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Nr. 43 - Soziale Welt

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Die unabhängige Frankfurter Straßenzeitung <strong>Nr</strong>. <strong>43</strong> Euro 1,80<br />

Seite<br />

2<br />

Koalitionsvertrag<br />

Rot mit schwarzen Punkten<br />

oder umgekehrt?<br />

Seite<br />

4<br />

Keiner verliert ungern<br />

Fußball zwischen<br />

Kommerz und Politik<br />

Seite<br />

6<br />

Gerechtigkeit und<br />

sozialer Wandel<br />

Gerechtigkeit sozialen Handelns<br />

- Ein Anstoß zur Diskussion<br />

Mitglied im „International Network of Street Papers“ INSP<br />

Fussball nach Deutschland —<br />

Obdachlose nach Mallorca?<br />

Zum ersten Mal seit 1974 ist der <strong>Welt</strong>fußball<br />

wieder zu Gast in Deutschland.<br />

Das beschäftigt die Öffentlichkeit nicht<br />

nur im Vorfeld und während der Spiele,<br />

es wird auch nachher noch zu endlosen<br />

Diskussionen kommen. Zum Beispiel<br />

darüber, wie man ein guter Gastgeber für<br />

die internationale Fußballszene ist – oder<br />

war.<br />

Der Internationale Fußball ist vom 9. Juni<br />

bis zum 9. Juli auf der Wanderschaft<br />

durch ganz Deutschland, von München<br />

bis Berlin, von Hamburg bis Leipzig.<br />

12 Stadien und 32 Nationen sind an<br />

diesem Großereignis beteiligt: groß<br />

sowohl in Hinsicht auf die eingesetzten<br />

Werbemillionen, den Vorabruhm der<br />

Spieler, den Medieneinsatz – und auch<br />

den Megaschaden bei missglücktem<br />

Ablauf, sei es durch Fifa-Fehler beim<br />

Kartenverkauf, bei terroristischem Angriff<br />

oder bei Hooligan-Aktionen. GoLeo<br />

wandert durch die Republik und zieht<br />

einen großen Schatten mit sich.<br />

nicht in die Hand genommen hat, soll in<br />

sieben Wochen mit Gewalt gerichtet werden.<br />

Neue Rolltreppen, endlich reparierte<br />

Aufzüge, zu Ende gebaute Treppenaufgänge,<br />

neue Hinweis- und Führungssysteme<br />

und und und.<br />

Hinter den Kulissen tagen die zuständigen<br />

Behörden von der Polizei über Zivil- und<br />

dem Straßenbild. Betroffen sind in erster<br />

Linie die Obdachlosen und die Suchtabhängigen.<br />

Ihre bevorzugten Treffpunkte<br />

sind durch Baumaßnahmen belegt, es<br />

wird kontrolliert und zur Benutzung der<br />

Drückerstuben angehalten. Das hat den<br />

Vorteil, dass einige der unangenehmeren<br />

Figuren in der Drogenszene aus dem Verkehr<br />

gezogen werden.<br />

Das hat aber auch den Nachteil, dass die<br />

Betroffenen, die ohnehin unter besonderen<br />

sozialen Schwierigkeiten leben, noch<br />

weiter verunsichert werden. Die Szene<br />

flattert – und sucht sich neue Schauplätze<br />

abseits von den kontrollierten Orten. Das<br />

trägt soziale Schwierigkeiten an ganz neue<br />

Schauplätze zum Leidwesen anderer Bürger.<br />

Denn es ist bekannt, das auch radikalster<br />

Polizeieinsatz mit „Zero Tolerance“-<br />

Vorgaben die Zahl und das Verhalten der<br />

Süchtigen nicht ändert, sondern nur die<br />

Verhaltensweisen um neue Varianten der<br />

Verschleierung und der Beschaffungskriminalität<br />

bereichert.<br />

Seite<br />

9<br />

Denn die Republik macht sich ganz eilig<br />

fein. Alleine in Frankfurt soll eine Meisterleistung<br />

gelingen: Die Commerzbank-<br />

Arena soll von einigen Baufehlern kuriert<br />

werden, die Haltestelle Waldstadion ist<br />

eine einzige Großbaustelle und am Hauptbahnhof<br />

ist fast kein Durchkommen mehr.<br />

Kein Wunder: was man in sieben Jahren<br />

Katastrophenschutz bis zum Verfassungsschutz<br />

und den Betreuern der Junkies.<br />

Zwar versichert Hessens Innenminister<br />

Bouffier lächelnden Gesichtes, dass alles<br />

in Ordnung sei und unter Kontrolle. Aber<br />

im Hintergrund wird eifrig aufgerüstet,<br />

von neuen Autos über Urlaubssperren<br />

bis zur Vertreibung von Missliebigen aus<br />

Die Rechnung für die Operation<br />

„Deutschland macht sich fein – Obdachlose<br />

und Suchtkranke aus den Städten“ ist<br />

hinterher zu zahlen. Die Höhe ist noch<br />

nicht absehbar. Wie bei allen Schönheitsoperationen,<br />

wird sie heftig ausfallen.<br />

–rs-<br />

Kulturpass für Frankfurt<br />

Der Mensch lebt nicht<br />

vom Brot allein<br />

Seite<br />

10<br />

Obdachlos<br />

Geschichten von Außenseitern<br />

und Selbstaussagen<br />

Seite<br />

16<br />

Künstler des Monats<br />

Der Frankfurter Adam Elsheimer:<br />

Im Detail die <strong>Welt</strong> entdecken<br />

Kirchenasyl für Bayern-Bärchen<br />

Man mag es kaum glauben: da verirrte<br />

sich ein veritabler Braunbär in die Gegend<br />

von Garmisch-Partenkirchen. Er soll aus<br />

Italien über Österreich eingewandert<br />

sein, hieß es. Sicher ist das nicht, denn<br />

Bären sind heimliche Tiere, die eigentlich<br />

den Kontakt zu Menschen scheuen.<br />

Er wurde von der bayerischen Landesregierung<br />

jubelnd begrüßt, denn es ist<br />

über 200 Jahre her, dass der letzte Bär<br />

in Deutschland geschossen wurde (Ausgebüxte<br />

Exemplare aus Tierschauen und<br />

–Transporten gelten nicht). Der Bär sei<br />

eine Bereicherung der Alpenlandschaft<br />

und ein wichtiger Schritt zu einer heilen,<br />

naturverbundenen Landschaft, so hörte<br />

man es zunächst. Doch dann kam es ganz<br />

anders.<br />

Meister Petz, ganz naturverbunden,<br />

wurde mit von Menschen geschaffenen<br />

künstlichen Anhäufungen von<br />

Nahrungsmitteln konfrontiert, die so ganz<br />

und gar nicht einer artgerechten Haltung<br />

entsprechen. Konkret: Schafpferche und<br />

ein Hühnerstall. Das Wasser muss ihm<br />

literweise im Maul zusammengeflossen<br />

sein. Und so reagierte Ursus major wie<br />

es nun mal seiner Art entsprechend ist:<br />

Erstmal Fressen, dann wieder zuschlagen<br />

und nur noch die Leckerbissen nehmen.<br />

Auch die Bären in Kanada fressen ab dem<br />

zweiten Tag nur noch den Kaviar und<br />

lassen den Lachs liegen. Ein Bär verlässt<br />

sich eben darauf, dass in der Natur nichts<br />

wegkommt und Überangebote von<br />

Nahrungsmitteln Anlass zu Fressorgien<br />

sind.<br />

Der für Landwirtschaft und Forsten<br />

zuständige Minister Schnappauf reagierte<br />

mit Panik und derben Sprüchen: der nicht<br />

mehr sozialisierbare Bär sei zu erschießen,<br />

tönte es weit vom Jagdrevier in München.<br />

Das war daneben, denn Deutschland liebt<br />

die Bärchen, insbesondere dann, wenn<br />

sie weit weg sind und nur in Form von<br />

Teddy- und Gummibärchen vorkommen.<br />

Es ist ja auch kein Fall bekannt, bei<br />

dem ein Gummibärchen versucht hätte,<br />

beispielsweise Herrn Gottschalk in die<br />

weiß Gott große Nase zu beißen.<br />

Und ausgerechnet da nahm Papst Benedikt,<br />

bekennender Ex-Bayer, auch noch<br />

das Wappen seines ehemaligen Heimatsbistums<br />

in das persönliche Papstwappen<br />

auf — mit einem Bär. Schnappauf<br />

schnappte ein und rudert zurück. Denn<br />

von vorlauter, wenn auch niicht qualifizierter<br />

Seite verlautete, dass Seine Heiligkeit<br />

damit seine Sympathie für den einsamen<br />

Bär in Bayern ausdrücken wollte.<br />

Jetzt soll der Direktor des Tiergartens<br />

Hellabrunn mit Blasrohr auf die Bärenjagd<br />

gehen. Das wird der sich möglicherweise<br />

sehr überlegen, denn dank Vierradantrieb<br />

sind Bären im Antritt einiges schneller<br />

als Zweibein Mensch und reagieren<br />

manchmal relativ heftig auf Störungen in<br />

der durch die Jagdwaffe bedingten großen<br />

Nähe.<br />

Vorschlag zur Güte: Jeder neu zugereiste<br />

Bär erhält Kirchenasyl in einem von<br />

Bayerns großen Klöstern und kann sich<br />

dort der friedlichen Kunst der Imkerei<br />

widmen statt sich zu benehmen wie Conan<br />

der Barbar im Penny-Markt.<br />

Der Minister aber, da er sich in dieser<br />

Sache selbst einen Bärendienst geleistet<br />

und pisastudienmäßig auffällige Biologiekenntnisse<br />

offenbart hat, muss nachsitzen.<br />

Man hätte den Bär nämlich ganz einfach<br />

vertreiben können. Öffentliches lautes<br />

Abspielen von Stoiber-Reden reicht aus,<br />

um selbst hungrige Bären vom einsamsten<br />

Hof fernzuhalten. Ansonsten sollte er realisieren,<br />

dass Bären wilde Tiere sind und<br />

damit sozialpädagogisch einfach nicht ansprechbar.<br />

–rs-


2 POLITIK<br />

An ihren Worten sollt Ihr sie erkennen<br />

Grundsatzprogramme heißen angeblich<br />

so, weil sie grundsätzlich keiner liest. In<br />

Anbetracht des Verhaltens deutscher Politiker<br />

mag da was dran sein. Folgerichtig<br />

wäre ein Koalitionsvertrag eine Vereinbarung,<br />

an die sich von vorneherein keiner<br />

halten will. Im täglichen Politikgeschäft<br />

ist der nächste Wahlkampf immer wichtiger<br />

als gemachte Versprechungen. Wir<br />

haben uns mit dem Koalitionsvertrag<br />

beschäftigt und geben hier wichtige Passagen<br />

wieder, die die Zielsetzungen für<br />

soziale Zwecke wiedergeben. Diese Texte<br />

lassen wir unkommentiert – das Verhalten<br />

der Parteien wird Kommentar genug<br />

sein.<br />

Präambel: Wohlstand sichern – Arbeit<br />

schaffen<br />

Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist zentrale<br />

Verpflichtung unserer Regierungspolitik…<br />

Zur Stärkung von Innovationen, Investitionen,<br />

Wachstum und Beschäftigung sowie<br />

zur Stärkung des Verbrauchervertrauens<br />

werden wir in fünf zentralen Bereichen<br />

konkrete Impulse in einem Gesamtvolumen<br />

von 25 Mrd.Euro in den kommenden<br />

vier Jahren gegeben (sic).<br />

2.Arbeitsmarkt<br />

2.1 Senkung von Lohnzusatzkosten<br />

CDU, CSU und SPD stellen sicher,<br />

dass die Lohnzusatzkosten (Sozialversicherungsbeiträge)<br />

dauerhaft unter<br />

40% gesenkt werden. Dazu wird<br />

der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung<br />

zum 1.1.2007 von 6,5% auf<br />

4,5% reduziert. Einen Prozentpunkt<br />

davon finanziert die Bundesagentur<br />

für Arbeit….,<br />

ein weiterer Prozentpunkt wird<br />

durch den Einsatz eines vollen<br />

Punktes Mehrwertsteuer finanziert.<br />

Gleichzeitig steigt der Beitrag zur<br />

gesetzlichen Rentenversicherung von<br />

19,5% auf 19,9%.<br />

2.2 Vorfahrt für junge Menschen<br />

Wir wollen, dass in Zukunft kein Jugendlicher<br />

länger als drei Monate arbeitslos<br />

ist…<br />

Konkret bedeutet dies die Bereitstellung<br />

von jährlich 30.000 neuen Ausbildungsplätzen,<br />

25.000 betrieblichen Einstiegsqualifizierungen<br />

durch Wirtschaft und<br />

Handwerk und passgenaue Maßnahmen<br />

der Bundesagentur für Arbeit für<br />

Förderung von Ausbildung…junge(r)<br />

hilfsbedürftige(r) erwerbsfähiger Menschen:<br />

Diesen Jugendlichen wird ein persönlicher<br />

Ansprechpartner und Arbeitsvermittler<br />

zur Seite gestellt. Dieser soll<br />

künftig flächendeckend höchstens 75 Jugendliche<br />

betreuen…<br />

Der persönliche Arbeitsvermittler hat<br />

Hilfen anzubieten – einschließlich der<br />

Schuldner- und Suchtberatung<br />

2.3 Impulse für mehr Beschäftigung von<br />

älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern<br />

Internationale Erfahrungen belegen, dass<br />

hierzu ein ganzes Bündel abgestimmter<br />

Maßnahmen in den Bereichen Arbeit, Bildung<br />

und Gesundheit notwendig ist, und<br />

dass sowohl Anreize zur Frühverrentung<br />

beseitigt als auch Maßnahmen zum Erhalt<br />

und zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit<br />

und zur Wiedereingliederung älterer<br />

Arbeitsloser erforderlich sind…<br />

Arbeitsplatzbezogene Qualifizierungsmaßnahmen<br />

sollen durch die Betriebe und<br />

nicht durch die Beitragszahler finanziert<br />

werden…<br />

Langzeitsarbeitskonten werden gesetzlich<br />

gesichert. Dabei werden wir eine Regelung<br />

nach dem Vorbild der Insolvenzsicherung<br />

bei der Altersteilzeit prüfen…<br />

In vielen Regionen .. ist es daher unerlässlich,<br />

gemeinsame sinnvoller Maßnahmen<br />

mit den Ländern zur Förderung<br />

gesellschaftlich sinnvoller gemeinnütziger<br />

Arbeiten für arbeitsmarktlich nicht mehr<br />

integrierbare Langzeitsarbeitslose in der<br />

letzten Phase ihres Erwerbslebens zu ergreifen.<br />

Dabei sollen zunächst die vom<br />

Bund zur Verfügung gestellten 30.000<br />

Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitsarbeitslose<br />

ab 58 Jahre in dreijährigen<br />

Zusatzjobs genutzt werden. …<br />

Soweit die 30.000 Förderungsmöglichkeiten<br />

ausgeschöpft sind, schlagen wir den<br />

Ländern vor, weitere bis zu 20.000 gemeinnützige<br />

Beschäftigungen gemeinsam<br />

zu finanzieren.<br />

2.5 Aktive Arbeitsmarktpolitik<br />

CDU, CSU und SPD werden ... alle arbeitsmarktpolitischen<br />

Maßnahmen auf<br />

den Prüfstand stellen…<br />

Diese Überprüfung soll bis Ende kommenden<br />

Jahres abgeschlossen sein. Auf der<br />

Grundlage dieser Wirksamkeitsanalyse<br />

wird dann spätestens im Jahr 2007 die aktive<br />

Arbeitsmarktpolitik insgesamt grundlegend<br />

neu ausgerichtet und sichergestellt,<br />

dass die Mittel der Beitrags- und Steuerzahler<br />

künftig so effektiv und effizient wie<br />

möglich eingesetzt werden.<br />

6.7 Stadtentwicklung als Zukunftsaufgabe<br />

Das Programm Stadtteile mit besonderem<br />

Entwicklungsbedarf – die <strong>Soziale</strong> Stadt -<br />

… soll weiterentwickelt und auf die gesetzlichen<br />

Ziele konzentriert werden….<br />

Zur Verminderung der Flächeninanspruchnahme<br />

und zur Beschleunigung<br />

wichtiger Planungsvorhaben, vor allem<br />

in den Bereichen Arbeitsplätze, Wohnbedarf<br />

und Infrastrukturausstattung, werden<br />

wir das Bau- und Planungsrecht für<br />

entsprechende Vorhaben zur Stärkung der<br />

Innenentwicklung vereinfachen und be-<br />

schleunigen. Wir werden die gesetzlichen<br />

Rahmenbedingungen erhalten und wenn<br />

nötig ausbauen, um die Innenstädte als<br />

Einzelhandelsstandorte zu erhalten….<br />

Zur Bewältigung des demographischen<br />

Wechsels und der Migration wollen wir<br />

mit Modellvorhaben Städte dabei unterstützen,<br />

Wohnquartiere kinder- und<br />

familienfreundlich zu gestalten und die<br />

Infrastruktur barrierefrei und altengerecht<br />

umzubauen.<br />

9.1 Entlastung der Bürger und der Wirtschaft<br />

von Bürokratiekosten<br />

….Die neue Bundesregierung wird deshalb<br />

als Sofortmaßnahme…Unternehmen<br />

von besonders wachstumshemmenden<br />

Überregulierungen befreien und insbesondere<br />

dem Mittelstand sowie Existenzgründern<br />

mehr Luft zum Atmen verschaffen.<br />

Vordinglich sind dabei der Abbau von Statistik-,<br />

Nachweis-, Dokumentations- und<br />

Buchhaltungspflichten, die Vereinfachung<br />

und Beschleunigung von Planungs- und<br />

Genehmigungsverfahren, der Abbau von<br />

Doppel- und Mehrfachprüfungen, die<br />

Vereinheitlichung von Schwellenwerten<br />

zum Beispiel im Bilanz- und Steuerrecht,<br />

die Begrenzung der Verpflichtung von Betrieben<br />

zur Bestellung von Beauftragten,<br />

die Vereinfachung der betriebsärztlichen<br />

und sicherheitstechnischen Betreuung von<br />

Kleinbetrieben sowie die Entbürokratisierung<br />

der bestehenden Förderprogramme.<br />

Die Erfahrungen der Vergangenheit<br />

haben gezeigt, dass eine<br />

auf Einzelmaßnahmen beschränkte<br />

Rechtsbereinigung nicht ausreicht<br />

um die Bürokratie…und die Lasten<br />

insbesondere der kleinen und<br />

mittleren Unternehmen zu beseitigen.<br />

Als wesentliches Hindernis hat<br />

sich dabei erwiesen, dass bis heute<br />

in Deutschland keine Methode existiert,<br />

bestehende Bürokratiekosten<br />

zuverlässig zu erfassen und für neue<br />

Gesetze sicher vorherzusagen.<br />

IV <strong>Soziale</strong> Sicherheit verlässlich und<br />

gerecht gestalten –<br />

4 Verlässliche Sozialhilfe<br />

Die Sozialhilfe bildet mit ihren Leistungen,<br />

insbesondere der Hilfe zum Lebensunterhalt,<br />

der Eingliederungshilfe für behinderte<br />

Menschen, der Hilfe zur Pflege und der<br />

Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung,<br />

das unterste soziale Netz. Ferner<br />

ist sie in ihrer Funktion als Referenzsystem<br />

für die Leistungen der Grundsystem<br />

für Arbeitssuchende unverzichtbare Säule<br />

des Sozialstaates in Deutschland. Diese<br />

beiden Funktionen der Sozialhilfe gilt es<br />

dauerhaft zu erhalten, um auch künftig<br />

bei Notfällen und bei Hilfebedürftigkeit<br />

die erforderliche Absicherung weiterhin<br />

sicherzustellen.<br />

8.1 Pflegeversicherung – Sicherung einer<br />

nachhaltigen und gerechten Finanzierung<br />

Um Angesichts der demographischen<br />

Entwicklung sicherzustellen, dass die<br />

Pflegebedürftigen auch in Zukunft die<br />

Pflegeleistungen erhalten, die sie für eine<br />

ausreichende und angemessene Pflege zu<br />

einem bezahlbaren Preis brauchen, ist die<br />

Ergänzung des Umlageverfahrens durch<br />

kapitalgedeckte Elemente als Demographiereserve<br />

notwendig.<br />

Wahlbetrug oder<br />

Haushaltsrettung?<br />

Der Bundestag hat abgestimmt und die<br />

überwiegende Mehrheit hat eine Haushaltssicherung<br />

beschlossen, die klar zu<br />

Lasten der kleineren Einkommen geht.<br />

Streichungen bei der Kilometerpauschale,<br />

vorgesehene Einsparungen bei ALG II<br />

und als Krönung die Erhöhung der Mehrwertsteuer<br />

auf 19 Prozent – die höchste<br />

Steuererhöhung seit 1949. Die Einführung<br />

der sogenannten Reichensteuer hat<br />

sich schon bei den Finanzplanungen als<br />

bloße Kosmetik mit sehr begrenztem finanziellen<br />

Ergebnis herausgestellt.<br />

Die kleine Opposition läuft zu großer<br />

Form auf. Die FDP wirft der SPD genüsslich<br />

Wahlbetrug vor. Die Linkspartei hat<br />

es schon immer gewusst und tönt entsprechend.<br />

Die CDU macht auf staatsmännisch zurückhaltend<br />

und nur die SPD muß die<br />

Kröten schlucken. Die Kröten einer von<br />

A bis Z verfehlten Politik des Weiterwurstelns<br />

zu Lasten der Bürger.<br />

Denn es ist in der einzig wichtigen Sache<br />

nichts geschehen: Die Staatsquote muss<br />

runter. Der Behördenapparat muss abgebaut<br />

werden, es muss mehr Geld für den<br />

Ausbau der Wirtschaft her. Nur so gibt<br />

es neue Arbeitsplätze und wieder mehr<br />

Steuergeld für die Staatskassen, die nicht<br />

wirklich Not leiden, sondern deren Geld<br />

behördlicherseits in ungeheuerlichem<br />

Ausmaß verschwendet und falsch eingesetzt<br />

wird.<br />

Der neu gekürte SPD-Chef Kurt Beck<br />

wird in den nächsten Landtagswahlen die<br />

üble Suppe auslöffeln müssen.<br />

Außenpolitische Erfolge nimmt die CDU<br />

für sich in Anspruch, innenpolitisch ist<br />

Stagnation angesagt. Es bleibt wieder bei<br />

kleinen Pseudoänderungen, die nichts<br />

anderes sind als kassenbelastende Lieblingsprojekte<br />

von einzelnen Politikern.<br />

Kurt Beck stößt weiterhin in das alte<br />

Schröder-Horn vom armen Staat, der erst<br />

einmal neues Geld haben muss, bevor er<br />

irgendwas unternehmen könnte. Aber diese<br />

Posaune gibt einen falschen Ton, und<br />

die einzigen Mauern, die bei ihrem Klang<br />

einstürzen werden, sind die deutschen.<br />

Wenn Rot-Schwarz unsozial ist, wie es eine<br />

Regierung mit einem grundfalschen Konzept<br />

inhärent sein muss, geht das zu Lasten<br />

der Roten. Insbesondere die Gewerkschaften<br />

nehmen übel, dass Vizekanzler<br />

Müntefering eilig heilige Kühe schlachtet,<br />

von der Ausbildungsabgabe bis zum Kündigungsschutz<br />

und – man hatte sich mal<br />

dafür stark gemacht, und die damaligen<br />

Töne klingen nach – zum Mindestlohn.<br />

Dass diese Positionen einfach nur hirnlos<br />

sind, spielt keine Rolle mehr.<br />

Wenn die Regierung nicht aus dieser Falle<br />

findet, gibt es vier weitere Jahre wirtschaftlichen<br />

Stillstand und weitere Flucht von<br />

Arbeitsplätzen aus Deutschland. Es muss<br />

ein Weg gefunden werden, aus den vorhandenen<br />

Mitteln Gelder für Zukunftsaufgaben<br />

freizumachen, statt dem Bürger<br />

aus der Tasche zu ziehen. Es steht viel<br />

mehr auf dem Spiel als nur der Wahlerfolg<br />

der einen oder anderen Regierungspartei.<br />

Rüdiger Stubenrecht


Frankfurter<br />

Salomon Korn wird<br />

Ehrenprofessor<br />

Salomon Korn, Vorsitzender der<br />

Jüdischen Gemeinde in Frankfurt und<br />

Vizepräsident des Zentralrats der Juden<br />

in Deutschland, hat vom Land Hessen<br />

einen Professor ehrenhalber bekommen.<br />

Mit der Ehren-Professur wolle man das<br />

vielfältige ehrenamtliche Engagement<br />

ehren, so der Hessische Minister für<br />

Wissenschaft und Kunst, Udo Corts bei<br />

der Verleihung im Römer. Salomen Korn,<br />

seines Zeichens Architekt, darf darüber<br />

hinaus auf eine intensive Vortrags- und<br />

Publikationstätigkeit zurückblicken. Er<br />

ist in zahlreichen wissenschaftlichen und<br />

Gedenkstätten-Beiräten tätig Sein wirken,<br />

so Udo Corts, sei stets eng verbunden<br />

mit der deutsch-jüdischen Vergangenheit<br />

gewesen. „Immer wieder den Finger in die<br />

Wunde legen“ ist Voraussetzung für eine<br />

Versöhnung. Dazu gehört eine konkrete<br />

und ehrliche Erinnerung an die dunkelsten<br />

Tag der deutschen Geschichte, die<br />

Salomon Korn in der wissenschaftlichen<br />

und publizistischen Arbeit immer wieder<br />

eingefordert und zu der er beigetragen hat.<br />

Das sei notwendig, so Minister Corts, weil<br />

es der deutschen Mehrheitsgesellschaft in<br />

der Nachkriegszeit der Mut fehlte, sich mit<br />

der Vernichtung der Juden auseinander zu<br />

setzten.<br />

Sichtbarstes Zeichen des Wirkens des<br />

62-jährigen in Frankfurt ist das von ihm<br />

geplante jüdische Gemeindezentrum. In<br />

Salomon Korns eigenen Worten beginnt<br />

Normalität im Zusammenleben dann,<br />

wenn es tendenziell gleichgültig ist, ob<br />

Juden in der gesellschaftlichen aufgehen<br />

oder bewusst religiöse Minderheit bleiben<br />

wollen. Für ein solches dauerhaftes<br />

Miteinander der Religionen habe sich<br />

Korn stets nachdrücklich eingesetzt, so<br />

Udo Corts. Man darf hinzufügen, das<br />

Gleiches auch für das Zusammenleben<br />

aller Religionen in Deutschland gilt.<br />

Homeless World Cup<br />

2006 in Kapstadt<br />

Nach der Fußballweltmeisterschaft kommt<br />

der <strong>Welt</strong>cup im Obdachlosenfußball, in<br />

der Zeit vom 24-30. Oktober 2006. die<br />

Obdachlosenzeitschrift The Big Issue<br />

(South Africa) wird diese Meisterschaft<br />

ausrichten. Wie verlautet, werde die<br />

erfolgreiche Durchführung des Homeless<br />

World Cup als Unterstützung zur<br />

Bewerbung von Südafrika für die Vergabe<br />

der nächsten Fußballweltmeisterschaft<br />

gesehen. Südafrika hat sich für 2010<br />

beworben.<br />

Die Idee für eine <strong>Welt</strong>meisterschaft<br />

der Obdachlosen unter Beteiligung der<br />

Obdachlosenzeitschrift, die es in vielen<br />

Ländern der <strong>Welt</strong> gibt, ist 2001 bei der<br />

jährlichen Veranstaltung der INSP in<br />

Südafrika entstanden (Die <strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong><br />

gehöt diesem Verband an.) Das sorgt<br />

natürlich für beondere Aufmerksamkeit bei<br />

den Beteiligten wie INSP-Präsident Young<br />

und Harald Schmied aus Österreich, der die<br />

Idee erstmals vorgelegt hat, und natürlich<br />

auch bei The Big Issue South Africa.<br />

Immerhin hat sich ein Kreis geschlossen.<br />

INSP-Mitglied The Big Issue South Africa,<br />

sozusagen Schwesterzeitschrift der <strong>Soziale</strong>n<br />

<strong>Welt</strong>, hat seit 1995 mehr als 8 Millionen<br />

Rand in die Taschen von Obdachlosen<br />

und Arbeitslosen einbringen können.<br />

NACHRICHTEN<br />

Parade der Kulturen<br />

trotz Regen ein voller<br />

Erfolg<br />

Inzwischen hat die vierte Parade der Kulturen<br />

unter Beteiligung von Musik- und<br />

Tanzensembles zahlreicher Länder in<br />

Frankfurt stattgefunden. Leider machte<br />

diesmal das Wetter einen heftigen Strich<br />

durch das Präsentationskonzept. Immerhin<br />

4000 Menschen haben die kulturelle<br />

Vielfalt der Stadt unterstrichen. Es wären<br />

sicherlich mehr gewesen, wenn es nicht<br />

kräftig geschüttet hätte. Trotzdem waren<br />

weder die durchnässten Tänzer und Musiker<br />

noch die Zuschauer von der Freude<br />

am langen Tanzwurm abzubringen. Frankfurt<br />

konnte zeigen, für wie viele Kulturen<br />

die Stadt inzwischen Heimat ist und wie<br />

harmonisch das Zusammenlaben unterschiedlichster<br />

Kulturen ablaufen kann.<br />

In Frankfurt kennt man keine Zonen, wo<br />

man besser nicht hingeht, und das gilt für<br />

Deutsch gleichermaßen wie für Ausländer<br />

aller Hautfarben. Wie schon letztes Jahr,<br />

endete der große Festzug wieder direkt am<br />

Mainufer, wo ein Multinationaler Markt<br />

aufgebaut war. Die Jury-Mitglieder Renan<br />

Demirkan (Schauspielerin), damals-noch<br />

Sozialdezernent Franz Frey (SPD) und<br />

Integrationsdezernent Albrecht Magen<br />

(CDU) nahmen das Wetter nicht tragisch<br />

und freuten sich über das bunte Bild der<br />

Nationen, das Frankfurt bietet.<br />

INSP begrüßt neue<br />

Mitglieder<br />

Seit der letzten Vollversammlung in<br />

Glasgow (Mai 2005- wir berichteten)<br />

sind vorbehaltlich der Zustimmung<br />

der Mitgliederversammlung drei neue<br />

Obdachlosenzeitungen dem Verband<br />

beigetreten. Es handelt sich um die<br />

Zeitschriften = aus Oslo; Ulica aus<br />

Mazedonien und Revistas Caminantes<br />

aus Kolumbien. Eine weitere Anmeldung<br />

aus Argentinien wird noch geprüft, da<br />

das INSP-Netzwerk über den Einsatz<br />

von Kindern für den Vertrieb von<br />

Straßenzeitungen noch entscheiden muss.<br />

Diese Entscheidung und die offizielle<br />

Aufnahme der Kandidaten soll auf der<br />

nächsten INSP-Konferenz in Montreal<br />

2006 erfolgen. Inzwischen liegen<br />

Hilfsersuchen über die Gründung einer<br />

Straßenzeitung aus den Ländern Kenia,<br />

Sambia, Ghana, Kanada, Neuseeland,<br />

Mexiko, Indien und Venezuela vor. Der<br />

Verband hilft den Neugründern bei der<br />

Vorbereitung der Geschäftsplanung.<br />

Gegen Obdachlosen-<br />

Mord in Brasilien<br />

Auf einer Konferenz in Argentinien hat<br />

das INSP eine Kampagne gegen inzwischen<br />

16 Bluttaten gegen Obdachlose<br />

in Brasilien begonnen. Alle Betroffenen<br />

sind mit einem stumpfen Gegenstand auf<br />

den Kopf geschlagen worden, während<br />

sie in Sao Paolo auf der Strafe geschlafen<br />

hatten.<br />

Es gab auch Hinweise auf eine Polizeibeteiligung;<br />

es wurden keine Anklagen erhoben.<br />

mit einer „No Justice“ Kampagne<br />

wollte INSP auf diese grauenhaften Übergriffe<br />

und das Fehlern juristischer Verfolgung<br />

aufmerksam machen. Eine ganzseitige<br />

Anzeige wurde entwickelt und in vielen<br />

Mitgliedspublikationen abgedruckt. Über<br />

die INSP-Website, auf die in der Anzeige<br />

hingewiesen wurde, konnten Leser Protest-Emails<br />

an den verantwortlichen Justizminister<br />

von Brasilien senden. Über<br />

300 Personen haben diese Möglichkeit<br />

wahrgenommen. Der Minister weigert<br />

sich weiterhin, die Aktion zu kommentieren.<br />

Die in Sao Paolo ansässige Straßenzeitung<br />

Ocas meldet, dass noch immer nichts<br />

unternommen wurde, um wenigstens den<br />

betroffenen Familien zu ihrem Recht zu<br />

verhelfen. Der INSP wird sich auch weiterhin<br />

mit Kampagnen dieser Art befassen<br />

und die Möglichkeit für die Beeinflussung<br />

der Öffentlichkeit weiter ausbauen.<br />

Aus Russland –<br />

mit Liebe?<br />

Arkady Tiurin von der INSP-Mitgliedszeitung<br />

„Weg Heimwärts“ in St. Petersburg<br />

berichtet: Wir arbeiten nun seit mehr als<br />

10 Jahren mit Obdachlosen in Russland<br />

zusammen und wir sind überzeugt, dass<br />

eine der wichtigsten Aspekte unserer Arbeit<br />

die Beeinflussung der Öffentlichen<br />

Meinung ist. Eine kürzlich durchgeführte<br />

Studie hat gezeigt, dass nur rund ein<br />

Drittel der Bürger von St. Petersburg mit<br />

den Obdachlosen sympathisieren oder<br />

bereit sind, ihnen zu helfen.<br />

Wenn im Krieg Menschen sterben, ist das<br />

schrecklich, aber verständlich. Wenn in<br />

Friedenszeiten Menschen auf der Straße<br />

sterben, ist das unvorstellbar. Eine offizielle<br />

Zahl Obdachloser, die im Winter an der<br />

Kälte in St. Petersburg sterben, ist nicht<br />

bekannt, aber die Polizei bittet uns wiederholt<br />

um die Identifizierung von Leichen<br />

der Obdachlosen und wir kennen Hunderte<br />

von Akten von Obdachlosen, die auf<br />

der Straße gestorben sind. So haben wir<br />

beschlossen, diesen Personen einen öffentlichen<br />

Tribut zu zollen. Wir haben dies<br />

durch eine einzigartige Freiluftausstellung<br />

zu ihren Ehren unternommen.<br />

Die schrecklich kalten Winter von Russland<br />

sind legendär. Ebenso auch die „Straße<br />

der Lebens“ – die einzige Straße, über<br />

die während der Blockade im 2. <strong>Welt</strong>krieg<br />

Lebensmittel für die Bürger von St. Petersburg<br />

in die Stadt gebracht werden konnten.<br />

Am 17. Januar 2006 haben wir 100<br />

Gedenkstätten entlang der Straße des Lebens<br />

niedergelegt, gewidmet denen, die in<br />

diesem Winter schon gestorben sind und<br />

noch sterben werden. Die Gedenkstätten<br />

bestanden aus alten Kleidern, die uns ein<br />

Second-Hand-Laden zur Verfügung gestellt<br />

hatte. Anstelle von Gedächtnisplaketten<br />

wurde an jedes Bündel ein Blatt<br />

Papier mit dem einzigen Wort „Ich“ angeheftet.<br />

Eine Ausstellung dieser Art war etwas ganz<br />

neues für St. Petersburg, also haben mehrere<br />

TV-Kanäle und Journalisten berichtet.<br />

Die Berichterstattung war maßgebend<br />

dafür, ein größeres Publikum daran zu<br />

erinnern, dass Leben ein kollektives Spiel<br />

ist und das die Menschen eine Verantwortung<br />

haben, sich um andere zu sorgen.<br />

In den folgenden Tagen hat unsere Zeitung<br />

mehr als 100 Anrufe von Menschen<br />

erhalten, die wissen wollten, wie sie den<br />

Obdachlosen helfen könnten und wo sie<br />

warme Kleidung spenden sollten. Die Gesamtkosten<br />

für diese PR-Aktion betrug<br />

gerade mal 104 Euro. Kann man den Wert<br />

eines Menschenlebens genau so einfach<br />

berechnen?<br />

Paul Spiegel verstorben<br />

Wieder einmal müssen wir Abschied nehmen<br />

von einem engagierten Demokraten,<br />

der einen Teil der deutschen Nachkriegsgesellschaft<br />

wesentlich bestimmt hat. Am<br />

3<br />

30 April ist Paul Spiegel, Präsident des<br />

Zentralrats der Juden in Deutschland,<br />

gestorben.<br />

Paul Spiegel stammte aus Warendorf im<br />

Münsterland. Die Nazijahre versuchte die<br />

Familie in Belgien zu überstehen; seine<br />

Schwester wurde in Brüssel verhaftet und<br />

kam um, sein Vater überlebt Auschwitz<br />

und Dachau. Der 1937 geborene Knabe<br />

überlebte bei einer Bauernfamilie in<br />

Flandern. 1945 kehrte er nach Warendorf<br />

zurück und beendete dort seine Schulausbildung.<br />

Er hat darüber geschrieben, in<br />

seinem Buch „Wieder zu Hause?“ Seine<br />

berufliche Karriere begann er mit einem<br />

Volontariat bei der Allgemeinen jüdischen<br />

Wochenzeitung in Düsseldorf. Arbeiten<br />

für viele andere namhafte Presseorgane<br />

sollten folgen, zuletzt zwei Jahre lang als<br />

Chefredakteur der Zeitschrift „Mode und<br />

Wohnen“ Danach wendete er sich anderen<br />

Seiten der journalistisch-unternehmerischen<br />

Tätigkeit zu, zunächst zwölf Jahre<br />

lang als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des<br />

Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes.<br />

1986 gründete er mit Initiative von<br />

Dalli-Dalli-Moderator Heinz Rosenthal<br />

(selbst ein NS-Überlebender aus Berlin)<br />

eine Künstler- und Medienagentur.<br />

Er war seit 1967 in verschiedenen Positionen<br />

für die jüdischen Gemeinden in<br />

Deutschland engagiert und wurde als<br />

Nachfolger des Frankfurters Ignaz Bubis<br />

2000 zum Präsident des Zentralrats der<br />

Juden in Deutschland berufen.<br />

Zu vielen Gelegenheiten hat er viel Beachtenswertes<br />

gesagt, was leider in Gefahr ist,<br />

wie alle journalistischen Beiträge mit den<br />

Tagesaktualitäten schnell vergessen zu werden.<br />

Außer dem schon erwähnten Buch<br />

über seine Heimkehr hat er noch ein Buch<br />

hinterlassen: „Was ist koscher ?“ als locker<br />

geschriebene Einführung in das Verständnis<br />

jüdischer Ernährungsvorschriften. Er<br />

hinterlässt eine Lücke, die schwer zu füllen<br />

sein wird.<br />

Auszeichnung ist<br />

15.000 Euro schwer<br />

Im November 2006 verleiht Frankfurt<br />

am Main zum fünften Mal den Integrationspreis.<br />

Mit ihm würdigt die Stadt<br />

Personen und Institutionen, die sich im<br />

alltäglichen Leben um die Integration<br />

und Gleichberechtigung ausländischer<br />

Bürgerinnen und Bürger besonders verdient<br />

gemacht haben und die für eine<br />

gegenseitige Anerkennung der Kulturen<br />

eintreten. Der Preis ist mit 15.000 Euro<br />

dotiert und wird jährlich vom Magistrat<br />

vergeben.<br />

„Die Idee der zivilen Gesellschaft und die<br />

Offenheit gegenüber anderen Kulturen gehören<br />

von jeher zur Bürgerstadt Frankfurt<br />

am Main“, so Integrationsdezernent Dr.<br />

Albrecht Magen. Der Magistrat und die<br />

städtischen Gremien sind auf das bürgerschaftliche<br />

Engagement angewiesen – nur<br />

so kann die Integration weiter verfestigt<br />

werden. Die Förderung der ausländischen<br />

Vereine und der im Bereich Integration<br />

arbeitenden Personen und Organisationen<br />

ist daher von hoher Bedeutung für die<br />

Stadt. Institutionen oder Personen, die als<br />

Preisträger in Frage kommen, können der<br />

Jury bis spätestens 31. Juli vorgeschlagen<br />

werden. Die Vorschläge nimmt das Amt<br />

für multikulturelle Angelegenheiten entgegen<br />

(Walter-Kolb-Straße 9-11, 60594<br />

Frankfurt am Main). Sie können auch per<br />

Mail an integrationspreis.amka@stadtfrankfurt.de<br />

eingesandt werden.


4 FUSSBALL<br />

„Keiner verliert ungern“<br />

Fußball zwischen Leidenschaft, Kontrolle<br />

und banalem Tiefsinn<br />

„Linker“ und „rechter“ Fußball<br />

Über Größenphantasien, symbolische Konflikte und politische Okkupation einer populären Sportart<br />

Prof. Dr. Titus Simon<br />

Auch wenn bei aktuellen Betrachtungen<br />

des Phänomens Fußball immer mehr<br />

dessen Rolle als Wirtschaftsfaktor und<br />

eine zunehmende Entfremdung von<br />

seinen Wurzeln – worunter sehr Unterschiedliches<br />

verstanden werden kann<br />

– betont werden, sind dessen prägende<br />

Eigenschaften auf gesamtkulturelle Phänomene<br />

unstrittig. Fußball wirkt in Lebensbereiche<br />

hinein, in denen er wirklich<br />

nichts zu suchen hat. In dem Teil der<br />

Sprache, der in besonderer Weise mediale<br />

Beachtung und Verbreitung findet, macht<br />

sich eine deutliche „Fußballerisierung“<br />

breit, was ganz besonders für Politikerreden<br />

gilt, in die gerne zentrale Begriffe<br />

des Fußballs und der Fußballberichterstattung<br />

aufgenommen werden. Im<br />

Landtagswahlkampf 2006 warb die CDU<br />

Sachsen-Anhalt am häufigsten mit dem<br />

Slogan: „Wir bleiben am Ball“. Abgebildet<br />

war neben dem Schriftzug ein Lederball,<br />

der dem ähnelte, der 1954 in Bern<br />

getreten wurde. Und seit die deutschen<br />

Intellektuellen in den 1970er-Jahren den<br />

Fußball, dem sie bis dahin mehrheitlich<br />

ignorierend oder entschieden ablehnend<br />

gegenüberstanden, zumindest als Objekt<br />

skurriler Deutungen entdeckt haben,<br />

werden wir mit immer neuen Versuchen<br />

konfrontiert, den Fußball als Projektionsfläche<br />

für gesellschaftspolitische Fantasien<br />

oder gar als Abbild für alte und neue<br />

Klassenantagonismen zu benutzen.<br />

Bei einer analytischen Betrachtung des<br />

sozialen Phänomens Fußball können wenigstens<br />

fünf Herangehensweisen gewählt<br />

werden.<br />

Zum einen sind die objektiven Tatsachen,<br />

die realen Verhältnisse im Fußballgeschäft<br />

zu betrachten. Fußball ist ein Riesengeschäft<br />

geworden, in dem alle Entscheidungen<br />

- von der Vermarktung des Stadionnamens<br />

über das Transfergeschäft<br />

und das Merchandising bis hin zur medialen<br />

Inszenierung und den darin enthaltenen<br />

ökonomischen Dimensionen – im<br />

strengen Sinne den Regeln des Marktes<br />

unterworfen sind. Dieses Geschäft wird<br />

von Kaufleuten dominiert, unter denen<br />

es natürlich erfolgreiche und weniger erfolgreiche<br />

gibt, uns sie bleiben auch dann<br />

Kaufleute, wenn sie bei Aufstiegs- oder<br />

Meisterschaftsfeiern einen Fanschal über<br />

den Boss-Anzug legen. Die Gesetze des<br />

Marktes bestimmen alles. Selbst der Kultund<br />

Kiezclub FC St.Pauli muss im nationalen<br />

Pokalwettbewerb seine Auflaufhymne<br />

„Hells Bells“ auf eine Kurzfassung reduzieren<br />

– weil das Fernsehen, die Sponsoren<br />

und der Deutsche Fußballbund (DFB) es<br />

so wollen.<br />

In dem Maße, wie Fußball Attraktivität<br />

gewann und zu einem Massenphänomen<br />

heranwuchs, wurden Versuche unternommen,<br />

Fußball für politische Ziele und Zwecke<br />

zu instrumentalisieren. Diese Tradition<br />

wurde bereits im italienischen Faschismus<br />

der 1920er und 1939er Jahre begründet.<br />

Noch ehe sich das Konzept einer linken<br />

Hegemonie der Alltagskultur ausbreiten<br />

konnte – Antonio Gramsci entwickelte<br />

hierzu elementare Wesenszüge erst in den<br />

faschistischen Gefängnissen – eroberte die<br />

siegreiche Rechte erfolgreich die Orte der<br />

Volkskultur, zu denen in Italien bereits<br />

früh das Fußballgeschehen gehörte. Die<br />

faschistische Bewegung okkupierte Lazio<br />

Rom, was bis heute in deren Faninszenierungen<br />

fortwirkt, und erprobte am Beispiel<br />

des vormals linken Arbeitervereins<br />

AC Bologna den erfolgreichen Umbau zu<br />

einem stramm faschistisch ausgerichteten<br />

Fußballclub, der – wie in Deutschland der<br />

FC Schalke 04 – seine größten Erfolge<br />

als gleichgeschalteter Verein während des<br />

Faschismus erzielte. Die Instrumentalisierung<br />

für den NS-Staat hat der deutsche<br />

Fußball vor allem als Gleichschaltung und<br />

der Zerstörung der Kultur der Arbeitersportbewegung<br />

innerhalb und außerhalb<br />

des Fußballes erlebt. Der Fußball wurde<br />

aber nicht wie in Italien und auch in Spanien<br />

zu einem herausgehobenen Manipulationsinstrument.<br />

Während italienische<br />

Faschisten in ihrer Leidenschaft für den<br />

Fußball durchaus authentisch waren –<br />

Mussolini besuchte regelmäßig Spiele von<br />

Lazio Rom – hatten die führenden Köpfe<br />

der NSDAP keine ausgeprägte Affinität zu<br />

dieser Sportart. Dies unterschied den Fußball<br />

vom Film, der anderen aufstrebenden<br />

Massenkultur der Dreißigerjahre des letzten<br />

Jahrhunderts. Hinzu kam der Umstand<br />

dass der deutsche Fußball weder 1936 bei<br />

den Olympischen Spielen in Berlin noch<br />

1938 bei der <strong>Welt</strong>meisterschaft in Italien<br />

besonders erfolgreich war und sich zudem<br />

die Hoffnung zerschlug, dass nach dem<br />

„Anschluss“ Österreichs eine Kombination<br />

deutscher und österreichischer Spielkultur<br />

zur „Unbesiegbarkeit“ führen würde. Dieser<br />

gewaltsamen und radikalen politischen<br />

Okkupation hat Silvio Berlusconi in den<br />

letzten 20 Jahren ein neues Gesicht gegeben.<br />

Nachfaschistische Ideologie wurde<br />

gepaart mit gewaltiger Kampfkraft und<br />

zunehmender Medienkontrolle.<br />

Hiervon zu unterschieden ist die meist<br />

emotional unterlegte Bündelung politisch<br />

eingefärbter Projektionen, die sich innerhalb<br />

der Fangemeinden entwickeln können.<br />

Diese knüpfen meist an die Antagonismen<br />

früherer Klassenkämpfe an, wobei<br />

die Ausdrucksformen der linken wie der<br />

rechten Fankultur tradierte Symboliken<br />

mit höchst aktuellen Themenstellungen<br />

und modernen Choreografien mischen<br />

können.<br />

Eine vierte Dimension besteht in der Allgegenwärtigkeit<br />

des Fußballgeschehens,<br />

der Kritiker wohl zu Recht ein erhebliches<br />

Manipulationspotenzial zuschreiben.<br />

Die moderne Variation von „Brot und<br />

Spiele(n)“ ist in unserem Kulturraum eng<br />

mit dem Fußballgeschehen verbunden.<br />

Geht man aber den Folgen dieser in der<br />

Tat vorhandenen Omnipräsenz stärker<br />

nach, so wird keineswegs ein geschlossenes<br />

System manipulativer Mechanismen und<br />

Wirkungen sichtbar. Die Dominanz des<br />

Fußballs in der öffentlichen Berichterstattung<br />

hat ambivalente Folgen. Zum einen<br />

kann sehr wohl bei einem bestimmten Teil<br />

der RezipientInnen davon ausgegangen<br />

werden, dass sie der Fußball davon abhält,<br />

sich anderen wichtigen gesellschaftlichen<br />

Angelegenheiten und Konflikten<br />

in einer Weise zuzuwenden, die sogar bis<br />

zur aktiven Einmischung in das politische<br />

Geschehen führen könnte. Auf der anderen<br />

Seite führt die Überbetonung der<br />

Bedeutung des Fußballgeschehens zu zunehmenden<br />

Unmutsbekundungen derer,<br />

die als KonsumentInnen den Mehrwert<br />

produzieren sollen. Selbst eingefleischten<br />

Fußballfans missfällt, dass Banalitäten aus<br />

dem Fußballgeschehen zunehmend auf<br />

den Titelseiten seriöser Tageszeitungen<br />

platziert werden. Die in der Regel als unumkehrbar<br />

wahrgenommene Ökonomisierung<br />

des Fußballs erfährt gelegentlich<br />

Grenzen, löst kritische Diskurse aus, die<br />

auch auf andere politische Themenstellungen<br />

überspringen können.<br />

Noch stärker als die bislang genannten<br />

Aspekte wirken in unserem Kulturraum<br />

heute jene sozialen Dimensionen, die dem<br />

Spiel eigentümlich sind. Spannungsaufbau<br />

und Spannungsabfuhr sind ebenso möglich<br />

wie das Erleben von Erwartung, Hoffnung,<br />

Freude und Enttäuschung. Zu streiten<br />

wäre hier lediglich darüber, ob es sich<br />

dabei um authentische Gefühlswelten oder<br />

um „Emotionen aus der Dose“ handelt.<br />

In diesem Zusammenhang gehören auch<br />

jene identitätsbildenden Projektionen, die<br />

sich aus dem sozialpsychologisch begründeten<br />

Phänomen der Suche nach einem<br />

„Größenselbst“ ergeben.<br />

Fußball als Objekt kultureller Hegemonieversuche<br />

and als Projektionsfläche für<br />

Imaginationen<br />

Die Redaktion meint:<br />

Während diese Zeitung zum Verkauf<br />

auf der Strasse ist, fiebert eine ganze<br />

Nation mit der schönsten Nebensache<br />

der <strong>Welt</strong>. König Fußball regiert und<br />

hält Hof in Deutschland – und alle<br />

Nationen kommen, 48 davon zum<br />

Spiel um die <strong>Welt</strong>meisterschaft und<br />

eine ziemlich missgestaltete Trophäe,<br />

der Rest einzeln oder in kleinen Gruppen<br />

zum Zuschauen als – hoffentlich<br />

– ziemlich willkommener Tourist in<br />

Sachen Kicken und Tore treffen.<br />

Diese <strong>Welt</strong>meisterschaft, für viele von<br />

uns die letzte in Deutschland, die wir<br />

wohl in unserem Leben sehen werden,<br />

ist geeignet, sich die Fülle dessen, was<br />

international unter Fußball gesehen<br />

wird und gespielt wird, vor Augen zu<br />

führen.<br />

In vielen Ländern der Entwicklungsstaaten<br />

und der Dritten <strong>Welt</strong> hat Fußball<br />

noch heute eine Funktion, die er<br />

einstmals auch in Deutschland hatte:<br />

Aus einem schuhlosen, in Lumpen<br />

gehüllten kleinen Buben einen internationalen<br />

Star zu machen, mit Kohle<br />

reichlich und als nationale Ikone geehrt<br />

wie ein zweiköpfiger Elefant.<br />

Fußball ist eben nicht nur ein Spiel,<br />

sondern er hatte seit seinen Anfängen<br />

stets eine gesellschaftliche und<br />

politische Dimension. Fußballspiele<br />

zwischen Nationen haben nicht selten<br />

die Dimensionen eines Ersatzkrieges,<br />

es hat auch schon kriegerische Auseinandersetzungen<br />

wegen eines Fußballspieles<br />

gegeben. Allerdings wahrscheinlich<br />

nur deshalb, weil man einen<br />

vorgeschobenen Anlass braucht,<br />

sich gegenseitig an die Hälse zu fahren.<br />

Und was zwischen Nationen gilt, gilt<br />

auch zwischen Klassen und Schichten<br />

in einer Gesellschaft.<br />

Den vielfältigen Beziehungen zwischen<br />

Fußball, Klassen und Politik<br />

geht der Artikel nach und zeigt, dass<br />

es sich um eine Geschichte mit vielen<br />

Seiten handelt, denn auch aus dem<br />

Sport geht Einfluss auf die Mentalität<br />

der Politiker aus.<br />

„Der VFB grüßt den tapferen Vietcong<br />

– Borussia grüßt die Kumpels in Hanoi“<br />

(Transparent, gezeigt während des Spiels<br />

VFB Stuttgart – Borussia Dortmund, im<br />

November 1967). Bis in die frühen 1970er<br />

Jahre war der deutsche Fußball keine Projektionsfläche<br />

für die politischen Diskurse<br />

der Zeit. Fankultur vollzog sich als konventionelle<br />

Interaktionen zwischen einem<br />

Ort und seinem Verein. Lebenslagen von<br />

Anhängern und Spielern waren noch miteinander<br />

vergleichbar. Fußball war Vehikel<br />

für die Entwicklung von totaler Identität,<br />

wobei die territoriale und symbolische Abgrenzung<br />

zum jeweiligen Lieblingsgegner<br />

immer eine große Bedeutung hatte. Vor<br />

allem in Italien und in Frankreich wurde<br />

das Fußballgeschehen weitaus früher in<br />

die Politisierungsprozesse einbezogen. Das<br />

Erstarken der Kommunistischen Partei<br />

Italiens und die größere Nähe zwischen<br />

linken Intellektuellen und politisierter Arbeiterklasse<br />

führten in diesem Land bereits<br />

in den 1990er Jahren zu einer Neuauflage<br />

des Versuches, eine linke kulturelle Hegemonie<br />

über relevante gesellschaftliche<br />

Bereiche herzustellen. Zumindest in den<br />

kommunistischen Hochburgen des Nordens<br />

gelang dies bis hinein in die städtische<br />

und dörfliche Festkultur, im Film und im<br />

Theater ohnehin, und nicht zuletzt auch<br />

im Fußball. Dies hatte zur Folge, dass in<br />

den 1970er Jahren die aktive Fanszene<br />

mehrheitlich links war – oder sich zumin-


FUSSBALL<br />

5<br />

dest so gerierte.<br />

Auch im Frankreich der 1960er Jahre – in<br />

denen der französische Fußball im internationalen<br />

Vergleich eher zweitklassig war<br />

– begegneten sich Arbeiterschaft und linke<br />

Intellektuelle im heimischen Stadion. Albert<br />

Camus erfuhr während eines Spiels<br />

von Paris St.Germain, dass er den Nobelpreis<br />

für Literatur erhalten hatte. Und<br />

von Jean Paul Sartre stammt der schönste<br />

und zugleich der skurrilste Satz, der jemals<br />

über Fußball gesagt wurde: „Bei einem<br />

Fußballspiel kompliziert sich alles durch die<br />

Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft“.<br />

Anders im damals noch faschistischen<br />

Spanien. Die auch heute noch bestehende<br />

Rivalität zwischen dem F.C.Barcelona<br />

und Real Madrid ging immer weit über<br />

die im Fußball vieler Länder existierende<br />

Polarisierung zwischen symbolträchtigen<br />

Vereinen hinaus. Während des spanischen<br />

Bürgerkrieges bildeten Barca-Mitglieder<br />

eine schwarzrote kämpfende Brigade, die<br />

der „Confederation National de Trabajo<br />

(CNT)“ (Nationale Konföderation der<br />

Arbeit, eine anarcho-syndikalistische Gewerkschaft)<br />

nahe stand. Der Vorsitzende<br />

des Vereins war zu dieser Zeit Josep<br />

Sunyol, Abgeordneter der „Katalanischen<br />

Linkspartei (ERC)“, der im Bürgerkrieg<br />

bei einem Gefecht in der Sierra Guardarrama<br />

starb. Obwohl nach der Niederlage des<br />

republikanischen Spaniens die Clubführung<br />

„gesäubert“ und von Mitgliedern der<br />

„Falange Espanola Tradicionalista (FET)“<br />

übernommen wurde, hatten Begegnungen<br />

zwischen Barca und Real während des spanischen<br />

Faschismus immer eine politische<br />

Bedeutung. Der F.C. Barcelona war neben<br />

dem Kloster Montserrat das Symbol für ein<br />

freies Katalonien. Es war somit nur konsequent,<br />

dass sich bei der ersten politischen<br />

Versammlung nach Ende der Franco-Ära<br />

13.000 Zuhörer in der vom F.C.Barcelona<br />

zur Verfügung gestellten Sporthalle „Palau<br />

Blau-Grana“ versammelten. Von der<br />

Mannschaft des Jahres 1939 war die Mehrheit<br />

der Spieler ins mexikanische oder ins<br />

französische Exil gegangen. Auch von den<br />

anderen ist kein Einziger in das Lager der<br />

Franquisten übergewechselt, was sie von<br />

den damals bedeutenden deutschen Fußballspielern<br />

unterschied, deren Anpassung<br />

an den Nationalsozialismus bruchlos vonstatten<br />

ging, wenn man einmal von jenen<br />

absieht, die im deutschen Faschismus aus<br />

„rassischen Gründen“ verfolgt wurden.<br />

„Linker“ und „rechter“ Fußball in<br />

Deutschland<br />

Im Unterschied zu Spanien, Frankreich<br />

und Italien haben die deutschen Intellektuellen<br />

erst in den 1970er Jahren den<br />

Fußball als Objekt entdeckt, an dem symbolische<br />

Deutungen sowie die Herstellung<br />

von Analogien zum aktuellen Zustand der<br />

Gesellschaft vorgenommen werden konnten.<br />

Die lustfeindlichen marxistischen<br />

Theoretiker, die sich im 1968er Deutschland<br />

überhaupt herabließen, über Fußball<br />

zu reden oder zu schreiben, sahen im<br />

Sportplatz den Ort, an dem das reibungslose<br />

Funktionieren eingeübt wurde, was<br />

damals seinen sprachlichen Höhepunkt<br />

in der Feststellung fand: „Die Tore auf<br />

dem Fußballfeld sind die Eigentore der<br />

Beherrschten“ (VINNAI 1970). Als sozialpsychiologisch<br />

relevante Erklärung und<br />

somit zur Entlastung kann der Umstand<br />

herangezogen werden, dass die spielfeindlichen<br />

Rebellen nicht selten während ihrer<br />

Schulzeit einen freudlosen Schulunterricht<br />

unter Anleitung jener Übungsleitergeneration<br />

erlebte, die sich zahlreich aus den<br />

Ausbildern der Wehrmacht rekrutierte.<br />

Erst mit Ror Wolfs Band „Punkt ist Punkt“<br />

(1971), einer Collage aus eigener Dichtung<br />

und Fragmenten der Fußballberichterstattung,<br />

wurde der Eispanzer der deutschen<br />

Linken wenigstens angeschmolzen.<br />

Sätze wie „Brozulat, der Einbein-Dribbler<br />

mit Schlepperqualitäten, wird niemals die<br />

Zange sein, die gebraucht wird“ (Wolf<br />

1971) schafften den Durchmarsch bis ins<br />

Germanistik-Oberseminar. Ein weiteres<br />

Feuerchen entfachte der Umstand, dass<br />

Paul Breitner, der heute vor allem in Bild<br />

schreiben lässt, für kurze Zeit als Maoist<br />

gehandelt wurde, hatte er sich doch neben<br />

einem Mao-Plakat ablichten lassen.<br />

In den von nun an vorgenommenen Betrachtungen<br />

des Fußballs tauchten Interpretationen<br />

des Spielgeschehens auf, die<br />

die Art und Weise, wie gespielt wurde, als<br />

Abbild der herrschenden politischen Verhältnisse<br />

deuteten. Diese bis heute praktizierte<br />

Unart ließ sich sogar am Nürnberger<br />

„Rumpelfußball“ festmachen, den<br />

die „Clubberer“ 1969, im Jahr nach ihrer<br />

letzten Meisterschaft spielten:<br />

„Der Club war die Avantgarde. Im Aufstieg<br />

und im Fall der Nürnberger kam<br />

die Bewegung der Zeit am reinsten zum<br />

Vorschein. Dass sich der große Sturmlauf<br />

des Jahres 1968 so rasch verflüchtigte, hat<br />

etwas mit dem Halbherzigen, Zögerlichen<br />

zu tun, mit dem die neuen Ideen bei den<br />

meisten anderen aufgenommen wurden“<br />

(Böttinger).<br />

Dieser in den frühern 1970er Jahren begründete<br />

intellektuelle Unsinn trieb immer<br />

wieder neue Blüten, die insbesondere<br />

den Stilwechsel des deutschen Fußballs<br />

mit den Politikwechseln auf Bundesebene<br />

in Beziehung zu bringen gedachten:<br />

„Die Ära Helmut Schmidt begann: Von den<br />

weiten raumgreifenden Pässen zum Klein-<br />

Klein-Gekicke, von den wieselflinken Dribbelkünstlern<br />

zu den Defensivstrategen, von<br />

Hacki Wimmer zu Hans-Georg Schwarzenbeck.<br />

Der Geist Gladbachs konnte sich auf<br />

Dauer nicht gegen den Pragmatismus Bayerns<br />

durchsetzen“ (Böttiger 1997).<br />

Ein besonderer Kristallisationspunkt für<br />

politische Kontroversen um den Fußball<br />

bot die <strong>Welt</strong>meisterschaft 1978 in Argentinien,<br />

das damals unter einer Militärdiktatur<br />

stand.<br />

Für junge Linke wurde es nun zu einer<br />

Glaubensfrage, ob sie die Übertragungen<br />

anschauen würden. Wohngemeinschaften<br />

stritten darüber, ob in ihren Räumen der<br />

Galt eine Zeit lang als Maoist - Paul Breitner<br />

Fernseher angestellt werden sollte. Und<br />

die Unbedarftheit deutscher Fußballspieler<br />

heizte die Debatte weiter an:<br />

„Nein, belasten tut mich das nicht, dass dort<br />

gefoltert wird“ (Manfred Kaltz, Hamburger<br />

SV). „ I hoab no koan Brief kriagt und<br />

mogg dazua a nix sagn“ (Georg Schwarzenbeck,<br />

Bayern München). „Militär stört<br />

mich nicht. Ich hoffe, wir kommen weiter“<br />

(Klaus Fischer, FC Schalke 04).<br />

Der erste, der als Fußballverantwortlicher<br />

das bislang nur in Intellektuellenzirkeln<br />

gepflegte Fantasiegebilde vom „linken<br />

Fußball“ aufgriff, war just zu dieser Zeit<br />

der argentinische Nationaltrainer Cesar<br />

Luis Menotti, der es sich sogar erlauben<br />

konnte, nach der gewonnenen <strong>Welt</strong>meisterschaft<br />

demonstrativ dem argetinischen<br />

Diktator den Handschlag zu verweigern.<br />

Der Fußball konnte von der Junta nicht<br />

für ihre Ziele instrumentalisiert werden.<br />

Dem stand schon Menotti entgegen. Und<br />

in den Städten skandierten die Zuschauer:<br />

„Argentinien wird <strong>Welt</strong>meister – Videla<br />

an die Wand“. Was denn am Fußball<br />

„links“ sei? Dieser nicht eindeutig zu beantwortenden<br />

Frage ging mit Blick auf das<br />

„gespielte Spiel“ Steve Highway nach, einer<br />

der besten Außenstürmer, die der FC<br />

Liverpool jemals hervorgebracht hat:<br />

„Wir haben hier seit Jahrzehnten einen sehr<br />

sozialistischen, gemeinschaftlichen Stil. Jeder<br />

macht seinen Job, so gut er kann, und hilft<br />

dem anderen. Die Grundsätze unser Spielweise<br />

sind sehr einfach: Bewegung ohne Ball<br />

und schnelle Abgabe des Balles, das ständige<br />

Passspiel – den Ball nur einmal berühren<br />

und sofort wieder abgeben“(Schulze-Marmeling<br />

1992).<br />

„Rechter“ Fußball dagegen ist die einer<br />

buchhalterischen Logik folgende Domestizierung<br />

des Spiels, die der reinen Ergebnisorientierung<br />

strikt unterworfen ist. In<br />

Deutschland musste lange Zeit Borussia<br />

Mönchengladbachs „Fohlen-Elf“ mit<br />

einem im Prinzip aus der Not geborenen<br />

Offensivfußball als Projektionsfläche für<br />

die Reformhoffnungen der späten 1960er<br />

und frühen 1970er Jahre herhalten.<br />

Mönchengladbach war das Synonym für<br />

den sozialdemokratischen Aufbruch. Aus<br />

diesem Verein stammte auch Günter Netzer,<br />

die einzige Pop-Ikone, die der deutsche<br />

Fußball wirklich hervorgebracht hat.<br />

Franz Beckenbauer mutierte schon früh<br />

zur „Lichtgestalt“, Paul Breitner blieb immer<br />

unberechenbar. Hansi Müller, Karl-<br />

Heiz Rummenige und Rudi Völler fehlten<br />

der subtile Hauch der Subversion und<br />

Michael Ballack ist bar jedes Mythos, der<br />

wichtigsten Ingredienz in der Melange der<br />

Projektionen und Bricolagen, die Pop-Ikonen<br />

produziert. Günter Netzer ist im <strong>Welt</strong>fußball<br />

derjenige, der dem im letzten Jahr<br />

verstorbenen „Georgie“ Best am nächsten<br />

kam, auch wenn David Beckham heute<br />

hundertmal mehr verdient und sein Poster<br />

häufiger in den Zimmern kleiner Mädchen<br />

hängt. David Beckham ist letztendlich<br />

ein Medienprodukt, George Best und<br />

Günter Netzer hingegen waren Meister der<br />

Selbstinzenierung und sie waren revoltetauglich.<br />

David Beckham handelt so, wie<br />

es die ihm zugewiesene Rolle vorschreibt.<br />

Netzer und Best waren auf und neben den<br />

Fußballplatz völlig unberechenbar, mit<br />

dem Unterschied freilich, dass George<br />

Best sich mit seinen Alkoholexzessen auf<br />

den Weg der Selbstvernichtung gemacht<br />

hatte. Günter Netzer war mehr Beatle als<br />

George Best, den die Presse häufig als den<br />

„fünften Beatle“ bezeichnete. Ihm gelang<br />

die erfolgreiche Transformation eines Popstars<br />

zum Geschäftsmann, der die Ökonomisierung<br />

seines Genres noch konsequenter<br />

vorantrieb als die erfolgreichsten<br />

„Nur-Kapitalisten“.<br />

Nur wenige Jahre später – die Reformeuphorie<br />

war beim Überschreiten der Millionengrenze<br />

bei der Zahl der Arbeitslosen<br />

ebenso verglüht wie die Erfolge<br />

Mönchengladbachs – erlebte die deutsche<br />

Fanszene ihre erste echte Politisierung.<br />

Und diese kam von rechts.<br />

Der Aufmarsch von Rechtsextremisten<br />

in den deutschen Fußballstadien war auf<br />

das Wirken von Michael Kühnen zurückzuführen,<br />

der das Stadion als einen geeigneten<br />

Ort für politische Provokationen<br />

erkannt hatte. Hinzu kam ein Umbruch<br />

in der Fanszene, in die sich zunehmend<br />

Skinheads mischten. In den 1980er Jahren<br />

nannten sie sich „Destroyers“, „HSV<br />

Hooligans“, „Adler-Front“ oder „Borussen-Front“.<br />

Sie skandierten im Stadium<br />

„Schiri nach Auschwitz“ oder „Zyklon B<br />

für Hertha BSC“. Sogar organisierte Fußballfans<br />

trugen Nazisymbole neben den<br />

Vereinsabzeichen und hoben den Arm<br />

zum Hitlergruß (Simon 1996).<br />

Subkulturelles Gegenstück war in den<br />

1980er Jahren die Minderheit der „linken“<br />

organisierten Fans, am deutlichsten wahrgenommen<br />

im „Schwarzen Block“ des FC<br />

St.Pauli. Mit dem Auftreten von Hamburger<br />

linken Gruppen und phasenweise auch<br />

der BesetzerInnen der Hafenstraße wurde<br />

der „linke“ Mythos des Vereins begründet,<br />

der bis dahin allerhöchstens durch seine<br />

„ehrlichen Fußballarbeiter“ und durch die<br />

Luden und Huren auf der Haupttribüne<br />

Aufmerksamkeit erregt hatte.<br />

Vom Fehlen der linken Ikonen<br />

Auch wenn sich Vereine und Spielweise als<br />

Projektionsfläche für politische Imaginationen<br />

anboten, war es schwer, Spieler zu<br />

identifizieren, die als Typenideal für derartige<br />

Inszenierungen taugten. Zwar gab es<br />

Ewald Lienen, der in den 1970er Jahren<br />

für die DKP-nahe Friedensliste kandidierte,<br />

später als Trainer jedoch konsequent<br />

zu politischen Sachverhalten schwieg. Der<br />

Stuttgarter Karl Allgöwer legte sich immerhin<br />

mit seinem Vereinsboss Gerhard<br />

Meyer-Vorfelder an, als er im schwarzen<br />

Ländle zur Wahl der SPD aufrief. In den<br />

1990er Jahren überschlugen sich die Medien<br />

förmlich, als Ives Eigenrauch nicht<br />

nur als Freund von Kultur und Literatur<br />

geoutet wurde, sondern sich sogar dazu<br />

bekannte, „Die Grünen“ zu wählen.<br />

Selbst der Kiez-Klub St. Pauli bot eher<br />

„ehrliche Arbeiter“ (Golke, Druve, Trulsen)<br />

oder den „überzeugten Nicht-Leser“<br />

„Boller“ Jeschke auf. Einzige linke Ikone<br />

im Spielerkader bleibt somit bis heute der<br />

vormalige Bewohner der Hafenstraße und<br />

Nicaragua-Aktivist Volker Ippig, der quasi<br />

vom „Kommunen-Lotterbett“ direkt in<br />

die erste Bundesliga stolperte.<br />

Italien hat es da besser. Dort wird in<br />

den Stadien wieder das klassische Links-<br />

Rechts gespielt, wenngleich derzeit mit<br />

zahlenmäßiger Überlegenheit der Ultra-<br />

Rechten, de Idol Paolo di Canio für Lazio<br />

Rom aufläuft und bei Toren dem 7.000<br />

Personen umfassenden faschistischen Fanclub<br />

„Irriducibili“ ( „Die Unbeugsamen“)<br />

den römischen Gruß entbietet. Die rote<br />

Fahne wird nach dem Abstieg von gleich<br />

drei „linken“ Vereinen im letzten Jahr nur<br />

noch vom AS Livorno hochgehalten. Dort<br />

Fortsetzung Seite 6


6 FUSSBALL / SOZIALES<br />

grüßt Cristiano Lucarelli, der sich bei<br />

schlechten Leistungen schon mal selbst<br />

das Gehalt kürzt, mit dem Kommunistengruß.<br />

Das „Centro <strong>Soziale</strong> Godzilla“, das<br />

Zentrum der organisierten Fans, sieht aus<br />

wie ein Parteibüro der PCI zu Zeiten Pepones:<br />

rote Fahnen, Hammer und Sichel,<br />

Stalinportraits. Alles in allem eine neue<br />

Variante des immer wieder auftretenden<br />

Versuchs der „magischen Rückgewinnung<br />

der Gemeinschaft“ durch Protagonisten<br />

expressiver Subkultur.<br />

Und auch die nach Abspaltung gierenden<br />

Linkskatalanen haben bei Barca ihr neues<br />

Idol in Oleguer. Er würde nur für eine katalanische,<br />

niemals aber für die spanische<br />

Nationalmannschaft auflaufen. In seiner<br />

Heimatstadt Sabadell unterstützt er Hausbesetzer<br />

und linke Kritiker der EU-Verfassung.<br />

Solche „Kerle“ sind in Deutschland<br />

weit und breit nicht zu sehen. Also doch<br />

nur ein Spiel?<br />

Über den Autor:<br />

Prof. Dr. Titus Simon, Jahrgang 1954, ist<br />

Hochschullehrer für <strong>Soziale</strong> Arbeit an der<br />

Hochschule und Beirat der SOZIALEX-<br />

TRA. Er spielte in der Kindheit sieben Tage<br />

in der Woche Fußball (ständiger Kampf um<br />

den Sonntag, und verfeinerte sein Kopfballspiel<br />

am Kopfballgalgen des SV Murrhardt.<br />

Nach erfolgreicher Zuwendung zu anderen<br />

Sportarten war er Gründer und Spieler der<br />

im Umkreis von zehn Kilometern gefürchteten<br />

„Wolfenbrücker Wölfe, für die er 1998 –<br />

im hohen Sportleralter von 44 Jahren – das<br />

letzte Mal gegen einen Fußball trat.<br />

(Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung<br />

des Verlages der Zeitschrift SO-<br />

ZIALEXTRA, VB Verlag, www.sozialextra.<br />

de erreichbar, entnommen).<br />

Hochglanz-<br />

Fankultur wird<br />

abgelehnt<br />

Das Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF)<br />

will bei der WM mit „friedlichen<br />

Störmanövern“ Gegenpositionen<br />

beziehen. „Die Hochglanz-Fankultur,<br />

wie FIFA-Präsident Joseph Blatter sie<br />

sich wünscht, entspricht nicht unserer<br />

Vorstellung“, sagte BAFF-Sprecher<br />

Johannes Stender.<br />

Dem offiziellen WM-Motto „Zu Gast bei<br />

Freunden“ will die Fan-Initiative die Kampagne<br />

„Spielverderba 2006“ entgegen setzen.<br />

Das WM-Maskottchen „Goleo“ wird<br />

von BAFF in „Prolleo“ umbenannt und<br />

soll mit einer Flasche Bier in der Hand<br />

über die Fanmeilen marschieren, kündigte<br />

Stender an. Eines hat er dem Original-Löwen<br />

voraus: „Er wird eine Hose tragen“,<br />

verriet der BAFF-Sprecher. Zum „Spielverderba“-Programm<br />

sollen zudem Ausstellungen<br />

zur Korruption innerhalb der<br />

FIFA sowie zur weltweiten Migration von<br />

Fußballern gehören.<br />

Die Fan-Initiative befürchtet während der<br />

WM das verstärkte Ausbrechen nationalistischer<br />

Tendenzen in Deutschland. „Das<br />

Thema Rassismus ist gerade bei Länderspielen<br />

immer noch aktuell“, sagte Stender.<br />

Als Beispiel nannte er diskriminierende<br />

Rufe aus der deutschen Fankurve<br />

während des Länderspiels der Nationalmannschaft<br />

in Slowenien im vergangenen<br />

Jahr. Dort war es auch zu Ausschreitungen<br />

gekommen.<br />

Gerechtigkeit und sozialer Wandel<br />

„Jeder Mensch hat Anspruch auf eine<br />

soziale und internationale Ordnung, in<br />

welcher die in der vorliegenden Erklärung<br />

verbrieften Rechte voll verwirklicht<br />

werden können“ (UNO-Menschenrechtskonvention<br />

Art. 28)<br />

Wir kennen sie vermutlich alle bis zum<br />

Überdruss, die Statistiken und Trendaussagen,<br />

die belegen, dass der Abstand zwischen<br />

Reich und Arm, Managern in den<br />

Chefetagen und mittleren und unteren<br />

Angestellten immer größer wird – und<br />

zwar sowohl in den westlichen wie in den<br />

vom Sovietkommunismus oder der Apartheit<br />

befreiten Nationen, sowohl national<br />

wie international. Ich will die LeserInnen<br />

deshalb nicht mit Zahlen langweilen. Aber<br />

gerade dieser Überdruss ist aus Sicht der<br />

UNO-Menschenrechtskonferenz von<br />

1993 in Wien das allergrößte, schockierende<br />

Problem. Der schalltote Raum, in dem<br />

die massive Verweigerung und Verletzung<br />

von Sozialrechten erfolgt, die Verletzung<br />

von Freiheits- und Bürgerrechten leitet<br />

einen konzertierten Aufschrei aller möglichen<br />

Gruppierungen, NGOs, Amnesty<br />

International und Massenmedien bewirkt<br />

und nach dem sofortigen Eingreifen verlangt.<br />

Obwohl die Sonntagsrhetorik die<br />

Unteilbarkeit der Menschen beschwört,<br />

zeigt sich im politischen Alltag, dass die<br />

Verletzung des individuellen Eigentums<br />

– Freiheit – und der politischen Rechte als<br />

etwas viel Gravierenderes betrachtet wird<br />

als die Verletzung der Sozialrechte. Die<br />

knappeste Form der Folgen dieses schalltoten<br />

Raumes brachte Mary Robinson, die<br />

ehemalige Menschenrechts-Kommissarin<br />

der UNO, in einem Vortrag über die <strong>Welt</strong><br />

nach dem 11. September auf den Punkt:<br />

„Die Verletzungen der Menschenrechte<br />

von heute führen zu den Kriegen – und zu<br />

dem Terror von morgen.“<br />

Vor diesem Hintergrund ist zunächst zu<br />

fragen, inwiefern das Gerechtigkeitsthema<br />

in die über hundertjährige Theorie- und<br />

Professionsgeschichte der <strong>Soziale</strong>n Arbeit<br />

Eingang gefunden hat. Als nächstes befasse<br />

ich mich mit einigen ungelösten Fragen im<br />

Verhältnis zwischen realwissenschaftlichem<br />

und sozialphilosophischem Zugang zur<br />

Thematik, um dann den Versuch zu wagen,<br />

die Elemente einer gerechten Gesellschaft<br />

zu bestimmen. Dieser wird ergänzt durch<br />

einen Vorschlag zur Frage, wer wem was<br />

schuldig ist.<br />

1. Etappen des Gerechtigkeitsdiskurses<br />

im Rahmen der sozialen Arbeit.<br />

Man darf aufgrund der Theoriebeiträge<br />

Ende des neunzehnten und Anfang<br />

des zwanzigsten Jahrhunderts davon<br />

ausgehen, dass Gerechtigkeit eine zentrale<br />

handlungstheoretische (normative)<br />

Leitidee der sozialen Arbeit war. Ich<br />

erwähne hier nur zwei herausragende<br />

TheoretikerInnen: Für Alice Salomon<br />

(1912) war soziale Arbeit die Bemühung,<br />

das Gemeinschaftsleben in stärkere<br />

Übereinstimmung mit den Forderungen<br />

der Gerechtigkeit zu bringen. <strong>Soziale</strong><br />

Arbeit ist daher nicht Güte, nicht<br />

Wohltun, sondern nur gerechtes Handeln.<br />

Gerechtigkeit kann aber nur verwirklicht<br />

werden, wenn die Starken an einem<br />

Missbrauch ihrer Macht gehindert werden.<br />

Und auch die Freiheit der Schwachen<br />

kann nur gesichert werden, wenn das<br />

Silvia Staub-Bernasconi<br />

Gesetz sie vor der Übermacht der Starken<br />

schützt. Im Denken von Jane Addams<br />

und den Frauen von Hull House in den<br />

Universitätsniederlassungen in den Slums<br />

von Chicago stand der Zusammenhang<br />

zwischen Verteilungsrecht und Demokratie<br />

im Zentrum. Addams befasste sich in<br />

ihrem Buch „Demokratie und soziale<br />

Ethik“ im Besonderen mit der unter<br />

demokratischen Vorzeichen bestehenden<br />

Doppelmoral der Ober- und Mittelschicht<br />

in Bezug auf die Unterschicht. Ein Beispiel:<br />

Mit welcher Legitimation fordere eine<br />

freundliche Besucherin als Wohltäterin<br />

aus der Mittelschicht, die ohne jede<br />

Eigenleistung vom Einkommen ihres<br />

Mannes lebe, dass die alleinerziehende<br />

Wäscherin mit kleinen Kindern in<br />

unmenschlichen Arbeitsverhältnissen<br />

ihr Brot verdiene? Oder: Die Forderung<br />

zu sparen sei kriminell in einem Milieu,<br />

wo Menschen fast nichts zum Leben<br />

hätten und auch in Geldangelegenheiten<br />

auf gegenseitige Hilfe angewiesen seien.<br />

Für J. Addams gab es keinen konkreten<br />

Interaktionszusammenhang in unserer<br />

modernen Gesellschaft, der so klar das<br />

Fehlen von demokratischer Gleichheit und<br />

Verteilungsgerechtigkeit sichtbar macht,<br />

wie die soziale Arbeit. Entsprechend forderte<br />

sie die durchgehende Demokratisierung<br />

sozialer Arbeit sowohl in praktischer als<br />

auch theoretischer Hinsicht.<br />

Zwischen 1930 und 1970 haben wir einerseits<br />

Rassendiskurse, die nicht nur Gerechtigkeit,<br />

sondern auch eine pervertierte<br />

Rechtsstaatlichkeit auf die weiße, insbesondere<br />

arische Rasse beschränken. Andererseits<br />

ist sowohl in den USA als auch in<br />

Europa, mit eingeschlossen Deutschland,<br />

ein theoretischer Rückzug auf das Individuum,<br />

genauer auf Innerpsychisches,<br />

festzustellen. Es ist die Phase der Psychologisierung,<br />

Therapeutisierung und – in<br />

Deutschland – teilweise Pädagogisierung<br />

der sozialen Arbeit.<br />

Man hoffte, das fehlende Ansehen, das<br />

man sich mit den Schmuddelkindern der<br />

Gesellschaft einhandelte, würde sich mit<br />

einer Orientierung an Medizin, Psychiatrie<br />

und klinischer Psychologie einstellen. Es<br />

kam zu geradezu grotesken Vorstellungen,<br />

dass man mit einer bestimmten Klientel<br />

sozialer Arbeit nicht arbeiten könne, weil<br />

sie zuviel reale Probleme habe. Ein Beispiel:<br />

Eine junge Frau, die dringend eine<br />

Wohnung suchte, weil man ihr gekündigt<br />

hatte, wurde daraufhin gefragt, welche<br />

emotionale Bindung bzw. Ablösungsprobleme<br />

sie mit ihrer Mutter habe und ob<br />

sie nicht zuerst diese bearbeiten sollte.<br />

In Deutschland gab es den Beitrag von<br />

Hans Fassenberger, der festhielt, dass die<br />

Armutsprobleme eigentlich gelöst seien.<br />

Darum sei soziale Arbeit, auch psychosoziale<br />

Arbeit, nicht mehr auf ökonomische<br />

Probleme auszurichten.<br />

Die nach dem zweiten <strong>Welt</strong>krieg einsetzende<br />

Hochkonjunktur hatte die Version<br />

vom immerwährenden Aufschwung aufblühen<br />

lassen. Vor diesem Hintergrund<br />

entstanden 1960 die hoffnungsvollen<br />

großen Bürgerrechts- und Wohlfahrtsbewegungen<br />

und -programme in den USA,<br />

gesellschaftstheoretisch begründet durch<br />

die Theorie der fehlenden strukturellen<br />

Chancen von Clovard und Ohlin. Man<br />

nahm damals auch in der sozialen Arbeit<br />

Kenntnis von den sozialen Bewegungen<br />

in der Dritten <strong>Welt</strong> mit Bezug auf Paolo<br />

Freires – „Pädagogik der Unterdrückten“<br />

– und schließlich gab es die Studentenbewegung<br />

und Heimkampagne in Deutschland.<br />

Allerdings dominierte nicht die Verteilungs-<br />

sondern die ökonomisch-kapitalistisch<br />

determinierte Herrschafts- und<br />

Ausbeutungsthematik. Im Unterschied<br />

zur ersten Theoriephase entstanden all<br />

diese Beiträge in einer Zeit der Hochkonjunktur.<br />

Das jähe Ende dieser Bewegung in den<br />

USA wie in Europa zu Beginn der ersten<br />

Wirtschaftskrise ab 1980 ist bekannt. Im<br />

Schatten des Abschieds von Herrschafts–,<br />

Schichtungs- und Gerechtigkeitsfragen<br />

konnte sich ab etwa 1980 eine neue<br />

Leitidee – ohne große Parolen, fast<br />

unbemerkt – in der Ausbildung und Praxis<br />

sozialer Arbeit ausbreiten und festsetzen.<br />

Sie hat die soziale Arbeit auf kaum<br />

vorstellbare Art und Weise revolutioniert:<br />

Es ist die in fast alle gesellschaftspolitischen<br />

Bereiche importierte Idee der<br />

markt- und wettbewerbsorientierten,<br />

personenbezogenen Dienstleistung mit<br />

der Forderung nach Flexibilisierung von<br />

Bildungs-, Arbeits-, Rentenverhältnissen,<br />

von Gesetzesauslegungen und<br />

Vorschriften.<br />

Die Adressaten in der Sozialarbeit werden<br />

wieder neu als unwirtschaftlich definiert,<br />

weshalb sie so schnell wie möglich einem<br />

ausgetrockneten Arbeitsmarkt zugeführt<br />

werden sollen. Da dies wegen fehlender<br />

Stellen sowie der derzeitigen schwierigen<br />

Situation nicht gelingt und deshalb Sozialhilfe<br />

ansteht, kommt eine alte Denkfigur<br />

wieder zum Tragen: Wer Hilfe und<br />

Obhut benötigt, braucht keine Rechte<br />

bzw. Gerechtigkeit, sondern Kontrolle.<br />

Manche halten die großen Einkommensunterschiede<br />

zwischen Individuen und<br />

zwischen Ländern für notwendig und gerecht,<br />

da sie die Intelligenten und Tüchtigen<br />

belohnen und die Dummen und<br />

Leistungsscheuen bestrafen. Interessant ist<br />

in diesem Zusammenhang die Tatsache,<br />

dass in denjenigen Ländern, z. B. in den<br />

USA, in denen die Verteilungsfrage öffentlich-politisch<br />

gestellt werden darf und<br />

kann, sich sehr streitbare Gerechtigkeitsund<br />

Verteilungsdiskurse in die Organisationen<br />

verlagert haben. Dies hat zur Folge,<br />

dass diejenigen Menschen, die in keiner<br />

existenzsichernden Bildungs- oder Wirtschaftsorganisation<br />

Mitglied sind, so u. a.<br />

Schuldner, Lehrstellen- und Erwerbslose,<br />

Betagte, Kranke, Behinderte, SozialhilfeempfängerInnen<br />

und Papierlose, also die<br />

meisten AdressatInnen sozialer Arbeit, von<br />

diesem Diskurs und seinen Wirkungen<br />

ausgeschlossen sind.<br />

Was in letzter Zeit – aber ebenfalls kaum<br />

bemerkt – entstanden ist, sind dezidierte<br />

sozialpolitische Papiere der internationalen<br />

Professionsverbände, so z.B. das in<br />

Oslo verabschiedete Papier über Sozialarbeitsprinzipien<br />

von 1997. Dort heißt es u.<br />

a.:<br />

„Sozial Arbeitende sind den Prinzipen der<br />

sozialen Gerechtigkeit verpflichtet. Sozial<br />

Arbeitende haben die bestmögliche Unterstützung<br />

ohne Diskriminierung aufgrund<br />

der Basis des Geschlechts, des Alters, der


SOZIALES<br />

7<br />

Behinderung, der Rasse, Farbe, sozialer<br />

Klasse zu gewährleisten. Sozial Arbeitende<br />

müssen denjenigen, die an der Macht<br />

sind, sowie der Öffentlichkeit aufzeigen,<br />

welche Politiken, Regierungs- und Gesellschaftsaktivitäten<br />

strukturelle Benachteiligungen,<br />

soziale Härten schaffen oder<br />

dazu beitragen. Sozial Arbeitende haben<br />

die besondere Pflicht, jede Art von Diskriminierung<br />

in ihrer eigenen Praxis zu<br />

bekämpfen.“<br />

So haben wir zur Zeit innerhalb der Profession<br />

zwei Gerechtigkeitsvorstellungen<br />

mit Universalitäts- und sozialem Anspruch<br />

konkurrierend: nämlich Gerechtigkeit<br />

als quasi-natürliche Folge des Marktes<br />

und Gerechtigkeit als Frage nach fair<br />

auszuhandelnden Verteilungsprinzipien<br />

von Ressourcen zur Bedürfnisbefriedigung<br />

aller Menschen. Die erste Vorstellung ist<br />

allerdings mit ungleich mehr Definitionsmacht,<br />

ökonomischer Macht und Politischem<br />

ausgestattet als die zweite.<br />

2. Gerechtigkeit als realwissenschaftliches<br />

und sozialpolitisches<br />

Thema – ungelöste Probleme<br />

Unabhängig von theoretischen Moden<br />

lässt sich sagen, dass die soziale Arbeit empirisch<br />

weltweit mit Problemen der versagten<br />

Bedürfnisbefriedigung im Rahmen<br />

von ungleichen Ordnungen bezüglich des<br />

Zugangs zu Produktion und Verteilung<br />

von Ressourcen sowie versagter gesellschaftlicher<br />

Anerkennung zu tun hat.<br />

Die vertikalen strukturellen Ungleichordnungen<br />

gehen teilweise mit großen subkulturellen<br />

Unterschieden einher, die durch<br />

einzelne Individuen nur äußerst schwer zu<br />

verändern sind. Es gilt die These: Je größer<br />

das gesellschaftliche und organisatorische<br />

Machtgefälle und je aussichtsloser seine<br />

Veränderung in absehbarer Zeit, desto<br />

zahlreicher die subkulturelle Differenzierung.<br />

Mit der Strategie der Kulturalisierung<br />

struktureller Probleme wird versucht,<br />

neue, meist zugeschriebene, also nicht<br />

über Leistung realisierbare Kriterien bzw.<br />

Werte für die Erlangung gesellschaftlicher<br />

Anerkennung oder/und Erhaltung von<br />

Privilegien zu etablieren. Es wäre aufgrund<br />

dessen ethisch höchst problematisch, diese<br />

Subkulturen als Produkte und Form<br />

struktureller Ungleichheit und kulturell<br />

legitimierter Herrschaft im Rahmen einer<br />

Pluralismus- und Toleranzvorstellung unbesehen<br />

als gleichberechtigt anzuerkennen<br />

und zu legitimieren. Denn empirisch - so<br />

aufgrund ihrer psychischen, biologischen<br />

und sozialen Folgen für das Individuum<br />

– wie philosophisch und ethisch muss<br />

man solche Ungleichordnungen als Ungerechtigkeits-<br />

und Herrschaftsordnungen<br />

bezeichnen. Wenn dem so ist, geht es im<br />

Gerechtigkeitsdiskurs nicht um die Umverteilung<br />

oder Anerkennung, sondern<br />

um beides.<br />

In welchem Verhältnis stehen dabei jedoch<br />

normative Gerechtigkeitstheorien<br />

zu einer in letzter Zeit entstandenen realwissenschaftlichen<br />

Gerechtigkeitsvorstellung?<br />

Bis weit in die 1990er Jahre gab<br />

es kaum Kooperationen zwischen den<br />

VertreterInnen ethisch-/normativer und<br />

realwissenschaft-licher Gerechtigkeitsvorstellung.<br />

In der realwissenschaftlichen<br />

Gerechtigkeitsforschung gilt es als gerecht,<br />

was eine Person als Gerechtigkeit definiert.<br />

In der normativen Theorie muss sichergestellt<br />

sein, dass Urteile von einem unparteiischen<br />

Standpunkt aus unter Absehung<br />

von Partialinteressen einzelner Individuen<br />

oder sozialer Gruppen gefällt werden. Entsprechend<br />

waren die empirischen Befunde<br />

für viele Philosophen schlichtweg uninteressant.<br />

Und für die Sozialpsychologen<br />

waren die philosophischen Befunde meist<br />

Beispiele idealistischer Spekulation, In<br />

der Philosophie ist nach wie vor umstritten,<br />

ob bei der Begründung von Gerechtigkeitsideen<br />

überhaupt als empirische<br />

Forschungsergebnisse rekrutiert werden<br />

kann und soll. In der Sozialpsychologie<br />

wird wiederum stark bezweifelt, dass die<br />

von den Philosophen angedachten herrschaftsfreien,<br />

oft auf einen fiktiven Naturzustand<br />

oder Schleier des Nichtwissens<br />

zurückgreifenden Standpunkte überhaupt<br />

eine empirische Realisierungschance haben.<br />

Dazu kommt die beiderseitige Befürchtung<br />

zu schneller Rückschlüsse von<br />

Ist- auf Soll-Aussagen. Für eine qualifizierte<br />

Gerechtigkeitsdiskussion wäre m.<br />

E. von Folgendem auszugehen: Ohne<br />

empirische Analysen der realen, sozioökonomischen,<br />

weltgesellschaftlichen und<br />

nationalen Machtverhältnisse und ihrer<br />

Auswirkungen auf das Individuum, bei<br />

allen noch einleuchtenden ethnischen<br />

Letzt- und Vorletzt-Begründungen ohne<br />

Resonanz. Aber: die VertreterInnen der<br />

empirischen Gerechtigkeitsfrage müssen<br />

ihrerseits anerkennen, dass die subjektiven<br />

Gerechtigkeitsvorstellungen von Individuen<br />

und kleinen Gruppen keineswegs<br />

unbesehen als gerecht zu betrachten sind,<br />

wenn sie beispielsweise nur die eigene Familie,<br />

Gruppe, Schicht, soziale Kategorie,<br />

Managementklasse, Nation oder Ethnie<br />

in den Gerechtigkeitsdiskurs einbeziehen<br />

und bevorzugen.<br />

Zudem ist zu erkunden, ob es eine ungerechte<br />

Gleichheit oder umgekehrt eine gerechte<br />

Ungleichheit überhaupt gibt. Sind<br />

nicht gerade viele Gesellschaftsutopien<br />

an einem unqualifizierten Egalitarismus<br />

gescheitert, der zentrale Bedürfnisse nach<br />

Identität im Sinne von Unverwechselbarkeit,<br />

nach gesellschaftlicher Anerkennung<br />

von Leistungen oder beispielsweise nach<br />

Freiheit unberücksichtigt lässt? Gehen<br />

nicht auch viele sozialdemokratische Gerechtigkeitsvorstellungen<br />

von diesem unqualifizierten<br />

Egalitarismus aus? Welche<br />

Folgen für eine Theorie der Sozialarbeit<br />

ergeben sich, wenn man Bedürfnisse und<br />

Leistungen als reale Ausgangs- und Legitimationsbasis<br />

für Verteilungs- und damit<br />

Gerechtigkeitsfragen akzeptiert, sich aber<br />

nicht nur auf die so genannten, kaum<br />

umstrittenen Grundbedürfnisse nach<br />

Überleben, Gesundheit/Unversehrheit<br />

und mithin Existenzsicherung beschränkt,<br />

sondern auch diejenigen nach kognitiver<br />

Stimulation, bzw. nach Sinn, Leistung<br />

und relativer Autonomie, nach Liebe, sozialer<br />

Mitgliedschaft und sozialer Anerkennung<br />

mit einbezieht? Was unterscheidet<br />

ferner Bedürfnisse mit einem bestimmten<br />

Sättigungsgrad von Wünschen, die keine<br />

Begrenzung oder Stoppregel kennen und<br />

in kultureller Hinsicht so bearbeitet werden,<br />

dass sie ökonomisch maßlos ausbeutbar<br />

sind? Und was unterscheidet legitime<br />

von illegitimen Wünschen? Schließlich<br />

die Frage aller Fragen: Wer ist wem was<br />

schuldig? Es ist relativ leicht, von einem<br />

ethisch- moralischen Standpunkt aus Gerechtigkeitsforderungen<br />

zu erheben, doch<br />

wäre es die vordringliche Aufgabe einer<br />

Wissenschaft sozialer Arbeit, die Realbedingungen<br />

für deren Missachtung wie für<br />

deren Begründung, Durchsetzung oder<br />

freiwillige Einlösung zu erforschen.<br />

3. Was ist eine gerechte Gesellschaft<br />

– Ansatzpunkte für eine Gerechtigkeitskritik?<br />

Gerechtigkeitskritik ist aufgrund der vorherigen<br />

Ausführungen immer beides, empirische<br />

wie normative Gleichheits- und<br />

Ungleichheitskritik. Gerechtigkeitskritik<br />

hat sich dabei an der normativen Vorstellung<br />

einer gerechten Gesellschaft zu messen.<br />

So versuche ich denn, in Anlehnung<br />

an den Systemphilosophen und –theoretiker<br />

Mario Bunge eine gerechte Gesellschaft<br />

zu definieren, welche die Fragen der<br />

umfassenden Bedürfnisbefriedigung, der<br />

Belohnung von Leistungen, der Rücksichtnahme<br />

auf die Sorge um Abhängige<br />

einbezieht. Eine Gesellschaft ist damit intern<br />

gerecht, wenn jedes Mitglied:<br />

1. das Erforderliche erhält, um seine Bedürfnisse<br />

zu befriedigen,<br />

2. das, was er braucht, um seine legitimen<br />

Wünsche zu befriedigen, durch sozial<br />

wertvolle Arbeit (Leistungen) erwerben<br />

kann. In einer modernen Gesellschaft<br />

heißt dies, eine Arbeit zu haben,<br />

die so bezahlt wird, dass man davon<br />

bedürfnisgerecht leben kann. In anderen<br />

Gesellschaften muss dies ebenso<br />

aufgrund verschiedener Arbeits- und<br />

Belohnungsformen möglich sein, Ferner:<br />

Wenn jedes Mitglied<br />

3. seine Verpflichtungen gegenüber Familie,<br />

Abhängigen, Kindern, Kranken,<br />

Betagten, Behinderten am Arbeitsplatz<br />

und im sozialen Umfeld erfüllt, wobei<br />

diese Pflichten unter Erwachsenen<br />

aufgrund demokratisch ausgehandelter<br />

Vereinbarungen übernommen werden<br />

4. frei ist, seine legitimen Wünsche und<br />

Ansprüche zu befriedigen und jenen<br />

Neigungen nachzukommen, die nicht<br />

auf die Beeinträchtigung oder Ausbeutung<br />

anderer gerichtet sind. Und<br />

5. frei ist, die Detailaspekte von 1-4 in<br />

Verbindung mit anderen zu erarbeiten.<br />

Der Umverteilungsdiskurs bleibt allerdings<br />

solange ethnozentrisch, daher eine<br />

hermetisch geschlossene nationale Veranstaltung,<br />

bis nicht davon ausgegangen<br />

wird, dass eine Gesellschaft nur dann als<br />

gerecht bezeichnet werde kann, wenn sie<br />

intern und extern gerecht ist. Eine Gesellschaft<br />

ist extern dann gerecht, wenn<br />

sie nicht die Entwicklung anderer Gesellschaften<br />

beispielsweise durch Ausbeutung<br />

ihrer Ressourcen und Menschen oder<br />

durch unfaire Handlungsregeln be- oder<br />

verhindert.<br />

Zu kritisieren ist somit die Verweigerung<br />

lebensrettender oder existenzsichernder<br />

materieller Ressourcen gegenüber Menschen,<br />

und dies beginnt schon beim verdreckten<br />

Trinkwasser – um die materiellen<br />

Ressourcen der Reichen zu schützen. Hierbei<br />

werden die Existenzbedürfnisse von<br />

Menschen den Luxuspräferenzen anderer<br />

Menschen untergeordnet. Vom Skandal<br />

muss man dann sprechen, wenn individuelles<br />

und korporatives Eigentum und Bereicherung<br />

rechtsstaatlich geschützt und<br />

steuerpolitisch entlastet werden, hingegen<br />

jedoch die Existenzsicherung mittels Erwerbsarbeit<br />

nicht garantiert werden kann<br />

– also arbeitende Arme in Kauf genommen<br />

werden und die Sozialhilfe jederzeit politisch<br />

in Frage gestellt, abgebaut oder gar<br />

verweigert werden kann. In diesem Falle<br />

haben wir – im Gefolge des Gefälles zwischen<br />

einklagbaren Freiheits- und nicht<br />

justiziablen Sozialrechten im Rahmen der<br />

allgemeinen Menschenrechtserklärung -<br />

das Paradoxon verfassungsmäßig, gesetzlich<br />

geschützten Reichtums und zugleich<br />

der verfassungsmäßig nicht geschützten<br />

Subsitenz.<br />

4. Gerechtigkeit, Dialog und Macht –<br />

Das Einfache, das schwer zu machen<br />

ist<br />

Wie könnte sich nun aber ein Gerechtigkeitsdialog<br />

über eine gerechte Gesellschaftbeispielsweise<br />

über Policy- und Politikberatung<br />

nicht zuletzt durch VertreterInnen<br />

sozialer Arbeit entfalten? Ich folge hier in<br />

etwas abgewandelter Form dem interessanten<br />

Vorschlag von Herrn Shue (1998).<br />

H. Shue geht modellhaft von zwei Gesellschaften<br />

aus, doch ließe sich das Argument<br />

auf zwei Gruppen, Klassen, Kasten übertragen.<br />

Innerhalb dieser sozialen Gebilde<br />

gibt es Individuen, die nur oder kaum ihre<br />

unelastischen Grundbedürfnisse befriedigen<br />

können; unelastisch sind sie deshalb,<br />

weil ohne deren direkte Befriedigung<br />

psychische wie biologische Schädigungen<br />

eintreten oder der Organismus als Ganzes<br />

kollabiert. Es gibt nun in diesen sozialen<br />

Gebilden andere Individuen, die auch ihre<br />

weniger dringlichen psychischen und sozialkulturellen<br />

Bedürfnisse befriedigen, und<br />

wieder andere, die sich auch Wünsche<br />

nach Komfort und Kultur, sowie solche,<br />

die sich darüber hinaus jeden noch so extravaganten<br />

Wunsch nach Luxus leisten<br />

können. Gemäß H. Shue gibt es in dieser<br />

Konstellation von 16 möglichen Ressourcentransfers<br />

drei klar fordernde und drei<br />

zu verbietende sowie zehn erlaubte, auszuhandelnde<br />

Transfers. Transfers sind in demokratischen<br />

Gesellschaften Themen von<br />

Aushandlungs-, Dissenz- und Konsensbildungsprozessen,<br />

die, um gerecht zu sein,<br />

folgenden Leitlinien gehorchen müssen:<br />

- Die Einlösung der Grundbedürfnisse<br />

ist gegenüber allen anderen Transfers<br />

prioritär und darf nicht vom Marktund<br />

Leistungswert eines Menschen abhängig<br />

sein;<br />

- Transfers sind von privilegierten Gruppen<br />

oder Gesellschaften, die sich Komfort<br />

und Luxus leisten, wenn auch in<br />

abgestufter Folge, legitim und deshalb<br />

zu fordern;<br />

- Transfers sind von Gruppen, sozialen<br />

Kategorien oder Gesellschaften, die<br />

sich kaum die Befriedigung der Grundbedürfnisse<br />

sowie der psychischen sowie<br />

der sozialen Bedürfnisse leisten<br />

können, illegitim und deshalb zu verbieten;<br />

- bei Transfers zwischen anderen Gruppen<br />

und Gesellschaften ist man frei,<br />

das auszuhandeln und zu tun, was man<br />

je nach Interessenkonstellation für<br />

wünschenswert oder machbar hält.<br />

Wird das erste Prinzip missachtet, so sind<br />

bei den davon Betroffenen voraussehbare<br />

Reaktionen zu erwarten, so z. B. Resignation,<br />

politische Apathie, Auflösung<br />

von Partei- und Gewerkschaftsmitgliedschaften,<br />

Fremdenfeindlichkeit, Anfälligkeit<br />

für problematische Deutungsangebote<br />

ihrer Situation, Rassismus, Kleinkriminalität<br />

usw. Eine wichtige Frage wäre,<br />

ob auch reale, insbesondere wohlhabende,<br />

privilegierte Menschen - und nicht nur<br />

Menschen in einem fiktiv angenommenen<br />

Naturzustand – fähig zur Empathie, zu<br />

einem über Dialog und Aushandlung zu<br />

erwirkenden Perspektivenwechsel mit Not<br />

leidenden Menschen fähig sind. Viele Studien<br />

zeigen allerdings, dass der Glaube an<br />

eine gerechte, kontrollierbare <strong>Welt</strong> eine


8 SOZIALES<br />

mentale Ressource für diejenigen darstellt,<br />

die eine gute oder bessere gesellschaftliche<br />

Position haben oder anstreben. Unschuldige<br />

Opfer von Benachteiligungen bedrohen<br />

diesen Glauben. Man kann ihn nur<br />

dann beibehalten, wenn man die Opfer<br />

für ihre elendige Situation verantwortlich<br />

macht. Stoßen wir hier eventuell an die<br />

Grenzen des Dialogs über fairen Ausgleich?<br />

Beginnt hier ein anderes Thema, nämlich<br />

das der legitimen Erzwingung von Transferleistung<br />

über Sozialbewegungen oder<br />

den Staat und damit das Thema von legitimer<br />

Begrenzungsmacht – auch in einer<br />

Demokratie, die bereits A. Salomon formulierte,<br />

als sie forderte, dass die Starken<br />

am Missbrauch ihrer Macht gehindert und<br />

die Schwachen durch das Gesetz geschützt<br />

werden sollten?<br />

Was wir von früheren TheoretikerInnen<br />

lernen können, die ihre Vorstellungen im<br />

Rahmen einer vergleichsweise erheblich<br />

schwierigeren Wirtschaftskrisensituation<br />

einbrachten: <strong>Soziale</strong> Gerechtigkeit ist<br />

keine Schönwetterveranstaltung, die abgebrochen<br />

werden kann, wenn die meteorologischen<br />

Dienste der Wirtschaft eine<br />

Verschlechterung der Großwetterlage prophezeien<br />

oder anzeigen.<br />

Gerechtigkeit, aber vor allen Dingen<br />

Existenzsicherung, ist nicht das Almosen<br />

einer gnädigen Wirtschaft oder Politik, das<br />

dann ausbleiben kann, wenn die Hochkonjunktur<br />

ausbleibt. Dies umso weniger,<br />

als es sich heute über den Umweg der<br />

EU-, WTO- und GATT-Abkommen um<br />

politisch gewollte Knappheit der Staatskosten<br />

handelt. Es gäbe Geldquellen, welche<br />

diese Knappheit verringern können. Die<br />

eine ist die als Tobin-Steuer bekannt gewordene<br />

Besteuerung der transnationalen<br />

spekulativen Finanzgeschäfte, wie dies die<br />

Attac-Bewegung seit ihrer Entstehung fordert.<br />

Denn bereits eine Steuer von 0,25 %<br />

würde für die weltweite Behebung von<br />

Armut, Krankheit, Analphabetismus, Erwerbslosigkeit<br />

ausreichen und 1 % - so die<br />

Annahme – könnte eine weltweite Grundversorgung<br />

sicherstellen. L.I. da Silva, der<br />

brasilianische Staatspräsident, hat sich am<br />

Evian-G8-Gipfel von 2003 für eine weltweite<br />

Steuer auf den Handel mit Waffen<br />

stark gemacht, um damit einen Fond für<br />

unsere Hungerhilfe und Schuldenreduktion<br />

zu finanzieren.<br />

Zentral bei diesen und folgenden Vorschlägen<br />

müsste sein, dass man sich vom<br />

Denkkonzept der Geldknappheit befreit,<br />

was aber nur dann gelingt, wenn man über<br />

den nationalen Tellerrand blickt und die<br />

Gerechtigkeitsfrage nicht mehr mit der<br />

Frage des nationalen Bruttosozialprodukts<br />

und Erwerbseinkommens verknüpft. Auch<br />

deswegen ist zu hoffen, dass sich auch die<br />

soziale Arbeit bald einmal aus dem Denkkonzept<br />

des Managerianism befreit und<br />

theoretisch wie praktisch zu der im Jahre<br />

2000 international ratifizierten Definition<br />

sozialer Arbeit findet: „Sozialarbeit ist eine<br />

Profession, die sozialen Wandel, Problemlösungen<br />

in menschlichen Beziehungen<br />

sowie der Ermächtigung und Befreiung<br />

von Menschen befördert, um ihr Wohlbefinden<br />

zu verbessern. Indem sie sich<br />

auf Theorien menschlichen Verhaltens<br />

und sozialer Systeme auf Erklärungsbasen<br />

stützt, interveniert soziale Arbeit im<br />

Schnittpunkt zwischen Individuum und<br />

Umwelt und Gesellschaft. Dabei sind die<br />

Prinzipien der Menschenrechte und der<br />

sozialen Gerechtigkeit für die soziale Arbeit<br />

von fundamentaler Bedeutung.“<br />

Die Redaktion meint:<br />

Es ist leider eine Tatsache, dass gerade<br />

im sozialen Feld vieles nur in ganz umschränkten<br />

Fachkreisen diskutiert wird<br />

und damit außerhalb der Öffentlichkeit<br />

stattfindet. Das heißt nun gerade nicht,<br />

dass diese Diskussionen ohne Bedeutung<br />

sind für den Normalbürger, denn die im<br />

Fachkreis diskutierten Themen werden<br />

über kurz oder lang zu Themen der allgemeinen<br />

politischen Auseinandersetzung<br />

– und dort sehr oft bis zum Schlagwort<br />

herabgewürdigt.<br />

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, von Fall<br />

zu Fall bestimmte Themen, die uns wichtig<br />

erscheinen, an unsere Leser zu tragen.<br />

Das bedeutet nicht, dass wir notwendigerweise<br />

die Meinung der Autoren teilen<br />

oder dass wir uns in der Lage sehen, eine<br />

abschließende Darstellung zu diesem Thema<br />

auch nur zu versuchen.<br />

In diesem Heft wird das Thema der Gerechtigkeit<br />

im staatlichen Handeln und<br />

Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung<br />

entnommen aus dem Buch von<br />

Werner Thole, Peter Cloos, Friedrich Ortmann<br />

und Volkhardt Strutwolf: <strong>Soziale</strong><br />

Arbeit im öffentlichen Raum – <strong>Soziale</strong> Gerechtigkeit<br />

in der Gestaltung des <strong>Soziale</strong>n,<br />

erschienen im VS Verlag für Sozialwissenschaft,<br />

GWV Fachverlage, Abraham-Lincoln-Strasse<br />

46, 65189 Wiesbaden.<br />

Gerechtigkeit<br />

– wer soll für den<br />

Wiederaufbau von New<br />

Orleans zahlen?<br />

Big Easy oder Big Squeezy? Darüber<br />

sprach INSP-Mitgliedszeitschrift Real<br />

Change, Seattle, mit Barbara Major,<br />

Gemeindeaktivistin umd Mitvorsitzende<br />

des Bring New Orleans Back<br />

Commission, die Bürgermeister C. Ray<br />

Nagin einberufen hat.<br />

Real Change: Was war das Endresultat dieser<br />

Kommission?<br />

Barbara Major: Ein Report mit<br />

Empfehlungen für den Bürgermeister.<br />

Einige hat er übernommen, andere nicht.<br />

RC: Haben die Geschäftsinteressen in der<br />

Kommission einen unterschiedlichen Weg<br />

versucht?<br />

Barbara Major: Nicht mehr als vor dem<br />

Orkan Katrina. Die Geschäftsinteressen<br />

promoten ihren Weg. Die weiße<br />

Gesellschaft auch, genauso wie immer.<br />

Wenn ich gedacht hätte, dass sie auf<br />

einmal auf dem richtigen Weg sind, hätte<br />

ich in der Kommission gar nicht erst<br />

mitgearbeitet.<br />

RC: Wie ist die Lage in New Orleans und<br />

bei der Stadtverwaltung?<br />

Barbara Major: Grundlegend ist die Stadt<br />

pleite und die meisten Stadtbediensteten<br />

sind weg. Es gibt noch ein paar, die mit den<br />

Resten arbeiten. Auch sie sind obdachlos.<br />

Die Arbeitsbedingungen sind noch die<br />

gleichen wie kurz nach Katrina. Es ist<br />

zwischen Staaten angesprochen. Das ist<br />

in der Geschichte der Diskussion über<br />

staatliches und soziales Handeln relativ<br />

neu. Man darf nicht vergessen, dass zu<br />

dem Zeitpunkt, als die Verfassungen der<br />

demokratischen Länder geschrieben wurden,<br />

ganz andere Gesichtspunkte Vorrang<br />

hatten. Das gilt nicht nur für England,<br />

das noch immer ohne geschriebene Verfassung<br />

auskommt. Das gilt auch für die<br />

USA, wo die Männer um Franklin, Hamilton<br />

und Jefferson die Souveränität der<br />

(bewaffneten) Bürger gegen ein Fremdregime<br />

thematisierten. Das gilt ebenso für<br />

Frankreich, das zwar Gleichheit und Brüderlichkeit<br />

in seine Verfassung aufgenommen<br />

hatte, aber ein Staat blieb, „in dem<br />

es Arm und Reich gleichermaßen erlaubt<br />

ist, unter den Brücken zu schlafen“. Für<br />

die bundesdeutsche Verfassung gilt es allemal<br />

– man war zu sehr damit beschäftigt,<br />

Vorkehrungen gegen ein erneutes Verfassungsdebakel<br />

zu treffen. Die Reihe lässt<br />

sich beliebig fortsetzen.<br />

unglaublich, was die Leute von Außen von<br />

New Orleans erwarten. Wenn jemand sagt:<br />

Warum habt ihr das noch nicht erledigt<br />

möchte ich ihnen am liebsten sagen, dass<br />

sie sich selbst ficken sollen.<br />

RC: Wer kontrolliert den Wiederaufbauprozess?<br />

Barbara Major: Es gibt keinen. Es ist<br />

kein Geld da. Es wurde etwas Müll<br />

weggeräumt, aber es gibt keinen<br />

wirklichen Wiederaufbau. Die Mittel<br />

dafür sind auf U.S. Government Ebene<br />

oder Bundesstaatsebene eingefroren.<br />

RC: Was ist die größte Hürde, die Farbige in<br />

New Orleans überwinden müssen?<br />

Barbara Major: Das ist die Sicherung von<br />

Land, damit Leute dort Zugang haben,<br />

damit das Geld für den Wiederaufbau<br />

ausgegeben wird und dass Leute nicht<br />

einfach nur angeheuert werden, sondern<br />

die am Aufbau beteiligten Unternehmen<br />

besitzen. Die Mittel müssen daraufhin<br />

kontrolliert werden.<br />

RC: Was unternehmen Sie, damit die Armen<br />

nicht beim Wiederaufbau vergessen werden?<br />

Barbara Major: Ich bin nicht Gott. Ich<br />

habe mich mit den wirtschaftlichen<br />

Gegebenheiten auseinanderzusetzen.<br />

Teil davon ist, dass wir einen Land Trust<br />

bilden, dass wir Boden sichern, dass<br />

wir einen Weg für die Entwicklung der<br />

Afroamerikanischen Gesellschaft schaffen.<br />

Ein solcher Land Trust würde sicherstellen,<br />

dass das Land nie für andere Zwecke als<br />

Unterkünfte der unteren und mittleren<br />

Preisklasse verwendet werden.<br />

RC: Afroamerikaner haben praktisch die<br />

Kultur von New Orleans geschaffen. Haben<br />

sie Sorge, dass die Leute, die die Kultur<br />

aufgebaut haben, nicht mehr Teil davon<br />

sind?<br />

Barbara Major: Wir alle sind besorgt.<br />

Einige Leute wollen hier sein, einige dieser<br />

Musikanten. Ich will diese Kultur auch,<br />

aber ich will keine Kultur der Armut.<br />

Ich will eine gesündere Gesellschaft,<br />

aber New Orleans ist nicht mehr New<br />

Orleans, wenn diese Leute nicht Teil des<br />

Es ist an der Zeit, sich in noch immer recht<br />

gesicherten Verhältnissen, die im schreienden<br />

Gegensatz zu dem stehen, was in<br />

anderen Ländern passiert, mit dem Thema<br />

der Gerechtigkeit sozialen Handelns neu<br />

auseinander zu setzen. Was aus der Diskussion<br />

werden kann, können wir noch<br />

nicht wissen. Es ist jetzt schon sicher, dass<br />

unter Berufung auf ein wichtiges Ziel Beiträge<br />

jeder Qualität erfolgen werden, nicht<br />

wenige als kaum verhohlener Versuch, sich<br />

unter Berufung auf vorgeblich wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse Entscheidungsprivilegien<br />

zu verschaffen, die auf dem beruhen,<br />

was zu Recht als Herrschaftswissen<br />

verdammt wird und nicht den Schatten<br />

einer demokratischen Legitimation haben<br />

kann.<br />

Die öffentliche, intensiv geführte Diskussion<br />

ist der einzige Weg, der irgendwohin<br />

führen kann. Es ist an der Zeit, diesen Dialog<br />

zu beginnen.<br />

Rüdiger Stubenrecht<br />

Wiederaufbauprozesses sind und ihn<br />

anleiten können. Glauben die wirklich,<br />

dass es Wiederaufbau ohne uns geben<br />

kann? Die werden nicht mal Scheiße<br />

kriegen.<br />

RC: Wohin können evakuierte Leute<br />

zurückkehren? Gibt es einen Plan?<br />

Barbara Major: Ich habe keine Idee. Im<br />

Augenblick gibt es keinen Platz zum<br />

Zurückkehren und keinen Platz zum<br />

Leben. Die meisten waren Mieter, und<br />

der Vermieter wird sie nicht wieder<br />

aufnehmen, wenn er die Miete nicht<br />

aufbessern kann. Also was? Wir hatten<br />

vorher keine Mietkontrolle. Viele Leute<br />

wollen zurückkommen, aber das muss Teil<br />

eines Gemeinsaftsprozesses sein.<br />

RC: Haben Sie Informationen über<br />

Diskriminierung gegen evakuierte Arme?<br />

Barbara Major: Absolut. Es gibt eine Menge<br />

Spannung, weil niemand die Verhältnisse<br />

verbessert hat. Die evakuierten Armen<br />

landeten in überbelasteten Gemeinden<br />

mit beschränkten Mittel. Die Regierung<br />

war nicht bereit, irgendwelche Mittel in<br />

diese Gemeinden zu leiten.<br />

RC: Was glauben Sie, wird in Zukunft<br />

geschehen?<br />

Barbara Major: Es werden einige Mittel<br />

freigegeben, und es wird einen Haufen<br />

politischer Auseinandersetzungen<br />

geben, wer diese Mittel kontrolliert.<br />

Wenn wird Glück haben, können wir<br />

eine Gefechtslinie bilden und genauso<br />

weiterkämpfen, wie wir das immer getan<br />

haben. Es ist ein Kampf um den Schutz<br />

der Bürger der Stadt, wo immer sie sich<br />

noch aufhalten. Ich weiß auch, dass wir<br />

nicht jedes Gefecht gewinnen werden.<br />

RC: Und wenn wieder ein Hurrikan<br />

kommt?<br />

Barbara Major: Wenn noch ein Sturm der<br />

Kategorie Fünf meine Stadt trifft, mit der<br />

Windgeschwindigkeit von Katrina, wird<br />

sich meine Stadt für die nächsten 50 bis<br />

100 Jahre nicht mehr erholen. Viele Leute<br />

werden dann nie wieder zurückkehren.


Die CD des Monats<br />

Aus Kenia:<br />

Ausnahmeband Bana Kadori<br />

Das ostafrikanische Orchester Bana Kadori<br />

gilt unter Kennern als eine der gegenwärtig<br />

besten Bands in Kenia. Ihre 2002<br />

veröffentlichte erste CD „Inter Cooler“<br />

(EHS 2202), die sie nach zahlreichen Kassettenveröffentlichungen<br />

aufgenommen<br />

haben, vermittelt einen tollen Eindruck,<br />

warum diese Einschätzung gerechtfertigt<br />

ist. Scheinbar erst jetzt, fast drei Jahrzehnte<br />

nach ihrer Gründung, steuert die Band ihrem<br />

musikalischen Höhepunkt entgegen.<br />

Auch die kürzlich erschienene neue CD<br />

„Piny Oketor“ bestätigt diesen Eindruck.<br />

Glänzende Kompositionen, überzeugende<br />

Instumental- und Gesangsarragements,<br />

virtuoses Gitarrenspiel und ausdruckstarke<br />

Liedtexte zeichnen die Musik<br />

von Bana Kadori aus. In Kenia feierten Sie<br />

in den letzten Jahren mit Titeln wie z. B.<br />

„Consola Ta“, „Nairobi“ und „Inter Cooler“<br />

große Erfolge.<br />

Das Risiko ohne Halt abzustürzen, ist gestiegen,<br />

auch für Leute, die es sich für ihr<br />

Leben nie gedacht hätten. Nach einem<br />

Jahr Arbeitslosigkeit nur noch ALG II<br />

(umgangssprachlich: Hartz IV) bedeutet<br />

Armut und Stress, denn es bedarf großer<br />

Anstrengungen, die notwendigsten<br />

Grundbedürfnisse zu befriedigen. In den<br />

Haushalten, die unter der Armutsgrenze<br />

leben, muss das vorhandene Einkommen<br />

für das Notwendigste ausgegeben werden:<br />

Ernährung, Kleidung, Heizung. Für<br />

Sozialkontakte, Bildung, gar eine Theater-<br />

oder Konzertkarte bleibt da nichts<br />

mehr übrig.<br />

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein,<br />

sondern auch von Freundschaft, guten<br />

Beziehungen, tiefen Erfahrungen. Dazu<br />

gehören auch Kunst und Kultur. Alles,<br />

was Menschen, die am unteren Limit<br />

leben, unterstützt und stärkt, ist wichtig.<br />

Kunst ist ein soziales Grundbedürfnis.<br />

Was für einen Grund gibt es, es jemandem<br />

zu verwehren?<br />

Derzeit wird aus öffentlichen Haushalten<br />

der Besuch von Kulturveranstaltungen<br />

dadurch gesponsort, dass Theater, Oper,<br />

Museen usw. einen nicht unerheblichen<br />

Zuschuss erhalten. Damit wird der Besuch<br />

dieser Veranstaltungen für diejenigen, die<br />

es sich leisten können, entsprechende<br />

Eintrittskarten zu kaufen, indirekt um<br />

erhebliche Beträge gefördert. Das heißt<br />

also, dass diejenigen, die sich Kultur<br />

finanziell leisten könnten, auch noch dafür<br />

zusätzlich einen Zuschuss bekommen,<br />

der ihnen zwar nicht direkt, aber durch<br />

Bezahlung des Baus und Unterhalts<br />

von Häusern und den Gehältern für<br />

Kulturschaffende gezahlt wird.<br />

Damit wir nicht missverstanden werden,<br />

jedem sei diese Form öffentlichen<br />

Kultursponsorings gegönnt. Problem<br />

aber ist und bleibt, dass derjenige, der<br />

sich erst gar keine Karte leisten kann,<br />

von diesem Zuschuss ausgeschlossen ist.<br />

KULTUR<br />

Bana Kadori verbindet die populärste afrikanische<br />

Tanzmusik Benga mit kongolesischer<br />

Rumba.<br />

Gegründet wurde Bana Kadori bereits<br />

1978 von O. Kabasella, einem in Ostafrika<br />

und insbesondere in Kania sehr bekannten<br />

Komponisten und Musiker. Die<br />

Band war quasi ein Familienunternehmen,<br />

bestand aus Ochienga und vier seiner Brüder,<br />

Ogolli und Onyango, Omondi und<br />

Ondindo Kadori. Sie stammen aus einer<br />

angesehenen Luo-Musikerfamilie, alle<br />

sind sie Söhne der bekannten Musikerin<br />

Dorkas Siwalo, genannt Dori. So entstand<br />

der Name der Gruppe Bana Kadori, was<br />

soviel heißt wie die Kinder von Dori. Die<br />

tragenden Säulen von Bana Kadori heute<br />

sind die drei Brüder Josef Onyango, Philemon<br />

Omondi und Baratek Odinando.<br />

Ochienga Kabasellas offizielle Band in<br />

den 70er und 80er Jahren war die Luna<br />

Hunger auf Kunst und Kultur<br />

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein<br />

Warum schließt man Menschen, denen<br />

diese öffentlichen Kulturangebote (Oper,<br />

Theater, Museen usw.) eigentlich gehören<br />

und die jahrelang dafür Steuergelder<br />

bezahlt haben, aus diesen Einrichtungen<br />

aus, nur weil sie länger arbeitslos sind oder<br />

es ihnen momentan aus anderen Gründen<br />

finanziell schlecht geht?<br />

Kunst und Kultur für alle anzubieten, ist<br />

Aufgabe der öffentlichen Kulturangebote,<br />

und nicht nur für diejenigen, die es sich<br />

gerade leisten können. Diese Einsicht hat<br />

sich bei Künstlern in anderen Städten<br />

schon durchgesetzt, z. B. in Österreich<br />

und der Schweiz, wo es städtische oder regionale<br />

Kulturpässe gibt, die von Sozialinstitutionen<br />

nach Beurteilung der finanziellen<br />

Situation der Antragsteller ausgegeben<br />

werden. Gleichzeitig engagieren sich<br />

die Kultureinrichtungen, um Sponsoren<br />

aufzutreiben, die die Gratiskarten finanzieren<br />

oder die vom entsprechenden Kulturressort<br />

finanziert werden.<br />

In Frankfurt könnte man die Institution<br />

„Frankfurtpass“ nutzen, um für Bedürftige<br />

die Voraussetzungen zu schaffen, in den<br />

Genuss der Freikarten zu entsprechenden<br />

Veranstaltungen zu kommen. Gleichzeitig<br />

könnten neben den öffentlichen<br />

Kulturträgern auch private Kulturträger<br />

entsprechende freiwillige Angebote<br />

machen.<br />

Kidi Band, die bei Polygram unter Vertrag<br />

stand. Bana Kadori wurde als Studioband<br />

gegründet, damit Kabaselleh auch<br />

ohne Zustimmung von Polygram Musik<br />

aufnehmen konnte. Auf vielen seiner Aufnahmen<br />

aus dieser Zeit sind deshalb die<br />

Musiker von Bana Kadori zu hören.<br />

Die Musik der Band baut auf dem Vermächtnis<br />

des 1968 verstorbenen Oching<br />

Kabaselleh auf. „Kabasellehs music was<br />

always a bit different, an interesting mixture<br />

of Loubenga, Swahili rumba, and<br />

Conoglese influences“, schreibt die Rough<br />

Guide. Bana Kadori zeigt allerdings in<br />

überzeugender Weise, dass sie in der Lage<br />

sind, diese musikalischen Quellen in neuer<br />

Weise zu bearbeiten und in ihnen ihren<br />

eigenen Stil einfließen zu lassen. Ogondo<br />

beschreibt so: „The slow rumba rhythms<br />

progress into high energy Benga beat.”<br />

Der Kauf einer oder der beiden CDs wird<br />

empfohlen.<br />

Reinhold Urbas<br />

Auch in anderen Städten in Deutschland<br />

laufen entsprechende Aktivitäten. So<br />

hat beispielsweise die CDU-Fraktion<br />

im Abgeordnetenhaus Berlin einen<br />

entsprechenden Antrag im Jahr 2005<br />

gestellt. Dort heißt es unter anderem, arm<br />

sei vor allem, wer am Alltagsleben nicht<br />

teilnehmen kann. Armut bedeute auch<br />

einen Verlust an Freiheit. Deshalb müsse<br />

die Darstellende und Bildende Kunst,<br />

Film und Musik auch für die, die es sich<br />

nicht leisten können, geöffnet werden.<br />

Die Parteien im Römer sind aufgefordert,<br />

dieses Bürgerprojekt zu initiieren und<br />

auf dem Weg zu unterstützen, damit<br />

bedürftigen Frankfurterinnen und<br />

Frankfurtern ein kostenloser Besuch von<br />

Kulturveranstaltungen ermöglicht wird.<br />

Bericht: Hans-Peter Janzen<br />

9<br />

Es geht jo<br />

eischentlisch kaan<br />

wos an…<br />

awwer misch haddes erwischt gehabbt: die<br />

jahreszeitlisch bedingde Gripp hadd misch<br />

off des Schmerzenslaacher geworfe. Wie<br />

des immer so is, gehts dene richtisch mies,<br />

wo eischentlich gor net krank sinn. Un mir<br />

Menner sin alsford wehleidisch un wolle in<br />

unserm Schmerz getreest wern, wann uns<br />

was fehle dhut.<br />

Unn so laach isch in meim Bett unn wor<br />

dagsiwwer ausser Gefecht. Zwor, mei Sieße<br />

hatt mich versorscht gehabbt mit zwaa<br />

Flasche Wasser, zwaa große Thermoskanne<br />

mit wos Haaßem, e bische wos zum<br />

Knabbern um Daschetiecher reischlich. So<br />

kann mer es eischentlich aushalde, bis es<br />

am Owwend was zu beisse gibt. Awwer do<br />

is noch des Problem mit de Unnerhaltung.<br />

Wann isch die Gripp habb, fehlt mer nun<br />

emal die Kopp for e Buch un isch mecht<br />

was flickern sehe am Telewischen.<br />

Un da hammer des Problem. Weil, bei<br />

uns im Schloofzimmer gibbts bleeslich en<br />

ganz alde Fernseh, den wo mer schon lang<br />

pangsioniert hawwe unn wo eigentlich nor<br />

im eißerste Notfall benutzt wird wie bei e<br />

Fußball-<strong>Welt</strong>meisterschaft in Korea, wos<br />

schun de neechste Tag is, wann mir grad<br />

ganz fest schlafe. E Fernbedienung hadd<br />

des Teil schun lang net mehr. Iblischerweis<br />

mechst des jo nix, weil mer is schnell außem<br />

Bett gehibbt unn hadd de Kanal umgestellt.<br />

Nor, wann isch aufem Ricke lisch<br />

un huust uns schnust, geht des net.<br />

Un so krischt mehr des volle Programm<br />

ab von dem Bleedsinn, wo mir auch noch<br />

reischlisch Gebührn for zahle. Heer, des<br />

fällt ein jo gor nett uff, wannsde am Dag<br />

unnerwegs bist beim Schaffe. Im ARD<br />

vier Telenovelas – des is de brasilianische<br />

Ausdruck for unerträschlisch breitgewalzte<br />

Bleedsinn - , im ZDF zwaa. Iwwerall<br />

Doku-Soaps; frieher hätte mer dodezu<br />

gesacht: ganz billisch runnergekurbelter<br />

Schaaßdreck wo niemand interessiert. Im<br />

de Private bleeslich Richter-Ufftritte mit<br />

zurecht gemachte Pseudokriminelle, vorgeblische<br />

Rischter wo so dumm sin wie<br />

Saubohnestroh unn em Umgangston wie<br />

beim Roland Freisler. Die Programmchefs<br />

geheern all in die Klappsmiehl.<br />

Un de Rest von de 30 oder mehr Kaneel,<br />

wo mer hawwe? Iwwerall nor amerikanische<br />

Serien vun ganz frieher. Des Zeusch<br />

misse die unnernanner austausche, damit<br />

ja keiner dem entrinne kann. Leit, wann<br />

isch Dallas abstell, do sehn isch misch<br />

noch Rin-Tin-Tin; ja, des is aach emol<br />

im Fernseh gelaafe, wo err noch Schwarz-<br />

Weiss wor. Des Hundche hadd jeddenfalls<br />

e üwwerzeuchender Mienespiel gehabt als<br />

Michael Landon in Unsere Kleine Farm.<br />

Zum gude End habb isch mei Sieße gebede,<br />

dess se mir für de Rest von meiner<br />

Krenk en Noochrichtesender aastellt. Soweil<br />

is es gekomme: sogor des Dummgebabbel<br />

vun unsere Polidiker is kurzweilischer<br />

als des normale Programm.<br />

Maant im Zorn Ihne Ihrn<br />

Riewwedippel


10 SOZIALES<br />

Obdachlos -<br />

Geschichten von Außenseitern in Selbstaussagen<br />

Alle Erlöse aus der „<strong>Soziale</strong>n <strong>Welt</strong>“<br />

fließen Obdachlosen zu, entweder<br />

direkt in Form des Verkaufsanteils an<br />

die Verkäufer oder indirekt zum Jahresabschluss,<br />

wo der Gewinn an Obdachlosenprojekte<br />

verteilt wird. Aber<br />

wer ist diese Klientel eigentlich? Hier<br />

eine Lebensgeschichte:<br />

„Geboren bin ich am 09. Dezember 52<br />

in T. Mein alter Herr war Notar, meine<br />

Mutter war Hausfrau, außerdem habe ich<br />

noch fünf Geschwister, die auch irgendwo<br />

in Bayern rumturteln. Ich war der fünfte,<br />

erst zwei Schwestern, dann zwei Brüder,<br />

dann ich – der Schönste – dann noch eine<br />

Schwester. Über die Kindheit – Was soll<br />

man sagen?<br />

Mein Vater war ein bisschen verrückt, ein<br />

bisschen pedantisch, ein bisschen fanatisch,<br />

- er war ziemlich schwer religiös,<br />

evangelisch – und außerdem äußerst jähzornig.<br />

Das ist eigentlich schon die ganze<br />

Kindheit. Er hat uns eigentlich fast jeden<br />

Tag verprügelt. Alle miteinander. Gründe<br />

hat er immer gefunden. Na ja, ein Traum<br />

von meinem Vater war halt vor allen Dingen,<br />

dass alle von seinen Kindern entweder<br />

Juristen oder Pfarrer werden. Daraufhin<br />

hat er uns auch erzogen, oder er hat es<br />

wenigstens versucht.<br />

Ist natürlich nichts daraus geworden. Bei<br />

keinem. Ja, die ersten zwei sind nach dem<br />

vierten Schuljahr rausgekommen, sind<br />

aufs Nonneninternat gekommen, die zwei<br />

älteren Schwestern, also Internat, Oberschule,<br />

bis sie Abitur machen. Meine<br />

zweite Schwester hat es auch geschafft, sie<br />

ist dann Lehrerin geworden. Ja und mein<br />

zweitältester Bruder, der ist da auch auf<br />

so ein Internat gekommen, der ist durchgekommen<br />

und ist Lehrer geworden.<br />

Der älteste Bruder, der war ein bisschen<br />

zu dumm – dem wollte er es zwar auch<br />

reinprügeln, aber da hat er es nicht ganz<br />

geschafft, der hat einfach die Schule nicht<br />

gepackt. Na, und bei mir war es auch so<br />

ähnlich. Mich hat er auch …., bloß habe<br />

ich dann die Scheiße gebaut, wie wir dann<br />

nach M. gezogen sind, da dort eben ein<br />

Gymnasium war. Das war echt Scheiße,<br />

ich wollte, ehrlich gesagt, nie aufs Gymnasium,<br />

von vorneherein nicht. Na ja, da<br />

habe ich dann in der vierten oder fünften<br />

Klasse der Volksschule versucht, dass da so<br />

hinzudeichseln, da habe ich in der Schule<br />

praktisch überhaupt nichts gemacht. Da<br />

hat er mich bald erschlagen, so nebenbei.<br />

Im sechsten Schuljahr wollte ich dann auf<br />

die Mittelschule nach H., damit ich von<br />

Zuhause weggekommen wäre. Ich wollte<br />

eigentlich schon immer Förster werden,<br />

ich weiß, ich bin auch mehr so ein Eigenbrötlertyp.<br />

Das hätte mir halt so gefallen,<br />

das wollte ich schon immer. Solange ich<br />

denken kann, wollte ich Förster werden.<br />

Na, ist dann nichts draus geworden.<br />

Auf jeden Fall habe ich dann die sechste<br />

Klasse mit Bravour geschafft, war sogar<br />

der Beste, in der Volksschule. Und dann<br />

hat er es halt geschafft, der Alte, dass er<br />

bei uns auf dem Gymnasium den Direktor<br />

rumgekriegt hat, dass ich dann doch auch<br />

auf das Scheißgymnasium gekommen bin.<br />

Das weiß ich noch wie heute. Da hat er<br />

mich am Morgen, ganz freudestrahlend,<br />

wie er dann mein Zeugnis gesehen hat,<br />

hat er mich rausgepiekt und dann musste<br />

ich dann noch die ganzen Ferien für die<br />

Scheißprüfungen lernen. Na, da hab ich<br />

die ganze Packung gemacht.<br />

Die Oberschule habe ich natürlich nicht<br />

geschafft, echt keinen Bock gehabt. Die<br />

ersten drei Jahre ging es noch einigermaßen,<br />

da bin ich irgendwie durchgeturnt.<br />

Dann bin ich das erste mal sitzen geblieben,<br />

da ist er schon durchgedreht und hat<br />

meine Erziehung und Lehre in die Hände<br />

genommen. Der Vater hat schon vorher<br />

immer den Spinner gehabt, dass seine Kinder<br />

um vier zuhause sein mussten, dann<br />

hat er zwei, drei Stunden aus der Bibel was<br />

vorgebetet, die Kommentare auch dazu,<br />

jeden Tag, und wir mussten außen rum<br />

sein. Knüppelhart, ja nicht mucksen.<br />

Auf jeden Fall hat er es dann soweit geschafft,<br />

dass ich mit 16 zum ersten Mal<br />

abgehauen bin, da haben mich die Bullen<br />

zurückgebracht, gleich am anderen Tag.<br />

Bald wieder abgehauen, da bin ich nach<br />

einer Woche selbst wieder zurück, weil ich<br />

verhungert – halb, und so eine Scheiße.<br />

Na, da war ich wieder zu Hause, und da<br />

hat er anscheinend gemerkt, dass doch irgendwas<br />

mit mir nicht stimmt.<br />

Na, und da bin ich für drei Jahre in psychiatrische<br />

Behandlung gekommen.<br />

Er hat es immer irgendwie hingedeichselt.<br />

Das waren dann pubertäre Störungen,<br />

Verhaltensschäden und was weiß ich nicht<br />

alles. Da war ich dann jede Woche zweimal<br />

beim Erziehungsberater in der Psychiatrie<br />

in H. Dieser Psychiater hat dann gebracht,<br />

dass ich aus dieser Scheißoberschule herausgekommen<br />

bin. Drei Jahre gelernt,<br />

Großhandelskaufmann, dann habe ich<br />

noch ein Jahr in der Firma gearbeitet,<br />

in der Auftragsabteilung. Erkundigungen<br />

über Kunden einziehen und so eine<br />

Scheiße. Richtig schön, war ein toller Job.<br />

Dann habe ich ein halbes Jahr lang Pause<br />

gemacht, da war ich arbeitslos, freiwillig.<br />

Dann bin ich auf die Textilfachschule gegangen,<br />

habe noch meinen Textilkaufmann<br />

gemacht. Dann habe ich das Pech<br />

gehabt, dass das Ölembargo von den Arabern<br />

auch noch dazwischen kam. Wie ich<br />

mit der Textilfachschule<br />

fertig war, waren bei<br />

uns sämtliche Oberbekleidungs-<br />

und Textilfabriken<br />

im Arsch. Die<br />

haben es nicht verkraftet.<br />

Da waren nur noch<br />

die großen Firmen,<br />

und da sind so viele<br />

Textilkaufleute rumgerannt,<br />

da haben die<br />

einen überhaupt nicht<br />

mehr gebraucht.<br />

Während der Lehre<br />

wohnte ich noch zu<br />

Hause. Wir sind uns ziemlich aus dem<br />

Weg gegangen. Ich habe dann unter anderem<br />

auch noch das Saufen angefangen,<br />

wenn der Alte abends nach Hause gekommen<br />

ist, war ich meistens in der Kneipe.<br />

Die anderen Geschwister waren schon alle<br />

weg. Mutter war noch zu Hause, die kleine<br />

Schwester war noch manchmal zu Hause.<br />

Ist dann nach L. gegangen. Ich weiß nicht,<br />

was sie dort macht. Ich habe zu der ganzen<br />

Familie keinen Kontakt mehr.<br />

Danach war ich wieder eineinhalb Jahres<br />

arbeitslos, da sind wir erst einmal mit ein<br />

paar anderen Johnnies durch Italien nach<br />

Südfrankreich getrampt. Da waren wir ein<br />

halbes Jahr, bis wir pleite waren.<br />

Dann sind wir wieder hoch, ich bin zu<br />

meinem Schwager nach B. Meine zweite<br />

Schwester hatte gerade geheiratet. Die<br />

haben da ein Haus hochgezogen. Da habe<br />

ich bei denen schwarz gebaut, ein halbes<br />

Jahr, dann bin weiter nach N., dort wieder<br />

ein halbes Jahr schwarz gebaut. In einer<br />

N. Lebensmittelfirma habe ich dann noch<br />

Jahre als Lagerfacharbeiter gearbeitet,<br />

hatte eine feste Wohnung und eine feste<br />

Freundin. Dann ist das mit ihr dann wieder<br />

auseinander gegangen, weil die auch<br />

angefangen hat, dauernd zu meckern. Da<br />

habe ich das Saufen auch wieder angefangen.<br />

Sie war halt der Willensstärkere von<br />

uns beiden, auf hochdeutsch gesagt.<br />

Den Job habe ich dann aufgegeben, bin<br />

dann so rumgetrampt und habe den Rest<br />

von meinem Geld versoffen. Von den<br />

letzten hundert Mark habe ich mir dann<br />

noch einen Schafsack gekauft. Das war das<br />

einzige Vernünftige, bin dann unter die<br />

Stadtstreicher geraten. Das war in W.<br />

Da hab ich Platte gemacht, habe überwintert<br />

im Tor mit dem Gasmäntele,<br />

das ist ein bekannter Stadtstreicher dort.<br />

Gasmäntele, das ist sein Spitzname, dann<br />

noch so ein Ziegenmännlein und ein abgestürzter<br />

Akrobat. Sie haben mich immer<br />

den roten Muck genannt, rot wegen meiner<br />

Gesichtsfarbe und Muck wegen der<br />

abgebrochenen Riesengröße.<br />

Die drei haben mich angelernt in allen<br />

Feinheiten des Berberlebens – wo man Sitzungen<br />

macht, also sich mit einem Schild<br />

hinsetzt, wie man schmal macht, also Leute<br />

anbettelt am Bahnhof wegen Geld oder<br />

so. Schmal machen war ich eigentlich nie<br />

gut, bei Sitzungen am Anfang auch nicht.<br />

Na ja, vor allen Dingen habe ich mich<br />

dann schwer als Ladendieb entwickelt,<br />

muss ich ganz ehrlich sagen. Für die ganze<br />

Bande habe ich eigentlich immer den<br />

Korn geklaut.<br />

Das ging dann den ganzen Winter durch.<br />

Im Frühjahr war ich schon ganz schön firm.<br />

Da bin ich zu Fuß in Richtung Bodensee,<br />

ganz gemütlich. Jeden Tag was mitgenommen,<br />

überall geklopft wegen Geld oder<br />

was zu essen, in jedem Dorf. Das klappte,<br />

auf dem Land haben mich die Bauern mitgenommen,<br />

von Dorf zu Dorf. Das konnte<br />

ich, an die Häuser konnte ich gehen,<br />

aber so an den Bahnhof gehen und mich<br />

schmal machen, das konnte ich nicht. Auf<br />

diese Weise habe ich ganz Deutschland gesehen,<br />

ist überall dreckig, insbesondere die<br />

Bundesstraßen.<br />

Zwischendurch war ich immer mal ein<br />

paar Wochen auf einem Job, auf dem<br />

Jahrmarkt, da hab ich mitgeholfen beim<br />

Auf- und Abbau. Reine Knochenarbeit,<br />

Chips für Autoskooter einsammeln, Lose<br />

verkaufen und so weiter. Dann haben mir<br />

wieder die Füße gejuckt, dann bin ich einfach<br />

weiter. Mein Geld eingesammelt und<br />

abmarschiert.<br />

Warum ich ziehe, das weiß ich eigentlich<br />

auch nicht. Denn es ist ein Scheißleben,<br />

das ist ja wohl klar. Auf jeden Fall versuche<br />

ich zur Zeit, vom Alkohol abzukommen.<br />

Bis jetzt war es immer so, wenn es irgendwo<br />

fest war, ging es mit der Sauferei wieder<br />

los. Deswegen bin ich zur Zeit auch in<br />

H., ohne Hilfe, denn wenn ich Arbeit und<br />

Geld habe, saufe ich wieder, auch wenn<br />

ich eine Wohnung habe. Dann fällt mir<br />

die Decke auf den Kopf und ich saufe.<br />

Das einzige, was ich mir jetzt vorstelle,<br />

dass ich erst einmal anständig durch die<br />

Gegenwart komme. Dass ich mir Gedanken<br />

um die Zukunft mache, das lohnt eh<br />

nicht. Und dann muss ich halt versuchen,<br />

irgendwie wieder mal sesshaft zu werden.<br />

Irgendwie. Ich mein, man wird ja halt<br />

auch älter, Ich habe schon manchmal<br />

Schwierigkeiten mit meinen Knochen.<br />

In den Händen hab ich Frost drin, hab<br />

sie mir mal erfroren. Früher konnte ich<br />

mich noch richtig zusammenrollen, jetzt<br />

geht das nicht mehr. So drei- oder viermal<br />

muss ich nachts aufstehen, habe elendige<br />

Schmerzen im Knie.“


XXX<br />

11<br />

Brutalst mögliche Haushaltsverschwendung ?<br />

Nicht nur im Haushalt ist Roland Koch<br />

auf einem der vorderen Plätze unter den<br />

Bundesstaaten der Republik, wie er doch<br />

so gern möchte. Seine Verwaltung kann<br />

auch anders, wie überall die Beamten in<br />

Deutschland. In Zeiten knapper Kassen<br />

wird ungeniert Geld verschwendet. Ginge<br />

alles nach Recht und Gesetz, bräuchte es<br />

keinerlei Kürzungen im <strong>Soziale</strong>tat geben.<br />

Die „Leistungsbilanz“, die jährlich vom<br />

Hessischen Rechnungshof aufgeblättert<br />

wird, zeigt sowohl nachgewiesene Fälle<br />

echter Verschwendung als auch Nachlässigkeiten,<br />

durch die der Staat fahrlässig<br />

zu Lasten der Bürger auf zustehende<br />

Einnahmen in Millionenhöhe verzichtet<br />

oder gar Ausgaben in Riesendimensionen<br />

ungeprüft übernimmt.<br />

Untätigkeit, Unwissenheit,<br />

Unkenntnis,<br />

Unfähigkeit<br />

– darunter<br />

leidet nicht nur der<br />

Bundeshaushalt.<br />

Auch der Haushalt<br />

von Roland Kochs<br />

Hessen ist nicht frei<br />

davon. Über ihn<br />

wacht der Hessische<br />

Rechnungshof, der<br />

einmal im Jahr einen kiloschweren Bericht<br />

abliefert – über 300 Seiten von Hinweisen<br />

für die Haushaltsgestaltung und<br />

das, was mal wieder schief gelaufen ist.<br />

Leider ist der Bericht immer etwas hinterher<br />

– am 23.Mai wurde der Jahresbericht<br />

für das Jahr 2005 vorgelegt. Das ist nicht<br />

zu vermeiden, denn der Haushalt muss<br />

erst einmal durchgelaufen sein, bevor man<br />

ihn kritisieren kann. Leider haben wir<br />

das gleiche Verhalten zu vermelden wie<br />

es auch jedes Jahr von neuem von Bund<br />

der Steuerzahler moniert wird: die Lernfähigkeit<br />

in Beamtenkreisen beläuft sich<br />

auf exakt Null. Ähnlich harte Worte wie<br />

vom Steuerzahlerbund sind im hessischen<br />

Report nicht enthalten (und vermutlich<br />

auch nicht zu erwarten). Zwar wird immer<br />

der Besserungswille der Verwaltung<br />

lobend hervorgehoben, aber die tatsächlichen<br />

Besserungen sind leider nicht so<br />

ganz nachzuvollziehen. Immerhin gab<br />

es mal wieder eine ganz lange Liste von<br />

Verschwendungen, Unterlassungssünden<br />

und unbegreiflichen Vorgängen, für die<br />

es schwierig ist, eine Rechnung aufzumachen.<br />

Der Handlungsbedarf ist enorm, die<br />

Handlungsmotivation in Beamtenkreisen<br />

(und wohl auch unter Ministerpräsidenten)<br />

ist gering. Es ist viel einfacher,<br />

sich was einfallen zu lassen, um dem Bürger<br />

mehr Geld aus der Tasche zu ziehen,<br />

als die Staatsausgaben tatsächlich zu kontrollieren<br />

und im Zaume zu halten.<br />

3,5 Mio. Euro verblasen<br />

Schwerpunkt des diesjährigen Berichts ist<br />

die Abwicklung von Fördermaßnahmen<br />

einschließlich der Verwendungskontrolle.<br />

Man darf also davon ausgehen, dass in<br />

anderen Bereichen der hessischen Landesverwaltung<br />

ebenfalls einiges nicht in Ordnung<br />

ist. Aber bleiben wir bei dem Umgang<br />

mit Fördermitteln.<br />

Da gibt es den Bau von Radwegen, dem<br />

Tourismus zuliebe in einem Programm<br />

für das Radfernwegenetz gefördert. Zehn<br />

Fälle wurden geprüft, Umbauten von ehemaligen<br />

Bahntrassen und landwirtschaftlichen<br />

Wegen im Gesamtvolumen von insgesamt<br />

13,7 Mio. Euro. Und, oh Wunder<br />

–man hatte schlicht in vielen Fällen vergessen,<br />

die dauerhafte Nutzung durch die<br />

Widmung für den öffentlichen Verkehr<br />

sicherzustellen. Man hatte beispielsweise<br />

bei ehemaligen Forstwegen vergessen, die<br />

Nutzungsgenehmigung einzuholen – die<br />

Eigentümer können sie jederzeit schließen.<br />

Darüber hinaus sind auch noch Verstöße<br />

gegen das Vergaberecht vorgekommen: in<br />

einem Fall eine unbegründete freihändige<br />

Vergabe, 225.000 Euro ausgegeben, die<br />

rechtlich nicht zuwendungsfähig sind. In<br />

einem anderen Fall hat ein beauftragtes Ingenieurbüro<br />

die vorgelegten Preise der Bieter<br />

so verändert, das eine bestimmte Firma<br />

den Auftrag erhielt. Der vorgeschriebene<br />

Rechtsweg ist inzwischen beschritten.<br />

Eine hessische Kommune hat in der Zeit<br />

zwischen 1984 und 1996 eine Straße in<br />

einem Sanierungsgebiet ausgebaut und<br />

mit öffentlichen Mitteln gefördert. Dafür<br />

wären von den Eigentümern der Grundstücke,<br />

die zwar außerhalb des Sanierungsgebiets<br />

liegen, aber über diese Straße<br />

erschlossen werden, Straßenbeiträge<br />

fällig gewesen. Die Gemeinde verzichtete<br />

– auf rund 600.000 Euro. Die vorgesetzte<br />

Behörde hat schlicht und ergreifend alles<br />

verpennt. Es wurden weder fristgerecht<br />

die Verwendungsnachweise vorgelegt,<br />

diese auch nicht angefordert und die Behauptung,<br />

dass man keine Straßenbeiträge<br />

erheben könne, unkommentiert durchgelassen.<br />

Staatliche Nachlässigkeit ausnutzen können<br />

andere Gemeinden auch. Eine Stadt<br />

hatte Förderungsmittel in Höhe von<br />

157.000 Euro im Rahmen des Programms<br />

„Einfache Stadterneuerung“ in Anspruch<br />

genommen. Inanspruchnahme und Verwendung<br />

wuden schon im Jahresbericht<br />

2000 beanstandet. Immerhin schon im<br />

Februar 2002 fordert das Ministerium<br />

Geld zurück – dilettantisch, da nach Urteil<br />

des Verwaltungsgerichts Gießen die<br />

Frist abgelaufen sei, da man im Ministerium<br />

bereits im Oktober 2000 über die<br />

Gründe für den Widerruf der Mittelvergabe<br />

informiert war. Es kommt noch<br />

schöner: im November 2004 wurde der<br />

endgültige Verwendungsnachweis vorgelegt.<br />

Der ausgabefreudigen Stadt wurde<br />

zwar vorgehalten, dass die Entscheidung<br />

des Gerichts einer Berücksichtigung der<br />

fraglichen Summe im Förderverwahren<br />

nicht entgegenstehe – aber man verzichtete<br />

„großzügig“ darauf, ohne dass das<br />

zuständige Finanzministerium eingeschaltet<br />

oder der Rechnungshof gehört wurde.<br />

Unwissen, Unfähigkeit im Amt, Unwillen<br />

oder schlicht kriminelle Faulheit? Der Leser<br />

bilde sich selbst sein Urteil.<br />

Besonders derb trieb es die Hessische Industriemüll<br />

GmbH, die das Gelände eines<br />

ehemaligen Farb- und Gaswerkes sanieren<br />

sollte. Die im Boden vorhandenen<br />

Schadstoffe wurden nicht beseitigt, sondern<br />

aufwendig eingebunden, so dass ein<br />

Austritt in die Umwelt verhindert wird.<br />

Auch zwei Grundstücke von benachbarten<br />

Familien waren betroffen, Entschädigungszahlungen<br />

wurden geleistet. Es gab<br />

jede Menge Mehrkosten, sowohl durch<br />

Preisphantasien bei einer beschränkten<br />

Ausschreibung, teure Bauausführung<br />

und unterlassene Preisverhandlungen.<br />

Die Mehrkosten belaufen sich auf rund<br />

550.000 Euro bei der Bodensanierung,<br />

dazu kommen 450.000 Mehrkosten bei<br />

den Investitionen und sage und schreibe<br />

180.000 Euro jährlich für die Betriebskosten.<br />

Happich! Der Rechnungshof hat<br />

Nachverhandlungen angeregt, das Ergebnis<br />

steht noch aus.<br />

Förderungssünder Gießen und Frankfurt<br />

Das Stadttheater Gießen hat unter Vorlage<br />

von Wirtschaftsplänen institutionelle und<br />

projektbezogene Förderungen beantragt<br />

und erhalten. Durchaus löblich für einen<br />

löblichen Zweck. Doch die Planzahlen<br />

wurden nicht mit den tatsächlichen Wirtschaftszahlen<br />

verglichen. Resultat: Im<br />

Zeitraum von 1994 bis 2003 ein Überschuss<br />

von 1,8 Mio. Euro, der den Rücklagen<br />

zugewiesen wurde. Davon Landesmittel:<br />

618.900 Euro höchst erfreuliche<br />

Liquidität für das Stadttheater, eigentlich<br />

ganz und gar nicht im Sinne der Förderungsrichtlinien.<br />

Der Rechnungshof moniert:<br />

genauere Ermittlung der Einzelansätze,<br />

Prüfung der Wirtschaftspläne und<br />

genauere Beschreibung der Förderziele<br />

und Evaluation seinen notwendig und<br />

bisher nicht gemacht worden.<br />

Noch viel teurer die Fachhochschule<br />

Frankfurt am Main. Die Planung für die<br />

Campusbebauung 1 ist mit rund 50 Mio.<br />

Euro veranschlagt. Der in einem Architektenwettbewerb<br />

ausgewählte Entwurf<br />

sieht Verkehrs- und Konstruktionsflächen<br />

vor, die nach Meinung des Hessischen<br />

Rechnungshofes erheblich über den Orientierungswerten<br />

für Baumaßnahmen liegen<br />

– oder auf Deutsch gesagt 2,8 Mio.<br />

Euro teurer werden als nötig. Dazu kommen<br />

erhebliche Baufehler: für das Hauptgebäude<br />

wurde eine Doppelfassade geplant<br />

und nachträglich geändert, die den vorgesehenen<br />

Klimazweck nicht mehr erreicht.<br />

Kosten: 800.000 Euro. Zitat: „Anlass zur<br />

Kritik gibt auch die Hörsaalplanung, So<br />

fehlt es u. a. an guten Sichtbedingungen<br />

und ausreichenden Plätzen für Rollstuhlfahrer<br />

in zwei Hörsälen.“<br />

Und auch der vielgelobte Fraport kommt<br />

nicht ungeschoren davon: für die – sehr<br />

notwendige – Tierärztliche Grenzkontrollstelle<br />

sollte für die Einfuhrkontrolle<br />

von Waren und Lebensmittel tierischen<br />

Ursprungs sowie von lebenden Tieren eine<br />

individuelle Softwarelösung angeschafft<br />

werden. Der Auftrag geht auf das Jahr<br />

1998 zurück. Auch Ende 2002 war sie<br />

nicht verwendungsfähig. 2003 wurden die<br />

Versuche, mit der verkorksten Software<br />

zurecht zu kommen, endgültig aufgegeben.<br />

Kosten, soweit bezifferbar: 115.000<br />

Euro. Die Frustration der Mitarbeiter an<br />

Frankfurts Flughafen und die Zeiten des<br />

Kampfes mit der nicht bedarfgerechten<br />

Software sind nicht bezifferbar.<br />

Wirtschaftliche Schäden durch Unterlassung<br />

Grundsätzlich bedarf es eines amtsärztlichen<br />

Zeugnisses, falls ein Beamter oder<br />

eine Beamtin dienstunfähig in den Ruhestand<br />

versetzt werden soll. Bei drei überprüften<br />

Ministerien musste festgestellt<br />

werden, dass Untersuchungsaufträge zu<br />

allgemein erteilt wurden, die Gutachten<br />

eigentlich für die Gewährung des Ruhestands<br />

nicht hinreichend aussagekräftig<br />

waren und obendrein eine lange Zeit (bis<br />

zu einem Jahr) in Anspruch nahmen. In<br />

über 40 % der Fälle wurde eine Überprüfung<br />

erst nach einer Krankheitsdauer von<br />

über drei Monaten eingeleitet. Möglichkeiten<br />

zur Wiedereingliederung? Vergessen.<br />

Anderweitige Verwendung? Da sei St.<br />

Bürokratius vor. Nachuntersuchungen? In<br />

fast allen Fällen Fehlanzeige. Im Jahr 2000<br />

hat sich das Hessische Kultusministerium<br />

sogar geleistet, ein vereinfachtes Verfahren<br />

ohne Amtsarzt durchzuführen. Folge: eine<br />

nicht unerhebliche Zahl von Lehrkräften<br />

wurden im Jahr 2000 in den Ruhestand<br />

versetzt. Zitat: „Nach Auffassung des<br />

Rechnungshofs hat diese Vorgehensweise<br />

es Bediensteten erleichtert, angesichts der<br />

bevorstehenden Reformmaßnahmen noch<br />

ohne Versorgungsabschläge in den vorzeitigen<br />

Ruhestand zu gehen“. Erleichterung<br />

der Kostensparmaßnahmen – oder Begünstigung<br />

im Amt zugunsten von Mit-Beamten?<br />

Der Leser möge entscheiden.<br />

Kleinvieh macht auch reichlich Mist<br />

Es gibt Dinge, die man einfach nicht kommentieren,<br />

sondern nur zitieren kann:<br />

„Seit 1991 unterstützte eine bei der Kassenärztlichen<br />

Vereinigung Hessen angesiedelte<br />

Geschäftsstelle die Arbeit der sogenannten<br />

Substitutionskommission, die<br />

medikamentöse Behandlungen von langjährigen<br />

Heroinabhängigen entwickeln<br />

sollte. Für die Geschäftsstelle stellte das<br />

Land zuletzt jährlich 64.000 Euro bereit.<br />

Als Folge einer Rechtsänderung im Jahre<br />

2002 wurde die Substitutionskommission<br />

durch eine Qualitätssicherungskommission<br />

ersetzt. Qualitätssicherung ist jedoch<br />

originäre Aufgabe der Kassenärztlichen<br />

Vereinigung. Demzufolge ist die Grundlage<br />

für die Förderung der Geschäftsstelle<br />

entfallen.“ Gezahlt wurde aber weiter.<br />

Und auch dass noch: die hessischen Schulpsychologen<br />

sind zum Teil in ganz und gar<br />

nicht psychologischen Aufgaben fehleingesetzt<br />

worden, zum Beispiel mit Pisa-Testdurchführungen.<br />

Es fehlen Rahmenvorgaben<br />

für ihre Arbeit. Ein Berichtswesen,<br />

so moniert der Rechnungshof, ist nur in<br />

Ansätzen vorhanden. Angeregt wurde eine<br />

Präzisierung der Rahmenvorgaben und<br />

die Definition von Schwerpunkten und<br />

Qualitätsstandards. Ein Berichtssystem<br />

soll aufgebaut, eine regelmäßige externe<br />

Evaluation ermöglicht werden, damit die<br />

vorhandenen Schulpsychologen endlich<br />

dort eingesetzt werden können, wo der<br />

Sachverstand benötigt wird.<br />

Jetzt wird es teuer<br />

Auch das gehört zu den Aufträgen des<br />

Rechnungshofes: die Optimierung der<br />

Steuerverwaltung. Drei Prüfungen im<br />

Steuerbereich zeigten Schlupflöcher auf,<br />

die vermutlich vom Finanzministerium à<br />

tempo gestopft werden.<br />

Bei der Vorbereitung und Durchführung<br />

von Umsatzsteuer-Sonderprüfungen wurde<br />

festgestellt, dass sowohl die Fallauswahl<br />

als auch der Informationsaustausch mit<br />

anderen Behörden sowie die Nutzung<br />

bereits bestehender Datenbanken verbesserungswürdig<br />

sind. Der Rechnungshof<br />

hat Vorschläge erarbeitet mit dem Ziel der<br />

Vermeidung von Steuerausfällen und der<br />

Bekämpfung von Umsatzbetrügereien.<br />

Eine weitere Prüfung befasste sich mit<br />

der Steuerfestsetzung bei Personen mit<br />

überdurchschnittlich hohen Einkommen.<br />

Zitat: „Bei diesen Fällen sind die Sachverhalte<br />

zumeist besonders schwierig zu beurteilen<br />

und bergen deshalb das Risiko von<br />

Steuerausfällen. Sie sollen von den Finanzämtern<br />

- im Gegensatz zu anderen Fällen,<br />

bei denen eine überschlägige Prüfung<br />

genügt – überwiegend intensiv geprüft<br />

werden. Der Rechnungshof konnte bei<br />

seinen örtlichen Erhebungen keine Unterschiede<br />

bei der Bearbeitung intensiv und<br />

überschlägig zu prüfender Fälle feststellen.<br />

Bei beiden Fallgruppen zeigten sich Bearbeitungsmängel.<br />

Der Rechnungshof hält<br />

die Einführung eines wirksamen Risikomanagements<br />

für geboten, mit dem das<br />

Personal der Finanzämter gezielt zu den<br />

Fällen mit einem steuerlichen Ausfallrisiko<br />

geführt wird. Und bei der steuerlichen<br />

Behandlung von Erträgen aus Kapitallebensversicherungen<br />

wurde festgestellt,<br />

dass Sachverhalte nicht oder nur unzureichend<br />

ermittelt wurden.


12<br />

Vier Einrichtungen für Frauen beherbergt<br />

das Frauenzentrum am Alfred-Brehm-<br />

Platz 17: „Tamara“, „Lilith“, „17 Ost“<br />

und die „Beratungsstelle für Frauen“.<br />

Dort finden Frauen in Not ein offenes<br />

Ohr, eine Unterkunft und vor allem kompetente<br />

Beratung, oder einfach nur einen<br />

Platz, um sich für ein paar Stunden auszuruhen.<br />

Dem funktional wirkenden Nachkriegsbau<br />

in unmittelbarer Nachbarschaft<br />

zum Zoo ist von der Straße<br />

aus nicht anzusehen, dass er<br />

im rückwärtigen Teil ein schön<br />

gestaltetes Café beherbergt. „17<br />

Ost“ heißt es und ist ein Tagestreff<br />

für Frauen. Hier treffen<br />

sich nachmittags von 13 bis 17<br />

Uhr Frauen, um gemeinsam zu<br />

kochen, zu malen oder sich bei<br />

Kaffee und Tee von den Strapazen<br />

und Schwierigkeiten des<br />

Alltags auszuruhen. Wer gezielt<br />

Hilfe oder das Gespräch sucht,<br />

kann sich an eine Sozialarbeiterin<br />

wenden.<br />

Neben dem Café stehen ein Arbeitszimmer<br />

mit PC und Internetzugang, eine<br />

Küche, ein Ruheraum, Duschen und eine<br />

Waschmaschine zur Verfügung. Wer Kontakt<br />

zu anderen Frauen sucht, findet hier<br />

Möglichkeiten. Wer ungestört lesen will,<br />

kann dies ebenfalls tun.<br />

„17 Ost“ steht nicht nur Frauen in schwierigen<br />

Lebenssituationen offen, sondern allen,<br />

die einen Platz zum Ausruhen suchen.<br />

Es ist ein schöner, heller Raum mit großen<br />

Fenstern und Ausblick auf Gärten und<br />

Bäume im Hinterhof.<br />

„Wir haben ein Stammpublikum, aber es<br />

kommen auch immer wieder neue Frauen“,<br />

sagt Karin Kühn, Leiterin des Frauenzentrums<br />

am Zoo. Mit einem regelmäßigen<br />

Kursprogramm (kreatives Arbeiten, Bewegung<br />

und Entspannung, Kochen, Malen,<br />

Gesundheit) sorgen die Fachfrauen<br />

für Abwechslung im „17 Ost“. Die Kurse<br />

sind kostenlos. Eine Bewerbungssprechstunde<br />

und eine Rechtsberatung runden<br />

das Angebot ab. Arbeitsamt und Frauengesundheitsamt<br />

sind dabei Partner der<br />

Einrichtung. „Wir würden gerne auch<br />

abends öffnen,“ sagt Kühn. Aber das lässt<br />

die Personaldecke nicht zu. Im „17 Ost“<br />

arbeiten zwei Sozialarbeiterinnen und<br />

eine Praktikantin. Gesucht werden immer<br />

auch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen, die<br />

das Kursangebot bereichern können.<br />

Finanziert wird die Einrichtung, die sich<br />

im Haus des evangelischen Regionalverbandes<br />

befindet, von der Stadt Frankfurt,<br />

dem Landeswohlfahrtsverband und dem<br />

Diakonischen Werk Frankfurt. Fünf Jahre<br />

besteht der Tagestreff schon. Von Mai<br />

bis Oktober 2006 muss er wegen Renovierungsarbeiten<br />

vorübergehend in die<br />

Dominikanergasse 7 („Alte Backstube“)<br />

umziehen. Ab Herbst 2006 öffnet das<br />

Frauencafé dann wieder wie gewohnt am<br />

Zoo.<br />

Hinter dem Namen „Lilith“ verbirgt sich<br />

ein Übergangswohnheim für Frauen.<br />

Dort ist Platz für insgesamt 28 Frauen. In<br />

kleineren Wohngruppen leben sie zusammen.<br />

„Zwei Notbetten sehen zur Verfü-<br />

LOKALES<br />

Alles unter einem Dach<br />

Frauenzentrum im Frankfurter Ostend – Wegen<br />

Renovierung vorübergehender Umzug<br />

gung“, sagt Leiterin Kühn. „In der Regel<br />

ist immer etwas frei.“ Sechs Sozialarbeiterinnen<br />

(4,5 Stellen) beraten und betreuen<br />

die Frauen, die bei „Lilith“ landen, weil sie<br />

nicht wissen wohin. Sie sind wohnungslos,<br />

die Schuldenlast drückt, viele haben<br />

Gewalt erfahren, leiden unter psychischen<br />

und gesundheitlichen Problemen, beschreibt<br />

die Leiterin des Frauenzentrums<br />

die Zielgruppe bei „Lilith“. Die Einrichtung<br />

steht Frauen ab 18 Jahren offen.<br />

Anders als in Frauenhäusern, mit denen<br />

„Lilith“ eng zusammenarbeitet, sind Männerbesuche<br />

in dem Frauendomizil am Zoo<br />

erlaubt.<br />

Die Aufenthaltsdauer der Bewohnerinnen<br />

des Übergangswohnheimes schwankt zwischen<br />

einem Dreivierteljahr und eineinhalb<br />

Jahren. „Hier können die Frauen<br />

eine Auszeit nehmen. Sie nutzen diese,<br />

um an ihre Probleme heranzugehen“, so<br />

Kühn. „Rund drei Viertel der Frauen, die<br />

ausziehen, haben wieder eine Perspektive.“<br />

Das könne entweder die eigene Wohnung<br />

sein und die Aussicht auf berufliche Entwicklung,<br />

oder der Umzug in ein betreutes<br />

Wohnprojekt. Träger von „Lilith“ ist der<br />

Evangelische Regionalverband. Finanziert<br />

wird die Einrichtung vom Diakonischen<br />

Werk und dem Landeswohlfahrtsverband.<br />

Einige der Bewohnerinnen erhalten Arbeitslosengeld.<br />

Auch „Lilith“ muss wegen<br />

der Renovierung des Gebäudes vorübergehend<br />

verlagert werden. Ab März ist das<br />

Wohnheim in der Sandhofstraße 5 in Niederrad,<br />

zu finden.<br />

„Tamara“ ist ein Beratungsangebot für<br />

Prostituierte. Drei Sozialarbeiterinnen<br />

stehen als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung.<br />

Sie unterstützen, wenn es darum<br />

geht, dass Frauen aus der Prostitution aussteigen<br />

wollen. „Tamara“ ist bei der Suche<br />

nach einer Wohnung, der Schuldenregulierung<br />

und der Vermittlung von Ausbildung<br />

und Umschulung behilflich. Auch<br />

für Prostituierte, die den Beruf weiter ausüben<br />

wollen, aber beispielsweise rechtliche<br />

Fragen zu klären sind, ist „Tamara“ eine<br />

wichtige Anlaufstelle. Neben dem Diakonischen<br />

Werk und dem Evangelischen Regionalverband<br />

ist der Evangelische Verein<br />

für Innere Mission Träger der Einrichtung.<br />

Das Land Hessen hat sich aus der Förderung<br />

zurückgezogen, mit der Konsequenz,<br />

dass eine Stelle reduziert werden musste.<br />

70 Frauen sind über einen längeren Zeitraum<br />

mit den Sozialarbeiterinnen von<br />

„Tamara“ in Kontakt und werden intensiv<br />

beraten, sagt die Leiterin der Einrichtung,<br />

Karin Kühn. Hinzu kommen rund<br />

1.000 kurzfristige Beratungskontakte pro<br />

Jahr. „Tamara“ zieht für die Zeit der Renovierung<br />

in die Windmühlstraße 9, Nähe<br />

Hauptbahnhof.<br />

Große Ehrung für<br />

Frankfurter<br />

Marcel Reich-Ranicki<br />

Germanistik-Lehrstuhl an der<br />

Universität Tel Aviv<br />

Der erste Germanistik-Lehrstuhl in Israel<br />

ist nach einem Frankfurter Bürger benannt<br />

worden: Marcel Reich-Ranicki. Ein<br />

außerordentlicher Vorgang, ein Zeichen<br />

der Aussöhnung zwischen dem deutschen<br />

und jüdischen Volk und eine passende<br />

Anerkennung eines Lebenswerkes, das in<br />

einmaliger Weise der deutschen Literatur<br />

gewidmet war und ist.<br />

Er ist schon etwas ganz besonderes, dieser<br />

langgediente Mitarbeiter der FAZ, der<br />

wie kein anderer die deutsche Literatur<br />

zum Thema für Funk und Fernsehen gemacht<br />

hat.<br />

Marcel Reich-Ranicki hat sich auf seinem<br />

langen Lebensweg vom Schüler in Berlin<br />

zum von den Nazis abgewiesenen Germanistikstudenten<br />

über Not und Verfolgung<br />

bis zum Altersruhm viele Verdienste um<br />

die deutsche Literatur erworben. Er hat<br />

sich viele Freunde gemacht, und natürlich,<br />

wie das bei einem wortgewaltigen Kritiker<br />

nicht anders sein kann, auch namhafte<br />

Feinde.<br />

Immer wieder hat er sich für die neue deutsche<br />

Literatur eingesetzt, gelobt, getadelt,<br />

verrissen, empfohlen. Seine besondere Liebe<br />

galt und gilt Goethe, Heine und Thomas<br />

Mann, ganz und gar nicht überflüssig<br />

in einer Zeit, in der ganze Generationen<br />

von Schülern dank der „Bemühungen“<br />

der Deutschlehrer Literatur rundheraus<br />

und die klassischen deutschen Autoren<br />

unbekannterweise erst<br />

recht ablehnen. Zwar, es<br />

mag seine Goethe-Auffassung<br />

etwas einseitig literarisch<br />

sein und er mag<br />

die Rolle des Geheimrats<br />

als Stütze einer überlebten<br />

Gesellschaft nicht<br />

hinreichend sehen. Zwar,<br />

es mag seine Thomas-<br />

Mann-Verehrung diesem<br />

Schriftsteller eine Position<br />

in erlauchten Sphären<br />

zuweisen, die durch die<br />

tatsächlichen Verdienste<br />

nicht gerechtfertigt sein<br />

mögen.<br />

Bei der „Beratungsstelle für Frauen“ suchen<br />

jährlich rund 550 Frauen Hilfe und<br />

Unterstützung für ihre Probleme. Drei<br />

Sozialarbeiterinnen stehen zur Verfügung,<br />

um bei Wohnungsproblemen, bei Fragen<br />

der Familienplanung und Sexualität oder<br />

in schwierigen persönlichen Lebenslagen<br />

wie der Bewältigung von Gewaltproblemen<br />

weiterzuhelfen. Außerdem beraten<br />

die Expertinnen in Schwangerschaftskonflikten<br />

nach § 219 StGB. Die Beratung ist<br />

kostenlos.<br />

Die vier Einrichtungen im Frauenzentrum<br />

ergänzen sich hervorragend. Frauen, die<br />

sich beispielsweise an die Beratungsstelle<br />

gewendet haben, weil sie ohne Obdach<br />

sind, können schnell und unbürokratisch<br />

ins Wohnheim vermittelt werden. „Wir<br />

haben kurze Wege. Ein Anruf genügt“, sagt<br />

Leiterin Kühn zu diesem Standortvorteil.<br />

Um das Frauenzentrum zu erhalten, ist<br />

die Einrichtung angewiesen auf Spenden<br />

und Förderer. Darüber hinaus werden<br />

auch gut erhaltene Frauenkleider für die<br />

Kleiderkammer und Bücher/Zeitschriften<br />

für die Bibliothek gerne angenommen.<br />

-liz-<br />

Alleine durch sein Engagement für Heinrich<br />

Heine hat er sich größte Verdienste<br />

um die deutsche Sprache erworben. Marcel<br />

Reich-Ranicki hat über den „Fall Heine“<br />

ein lesenswertes Buch geschrieben und erfreulicherweise<br />

ein breites Echo gefunden<br />

für einen deutsch-jüdischen Autor, der<br />

noch in den deutschen Lesebüchern der<br />

fünfziger Jahre unterdrückt wurde – das<br />

Lied von der Lorelei wurde in schlimmster<br />

Nazitradition als „Volksgut“ gekennzeichnet,<br />

der Autor wissentlich verschwiegen.<br />

Das ist erfreulicherweise vorbei, der Weg<br />

zu einer dem Autor würdigen Heine-Rezeption<br />

wieder frei.<br />

Nun gibt es also einen Lehrstuhl mit dem<br />

Namen Reich-Ranicki, dem man Glück<br />

wünschen möchte. Und auch eine Arbeit<br />

im Sinne des so Geehrten, der Literatur<br />

immer als etwas gesehen hat, das man<br />

nicht produzieren kann, sondern um das<br />

man streiten muss, täglich und stündlich,<br />

damit Erfolg und Verständnis wachsen.<br />

Es bleibt noch ein kleiner Wunsch an das<br />

neue Institut: dass auch jene verschmähte<br />

und verunglimpfte Tochter der deutschen<br />

Sprache, das Jiddische, dort eine kleine<br />

Heimat finden möge. Denn auch das neue<br />

Israel mochte mit der Sprache des Exils<br />

und der Stedtele im europäischen Osten<br />

nichts anfangen. Ein Fehler, denn gerade<br />

verstoßene Töchter gehören nun mal zumeist<br />

nicht zu den Hässlichsten.


UNTERHALTUNG<br />

13<br />

Hector – Ritter ohne Furcht und Adel<br />

Das Fernsehen mit seinen ewigen<br />

Wiederholungen ist dran schuld – jeder<br />

kennt den Bud-Spencer-Film vom<br />

grobschlächtigen italienischen Ritter,<br />

der sich einer Wette halber zwölf<br />

Spießgesellen anlacht und mit Genuss die<br />

Franzosen ungespitzt in den Sand haut.<br />

Ein harmloses Gemetzel, weil niemand<br />

verletzt wird und die Schlägereigeräusche<br />

vom Tonmeister gemacht werden.<br />

Einfach nur ein Spaß für einen faulen<br />

Nachmittag vor der Glotze – oder ist an<br />

der Geschichte doch etwas dran?<br />

Zur Erinnerung die<br />

Geschichte kurz<br />

erzählt:<br />

Ein abgerissener<br />

italienischer Ritter<br />

namens Ettore<br />

zieht durch Italien<br />

und sucht eine<br />

Beschäftigung für<br />

sich und seine Kumpane. So kommt er zu<br />

einem Städtchen namens Barletta, das just<br />

von den Franzosen unter dem Herzog von<br />

Nemour belagert wird. Er aber schließt<br />

sich den belagerten Spaniern unter Diego<br />

de Mendoza an. Ein französischer Adliger<br />

verhöhnt die Italiener zum Zweikampf<br />

und wird von Ritter Ettore herausgefordert<br />

– dreizehn gegen dreizehn.<br />

Der spanische Befehlshaber geht gerne auf<br />

diese Herausforderung ein, weil er Zeit<br />

braucht für die Entsatzarmee, die schon<br />

gelandet ist, aber noch herandirigiert<br />

werden muss.<br />

Um zu zwölf Kämpen zu kommen, nimmt<br />

Ritter Ettore einige Verrückte mit in die<br />

Schar auf – einen streitsüchtigen Priester,<br />

Diebe, einen verrückten Wissenschaftler,<br />

einen Propagandisten der Vielweiberei und<br />

noch andere, die nicht gerade als Zierde<br />

der Ritterschaft gelten können. Doch im<br />

Schlussgefecht setzen sich die Italiener<br />

dank der Prügelkünste von Bud Spencer<br />

durch und erhalten von Ritter Bayard,<br />

für die romanische <strong>Welt</strong> das Sinnbild<br />

des letzten Ritters wie für uns Kaiser<br />

Maximilian, den Sieg zugesprochen.<br />

Der Schwertgriff von Ritter Fieramosca<br />

Das Ganze wird verbrämt durch<br />

Kloppereien und unsterbliche Dialoge wie<br />

diesen:<br />

„Seid Ihr Franzosen?“<br />

„Nein!“<br />

„Dann seid Ihr Spanier?“<br />

„Nein. Denk doch mal nach. Wo sind<br />

wir?“<br />

„Italien!“<br />

„Also zu was macht uns das?“<br />

„ Ah – Deutsche!“<br />

„Seufz“.<br />

Na ja – das ist alles zu aufgedreht und<br />

zu blödsinnig, um nicht dem Hirn eines<br />

total durchgeknallten Drehbuchautors<br />

entsprungen zu sein. Und doch ist das<br />

alles historisch belegt und zwar nicht so,<br />

aber doch ähnlich passiert.<br />

Ettore Fieramosca und die<br />

Herausforderung von Barletta<br />

Ritter Hector ist vermutlich 1476 in Capua<br />

geboren und hat eine für die damalige Zeit<br />

ganz normale Karriere hinter sich gebracht:<br />

Page am Hof von Aragon, Befehlshaber<br />

einer Reiterabteilung, später auf eigene<br />

Rechnung für und gegen die großen<br />

Condottieri und Stadtfürsten Italiens<br />

kämpfend, vom König von Neapel mit<br />

einer Burg als Lehen bedacht und von den<br />

mächtigen Colonnas aus Capua verbannt.<br />

Das übliche wechselvolle Schicksal dieser<br />

Zeit, bis ihn das Jahr 1503 durch die<br />

Wechselfälle des Krieges vor Barletta<br />

fand.<br />

Der Herzog von Nemours war etwas<br />

saumselig in seinen Marschbefehlen, und<br />

so konnten die spanischen Befehlshaber<br />

Diego de Mendoza und Prospero Colonna<br />

die Nachhut festnehmen und nach Barletta<br />

in Gefangenschaft schicken.<br />

Ein besonders großmäuliger Franzose<br />

namens Charles de la Motte war mit<br />

seinem Schicksal überhaupt nicht<br />

zufrieden und beleidigte die Italiener<br />

schwer. Streng nach den Gebräuchen der<br />

Zeit folgte eine offizielle Herausforderung<br />

zum Zweikampf und eine ausgehandelte<br />

Waffenruhe zwischen den zwei Heeren.<br />

Am 13. Februar 1503 kam es dann zum<br />

Kampf. 13 Franzosen unter de la Motte<br />

auf der einen Seite, auf der anderen Seite<br />

die Italiener: Hettore Fieramosca aus<br />

Capua, Giovanno Capaccio, Giovanne<br />

Brancaleone und Ettore Giovenale aus<br />

Rom, Marco Carellario aus Neapel,<br />

Mariano aus Sarni, Romanello aus Forli,<br />

Ludovico Aminale aus Terni, Francesco<br />

Salamone und Gugilelmo Albimonte<br />

aus Sizilien, Miala aus Troia, Riccio aus<br />

Parma und Fanfulla aus Lodi. Alles unter<br />

der strengen Aufsicht der spanischen und<br />

französischen Befehlshaber mit Ritter<br />

Bayard als Schiedsrichter.<br />

Man kämpfte sechs Stunden lang, dann<br />

wurden die Italiener zu Siegern erklärt.<br />

Unter den Gefangenen befand sich auch<br />

der Chevalier de la Motte.<br />

Alles in allem eine letzte Geste der<br />

Ritterlichkeit an einem unbedeutenden<br />

Ort in einem lange vergessenen Krieg,<br />

letzter Rest einer untergehenden Periode<br />

am Anfang neuer Kriege, die für so etwas<br />

nie wieder Zeit und nie wieder Ehre genug<br />

haben würden.<br />

Legendenbildung<br />

Italiener, die vor den Augen der <strong>Welt</strong> eine<br />

überlegene Macht schlagen? Viel zu schön,<br />

um die Geschichte auf sich beruhen zu<br />

lassen.<br />

1833 schrieb Massimo D´Azeglio einen<br />

Roman, in dem die Geschichte des Duells<br />

von Barletta mit einer total unhistorischen<br />

Liebesgeschichte zwischen Ettore<br />

Fieramosca (den es gab) und Giovanna,<br />

Herzogin von Monreale (die es nicht gab)<br />

vermischt ist.<br />

Es wurden mehr Geschichten daraus,<br />

sogar eine Oper, und das faschistische<br />

Italien widmete ihm 1938 einen Film mit<br />

Gino Cervi als Ritter Hector. (Gino Cervi?<br />

Ja doch – bekannt als Guiseppe Botacci<br />

vulgo Peppone, der Bürgermeister aus den<br />

Don-Camillo-Filmen).<br />

Und es gibt einen Turm des Fieramosca<br />

in Rom, der zwar im Roman erwähnt<br />

wird, mit der historischen Person aber<br />

nichts zu tun hat, ein Schwert in einem<br />

Museum in Neapel, das nach Stil und<br />

Machart wesentlich später angefertigt<br />

wurde, einige Schiffe, die die italienische<br />

Marine zu verschiedenen Zeiten nach ihm<br />

benannt hat, und sogar ein Grabmal mit<br />

seinem Namen in Montecassino. Nur:<br />

Das Grab ist das seines Bruders, an dem<br />

dessen Witwe eine Gedenktafel für den<br />

in der Ferne verstorbenen Schwager hat<br />

anbringen lassen.<br />

Man wollte dieses Grab als die letzte<br />

Ruhestätte von Hector Fieramosca<br />

sehen. Doch die Geschichte schrieb<br />

dazu eine herbe Fußnote: im Zweiten<br />

<strong>Welt</strong>krieg gehörte Montecassino, der<br />

Platz für friedlichste Mönche, zu einem<br />

der umkämpftesten Orte auf der ganzen<br />

<strong>Welt</strong>. Mehr Bomben regneten auf die<br />

Abtei und die Umgebung als auf jeden<br />

anderen einzelnen Ort der <strong>Welt</strong>. Auch<br />

der Sarkophag wurde beschädigt – und<br />

gab genau zwei Skelette frei, eines davon<br />

weiblich. Es handelte sich mit Sicherheit<br />

um die sterblichen Überreste von Bruder<br />

Guido und Schwägerin Isabella. Doch was<br />

wurde aus dem Helden von Barletta?<br />

Ritter Hectors Glück und Ende<br />

Gonzalo de Cordoba, Befehlshaber der<br />

spanischen Hauptarmee, machte den<br />

glücklichen Streiter von Barletta zum<br />

erblichen Ritter sowie zum Grafen von<br />

Miglionico, Ferdinand der Katholische<br />

gab noch einiges dazu, u. a. die Herrschaft<br />

von Acquara.<br />

Er kämpfte tapfer und erfolgreich als<br />

Condottiere, doch seine Herren spielten<br />

ihm übel mit: im Frieden von Blois verlor<br />

er seine Titel und Ländereien und wurde<br />

eingesperrt, weil er eine Ersatzgrafschaft<br />

in den Abruzzen nicht annehmen wollte.<br />

Er beschwerte sich und wurde aus Italien<br />

verbannt.<br />

1515 ist er im Exil in Valladolid in Spanien<br />

gestorben.<br />

Das Grabmal von Ritter Fieramosca<br />

Er bleibt in der Geschichte als Beispiel,<br />

dass die Willkür der Herrschenden immer<br />

und jederzeit über Mut und Ritterlichkeit<br />

hinweggeht.<br />

Und nun kennen Sie die wahre Geschichte.<br />

Bericht: Rüdiger Stubenrecht


14 FAMILIE<br />

Wie Glooskap die Vögel schuf<br />

Ein Indianermärchen aus Kanada<br />

Vor langer Zeit, lange bevor der weiße<br />

Mann nach Kanada gekommen ist, lebte<br />

ein bösartiger Riese, der überall großen<br />

Schaden machte und große Trauer. Die<br />

Menschen nannten ihn Wolfwind. Seine<br />

Heimat war die Höhle der Winde, weit<br />

im Norden im Nacht-Nacht-Land, wo die<br />

Sonne nicht aufgeht, und die Leute wussten,<br />

dass er in seiner Höhle schlief, wenn<br />

am Tage die Sonne heiß schien und die<br />

Wasser ruhig blieben, oder in den Nächten,<br />

wenn sich nicht einmal ein Gräschen<br />

rührte. Aber wann immer er erschien,<br />

knackten selbst die großen Bäume in<br />

Furcht, die kleinen Bäume zitterten und<br />

die Blumen versuchten sich dicht an der<br />

Erde zu verbergen. Sehr oft kam er ohne<br />

Warnung und schlug das Korn flach und<br />

die Wasser schäumten weiß und wurden<br />

laut schreiend an die Felsen geschlagen.<br />

Wenn Wolfwind in der Nacht kam, war<br />

große Furcht über dem Land.<br />

Einmal in diesen alten Tagen geriet Wolfwind<br />

in einen großen Zorn und wollte alle<br />

erschlagen und auffressen, die es wagten,<br />

auf seinem Weg zu sein. Nun war es aber<br />

so, dass die Indianer zu dieser Zeit nahe<br />

am Meer lebten. Die Frauen und Männer<br />

waren auf dem Meer beim Fischen, um<br />

einen Vorrat für den Winter zu sammeln,<br />

und die Kinder waren alleine und spielten<br />

am Ufer.<br />

Plötzlich kam Wolfwind aus dem Norden<br />

und schrie laut, dass er jeden töten würde,<br />

der auf seinem Weg wäre, und er fuhr über<br />

das Meer und warf alle Kanus um und ertränkte<br />

alle Männer und Frauen. Die ganze<br />

Nacht fuhr er über das Meer und suchte<br />

nach noch mehr Opfern.<br />

Am anderen Morgen war Wolfwind noch<br />

immer zornig. Am Ufer des Meeres sah er<br />

die Kinder der Fisher. Er wollte auch sie<br />

töten und schrie: „Ich werde euch fangen<br />

und töten und auffressen und eure Knochen<br />

werden am Strand bleichen.“ Aber<br />

die Kinder hatten ihn gehört und sich in<br />

einer Höhle versteckt, mit einem großen<br />

Stein vor der Tür. Den ganzen Tag und die<br />

ganze Nacht heulte Wolfwind vor der Tür,<br />

aber er konnte nichts ausrichten, So flog<br />

er weg, aber er schrie: „Ich werde wiederkommen<br />

und euch fangen. Ihr könnt mir<br />

nicht entkommen.“<br />

Also liefen die Kinder vom Ufer des<br />

Meeres weg in den Wald, weil sie meinten,<br />

dort wären sie sicher. Im Land der Weiden<br />

fanden sie einen schönen Platz mit Gras<br />

und Blumen und einem Fluss und vielen<br />

großen Bäumen mit großen Blättern, die<br />

sie vor dem Riesen schützen sollten.<br />

Doch eines Tages kam Wolfwind in großem<br />

Zorn und wollte die Kinder töten, aber die<br />

Bäume mit ihren dicken Blättern schützen<br />

die Kinder. Nur die Sonne aus dem Süden<br />

konnte die Kinder durch die Blätter sehen,<br />

und Wolfwind wurde immer ärgerlicher,<br />

denn er fraß gerne Kinder. Deshalb schwor<br />

er den Bäumen Rache.<br />

Noch zorniger als je zuvor kam er mit<br />

einem anderen Riesen aus dem Norden,<br />

der den Frostzauber mit sich brachte, und<br />

sie versuchten, die Bäume zu töten. Aber<br />

über einige der Bäume hatten sie keine<br />

Macht, denn diese Bäume waren selbst<br />

aus dem Nacht-Nacht-Land gekommen<br />

und sie lachten, weil der Riese mit dem<br />

Frostzauber keine Macht über sie hatte. Es<br />

lachten die Fichte, die Tanne, die Föhre<br />

und die Eibe.<br />

Doch die anderen Bäume, wie die Eiche,<br />

die Buche, die Birke, das Ahorn und viele<br />

andere, hatten nichts zu lachen, denn<br />

Wolfwind und der Riese mit dem Frostzauber<br />

kamen eines Nachts, als ein klarer<br />

und kalter Mond am Himmel stand, und<br />

töteten alle Blätter. Einige fielen schnell ab,<br />

einige flatterten langsam hinunter und andere<br />

brauchten länger zum Sterben. Doch<br />

am Ende standen die Bäume kahl und es<br />

war Stille und Trauer im Wald. Da lachte<br />

Wolfwind und wollte die Kinder fressen,<br />

doch sie hatten sich in den treuen Bäumen<br />

versteckt, die aus dem Nacht-Nacht-Land<br />

gekommen waren, und hier waren sie sicher.<br />

Aber die Kinder waren sehr traurig über<br />

das, was Wolfwind und der Riese mit dem<br />

Frostzauber ihren Freunden, den Bäumen<br />

angetan hatten, und auch der Sommer<br />

hatte sich ins Südland zurückgezogen.<br />

Die Dame Sommer folgte wie jedes Jahr<br />

dem Regenbogenweg und zog sich in die<br />

Wildnis der Blumen zurück. Im Wald<br />

war es jetzt sehr einsam und still, denn es<br />

gab kein Wispern mehr von den Blättern,<br />

denn alle waren abgefallen.<br />

Es kam die Zeit des Jahres, an der Glooskap,<br />

der über die Erde herrscht und damals<br />

sehr mächtig war, seine Gaben an die<br />

kleinen Kinder verteilt. Und er kam mit<br />

seinem Schlitten, gezogen von seinen treuen<br />

Hunden.<br />

Alle Kinder kamen zu ihm, um ihn um<br />

eine Gabe zu bitten, und alle Kinder waren<br />

sehr traurig über das Schicksal der<br />

Bäume.<br />

„Was wünscht ihr euch?“, fragte Glooskap.<br />

„Wir wollen nichts für uns“, sagten die<br />

Kinder, „aber wir bitten, dass die Blätter,<br />

die Wolfwind getötet hat, weil sie uns<br />

beschützen wollten, wieder zum Leben<br />

erweckt werden und an den alten Ort an<br />

den Bäumen zurückkehren.“<br />

Glooskap saß eine lange Zeit und dachte<br />

nach und rauchte seine große Pfeife, denn<br />

Glooskap ist ein großer Raucher. Zu dieser<br />

Zeit aber gab es noch keine Vögel in<br />

den Wäldern, denn Glooskap hatte noch<br />

keine gemacht. Es gab nur die Vögel des<br />

Meeres, die über die Winde lachten und<br />

sich von ihnen tragen ließen, und die Vögel<br />

der Menschen wie das Huhn, die Gans<br />

und die Pute, die zwar nützlich waren,<br />

aber nicht schön anzusehen und singen<br />

können, sie auch nicht.<br />

Also beschloss Glooskap, andere und<br />

neue Vögel zu machen – nicht zum Essen,<br />

sondern nur, um die Kinder glücklich zu<br />

machen, mit bunten Federn und schönen<br />

Liedern. Und Glooskap sagte zu den Kindern:<br />

„Es ist zu spät, die Blätter wieder<br />

an die Bäume zu bringen. Aber ich werde<br />

die Blätter nehmen und sie in kleine<br />

Vögel verwandeln. Die Vögel werden nie<br />

vergessen, wie sie geschaffen worden sind.<br />

Im Herbst werden sie wegfliegen ins Sommerland<br />

nach Süden, aber im Frühjahr<br />

werden sie wiederkommen und so nahe<br />

wie möglich bei den Blättern wohnen, aus<br />

denen sie gemacht sind. Die meisten werden<br />

in den Blättern ihr Nest bauen, einige<br />

aber auch auf dem Boden, auf den sie als<br />

Blätter gefallen sind. Aber alle werden den<br />

Wald lieben. Und sie werden so schöne<br />

Farben haben wie die Blätter, aus denen<br />

sie geworden sind, und sie werden schöne<br />

Lieder singen für die kleinen Kinder. Und<br />

ich beauftrage die Kinder, über die Vögel<br />

zu wachen, wie die Blätter über die Kinder<br />

gewacht haben. Ich werde den Bäumen<br />

die Kraft geben, jedes Jahr neue Blätter zu<br />

treiben, und ich werde Wolfwind viel von<br />

seiner Kraft nehmen, so dass er nie wieder<br />

kleinen Kindern Schaden zufügen kann.“<br />

Und dann schwang er seinen Zauberstab<br />

und alle die verschiedenen kleinen bunten<br />

Vögel des Landes erhoben sich aus den<br />

Blättern, um nach Süden zu fliegen. Von<br />

dort kommen sie im Sommer zurück, um<br />

den ganzen Tag in den Blättern für die<br />

Kinder zu singen. Am Morgen wecken sie<br />

die Kinder mit ihrem Gezwitscher und<br />

in der Dämmerung singen die Vögel die<br />

Kinder in den Schlaf. Aber in der Nacht<br />

verstecken sie sich vor Wolfwind und geben<br />

keinen Laut von sich. Denn sie erinnern<br />

sich daran, dass sie das Geschenk von<br />

Glooskap an die Kinder sind und von den<br />

Blättern stammen, mit denen die Bäume<br />

die Kinder vor Wolfwind geschützt haben.<br />

Rezept: „Thüringer Auflauf – preiswert mit Bratwurst“<br />

Lecker soll es sein, mit allen Nährstoffen<br />

und auch noch in Singleportionen<br />

zu kochen – die meisten<br />

Singles ohne Kühltruhe verzweifeln<br />

vor den Rezeptbüchern und gehen<br />

aufseufzend zu den Fertigkost- und<br />

Dosenregalen.<br />

Hier ein Rezept von der Großmutter<br />

– war damals beliebt, weil man fast<br />

alles aus dem eigenen Garten hatte.<br />

Thüringer Auflauf heißt es nur deshalb,<br />

weil es mit Thüringer Bratwurst<br />

wohl am besten schmeckt – aber das<br />

kann jeder halten, wie er mag.<br />

Die Mengenangaben sind für vier<br />

Personen, aber das Gericht gelingt<br />

auch für jede andere Portionszahl<br />

– einfach die Menge anpassen. Also<br />

erst einmal die Zutaten:<br />

750 g Kartoffeln,<br />

Salz,<br />

1 große Dose Sauerkraut oder<br />

850 g aus dem Beutel,<br />

300 g Rostbratwurst (Thüringer<br />

oder heimische),<br />

1 EL Butterschmalz,<br />

2 Zwiebeln,<br />

grob geschrotener Pfeffer,<br />

Muskat,<br />

2 Tomaten, Fett zum Einfetten der<br />

Form,<br />

2 EL Paniermehl,<br />

1 EL Butter.<br />

Und so wird’s gemacht:<br />

Kartoffeln schälen, in Salzwasser<br />

10 Min. vorgaren und in Scheiben<br />

schneiden. Sauerkraut abtropfen<br />

lassen und gut ausdrücken.<br />

Die Bratwurst wird in kleine Stücke<br />

geschnitten und im Butterschmalz<br />

von allen Seiten angebraten. Dazu<br />

kommen die in Ringe geschnittenen<br />

Zwiebeln, das Sauerkraut (Vorsicht,<br />

nur erhitzen, nicht anbrennen!) und<br />

dann wird abgeschmeckt mit Salz,<br />

Pfeffer und Muskat.<br />

Die Tomaten werden in Scheiben<br />

geschnitten. Dann nimmt man eine<br />

eingefettete Auflaufform und schichtet<br />

die Kartoffeln, die Tomaten, das<br />

Sauerkraut und die Wurststücke hinein.<br />

Noch mit Paniermehl und Butterstückchen<br />

bestreuen und dann<br />

für ca. 30 Min. in den auf 180 Grad<br />

vorgeheizten Backofen. Wer mag,<br />

kann das fertige Gericht noch mit<br />

Petersilie bestreuen. Dazu schmeckt<br />

ein Bier.<br />

Guten Appetit beim<br />

Nachkochen!


UNTERHALTUNG<br />

15<br />

Die Redaktion war unterwegs in<br />

Frankfurt und in Frankfurts Obdachlosenheimen.<br />

Das Resultat sind Fotos<br />

unserer Stadt aus einer anderen Perspektive<br />

– nun eine Sammlung von<br />

Lieblingswitzen von den Klienten der<br />

Wohnheime. Viel Spass bei der Lektüre!<br />

Es stehen zwei Blondinen an einer Haltestelle.<br />

Meint die eine: “ich warte auf die<br />

Linie Eins, und auf welche warten sie?”<br />

Antwortet die andere Frau “ich warte auf<br />

die Drei”. Kurz darauf kommt die Bahn<br />

mit der Nummer 13. Sagt die Blondine:<br />

“Ja, super dann können wir ja zusammen<br />

fahren”.<br />

Sind zwei Typen auf einer Party. Meint der<br />

eine: “Siehst Du die zwei Bräute da? Die<br />

eine ist meine heiße Affäre und die andere<br />

ist meine Frau”. Antwortet der Andere:<br />

“Was ein Zufall auch, bei mir ist das umgedreht”.<br />

Sitzt das Ehepaar beim Frühstück. Fragt<br />

die Frau den Mann, der gerade Zeitung<br />

liest: “Du, Schatz, stört es Dich, wenn ich<br />

rauche?” Antwortet der Mann: “Aber nein,<br />

Liebling, mich würde es nicht mal stören,<br />

wenn du brennst”.<br />

Michael, 41<br />

Kommt ne Frau<br />

zum Arzt. Sagt die<br />

frau: “Doktor, etwas<br />

stimmt nicht mit meiner<br />

Spirale.” Sagt der<br />

Doktor: “Kommen<br />

sie doch mal her!”<br />

**sproing,sproing**<br />

Arthur Kidalla, 50<br />

Wie viele Ostfriesen<br />

sind nötig, um eine<br />

Birne zu wechseln?<br />

Fünf.<br />

Einer hält und Vier<br />

drehen den Tisch.<br />

Deutsche Autos sind<br />

aus Kruppstahl.<br />

Schwedische Autos aus<br />

schwedischem Stahl.<br />

und aus was sind polnische<br />

Autos?<br />

Aus Diebstahl.<br />

Achim Flik, 48<br />

Was ist der Unterschied zwischen einer<br />

Geige und einem Klavier?<br />

Das Klavier brennt länger als die Geige.<br />

Wolfgang Geißler, 59<br />

Kommt eine Frau zum Arzt und sagt: “Doc,<br />

ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.<br />

Mein Mann,15 bis 20 Mal will er nachts<br />

drüber”. Da sagt der Doc: “Wissen sie was,<br />

gute Frau, da hilft bloß noch eins: die<br />

Schocktherapie.” Da fragt die Frau: “Doc,<br />

was ist das?“ „Ja, wenns wieder mal soweit<br />

ist, dann nehmen sie die Nachttischlampe,<br />

halten sie übers<br />

Gesicht und<br />

knipsen sie an.<br />

Eines Abends,<br />

nach dem 17ten<br />

Male, langts ihr.<br />

Sie greift zur<br />

Nachttischlampe,<br />

hält sie übers<br />

Gesicht und<br />

knipst das Licht<br />

an.<br />

“Aah! Hilfe!,<br />

Wer sind Sie?<br />

Und wo ist mein<br />

Mann?”<br />

Da sagt er: “Der<br />

sitzt unten auf<br />

der Treppe und<br />

kassiert”.<br />

Lothar Werner<br />

Stoll, 44<br />

Ein Witz<br />

aus Indien<br />

Ein Ehepaar<br />

steht unter der<br />

Dusche. auf<br />

einmal klopft es<br />

an der Tür. Der<br />

Ehemann, noch<br />

voll eingeseift,<br />

schickt seine Frau<br />

los, um nachzusehen. Vorsichtig öffnet<br />

sie die Tür und erblickt ihren Nachbarn.<br />

Der kuckt sie gleich verlockend an und<br />

sagt zu ihr:” Wenn Du Dein Handtuch<br />

wegnimmst, gebe ich dir 10000 Rupees<br />

(200€). Sie zögert noch, doch bei der<br />

zweiten Aufforderung entblößt sie sich.<br />

Ihr Ehemann fragt sie anschließend, wer<br />

das war. “Ach, nur der Nachbar”. Meint<br />

der Mann ganz erregt: “Dieser Mistkerl<br />

schuldet mir noch 10000 Rupees”.<br />

Stefan Voigt, 36<br />

Unterrichtet eine Lehrerin ihre Klasse.<br />

Stellt die Lehrerin dem Max eine Frage.<br />

„Es sitzen zwei Vögel auf einem Baum.<br />

Wie viele Schüsse brauchst Du, um beide<br />

zu verscheuchen? Max antwortet „Zwei.“<br />

„Falsch, ich wiederhole die Frage: wie viele<br />

Schüsse brauchst Du, um beide zu verscheuchen?“<br />

Und Max sagt wieder Zwei.<br />

Fragt die Lehrerin, warum? Max erwidert:<br />

„Mit den ersten treffe ich den Einen und<br />

mit den zweiten erschrecke ich den Zweiten.<br />

„Eigentlich ist die Antwort falsch,<br />

aber mir gefällt, wie Du denkst,“ sagt die<br />

Lehrerin. Dann fragt Max die Lehrerin:<br />

„Kann ich ihnen auch eine Frage stellen?“<br />

Ja, antwortet die Lehrerin, nur zu. Max<br />

erzählt: „Sitzen drei Frauen in einer Eiscafeteria<br />

und essen Waffeleis. Die Erste leckt<br />

das Eis, die Zweite schiebt es sich ganz in<br />

den Mund und die Dritte isst es normal.<br />

Welche davon ist verheiratet?“ fragt Max<br />

die Lehrerin. „Die, die es leckt“, antwortet<br />

die Lehrerin. „Falsch. Eigentlich die, die<br />

den Ring an hat. Aber mir gefällt ihre Art<br />

zu denken.<br />

Oleg<br />

Was ist ein Terrorist auf einem Stromseil?<br />

ein Widerstandskämpfer.<br />

Kommt ein Jäger zum Arzt. “Doktor, mir<br />

ist da ein Unfall passiert. Wie soll ich sagen,<br />

ich habe mir unter die Gürtellinie<br />

geschossen.” Sagt der Doktor: “Ach, Kopf<br />

hoch, ihre Frau bläst ihnen sicherlich ein<br />

schönes Lied.“<br />

Was ist ein Leprakranker mit nem Afro?<br />

Ne Pusteblume<br />

Was ist ein Araber unter einem Kamel?<br />

Mechaniker.<br />

I M P R E S S U M<br />

Frankfurter Armutsaktie e. V.<br />

Rudolfstr. 18, 60327 Frankfurt am Main<br />

Tel.: 0175–34 94 010<br />

Herausgeber:<br />

„<strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong>“ - Die unabhängige Frankfurter<br />

Straßenzeitung<br />

Chefredakteur:<br />

Rüdiger Stubenrecht (v.i.S.d.P.)<br />

Redaktion:<br />

Dagmar Behme, Horst Kleimann, Marita<br />

Kleimann, Freder Mostert, Reinhold<br />

Urbas, Elisabeth Kapell, Rüdiger Stubenrecht,<br />

Ute Richter, Robert Freund<br />

Layout und Satz:<br />

Hans-Peter Janzen<br />

Korrektur:<br />

Robert Freund<br />

„<strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong>“<br />

Bürozeit:<br />

Dienstag u. Donnerstag 14.00 - 15.00<br />

Auflage: 4.000<br />

Druck:<br />

CARO-Druck, Ökohaus,<br />

Kasseler Str. 1a,<br />

60486 Frankfurt am Main<br />

Veröffentlichte Leserbriefe, Artikel und Stellungnahmen<br />

geben die Meinung des Verfassers wieder, die nicht mit der<br />

Redaktionsmeinung übereinstimmen muss.


16 KUNST<br />

Künstler des Monats<br />

Kleines Oeuvre, große Wirkung<br />

Der Frankfurter Adam Elsheimer<br />

Noch heute gilt er als der bedeutendste<br />

deutsche Maler des 17. Jahrhunderts.<br />

In seiner Zeit muss er so etwas wie ein<br />

Superstar gewesen sein, der Frankfurter<br />

Maler Adam Elsheimer. Er setzte in Malweise<br />

und Lichtbehandlung Zeichen,<br />

die noch Jahrhunderte gelten sollten und<br />

großen Einfluss haben würden. Doch sein<br />

Lebenswerk blieb klein, sowohl in den<br />

von ihm gewählten Formaten als auch in<br />

der Zahl seiner Bilder. Sein Einfluss auf<br />

die Maler seiner Zeit und späterer Kunstepochen<br />

war gewaltig und reicht bis heute<br />

nach.<br />

Das Leben von Adam Elsheimer war nur<br />

kurz und ist schnell erzählt.<br />

Sein Taufdatum kennen wir (18.März<br />

1578 in Frankfurt), ebenso das Datum<br />

seiner Beerdigung am 11. Dezember 1610<br />

in Rom. Er stammte aus bestem Frankfurter<br />

Handwerkerstamm und wurde in<br />

seiner Heimatstadt ausgebildet, bei dem<br />

damals recht berühmten Maler Philipp<br />

Uffenbach. Doch schon mit 20 zog es ihn<br />

in die Ferne. Nach Studienaufenthalten in<br />

München und Venedig ließ er sich im Jahre<br />

1600 in Rom nieder und blieb dort bis<br />

zu seinem Lebensende.<br />

Er arbeitete nur sehr langsam und wurde<br />

immer wieder von melancholischen<br />

Stimmungen heimgesucht, obwohl er in<br />

den Künstlerkreisen seiner Zeit überaus<br />

anerkannt war und beispielsweise Pieter<br />

Paul Rubens d. Ä. zu seinen persönlichen<br />

Freunden zählen konnte. Großformatige<br />

Portraits oder riesige Wandbilder sind von<br />

Flucht nach Ägypten<br />

ihm nicht bekannt. Er hat ausschließlich<br />

auf Kupfertafeln gemalt und völlig neue<br />

Sichtweisen und Themen entwickelt, die<br />

später in Italien und den Niederlanden<br />

aufgenommen und zur Blüte entwickelt<br />

wurden. Auch Rembrand und Claude<br />

Lorrain haben in seinem Sinne gemalt.<br />

Philemon und Baucis<br />

Themenwahl und Malweise<br />

Die meisten seiner Bilder sind miniaturenhaft<br />

gemalt und bieten somit einen fast<br />

fotografischen Ausblick auf Leben und<br />

Lebensumstände seiner Zeit, auch wenn<br />

seine Bilder zumeist religiöse oder mythologische<br />

Themen haben.<br />

Die Flucht des Jesuskindes nach Ägypten<br />

hat er für seine Verhältnisse oft gemalt,<br />

doch auch die griechische Mythologie ist<br />

mit dem Brand Trojas und dem für Einverständnis<br />

und eheliche Treue sprichwörtlich<br />

gewordene Paar Philemon und<br />

Baucis vertreten.<br />

Die Themen mögen für die damalige Zeit<br />

ziemlich üblich gewesen sein, seine Art zu<br />

malen aber erregte Aufsehen. Aus seinem<br />

Aufenthalt in Venedig hatte er die Kunst<br />

der Hell/Dunkelkontraste mitgebracht<br />

und entwickelte sie zur Meisterschaft weiter.<br />

Daneben widmete er den Landschaften in<br />

seinen Bildern große Aufmerksamkeit und<br />

malte als erster poetische Landschaftsstimmungen,<br />

wie sie erst rund 200 Jahre später<br />

in einer ganz anderen<br />

Zeit das künstlerische<br />

Schaffen<br />

bestimmen sollten.<br />

Er hat stimmungsvolle<br />

Landschaften<br />

im Mondlicht und<br />

Interieurs im Kerzenschein<br />

gemalt<br />

und immer wieder<br />

mit Hell-Dunkelkontrasten<br />

und<br />

der Inszenierung<br />

künstlicher Lichtquellen<br />

gearbeitet.<br />

Wenn es einen<br />

Künstler gab, der<br />

auf der Verbindungsstrasse<br />

vom<br />

Tintoretto zu Rembrand<br />

und Rubens<br />

einen wesentlichen<br />

eigenen Beitrag<br />

geleistet hat,<br />

dann ist dies der<br />

Frankfurter Maler<br />

Adam Elsheimer.<br />

Seine Bilder sind<br />

auch heute noch<br />

bekannt, obwohl<br />

in vielen Fällen der<br />

Name des Malers<br />

selbst längst zu Unrecht<br />

vergessen ist.<br />

In vielen seiner Bilder lohnt sich der Blick<br />

auf den dargestellten Himmel, insbesondere<br />

auf die Sterne. Er gab den Sternen<br />

individuelles Licht und den genau richtigen<br />

Platz am Sternenhimmel. Man könnte<br />

seine Bilder als Sternkarte nutzen. Es ist<br />

tatsächlich schon einmal nachgerechnet<br />

worden: im Bild vom Traum des Jakob<br />

entspricht die Sternenkonstellation exakt<br />

der, die zu Elsheimers Zeit am Himmel<br />

von Rom zu sehen war. So erwarb er sich<br />

den Spitznamen: „Der Maler, der in die<br />

Sterne schaut“. Er sah ganz einfach einiges<br />

mehr als seine Zeitgenossen. Und noch<br />

etwas lohnt sich: die genaue Abbildung<br />

der Nebenfiguren gibt tiefe Einblicke auf<br />

das ganz normale Leben zu Beginn des 17.<br />

Jahrhunderts.<br />

Verstreutes Werk<br />

Seine kleinen Gemälde sind überall auf<br />

der <strong>Welt</strong> verstreut, von der National Gallery<br />

in London bis zur Alten Pinakothek<br />

in München, der Gemäldegalerie in Berlin,<br />

in Braunschweig und in der Gemäldegalerie<br />

Alte Meister in Dresden.<br />

Aber glücklicherweise ist auch vieles der<br />

insgesamt nur 40 bekannten Werke wieder<br />

nach Frankfurt zurückgekehrt und gehört<br />

zu den Schätzen des Städel.<br />

In der Zeit vom 17. Mai bis zum 5. Juni<br />

gibt es dort eine spezielle Ausstellung. Der<br />

Katalog zur Ausstellung ist im Verlag Minerva<br />

erschienen und kostet 29,90 Euro.<br />

Die heilige Elisabeth von Ungarn betreut die Kranken<br />

Daten zur Ausstellung<br />

Eintrittspreise:<br />

8,-- Euro, ermäßigt 6,-- Euro,<br />

Familienkarte 16,-- Euro<br />

Öffnungszeiten:<br />

Dienstag, Freitag bis Sonntag 10.00 –<br />

19.00 Uhr; Mittwoch, Donnerstag<br />

10,00 – 21.00 Uhr<br />

Montag geschlossen<br />

Bericht: Rüdiger Stubenrecht

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