Nr. 43 - Soziale Welt
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2 POLITIK<br />
An ihren Worten sollt Ihr sie erkennen<br />
Grundsatzprogramme heißen angeblich<br />
so, weil sie grundsätzlich keiner liest. In<br />
Anbetracht des Verhaltens deutscher Politiker<br />
mag da was dran sein. Folgerichtig<br />
wäre ein Koalitionsvertrag eine Vereinbarung,<br />
an die sich von vorneherein keiner<br />
halten will. Im täglichen Politikgeschäft<br />
ist der nächste Wahlkampf immer wichtiger<br />
als gemachte Versprechungen. Wir<br />
haben uns mit dem Koalitionsvertrag<br />
beschäftigt und geben hier wichtige Passagen<br />
wieder, die die Zielsetzungen für<br />
soziale Zwecke wiedergeben. Diese Texte<br />
lassen wir unkommentiert – das Verhalten<br />
der Parteien wird Kommentar genug<br />
sein.<br />
Präambel: Wohlstand sichern – Arbeit<br />
schaffen<br />
Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist zentrale<br />
Verpflichtung unserer Regierungspolitik…<br />
Zur Stärkung von Innovationen, Investitionen,<br />
Wachstum und Beschäftigung sowie<br />
zur Stärkung des Verbrauchervertrauens<br />
werden wir in fünf zentralen Bereichen<br />
konkrete Impulse in einem Gesamtvolumen<br />
von 25 Mrd.Euro in den kommenden<br />
vier Jahren gegeben (sic).<br />
2.Arbeitsmarkt<br />
2.1 Senkung von Lohnzusatzkosten<br />
CDU, CSU und SPD stellen sicher,<br />
dass die Lohnzusatzkosten (Sozialversicherungsbeiträge)<br />
dauerhaft unter<br />
40% gesenkt werden. Dazu wird<br />
der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung<br />
zum 1.1.2007 von 6,5% auf<br />
4,5% reduziert. Einen Prozentpunkt<br />
davon finanziert die Bundesagentur<br />
für Arbeit….,<br />
ein weiterer Prozentpunkt wird<br />
durch den Einsatz eines vollen<br />
Punktes Mehrwertsteuer finanziert.<br />
Gleichzeitig steigt der Beitrag zur<br />
gesetzlichen Rentenversicherung von<br />
19,5% auf 19,9%.<br />
2.2 Vorfahrt für junge Menschen<br />
Wir wollen, dass in Zukunft kein Jugendlicher<br />
länger als drei Monate arbeitslos<br />
ist…<br />
Konkret bedeutet dies die Bereitstellung<br />
von jährlich 30.000 neuen Ausbildungsplätzen,<br />
25.000 betrieblichen Einstiegsqualifizierungen<br />
durch Wirtschaft und<br />
Handwerk und passgenaue Maßnahmen<br />
der Bundesagentur für Arbeit für<br />
Förderung von Ausbildung…junge(r)<br />
hilfsbedürftige(r) erwerbsfähiger Menschen:<br />
Diesen Jugendlichen wird ein persönlicher<br />
Ansprechpartner und Arbeitsvermittler<br />
zur Seite gestellt. Dieser soll<br />
künftig flächendeckend höchstens 75 Jugendliche<br />
betreuen…<br />
Der persönliche Arbeitsvermittler hat<br />
Hilfen anzubieten – einschließlich der<br />
Schuldner- und Suchtberatung<br />
2.3 Impulse für mehr Beschäftigung von<br />
älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern<br />
Internationale Erfahrungen belegen, dass<br />
hierzu ein ganzes Bündel abgestimmter<br />
Maßnahmen in den Bereichen Arbeit, Bildung<br />
und Gesundheit notwendig ist, und<br />
dass sowohl Anreize zur Frühverrentung<br />
beseitigt als auch Maßnahmen zum Erhalt<br />
und zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit<br />
und zur Wiedereingliederung älterer<br />
Arbeitsloser erforderlich sind…<br />
Arbeitsplatzbezogene Qualifizierungsmaßnahmen<br />
sollen durch die Betriebe und<br />
nicht durch die Beitragszahler finanziert<br />
werden…<br />
Langzeitsarbeitskonten werden gesetzlich<br />
gesichert. Dabei werden wir eine Regelung<br />
nach dem Vorbild der Insolvenzsicherung<br />
bei der Altersteilzeit prüfen…<br />
In vielen Regionen .. ist es daher unerlässlich,<br />
gemeinsame sinnvoller Maßnahmen<br />
mit den Ländern zur Förderung<br />
gesellschaftlich sinnvoller gemeinnütziger<br />
Arbeiten für arbeitsmarktlich nicht mehr<br />
integrierbare Langzeitsarbeitslose in der<br />
letzten Phase ihres Erwerbslebens zu ergreifen.<br />
Dabei sollen zunächst die vom<br />
Bund zur Verfügung gestellten 30.000<br />
Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitsarbeitslose<br />
ab 58 Jahre in dreijährigen<br />
Zusatzjobs genutzt werden. …<br />
Soweit die 30.000 Förderungsmöglichkeiten<br />
ausgeschöpft sind, schlagen wir den<br />
Ländern vor, weitere bis zu 20.000 gemeinnützige<br />
Beschäftigungen gemeinsam<br />
zu finanzieren.<br />
2.5 Aktive Arbeitsmarktpolitik<br />
CDU, CSU und SPD werden ... alle arbeitsmarktpolitischen<br />
Maßnahmen auf<br />
den Prüfstand stellen…<br />
Diese Überprüfung soll bis Ende kommenden<br />
Jahres abgeschlossen sein. Auf der<br />
Grundlage dieser Wirksamkeitsanalyse<br />
wird dann spätestens im Jahr 2007 die aktive<br />
Arbeitsmarktpolitik insgesamt grundlegend<br />
neu ausgerichtet und sichergestellt,<br />
dass die Mittel der Beitrags- und Steuerzahler<br />
künftig so effektiv und effizient wie<br />
möglich eingesetzt werden.<br />
6.7 Stadtentwicklung als Zukunftsaufgabe<br />
Das Programm Stadtteile mit besonderem<br />
Entwicklungsbedarf – die <strong>Soziale</strong> Stadt -<br />
… soll weiterentwickelt und auf die gesetzlichen<br />
Ziele konzentriert werden….<br />
Zur Verminderung der Flächeninanspruchnahme<br />
und zur Beschleunigung<br />
wichtiger Planungsvorhaben, vor allem<br />
in den Bereichen Arbeitsplätze, Wohnbedarf<br />
und Infrastrukturausstattung, werden<br />
wir das Bau- und Planungsrecht für<br />
entsprechende Vorhaben zur Stärkung der<br />
Innenentwicklung vereinfachen und be-<br />
schleunigen. Wir werden die gesetzlichen<br />
Rahmenbedingungen erhalten und wenn<br />
nötig ausbauen, um die Innenstädte als<br />
Einzelhandelsstandorte zu erhalten….<br />
Zur Bewältigung des demographischen<br />
Wechsels und der Migration wollen wir<br />
mit Modellvorhaben Städte dabei unterstützen,<br />
Wohnquartiere kinder- und<br />
familienfreundlich zu gestalten und die<br />
Infrastruktur barrierefrei und altengerecht<br />
umzubauen.<br />
9.1 Entlastung der Bürger und der Wirtschaft<br />
von Bürokratiekosten<br />
….Die neue Bundesregierung wird deshalb<br />
als Sofortmaßnahme…Unternehmen<br />
von besonders wachstumshemmenden<br />
Überregulierungen befreien und insbesondere<br />
dem Mittelstand sowie Existenzgründern<br />
mehr Luft zum Atmen verschaffen.<br />
Vordinglich sind dabei der Abbau von Statistik-,<br />
Nachweis-, Dokumentations- und<br />
Buchhaltungspflichten, die Vereinfachung<br />
und Beschleunigung von Planungs- und<br />
Genehmigungsverfahren, der Abbau von<br />
Doppel- und Mehrfachprüfungen, die<br />
Vereinheitlichung von Schwellenwerten<br />
zum Beispiel im Bilanz- und Steuerrecht,<br />
die Begrenzung der Verpflichtung von Betrieben<br />
zur Bestellung von Beauftragten,<br />
die Vereinfachung der betriebsärztlichen<br />
und sicherheitstechnischen Betreuung von<br />
Kleinbetrieben sowie die Entbürokratisierung<br />
der bestehenden Förderprogramme.<br />
Die Erfahrungen der Vergangenheit<br />
haben gezeigt, dass eine<br />
auf Einzelmaßnahmen beschränkte<br />
Rechtsbereinigung nicht ausreicht<br />
um die Bürokratie…und die Lasten<br />
insbesondere der kleinen und<br />
mittleren Unternehmen zu beseitigen.<br />
Als wesentliches Hindernis hat<br />
sich dabei erwiesen, dass bis heute<br />
in Deutschland keine Methode existiert,<br />
bestehende Bürokratiekosten<br />
zuverlässig zu erfassen und für neue<br />
Gesetze sicher vorherzusagen.<br />
IV <strong>Soziale</strong> Sicherheit verlässlich und<br />
gerecht gestalten –<br />
4 Verlässliche Sozialhilfe<br />
Die Sozialhilfe bildet mit ihren Leistungen,<br />
insbesondere der Hilfe zum Lebensunterhalt,<br />
der Eingliederungshilfe für behinderte<br />
Menschen, der Hilfe zur Pflege und der<br />
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung,<br />
das unterste soziale Netz. Ferner<br />
ist sie in ihrer Funktion als Referenzsystem<br />
für die Leistungen der Grundsystem<br />
für Arbeitssuchende unverzichtbare Säule<br />
des Sozialstaates in Deutschland. Diese<br />
beiden Funktionen der Sozialhilfe gilt es<br />
dauerhaft zu erhalten, um auch künftig<br />
bei Notfällen und bei Hilfebedürftigkeit<br />
die erforderliche Absicherung weiterhin<br />
sicherzustellen.<br />
8.1 Pflegeversicherung – Sicherung einer<br />
nachhaltigen und gerechten Finanzierung<br />
Um Angesichts der demographischen<br />
Entwicklung sicherzustellen, dass die<br />
Pflegebedürftigen auch in Zukunft die<br />
Pflegeleistungen erhalten, die sie für eine<br />
ausreichende und angemessene Pflege zu<br />
einem bezahlbaren Preis brauchen, ist die<br />
Ergänzung des Umlageverfahrens durch<br />
kapitalgedeckte Elemente als Demographiereserve<br />
notwendig.<br />
Wahlbetrug oder<br />
Haushaltsrettung?<br />
Der Bundestag hat abgestimmt und die<br />
überwiegende Mehrheit hat eine Haushaltssicherung<br />
beschlossen, die klar zu<br />
Lasten der kleineren Einkommen geht.<br />
Streichungen bei der Kilometerpauschale,<br />
vorgesehene Einsparungen bei ALG II<br />
und als Krönung die Erhöhung der Mehrwertsteuer<br />
auf 19 Prozent – die höchste<br />
Steuererhöhung seit 1949. Die Einführung<br />
der sogenannten Reichensteuer hat<br />
sich schon bei den Finanzplanungen als<br />
bloße Kosmetik mit sehr begrenztem finanziellen<br />
Ergebnis herausgestellt.<br />
Die kleine Opposition läuft zu großer<br />
Form auf. Die FDP wirft der SPD genüsslich<br />
Wahlbetrug vor. Die Linkspartei hat<br />
es schon immer gewusst und tönt entsprechend.<br />
Die CDU macht auf staatsmännisch zurückhaltend<br />
und nur die SPD muß die<br />
Kröten schlucken. Die Kröten einer von<br />
A bis Z verfehlten Politik des Weiterwurstelns<br />
zu Lasten der Bürger.<br />
Denn es ist in der einzig wichtigen Sache<br />
nichts geschehen: Die Staatsquote muss<br />
runter. Der Behördenapparat muss abgebaut<br />
werden, es muss mehr Geld für den<br />
Ausbau der Wirtschaft her. Nur so gibt<br />
es neue Arbeitsplätze und wieder mehr<br />
Steuergeld für die Staatskassen, die nicht<br />
wirklich Not leiden, sondern deren Geld<br />
behördlicherseits in ungeheuerlichem<br />
Ausmaß verschwendet und falsch eingesetzt<br />
wird.<br />
Der neu gekürte SPD-Chef Kurt Beck<br />
wird in den nächsten Landtagswahlen die<br />
üble Suppe auslöffeln müssen.<br />
Außenpolitische Erfolge nimmt die CDU<br />
für sich in Anspruch, innenpolitisch ist<br />
Stagnation angesagt. Es bleibt wieder bei<br />
kleinen Pseudoänderungen, die nichts<br />
anderes sind als kassenbelastende Lieblingsprojekte<br />
von einzelnen Politikern.<br />
Kurt Beck stößt weiterhin in das alte<br />
Schröder-Horn vom armen Staat, der erst<br />
einmal neues Geld haben muss, bevor er<br />
irgendwas unternehmen könnte. Aber diese<br />
Posaune gibt einen falschen Ton, und<br />
die einzigen Mauern, die bei ihrem Klang<br />
einstürzen werden, sind die deutschen.<br />
Wenn Rot-Schwarz unsozial ist, wie es eine<br />
Regierung mit einem grundfalschen Konzept<br />
inhärent sein muss, geht das zu Lasten<br />
der Roten. Insbesondere die Gewerkschaften<br />
nehmen übel, dass Vizekanzler<br />
Müntefering eilig heilige Kühe schlachtet,<br />
von der Ausbildungsabgabe bis zum Kündigungsschutz<br />
und – man hatte sich mal<br />
dafür stark gemacht, und die damaligen<br />
Töne klingen nach – zum Mindestlohn.<br />
Dass diese Positionen einfach nur hirnlos<br />
sind, spielt keine Rolle mehr.<br />
Wenn die Regierung nicht aus dieser Falle<br />
findet, gibt es vier weitere Jahre wirtschaftlichen<br />
Stillstand und weitere Flucht von<br />
Arbeitsplätzen aus Deutschland. Es muss<br />
ein Weg gefunden werden, aus den vorhandenen<br />
Mitteln Gelder für Zukunftsaufgaben<br />
freizumachen, statt dem Bürger<br />
aus der Tasche zu ziehen. Es steht viel<br />
mehr auf dem Spiel als nur der Wahlerfolg<br />
der einen oder anderen Regierungspartei.<br />
Rüdiger Stubenrecht