ob<br />
sie nicht zuerst diese bearbeiten sollte.<br />
In Deutschland gab es den Beitrag von<br />
Hans Fassenberger, der festhielt, dass die<br />
Armutsprobleme eigentlich gelöst seien.<br />
Darum sei soziale Arbeit, auch psychosoziale<br />
Arbeit, nicht mehr auf ökonomische<br />
Probleme auszurichten.<br />
Die nach dem zweiten <strong>Welt</strong>krieg einsetzende<br />
Hochkonjunktur hatte die Version<br />
vom immerwährenden Aufschwung aufblühen<br />
lassen. Vor diesem Hintergrund<br />
entstanden 1960 die hoffnungsvollen<br />
großen Bürgerrechts- und Wohlfahrtsbewegungen<br />
und -programme in den USA,<br />
gesellschaftstheoretisch begründet durch<br />
die Theorie der fehlenden strukturellen<br />
Chancen von Clovard und Ohlin. Man<br />
nahm damals auch in der sozialen Arbeit<br />
Kenntnis von den sozialen Bewegungen<br />
in der Dritten <strong>Welt</strong> mit Bezug auf Paolo<br />
Freires – „Pädagogik der Unterdrückten“<br />
– und schließlich gab es die Studentenbewegung<br />
und Heimkampagne in Deutschland.<br />
Allerdings dominierte nicht die Verteilungs-<br />
sondern die ökonomisch-kapitalistisch<br />
determinierte Herrschafts- und<br />
Ausbeutungsthematik. Im Unterschied<br />
zur ersten Theoriephase entstanden all<br />
diese Beiträge in einer Zeit der Hochkonjunktur.<br />
Das jähe Ende dieser Bewegung in den<br />
USA wie in Europa zu Beginn der ersten<br />
Wirtschaftskrise ab 1980 ist bekannt. Im<br />
Schatten des Abschieds von Herrschafts–,<br />
Schichtungs- und Gerechtigkeitsfragen<br />
konnte sich ab etwa 1980 eine neue<br />
Leitidee – ohne große Parolen, fast<br />
unbemerkt – in der Ausbildung und Praxis<br />
sozialer Arbeit ausbreiten und festsetzen.<br />
Sie hat die soziale Arbeit auf kaum<br />
vorstellbare Art und Weise revolutioniert:<br />
Es ist die in fast alle gesellschaftspolitischen<br />
Bereiche importierte Idee der<br />
markt- und wettbewerbsorientierten,<br />
personenbezogenen Dienstleistung mit<br />
der Forderung nach Flexibilisierung von<br />
Bildungs-, Arbeits-, Rentenverhältnissen,<br />
von Gesetzesauslegungen und<br />
Vorschriften.<br />
Die Adressaten in der Sozialarbeit werden<br />
wieder neu als unwirtschaftlich definiert,<br />
weshalb sie so schnell wie möglich einem<br />
ausgetrockneten Arbeitsmarkt zugeführt<br />
werden sollen. Da dies wegen fehlender<br />
Stellen sowie der derzeitigen schwierigen<br />
Situation nicht gelingt und deshalb Sozialhilfe<br />
ansteht, kommt eine alte Denkfigur<br />
wieder zum Tragen: Wer Hilfe und<br />
Obhut benötigt, braucht keine Rechte<br />
bzw. Gerechtigkeit, sondern Kontrolle.<br />
Manche halten die großen Einkommensunterschiede<br />
zwischen Individuen und<br />
zwischen Ländern für notwendig und gerecht,<br />
da sie die Intelligenten und Tüchtigen<br />
belohnen und die Dummen und<br />
Leistungsscheuen bestrafen. Interessant ist<br />
in diesem Zusammenhang die Tatsache,<br />
dass in denjenigen Ländern, z. B. in den<br />
USA, in denen die Verteilungsfrage öffentlich-politisch<br />
gestellt werden darf und<br />
kann, sich sehr streitbare Gerechtigkeitsund<br />
Verteilungsdiskurse in die Organisationen<br />
verlagert haben. Dies hat zur Folge,<br />
dass diejenigen Menschen, die in keiner<br />
existenzsichernden Bildungs- oder Wirtschaftsorganisation<br />
Mitglied sind, so u. a.<br />
Schuldner, Lehrstellen- und Erwerbslose,<br />
Betagte, Kranke, Behinderte, SozialhilfeempfängerInnen<br />
und Papierlose, also die<br />
meisten AdressatInnen sozialer Arbeit, von<br />
diesem Diskurs und seinen Wirkungen<br />
ausgeschlossen sind.<br />
Was in letzter Zeit – aber ebenfalls kaum<br />
bemerkt – entstanden ist, sind dezidierte<br />
sozialpolitische Papiere der internationalen<br />
Professionsverbände, so z.B. das in<br />
Oslo verabschiedete Papier über Sozialarbeitsprinzipien<br />
von 1997. Dort heißt es u.<br />
a.:<br />
„Sozial Arbeitende sind den Prinzipen der<br />
sozialen Gerechtigkeit verpflichtet. Sozial<br />
Arbeitende haben die bestmögliche Unterstützung<br />
ohne Diskriminierung aufgrund<br />
der Basis des Geschlechts, des Alters, der
SOZIALES<br />
7<br />
Behinderung, der Rasse, Farbe, sozialer<br />
Klasse zu gewährleisten. Sozial Arbeitende<br />
müssen denjenigen, die an der Macht<br />
sind, sowie der Öffentlichkeit aufzeigen,<br />
welche Politiken, Regierungs- und Gesellschaftsaktivitäten<br />
strukturelle Benachteiligungen,<br />
soziale Härten schaffen oder<br />
dazu beitragen. Sozial Arbeitende haben<br />
die besondere Pflicht, jede Art von Diskriminierung<br />
in ihrer eigenen Praxis zu<br />
bekämpfen.“<br />
So haben wir zur Zeit innerhalb der Profession<br />
zwei Gerechtigkeitsvorstellungen<br />
mit Universalitäts- und sozialem Anspruch<br />
konkurrierend: nämlich Gerechtigkeit<br />
als quasi-natürliche Folge des Marktes<br />
und Gerechtigkeit als Frage nach fair<br />
auszuhandelnden Verteilungsprinzipien<br />
von Ressourcen zur Bedürfnisbefriedigung<br />
aller Menschen. Die erste Vorstellung ist<br />
allerdings mit ungleich mehr Definitionsmacht,<br />
ökonomischer Macht und Politischem<br />
ausgestattet als die zweite.<br />
2. Gerechtigkeit als realwissenschaftliches<br />
und sozialpolitisches<br />
Thema – ungelöste Probleme<br />
Unabhängig von theoretischen Moden<br />
lässt sich sagen, dass die soziale Arbeit empirisch<br />
weltweit mit Problemen der versagten<br />
Bedürfnisbefriedigung im Rahmen<br />
von ungleichen Ordnungen bezüglich des<br />
Zugangs zu Produktion und Verteilung<br />
von Ressourcen sowie versagter gesellschaftlicher<br />
Anerkennung zu tun hat.<br />
Die vertikalen strukturellen Ungleichordnungen<br />
gehen teilweise mit großen subkulturellen<br />
Unterschieden einher, die durch<br />
einzelne Individuen nur äußerst schwer zu<br />
verändern sind. Es gilt die These: Je größer<br />
das gesellschaftliche und organisatorische<br />
Machtgefälle und je aussichtsloser seine<br />
Veränderung in absehbarer Zeit, desto<br />
zahlreicher die subkulturelle Differenzierung.<br />
Mit der Strategie der Kulturalisierung<br />
struktureller Probleme wird versucht,<br />
neue, meist zugeschriebene, also nicht<br />
über Leistung realisierbare Kriterien bzw.<br />
Werte für die Erlangung gesellschaftlicher<br />
Anerkennung oder/und Erhaltung von<br />
Privilegien zu etablieren. Es wäre aufgrund<br />
dessen ethisch höchst problematisch, diese<br />
Subkulturen als Produkte und Form<br />
struktureller Ungleichheit und kulturell<br />
legitimierter Herrschaft im Rahmen einer<br />
Pluralismus- und Toleranzvorstellung unbesehen<br />
als gleichberechtigt anzuerkennen<br />
und zu legitimieren. Denn empirisch - so<br />
aufgrund ihrer psychischen, biologischen<br />
und sozialen Folgen für das Individuum<br />
– wie philosophisch und ethisch muss<br />
man solche Ungleichordnungen als Ungerechtigkeits-<br />
und Herrschaftsordnungen<br />
bezeichnen. Wenn dem so ist, geht es im<br />
Gerechtigkeitsdiskurs nicht um die Umverteilung<br />
oder Anerkennung, sondern<br />
um beides.<br />
In welchem Verhältnis stehen dabei jedoch<br />
normative Gerechtigkeitstheorien<br />
zu einer in letzter Zeit entstandenen realwissenschaftlichen<br />
Gerechtigkeitsvorstellung?<br />
Bis weit in die 1990er Jahre gab<br />
es kaum Kooperationen zwischen den<br />
VertreterInnen ethisch-/normativer und<br />
realwissenschaft-licher Gerechtigkeitsvorstellung.<br />
In der realwissenschaftlichen<br />
Gerechtigkeitsforschung gilt es als gerecht,<br />
was eine Person als Gerechtigkeit definiert.<br />
In der normativen Theorie muss sichergestellt<br />
sein, dass Urteile von einem unparteiischen<br />
Standpunkt aus unter Absehung<br />
von Partialinteressen einzelner Individuen<br />
oder sozialer Gruppen gefällt werden. Entsprechend<br />
waren die empirischen Befunde<br />
für viele Philosophen schlichtweg uninteressant.<br />
Und für die Sozialpsychologen<br />
waren die philosophischen Befunde meist<br />
Beispiele idealistischer Spekulation, In<br />
der Philosophie ist nach wie vor umstritten,<br />
ob bei der Begründung von Gerechtigkeitsideen<br />
überhaupt als empirische<br />
Forschungsergebnisse rekrutiert werden<br />
kann und soll. In der Sozialpsychologie<br />
wird wiederum stark bezweifelt, dass die<br />
von den Philosophen angedachten herrschaftsfreien,<br />
oft auf einen fiktiven Naturzustand<br />
oder Schleier des Nichtwissens<br />
zurückgreifenden Standpunkte überhaupt<br />
eine empirische Realisierungschance haben.<br />
Dazu kommt die beiderseitige Befürchtung<br />
zu schneller Rückschlüsse von<br />
Ist- auf Soll-Aussagen. Für eine qualifizierte<br />
Gerechtigkeitsdiskussion wäre m.<br />
E. von Folgendem auszugehen: Ohne<br />
empirische Analysen der realen, sozioökonomischen,<br />
weltgesellschaftlichen und<br />
nationalen Machtverhältnisse und ihrer<br />
Auswirkungen auf das Individuum, bei<br />
allen noch einleuchtenden ethnischen<br />
Letzt- und Vorletzt-Begründungen ohne<br />
Resonanz. Aber: die VertreterInnen der<br />
empirischen Gerechtigkeitsfrage müssen<br />
ihrerseits anerkennen, dass die subjektiven<br />
Gerechtigkeitsvorstellungen von Individuen<br />
und kleinen Gruppen keineswegs<br />
unbesehen als gerecht zu betrachten sind,<br />
wenn sie beispielsweise nur die eigene Familie,<br />
Gruppe, Schicht, soziale Kategorie,<br />
Managementklasse, Nation oder Ethnie<br />
in den Gerechtigkeitsdiskurs einbeziehen<br />
und bevorzugen.<br />
Zudem ist zu erkunden, ob es eine ungerechte<br />
Gleichheit oder umgekehrt eine gerechte<br />
Ungleichheit überhaupt gibt. Sind<br />
nicht gerade viele Gesellschaftsutopien<br />
an einem unqualifizierten Egalitarismus<br />
gescheitert, der zentrale Bedürfnisse nach<br />
Identität im Sinne von Unverwechselbarkeit,<br />
nach gesellschaftlicher Anerkennung<br />
von Leistungen oder beispielsweise nach<br />
Freiheit unberücksichtigt lässt? Gehen<br />
nicht auch viele sozialdemokratische Gerechtigkeitsvorstellungen<br />
von diesem unqualifizierten<br />
Egalitarismus aus? Welche<br />
Folgen für eine Theorie der Sozialarbeit<br />
ergeben sich, wenn man Bedürfnisse und<br />
Leistungen als reale Ausgangs- und Legitimationsbasis<br />
für Verteilungs- und damit<br />
Gerechtigkeitsfragen akzeptiert, sich aber<br />
nicht nur auf die so genannten, kaum<br />
umstrittenen Grundbedürfnisse nach<br />
Überleben, Gesundheit/Unversehrheit<br />
und mithin Existenzsicherung beschränkt,<br />
sondern auch diejenigen nach kognitiver<br />
Stimulation, bzw. nach Sinn, Leistung<br />
und relativer Autonomie, nach Liebe, sozialer<br />
Mitgliedschaft und sozialer Anerkennung<br />
mit einbezieht? Was unterscheidet<br />
ferner Bedürfnisse mit einem bestimmten<br />
Sättigungsgrad von Wünschen, die keine<br />
Begrenzung oder Stoppregel kennen und<br />
in kultureller Hinsicht so bearbeitet werden,<br />
dass sie ökonomisch maßlos ausbeutbar<br />
sind? Und was unterscheidet legitime<br />
von illegitimen Wünschen? Schließlich<br />
die Frage aller Fragen: Wer ist wem was<br />
schuldig? Es ist relativ leicht, von einem<br />
ethisch- moralischen Standpunkt aus Gerechtigkeitsforderungen<br />
zu erheben, doch<br />
wäre es die vordringliche Aufgabe einer<br />
Wissenschaft sozialer Arbeit, die Realbedingungen<br />
für deren Missachtung wie für<br />
deren Begründung, Durchsetzung oder<br />
freiwillige Einlösung zu erforschen.<br />
3. Was ist eine gerechte Gesellschaft<br />
– Ansatzpunkte für eine Gerechtigkeitskritik?<br />
Gerechtigkeitskritik ist aufgrund der vorherigen<br />
Ausführungen immer beides, empirische<br />
wie normative Gleichheits- und<br />
Ungleichheitskritik. Gerechtigkeitskritik<br />
hat sich dabei an der normativen Vorstellung<br />
einer gerechten Gesellschaft zu messen.<br />
So versuche ich denn, in Anlehnung<br />
an den Systemphilosophen und –theoretiker<br />
Mario Bunge eine gerechte Gesellschaft<br />
zu definieren, welche die Fragen der<br />
umfassenden Bedürfnisbefriedigung, der<br />
Belohnung von Leistungen, der Rücksichtnahme<br />
auf die Sorge um Abhängige<br />
einbezieht. Eine Gesellschaft ist damit intern<br />
gerecht, wenn jedes Mitglied:<br />
1. das Erforderliche erhält, um seine Bedürfnisse<br />
zu befriedigen,<br />
2. das, was er braucht, um seine legitimen<br />
Wünsche zu befriedigen, durch sozial<br />
wertvolle Arbeit (Leistungen) erwerben<br />
kann. In einer modernen Gesellschaft<br />
heißt dies, eine Arbeit zu haben,<br />
die so bezahlt wird, dass man davon<br />
bedürfnisgerecht leben kann. In anderen<br />
Gesellschaften muss dies ebenso<br />
aufgrund verschiedener Arbeits- und<br />
Belohnungsformen möglich sein, Ferner:<br />
Wenn jedes Mitglied<br />
3. seine Verpflichtungen gegenüber Familie,<br />
Abhängigen, Kindern, Kranken,<br />
Betagten, Behinderten am Arbeitsplatz<br />
und im sozialen Umfeld erfüllt, wobei<br />
diese Pflichten unter Erwachsenen<br />
aufgrund demokratisch ausgehandelter<br />
Vereinbarungen übernommen werden<br />
4. frei ist, seine legitimen Wünsche und<br />
Ansprüche zu befriedigen und jenen<br />
Neigungen nachzukommen, die nicht<br />
auf die Beeinträchtigung oder Ausbeutung<br />
anderer gerichtet sind. Und<br />
5. frei ist, die Detailaspekte von 1-4 in<br />
Verbindung mit anderen zu erarbeiten.<br />
Der Umverteilungsdiskurs bleibt allerdings<br />
solange ethnozentrisch, daher eine<br />
hermetisch geschlossene nationale Veranstaltung,<br />
bis nicht davon ausgegangen<br />
wird, dass eine Gesellschaft nur dann als<br />
gerecht bezeichnet werde kann, wenn sie<br />
intern und extern gerecht ist. Eine Gesellschaft<br />
ist extern dann gerecht, wenn<br />
sie nicht die Entwicklung anderer Gesellschaften<br />
beispielsweise durch Ausbeutung<br />
ihrer Ressourcen und Menschen oder<br />
durch unfaire Handlungsregeln be- oder<br />
verhindert.<br />
Zu kritisieren ist somit die Verweigerung<br />
lebensrettender oder existenzsichernder<br />
materieller Ressourcen gegenüber Menschen,<br />
und dies beginnt schon beim verdreckten<br />
Trinkwasser – um die materiellen<br />
Ressourcen der Reichen zu schützen. Hierbei<br />
werden die Existenzbedürfnisse von<br />
Menschen den Luxuspräferenzen anderer<br />
Menschen untergeordnet. Vom Skandal<br />
muss man dann sprechen, wenn individuelles<br />
und korporatives Eigentum und Bereicherung<br />
rechtsstaatlich geschützt und<br />
steuerpolitisch entlastet werden, hingegen<br />
jedoch die Existenzsicherung mittels Erwerbsarbeit<br />
nicht garantiert werden kann<br />
– also arbeitende Arme in Kauf genommen<br />
werden und die Sozialhilfe jederzeit politisch<br />
in Frage gestellt, abgebaut oder gar<br />
verweigert werden kann. In diesem Falle<br />
haben wir – im Gefolge des Gefälles zwischen<br />
einklagbaren Freiheits- und nicht<br />
justiziablen Sozialrechten im Rahmen der<br />
allgemeinen Menschenrechtserklärung -<br />
das Paradoxon verfassungsmäßig, gesetzlich<br />
geschützten Reichtums und zugleich<br />
der verfassungsmäßig nicht geschützten<br />
Subsitenz.<br />
4. Gerechtigkeit, Dialog und Macht –<br />
Das Einfache, das schwer zu machen<br />
ist<br />
Wie könnte sich nun aber ein Gerechtigkeitsdialog<br />
über eine gerechte Gesellschaftbeispielsweise<br />
über Policy- und Politikberatung<br />
nicht zuletzt durch VertreterInnen<br />
sozialer Arbeit entfalten? Ich folge hier in<br />
etwas abgewandelter Form dem interessanten<br />
Vorschlag von Herrn Shue (1998).<br />
H. Shue geht modellhaft von zwei Gesellschaften<br />
aus, doch ließe sich das Argument<br />
auf zwei Gruppen, Klassen, Kasten übertragen.<br />
Innerhalb dieser sozialen Gebilde<br />
gibt es Individuen, die nur oder kaum ihre<br />
unelastischen Grundbedürfnisse befriedigen<br />
können; unelastisch sind sie deshalb,<br />
weil ohne deren direkte Befriedigung<br />
psychische wie biologische Schädigungen<br />
eintreten oder der Organismus als Ganzes<br />
kollabiert. Es gibt nun in diesen sozialen<br />
Gebilden andere Individuen, die auch ihre<br />
weniger dringlichen psychischen und sozialkulturellen<br />
Bedürfnisse befriedigen, und<br />
wieder andere, die sich auch Wünsche<br />
nach Komfort und Kultur, sowie solche,<br />
die sich darüber hinaus jeden noch so extravaganten<br />
Wunsch nach Luxus leisten<br />
können. Gemäß H. Shue gibt es in dieser<br />
Konstellation von 16 möglichen Ressourcentransfers<br />
drei klar fordernde und drei<br />
zu verbietende sowie zehn erlaubte, auszuhandelnde<br />
Transfers. Transfers sind in demokratischen<br />
Gesellschaften Themen von<br />
Aushandlungs-, Dissenz- und Konsensbildungsprozessen,<br />
die, um gerecht zu sein,<br />
folgenden Leitlinien gehorchen müssen:<br />
- Die Einlösung der Grundbedürfnisse<br />
ist gegenüber allen anderen Transfers<br />
prioritär und darf nicht vom Marktund<br />
Leistungswert eines Menschen abhängig<br />
sein;<br />
- Transfers sind von privilegierten Gruppen<br />
oder Gesellschaften, die sich Komfort<br />
und Luxus leisten, wenn auch in<br />
abgestufter Folge, legitim und deshalb<br />
zu fordern;<br />
- Transfers sind von Gruppen, sozialen<br />
Kategorien oder Gesellschaften, die<br />
sich kaum die Befriedigung der Grundbedürfnisse<br />
sowie der psychischen sowie<br />
der sozialen Bedürfnisse leisten<br />
können, illegitim und deshalb zu verbieten;<br />
- bei Transfers zwischen anderen Gruppen<br />
und Gesellschaften ist man frei,<br />
das auszuhandeln und zu tun, was man<br />
je nach Interessenkonstellation für<br />
wünschenswert oder machbar hält.<br />
Wird das erste Prinzip missachtet, so sind<br />
bei den davon Betroffenen voraussehbare<br />
Reaktionen zu erwarten, so z. B. Resignation,<br />
politische Apathie, Auflösung<br />
von Partei- und Gewerkschaftsmitgliedschaften,<br />
Fremdenfeindlichkeit, Anfälligkeit<br />
für problematische Deutungsangebote<br />
ihrer Situation, Rassismus, Kleinkriminalität<br />
usw. Eine wichtige Frage wäre,<br />
ob auch reale, insbesondere wohlhabende,<br />
privilegierte Menschen - und nicht nur<br />
Menschen in einem fiktiv angenommenen<br />
Naturzustand – fähig zur Empathie, zu<br />
einem über Dialog und Aushandlung zu<br />
erwirkenden Perspektivenwechsel mit Not<br />
leidenden Menschen fähig sind. Viele Studien<br />
zeigen allerdings, dass der Glaube an<br />
eine gerechte, kontrollierbare <strong>Welt</strong> eine
8 SOZIALES<br />
mentale Ressource für diejenigen darstellt,<br />
die eine gute oder bessere gesellschaftliche<br />
Position haben oder anstreben. Unschuldige<br />
Opfer von Benachteiligungen bedrohen<br />
diesen Glauben. Man kann ihn nur<br />
dann beibehalten, wenn man die Opfer<br />
für ihre elendige Situation verantwortlich<br />
macht. Stoßen wir hier eventuell an die<br />
Grenzen des Dialogs über fairen Ausgleich?<br />
Beginnt hier ein anderes Thema, nämlich<br />
das der legitimen Erzwingung von Transferleistung<br />
über Sozialbewegungen oder<br />
den Staat und damit das Thema von legitimer<br />
Begrenzungsmacht – auch in einer<br />
Demokratie, die bereits A. Salomon formulierte,<br />
als sie forderte, dass die Starken<br />
am Missbrauch ihrer Macht gehindert und<br />
die Schwachen durch das Gesetz geschützt<br />
werden sollten?<br />
Was wir von früheren TheoretikerInnen<br />
lernen können, die ihre Vorstellungen im<br />
Rahmen einer vergleichsweise erheblich<br />
schwierigeren Wirtschaftskrisensituation<br />
einbrachten: <strong>Soziale</strong> Gerechtigkeit ist<br />
keine Schönwetterveranstaltung, die abgebrochen<br />
werden kann, wenn die meteorologischen<br />
Dienste der Wirtschaft eine<br />
Verschlechterung der Großwetterlage prophezeien<br />
oder anzeigen.<br />
Gerechtigkeit, aber vor allen Dingen<br />
Existenzsicherung, ist nicht das Almosen<br />
einer gnädigen Wirtschaft oder Politik, das<br />
dann ausbleiben kann, wenn die Hochkonjunktur<br />
ausbleibt. Dies umso weniger,<br />
als es sich heute über den Umweg der<br />
EU-, WTO- und GATT-Abkommen um<br />
politisch gewollte Knappheit der Staatskosten<br />
handelt. Es gäbe Geldquellen, welche<br />
diese Knappheit verringern können. Die<br />
eine ist die als Tobin-Steuer bekannt gewordene<br />
Besteuerung der transnationalen<br />
spekulativen Finanzgeschäfte, wie dies die<br />
Attac-Bewegung seit ihrer Entstehung fordert.<br />
Denn bereits eine Steuer von 0,25 %<br />
würde für die weltweite Behebung von<br />
Armut, Krankheit, Analphabetismus, Erwerbslosigkeit<br />
ausreichen und 1 % - so die<br />
Annahme – könnte eine weltweite Grundversorgung<br />
sicherstellen. L.I. da Silva, der<br />
brasilianische Staatspräsident, hat sich am<br />
Evian-G8-Gipfel von 2003 für eine weltweite<br />
Steuer auf den Handel mit Waffen<br />
stark gemacht, um damit einen Fond für<br />
unsere Hungerhilfe und Schuldenreduktion<br />
zu finanzieren.<br />
Zentral bei diesen und folgenden Vorschlägen<br />
müsste sein, dass man sich vom<br />
Denkkonzept der Geldknappheit befreit,<br />
was aber nur dann gelingt, wenn man über<br />
den nationalen Tellerrand blickt und die<br />
Gerechtigkeitsfrage nicht mehr mit der<br />
Frage des nationalen Bruttosozialprodukts<br />
und Erwerbseinkommens verknüpft. Auch<br />
deswegen ist zu hoffen, dass sich auch die<br />
soziale Arbeit bald einmal aus dem Denkkonzept<br />
des Managerianism befreit und<br />
theoretisch wie praktisch zu der im Jahre<br />
2000 international ratifizierten Definition<br />
sozialer Arbeit findet: „Sozialarbeit ist eine<br />
Profession, die sozialen Wandel, Problemlösungen<br />
in menschlichen Beziehungen<br />
sowie der Ermächtigung und Befreiung<br />
von Menschen befördert, um ihr Wohlbefinden<br />
zu verbessern. Indem sie sich<br />
auf Theorien menschlichen Verhaltens<br />
und sozialer Systeme auf Erklärungsbasen<br />
stützt, interveniert soziale Arbeit im<br />
Schnittpunkt zwischen Individuum und<br />
Umwelt und Gesellschaft. Dabei sind die<br />
Prinzipien der Menschenrechte und der<br />
sozialen Gerechtigkeit für die soziale Arbeit<br />
von fundamentaler Bedeutung.“<br />
Die Redaktion meint:<br />
Es ist leider eine Tatsache, dass gerade<br />
im sozialen Feld vieles nur in ganz umschränkten<br />
Fachkreisen diskutiert wird<br />
und damit außerhalb der Öffentlichkeit<br />
stattfindet. Das heißt nun gerade nicht,<br />
dass diese Diskussionen ohne Bedeutung<br />
sind für den Normalbürger, denn die im<br />
Fachkreis diskutierten Themen werden<br />
über kurz oder lang zu Themen der allgemeinen<br />
politischen Auseinandersetzung<br />
– und dort sehr oft bis zum Schlagwort<br />
herabgewürdigt.<br />
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, von Fall<br />
zu Fall bestimmte Themen, die uns wichtig<br />
erscheinen, an unsere Leser zu tragen.<br />
Das bedeutet nicht, dass wir notwendigerweise<br />
die Meinung der Autoren teilen<br />
oder dass wir uns in der Lage sehen, eine<br />
abschließende Darstellung zu diesem Thema<br />
auch nur zu versuchen.<br />
In diesem Heft wird das Thema der Gerechtigkeit<br />
im staatlichen Handeln und<br />
Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung<br />
entnommen aus dem Buch von<br />
Werner Thole, Peter Cloos, Friedrich Ortmann<br />
und Volkhardt Strutwolf: <strong>Soziale</strong><br />
Arbeit im öffentlichen Raum – <strong>Soziale</strong> Gerechtigkeit<br />
in der Gestaltung des <strong>Soziale</strong>n,<br />
erschienen im VS Verlag für Sozialwissenschaft,<br />
GWV Fachverlage, Abraham-Lincoln-Strasse<br />
46, 65189 Wiesbaden.<br />
Gerechtigkeit<br />
– wer soll für den<br />
Wiederaufbau von New<br />
Orleans zahlen?<br />
Big Easy oder Big Squeezy? Darüber<br />
sprach INSP-Mitgliedszeitschrift Real<br />
Change, Seattle, mit Barbara Major,<br />
Gemeindeaktivistin umd Mitvorsitzende<br />
des Bring New Orleans Back<br />
Commission, die Bürgermeister C. Ray<br />
Nagin einberufen hat.<br />
Real Change: Was war das Endresultat dieser<br />
Kommission?<br />
Barbara Major: Ein Report mit<br />
Empfehlungen für den Bürgermeister.<br />
Einige hat er übernommen, andere nicht.<br />
RC: Haben die Geschäftsinteressen in der<br />
Kommission einen unterschiedlichen Weg<br />
versucht?<br />
Barbara Major: Nicht mehr als vor dem<br />
Orkan Katrina. Die Geschäftsinteressen<br />
promoten ihren Weg. Die weiße<br />
Gesellschaft auch, genauso wie immer.<br />
Wenn ich gedacht hätte, dass sie auf<br />
einmal auf dem richtigen Weg sind, hätte<br />
ich in der Kommission gar nicht erst<br />
mitgearbeitet.<br />
RC: Wie ist die Lage in New Orleans und<br />
bei der Stadtverwaltung?<br />
Barbara Major: Grundlegend ist die Stadt<br />
pleite und die meisten Stadtbediensteten<br />
sind weg. Es gibt noch ein paar, die mit den<br />
Resten arbeiten. Auch sie sind obdachlos.<br />
Die Arbeitsbedingungen sind noch die<br />
gleichen wie kurz nach Katrina. Es ist<br />
zwischen Staaten angesprochen. Das ist<br />
in der Geschichte der Diskussion über<br />
staatliches und soziales Handeln relativ<br />
neu. Man darf nicht vergessen, dass zu<br />
dem Zeitpunkt, als die Verfassungen der<br />
demokratischen Länder geschrieben wurden,<br />
ganz andere Gesichtspunkte Vorrang<br />
hatten. Das gilt nicht nur für England,<br />
das noch immer ohne geschriebene Verfassung<br />
auskommt. Das gilt auch für die<br />
USA, wo die Männer um Franklin, Hamilton<br />
und Jefferson die Souveränität der<br />
(bewaffneten) Bürger gegen ein Fremdregime<br />
thematisierten. Das gilt ebenso für<br />
Frankreich, das zwar Gleichheit und Brüderlichkeit<br />
in seine Verfassung aufgenommen<br />
hatte, aber ein Staat blieb, „in dem<br />
es Arm und Reich gleichermaßen erlaubt<br />
ist, unter den Brücken zu schlafen“. Für<br />
die bundesdeutsche Verfassung gilt es allemal<br />
– man war zu sehr damit beschäftigt,<br />
Vorkehrungen gegen ein erneutes Verfassungsdebakel<br />
zu treffen. Die Reihe lässt<br />
sich beliebig fortsetzen.<br />
unglaublich, was die Leute von Außen von<br />
New Orleans erwarten. Wenn jemand sagt:<br />
Warum habt ihr das noch nicht erledigt<br />
möchte ich ihnen am liebsten sagen, dass<br />
sie sich selbst ficken sollen.<br />
RC: Wer kontrolliert den Wiederaufbauprozess?<br />
Barbara Major: Es gibt keinen. Es ist<br />
kein Geld da. Es wurde etwas Müll<br />
weggeräumt, aber es gibt keinen<br />
wirklichen Wiederaufbau. Die Mittel<br />
dafür sind auf U.S. Government Ebene<br />
oder Bundesstaatsebene eingefroren.<br />
RC: Was ist die größte Hürde, die Farbige in<br />
New Orleans überwinden müssen?<br />
Barbara Major: Das ist die Sicherung von<br />
Land, damit Leute dort Zugang haben,<br />
damit das Geld für den Wiederaufbau<br />
ausgegeben wird und dass Leute nicht<br />
einfach nur angeheuert werden, sondern<br />
die am Aufbau beteiligten Unternehmen<br />
besitzen. Die Mittel müssen daraufhin<br />
kontrolliert werden.<br />
RC: Was unternehmen Sie, damit die Armen<br />
nicht beim Wiederaufbau vergessen werden?<br />
Barbara Major: Ich bin nicht Gott. Ich<br />
habe mich mit den wirtschaftlichen<br />
Gegebenheiten auseinanderzusetzen.<br />
Teil davon ist, dass wir einen Land Trust<br />
bilden, dass wir Boden sichern, dass<br />
wir einen Weg für die Entwicklung der<br />
Afroamerikanischen Gesellschaft schaffen.<br />
Ein solcher Land Trust würde sicherstellen,<br />
dass das Land nie für andere Zwecke als<br />
Unterkünfte der unteren und mittleren<br />
Preisklasse verwendet werden.<br />
RC: Afroamerikaner haben praktisch die<br />
Kultur von New Orleans geschaffen. Haben<br />
sie Sorge, dass die Leute, die die Kultur<br />
aufgebaut haben, nicht mehr Teil davon<br />
sind?<br />
Barbara Major: Wir alle sind besorgt.<br />
Einige Leute wollen hier sein, einige dieser<br />
Musikanten. Ich will diese Kultur auch,<br />
aber ich will keine Kultur der Armut.<br />
Ich will eine gesündere Gesellschaft,<br />
aber New Orleans ist nicht mehr New<br />
Orleans, wenn diese Leute nicht Teil des<br />
Es ist an der Zeit, sich in noch immer recht<br />
gesicherten Verhältnissen, die im schreienden<br />
Gegensatz zu dem stehen, was in<br />
anderen Ländern passiert, mit dem Thema<br />
der Gerechtigkeit sozialen Handelns neu<br />
auseinander zu setzen. Was aus der Diskussion<br />
werden kann, können wir noch<br />
nicht wissen. Es ist jetzt schon sicher, dass<br />
unter Berufung auf ein wichtiges Ziel Beiträge<br />
jeder Qualität erfolgen werden, nicht<br />
wenige als kaum verhohlener Versuch, sich<br />
unter Berufung auf vorgeblich wissenschaftliche<br />
Erkenntnisse Entscheidungsprivilegien<br />
zu verschaffen, die auf dem beruhen,<br />
was zu Recht als Herrschaftswissen<br />
verdammt wird und nicht den Schatten<br />
einer demokratischen Legitimation haben<br />
kann.<br />
Die öffentliche, intensiv geführte Diskussion<br />
ist der einzige Weg, der irgendwohin<br />
führen kann. Es ist an der Zeit, diesen Dialog<br />
zu beginnen.<br />
Rüdiger Stubenrecht<br />
Wiederaufbauprozesses sind und ihn<br />
anleiten können. Glauben die wirklich,<br />
dass es Wiederaufbau ohne uns geben<br />
kann? Die werden nicht mal Scheiße<br />
kriegen.<br />
RC: Wohin können evakuierte Leute<br />
zurückkehren? Gibt es einen Plan?<br />
Barbara Major: Ich habe keine Idee. Im<br />
Augenblick gibt es keinen Platz zum<br />
Zurückkehren und keinen Platz zum<br />
Leben. Die meisten waren Mieter, und<br />
der Vermieter wird sie nicht wieder<br />
aufnehmen, wenn er die Miete nicht<br />
aufbessern kann. Also was? Wir hatten<br />
vorher keine Mietkontrolle. Viele Leute<br />
wollen zurückkommen, aber das muss Teil<br />
eines Gemeinsaftsprozesses sein.<br />
RC: Haben Sie Informationen über<br />
Diskriminierung gegen evakuierte Arme?<br />
Barbara Major: Absolut. Es gibt eine Menge<br />
Spannung, weil niemand die Verhältnisse<br />
verbessert hat. Die evakuierten Armen<br />
landeten in überbelasteten Gemeinden<br />
mit beschränkten Mittel. Die Regierung<br />
war nicht bereit, irgendwelche Mittel in<br />
diese Gemeinden zu leiten.<br />
RC: Was glauben Sie, wird in Zukunft<br />
geschehen?<br />
Barbara Major: Es werden einige Mittel<br />
freigegeben, und es wird einen Haufen<br />
politischer Auseinandersetzungen<br />
geben, wer diese Mittel kontrolliert.<br />
Wenn wird Glück haben, können wir<br />
eine Gefechtslinie bilden und genauso<br />
weiterkämpfen, wie wir das immer getan<br />
haben. Es ist ein Kampf um den Schutz<br />
der Bürger der Stadt, wo immer sie sich<br />
noch aufhalten. Ich weiß auch, dass wir<br />
nicht jedes Gefecht gewinnen werden.<br />
RC: Und wenn wieder ein Hurrikan<br />
kommt?<br />
Barbara Major: Wenn noch ein Sturm der<br />
Kategorie Fünf meine Stadt trifft, mit der<br />
Windgeschwindigkeit von Katrina, wird<br />
sich meine Stadt für die nächsten 50 bis<br />
100 Jahre nicht mehr erholen. Viele Leute<br />
werden dann nie wieder zurückkehren.
Die CD des Monats<br />
Aus Kenia:<br />
Ausnahmeband Bana Kadori<br />
Das ostafrikanische Orchester Bana Kadori<br />
gilt unter Kennern als eine der gegenwärtig<br />
besten Bands in Kenia. Ihre 2002<br />
veröffentlichte erste CD „Inter Cooler“<br />
(EHS 2202), die sie nach zahlreichen Kassettenveröffentlichungen<br />
aufgenommen<br />
haben, vermittelt einen tollen Eindruck,<br />
warum diese Einschätzung gerechtfertigt<br />
ist. Scheinbar erst jetzt, fast drei Jahrzehnte<br />
nach ihrer Gründung, steuert die Band ihrem<br />
musikalischen Höhepunkt entgegen.<br />
Auch die kürzlich erschienene neue CD<br />
„Piny Oketor“ bestätigt diesen Eindruck.<br />
Glänzende Kompositionen, überzeugende<br />
Instumental- und Gesangsarragements,<br />
virtuoses Gitarrenspiel und ausdruckstarke<br />
Liedtexte zeichnen die Musik<br />
von Bana Kadori aus. In Kenia feierten Sie<br />
in den letzten Jahren mit Titeln wie z. B.<br />
„Consola Ta“, „Nairobi“ und „Inter Cooler“<br />
große Erfolge.<br />
Das Risiko ohne Halt abzustürzen, ist gestiegen,<br />
auch für Leute, die es sich für ihr<br />
Leben nie gedacht hätten. Nach einem<br />
Jahr Arbeitslosigkeit nur noch ALG II<br />
(umgangssprachlich: Hartz IV) bedeutet<br />
Armut und Stress, denn es bedarf großer<br />
Anstrengungen, die notwendigsten<br />
Grundbedürfnisse zu befriedigen. In den<br />
Haushalten, die unter der Armutsgrenze<br />
leben, muss das vorhandene Einkommen<br />
für das Notwendigste ausgegeben werden:<br />
Ernährung, Kleidung, Heizung. Für<br />
Sozialkontakte, Bildung, gar eine Theater-<br />
oder Konzertkarte bleibt da nichts<br />
mehr übrig.<br />
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein,<br />
sondern auch von Freundschaft, guten<br />
Beziehungen, tiefen Erfahrungen. Dazu<br />
gehören auch Kunst und Kultur. Alles,<br />
was Menschen, die am unteren Limit<br />
leben, unterstützt und stärkt, ist wichtig.<br />
Kunst ist ein soziales Grundbedürfnis.<br />
Was für einen Grund gibt es, es jemandem<br />
zu verwehren?<br />
Derzeit wird aus öffentlichen Haushalten<br />
der Besuch von Kulturveranstaltungen<br />
dadurch gesponsort, dass Theater, Oper,<br />
Museen usw. einen nicht unerheblichen<br />
Zuschuss erhalten. Damit wird der Besuch<br />
dieser Veranstaltungen für diejenigen, die<br />
es sich leisten können, entsprechende<br />
Eintrittskarten zu kaufen, indirekt um<br />
erhebliche Beträge gefördert. Das heißt<br />
also, dass diejenigen, die sich Kultur<br />
finanziell leisten könnten, auch noch dafür<br />
zusätzlich einen Zuschuss bekommen,<br />
der ihnen zwar nicht direkt, aber durch<br />
Bezahlung des Baus und Unterhalts<br />
von Häusern und den Gehältern für<br />
Kulturschaffende gezahlt wird.<br />
Damit wir nicht missverstanden werden,<br />
jedem sei diese Form öffentlichen<br />
Kultursponsorings gegönnt. Problem<br />
aber ist und bleibt, dass derjenige, der<br />
sich erst gar keine Karte leisten kann,<br />
von diesem Zuschuss ausgeschlossen ist.<br />
KULTUR<br />
Bana Kadori verbindet die populärste afrikanische<br />
Tanzmusik Benga mit kongolesischer<br />
Rumba.<br />
Gegründet wurde Bana Kadori bereits<br />
1978 von O. Kabasella, einem in Ostafrika<br />
und insbesondere in Kania sehr bekannten<br />
Komponisten und Musiker. Die<br />
Band war quasi ein Familienunternehmen,<br />
bestand aus Ochienga und vier seiner Brüder,<br />
Ogolli und Onyango, Omondi und<br />
Ondindo Kadori. Sie stammen aus einer<br />
angesehenen Luo-Musikerfamilie, alle<br />
sind sie Söhne der bekannten Musikerin<br />
Dorkas Siwalo, genannt Dori. So entstand<br />
der Name der Gruppe Bana Kadori, was<br />
soviel heißt wie die Kinder von Dori. Die<br />
tragenden Säulen von Bana Kadori heute<br />
sind die drei Brüder Josef Onyango, Philemon<br />
Omondi und Baratek Odinando.<br />
Ochienga Kabasellas offizielle Band in<br />
den 70er und 80er Jahren war die Luna<br />
Hunger auf Kunst und Kultur<br />
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein<br />
Warum schließt man Menschen, denen<br />
diese öffentlichen Kulturangebote (Oper,<br />
Theater, Museen usw.) eigentlich gehören<br />
und die jahrelang dafür Steuergelder<br />
bezahlt haben, aus diesen Einrichtungen<br />
aus, nur weil sie länger arbeitslos sind oder<br />
es ihnen momentan aus anderen Gründen<br />
finanziell schlecht geht?<br />
Kunst und Kultur für alle anzubieten, ist<br />
Aufgabe der öffentlichen Kulturangebote,<br />
und nicht nur für diejenigen, die es sich<br />
gerade leisten können. Diese Einsicht hat<br />
sich bei Künstlern in anderen Städten<br />
schon durchgesetzt, z. B. in Österreich<br />
und der Schweiz, wo es städtische oder regionale<br />
Kulturpässe gibt, die von Sozialinstitutionen<br />
nach Beurteilung der finanziellen<br />
Situation der Antragsteller ausgegeben<br />
werden. Gleichzeitig engagieren sich<br />
die Kultureinrichtungen, um Sponsoren<br />
aufzutreiben, die die Gratiskarten finanzieren<br />
oder die vom entsprechenden Kulturressort<br />
finanziert werden.<br />
In Frankfurt könnte man die Institution<br />
„Frankfurtpass“ nutzen, um für Bedürftige<br />
die Voraussetzungen zu schaffen, in den<br />
Genuss der Freikarten zu entsprechenden<br />
Veranstaltungen zu kommen. Gleichzeitig<br />
könnten neben den öffentlichen<br />
Kulturträgern auch private Kulturträger<br />
entsprechende freiwillige Angebote<br />
machen.<br />
Kidi Band, die bei Polygram unter Vertrag<br />
stand. Bana Kadori wurde als Studioband<br />
gegründet, damit Kabaselleh auch<br />
ohne Zustimmung von Polygram Musik<br />
aufnehmen konnte. Auf vielen seiner Aufnahmen<br />
aus dieser Zeit sind deshalb die<br />
Musiker von Bana Kadori zu hören.<br />
Die Musik der Band baut auf dem Vermächtnis<br />
des 1968 verstorbenen Oching<br />
Kabaselleh auf. „Kabasellehs music was<br />
always a bit different, an interesting mixture<br />
of Loubenga, Swahili rumba, and<br />
Conoglese influences“, schreibt die Rough<br />
Guide. Bana Kadori zeigt allerdings in<br />
überzeugender Weise, dass sie in der Lage<br />
sind, diese musikalischen Quellen in neuer<br />
Weise zu bearbeiten und in ihnen ihren<br />
eigenen Stil einfließen zu lassen. Ogondo<br />
beschreibt so: „The slow rumba rhythms<br />
progress into high energy Benga beat.”<br />
Der Kauf einer oder der beiden CDs wird<br />
empfohlen.<br />
Reinhold Urbas<br />
Auch in anderen Städten in Deutschland<br />
laufen entsprechende Aktivitäten. So<br />
hat beispielsweise die CDU-Fraktion<br />
im Abgeordnetenhaus Berlin einen<br />
entsprechenden Antrag im Jahr 2005<br />
gestellt. Dort heißt es unter anderem, arm<br />
sei vor allem, wer am Alltagsleben nicht<br />
teilnehmen kann. Armut bedeute auch<br />
einen Verlust an Freiheit. Deshalb müsse<br />
die Darstellende und Bildende Kunst,<br />
Film und Musik auch für die, die es sich<br />
nicht leisten können, geöffnet werden.<br />
Die Parteien im Römer sind aufgefordert,<br />
dieses Bürgerprojekt zu initiieren und<br />
auf dem Weg zu unterstützen, damit<br />
bedürftigen Frankfurterinnen und<br />
Frankfurtern ein kostenloser Besuch von<br />
Kulturveranstaltungen ermöglicht wird.<br />
Bericht: Hans-Peter Janzen<br />
9<br />
Es geht jo<br />
eischentlisch kaan<br />
wos an…<br />
awwer misch haddes erwischt gehabbt: die<br />
jahreszeitlisch bedingde Gripp hadd misch<br />
off des Schmerzenslaacher geworfe. Wie<br />
des immer so is, gehts dene richtisch mies,<br />
wo eischentlich gor net krank sinn. Un mir<br />
Menner sin alsford wehleidisch un wolle in<br />
unserm Schmerz getreest wern, wann uns<br />
was fehle dhut.<br />
Unn so laach isch in meim Bett unn wor<br />
dagsiwwer ausser Gefecht. Zwor, mei Sieße<br />
hatt mich versorscht gehabbt mit zwaa<br />
Flasche Wasser, zwaa große Thermoskanne<br />
mit wos Haaßem, e bische wos zum<br />
Knabbern um Daschetiecher reischlich. So<br />
kann mer es eischentlich aushalde, bis es<br />
am Owwend was zu beisse gibt. Awwer do<br />
is noch des Problem mit de Unnerhaltung.<br />
Wann isch die Gripp habb, fehlt mer nun<br />
emal die Kopp for e Buch un isch mecht<br />
was flickern sehe am Telewischen.<br />
Un da hammer des Problem. Weil, bei<br />
uns im Schloofzimmer gibbts bleeslich en<br />
ganz alde Fernseh, den wo mer schon lang<br />
pangsioniert hawwe unn wo eigentlich nor<br />
im eißerste Notfall benutzt wird wie bei e<br />
Fußball-<strong>Welt</strong>meisterschaft in Korea, wos<br />
schun de neechste Tag is, wann mir grad<br />
ganz fest schlafe. E Fernbedienung hadd<br />
des Teil schun lang net mehr. Iblischerweis<br />
mechst des jo nix, weil mer is schnell außem<br />
Bett gehibbt unn hadd de Kanal umgestellt.<br />
Nor, wann isch aufem Ricke lisch<br />
un huust uns schnust, geht des net.<br />
Un so krischt mehr des volle Programm<br />
ab von dem Bleedsinn, wo mir auch noch<br />
reischlisch Gebührn for zahle. Heer, des<br />
fällt ein jo gor nett uff, wannsde am Dag<br />
unnerwegs bist beim Schaffe. Im ARD<br />
vier Telenovelas – des is de brasilianische<br />
Ausdruck for unerträschlisch breitgewalzte<br />
Bleedsinn - , im ZDF zwaa. Iwwerall<br />
Doku-Soaps; frieher hätte mer dodezu<br />
gesacht: ganz billisch runnergekurbelter<br />
Schaaßdreck wo niemand interessiert. Im<br />
de Private bleeslich Richter-Ufftritte mit<br />
zurecht gemachte Pseudokriminelle, vorgeblische<br />
Rischter wo so dumm sin wie<br />
Saubohnestroh unn em Umgangston wie<br />
beim Roland Freisler. Die Programmchefs<br />
geheern all in die Klappsmiehl.<br />
Un de Rest von de 30 oder mehr Kaneel,<br />
wo mer hawwe? Iwwerall nor amerikanische<br />
Serien vun ganz frieher. Des Zeusch<br />
misse die unnernanner austausche, damit<br />
ja keiner dem entrinne kann. Leit, wann<br />
isch Dallas abstell, do sehn isch misch<br />
noch Rin-Tin-Tin; ja, des is aach emol<br />
im Fernseh gelaafe, wo err noch Schwarz-<br />
Weiss wor. Des Hundche hadd jeddenfalls<br />
e üwwerzeuchender Mienespiel gehabt als<br />
Michael Landon in Unsere Kleine Farm.<br />
Zum gude End habb isch mei Sieße gebede,<br />
dess se mir für de Rest von meiner<br />
Krenk en Noochrichtesender aastellt. Soweil<br />
is es gekomme: sogor des Dummgebabbel<br />
vun unsere Polidiker is kurzweilischer<br />
als des normale Programm.<br />
Maant im Zorn Ihne Ihrn<br />
Riewwedippel
10 SOZIALES<br />
Obdachlos -<br />
Geschichten von Außenseitern in Selbstaussagen<br />
Alle Erlöse aus der „<strong>Soziale</strong>n <strong>Welt</strong>“<br />
fließen Obdachlosen zu, entweder<br />
direkt in Form des Verkaufsanteils an<br />
die Verkäufer oder indirekt zum Jahresabschluss,<br />
wo der Gewinn an Obdachlosenprojekte<br />
verteilt wird. Aber<br />
wer ist diese Klientel eigentlich? Hier<br />
eine Lebensgeschichte:<br />
„Geboren bin ich am 09. Dezember 52<br />
in T. Mein alter Herr war Notar, meine<br />
Mutter war Hausfrau, außerdem habe ich<br />
noch fünf Geschwister, die auch irgendwo<br />
in Bayern rumturteln. Ich war der fünfte,<br />
erst zwei Schwestern, dann zwei Brüder,<br />
dann ich – der Schönste – dann noch eine<br />
Schwester. Über die Kindheit – Was soll<br />
man sagen?<br />
Mein Vater war ein bisschen verrückt, ein<br />
bisschen pedantisch, ein bisschen fanatisch,<br />
- er war ziemlich schwer religiös,<br />
evangelisch – und außerdem äußerst jähzornig.<br />
Das ist eigentlich schon die ganze<br />
Kindheit. Er hat uns eigentlich fast jeden<br />
Tag verprügelt. Alle miteinander. Gründe<br />
hat er immer gefunden. Na ja, ein Traum<br />
von meinem Vater war halt vor allen Dingen,<br />
dass alle von seinen Kindern entweder<br />
Juristen oder Pfarrer werden. Daraufhin<br />
hat er uns auch erzogen, oder er hat es<br />
wenigstens versucht.<br />
Ist natürlich nichts daraus geworden. Bei<br />
keinem. Ja, die ersten zwei sind nach dem<br />
vierten Schuljahr rausgekommen, sind<br />
aufs Nonneninternat gekommen, die zwei<br />
älteren Schwestern, also Internat, Oberschule,<br />
bis sie Abitur machen. Meine<br />
zweite Schwester hat es auch geschafft, sie<br />
ist dann Lehrerin geworden. Ja und mein<br />
zweitältester Bruder, der ist da auch auf<br />
so ein Internat gekommen, der ist durchgekommen<br />
und ist Lehrer geworden.<br />
Der älteste Bruder, der war ein bisschen<br />
zu dumm – dem wollte er es zwar auch<br />
reinprügeln, aber da hat er es nicht ganz<br />
geschafft, der hat einfach die Schule nicht<br />
gepackt. Na, und bei mir war es auch so<br />
ähnlich. Mich hat er auch …., bloß habe<br />
ich dann die Scheiße gebaut, wie wir dann<br />
nach M. gezogen sind, da dort eben ein<br />
Gymnasium war. Das war echt Scheiße,<br />
ich wollte, ehrlich gesagt, nie aufs Gymnasium,<br />
von vorneherein nicht. Na ja, da<br />
habe ich dann in der vierten oder fünften<br />
Klasse der Volksschule versucht, dass da so<br />
hinzudeichseln, da habe ich in der Schule<br />
praktisch überhaupt nichts gemacht. Da<br />
hat er mich bald erschlagen, so nebenbei.<br />
Im sechsten Schuljahr wollte ich dann auf<br />
die Mittelschule nach H., damit ich von<br />
Zuhause weggekommen wäre. Ich wollte<br />
eigentlich schon immer Förster werden,<br />
ich weiß, ich bin auch mehr so ein Eigenbrötlertyp.<br />
Das hätte mir halt so gefallen,<br />
das wollte ich schon immer. Solange ich<br />
denken kann, wollte ich Förster werden.<br />
Na, ist dann nichts draus geworden.<br />
Auf jeden Fall habe ich dann die sechste<br />
Klasse mit Bravour geschafft, war sogar<br />
der Beste, in der Volksschule. Und dann<br />
hat er es halt geschafft, der Alte, dass er<br />
bei uns auf dem Gymnasium den Direktor<br />
rumgekriegt hat, dass ich dann doch auch<br />
auf das Scheißgymnasium gekommen bin.<br />
Das weiß ich noch wie heute. Da hat er<br />
mich am Morgen, ganz freudestrahlend,<br />
wie er dann mein Zeugnis gesehen hat,<br />
hat er mich rausgepiekt und dann musste<br />
ich dann noch die ganzen Ferien für die<br />
Scheißprüfungen lernen. Na, da hab ich<br />
die ganze Packung gemacht.<br />
Die Oberschule habe ich natürlich nicht<br />
geschafft, echt keinen Bock gehabt. Die<br />
ersten drei Jahre ging es noch einigermaßen,<br />
da bin ich irgendwie durchgeturnt.<br />
Dann bin ich das erste mal sitzen geblieben,<br />
da ist er schon durchgedreht und hat<br />
meine Erziehung und Lehre in die Hände<br />
genommen. Der Vater hat schon vorher<br />
immer den Spinner gehabt, dass seine Kinder<br />
um vier zuhause sein mussten, dann<br />
hat er zwei, drei Stunden aus der Bibel was<br />
vorgebetet, die Kommentare auch dazu,<br />
jeden Tag, und wir mussten außen rum<br />
sein. Knüppelhart, ja nicht mucksen.<br />
Auf jeden Fall hat er es dann soweit geschafft,<br />
dass ich mit 16 zum ersten Mal<br />
abgehauen bin, da haben mich die Bullen<br />
zurückgebracht, gleich am anderen Tag.<br />
Bald wieder abgehauen, da bin ich nach<br />
einer Woche selbst wieder zurück, weil ich<br />
verhungert – halb, und so eine Scheiße.<br />
Na, da war ich wieder zu Hause, und da<br />
hat er anscheinend gemerkt, dass doch irgendwas<br />
mit mir nicht stimmt.<br />
Na, und da bin ich für drei Jahre in psychiatrische<br />
Behandlung gekommen.<br />
Er hat es immer irgendwie hingedeichselt.<br />
Das waren dann pubertäre Störungen,<br />
Verhaltensschäden und was weiß ich nicht<br />
alles. Da war ich dann jede Woche zweimal<br />
beim Erziehungsberater in der Psychiatrie<br />
in H. Dieser Psychiater hat dann gebracht,<br />
dass ich aus dieser Scheißoberschule herausgekommen<br />
bin. Drei Jahre gelernt,<br />
Großhandelskaufmann, dann habe ich<br />
noch ein Jahr in der Firma gearbeitet,<br />
in der Auftragsabteilung. Erkundigungen<br />
über Kunden einziehen und so eine<br />
Scheiße. Richtig schön, war ein toller Job.<br />
Dann habe ich ein halbes Jahr lang Pause<br />
gemacht, da war ich arbeitslos, freiwillig.<br />
Dann bin ich auf die Textilfachschule gegangen,<br />
habe noch meinen Textilkaufmann<br />
gemacht. Dann habe ich das Pech<br />
gehabt, dass das Ölembargo von den Arabern<br />
auch noch dazwischen kam. Wie ich<br />
mit der Textilfachschule<br />
fertig war, waren bei<br />
uns sämtliche Oberbekleidungs-<br />
und Textilfabriken<br />
im Arsch. Die<br />
haben es nicht verkraftet.<br />
Da waren nur noch<br />
die großen Firmen,<br />
und da sind so viele<br />
Textilkaufleute rumgerannt,<br />
da haben die<br />
einen überhaupt nicht<br />
mehr gebraucht.<br />
Während der Lehre<br />
wohnte ich noch zu<br />
Hause. Wir sind uns ziemlich aus dem<br />
Weg gegangen. Ich habe dann unter anderem<br />
auch noch das Saufen angefangen,<br />
wenn der Alte abends nach Hause gekommen<br />
ist, war ich meistens in der Kneipe.<br />
Die anderen Geschwister waren schon alle<br />
weg. Mutter war noch zu Hause, die kleine<br />
Schwester war noch manchmal zu Hause.<br />
Ist dann nach L. gegangen. Ich weiß nicht,<br />
was sie dort macht. Ich habe zu der ganzen<br />
Familie keinen Kontakt mehr.<br />
Danach war ich wieder eineinhalb Jahres<br />
arbeitslos, da sind wir erst einmal mit ein<br />
paar anderen Johnnies durch Italien nach<br />
Südfrankreich getrampt. Da waren wir ein<br />
halbes Jahr, bis wir pleite waren.<br />
Dann sind wir wieder hoch, ich bin zu<br />
meinem Schwager nach B. Meine zweite<br />
Schwester hatte gerade geheiratet. Die<br />
haben da ein Haus hochgezogen. Da habe<br />
ich bei denen schwarz gebaut, ein halbes<br />
Jahr, dann bin weiter nach N., dort wieder<br />
ein halbes Jahr schwarz gebaut. In einer<br />
N. Lebensmittelfirma habe ich dann noch<br />
Jahre als Lagerfacharbeiter gearbeitet,<br />
hatte eine feste Wohnung und eine feste<br />
Freundin. Dann ist das mit ihr dann wieder<br />
auseinander gegangen, weil die auch<br />
angefangen hat, dauernd zu meckern. Da<br />
habe ich das Saufen auch wieder angefangen.<br />
Sie war halt der Willensstärkere von<br />
uns beiden, auf hochdeutsch gesagt.<br />
Den Job habe ich dann aufgegeben, bin<br />
dann so rumgetrampt und habe den Rest<br />
von meinem Geld versoffen. Von den<br />
letzten hundert Mark habe ich mir dann<br />
noch einen Schafsack gekauft. Das war das<br />
einzige Vernünftige, bin dann unter die<br />
Stadtstreicher geraten. Das war in W.<br />
Da hab ich Platte gemacht, habe überwintert<br />
im Tor mit dem Gasmäntele,<br />
das ist ein bekannter Stadtstreicher dort.<br />
Gasmäntele, das ist sein Spitzname, dann<br />
noch so ein Ziegenmännlein und ein abgestürzter<br />
Akrobat. Sie haben mich immer<br />
den roten Muck genannt, rot wegen meiner<br />
Gesichtsfarbe und Muck wegen der<br />
abgebrochenen Riesengröße.<br />
Die drei haben mich angelernt in allen<br />
Feinheiten des Berberlebens – wo man Sitzungen<br />
macht, also sich mit einem Schild<br />
hinsetzt, wie man schmal macht, also Leute<br />
anbettelt am Bahnhof wegen Geld oder<br />
so. Schmal machen war ich eigentlich nie<br />
gut, bei Sitzungen am Anfang auch nicht.<br />
Na ja, vor allen Dingen habe ich mich<br />
dann schwer als Ladendieb entwickelt,<br />
muss ich ganz ehrlich sagen. Für die ganze<br />
Bande habe ich eigentlich immer den<br />
Korn geklaut.<br />
Das ging dann den ganzen Winter durch.<br />
Im Frühjahr war ich schon ganz schön firm.<br />
Da bin ich zu Fuß in Richtung Bodensee,<br />
ganz gemütlich. Jeden Tag was mitgenommen,<br />
überall geklopft wegen Geld oder<br />
was zu essen, in jedem Dorf. Das klappte,<br />
auf dem Land haben mich die Bauern mitgenommen,<br />
von Dorf zu Dorf. Das konnte<br />
ich, an die Häuser konnte ich gehen,<br />
aber so an den Bahnhof gehen und mich<br />
schmal machen, das konnte ich nicht. Auf<br />
diese Weise habe ich ganz Deutschland gesehen,<br />
ist überall dreckig, insbesondere die<br />
Bundesstraßen.<br />
Zwischendurch war ich immer mal ein<br />
paar Wochen auf einem Job, auf dem<br />
Jahrmarkt, da hab ich mitgeholfen beim<br />
Auf- und Abbau. Reine Knochenarbeit,<br />
Chips für Autoskooter einsammeln, Lose<br />
verkaufen und so weiter. Dann haben mir<br />
wieder die Füße gejuckt, dann bin ich einfach<br />
weiter. Mein Geld eingesammelt und<br />
abmarschiert.<br />
Warum ich ziehe, das weiß ich eigentlich<br />
auch nicht. Denn es ist ein Scheißleben,<br />
das ist ja wohl klar. Auf jeden Fall versuche<br />
ich zur Zeit, vom Alkohol abzukommen.<br />
Bis jetzt war es immer so, wenn es irgendwo<br />
fest war, ging es mit der Sauferei wieder<br />
los. Deswegen bin ich zur Zeit auch in<br />
H., ohne Hilfe, denn wenn ich Arbeit und<br />
Geld habe, saufe ich wieder, auch wenn<br />
ich eine Wohnung habe. Dann fällt mir<br />
die Decke auf den Kopf und ich saufe.<br />
Das einzige, was ich mir jetzt vorstelle,<br />
dass ich erst einmal anständig durch die<br />
Gegenwart komme. Dass ich mir Gedanken<br />
um die Zukunft mache, das lohnt eh<br />
nicht. Und dann muss ich halt versuchen,<br />
irgendwie wieder mal sesshaft zu werden.<br />
Irgendwie. Ich mein, man wird ja halt<br />
auch älter, Ich habe schon manchmal<br />
Schwierigkeiten mit meinen Knochen.<br />
In den Händen hab ich Frost drin, hab<br />
sie mir mal erfroren. Früher konnte ich<br />
mich noch richtig zusammenrollen, jetzt<br />
geht das nicht mehr. So drei- oder viermal<br />
muss ich nachts aufstehen, habe elendige<br />
Schmerzen im Knie.“
XXX<br />
11<br />
Brutalst mögliche Haushaltsverschwendung ?<br />
Nicht nur im Haushalt ist Roland Koch<br />
auf einem der vorderen Plätze unter den<br />
Bundesstaaten der Republik, wie er doch<br />
so gern möchte. Seine Verwaltung kann<br />
auch anders, wie überall die Beamten in<br />
Deutschland. In Zeiten knapper Kassen<br />
wird ungeniert Geld verschwendet. Ginge<br />
alles nach Recht und Gesetz, bräuchte es<br />
keinerlei Kürzungen im <strong>Soziale</strong>tat geben.<br />
Die „Leistungsbilanz“, die jährlich vom<br />
Hessischen Rechnungshof aufgeblättert<br />
wird, zeigt sowohl nachgewiesene Fälle<br />
echter Verschwendung als auch Nachlässigkeiten,<br />
durch die der Staat fahrlässig<br />
zu Lasten der Bürger auf zustehende<br />
Einnahmen in Millionenhöhe verzichtet<br />
oder gar Ausgaben in Riesendimensionen<br />
ungeprüft übernimmt.<br />
Untätigkeit, Unwissenheit,<br />
Unkenntnis,<br />
Unfähigkeit<br />
– darunter<br />
leidet nicht nur der<br />
Bundeshaushalt.<br />
Auch der Haushalt<br />
von Roland Kochs<br />
Hessen ist nicht frei<br />
davon. Über ihn<br />
wacht der Hessische<br />
Rechnungshof, der<br />
einmal im Jahr einen kiloschweren Bericht<br />
abliefert – über 300 Seiten von Hinweisen<br />
für die Haushaltsgestaltung und<br />
das, was mal wieder schief gelaufen ist.<br />
Leider ist der Bericht immer etwas hinterher<br />
– am 23.Mai wurde der Jahresbericht<br />
für das Jahr 2005 vorgelegt. Das ist nicht<br />
zu vermeiden, denn der Haushalt muss<br />
erst einmal durchgelaufen sein, bevor man<br />
ihn kritisieren kann. Leider haben wir<br />
das gleiche Verhalten zu vermelden wie<br />
es auch jedes Jahr von neuem von Bund<br />
der Steuerzahler moniert wird: die Lernfähigkeit<br />
in Beamtenkreisen beläuft sich<br />
auf exakt Null. Ähnlich harte Worte wie<br />
vom Steuerzahlerbund sind im hessischen<br />
Report nicht enthalten (und vermutlich<br />
auch nicht zu erwarten). Zwar wird immer<br />
der Besserungswille der Verwaltung<br />
lobend hervorgehoben, aber die tatsächlichen<br />
Besserungen sind leider nicht so<br />
ganz nachzuvollziehen. Immerhin gab<br />
es mal wieder eine ganz lange Liste von<br />
Verschwendungen, Unterlassungssünden<br />
und unbegreiflichen Vorgängen, für die<br />
es schwierig ist, eine Rechnung aufzumachen.<br />
Der Handlungsbedarf ist enorm, die<br />
Handlungsmotivation in Beamtenkreisen<br />
(und wohl auch unter Ministerpräsidenten)<br />
ist gering. Es ist viel einfacher,<br />
sich was einfallen zu lassen, um dem Bürger<br />
mehr Geld aus der Tasche zu ziehen,<br />
als die Staatsausgaben tatsächlich zu kontrollieren<br />
und im Zaume zu halten.<br />
3,5 Mio. Euro verblasen<br />
Schwerpunkt des diesjährigen Berichts ist<br />
die Abwicklung von Fördermaßnahmen<br />
einschließlich der Verwendungskontrolle.<br />
Man darf also davon ausgehen, dass in<br />
anderen Bereichen der hessischen Landesverwaltung<br />
ebenfalls einiges nicht in Ordnung<br />
ist. Aber bleiben wir bei dem Umgang<br />
mit Fördermitteln.<br />
Da gibt es den Bau von Radwegen, dem<br />
Tourismus zuliebe in einem Programm<br />
für das Radfernwegenetz gefördert. Zehn<br />
Fälle wurden geprüft, Umbauten von ehemaligen<br />
Bahntrassen und landwirtschaftlichen<br />
Wegen im Gesamtvolumen von insgesamt<br />
13,7 Mio. Euro. Und, oh Wunder<br />
–man hatte schlicht in vielen Fällen vergessen,<br />
die dauerhafte Nutzung durch die<br />
Widmung für den öffentlichen Verkehr<br />
sicherzustellen. Man hatte beispielsweise<br />
bei ehemaligen Forstwegen vergessen, die<br />
Nutzungsgenehmigung einzuholen – die<br />
Eigentümer können sie jederzeit schließen.<br />
Darüber hinaus sind auch noch Verstöße<br />
gegen das Vergaberecht vorgekommen: in<br />
einem Fall eine unbegründete freihändige<br />
Vergabe, 225.000 Euro ausgegeben, die<br />
rechtlich nicht zuwendungsfähig sind. In<br />
einem anderen Fall hat ein beauftragtes Ingenieurbüro<br />
die vorgelegten Preise der Bieter<br />
so verändert, das eine bestimmte Firma<br />
den Auftrag erhielt. Der vorgeschriebene<br />
Rechtsweg ist inzwischen beschritten.<br />
Eine hessische Kommune hat in der Zeit<br />
zwischen 1984 und 1996 eine Straße in<br />
einem Sanierungsgebiet ausgebaut und<br />
mit öffentlichen Mitteln gefördert. Dafür<br />
wären von den Eigentümern der Grundstücke,<br />
die zwar außerhalb des Sanierungsgebiets<br />
liegen, aber über diese Straße<br />
erschlossen werden, Straßenbeiträge<br />
fällig gewesen. Die Gemeinde verzichtete<br />
– auf rund 600.000 Euro. Die vorgesetzte<br />
Behörde hat schlicht und ergreifend alles<br />
verpennt. Es wurden weder fristgerecht<br />
die Verwendungsnachweise vorgelegt,<br />
diese auch nicht angefordert und die Behauptung,<br />
dass man keine Straßenbeiträge<br />
erheben könne, unkommentiert durchgelassen.<br />
Staatliche Nachlässigkeit ausnutzen können<br />
andere Gemeinden auch. Eine Stadt<br />
hatte Förderungsmittel in Höhe von<br />
157.000 Euro im Rahmen des Programms<br />
„Einfache Stadterneuerung“ in Anspruch<br />
genommen. Inanspruchnahme und Verwendung<br />
wuden schon im Jahresbericht<br />
2000 beanstandet. Immerhin schon im<br />
Februar 2002 fordert das Ministerium<br />
Geld zurück – dilettantisch, da nach Urteil<br />
des Verwaltungsgerichts Gießen die<br />
Frist abgelaufen sei, da man im Ministerium<br />
bereits im Oktober 2000 über die<br />
Gründe für den Widerruf der Mittelvergabe<br />
informiert war. Es kommt noch<br />
schöner: im November 2004 wurde der<br />
endgültige Verwendungsnachweis vorgelegt.<br />
Der ausgabefreudigen Stadt wurde<br />
zwar vorgehalten, dass die Entscheidung<br />
des Gerichts einer Berücksichtigung der<br />
fraglichen Summe im Förderverwahren<br />
nicht entgegenstehe – aber man verzichtete<br />
„großzügig“ darauf, ohne dass das<br />
zuständige Finanzministerium eingeschaltet<br />
oder der Rechnungshof gehört wurde.<br />
Unwissen, Unfähigkeit im Amt, Unwillen<br />
oder schlicht kriminelle Faulheit? Der Leser<br />
bilde sich selbst sein Urteil.<br />
Besonders derb trieb es die Hessische Industriemüll<br />
GmbH, die das Gelände eines<br />
ehemaligen Farb- und Gaswerkes sanieren<br />
sollte. Die im Boden vorhandenen<br />
Schadstoffe wurden nicht beseitigt, sondern<br />
aufwendig eingebunden, so dass ein<br />
Austritt in die Umwelt verhindert wird.<br />
Auch zwei Grundstücke von benachbarten<br />
Familien waren betroffen, Entschädigungszahlungen<br />
wurden geleistet. Es gab<br />
jede Menge Mehrkosten, sowohl durch<br />
Preisphantasien bei einer beschränkten<br />
Ausschreibung, teure Bauausführung<br />
und unterlassene Preisverhandlungen.<br />
Die Mehrkosten belaufen sich auf rund<br />
550.000 Euro bei der Bodensanierung,<br />
dazu kommen 450.000 Mehrkosten bei<br />
den Investitionen und sage und schreibe<br />
180.000 Euro jährlich für die Betriebskosten.<br />
Happich! Der Rechnungshof hat<br />
Nachverhandlungen angeregt, das Ergebnis<br />
steht noch aus.<br />
Förderungssünder Gießen und Frankfurt<br />
Das Stadttheater Gießen hat unter Vorlage<br />
von Wirtschaftsplänen institutionelle und<br />
projektbezogene Förderungen beantragt<br />
und erhalten. Durchaus löblich für einen<br />
löblichen Zweck. Doch die Planzahlen<br />
wurden nicht mit den tatsächlichen Wirtschaftszahlen<br />
verglichen. Resultat: Im<br />
Zeitraum von 1994 bis 2003 ein Überschuss<br />
von 1,8 Mio. Euro, der den Rücklagen<br />
zugewiesen wurde. Davon Landesmittel:<br />
618.900 Euro höchst erfreuliche<br />
Liquidität für das Stadttheater, eigentlich<br />
ganz und gar nicht im Sinne der Förderungsrichtlinien.<br />
Der Rechnungshof moniert:<br />
genauere Ermittlung der Einzelansätze,<br />
Prüfung der Wirtschaftspläne und<br />
genauere Beschreibung der Förderziele<br />
und Evaluation seinen notwendig und<br />
bisher nicht gemacht worden.<br />
Noch viel teurer die Fachhochschule<br />
Frankfurt am Main. Die Planung für die<br />
Campusbebauung 1 ist mit rund 50 Mio.<br />
Euro veranschlagt. Der in einem Architektenwettbewerb<br />
ausgewählte Entwurf<br />
sieht Verkehrs- und Konstruktionsflächen<br />
vor, die nach Meinung des Hessischen<br />
Rechnungshofes erheblich über den Orientierungswerten<br />
für Baumaßnahmen liegen<br />
– oder auf Deutsch gesagt 2,8 Mio.<br />
Euro teurer werden als nötig. Dazu kommen<br />
erhebliche Baufehler: für das Hauptgebäude<br />
wurde eine Doppelfassade geplant<br />
und nachträglich geändert, die den vorgesehenen<br />
Klimazweck nicht mehr erreicht.<br />
Kosten: 800.000 Euro. Zitat: „Anlass zur<br />
Kritik gibt auch die Hörsaalplanung, So<br />
fehlt es u. a. an guten Sichtbedingungen<br />
und ausreichenden Plätzen für Rollstuhlfahrer<br />
in zwei Hörsälen.“<br />
Und auch der vielgelobte Fraport kommt<br />
nicht ungeschoren davon: für die – sehr<br />
notwendige – Tierärztliche Grenzkontrollstelle<br />
sollte für die Einfuhrkontrolle<br />
von Waren und Lebensmittel tierischen<br />
Ursprungs sowie von lebenden Tieren eine<br />
individuelle Softwarelösung angeschafft<br />
werden. Der Auftrag geht auf das Jahr<br />
1998 zurück. Auch Ende 2002 war sie<br />
nicht verwendungsfähig. 2003 wurden die<br />
Versuche, mit der verkorksten Software<br />
zurecht zu kommen, endgültig aufgegeben.<br />
Kosten, soweit bezifferbar: 115.000<br />
Euro. Die Frustration der Mitarbeiter an<br />
Frankfurts Flughafen und die Zeiten des<br />
Kampfes mit der nicht bedarfgerechten<br />
Software sind nicht bezifferbar.<br />
Wirtschaftliche Schäden durch Unterlassung<br />
Grundsätzlich bedarf es eines amtsärztlichen<br />
Zeugnisses, falls ein Beamter oder<br />
eine Beamtin dienstunfähig in den Ruhestand<br />
versetzt werden soll. Bei drei überprüften<br />
Ministerien musste festgestellt<br />
werden, dass Untersuchungsaufträge zu<br />
allgemein erteilt wurden, die Gutachten<br />
eigentlich für die Gewährung des Ruhestands<br />
nicht hinreichend aussagekräftig<br />
waren und obendrein eine lange Zeit (bis<br />
zu einem Jahr) in Anspruch nahmen. In<br />
über 40 % der Fälle wurde eine Überprüfung<br />
erst nach einer Krankheitsdauer von<br />
über drei Monaten eingeleitet. Möglichkeiten<br />
zur Wiedereingliederung? Vergessen.<br />
Anderweitige Verwendung? Da sei St.<br />
Bürokratius vor. Nachuntersuchungen? In<br />
fast allen Fällen Fehlanzeige. Im Jahr 2000<br />
hat sich das Hessische Kultusministerium<br />
sogar geleistet, ein vereinfachtes Verfahren<br />
ohne Amtsarzt durchzuführen. Folge: eine<br />
nicht unerhebliche Zahl von Lehrkräften<br />
wurden im Jahr 2000 in den Ruhestand<br />
versetzt. Zitat: „Nach Auffassung des<br />
Rechnungshofs hat diese Vorgehensweise<br />
es Bediensteten erleichtert, angesichts der<br />
bevorstehenden Reformmaßnahmen noch<br />
ohne Versorgungsabschläge in den vorzeitigen<br />
Ruhestand zu gehen“. Erleichterung<br />
der Kostensparmaßnahmen – oder Begünstigung<br />
im Amt zugunsten von Mit-Beamten?<br />
Der Leser möge entscheiden.<br />
Kleinvieh macht auch reichlich Mist<br />
Es gibt Dinge, die man einfach nicht kommentieren,<br />
sondern nur zitieren kann:<br />
„Seit 1991 unterstützte eine bei der Kassenärztlichen<br />
Vereinigung Hessen angesiedelte<br />
Geschäftsstelle die Arbeit der sogenannten<br />
Substitutionskommission, die<br />
medikamentöse Behandlungen von langjährigen<br />
Heroinabhängigen entwickeln<br />
sollte. Für die Geschäftsstelle stellte das<br />
Land zuletzt jährlich 64.000 Euro bereit.<br />
Als Folge einer Rechtsänderung im Jahre<br />
2002 wurde die Substitutionskommission<br />
durch eine Qualitätssicherungskommission<br />
ersetzt. Qualitätssicherung ist jedoch<br />
originäre Aufgabe der Kassenärztlichen<br />
Vereinigung. Demzufolge ist die Grundlage<br />
für die Förderung der Geschäftsstelle<br />
entfallen.“ Gezahlt wurde aber weiter.<br />
Und auch dass noch: die hessischen Schulpsychologen<br />
sind zum Teil in ganz und gar<br />
nicht psychologischen Aufgaben fehleingesetzt<br />
worden, zum Beispiel mit Pisa-Testdurchführungen.<br />
Es fehlen Rahmenvorgaben<br />
für ihre Arbeit. Ein Berichtswesen,<br />
so moniert der Rechnungshof, ist nur in<br />
Ansätzen vorhanden. Angeregt wurde eine<br />
Präzisierung der Rahmenvorgaben und<br />
die Definition von Schwerpunkten und<br />
Qualitätsstandards. Ein Berichtssystem<br />
soll aufgebaut, eine regelmäßige externe<br />
Evaluation ermöglicht werden, damit die<br />
vorhandenen Schulpsychologen endlich<br />
dort eingesetzt werden können, wo der<br />
Sachverstand benötigt wird.<br />
Jetzt wird es teuer<br />
Auch das gehört zu den Aufträgen des<br />
Rechnungshofes: die Optimierung der<br />
Steuerverwaltung. Drei Prüfungen im<br />
Steuerbereich zeigten Schlupflöcher auf,<br />
die vermutlich vom Finanzministerium à<br />
tempo gestopft werden.<br />
Bei der Vorbereitung und Durchführung<br />
von Umsatzsteuer-Sonderprüfungen wurde<br />
festgestellt, dass sowohl die Fallauswahl<br />
als auch der Informationsaustausch mit<br />
anderen Behörden sowie die Nutzung<br />
bereits bestehender Datenbanken verbesserungswürdig<br />
sind. Der Rechnungshof<br />
hat Vorschläge erarbeitet mit dem Ziel der<br />
Vermeidung von Steuerausfällen und der<br />
Bekämpfung von Umsatzbetrügereien.<br />
Eine weitere Prüfung befasste sich mit<br />
der Steuerfestsetzung bei Personen mit<br />
überdurchschnittlich hohen Einkommen.<br />
Zitat: „Bei diesen Fällen sind die Sachverhalte<br />
zumeist besonders schwierig zu beurteilen<br />
und bergen deshalb das Risiko von<br />
Steuerausfällen. Sie sollen von den Finanzämtern<br />
- im Gegensatz zu anderen Fällen,<br />
bei denen eine überschlägige Prüfung<br />
genügt – überwiegend intensiv geprüft<br />
werden. Der Rechnungshof konnte bei<br />
seinen örtlichen Erhebungen keine Unterschiede<br />
bei der Bearbeitung intensiv und<br />
überschlägig zu prüfender Fälle feststellen.<br />
Bei beiden Fallgruppen zeigten sich Bearbeitungsmängel.<br />
Der Rechnungshof hält<br />
die Einführung eines wirksamen Risikomanagements<br />
für geboten, mit dem das<br />
Personal der Finanzämter gezielt zu den<br />
Fällen mit einem steuerlichen Ausfallrisiko<br />
geführt wird. Und bei der steuerlichen<br />
Behandlung von Erträgen aus Kapitallebensversicherungen<br />
wurde festgestellt,<br />
dass Sachverhalte nicht oder nur unzureichend<br />
ermittelt wurden.
12<br />
Vier Einrichtungen für Frauen beherbergt<br />
das Frauenzentrum am Alfred-Brehm-<br />
Platz 17: „Tamara“, „Lilith“, „17 Ost“<br />
und die „Beratungsstelle für Frauen“.<br />
Dort finden Frauen in Not ein offenes<br />
Ohr, eine Unterkunft und vor allem kompetente<br />
Beratung, oder einfach nur einen<br />
Platz, um sich für ein paar Stunden auszuruhen.<br />
Dem funktional wirkenden Nachkriegsbau<br />
in unmittelbarer Nachbarschaft<br />
zum Zoo ist von der Straße<br />
aus nicht anzusehen, dass er<br />
im rückwärtigen Teil ein schön<br />
gestaltetes Café beherbergt. „17<br />
Ost“ heißt es und ist ein Tagestreff<br />
für Frauen. Hier treffen<br />
sich nachmittags von 13 bis 17<br />
Uhr Frauen, um gemeinsam zu<br />
kochen, zu malen oder sich bei<br />
Kaffee und Tee von den Strapazen<br />
und Schwierigkeiten des<br />
Alltags auszuruhen. Wer gezielt<br />
Hilfe oder das Gespräch sucht,<br />
kann sich an eine Sozialarbeiterin<br />
wenden.<br />
Neben dem Café stehen ein Arbeitszimmer<br />
mit PC und Internetzugang, eine<br />
Küche, ein Ruheraum, Duschen und eine<br />
Waschmaschine zur Verfügung. Wer Kontakt<br />
zu anderen Frauen sucht, findet hier<br />
Möglichkeiten. Wer ungestört lesen will,<br />
kann dies ebenfalls tun.<br />
„17 Ost“ steht nicht nur Frauen in schwierigen<br />
Lebenssituationen offen, sondern allen,<br />
die einen Platz zum Ausruhen suchen.<br />
Es ist ein schöner, heller Raum mit großen<br />
Fenstern und Ausblick auf Gärten und<br />
Bäume im Hinterhof.<br />
„Wir haben ein Stammpublikum, aber es<br />
kommen auch immer wieder neue Frauen“,<br />
sagt Karin Kühn, Leiterin des Frauenzentrums<br />
am Zoo. Mit einem regelmäßigen<br />
Kursprogramm (kreatives Arbeiten, Bewegung<br />
und Entspannung, Kochen, Malen,<br />
Gesundheit) sorgen die Fachfrauen<br />
für Abwechslung im „17 Ost“. Die Kurse<br />
sind kostenlos. Eine Bewerbungssprechstunde<br />
und eine Rechtsberatung runden<br />
das Angebot ab. Arbeitsamt und Frauengesundheitsamt<br />
sind dabei Partner der<br />
Einrichtung. „Wir würden gerne auch<br />
abends öffnen,“ sagt Kühn. Aber das lässt<br />
die Personaldecke nicht zu. Im „17 Ost“<br />
arbeiten zwei Sozialarbeiterinnen und<br />
eine Praktikantin. Gesucht werden immer<br />
auch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen, die<br />
das Kursangebot bereichern können.<br />
Finanziert wird die Einrichtung, die sich<br />
im Haus des evangelischen Regionalverbandes<br />
befindet, von der Stadt Frankfurt,<br />
dem Landeswohlfahrtsverband und dem<br />
Diakonischen Werk Frankfurt. Fünf Jahre<br />
besteht der Tagestreff schon. Von Mai<br />
bis Oktober 2006 muss er wegen Renovierungsarbeiten<br />
vorübergehend in die<br />
Dominikanergasse 7 („Alte Backstube“)<br />
umziehen. Ab Herbst 2006 öffnet das<br />
Frauencafé dann wieder wie gewohnt am<br />
Zoo.<br />
Hinter dem Namen „Lilith“ verbirgt sich<br />
ein Übergangswohnheim für Frauen.<br />
Dort ist Platz für insgesamt 28 Frauen. In<br />
kleineren Wohngruppen leben sie zusammen.<br />
„Zwei Notbetten sehen zur Verfü-<br />
LOKALES<br />
Alles unter einem Dach<br />
Frauenzentrum im Frankfurter Ostend – Wegen<br />
Renovierung vorübergehender Umzug<br />
gung“, sagt Leiterin Kühn. „In der Regel<br />
ist immer etwas frei.“ Sechs Sozialarbeiterinnen<br />
(4,5 Stellen) beraten und betreuen<br />
die Frauen, die bei „Lilith“ landen, weil sie<br />
nicht wissen wohin. Sie sind wohnungslos,<br />
die Schuldenlast drückt, viele haben<br />
Gewalt erfahren, leiden unter psychischen<br />
und gesundheitlichen Problemen, beschreibt<br />
die Leiterin des Frauenzentrums<br />
die Zielgruppe bei „Lilith“. Die Einrichtung<br />
steht Frauen ab 18 Jahren offen.<br />
Anders als in Frauenhäusern, mit denen<br />
„Lilith“ eng zusammenarbeitet, sind Männerbesuche<br />
in dem Frauendomizil am Zoo<br />
erlaubt.<br />
Die Aufenthaltsdauer der Bewohnerinnen<br />
des Übergangswohnheimes schwankt zwischen<br />
einem Dreivierteljahr und eineinhalb<br />
Jahren. „Hier können die Frauen<br />
eine Auszeit nehmen. Sie nutzen diese,<br />
um an ihre Probleme heranzugehen“, so<br />
Kühn. „Rund drei Viertel der Frauen, die<br />
ausziehen, haben wieder eine Perspektive.“<br />
Das könne entweder die eigene Wohnung<br />
sein und die Aussicht auf berufliche Entwicklung,<br />
oder der Umzug in ein betreutes<br />
Wohnprojekt. Träger von „Lilith“ ist der<br />
Evangelische Regionalverband. Finanziert<br />
wird die Einrichtung vom Diakonischen<br />
Werk und dem Landeswohlfahrtsverband.<br />
Einige der Bewohnerinnen erhalten Arbeitslosengeld.<br />
Auch „Lilith“ muss wegen<br />
der Renovierung des Gebäudes vorübergehend<br />
verlagert werden. Ab März ist das<br />
Wohnheim in der Sandhofstraße 5 in Niederrad,<br />
zu finden.<br />
„Tamara“ ist ein Beratungsangebot für<br />
Prostituierte. Drei Sozialarbeiterinnen<br />
stehen als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung.<br />
Sie unterstützen, wenn es darum<br />
geht, dass Frauen aus der Prostitution aussteigen<br />
wollen. „Tamara“ ist bei der Suche<br />
nach einer Wohnung, der Schuldenregulierung<br />
und der Vermittlung von Ausbildung<br />
und Umschulung behilflich. Auch<br />
für Prostituierte, die den Beruf weiter ausüben<br />
wollen, aber beispielsweise rechtliche<br />
Fragen zu klären sind, ist „Tamara“ eine<br />
wichtige Anlaufstelle. Neben dem Diakonischen<br />
Werk und dem Evangelischen Regionalverband<br />
ist der Evangelische Verein<br />
für Innere Mission Träger der Einrichtung.<br />
Das Land Hessen hat sich aus der Förderung<br />
zurückgezogen, mit der Konsequenz,<br />
dass eine Stelle reduziert werden musste.<br />
70 Frauen sind über einen längeren Zeitraum<br />
mit den Sozialarbeiterinnen von<br />
„Tamara“ in Kontakt und werden intensiv<br />
beraten, sagt die Leiterin der Einrichtung,<br />
Karin Kühn. Hinzu kommen rund<br />
1.000 kurzfristige Beratungskontakte pro<br />
Jahr. „Tamara“ zieht für die Zeit der Renovierung<br />
in die Windmühlstraße 9, Nähe<br />
Hauptbahnhof.<br />
Große Ehrung für<br />
Frankfurter<br />
Marcel Reich-Ranicki<br />
Germanistik-Lehrstuhl an der<br />
Universität Tel Aviv<br />
Der erste Germanistik-Lehrstuhl in Israel<br />
ist nach einem Frankfurter Bürger benannt<br />
worden: Marcel Reich-Ranicki. Ein<br />
außerordentlicher Vorgang, ein Zeichen<br />
der Aussöhnung zwischen dem deutschen<br />
und jüdischen Volk und eine passende<br />
Anerkennung eines Lebenswerkes, das in<br />
einmaliger Weise der deutschen Literatur<br />
gewidmet war und ist.<br />
Er ist schon etwas ganz besonderes, dieser<br />
langgediente Mitarbeiter der FAZ, der<br />
wie kein anderer die deutsche Literatur<br />
zum Thema für Funk und Fernsehen gemacht<br />
hat.<br />
Marcel Reich-Ranicki hat sich auf seinem<br />
langen Lebensweg vom Schüler in Berlin<br />
zum von den Nazis abgewiesenen Germanistikstudenten<br />
über Not und Verfolgung<br />
bis zum Altersruhm viele Verdienste um<br />
die deutsche Literatur erworben. Er hat<br />
sich viele Freunde gemacht, und natürlich,<br />
wie das bei einem wortgewaltigen Kritiker<br />
nicht anders sein kann, auch namhafte<br />
Feinde.<br />
Immer wieder hat er sich für die neue deutsche<br />
Literatur eingesetzt, gelobt, getadelt,<br />
verrissen, empfohlen. Seine besondere Liebe<br />
galt und gilt Goethe, Heine und Thomas<br />
Mann, ganz und gar nicht überflüssig<br />
in einer Zeit, in der ganze Generationen<br />
von Schülern dank der „Bemühungen“<br />
der Deutschlehrer Literatur rundheraus<br />
und die klassischen deutschen Autoren<br />
unbekannterweise erst<br />
recht ablehnen. Zwar, es<br />
mag seine Goethe-Auffassung<br />
etwas einseitig literarisch<br />
sein und er mag<br />
die Rolle des Geheimrats<br />
als Stütze einer überlebten<br />
Gesellschaft nicht<br />
hinreichend sehen. Zwar,<br />
es mag seine Thomas-<br />
Mann-Verehrung diesem<br />
Schriftsteller eine Position<br />
in erlauchten Sphären<br />
zuweisen, die durch die<br />
tatsächlichen Verdienste<br />
nicht gerechtfertigt sein<br />
mögen.<br />
Bei der „Beratungsstelle für Frauen“ suchen<br />
jährlich rund 550 Frauen Hilfe und<br />
Unterstützung für ihre Probleme. Drei<br />
Sozialarbeiterinnen stehen zur Verfügung,<br />
um bei Wohnungsproblemen, bei Fragen<br />
der Familienplanung und Sexualität oder<br />
in schwierigen persönlichen Lebenslagen<br />
wie der Bewältigung von Gewaltproblemen<br />
weiterzuhelfen. Außerdem beraten<br />
die Expertinnen in Schwangerschaftskonflikten<br />
nach § 219 StGB. Die Beratung ist<br />
kostenlos.<br />
Die vier Einrichtungen im Frauenzentrum<br />
ergänzen sich hervorragend. Frauen, die<br />
sich beispielsweise an die Beratungsstelle<br />
gewendet haben, weil sie ohne Obdach<br />
sind, können schnell und unbürokratisch<br />
ins Wohnheim vermittelt werden. „Wir<br />
haben kurze Wege. Ein Anruf genügt“, sagt<br />
Leiterin Kühn zu diesem Standortvorteil.<br />
Um das Frauenzentrum zu erhalten, ist<br />
die Einrichtung angewiesen auf Spenden<br />
und Förderer. Darüber hinaus werden<br />
auch gut erhaltene Frauenkleider für die<br />
Kleiderkammer und Bücher/Zeitschriften<br />
für die Bibliothek gerne angenommen.<br />
-liz-<br />
Alleine durch sein Engagement für Heinrich<br />
Heine hat er sich größte Verdienste<br />
um die deutsche Sprache erworben. Marcel<br />
Reich-Ranicki hat über den „Fall Heine“<br />
ein lesenswertes Buch geschrieben und erfreulicherweise<br />
ein breites Echo gefunden<br />
für einen deutsch-jüdischen Autor, der<br />
noch in den deutschen Lesebüchern der<br />
fünfziger Jahre unterdrückt wurde – das<br />
Lied von der Lorelei wurde in schlimmster<br />
Nazitradition als „Volksgut“ gekennzeichnet,<br />
der Autor wissentlich verschwiegen.<br />
Das ist erfreulicherweise vorbei, der Weg<br />
zu einer dem Autor würdigen Heine-Rezeption<br />
wieder frei.<br />
Nun gibt es also einen Lehrstuhl mit dem<br />
Namen Reich-Ranicki, dem man Glück<br />
wünschen möchte. Und auch eine Arbeit<br />
im Sinne des so Geehrten, der Literatur<br />
immer als etwas gesehen hat, das man<br />
nicht produzieren kann, sondern um das<br />
man streiten muss, täglich und stündlich,<br />
damit Erfolg und Verständnis wachsen.<br />
Es bleibt noch ein kleiner Wunsch an das<br />
neue Institut: dass auch jene verschmähte<br />
und verunglimpfte Tochter der deutschen<br />
Sprache, das Jiddische, dort eine kleine<br />
Heimat finden möge. Denn auch das neue<br />
Israel mochte mit der Sprache des Exils<br />
und der Stedtele im europäischen Osten<br />
nichts anfangen. Ein Fehler, denn gerade<br />
verstoßene Töchter gehören nun mal zumeist<br />
nicht zu den Hässlichsten.
UNTERHALTUNG<br />
13<br />
Hector – Ritter ohne Furcht und Adel<br />
Das Fernsehen mit seinen ewigen<br />
Wiederholungen ist dran schuld – jeder<br />
kennt den Bud-Spencer-Film vom<br />
grobschlächtigen italienischen Ritter,<br />
der sich einer Wette halber zwölf<br />
Spießgesellen anlacht und mit Genuss die<br />
Franzosen ungespitzt in den Sand haut.<br />
Ein harmloses Gemetzel, weil niemand<br />
verletzt wird und die Schlägereigeräusche<br />
vom Tonmeister gemacht werden.<br />
Einfach nur ein Spaß für einen faulen<br />
Nachmittag vor der Glotze – oder ist an<br />
der Geschichte doch etwas dran?<br />
Zur Erinnerung die<br />
Geschichte kurz<br />
erzählt:<br />
Ein abgerissener<br />
italienischer Ritter<br />
namens Ettore<br />
zieht durch Italien<br />
und sucht eine<br />
Beschäftigung für<br />
sich und seine Kumpane. So kommt er zu<br />
einem Städtchen namens Barletta, das just<br />
von den Franzosen unter dem Herzog von<br />
Nemour belagert wird. Er aber schließt<br />
sich den belagerten Spaniern unter Diego<br />
de Mendoza an. Ein französischer Adliger<br />
verhöhnt die Italiener zum Zweikampf<br />
und wird von Ritter Ettore herausgefordert<br />
– dreizehn gegen dreizehn.<br />
Der spanische Befehlshaber geht gerne auf<br />
diese Herausforderung ein, weil er Zeit<br />
braucht für die Entsatzarmee, die schon<br />
gelandet ist, aber noch herandirigiert<br />
werden muss.<br />
Um zu zwölf Kämpen zu kommen, nimmt<br />
Ritter Ettore einige Verrückte mit in die<br />
Schar auf – einen streitsüchtigen Priester,<br />
Diebe, einen verrückten Wissenschaftler,<br />
einen Propagandisten der Vielweiberei und<br />
noch andere, die nicht gerade als Zierde<br />
der Ritterschaft gelten können. Doch im<br />
Schlussgefecht setzen sich die Italiener<br />
dank der Prügelkünste von Bud Spencer<br />
durch und erhalten von Ritter Bayard,<br />
für die romanische <strong>Welt</strong> das Sinnbild<br />
des letzten Ritters wie für uns Kaiser<br />
Maximilian, den Sieg zugesprochen.<br />
Der Schwertgriff von Ritter Fieramosca<br />
Das Ganze wird verbrämt durch<br />
Kloppereien und unsterbliche Dialoge wie<br />
diesen:<br />
„Seid Ihr Franzosen?“<br />
„Nein!“<br />
„Dann seid Ihr Spanier?“<br />
„Nein. Denk doch mal nach. Wo sind<br />
wir?“<br />
„Italien!“<br />
„Also zu was macht uns das?“<br />
„ Ah – Deutsche!“<br />
„Seufz“.<br />
Na ja – das ist alles zu aufgedreht und<br />
zu blödsinnig, um nicht dem Hirn eines<br />
total durchgeknallten Drehbuchautors<br />
entsprungen zu sein. Und doch ist das<br />
alles historisch belegt und zwar nicht so,<br />
aber doch ähnlich passiert.<br />
Ettore Fieramosca und die<br />
Herausforderung von Barletta<br />
Ritter Hector ist vermutlich 1476 in Capua<br />
geboren und hat eine für die damalige Zeit<br />
ganz normale Karriere hinter sich gebracht:<br />
Page am Hof von Aragon, Befehlshaber<br />
einer Reiterabteilung, später auf eigene<br />
Rechnung für und gegen die großen<br />
Condottieri und Stadtfürsten Italiens<br />
kämpfend, vom König von Neapel mit<br />
einer Burg als Lehen bedacht und von den<br />
mächtigen Colonnas aus Capua verbannt.<br />
Das übliche wechselvolle Schicksal dieser<br />
Zeit, bis ihn das Jahr 1503 durch die<br />
Wechselfälle des Krieges vor Barletta<br />
fand.<br />
Der Herzog von Nemours war etwas<br />
saumselig in seinen Marschbefehlen, und<br />
so konnten die spanischen Befehlshaber<br />
Diego de Mendoza und Prospero Colonna<br />
die Nachhut festnehmen und nach Barletta<br />
in Gefangenschaft schicken.<br />
Ein besonders großmäuliger Franzose<br />
namens Charles de la Motte war mit<br />
seinem Schicksal überhaupt nicht<br />
zufrieden und beleidigte die Italiener<br />
schwer. Streng nach den Gebräuchen der<br />
Zeit folgte eine offizielle Herausforderung<br />
zum Zweikampf und eine ausgehandelte<br />
Waffenruhe zwischen den zwei Heeren.<br />
Am 13. Februar 1503 kam es dann zum<br />
Kampf. 13 Franzosen unter de la Motte<br />
auf der einen Seite, auf der anderen Seite<br />
die Italiener: Hettore Fieramosca aus<br />
Capua, Giovanno Capaccio, Giovanne<br />
Brancaleone und Ettore Giovenale aus<br />
Rom, Marco Carellario aus Neapel,<br />
Mariano aus Sarni, Romanello aus Forli,<br />
Ludovico Aminale aus Terni, Francesco<br />
Salamone und Gugilelmo Albimonte<br />
aus Sizilien, Miala aus Troia, Riccio aus<br />
Parma und Fanfulla aus Lodi. Alles unter<br />
der strengen Aufsicht der spanischen und<br />
französischen Befehlshaber mit Ritter<br />
Bayard als Schiedsrichter.<br />
Man kämpfte sechs Stunden lang, dann<br />
wurden die Italiener zu Siegern erklärt.<br />
Unter den Gefangenen befand sich auch<br />
der Chevalier de la Motte.<br />
Alles in allem eine letzte Geste der<br />
Ritterlichkeit an einem unbedeutenden<br />
Ort in einem lange vergessenen Krieg,<br />
letzter Rest einer untergehenden Periode<br />
am Anfang neuer Kriege, die für so etwas<br />
nie wieder Zeit und nie wieder Ehre genug<br />
haben würden.<br />
Legendenbildung<br />
Italiener, die vor den Augen der <strong>Welt</strong> eine<br />
überlegene Macht schlagen? Viel zu schön,<br />
um die Geschichte auf sich beruhen zu<br />
lassen.<br />
1833 schrieb Massimo D´Azeglio einen<br />
Roman, in dem die Geschichte des Duells<br />
von Barletta mit einer total unhistorischen<br />
Liebesgeschichte zwischen Ettore<br />
Fieramosca (den es gab) und Giovanna,<br />
Herzogin von Monreale (die es nicht gab)<br />
vermischt ist.<br />
Es wurden mehr Geschichten daraus,<br />
sogar eine Oper, und das faschistische<br />
Italien widmete ihm 1938 einen Film mit<br />
Gino Cervi als Ritter Hector. (Gino Cervi?<br />
Ja doch – bekannt als Guiseppe Botacci<br />
vulgo Peppone, der Bürgermeister aus den<br />
Don-Camillo-Filmen).<br />
Und es gibt einen Turm des Fieramosca<br />
in Rom, der zwar im Roman erwähnt<br />
wird, mit der historischen Person aber<br />
nichts zu tun hat, ein Schwert in einem<br />
Museum in Neapel, das nach Stil und<br />
Machart wesentlich später angefertigt<br />
wurde, einige Schiffe, die die italienische<br />
Marine zu verschiedenen Zeiten nach ihm<br />
benannt hat, und sogar ein Grabmal mit<br />
seinem Namen in Montecassino. Nur:<br />
Das Grab ist das seines Bruders, an dem<br />
dessen Witwe eine Gedenktafel für den<br />
in der Ferne verstorbenen Schwager hat<br />
anbringen lassen.<br />
Man wollte dieses Grab als die letzte<br />
Ruhestätte von Hector Fieramosca<br />
sehen. Doch die Geschichte schrieb<br />
dazu eine herbe Fußnote: im Zweiten<br />
<strong>Welt</strong>krieg gehörte Montecassino, der<br />
Platz für friedlichste Mönche, zu einem<br />
der umkämpftesten Orte auf der ganzen<br />
<strong>Welt</strong>. Mehr Bomben regneten auf die<br />
Abtei und die Umgebung als auf jeden<br />
anderen einzelnen Ort der <strong>Welt</strong>. Auch<br />
der Sarkophag wurde beschädigt – und<br />
gab genau zwei Skelette frei, eines davon<br />
weiblich. Es handelte sich mit Sicherheit<br />
um die sterblichen Überreste von Bruder<br />
Guido und Schwägerin Isabella. Doch was<br />
wurde aus dem Helden von Barletta?<br />
Ritter Hectors Glück und Ende<br />
Gonzalo de Cordoba, Befehlshaber der<br />
spanischen Hauptarmee, machte den<br />
glücklichen Streiter von Barletta zum<br />
erblichen Ritter sowie zum Grafen von<br />
Miglionico, Ferdinand der Katholische<br />
gab noch einiges dazu, u. a. die Herrschaft<br />
von Acquara.<br />
Er kämpfte tapfer und erfolgreich als<br />
Condottiere, doch seine Herren spielten<br />
ihm übel mit: im Frieden von Blois verlor<br />
er seine Titel und Ländereien und wurde<br />
eingesperrt, weil er eine Ersatzgrafschaft<br />
in den Abruzzen nicht annehmen wollte.<br />
Er beschwerte sich und wurde aus Italien<br />
verbannt.<br />
1515 ist er im Exil in Valladolid in Spanien<br />
gestorben.<br />
Das Grabmal von Ritter Fieramosca<br />
Er bleibt in der Geschichte als Beispiel,<br />
dass die Willkür der Herrschenden immer<br />
und jederzeit über Mut und Ritterlichkeit<br />
hinweggeht.<br />
Und nun kennen Sie die wahre Geschichte.<br />
Bericht: Rüdiger Stubenrecht
14 FAMILIE<br />
Wie Glooskap die Vögel schuf<br />
Ein Indianermärchen aus Kanada<br />
Vor langer Zeit, lange bevor der weiße<br />
Mann nach Kanada gekommen ist, lebte<br />
ein bösartiger Riese, der überall großen<br />
Schaden machte und große Trauer. Die<br />
Menschen nannten ihn Wolfwind. Seine<br />
Heimat war die Höhle der Winde, weit<br />
im Norden im Nacht-Nacht-Land, wo die<br />
Sonne nicht aufgeht, und die Leute wussten,<br />
dass er in seiner Höhle schlief, wenn<br />
am Tage die Sonne heiß schien und die<br />
Wasser ruhig blieben, oder in den Nächten,<br />
wenn sich nicht einmal ein Gräschen<br />
rührte. Aber wann immer er erschien,<br />
knackten selbst die großen Bäume in<br />
Furcht, die kleinen Bäume zitterten und<br />
die Blumen versuchten sich dicht an der<br />
Erde zu verbergen. Sehr oft kam er ohne<br />
Warnung und schlug das Korn flach und<br />
die Wasser schäumten weiß und wurden<br />
laut schreiend an die Felsen geschlagen.<br />
Wenn Wolfwind in der Nacht kam, war<br />
große Furcht über dem Land.<br />
Einmal in diesen alten Tagen geriet Wolfwind<br />
in einen großen Zorn und wollte alle<br />
erschlagen und auffressen, die es wagten,<br />
auf seinem Weg zu sein. Nun war es aber<br />
so, dass die Indianer zu dieser Zeit nahe<br />
am Meer lebten. Die Frauen und Männer<br />
waren auf dem Meer beim Fischen, um<br />
einen Vorrat für den Winter zu sammeln,<br />
und die Kinder waren alleine und spielten<br />
am Ufer.<br />
Plötzlich kam Wolfwind aus dem Norden<br />
und schrie laut, dass er jeden töten würde,<br />
der auf seinem Weg wäre, und er fuhr über<br />
das Meer und warf alle Kanus um und ertränkte<br />
alle Männer und Frauen. Die ganze<br />
Nacht fuhr er über das Meer und suchte<br />
nach noch mehr Opfern.<br />
Am anderen Morgen war Wolfwind noch<br />
immer zornig. Am Ufer des Meeres sah er<br />
die Kinder der Fisher. Er wollte auch sie<br />
töten und schrie: „Ich werde euch fangen<br />
und töten und auffressen und eure Knochen<br />
werden am Strand bleichen.“ Aber<br />
die Kinder hatten ihn gehört und sich in<br />
einer Höhle versteckt, mit einem großen<br />
Stein vor der Tür. Den ganzen Tag und die<br />
ganze Nacht heulte Wolfwind vor der Tür,<br />
aber er konnte nichts ausrichten, So flog<br />
er weg, aber er schrie: „Ich werde wiederkommen<br />
und euch fangen. Ihr könnt mir<br />
nicht entkommen.“<br />
Also liefen die Kinder vom Ufer des<br />
Meeres weg in den Wald, weil sie meinten,<br />
dort wären sie sicher. Im Land der Weiden<br />
fanden sie einen schönen Platz mit Gras<br />
und Blumen und einem Fluss und vielen<br />
großen Bäumen mit großen Blättern, die<br />
sie vor dem Riesen schützen sollten.<br />
Doch eines Tages kam Wolfwind in großem<br />
Zorn und wollte die Kinder töten, aber die<br />
Bäume mit ihren dicken Blättern schützen<br />
die Kinder. Nur die Sonne aus dem Süden<br />
konnte die Kinder durch die Blätter sehen,<br />
und Wolfwind wurde immer ärgerlicher,<br />
denn er fraß gerne Kinder. Deshalb schwor<br />
er den Bäumen Rache.<br />
Noch zorniger als je zuvor kam er mit<br />
einem anderen Riesen aus dem Norden,<br />
der den Frostzauber mit sich brachte, und<br />
sie versuchten, die Bäume zu töten. Aber<br />
über einige der Bäume hatten sie keine<br />
Macht, denn diese Bäume waren selbst<br />
aus dem Nacht-Nacht-Land gekommen<br />
und sie lachten, weil der Riese mit dem<br />
Frostzauber keine Macht über sie hatte. Es<br />
lachten die Fichte, die Tanne, die Föhre<br />
und die Eibe.<br />
Doch die anderen Bäume, wie die Eiche,<br />
die Buche, die Birke, das Ahorn und viele<br />
andere, hatten nichts zu lachen, denn<br />
Wolfwind und der Riese mit dem Frostzauber<br />
kamen eines Nachts, als ein klarer<br />
und kalter Mond am Himmel stand, und<br />
töteten alle Blätter. Einige fielen schnell ab,<br />
einige flatterten langsam hinunter und andere<br />
brauchten länger zum Sterben. Doch<br />
am Ende standen die Bäume kahl und es<br />
war Stille und Trauer im Wald. Da lachte<br />
Wolfwind und wollte die Kinder fressen,<br />
doch sie hatten sich in den treuen Bäumen<br />
versteckt, die aus dem Nacht-Nacht-Land<br />
gekommen waren, und hier waren sie sicher.<br />
Aber die Kinder waren sehr traurig über<br />
das, was Wolfwind und der Riese mit dem<br />
Frostzauber ihren Freunden, den Bäumen<br />
angetan hatten, und auch der Sommer<br />
hatte sich ins Südland zurückgezogen.<br />
Die Dame Sommer folgte wie jedes Jahr<br />
dem Regenbogenweg und zog sich in die<br />
Wildnis der Blumen zurück. Im Wald<br />
war es jetzt sehr einsam und still, denn es<br />
gab kein Wispern mehr von den Blättern,<br />
denn alle waren abgefallen.<br />
Es kam die Zeit des Jahres, an der Glooskap,<br />
der über die Erde herrscht und damals<br />
sehr mächtig war, seine Gaben an die<br />
kleinen Kinder verteilt. Und er kam mit<br />
seinem Schlitten, gezogen von seinen treuen<br />
Hunden.<br />
Alle Kinder kamen zu ihm, um ihn um<br />
eine Gabe zu bitten, und alle Kinder waren<br />
sehr traurig über das Schicksal der<br />
Bäume.<br />
„Was wünscht ihr euch?“, fragte Glooskap.<br />
„Wir wollen nichts für uns“, sagten die<br />
Kinder, „aber wir bitten, dass die Blätter,<br />
die Wolfwind getötet hat, weil sie uns<br />
beschützen wollten, wieder zum Leben<br />
erweckt werden und an den alten Ort an<br />
den Bäumen zurückkehren.“<br />
Glooskap saß eine lange Zeit und dachte<br />
nach und rauchte seine große Pfeife, denn<br />
Glooskap ist ein großer Raucher. Zu dieser<br />
Zeit aber gab es noch keine Vögel in<br />
den Wäldern, denn Glooskap hatte noch<br />
keine gemacht. Es gab nur die Vögel des<br />
Meeres, die über die Winde lachten und<br />
sich von ihnen tragen ließen, und die Vögel<br />
der Menschen wie das Huhn, die Gans<br />
und die Pute, die zwar nützlich waren,<br />
aber nicht schön anzusehen und singen<br />
können, sie auch nicht.<br />
Also beschloss Glooskap, andere und<br />
neue Vögel zu machen – nicht zum Essen,<br />
sondern nur, um die Kinder glücklich zu<br />
machen, mit bunten Federn und schönen<br />
Liedern. Und Glooskap sagte zu den Kindern:<br />
„Es ist zu spät, die Blätter wieder<br />
an die Bäume zu bringen. Aber ich werde<br />
die Blätter nehmen und sie in kleine<br />
Vögel verwandeln. Die Vögel werden nie<br />
vergessen, wie sie geschaffen worden sind.<br />
Im Herbst werden sie wegfliegen ins Sommerland<br />
nach Süden, aber im Frühjahr<br />
werden sie wiederkommen und so nahe<br />
wie möglich bei den Blättern wohnen, aus<br />
denen sie gemacht sind. Die meisten werden<br />
in den Blättern ihr Nest bauen, einige<br />
aber auch auf dem Boden, auf den sie als<br />
Blätter gefallen sind. Aber alle werden den<br />
Wald lieben. Und sie werden so schöne<br />
Farben haben wie die Blätter, aus denen<br />
sie geworden sind, und sie werden schöne<br />
Lieder singen für die kleinen Kinder. Und<br />
ich beauftrage die Kinder, über die Vögel<br />
zu wachen, wie die Blätter über die Kinder<br />
gewacht haben. Ich werde den Bäumen<br />
die Kraft geben, jedes Jahr neue Blätter zu<br />
treiben, und ich werde Wolfwind viel von<br />
seiner Kraft nehmen, so dass er nie wieder<br />
kleinen Kindern Schaden zufügen kann.“<br />
Und dann schwang er seinen Zauberstab<br />
und alle die verschiedenen kleinen bunten<br />
Vögel des Landes erhoben sich aus den<br />
Blättern, um nach Süden zu fliegen. Von<br />
dort kommen sie im Sommer zurück, um<br />
den ganzen Tag in den Blättern für die<br />
Kinder zu singen. Am Morgen wecken sie<br />
die Kinder mit ihrem Gezwitscher und<br />
in der Dämmerung singen die Vögel die<br />
Kinder in den Schlaf. Aber in der Nacht<br />
verstecken sie sich vor Wolfwind und geben<br />
keinen Laut von sich. Denn sie erinnern<br />
sich daran, dass sie das Geschenk von<br />
Glooskap an die Kinder sind und von den<br />
Blättern stammen, mit denen die Bäume<br />
die Kinder vor Wolfwind geschützt haben.<br />
Rezept: „Thüringer Auflauf – preiswert mit Bratwurst“<br />
Lecker soll es sein, mit allen Nährstoffen<br />
und auch noch in Singleportionen<br />
zu kochen – die meisten<br />
Singles ohne Kühltruhe verzweifeln<br />
vor den Rezeptbüchern und gehen<br />
aufseufzend zu den Fertigkost- und<br />
Dosenregalen.<br />
Hier ein Rezept von der Großmutter<br />
– war damals beliebt, weil man fast<br />
alles aus dem eigenen Garten hatte.<br />
Thüringer Auflauf heißt es nur deshalb,<br />
weil es mit Thüringer Bratwurst<br />
wohl am besten schmeckt – aber das<br />
kann jeder halten, wie er mag.<br />
Die Mengenangaben sind für vier<br />
Personen, aber das Gericht gelingt<br />
auch für jede andere Portionszahl<br />
– einfach die Menge anpassen. Also<br />
erst einmal die Zutaten:<br />
750 g Kartoffeln,<br />
Salz,<br />
1 große Dose Sauerkraut oder<br />
850 g aus dem Beutel,<br />
300 g Rostbratwurst (Thüringer<br />
oder heimische),<br />
1 EL Butterschmalz,<br />
2 Zwiebeln,<br />
grob geschrotener Pfeffer,<br />
Muskat,<br />
2 Tomaten, Fett zum Einfetten der<br />
Form,<br />
2 EL Paniermehl,<br />
1 EL Butter.<br />
Und so wird’s gemacht:<br />
Kartoffeln schälen, in Salzwasser<br />
10 Min. vorgaren und in Scheiben<br />
schneiden. Sauerkraut abtropfen<br />
lassen und gut ausdrücken.<br />
Die Bratwurst wird in kleine Stücke<br />
geschnitten und im Butterschmalz<br />
von allen Seiten angebraten. Dazu<br />
kommen die in Ringe geschnittenen<br />
Zwiebeln, das Sauerkraut (Vorsicht,<br />
nur erhitzen, nicht anbrennen!) und<br />
dann wird abgeschmeckt mit Salz,<br />
Pfeffer und Muskat.<br />
Die Tomaten werden in Scheiben<br />
geschnitten. Dann nimmt man eine<br />
eingefettete Auflaufform und schichtet<br />
die Kartoffeln, die Tomaten, das<br />
Sauerkraut und die Wurststücke hinein.<br />
Noch mit Paniermehl und Butterstückchen<br />
bestreuen und dann<br />
für ca. 30 Min. in den auf 180 Grad<br />
vorgeheizten Backofen. Wer mag,<br />
kann das fertige Gericht noch mit<br />
Petersilie bestreuen. Dazu schmeckt<br />
ein Bier.<br />
Guten Appetit beim<br />
Nachkochen!
UNTERHALTUNG<br />
15<br />
Die Redaktion war unterwegs in<br />
Frankfurt und in Frankfurts Obdachlosenheimen.<br />
Das Resultat sind Fotos<br />
unserer Stadt aus einer anderen Perspektive<br />
– nun eine Sammlung von<br />
Lieblingswitzen von den Klienten der<br />
Wohnheime. Viel Spass bei der Lektüre!<br />
Es stehen zwei Blondinen an einer Haltestelle.<br />
Meint die eine: “ich warte auf die<br />
Linie Eins, und auf welche warten sie?”<br />
Antwortet die andere Frau “ich warte auf<br />
die Drei”. Kurz darauf kommt die Bahn<br />
mit der Nummer 13. Sagt die Blondine:<br />
“Ja, super dann können wir ja zusammen<br />
fahren”.<br />
Sind zwei Typen auf einer Party. Meint der<br />
eine: “Siehst Du die zwei Bräute da? Die<br />
eine ist meine heiße Affäre und die andere<br />
ist meine Frau”. Antwortet der Andere:<br />
“Was ein Zufall auch, bei mir ist das umgedreht”.<br />
Sitzt das Ehepaar beim Frühstück. Fragt<br />
die Frau den Mann, der gerade Zeitung<br />
liest: “Du, Schatz, stört es Dich, wenn ich<br />
rauche?” Antwortet der Mann: “Aber nein,<br />
Liebling, mich würde es nicht mal stören,<br />
wenn du brennst”.<br />
Michael, 41<br />
Kommt ne Frau<br />
zum Arzt. Sagt die<br />
frau: “Doktor, etwas<br />
stimmt nicht mit meiner<br />
Spirale.” Sagt der<br />
Doktor: “Kommen<br />
sie doch mal her!”<br />
**sproing,sproing**<br />
Arthur Kidalla, 50<br />
Wie viele Ostfriesen<br />
sind nötig, um eine<br />
Birne zu wechseln?<br />
Fünf.<br />
Einer hält und Vier<br />
drehen den Tisch.<br />
Deutsche Autos sind<br />
aus Kruppstahl.<br />
Schwedische Autos aus<br />
schwedischem Stahl.<br />
und aus was sind polnische<br />
Autos?<br />
Aus Diebstahl.<br />
Achim Flik, 48<br />
Was ist der Unterschied zwischen einer<br />
Geige und einem Klavier?<br />
Das Klavier brennt länger als die Geige.<br />
Wolfgang Geißler, 59<br />
Kommt eine Frau zum Arzt und sagt: “Doc,<br />
ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.<br />
Mein Mann,15 bis 20 Mal will er nachts<br />
drüber”. Da sagt der Doc: “Wissen sie was,<br />
gute Frau, da hilft bloß noch eins: die<br />
Schocktherapie.” Da fragt die Frau: “Doc,<br />
was ist das?“ „Ja, wenns wieder mal soweit<br />
ist, dann nehmen sie die Nachttischlampe,<br />
halten sie übers<br />
Gesicht und<br />
knipsen sie an.<br />
Eines Abends,<br />
nach dem 17ten<br />
Male, langts ihr.<br />
Sie greift zur<br />
Nachttischlampe,<br />
hält sie übers<br />
Gesicht und<br />
knipst das Licht<br />
an.<br />
“Aah! Hilfe!,<br />
Wer sind Sie?<br />
Und wo ist mein<br />
Mann?”<br />
Da sagt er: “Der<br />
sitzt unten auf<br />
der Treppe und<br />
kassiert”.<br />
Lothar Werner<br />
Stoll, 44<br />
Ein Witz<br />
aus Indien<br />
Ein Ehepaar<br />
steht unter der<br />
Dusche. auf<br />
einmal klopft es<br />
an der Tür. Der<br />
Ehemann, noch<br />
voll eingeseift,<br />
schickt seine Frau<br />
los, um nachzusehen. Vorsichtig öffnet<br />
sie die Tür und erblickt ihren Nachbarn.<br />
Der kuckt sie gleich verlockend an und<br />
sagt zu ihr:” Wenn Du Dein Handtuch<br />
wegnimmst, gebe ich dir 10000 Rupees<br />
(200€). Sie zögert noch, doch bei der<br />
zweiten Aufforderung entblößt sie sich.<br />
Ihr Ehemann fragt sie anschließend, wer<br />
das war. “Ach, nur der Nachbar”. Meint<br />
der Mann ganz erregt: “Dieser Mistkerl<br />
schuldet mir noch 10000 Rupees”.<br />
Stefan Voigt, 36<br />
Unterrichtet eine Lehrerin ihre Klasse.<br />
Stellt die Lehrerin dem Max eine Frage.<br />
„Es sitzen zwei Vögel auf einem Baum.<br />
Wie viele Schüsse brauchst Du, um beide<br />
zu verscheuchen? Max antwortet „Zwei.“<br />
„Falsch, ich wiederhole die Frage: wie viele<br />
Schüsse brauchst Du, um beide zu verscheuchen?“<br />
Und Max sagt wieder Zwei.<br />
Fragt die Lehrerin, warum? Max erwidert:<br />
„Mit den ersten treffe ich den Einen und<br />
mit den zweiten erschrecke ich den Zweiten.<br />
„Eigentlich ist die Antwort falsch,<br />
aber mir gefällt, wie Du denkst,“ sagt die<br />
Lehrerin. Dann fragt Max die Lehrerin:<br />
„Kann ich ihnen auch eine Frage stellen?“<br />
Ja, antwortet die Lehrerin, nur zu. Max<br />
erzählt: „Sitzen drei Frauen in einer Eiscafeteria<br />
und essen Waffeleis. Die Erste leckt<br />
das Eis, die Zweite schiebt es sich ganz in<br />
den Mund und die Dritte isst es normal.<br />
Welche davon ist verheiratet?“ fragt Max<br />
die Lehrerin. „Die, die es leckt“, antwortet<br />
die Lehrerin. „Falsch. Eigentlich die, die<br />
den Ring an hat. Aber mir gefällt ihre Art<br />
zu denken.<br />
Oleg<br />
Was ist ein Terrorist auf einem Stromseil?<br />
ein Widerstandskämpfer.<br />
Kommt ein Jäger zum Arzt. “Doktor, mir<br />
ist da ein Unfall passiert. Wie soll ich sagen,<br />
ich habe mir unter die Gürtellinie<br />
geschossen.” Sagt der Doktor: “Ach, Kopf<br />
hoch, ihre Frau bläst ihnen sicherlich ein<br />
schönes Lied.“<br />
Was ist ein Leprakranker mit nem Afro?<br />
Ne Pusteblume<br />
Was ist ein Araber unter einem Kamel?<br />
Mechaniker.<br />
I M P R E S S U M<br />
Frankfurter Armutsaktie e. V.<br />
Rudolfstr. 18, 60327 Frankfurt am Main<br />
Tel.: 0175–34 94 010<br />
Herausgeber:<br />
„<strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong>“ - Die unabhängige Frankfurter<br />
Straßenzeitung<br />
Chefredakteur:<br />
Rüdiger Stubenrecht (v.i.S.d.P.)<br />
Redaktion:<br />
Dagmar Behme, Horst Kleimann, Marita<br />
Kleimann, Freder Mostert, Reinhold<br />
Urbas, Elisabeth Kapell, Rüdiger Stubenrecht,<br />
Ute Richter, Robert Freund<br />
Layout und Satz:<br />
Hans-Peter Janzen<br />
Korrektur:<br />
Robert Freund<br />
„<strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong>“<br />
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Dienstag u. Donnerstag 14.00 - 15.00<br />
Auflage: 4.000<br />
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Veröffentlichte Leserbriefe, Artikel und Stellungnahmen<br />
geben die Meinung des Verfassers wieder, die nicht mit der<br />
Redaktionsmeinung übereinstimmen muss.
16 KUNST<br />
Künstler des Monats<br />
Kleines Oeuvre, große Wirkung<br />
Der Frankfurter Adam Elsheimer<br />
Noch heute gilt er als der bedeutendste<br />
deutsche Maler des 17. Jahrhunderts.<br />
In seiner Zeit muss er so etwas wie ein<br />
Superstar gewesen sein, der Frankfurter<br />
Maler Adam Elsheimer. Er setzte in Malweise<br />
und Lichtbehandlung Zeichen,<br />
die noch Jahrhunderte gelten sollten und<br />
großen Einfluss haben würden. Doch sein<br />
Lebenswerk blieb klein, sowohl in den<br />
von ihm gewählten Formaten als auch in<br />
der Zahl seiner Bilder. Sein Einfluss auf<br />
die Maler seiner Zeit und späterer Kunstepochen<br />
war gewaltig und reicht bis heute<br />
nach.<br />
Das Leben von Adam Elsheimer war nur<br />
kurz und ist schnell erzählt.<br />
Sein Taufdatum kennen wir (18.März<br />
1578 in Frankfurt), ebenso das Datum<br />
seiner Beerdigung am 11. Dezember 1610<br />
in Rom. Er stammte aus bestem Frankfurter<br />
Handwerkerstamm und wurde in<br />
seiner Heimatstadt ausgebildet, bei dem<br />
damals recht berühmten Maler Philipp<br />
Uffenbach. Doch schon mit 20 zog es ihn<br />
in die Ferne. Nach Studienaufenthalten in<br />
München und Venedig ließ er sich im Jahre<br />
1600 in Rom nieder und blieb dort bis<br />
zu seinem Lebensende.<br />
Er arbeitete nur sehr langsam und wurde<br />
immer wieder von melancholischen<br />
Stimmungen heimgesucht, obwohl er in<br />
den Künstlerkreisen seiner Zeit überaus<br />
anerkannt war und beispielsweise Pieter<br />
Paul Rubens d. Ä. zu seinen persönlichen<br />
Freunden zählen konnte. Großformatige<br />
Portraits oder riesige Wandbilder sind von<br />
Flucht nach Ägypten<br />
ihm nicht bekannt. Er hat ausschließlich<br />
auf Kupfertafeln gemalt und völlig neue<br />
Sichtweisen und Themen entwickelt, die<br />
später in Italien und den Niederlanden<br />
aufgenommen und zur Blüte entwickelt<br />
wurden. Auch Rembrand und Claude<br />
Lorrain haben in seinem Sinne gemalt.<br />
Philemon und Baucis<br />
Themenwahl und Malweise<br />
Die meisten seiner Bilder sind miniaturenhaft<br />
gemalt und bieten somit einen fast<br />
fotografischen Ausblick auf Leben und<br />
Lebensumstände seiner Zeit, auch wenn<br />
seine Bilder zumeist religiöse oder mythologische<br />
Themen haben.<br />
Die Flucht des Jesuskindes nach Ägypten<br />
hat er für seine Verhältnisse oft gemalt,<br />
doch auch die griechische Mythologie ist<br />
mit dem Brand Trojas und dem für Einverständnis<br />
und eheliche Treue sprichwörtlich<br />
gewordene Paar Philemon und<br />
Baucis vertreten.<br />
Die Themen mögen für die damalige Zeit<br />
ziemlich üblich gewesen sein, seine Art zu<br />
malen aber erregte Aufsehen. Aus seinem<br />
Aufenthalt in Venedig hatte er die Kunst<br />
der Hell/Dunkelkontraste mitgebracht<br />
und entwickelte sie zur Meisterschaft weiter.<br />
Daneben widmete er den Landschaften in<br />
seinen Bildern große Aufmerksamkeit und<br />
malte als erster poetische Landschaftsstimmungen,<br />
wie sie erst rund 200 Jahre später<br />
in einer ganz anderen<br />
Zeit das künstlerische<br />
Schaffen<br />
bestimmen sollten.<br />
Er hat stimmungsvolle<br />
Landschaften<br />
im Mondlicht und<br />
Interieurs im Kerzenschein<br />
gemalt<br />
und immer wieder<br />
mit Hell-Dunkelkontrasten<br />
und<br />
der Inszenierung<br />
künstlicher Lichtquellen<br />
gearbeitet.<br />
Wenn es einen<br />
Künstler gab, der<br />
auf der Verbindungsstrasse<br />
vom<br />
Tintoretto zu Rembrand<br />
und Rubens<br />
einen wesentlichen<br />
eigenen Beitrag<br />
geleistet hat,<br />
dann ist dies der<br />
Frankfurter Maler<br />
Adam Elsheimer.<br />
Seine Bilder sind<br />
auch heute noch<br />
bekannt, obwohl<br />
in vielen Fällen der<br />
Name des Malers<br />
selbst längst zu Unrecht<br />
vergessen ist.<br />
In vielen seiner Bilder lohnt sich der Blick<br />
auf den dargestellten Himmel, insbesondere<br />
auf die Sterne. Er gab den Sternen<br />
individuelles Licht und den genau richtigen<br />
Platz am Sternenhimmel. Man könnte<br />
seine Bilder als Sternkarte nutzen. Es ist<br />
tatsächlich schon einmal nachgerechnet<br />
worden: im Bild vom Traum des Jakob<br />
entspricht die Sternenkonstellation exakt<br />
der, die zu Elsheimers Zeit am Himmel<br />
von Rom zu sehen war. So erwarb er sich<br />
den Spitznamen: „Der Maler, der in die<br />
Sterne schaut“. Er sah ganz einfach einiges<br />
mehr als seine Zeitgenossen. Und noch<br />
etwas lohnt sich: die genaue Abbildung<br />
der Nebenfiguren gibt tiefe Einblicke auf<br />
das ganz normale Leben zu Beginn des 17.<br />
Jahrhunderts.<br />
Verstreutes Werk<br />
Seine kleinen Gemälde sind überall auf<br />
der <strong>Welt</strong> verstreut, von der National Gallery<br />
in London bis zur Alten Pinakothek<br />
in München, der Gemäldegalerie in Berlin,<br />
in Braunschweig und in der Gemäldegalerie<br />
Alte Meister in Dresden.<br />
Aber glücklicherweise ist auch vieles der<br />
insgesamt nur 40 bekannten Werke wieder<br />
nach Frankfurt zurückgekehrt und gehört<br />
zu den Schätzen des Städel.<br />
In der Zeit vom 17. Mai bis zum 5. Juni<br />
gibt es dort eine spezielle Ausstellung. Der<br />
Katalog zur Ausstellung ist im Verlag Minerva<br />
erschienen und kostet 29,90 Euro.<br />
Die heilige Elisabeth von Ungarn betreut die Kranken<br />
Daten zur Ausstellung<br />
Eintrittspreise:<br />
8,-- Euro, ermäßigt 6,-- Euro,<br />
Familienkarte 16,-- Euro<br />
Öffnungszeiten:<br />
Dienstag, Freitag bis Sonntag 10.00 –<br />
19.00 Uhr; Mittwoch, Donnerstag<br />
10,00 – 21.00 Uhr<br />
Montag geschlossen<br />
Bericht: Rüdiger Stubenrecht