Damals in Graz - Styriabooks.at
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Robert Engele<br />
<strong>Damals</strong> <strong>in</strong> <strong>Graz</strong><br />
E<strong>in</strong>e Stadt erzählt ihre Geschichten
Robert Engele<br />
<strong>Damals</strong> <strong>in</strong> <strong>Graz</strong><br />
E<strong>in</strong>e Stadt erzählt ihre Geschichten<br />
STYRIA
Inhalt<br />
Vorwort Seite 7<br />
Zum Ägydimarkt kam e<strong>in</strong>st halb Europa Seite 9<br />
Die „gema<strong>in</strong>en Weiber“ von <strong>Graz</strong> Seite 12<br />
Das Judenviertel im Herzen der Altstadt Seite 14<br />
E<strong>in</strong>e Falle für Andreas Baumkircher Seite 16<br />
Als der Papst noch Sekretär <strong>in</strong> <strong>Graz</strong> war Seite 19<br />
Das Bollwerk an des Reiches Grenzzaun Seite 22<br />
Der Kampf um die schöne Helena Seite 26<br />
Die vier R<strong>at</strong>häuser von <strong>Graz</strong> Seite 28<br />
„Confusion“ durch e<strong>in</strong>e neue Apotheke Seite 32<br />
„Auff, auff, ihr Christen gegen Pest und Türk!“ Seite 34<br />
Wo die Vogeljäger ihre Fallen stellten Seite 37<br />
Skandale und Randale <strong>in</strong> der Au Seite 40<br />
Herr Jacom<strong>in</strong>i kauft das Glacis Seite 44<br />
Der Schloßberg als Gefängnis Seite 47<br />
Die Nacht, <strong>in</strong> der Napoleon angriff Seite 51<br />
Andreas Hofers letzter Freund war e<strong>in</strong> <strong>Graz</strong>er Seite 58<br />
Kyselak war da –<br />
e<strong>in</strong> Biedermeier als Graffitikünstler Seite 61<br />
Wo früher der Holzmarkt war Seite 65<br />
1827 überflutete die Mur die halbe Stadt Seite 68<br />
Im Coliseum war immer etwas los Seite 71<br />
Das Eiserne Haus Seite 75<br />
Vom Ziegelteich zum mondänen Ausflugsziel Seite 78<br />
Erzherzog Johanns „Arznei-Rechnung“ Seite 81<br />
4
Hoteltradition seit dem Jahr 1574 Seite 85<br />
Alexander Girardi –<br />
vom Schlosser zum umjubelten Bühnenstar Seite 88<br />
Die Pr<strong>at</strong>o schreibt e<strong>in</strong>en Bestseller Seite 90<br />
Als Carl Kastner 1883 se<strong>in</strong>en Zug versäumte Seite 93<br />
E<strong>in</strong> Fiasko beendete die Träume<br />
von der Murschifffahrt Seite 96<br />
Mit e<strong>in</strong>em „Eselstrieb“ h<strong>at</strong> alles angefangen Seite 99<br />
Die Bierbarone von Re<strong>in</strong><strong>in</strong>ghaus<br />
Mit e<strong>in</strong>er Pferdestärke durch die Stadt<br />
Wie die „Narrischen mit ihren Bohnenstecken“<br />
im Stadtpark Fußball spielten<br />
Als die stummen Bilder laufen lernten<br />
Seite102<br />
Seite105<br />
Seite109<br />
Seite112<br />
Mit der roten Tram aufs Land Seite 117<br />
Der letzte Meister der Operette<br />
Wie das Radio <strong>in</strong> <strong>Graz</strong> erfunden wurde<br />
Die Renner-Buben auf luftiger Fahrt<br />
Vom Luxushotel zum E<strong>in</strong>kaufszentrum<br />
Der Kirschenrummel<br />
Die Februarkämpfe <strong>in</strong> Eggenberg<br />
Wie die Firmen „arisiert“ wurden<br />
Die erste Luftkriegstote im Zweiten Weltkrieg<br />
war e<strong>in</strong>e <strong>Graz</strong>er<strong>in</strong><br />
Thaliwood – als <strong>Graz</strong> Filmmetropole war<br />
Wie der Fasch<strong>in</strong>g nach <strong>Graz</strong> gekommen ist<br />
Der „wilde Hund“ aus <strong>Graz</strong> wird Weltmeister<br />
Register<br />
Seite120<br />
Seite122<br />
Seite124<br />
Seite132<br />
Seite134<br />
Seite137<br />
Seite140<br />
Seite144<br />
Seite148<br />
Seite151<br />
Seite153<br />
Seite156<br />
5
R<br />
Ballade aus der Schörgelgasse<br />
Durch die Schörgelgasse wandelt e<strong>in</strong> Mann,<br />
Der Koth reicht ihm bis ans Knie h<strong>in</strong>an.<br />
Da wandelt er muthig weiter noch –<br />
Da kommt se<strong>in</strong> Fuß <strong>in</strong> e<strong>in</strong> großes Loch!<br />
Und wie er sich will aus dem Loche befre<strong>in</strong>,<br />
Da s<strong>in</strong>kt er bis an die Weste h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.<br />
Vergebens ruft um Hilfe der Mann –<br />
Der Koth reicht ihm bis an die Kraw<strong>at</strong>te h<strong>in</strong>an!<br />
Noch e<strong>in</strong>en letzten Schmerzensschrei –<br />
Da verstummt er <strong>in</strong> dem unendlichen Brei.<br />
Wo die Hände noch rangen um Rettung zuvor,<br />
Da schaut jetzt nur noch der Stockknopf hervor.<br />
Doch im Lenz wächst e<strong>in</strong> Blümchen<br />
Auf jenem Fleck,<br />
Wo der Kühne se<strong>in</strong> Grab fand <strong>in</strong> Koth und <strong>in</strong> …<br />
Führt man nicht schnell<br />
e<strong>in</strong> besseres Pflaster e<strong>in</strong>,<br />
Wird die Straße bald voller Blümchen se<strong>in</strong>!<br />
Anonymus, 1887<br />
R<br />
6
Vorwort<br />
Am Anfang war die Er<strong>in</strong>nerung. An die Zeiten, als sich<br />
viermal im Jahr rund um den Augarten der Fetzenmarkt<br />
ausbreitete mit se<strong>in</strong>em pulsierenden Leben, den vielen<br />
Standln, dem Lärm ab fünf Uhr Früh, dem Gestank –<br />
und den verschlossenen E<strong>in</strong>gangstüren <strong>in</strong> die Häuser.<br />
Denn immer wieder h<strong>at</strong>ten Besucher des Marktes, aber<br />
auch Standler versucht, ihre Notdurft <strong>in</strong> den Stiegenhäusern<br />
der umliegenden Gebäude zu verrichten.<br />
Als K<strong>in</strong>d schon streunte ich stundenlang durch die Gassen<br />
und bestaunte Antiquitäten, Ramsch, alte Bücher<br />
und Micky Maus-Hefte, die man gegen e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Aufzahlung<br />
umtauschen konnte. Bald schon stand ich selbst<br />
mit Freunden, aber auch alle<strong>in</strong>, als Standler <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er der<br />
Nebengassen und verkaufte Heftln, alte Kleider und andere<br />
Kostbarkeiten. Dabei wurde die Freude an den alten<br />
D<strong>in</strong>gen immer größer, ich begann, alte Bücher und Ansichtskarten<br />
zu sammeln und mich für das alte <strong>Graz</strong> zu<br />
<strong>in</strong>teressieren. So war der Neigungshistoriker geboren.<br />
Als ich 2003 beruflich aus dem Verlag Styria <strong>in</strong> die Redaktion<br />
der Kle<strong>in</strong>en Zeitung wechselte, f<strong>in</strong>g ich an, e<strong>in</strong>e<br />
Reihe von Geschichten über das alte <strong>Graz</strong> zu schreiben,<br />
die nie veröffentlicht wurden. Im Herbst 2008 war die<br />
Zeit dafür reif, und die Serie „<strong>Damals</strong> <strong>in</strong> <strong>Graz</strong>“ begann<br />
Sonntag für Sonntag zu ersche<strong>in</strong>en. Aber ich habe für<br />
me<strong>in</strong>e Geschichten stets viel mehr M<strong>at</strong>erial und Bilder<br />
aus den Archiven ausgegraben, als <strong>in</strong> der Zeitung Pl<strong>at</strong>z<br />
f<strong>in</strong>den konnten. Und weil es doch jammerschade wäre<br />
um die vielen unbekannten Details, Inform<strong>at</strong>ionen,<br />
Anekdoten und Bilder, die der Öffentlichkeit verloren<br />
gegangen wären, entstand nun „<strong>Damals</strong> <strong>in</strong> <strong>Graz</strong>“ auch<br />
als Buch. Dafür danke ich me<strong>in</strong>en Chefs <strong>in</strong> der Kle<strong>in</strong>en<br />
Zeitung, dem Verlag Styria, me<strong>in</strong>er exzellenten Lektor<strong>in</strong><br />
Rosemarie Konrad, unserer kre<strong>at</strong>iven Grafiker<strong>in</strong> Andrea<br />
Malek – und allen Förderern von der Landesbibliothek<br />
bis zum Landesarchiv, von Peter Laukhardt über Rudolf<br />
W<strong>at</strong>z<strong>in</strong>ger bis zur Familie Karl Strohmayer und vielen<br />
anderen Informanten – durch ihre persönlichen Er<strong>in</strong>nerungen,<br />
Fotos und Inform<strong>at</strong>ionen erst haben sie diesem<br />
Buch die notwendige Würze verliehen.<br />
<br />
Robert Engele<br />
7
Bis zum Beg<strong>in</strong>n der Neuzeit fanden die Märkte <strong>in</strong> <strong>Graz</strong> nur auf dem Hauptpl<strong>at</strong>z und <strong>in</strong> der Herrengasse st<strong>at</strong>t, Kupferstich von Vischer, um 1680<br />
8
Zum Ägydimarkt kam e<strong>in</strong>st halb Europa<br />
Wohl die wenigsten Besucher des traditionellen Ägydimarkts<br />
auf dem Messeparkpl<strong>at</strong>z werden sich der ursprünglich<br />
großen Bedeutung dieses uralten Jahrmarkts<br />
bewusst se<strong>in</strong>. Aber man sollte den <strong>Graz</strong>er Fetzenmarkt<br />
nicht unterschätzen. Er h<strong>at</strong> se<strong>in</strong>e Wurzeln <strong>in</strong> den vier<br />
großen Jahrmärkten, die im Mittelalter – neben den normalen<br />
Tages- und Wochenmärkten – als ganz besonderes<br />
Marktprivileg vom Landesherrn an <strong>Graz</strong> vergeben<br />
wurden. Ja, die vier <strong>Graz</strong>er Jahrmärkte (Mittfastenmarkt<br />
im März, Portiunkulamarkt im August, Ägydimarkt im<br />
September und Andrämarkt im Dezember) zählten e<strong>in</strong>st<br />
sogar zu den wichtigsten Märkten der östlichen Alpenländer.<br />
Bei uns dürften derartige Jahrmarktfreiheiten<br />
bereits seit 1225 bestanden haben, schreibt Franz Jäger<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er <strong>Graz</strong>er „Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters“.<br />
Der Ägydimarkt knüpfte aber ursprünglich an den<br />
Kirchtag des <strong>Graz</strong>er Stadtp<strong>at</strong>rons, des hl. Ägydius, an,<br />
dem der <strong>Graz</strong>er Dom (früher Ägydikirche) geweiht ist.<br />
Se<strong>in</strong> Festtag fällt auf den 1. September.<br />
So e<strong>in</strong> Marktrecht h<strong>at</strong>te im Mittelalter e<strong>in</strong>e ganz besondere<br />
Bedeutung, dadurch wurden nämlich alle durchziehenden<br />
Händler gezwungen, ihre Waren auch <strong>in</strong> <strong>Graz</strong><br />
abzuladen und auf dem Marktpl<strong>at</strong>z (das war bis zum Beg<strong>in</strong>n<br />
der Neuzeit nur der Hauptpl<strong>at</strong>z samt Herrengasse<br />
und erstem Sack) zum Verkauf anzubieten. Nur an diesen<br />
speziellen Markttagen waren die ansonsten straffen<br />
Regeln und Gebote gelockert, Maut und Zölle wurden<br />
verr<strong>in</strong>gert oder gar aufgehoben, und auch der Verkauf<br />
von Waren im Kle<strong>in</strong>en war gest<strong>at</strong>tet. Damit wurden die<br />
Jahrmärkte n<strong>at</strong>ürlich schon sehr früh zum <strong>at</strong>traktiven<br />
Anziehungspunkt fremder Händler und gleichzeitig zur<br />
großen Attraktion für die <strong>Graz</strong>er Bürger. Während der<br />
kurzen Zeit der Jahrmärkte waren die Waren nämlich<br />
billiger und vielfältiger als im restlichen Jahr. Vor allem<br />
aber wurde auch reichlich Unterhaltung geboten, denn<br />
e<strong>in</strong> Jahrmarkt führte immer e<strong>in</strong>e große Zahl von Gauklern,<br />
Musikanten und anderen Vaganten mit sich – und<br />
hier erfuhr man stets die neuesten Nachrichten aus der<br />
ganzen Welt.<br />
Marie Therese Schwarz-Karsten zeichnete <strong>in</strong> den 1960er-<br />
Jahren für den Hörfunk unter dem Titel „Ägydimarkt als<br />
Vorläufer der <strong>Graz</strong>er Messe“ e<strong>in</strong> buntes Bild dieses fröhlichen<br />
Treibens um 1700: „Das ,Lumpenglöckl‘ im Uhrturm<br />
läutete <strong>in</strong> der Früh den Markt e<strong>in</strong>. Festlich gekleidet<br />
strömten die <strong>Graz</strong>er Bürger mit ihren Familien herbei.<br />
Am R<strong>at</strong>haus steckte zum Zeichen der Marktfreiheit e<strong>in</strong>e<br />
große hölzerne Hand mit e<strong>in</strong>em Schwert (heute noch<br />
im Stadtmuseum zu sehen). Der Hauptwachpl<strong>at</strong>z (heu-<br />
9
te Hauptpl<strong>at</strong>z) war erfüllt von Musik, Trommelwirbel,<br />
Trompetentönen und den Rufen der zahllosen Marktschreier<br />
und Ausrufer ... St. Pöltner Spitzen, Wollzeug<br />
aus L<strong>in</strong>z, böhmische Glaswaren, englisches Geschirr,<br />
Poudre de Paris, Damast aus Verona – alles wurde angeboten.“<br />
Von ungarischen Würsten über Pomeranzen<br />
aus Italien, Schuhschnallen, Rosenkränzen, bemalten<br />
Häferln bis zu Mäusefallen war alles zu kaufen <strong>in</strong> den<br />
rund 200 Marktbuden aus Holz. Glückslose wurden feilgeboten,<br />
sogar e<strong>in</strong>e „eiserne Frau“ tr<strong>at</strong> auf, die sich für<br />
zwei Kreuzer Ste<strong>in</strong>e auf dem Kopf zerschlagen ließ. Um<br />
21 Uhr war dann aber wieder Schluss, die Wasserbottiche<br />
zum Schutz gegen Feuersgefahr wurden vor den<br />
Buden aufgestellt, und das „Lumpenglöckl“ vom Schloßberg<br />
bimmelte wieder zur Torsperre.<br />
Fetzenmarkt im Augarten, 1968<br />
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts dauerten die großen<br />
Jahrmärkte <strong>in</strong> <strong>Graz</strong> schon jeweils drei Wochen lang –<br />
doch ab 1835 g<strong>in</strong>g es wieder langsam bergab mit ihnen,<br />
die Zahl der Kaufleute verr<strong>in</strong>gerte sich, der Warenabs<strong>at</strong>z<br />
g<strong>in</strong>g zurück. Der Handel beschränkte sich ja nun nicht<br />
mehr auf die Zeit der Jahrmärkte alle<strong>in</strong> – diese waren<br />
jetzt nicht mehr zeitgemäß, berichtet e<strong>in</strong> Zeitzeuge.<br />
Vor jedem Jahrmarkt waren e<strong>in</strong>st traditionsgemäß am<br />
Glacis auch immer Viehmärkte für Pferde und Hornvieh<br />
abgehalten worden. Und seit Beg<strong>in</strong>n des 19. Jahrhunderts<br />
fand nach den vier Jahrmärkten zwei Tage lang<br />
auch e<strong>in</strong> Fetzenmarkt st<strong>at</strong>t. Offensichtlich wurden da die<br />
Reste vom Feste günstig abgestoßen.<br />
Bis <strong>in</strong>s 20. Jahrhundert dehnten sich die Jahrmärkte<br />
noch zwei Kilometer lang über den Lend- und Grieskai<br />
aus, der Fetzenmarkt war <strong>in</strong> den anschließenden Seitengassen<br />
untergebracht. Als die Märkte aus verkehrstechnischen<br />
Gründen ab 1938 schließlich an den Rand des<br />
Augartens verlegt wurden, bedeutete dies das Ende der<br />
echten Märkte – übrig blieb schließlich nur der Fetzenmarkt<br />
als letzte Er<strong>in</strong>nerung an die früher so bedeutsamen<br />
Marktprivilegien des Mittelalters.<br />
Aber auch die Standortsuche für den Fetzenmarkt g<strong>in</strong>g<br />
weiter. Nach heftigen Bürgerprotesten wurde der Augarten<br />
wieder beruhigt und der Fetzenmarkt von 1973 bis<br />
1987 auf dem „Interkauf-Parkpl<strong>at</strong>z“ (heute Citypark) abgehalten.<br />
Seit diesem Zeitpunkt f<strong>in</strong>det er se<strong>in</strong>e Heimstätte<br />
auf dem Messeparkpl<strong>at</strong>z zwischen Münzgrabenstraße<br />
und Conrad-von-Hötzendorf-Straße.<br />
10
Fetzenmarkt am Lendpl<strong>at</strong>z.<br />
Markt auf dem Lendpl<strong>at</strong>z, um 1930<br />
11
Die „gema<strong>in</strong>en Weiber“ von <strong>Graz</strong><br />
Das lebenslustige Spätmittelalter nahm am ältesten Gewerbe<br />
der Welt, dem der „freien Frauen“, ke<strong>in</strong>en besonderen<br />
Anstoß – man förderte es vielmehr durch die E<strong>in</strong>richtung<br />
von Frauenhäusern. Schließlich warfen die für<br />
die Stadt <strong>Graz</strong> e<strong>in</strong>en ganz schönen Gew<strong>in</strong>n ab, auf den<br />
man ke<strong>in</strong>esfalls verzichten wollte.<br />
Auch Bäder waren damals e<strong>in</strong>e beliebte Stätte der freien<br />
Liebe und der Gelage. 1317 wird bereits e<strong>in</strong>e Badestube<br />
im Sack an der R<strong>in</strong>gmauer gegenüber dem Re<strong>in</strong>erhof erwähnt.<br />
In der B<strong>in</strong>dergasse ist 1359 e<strong>in</strong>e zweite mittelalterliche<br />
Badestube aktenkundig. Die Dirnen wurden als<br />
„vensterhennen“, „gema<strong>in</strong>e Weiber“ und „freie Töchter“<br />
bezeichnet. Kirche und Obrigkeit sahen die Prostitution<br />
als notwendiges Übel an, um die ehrsamen, frommen<br />
Frauen und Mädchen vor Ehebruch, Jungfrauenschändung<br />
und anderen Sünden zu beschützen. Die Ursachen<br />
für die weitverbreitete Prostitution <strong>in</strong> dieser Zeit waren<br />
meist im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und rechtlichen<br />
Bereich zu suchen. Denn die Mehrheit der Bevölkerung<br />
des Mittelalters war bitterarm, dazu kam e<strong>in</strong><br />
gewaltiger Frauenüberschuss im Spätmittelalter. Und:<br />
Handwerksgesellen, Knechten und Mägden blieb damals<br />
lebenslang die legitime Ehe versagt. Manche von<br />
ihnen g<strong>in</strong>gen zwar e<strong>in</strong>e feste Beziehung e<strong>in</strong>, die sie aber<br />
im Freien pflegen mussten, man sprach dann von e<strong>in</strong>er<br />
„Maien- oder Sommerehe“. Viele Männer aber waren auf<br />
die „gema<strong>in</strong>en Frauen“ angewiesen.<br />
Um 1490 – also etwa zur Zeit der Entdeckung Amerikas<br />
durch Kolumbus – wurden die <strong>Graz</strong>er Prostituierten im<br />
Haus des Hutmachers Re<strong>in</strong>perger <strong>in</strong> der heutigen Frauengasse<br />
untergebracht. Doch zur Zeit der Reform<strong>at</strong>ion<br />
war man wieder sittenstrenger geworden, und so verschwand<br />
das Frauenhaus um 1535 wieder. Doch was<br />
passierte? Es fand bloß e<strong>in</strong>e lokale Verschiebung st<strong>at</strong>t.<br />
„Nunmehr breitete sich das Laster <strong>in</strong> den Gassen aus<br />
oder fand Unterschlupf <strong>in</strong> Vorstadthäusern bei Kuppler<strong>in</strong>nen“,<br />
berichtet Fritz Popelka <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er „Geschichte<br />
der Stadt <strong>Graz</strong>“. Um 1607 war die Wohnung der Margarethe<br />
Khürchperger<strong>in</strong> und ihrer Tochter Anna, „die<br />
man sonst <strong>in</strong>gma<strong>in</strong> Duc<strong>at</strong>enmädl nent“, im Sack berüchtigt.<br />
Dort wurde „bißweillen die ganze Nacht ... tanzt<br />
und gesprungen“, auch kamen allerlei Raufhändel vor.<br />
1648 forderte die Regierung vom Stadtrichter, „lasterhafte<br />
Weibsbilder“ abzuschaffen, welche „bey Tag und<br />
Nacht junge Leith von Manßpersohnen zu sich lokhen,<br />
von allerhand Ippigkeiten ohne allen Scheuch und nit<br />
ohne ger<strong>in</strong>ger Ergernuß der Nachparschafften treiben“.<br />
1677 wurde die Maria Elisabeth Khräner<strong>in</strong>, weil sie<br />
„schlechte Leith und Mentscher“ bei sich beherbergte,<br />
aus der Stadt verwiesen, im Wiederholungsfall sollte<br />
12
sie an den Pranger gestellt und mit Ruten „ausgestrichen“<br />
werden.<br />
Die „der Unzucht verdächtigen Mentscher“ gaben als Erwerb<br />
häufig den Beruf von Wäscher<strong>in</strong>nen an. Dirnen,<br />
„leichtfertige Frauen“ oder Prostituierte wurden <strong>in</strong> <strong>Graz</strong><br />
zu Beg<strong>in</strong>n des 17. Jahrhunderts meist mit dem italienischen<br />
Ausdruck „P<strong>at</strong>anna“ bezeichnet. Solche Frauen,<br />
me<strong>in</strong>te schon 1649 der Stadtrichter Sartori, könnten sich<br />
bei den Verhören „maisterlich ausreden“, sodass kaum<br />
etwas aus ihnen herauszuholen wäre. Er rühmte sich<br />
aber, dass er die Stadt „von solchen Weibern so ziemlich<br />
gere<strong>in</strong>igt“ habe. Aber sie s<strong>in</strong>d alle wieder zurückgekommen.<br />
Unter ihnen fanden sich auch viele Witwen, die<br />
<strong>in</strong> äußerst ärmlichen Verhältnissen lebten, ebenso wie<br />
Frauen, die ihren Männern „entlaufen“ waren und nun<br />
selbst mühsam ums Überleben kämpften.<br />
1738 musste die K<strong>at</strong>har<strong>in</strong>a Neukircher<strong>in</strong> ihr Vergehen<br />
mit dem Tod büßen, weil sie trotz dreimaliger Verbannung<br />
nach <strong>Graz</strong> zurückkehrte. Ihr Gewerbe h<strong>at</strong>te sie<br />
zwölf Jahre mit e<strong>in</strong> oder zwei „gleich ges<strong>in</strong>nten Weibern<br />
auf der Gasse getrieben“, kurzzeitig h<strong>at</strong>te sie auch Unterschlupf<br />
<strong>in</strong> den kle<strong>in</strong>en Gasthäusern auf der Lend gefunden.<br />
Die Gegend um den Lend- und Griespl<strong>at</strong>z, beim<br />
Sigmundstadl und um Mariahilf war damals berüchtigt.<br />
Am meisten <strong>in</strong> Verruf aber stand das Andrägassl neben<br />
dem Barmherzigenkloster. Im 18. Jahrhundert genossen<br />
die Grünau und Schönau e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>schlägige Berühmtheit.<br />
„Dort versammelten sich des Nachts herumvagierende<br />
Buhler <strong>in</strong> weißen Mänteln und gaben sich e<strong>in</strong> Stelldiche<strong>in</strong><br />
mit leichtfertigen Weibern. In den Stadtgassen g<strong>in</strong>g<br />
es <strong>in</strong> der Nacht aber nicht viel besser zu“, berichtet Popelka.<br />
Oft fanden mit „W<strong>in</strong>dliechtern vorbeyfahrende oder<br />
gehende Leithe“ <strong>in</strong> W<strong>in</strong>keln verkrochene, mit Mänteln<br />
zugedeckte Menschen vor, welche „Ärgernis erregten“.<br />
Daher g<strong>in</strong>gen immer wieder Verordnungen der Regierung<br />
an den Stadtrichter, doch gegen das „hohe Verbrechen“<br />
des Ehebruchs vorzugehen. Aber solche „öffentlichen<br />
Ärgernisse“ wurden <strong>in</strong> der täglichen Praxis meist<br />
als Kavaliersdelikte abgetan – bei den Männern. Frauen<br />
h<strong>in</strong>gegen wurden zumeist schwer bestraft.<br />
13