Nr. 43 - Soziale Welt
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12<br />
Vier Einrichtungen für Frauen beherbergt<br />
das Frauenzentrum am Alfred-Brehm-<br />
Platz 17: „Tamara“, „Lilith“, „17 Ost“<br />
und die „Beratungsstelle für Frauen“.<br />
Dort finden Frauen in Not ein offenes<br />
Ohr, eine Unterkunft und vor allem kompetente<br />
Beratung, oder einfach nur einen<br />
Platz, um sich für ein paar Stunden auszuruhen.<br />
Dem funktional wirkenden Nachkriegsbau<br />
in unmittelbarer Nachbarschaft<br />
zum Zoo ist von der Straße<br />
aus nicht anzusehen, dass er<br />
im rückwärtigen Teil ein schön<br />
gestaltetes Café beherbergt. „17<br />
Ost“ heißt es und ist ein Tagestreff<br />
für Frauen. Hier treffen<br />
sich nachmittags von 13 bis 17<br />
Uhr Frauen, um gemeinsam zu<br />
kochen, zu malen oder sich bei<br />
Kaffee und Tee von den Strapazen<br />
und Schwierigkeiten des<br />
Alltags auszuruhen. Wer gezielt<br />
Hilfe oder das Gespräch sucht,<br />
kann sich an eine Sozialarbeiterin<br />
wenden.<br />
Neben dem Café stehen ein Arbeitszimmer<br />
mit PC und Internetzugang, eine<br />
Küche, ein Ruheraum, Duschen und eine<br />
Waschmaschine zur Verfügung. Wer Kontakt<br />
zu anderen Frauen sucht, findet hier<br />
Möglichkeiten. Wer ungestört lesen will,<br />
kann dies ebenfalls tun.<br />
„17 Ost“ steht nicht nur Frauen in schwierigen<br />
Lebenssituationen offen, sondern allen,<br />
die einen Platz zum Ausruhen suchen.<br />
Es ist ein schöner, heller Raum mit großen<br />
Fenstern und Ausblick auf Gärten und<br />
Bäume im Hinterhof.<br />
„Wir haben ein Stammpublikum, aber es<br />
kommen auch immer wieder neue Frauen“,<br />
sagt Karin Kühn, Leiterin des Frauenzentrums<br />
am Zoo. Mit einem regelmäßigen<br />
Kursprogramm (kreatives Arbeiten, Bewegung<br />
und Entspannung, Kochen, Malen,<br />
Gesundheit) sorgen die Fachfrauen<br />
für Abwechslung im „17 Ost“. Die Kurse<br />
sind kostenlos. Eine Bewerbungssprechstunde<br />
und eine Rechtsberatung runden<br />
das Angebot ab. Arbeitsamt und Frauengesundheitsamt<br />
sind dabei Partner der<br />
Einrichtung. „Wir würden gerne auch<br />
abends öffnen,“ sagt Kühn. Aber das lässt<br />
die Personaldecke nicht zu. Im „17 Ost“<br />
arbeiten zwei Sozialarbeiterinnen und<br />
eine Praktikantin. Gesucht werden immer<br />
auch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen, die<br />
das Kursangebot bereichern können.<br />
Finanziert wird die Einrichtung, die sich<br />
im Haus des evangelischen Regionalverbandes<br />
befindet, von der Stadt Frankfurt,<br />
dem Landeswohlfahrtsverband und dem<br />
Diakonischen Werk Frankfurt. Fünf Jahre<br />
besteht der Tagestreff schon. Von Mai<br />
bis Oktober 2006 muss er wegen Renovierungsarbeiten<br />
vorübergehend in die<br />
Dominikanergasse 7 („Alte Backstube“)<br />
umziehen. Ab Herbst 2006 öffnet das<br />
Frauencafé dann wieder wie gewohnt am<br />
Zoo.<br />
Hinter dem Namen „Lilith“ verbirgt sich<br />
ein Übergangswohnheim für Frauen.<br />
Dort ist Platz für insgesamt 28 Frauen. In<br />
kleineren Wohngruppen leben sie zusammen.<br />
„Zwei Notbetten sehen zur Verfü-<br />
LOKALES<br />
Alles unter einem Dach<br />
Frauenzentrum im Frankfurter Ostend – Wegen<br />
Renovierung vorübergehender Umzug<br />
gung“, sagt Leiterin Kühn. „In der Regel<br />
ist immer etwas frei.“ Sechs Sozialarbeiterinnen<br />
(4,5 Stellen) beraten und betreuen<br />
die Frauen, die bei „Lilith“ landen, weil sie<br />
nicht wissen wohin. Sie sind wohnungslos,<br />
die Schuldenlast drückt, viele haben<br />
Gewalt erfahren, leiden unter psychischen<br />
und gesundheitlichen Problemen, beschreibt<br />
die Leiterin des Frauenzentrums<br />
die Zielgruppe bei „Lilith“. Die Einrichtung<br />
steht Frauen ab 18 Jahren offen.<br />
Anders als in Frauenhäusern, mit denen<br />
„Lilith“ eng zusammenarbeitet, sind Männerbesuche<br />
in dem Frauendomizil am Zoo<br />
erlaubt.<br />
Die Aufenthaltsdauer der Bewohnerinnen<br />
des Übergangswohnheimes schwankt zwischen<br />
einem Dreivierteljahr und eineinhalb<br />
Jahren. „Hier können die Frauen<br />
eine Auszeit nehmen. Sie nutzen diese,<br />
um an ihre Probleme heranzugehen“, so<br />
Kühn. „Rund drei Viertel der Frauen, die<br />
ausziehen, haben wieder eine Perspektive.“<br />
Das könne entweder die eigene Wohnung<br />
sein und die Aussicht auf berufliche Entwicklung,<br />
oder der Umzug in ein betreutes<br />
Wohnprojekt. Träger von „Lilith“ ist der<br />
Evangelische Regionalverband. Finanziert<br />
wird die Einrichtung vom Diakonischen<br />
Werk und dem Landeswohlfahrtsverband.<br />
Einige der Bewohnerinnen erhalten Arbeitslosengeld.<br />
Auch „Lilith“ muss wegen<br />
der Renovierung des Gebäudes vorübergehend<br />
verlagert werden. Ab März ist das<br />
Wohnheim in der Sandhofstraße 5 in Niederrad,<br />
zu finden.<br />
„Tamara“ ist ein Beratungsangebot für<br />
Prostituierte. Drei Sozialarbeiterinnen<br />
stehen als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung.<br />
Sie unterstützen, wenn es darum<br />
geht, dass Frauen aus der Prostitution aussteigen<br />
wollen. „Tamara“ ist bei der Suche<br />
nach einer Wohnung, der Schuldenregulierung<br />
und der Vermittlung von Ausbildung<br />
und Umschulung behilflich. Auch<br />
für Prostituierte, die den Beruf weiter ausüben<br />
wollen, aber beispielsweise rechtliche<br />
Fragen zu klären sind, ist „Tamara“ eine<br />
wichtige Anlaufstelle. Neben dem Diakonischen<br />
Werk und dem Evangelischen Regionalverband<br />
ist der Evangelische Verein<br />
für Innere Mission Träger der Einrichtung.<br />
Das Land Hessen hat sich aus der Förderung<br />
zurückgezogen, mit der Konsequenz,<br />
dass eine Stelle reduziert werden musste.<br />
70 Frauen sind über einen längeren Zeitraum<br />
mit den Sozialarbeiterinnen von<br />
„Tamara“ in Kontakt und werden intensiv<br />
beraten, sagt die Leiterin der Einrichtung,<br />
Karin Kühn. Hinzu kommen rund<br />
1.000 kurzfristige Beratungskontakte pro<br />
Jahr. „Tamara“ zieht für die Zeit der Renovierung<br />
in die Windmühlstraße 9, Nähe<br />
Hauptbahnhof.<br />
Große Ehrung für<br />
Frankfurter<br />
Marcel Reich-Ranicki<br />
Germanistik-Lehrstuhl an der<br />
Universität Tel Aviv<br />
Der erste Germanistik-Lehrstuhl in Israel<br />
ist nach einem Frankfurter Bürger benannt<br />
worden: Marcel Reich-Ranicki. Ein<br />
außerordentlicher Vorgang, ein Zeichen<br />
der Aussöhnung zwischen dem deutschen<br />
und jüdischen Volk und eine passende<br />
Anerkennung eines Lebenswerkes, das in<br />
einmaliger Weise der deutschen Literatur<br />
gewidmet war und ist.<br />
Er ist schon etwas ganz besonderes, dieser<br />
langgediente Mitarbeiter der FAZ, der<br />
wie kein anderer die deutsche Literatur<br />
zum Thema für Funk und Fernsehen gemacht<br />
hat.<br />
Marcel Reich-Ranicki hat sich auf seinem<br />
langen Lebensweg vom Schüler in Berlin<br />
zum von den Nazis abgewiesenen Germanistikstudenten<br />
über Not und Verfolgung<br />
bis zum Altersruhm viele Verdienste um<br />
die deutsche Literatur erworben. Er hat<br />
sich viele Freunde gemacht, und natürlich,<br />
wie das bei einem wortgewaltigen Kritiker<br />
nicht anders sein kann, auch namhafte<br />
Feinde.<br />
Immer wieder hat er sich für die neue deutsche<br />
Literatur eingesetzt, gelobt, getadelt,<br />
verrissen, empfohlen. Seine besondere Liebe<br />
galt und gilt Goethe, Heine und Thomas<br />
Mann, ganz und gar nicht überflüssig<br />
in einer Zeit, in der ganze Generationen<br />
von Schülern dank der „Bemühungen“<br />
der Deutschlehrer Literatur rundheraus<br />
und die klassischen deutschen Autoren<br />
unbekannterweise erst<br />
recht ablehnen. Zwar, es<br />
mag seine Goethe-Auffassung<br />
etwas einseitig literarisch<br />
sein und er mag<br />
die Rolle des Geheimrats<br />
als Stütze einer überlebten<br />
Gesellschaft nicht<br />
hinreichend sehen. Zwar,<br />
es mag seine Thomas-<br />
Mann-Verehrung diesem<br />
Schriftsteller eine Position<br />
in erlauchten Sphären<br />
zuweisen, die durch die<br />
tatsächlichen Verdienste<br />
nicht gerechtfertigt sein<br />
mögen.<br />
Bei der „Beratungsstelle für Frauen“ suchen<br />
jährlich rund 550 Frauen Hilfe und<br />
Unterstützung für ihre Probleme. Drei<br />
Sozialarbeiterinnen stehen zur Verfügung,<br />
um bei Wohnungsproblemen, bei Fragen<br />
der Familienplanung und Sexualität oder<br />
in schwierigen persönlichen Lebenslagen<br />
wie der Bewältigung von Gewaltproblemen<br />
weiterzuhelfen. Außerdem beraten<br />
die Expertinnen in Schwangerschaftskonflikten<br />
nach § 219 StGB. Die Beratung ist<br />
kostenlos.<br />
Die vier Einrichtungen im Frauenzentrum<br />
ergänzen sich hervorragend. Frauen, die<br />
sich beispielsweise an die Beratungsstelle<br />
gewendet haben, weil sie ohne Obdach<br />
sind, können schnell und unbürokratisch<br />
ins Wohnheim vermittelt werden. „Wir<br />
haben kurze Wege. Ein Anruf genügt“, sagt<br />
Leiterin Kühn zu diesem Standortvorteil.<br />
Um das Frauenzentrum zu erhalten, ist<br />
die Einrichtung angewiesen auf Spenden<br />
und Förderer. Darüber hinaus werden<br />
auch gut erhaltene Frauenkleider für die<br />
Kleiderkammer und Bücher/Zeitschriften<br />
für die Bibliothek gerne angenommen.<br />
-liz-<br />
Alleine durch sein Engagement für Heinrich<br />
Heine hat er sich größte Verdienste<br />
um die deutsche Sprache erworben. Marcel<br />
Reich-Ranicki hat über den „Fall Heine“<br />
ein lesenswertes Buch geschrieben und erfreulicherweise<br />
ein breites Echo gefunden<br />
für einen deutsch-jüdischen Autor, der<br />
noch in den deutschen Lesebüchern der<br />
fünfziger Jahre unterdrückt wurde – das<br />
Lied von der Lorelei wurde in schlimmster<br />
Nazitradition als „Volksgut“ gekennzeichnet,<br />
der Autor wissentlich verschwiegen.<br />
Das ist erfreulicherweise vorbei, der Weg<br />
zu einer dem Autor würdigen Heine-Rezeption<br />
wieder frei.<br />
Nun gibt es also einen Lehrstuhl mit dem<br />
Namen Reich-Ranicki, dem man Glück<br />
wünschen möchte. Und auch eine Arbeit<br />
im Sinne des so Geehrten, der Literatur<br />
immer als etwas gesehen hat, das man<br />
nicht produzieren kann, sondern um das<br />
man streiten muss, täglich und stündlich,<br />
damit Erfolg und Verständnis wachsen.<br />
Es bleibt noch ein kleiner Wunsch an das<br />
neue Institut: dass auch jene verschmähte<br />
und verunglimpfte Tochter der deutschen<br />
Sprache, das Jiddische, dort eine kleine<br />
Heimat finden möge. Denn auch das neue<br />
Israel mochte mit der Sprache des Exils<br />
und der Stedtele im europäischen Osten<br />
nichts anfangen. Ein Fehler, denn gerade<br />
verstoßene Töchter gehören nun mal zumeist<br />
nicht zu den Hässlichsten.