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Klausur 2, LK 12/1 - Sw-cremer.de

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»Ein absur<strong>de</strong>s Verständnis von Wirtschaft«<br />

Wie schafft Deutschland <strong>de</strong>n Aufschwung? Nur mit einer undogmatischen Wirtschaftspolitik, sagt Jim O’Neill,<br />

Chefvolkswirt <strong>de</strong>r US-Investmentbank Goldman Sachs. Ein ZEIT-Gespräch über Steuerschecks, Staatsschul<strong>de</strong>n und das<br />

Weltbild <strong>de</strong>utscher Ökonomen<br />

DIE ZEIT: Mister O’Neill, <strong>de</strong>r Ölpreis steigt und steigt, überall sinken die Aktienkurse. Steht die Welt mit einem Bein<br />

in <strong>de</strong>r nächsten Rezession?<br />

Jim O’Neill: So weit ist es noch lange nicht. Allerdings sind wir an einem Wen<strong>de</strong>punkt. In <strong>de</strong>n Vereinigten Staaten<br />

schwächt sich das Wachstum schon wie<strong>de</strong>r ab, ich rechne dort <strong>de</strong>mnächst nur noch mit drei Prozent. Das wird viele<br />

Investoren enttäuschen und <strong>de</strong>n Rückzug aus <strong>de</strong>m Dollarraum antreten lassen. Der Dollar gerät dann unter Druck.<br />

ZEIT: Welche Folgen hat das für Europa?<br />

O’Neill: Keine guten. Ich gehe davon aus, dass <strong>de</strong>r Euro weiter aufwertet. Noch vor En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jahres wird <strong>de</strong>r Kurs <strong>de</strong>s<br />

Euro bei 1,32 Dollar stehen.<br />

[...]<br />

ZEIT: Und Deutschland?<br />

O’Neill: Wird dann große Probleme bei <strong>de</strong>n Exporten bekommen. Deshalb müssen sich die Deutschen so rasch wie<br />

möglich von ihrer Exportabhängigkeit befreien und die Binnennachfrage stärken.<br />

ZEIT: Die meisten <strong>de</strong>utschen Ökonomen sehen <strong>de</strong>n Handlungsbedarf nicht auf <strong>de</strong>r Nachfrageseite <strong>de</strong>r Volkswirtschaft,<br />

son<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>r Angebotsseite – und for<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>shalb noch weitergehen<strong>de</strong> Strukturreformen, etwa am Arbeitsmarkt.<br />

O’Neill: Natürlich sind Strukturreformen wie die Agenda 2010 enorm wichtig. Aber ich halte auch längere Arbeitszeiten<br />

für eine gute Sache. Einer <strong>de</strong>r Hauptgrün<strong>de</strong>, warum die US-Wirtschaft in <strong>de</strong>n vergangenen zehn Jahren so gut<br />

abgeschnitten hat, ist die längere Jahresarbeitszeit. O<strong>de</strong>r nehmen Sie die La<strong>de</strong>nöffnungszeiten. Warum wer<strong>de</strong>n die in<br />

Deutschland nicht freigegeben? Ich war gera<strong>de</strong> auf Korsika im Urlaub. Das ist verrückt mit diesen La<strong>de</strong>nöffnungszeiten<br />

in Kontinentaleuropa! Europa kann sein Wachstumspotenzial nur steigern, wenn alte Verkrustungen aufgebrochen<br />

wer<strong>de</strong>n. Kurzfristig allerdings helfen längere Arbeitszeiten bei einer Konsumschwäche wie in Deutschland nicht weiter.<br />

Neue Jobs entstehen dadurch erst einmal nicht. Deshalb müssen die Reformen flankiert wer<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>n Konsum<br />

anzukurbeln. Und zwar am besten mit einer fantasievollen Fiskalpolitik.<br />

ZEIT: Das heißt konkret?<br />

O’Neill: Weil die Reichen von ihrem Einkommen relativ weniger für Konsum ausgeben als die Armen, muss die<br />

Fiskalpolitik bei <strong>de</strong>n unteren Einkommensgruppen ansetzen. Dieser Aspekt wird von vielen <strong>de</strong>utschen Ökonomen und<br />

Politikern vernachlässigt.<br />

ZEIT: Warum?<br />

O’Neill: Ich war vor ein paar Wochen in Berlin. Da ging es um ein effizienteres Steuersystem, das das Wachstum<br />

för<strong>de</strong>rt. Erst dachte ich, ich habe die Vorschläge nicht richtig verstan<strong>de</strong>n. Doch bald wur<strong>de</strong> mir das absur<strong>de</strong> Verständnis<br />

von Makroökonomie klar. Wir haben tatsächlich ernsthaft diskutiert, ob man nicht die Unternehmensteuern senken und<br />

im Gegensatz die Umsatzsteuer anheben sollte. Da haben die Unternehmerverbän<strong>de</strong> gute Lobby-Arbeit geleistet. Aber<br />

dass es überhaupt diskutiert wird, ist wirtschaftspolitisch nicht zu En<strong>de</strong> gedacht. Dann können sich die <strong>de</strong>utschen<br />

Konsumenten noch weniger kaufen. Eine höhere Umsatzsteuer wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Volkswirtschaft endgültig <strong>de</strong>n Garaus machen.<br />

In Deutschland sind die Einzelhan<strong>de</strong>lsumsätze im zweiten Quartal dieses Jahres inflationsbereinigt so gering gewesen<br />

wie seit zehn Jahren nicht mehr.<br />

ZEIT: Wenn Finanzminister Eichel die Staatskasse öffnet, bekommt er doch gleich doppelt Probleme: mit <strong>de</strong>r<br />

Opposition in Berlin, die ihn als Schul<strong>de</strong>nmacher brandmarkt. Und mit Brüssel, weil er dann gegen <strong>de</strong>n Stabilitätspakt<br />

verstößt.<br />

O’Neill: In dieser Kritik steckt ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Denkfehler. Man kann nicht gleichzeitig die Staatshaushalte<br />

konsolidieren und <strong>de</strong>m Volk schmerzhafte Strukturreformen zumuten, selbst wenn diese sinnvoll sind.

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