Nr. 43 - Soziale Welt
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8 SOZIALES<br />
mentale Ressource für diejenigen darstellt,<br />
die eine gute oder bessere gesellschaftliche<br />
Position haben oder anstreben. Unschuldige<br />
Opfer von Benachteiligungen bedrohen<br />
diesen Glauben. Man kann ihn nur<br />
dann beibehalten, wenn man die Opfer<br />
für ihre elendige Situation verantwortlich<br />
macht. Stoßen wir hier eventuell an die<br />
Grenzen des Dialogs über fairen Ausgleich?<br />
Beginnt hier ein anderes Thema, nämlich<br />
das der legitimen Erzwingung von Transferleistung<br />
über Sozialbewegungen oder<br />
den Staat und damit das Thema von legitimer<br />
Begrenzungsmacht – auch in einer<br />
Demokratie, die bereits A. Salomon formulierte,<br />
als sie forderte, dass die Starken<br />
am Missbrauch ihrer Macht gehindert und<br />
die Schwachen durch das Gesetz geschützt<br />
werden sollten?<br />
Was wir von früheren TheoretikerInnen<br />
lernen können, die ihre Vorstellungen im<br />
Rahmen einer vergleichsweise erheblich<br />
schwierigeren Wirtschaftskrisensituation<br />
einbrachten: <strong>Soziale</strong> Gerechtigkeit ist<br />
keine Schönwetterveranstaltung, die abgebrochen<br />
werden kann, wenn die meteorologischen<br />
Dienste der Wirtschaft eine<br />
Verschlechterung der Großwetterlage prophezeien<br />
oder anzeigen.<br />
Gerechtigkeit, aber vor allen Dingen<br />
Existenzsicherung, ist nicht das Almosen<br />
einer gnädigen Wirtschaft oder Politik, das<br />
dann ausbleiben kann, wenn die Hochkonjunktur<br />
ausbleibt. Dies umso weniger,<br />
als es sich heute über den Umweg der<br />
EU-, WTO- und GATT-Abkommen um<br />
politisch gewollte Knappheit der Staatskosten<br />
handelt. Es gäbe Geldquellen, welche<br />
diese Knappheit verringern können. Die<br />
eine ist die als Tobin-Steuer bekannt gewordene<br />
Besteuerung der transnationalen<br />
spekulativen Finanzgeschäfte, wie dies die<br />
Attac-Bewegung seit ihrer Entstehung fordert.<br />
Denn bereits eine Steuer von 0,25 %<br />
würde für die weltweite Behebung von<br />
Armut, Krankheit, Analphabetismus, Erwerbslosigkeit<br />
ausreichen und 1 % - so die<br />
Annahme – könnte eine weltweite Grundversorgung<br />
sicherstellen. L.I. da Silva, der<br />
brasilianische Staatspräsident, hat sich am<br />
Evian-G8-Gipfel von 2003 für eine weltweite<br />
Steuer auf den Handel mit Waffen<br />
stark gemacht, um damit einen Fond für<br />
unsere Hungerhilfe und Schuldenreduktion<br />
zu finanzieren.<br />
Zentral bei diesen und folgenden Vorschlägen<br />
müsste sein, dass man sich vom<br />
Denkkonzept der Geldknappheit befreit,<br />
was aber nur dann gelingt, wenn man über<br />
den nationalen Tellerrand blickt und die<br />
Gerechtigkeitsfrage nicht mehr mit der<br />
Frage des nationalen Bruttosozialprodukts<br />
und Erwerbseinkommens verknüpft. Auch<br />
deswegen ist zu hoffen, dass sich auch die<br />
soziale Arbeit bald einmal aus dem Denkkonzept<br />
des Managerianism befreit und<br />
theoretisch wie praktisch zu der im Jahre<br />
2000 international ratifizierten Definition<br />
sozialer Arbeit findet: „Sozialarbeit ist eine<br />
Profession, die sozialen Wandel, Problemlösungen<br />
in menschlichen Beziehungen<br />
sowie der Ermächtigung und Befreiung<br />
von Menschen befördert, um ihr Wohlbefinden<br />
zu verbessern. Indem sie sich<br />
auf Theorien menschlichen Verhaltens<br />
und sozialer Systeme auf Erklärungsbasen<br />
stützt, interveniert soziale Arbeit im<br />
Schnittpunkt zwischen Individuum und<br />
Umwelt und Gesellschaft. Dabei sind die<br />
Prinzipien der Menschenrechte und der<br />
sozialen Gerechtigkeit für die soziale Arbeit<br />
von fundamentaler Bedeutung.“<br />
Die Redaktion meint:<br />
Es ist leider eine Tatsache, dass gerade<br />
im sozialen Feld vieles nur in ganz umschränkten<br />
Fachkreisen diskutiert wird<br />
und damit außerhalb der Öffentlichkeit<br />
stattfindet. Das heißt nun gerade nicht,<br />
dass diese Diskussionen ohne Bedeutung<br />
sind für den Normalbürger, denn die im<br />
Fachkreis diskutierten Themen werden<br />
über kurz oder lang zu Themen der allgemeinen<br />
politischen Auseinandersetzung<br />
– und dort sehr oft bis zum Schlagwort<br />
herabgewürdigt.<br />
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, von Fall<br />
zu Fall bestimmte Themen, die uns wichtig<br />
erscheinen, an unsere Leser zu tragen.<br />
Das bedeutet nicht, dass wir notwendigerweise<br />
die Meinung der Autoren teilen<br />
oder dass wir uns in der Lage sehen, eine<br />
abschließende Darstellung zu diesem Thema<br />
auch nur zu versuchen.<br />
In diesem Heft wird das Thema der Gerechtigkeit<br />
im staatlichen Handeln und<br />
Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung<br />
entnommen aus dem Buch von<br />
Werner Thole, Peter Cloos, Friedrich Ortmann<br />
und Volkhardt Strutwolf: <strong>Soziale</strong><br />
Arbeit im öffentlichen Raum – <strong>Soziale</strong> Gerechtigkeit<br />
in der Gestaltung des <strong>Soziale</strong>n,<br />
erschienen im VS Verlag für Sozialwissenschaft,<br />
GWV Fachverlage, Abraham-Lincoln-Strasse<br />
46, 65189 Wiesbaden.<br />
Gerechtigkeit<br />
– wer soll für den<br />
Wiederaufbau von New<br />
Orleans zahlen?<br />
Big Easy oder Big Squeezy? Darüber<br />
sprach INSP-Mitgliedszeitschrift Real<br />
Change, Seattle, mit Barbara Major,<br />
Gemeindeaktivistin umd Mitvorsitzende<br />
des Bring New Orleans Back<br />
Commission, die Bürgermeister C. Ray<br />
Nagin einberufen hat.<br />
Real Change: Was war das Endresultat dieser<br />
Kommission?<br />
Barbara Major: Ein Report mit<br />
Empfehlungen für den Bürgermeister.<br />
Einige hat er übernommen, andere nicht.<br />
RC: Haben die Geschäftsinteressen in der<br />
Kommission einen unterschiedlichen Weg<br />
versucht?<br />
Barbara Major: Nicht mehr als vor dem<br />
Orkan Katrina. Die Geschäftsinteressen<br />
promoten ihren Weg. Die weiße<br />
Gesellschaft auch, genauso wie immer.<br />
Wenn ich gedacht hätte, dass sie auf<br />
einmal auf dem richtigen Weg sind, hätte<br />
ich in der Kommission gar nicht erst<br />
mitgearbeitet.<br />
RC: Wie ist die Lage in New Orleans und<br />
bei der Stadtverwaltung?<br />
Barbara Major: Grundlegend ist die Stadt<br />
pleite und die meisten Stadtbediensteten<br />
sind weg. Es gibt noch ein paar, die mit den<br />
Resten arbeiten. Auch sie sind obdachlos.<br />
Die Arbeitsbedingungen sind noch die<br />
gleichen wie kurz nach Katrina. Es ist<br />
zwischen Staaten angesprochen. Das ist<br />
in der Geschichte der Diskussion über<br />
staatliches und soziales Handeln relativ<br />
neu. Man darf nicht vergessen, dass zu<br />
dem Zeitpunkt, als die Verfassungen der<br />
demokratischen Länder geschrieben wurden,<br />
ganz andere Gesichtspunkte Vorrang<br />
hatten. Das gilt nicht nur für England,<br />
das noch immer ohne geschriebene Verfassung<br />
auskommt. Das gilt auch für die<br />
USA, wo die Männer um Franklin, Hamilton<br />
und Jefferson die Souveränität der<br />
(bewaffneten) Bürger gegen ein Fremdregime<br />
thematisierten. Das gilt ebenso für<br />
Frankreich, das zwar Gleichheit und Brüderlichkeit<br />
in seine Verfassung aufgenommen<br />
hatte, aber ein Staat blieb, „in dem<br />
es Arm und Reich gleichermaßen erlaubt<br />
ist, unter den Brücken zu schlafen“. Für<br />
die bundesdeutsche Verfassung gilt es allemal<br />
– man war zu sehr damit beschäftigt,<br />
Vorkehrungen gegen ein erneutes Verfassungsdebakel<br />
zu treffen. Die Reihe lässt<br />
sich beliebig fortsetzen.<br />
unglaublich, was die Leute von Außen von<br />
New Orleans erwarten. Wenn jemand sagt:<br />
Warum habt ihr das noch nicht erledigt<br />
möchte ich ihnen am liebsten sagen, dass<br />
sie sich selbst ficken sollen.<br />
RC: Wer kontrolliert den Wiederaufbauprozess?<br />
Barbara Major: Es gibt keinen. Es ist<br />
kein Geld da. Es wurde etwas Müll<br />
weggeräumt, aber es gibt keinen<br />
wirklichen Wiederaufbau. Die Mittel<br />
dafür sind auf U.S. Government Ebene<br />
oder Bundesstaatsebene eingefroren.<br />
RC: Was ist die größte Hürde, die Farbige in<br />
New Orleans überwinden müssen?<br />
Barbara Major: Das ist die Sicherung von<br />
Land, damit Leute dort Zugang haben,<br />
damit das Geld für den Wiederaufbau<br />
ausgegeben wird und dass Leute nicht<br />
einfach nur angeheuert werden, sondern<br />
die am Aufbau beteiligten Unternehmen<br />
besitzen. Die Mittel müssen daraufhin<br />
kontrolliert werden.<br />
RC: Was unternehmen Sie, damit die Armen<br />
nicht beim Wiederaufbau vergessen werden?<br />
Barbara Major: Ich bin nicht Gott. Ich<br />
habe mich mit den wirtschaftlichen<br />
Gegebenheiten auseinanderzusetzen.<br />
Teil davon ist, dass wir einen Land Trust<br />
bilden, dass wir Boden sichern, dass<br />
wir einen Weg für die Entwicklung der<br />
Afroamerikanischen Gesellschaft schaffen.<br />
Ein solcher Land Trust würde sicherstellen,<br />
dass das Land nie für andere Zwecke als<br />
Unterkünfte der unteren und mittleren<br />
Preisklasse verwendet werden.<br />
RC: Afroamerikaner haben praktisch die<br />
Kultur von New Orleans geschaffen. Haben<br />
sie Sorge, dass die Leute, die die Kultur<br />
aufgebaut haben, nicht mehr Teil davon<br />
sind?<br />
Barbara Major: Wir alle sind besorgt.<br />
Einige Leute wollen hier sein, einige dieser<br />
Musikanten. Ich will diese Kultur auch,<br />
aber ich will keine Kultur der Armut.<br />
Ich will eine gesündere Gesellschaft,<br />
aber New Orleans ist nicht mehr New<br />
Orleans, wenn diese Leute nicht Teil des<br />
Es ist an der Zeit, sich in noch immer recht<br />
gesicherten Verhältnissen, die im schreienden<br />
Gegensatz zu dem stehen, was in<br />
anderen Ländern passiert, mit dem Thema<br />
der Gerechtigkeit sozialen Handelns neu<br />
auseinander zu setzen. Was aus der Diskussion<br />
werden kann, können wir noch<br />
nicht wissen. Es ist jetzt schon sicher, dass<br />
unter Berufung auf ein wichtiges Ziel Beiträge<br />
jeder Qualität erfolgen werden, nicht<br />
wenige als kaum verhohlener Versuch, sich<br />
unter Berufung auf vorgeblich wissenschaftliche<br />
Erkenntnisse Entscheidungsprivilegien<br />
zu verschaffen, die auf dem beruhen,<br />
was zu Recht als Herrschaftswissen<br />
verdammt wird und nicht den Schatten<br />
einer demokratischen Legitimation haben<br />
kann.<br />
Die öffentliche, intensiv geführte Diskussion<br />
ist der einzige Weg, der irgendwohin<br />
führen kann. Es ist an der Zeit, diesen Dialog<br />
zu beginnen.<br />
Rüdiger Stubenrecht<br />
Wiederaufbauprozesses sind und ihn<br />
anleiten können. Glauben die wirklich,<br />
dass es Wiederaufbau ohne uns geben<br />
kann? Die werden nicht mal Scheiße<br />
kriegen.<br />
RC: Wohin können evakuierte Leute<br />
zurückkehren? Gibt es einen Plan?<br />
Barbara Major: Ich habe keine Idee. Im<br />
Augenblick gibt es keinen Platz zum<br />
Zurückkehren und keinen Platz zum<br />
Leben. Die meisten waren Mieter, und<br />
der Vermieter wird sie nicht wieder<br />
aufnehmen, wenn er die Miete nicht<br />
aufbessern kann. Also was? Wir hatten<br />
vorher keine Mietkontrolle. Viele Leute<br />
wollen zurückkommen, aber das muss Teil<br />
eines Gemeinsaftsprozesses sein.<br />
RC: Haben Sie Informationen über<br />
Diskriminierung gegen evakuierte Arme?<br />
Barbara Major: Absolut. Es gibt eine Menge<br />
Spannung, weil niemand die Verhältnisse<br />
verbessert hat. Die evakuierten Armen<br />
landeten in überbelasteten Gemeinden<br />
mit beschränkten Mittel. Die Regierung<br />
war nicht bereit, irgendwelche Mittel in<br />
diese Gemeinden zu leiten.<br />
RC: Was glauben Sie, wird in Zukunft<br />
geschehen?<br />
Barbara Major: Es werden einige Mittel<br />
freigegeben, und es wird einen Haufen<br />
politischer Auseinandersetzungen<br />
geben, wer diese Mittel kontrolliert.<br />
Wenn wird Glück haben, können wir<br />
eine Gefechtslinie bilden und genauso<br />
weiterkämpfen, wie wir das immer getan<br />
haben. Es ist ein Kampf um den Schutz<br />
der Bürger der Stadt, wo immer sie sich<br />
noch aufhalten. Ich weiß auch, dass wir<br />
nicht jedes Gefecht gewinnen werden.<br />
RC: Und wenn wieder ein Hurrikan<br />
kommt?<br />
Barbara Major: Wenn noch ein Sturm der<br />
Kategorie Fünf meine Stadt trifft, mit der<br />
Windgeschwindigkeit von Katrina, wird<br />
sich meine Stadt für die nächsten 50 bis<br />
100 Jahre nicht mehr erholen. Viele Leute<br />
werden dann nie wieder zurückkehren.