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Juni 2012 Juli 2012 ...wie dich selbst - Freisenbruch-Horst-Eiberg

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Um an den Urlaubsort zu gelangen, reichen<br />

oft zwei Stunden Flug. In den Ferien anzukommen,<br />

gelingt meist nicht im Handumdrehen.<br />

Erst nach Tagen lösen sich die Fesseln um Gedanken,<br />

Gefühle und Sinne. Wir hören die Stille,<br />

die sich frühestens über 2000 m Höhe ausbreiten<br />

kann und bemerken, dass sie uns fremd<br />

geworden ist. Wir sitzen am Meer, finden das<br />

Rauschen der Brandung nicht langweilig und<br />

warten geduldig, bis das Containerschiff am<br />

Horizont unseren Blicken entschwunden ist. Am<br />

vierten Tag entdecken wir einen mittelgroßen<br />

schwarzen Käfer, der eine undefinierbare Kugel<br />

- größer als er <strong>selbst</strong> - über den unebenen Boden<br />

vor sich her wuchtet. Wir spüren, <strong>wie</strong> er<br />

sich müht, aber auch, dass er weiß, was er tut.<br />

Er ist kein Sisyphos, seine Plackerei macht<br />

Sinn, ist wahrscheinlich sogar unverzichtbar in<br />

seiner Lebenswelt, die er mit unzähligen<br />

großen und kleinen Kreaturen teilt. Wir nennen<br />

sie - altklug, <strong>wie</strong> wir sind - Ökosystem, als hätten<br />

wir sie <strong>selbst</strong> erfunden.<br />

Spätestens jetzt stellen wir fest, dass er und<br />

wir zwar auf demselben Planeten existieren,<br />

aber Lichtjahre voneinander entfernt leben. Er<br />

wehrt sich nicht gegen seine Einbindung in den<br />

Kreislauf von Werden und Vergehen.<br />

Wir dagegen haben beschlossen,<br />

den Naturgesetzen<br />

vorzugeben wo es lang geht:<br />

Auf den Wachstumskurs! Positivwachstum<br />

- Nullwachstum -<br />

Minuswachstum, Hauptsache<br />

Wachstum. Das verlangt Anpassung,<br />

nicht nur für die verdutzten<br />

Naturgesetze, die von natürlichen<br />

Grenzen ausgegangen<br />

waren. Auch unsere widerspenstigen<br />

Seelen müssen sich<br />

disziplinieren, um nicht auf dem<br />

Wachstumstugendpfad aus dem<br />

Tritt zu geraten. Länger und<br />

mehr arbeiten, weniger verdie-<br />

4 thema<br />

Urlaubseindrücke<br />

nen, aber mehr konsumieren, mehr sparen und<br />

mehr spenden, für Arme in Mali und Reiche am<br />

Comer See. Das fordert! Wenn es überfordert,<br />

machen wir Yoga, lassen uns coachen und buchen<br />

ein Wellness-Wochenende. Auch diese<br />

Reparaturversuche taugen als Wachstumsmotor,<br />

eine typische Win-Win-Situation. Jene, die<br />

uns diese Lebensweise als alternativlos vorbeten,<br />

wählen wir selber aus, alle vier Jahre oder<br />

manchmal häufiger.<br />

In Goethes „Faust“ heißt es: „Wer immer<br />

strebend sich bemüht, den können wir erlösen“.<br />

Wir erwarten keine Erlösung mehr, begnügen<br />

uns damit, immer besser und billiger<br />

werden zu müssen - eine Verheißung entfällt.<br />

Keine Religion könnte ihren Gläubigen so viel<br />

Demut und Dummheit abverlangen.<br />

Genug sinniert! Der Bus zurück hat feste<br />

Abfahrtszeiten, all inclusive. Unser Freund, der<br />

geheimnisvolle Käfer aus einer anderen Welt,<br />

ist in einer Erdspalte verschwunden, sein<br />

Kopfschütteln haben wir nicht mehr wahrgenommen.<br />

Reinhard Ziegler<br />

Grafik: Mester

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