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Herunterladen - Bundesverband Deutsche Tafel e.V.

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»Die <strong>Tafel</strong> hat<br />

mich gerettet«<br />

Die große<br />

Verschwendung<br />

Bärbel Mallmann stand mitten im Leben. Mit 47 Jahren wurde sie<br />

obdachlos. Die Wuppertaler <strong>Tafel</strong> gab ihr neuen Lebensmut – und<br />

16 Jahre lang Arbeit.<br />

Lebensmittel sind zu wertvoll, um weggeworfen zu werden. Und doch gehen<br />

laut der Ernährungsorganisation der UN (FAO) rund 50 Prozent der globalen<br />

Lebensmittelproduktion verloren.<br />

Text: Anke Assig | Fotografie: wuppertaler tafel<br />

Text: Anke Assig | Fotografie: Rheinbacher <strong>Tafel</strong><br />

Am Telefon klingt Bärbel Mallmann (62) wie<br />

jemand, den kaum etwas umhauen kann.<br />

Mit tiefer, ruhiger Stimme erzählt sie von<br />

sich. Sie lacht immer wieder, wenn sie sich<br />

an das Auf und Ab in ihrem Leben erinnert.<br />

1995 deutet nichts darauf hin, dass es<br />

mal richtig schwierig werden würde für sie.<br />

Bärbel Mallmann ist 46 Jahre alt und arbeitet<br />

seit fast 32 Jahren als Industriekauffrau<br />

bei Siemens. Hier hat die gebürtige Wuppertalerin<br />

mit 15 ihre Ausbildung gemacht,<br />

hier wollte sie bis zur Rente bleiben. Um ihre<br />

Chancen zu verbessern, qualifiziert sie sich<br />

zusätzlich als Außenhandelskauffrau. Arbeit,<br />

Einkommen, Freunde – alles im Lot.<br />

Doch dann soll sie in eine weit entfernte<br />

Stadt versetzt werden. Sie lehnt ab – und begeht<br />

»den Fehler ihres Lebens«. Sie kündigt,<br />

meldet sich aber nicht arbeitslos. »Wer arbeiten<br />

will, der findet auch Arbeit«, davon war<br />

sie überzeugt. Doch es kam anders. Schneller<br />

als gedacht, war die Abfindung aufgebraucht.<br />

Die Jobsuche blieb erfolglos, die Kosten für<br />

den Lebensunterhalt blieben. Bärbel Mallmann<br />

kann ihre Miete nicht mehr bezahlen<br />

und steht eines Tages ohne Wohnung da. Zuerst<br />

wohnt sie bei Geschwistern und Freunden<br />

– eine belastende<br />

Situation für<br />

beide Seiten. 1996<br />

verbringt sie ihre<br />

erste Nacht in einem<br />

Obdachlosenheim. »Das ist das Ende«, denkt<br />

sie. Die Sozialarbeiter in der Herberge sehen<br />

das anders. Sie kümmern sich um sie und<br />

gehen mit ihr auf Wohnungssuche. Bärbel<br />

Mallmann ist wie gelähmt. Hoffnung hat sie<br />

in dieser Zeit nicht.<br />

Das ändert sich, als Wochen später Ehrenamtliche<br />

der noch jungen Wuppertaler<br />

<strong>Tafel</strong> im Heim auftauchen. »Sie haben<br />

gefragt, wer Lust hat, bei der <strong>Tafel</strong> mitzuhelfen«.<br />

Bärbel Mallmann hatte Lust. Am<br />

13. September 1996, einem Sonntag, früh um<br />

7.00 Uhr, gibt sie das erste Mal Frühstück<br />

für andere bedürftige Wuppertaler aus. Sie<br />

»Das ist das Ende«<br />

schmiert Brötchen, spült Geschirr, kocht, redet<br />

mit den <strong>Tafel</strong>-Gästen. »Das hat mir gutgetan«,<br />

erinnert sie sich. Und auch sie tut<br />

der <strong>Tafel</strong> gut, arbeitet sich immer weiter ein,<br />

baut die <strong>Tafel</strong> mit auf. Sechs Tage die Woche.<br />

Nach einem Jahr ehrenamtlicher Mitarbeit<br />

wird sie als ABM-Kraft eingestellt. Ein weiteres<br />

Jahr später (1998) bekommt sie einen<br />

unbefristeten Vertrag für eine volle Stelle als<br />

Bürokraft bei der Wuppertaler <strong>Tafel</strong>. Bärbel<br />

Mallmann packt<br />

an, wo immer es<br />

nötig ist: Sie plant<br />

die Touren, wirbt<br />

um Ehrenamtliche,<br />

betreut Menschen, die Sozialstunden<br />

ableisten und kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit.<br />

16 Jahre lang, fünf Tage die<br />

Woche hauptamtlich und zusätzlich jeden<br />

Samstag ehrenamtlich. Berührungsängste<br />

mit Bedürftigen hat sie schon lange nicht<br />

mehr: »Es soll niemand sagen‚ ›so etwas<br />

kann mir nicht passieren‹«.<br />

»Die <strong>Tafel</strong> hat mich gerettet«, davon ist<br />

sie überzeugt. Für Bärbel Mallmann war sie<br />

Chance und Schicksal zugleich. Hier hat sie<br />

nicht nur Arbeit, sondern vor 15 Jahren auch<br />

ihren Lebensgefährten kennen gelernt.<br />

Im Januar hat sich Bärbel Mallmann in<br />

den Ruhestand ver abschiedet. Sie freut sich:<br />

»Jetzt habe ich wieder mehr Zeit zum Lesen<br />

und Stricken.« Der <strong>Tafel</strong> bleibt sie weiter<br />

treu. Dreimal wöchentlich ist sie jetzt da,<br />

ehrenamtlich.<br />

<strong>Tafel</strong>n als Arbeitgeber<br />

Die <strong>Tafel</strong>n können Armut häufig nur lindern und Mut<br />

machen. Oft sind sie aber mehr als nur Lebensmittel-<br />

Verteiler. Viele sind auch Arbeitgeber und Ausbildungsbetriebe.<br />

Tausende Frauen und Männer sind<br />

bundesweit bei den <strong>Tafel</strong>n bzw. deren Trägern angestellt.<br />

Die tafeln u. a. in Gütersloh, Lingen, Wetzlar<br />

und Singen bilden sogar selbst aus und bereiten junge<br />

Menschen auf den Weg in den Beruf vor.<br />

»Das hat mir gutgetan«<br />

Unfassbar große Mengen von Lebensmitteln landen weltweit im Müll. Die Gründe sind vielfältig.<br />

Es waren nur ein paar hundert Leute, die bei der Berlinale 2011 in<br />

der Rubrik »Kulinarisches Kino« einen Film mit dem Namen »Taste<br />

the waste« sahen. Der Filmemacher Valentin Thurn war in mehrere<br />

Länder der Welt gereist, um die globale Lebensmittelverschwendung<br />

zu dokumentieren. Nachdem der Film im Fernsehen zu sehen war,<br />

kannten Millionen Zuschauer die verstörenden Bilder: Gigantische<br />

Mengen von völlig einwandfreien Nahrungsmitteln wurden direkt<br />

auf dem Feld oder in den Supermärkten und Restaurants der reichen<br />

Industrieländer entsorgt.<br />

Für die <strong>Tafel</strong>-Aktiven war und ist der Umgang mit Überfluss<br />

nicht neu. Sie setzen sich schließlich seit 20 Jahren Tag für Tag dafür<br />

ein, große Mengen Lebensmittel vor der Vernichtung zu bewahren.<br />

Doch das Ausmaß der Lebensmittelüberschüsse hierzulande war<br />

auch für sie schlicht nicht zu beziffern. Verschiedene Studien haben<br />

seither Licht in dieses Dunkel gebracht.<br />

Ursachen der Verschwendung weltweit<br />

Die FAO hat die Ursachen der globalen Lebensmittelverschwendung<br />

untersucht. In den Entwicklungsländern entstehen die meisten Verluste<br />

vor allem durch mangelhafte Lagerung, beim Transport sowie<br />

durch unzureichende Verpackung oder Verarbeitung. Geschätzte<br />

24 Menschen<br />

feedback Ausgabe 01.2013<br />

feedback Ausgabe 01.2013 Lebensmittel 25

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