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Gemeinschaftwärmt Editorial

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1079<br />

©2008 Schattauer GmbH<br />

Gemeinschaft wärmt<br />

Metaphern und Körperlichkeit (I)<br />

<strong>Editorial</strong><br />

Es geht imFolgenden nicht darum,<br />

dass ein Mensch etwa 100 Watt<br />

Heizleistung hat und es daher eine<br />

gute Idee sein kann, bei einem Ausfall der<br />

Heizung eine Party mit möglichst vielen<br />

Leuten zuschmeißen: 20 Leute bekommen<br />

einen Raum mittlerer Größe ebenso gut<br />

warm wieein 28000WattHeizlüfter,spielt<br />

man nochdazu heiße Musik(sic!) und wird<br />

getanzt, geht es nochschneller.Aberdarum<br />

geht es hier nicht.<br />

Für unser Empfinden gehen Gemeinschaft<br />

und Wärme ebenso einher wie Einsamkeit<br />

undKälte:Eine offene,großzügige,<br />

umgängliche und freundliche Person, die jeder<br />

kennt, wird von uns ganz allgemein als<br />

warm bezeichnet, der abweisende, harsche,<br />

egoistische Einzelgänger dagegen als kalt.<br />

Unsere Sprache istvoll vonentsprechenden<br />

Beispielen für die Verbindungvon Einsamkeit<br />

mit Kälte und Gemeinschaft mit Wärme.<br />

Wiekommen wirzusolchenMetaphern?<br />

Seit geraumer Zeit wird die Idee diskutiert,<br />

dass Metaphern zwar einerseits komplexe<br />

Gedankengefüge darstellen, die wir andererseitsabergeradeaufgrund<br />

ihrer Komplexitätnur<br />

schwer mit Worten belegenkönnen<br />

und deswegen ein einfaches Wort aus einer<br />

ganz anderen Kategorie verwenden (7, 8).<br />

So sprechen wirvon „heißer“ Musik, und es<br />

istzunächst einmal garnicht so klar,was wir<br />

Für unser Empfinden gehen Gemeinschaft<br />

und Wärme ebenso einher<br />

wie Einsamkeit und Kälte.<br />

Nervenheilkunde 2008; 27: 1079–1082<br />

damit meinen. Bedenkt man jedoch, dass<br />

manmöglicherweiseins Schwitzen kommt,<br />

wenn man sich zu dieser Musikbewegt(wozu<br />

sie animiert), sowird die Sache sofort<br />

klar.Umgekehrtjagtuns ein„eisiger“ Blick<br />

vielleicht Angstein unddiese machtuns eine<br />

Gänsehaut, die wir ansonsten vom Frierenher<br />

kennen.<br />

Unser Denkenist keineswegssofreivon<br />

unserer Körperlichkeit, wiewir dieszuweilengerne<br />

annehmen (19). Ja, die Gedanken<br />

sind einerseits durchaus frei und ich kann<br />

denken,was ichwill, wieschon dasschöne<br />

Volksliedsagt. Wenn ich aber denCharakter<br />

Unser Denken ist keineswegs so frei<br />

von unserer Körperlichkeit, wie wir dies<br />

zuweilen gerne annehmen.<br />

einerzufällig ausgewähltenanderenPerson<br />

beschreibensoll und dabeieine warmeTasse<br />

Kaffee inder Hand halte, beschreibe ich<br />

die Person alsfreundlicher, alswennich gerade<br />

kalten Kaffeeinder Handhabe(20).<br />

Man versteht diese Eigenschaft der<br />

menschlichen Informationsverarbeitung<br />

heute im Grunde rechtgut: Unser Gehirnist<br />

modularaufgebaut, dasheißt, es enthält einzelne<br />

Bereiche derGehirnrinde, die aufbestimmte<br />

Aspekteder Verarbeitung vonRealität<br />

spezialisiert sind: Farben, Bewegungen,<br />

Gesichter, Laute, Berührungen, Gerüche,<br />

Objekte, Landschaften. Zugleich sind<br />

diese Module jedoch untereinander vernetzt.<br />

Die Informationen fließen dabei in<br />

beide Richtungen, also wenn Areal Avon<br />

Areal B Informationen bekommt, dann<br />

schickt es meistens auch Informationen an<br />

ArealBzurück. Dieses Hinund Herder Informationen<br />

ist die Verarbeitung, das heißt,<br />

zentralnervöse Informationsverarbeitung<br />

besteht nicht darin, dass einzelne Module<br />

erst für sich arbeiten und dann ihre Ergebnisse<br />

weiterschicken. Vielmehr gehen sie<br />

miteinander von Zustand AinZustand B<br />

über. Man kann dieseZustände alsEnergielandschaftenmit<br />

Bergen und Tälern darstellen,<br />

aufdenen eine Kugelrollt, bis sieineinemTal<br />

angekommen und ihre Lage stabil<br />

ist. Sehrviele Phänomene bzw. unbewusste<br />

Prozesse finden durch diese Mechanismen<br />

eine einfacheErklärung (9–17).<br />

Die Auswirkungen der starken Vernetzung<br />

der einzelnen Module lässt sich mitt-<br />

Nervenheilkunde12/2008


1080<br />

<strong>Editorial</strong><br />

lerweile neurowissenschaftlich immer besser<br />

nachweisen:Für dasvisuelle System ist<br />

eindeutig nachgewiesen, dass „höhere“ visuelle<br />

Areale Einflüsse auf „niedere“ visuelle<br />

Areale haben und deren Aktivierung<br />

beim Wahrnehmungsvorgang mit strukturieren(16).<br />

Ein weiteres schönes Beispiel haben<br />

Haukund Mitarbeiter(6) publiziert. Verstehe<br />

ich das Wort „Treten“, dann lässt sich<br />

neuronale Aktivität über diejenigen Bereicheder<br />

Gehirnrindenachweisen,die fürdie<br />

Beine im Hinblick auf Motorik und Sensorik<br />

zuständig sind. Konfrontiert mit dem<br />

Wort „Greifen“ liegt die Aktivität auf den<br />

sensomotorischen kortikalenKartenimBereich<br />

der Hand und konfrontiert mit dem<br />

Wort „Schlecken“liegt die AktivitätimBereichvon<br />

Lippenund Zunge (Abb.1). Es ist<br />

also nicht so,dass beim Verstehenvon Sprachenur<br />

Bereiche desGehirns aktivsind,die<br />

für die Verarbeitung akustischer Signale,<br />

vom Hören von Frequenzen über Laute,<br />

Wörter bis zu Bedeutungen, zuständig sind.<br />

Vielmehr reicht die Aktivitätauchbis hin zu<br />

Bereichen des Gehirns, die weder für das<br />

Hörennochfür dasSprachverstehenzuständig<br />

sind, sondern die Körperteile kodieren,<br />

um die es geht. DasLesen desWortes „Treten“<br />

aktiviert Motorprogramme des Beines<br />

So wie semantische Repräsentationen<br />

sensomotorische Repräsentationen<br />

aktivieren und Verhalten beeinflussen<br />

können, können motorische Repräsentationen<br />

Bewertungen beeinflussen.<br />

Nervenheilkunde12/2008<br />

Abb. 1 Gehirn vonlinksdargestellt mit schematisch eingezeichneter<br />

Lage der Repräsentation vonBein, Hand und<br />

Mund. Beim Verstehen von bein- (rot), arm- (blau) und<br />

mundbezogenen (grün) Wörtern werden die entsprechenden<br />

Bereiche aktiviert.Das Experiment wurde in englischer<br />

Sprachedurchgeführt, was den Vorteilhatte,dassdie Wörter<br />

sehr ähnlich klingen und damit andere Erklärungen<br />

(der jeweils andereKlang wurde anderswo verarbeitet) unwahrscheinlichsind<br />

(nach 6).<br />

Abb. 2 Wie sehr mögen Menschen, die gut auf der Tastatur<br />

tippen können, Buchstabenkombinationen mehr, die<br />

einfach zu tippen sind.Lautetdie Aufgabe einfach nur (grüne<br />

Säulen):„WelchesBuchstabenpaar mögen Sielieber:FV<br />

oder CJ?“, dann zeigte sich eine Präferenzfür dieleichter zu<br />

tippenden Paare,das heißt, sie wurden signifikant(*) häufiger<br />

ausgewählt. Die Zufallswahrscheinlichkeit entspricht<br />

bei einer Auswahl auszwei Alternativen0,5, eine Vorliebe<br />

oder Abneigung dagegen einer signifikanten Abweichung<br />

von0,5. Probanden,die nicht Tippen können, zeigtenkeine<br />

signifikanten Abweichungen vom Zufallswert 0,5(dieseDaten<br />

sind nicht dargestellt). Müssen die Probanden, die gut<br />

Maschine schreiben können, jedoch mit den fürdas Tippen<br />

eines der beiden zu beurteilenden Buchstabenpaare zu verwendenden<br />

Fingern gleichzeitig auf der Tastatur tippen<br />

(Doppelaufgabe, rote Säulen) ist der Effekt verschwunden<br />

(Experiment 1). Wird hingegen mit Fingern getippt, die<br />

nicht an der Ausführung der zu beurteilenden Buchstabenpaare<br />

beteiligtsind,ist diePräferenz für einfach zu tippende<br />

Kombinationenauch bei der Doppelaufgabe vorhanden<br />

(nach 3, S. 54, Fig. 2).<br />

bzw. mögliche Empfindungen im Bein.<br />

Man bewegt nichts und spürtnichts,abereine<br />

Voraktivierung besteht dennoch und<br />

kann durchaus Effekte haben auf nachfolgendesVerhalten.<br />

Daher laufen wir jaauch<br />

nachgewiesenermaßenlangsamer,wennder<br />

Begriff „Alter“ in unserem Gehirn (ohne<br />

Wissen der Versuchspersonen) voraktiviert<br />

wurde (1).<br />

Eine schöne Studie hierzu wurde schon<br />

vor fast 20 Jahren publiziert (18). Menschen,die<br />

aufder Schreibmaschine flott waren<br />

und über jede Menge Erfahrungen mit<br />

demTippen verfügten, wurden gefragt, welche<br />

von zwei Buchstabenkombinationen<br />

(beispielsweiseFVoderFJ) ihnen ganz einfach<br />

besser gefällt. Sie sollten diese Entscheidung<br />

spontan fällen. Eswurde keine<br />

Beziehung zurSchreibmaschine hergestellt,<br />

ging esdoch einfach nur darum, welches<br />

Buchstabenpaar den Probanden irgendwie<br />

lieber war.<br />

Es zeigte sich, dass sieBuchstabenpaare<br />

bevorzugten, die sich mit zwei Fingern tippen<br />

lassen, imVergleich zuBuchstabenkombinationen,<br />

bei denen man mit einem<br />

Finger beide Buchstaben schreiben muss,<br />

was beim Maschineschreiben schwieriger<br />

geht. Anfänger im Maschineschreibenzeigten<br />

im gleichenTest keine Vorliebe für entsprechende<br />

Buchstabenkombinationen. Alle<br />

Versuchspersonen wurden hinterher gefragt<br />

und konnten sich ihre Bevorzugung<br />

bestimmter Buchstabenkombinationen gegenüberanderennicht<br />

erklären.<br />

Geht man aber davonaus,dass die Wahrnehmung<br />

vonzweiBuchstabenbei erfahrenenSchreibmaschinenschreibern<br />

die jeweiligenMotorprogramme<br />

zumAusführen der<br />

Buchstaben auf der Schreibmaschine aktiviert<br />

und dass es Interferenzen zwischen<br />

den Motorprogrammen für Buchstaben<br />

gibt, die mit dem gleichen Finger zu tippen<br />

sind, soerklärt sich die Bevorzugung von<br />

Buchstabenpaaren, deren Ausführung gewissermaßen<br />

„keine Umstände“ macht (zu<br />

keinerInterferenz führt),automatisch.<br />

Um den Zusammenhang zwischen motorischem<br />

System und der Zuneigung oder<br />

Abneigung zu Buchstabenpaaren noch genauer<br />

aufzuklären, wurden 2007 zwei weitere<br />

Experimente unter Verwendung der<br />

Methode der Doppelaufgabe (Dual Task)<br />

publiziert (3). Die Untersuchungen wurde<br />

wieder anerfahrenen Maschinenschreibern<br />

(Experiment 1:n=28; Experiment 2: n=<br />

20) und Anfängern (Experiment 1:n=16;<br />

Experiment 2: n=22) durchgeführt. Die<br />

Versuchspersonen mussten mit ihren Fingern<br />

bestimmte Tasten drücken, während<br />

siewiederumzuentscheiden hatten,welche<br />

von zwei Buchstabenkombinationen ihnen<br />

besser gefällt. Hierbei handelt es sich entweder<br />

umBuchstabenkombinationen, die<br />

mitdem gleichenFinger dergleichenHand<br />

eingetippt werden (z. B. FV) oder die mit<br />

unterschiedlichen Fingern jeweils unterschiedlicherHände<br />

eingetippt werden(z. B.<br />

CJ). DasExperiment 1war so angelegt, dass<br />

die Fingersolche Tasten drückten, die beim<br />

Schreibenjeweils einesder beiden Buchstabenpaareinvolviertwaren.InExperiment<br />

2<br />

war die nicht der Fall. Hier wurden zwar<br />

auch Tasten auf derTastatur gedrückt, während<br />

das bevorzugte Buchstabenpaar auszusuchen<br />

war, es handelte sich aber nicht


1081<br />

<strong>Editorial</strong><br />

um solche Tasten, die mit den beim Tippen<br />

der Buchstaben des einen der beiden Paare<br />

verwendet werden. Zur Kontrolle mussten<br />

sie nur die Aufgabe der Bewertung (ohne<br />

das Drücken von Tasten der Tastatur), also<br />

eine einfache Aufgabe (und keine Doppelaufgabe)ausführen.<br />

Die Logik hinter diesem Experiment war<br />

einfach: Bei der einfachen Aufgabe sollte<br />

man die Präferenz für nicht interferierende<br />

Buchstabenpaare immer beobachten können.<br />

Wenn bei der Doppelaufgabe das tatsächliche<br />

Tippen mit der Hand motorische<br />

Systemebeansprucht, die ansonsten für die<br />

Beurteilung derPräferenz für daseine oder<br />

andere Buchstabenpaar mit herangezogen<br />

worden wären, sollte die Präferenz nicht<br />

mehr vorhanden sein. Genau dies war der<br />

Fall (Abb.2). Ganz offenbarsind also nicht<br />

einfach „motorische Bereiche“, sondern<br />

ganz spezifische Repräsentationen beteiligt.<br />

Wurdenandere Fingerzum Tippenverwendet<br />

als diejenigen, die man brauchen<br />

würde, um eines der beiden zu beurteilenden<br />

Buchstabenpaare zutippen (wie in Experiment<br />

2der Fall), war die Präferenz für<br />

die einfacher zu tippenden Buchstabenpaare<br />

wieder da. Bei Probanden, die nicht mit<br />

derSchreibmaschine umgehenkonnten, des<br />

schnellenTippensalsonicht mächtig waren,<br />

war dieser Effekt insgesamt nicht vorhanden.<br />

Ebenso wie semantische Repräsentationen<br />

sensomotorische Repräsentationen<br />

aktivieren und Verhalten beeinflussen können,<br />

können also auch motorische Repräsentationen<br />

Bewertungenbeeinflussen.<br />

Doch zurückzur Wärme undKälte.Zwei<br />

Psychologenander Universitätvon Toronto<br />

gingen kürzlich der Frage nach, obesauch<br />

Bahnungsphänomene zwischen der Erfahrung<br />

sozialer Kälte/Wärme einerseits und<br />

der Bevorzugung tatsächlicher, physikalischer<br />

Kälte/Wärme andererseitsgibt (21).<br />

Man verwendete das Paradigma des gemeinsamen<br />

Ballspielens,das auch schon für<br />

entsprechende Neuroimaging-Studien zur<br />

Einsamkeit verwendet wurde (5). Danach<br />

wurdendie Studenten nicht nach derRaumtemperatur<br />

befragt, sondern es wurde wiederum<br />

aktuelles Verhalten gemessen: Man<br />

bot ihnen verschiedene Speisen und Getränke<br />

an,bei denenessichentweder um warme<br />

(Kaffee, Suppe) oder kalte Speisen (Coca-<br />

Cola, ApfeloderKräcker)handelte.<br />

Abb. 3<br />

Erwünschtheit warmer und<br />

kalter Speisen und Getränke<br />

nach sozialer Ablehnung<br />

oder Annahme. (*) In<br />

der Varianzanalyse ergab<br />

sich eine signifikante Interaktion<br />

zwischen der Experimentalbedingung<br />

(Ablehnung<br />

oder Annahme)und<br />

der Bevorzugung warmer<br />

bzw. kalter Speisen (nach<br />

Daten aus21, Fig. 1).<br />

Insgesamt52Studentennahmenandem<br />

Experiment teil. Ihnen wurde gesagt, dass<br />

sie an verschiedenen Experimenten, die<br />

nichts miteinanderzutun haben, teilnehmen<br />

würden. Zunächst mussten die Versuchspersonen<br />

virtuell Ball spielen, wobei sie mit<br />

drei anderenTeilnehmern, die vermeintlich<br />

online mit ihrem Computer verbunden waren,<br />

spielten. Tatsächlich jedoch waren die<br />

Soziale Wärme ist also offenbar nicht<br />

heiß genug, als dass sie Hunger oder<br />

Durst auf etwas Kaltes machen würde.<br />

anderen Spieler durch ein Computerprogrammnur<br />

simuliert.Die Teilnehmerunterlagen<br />

dann via Zufallszuteilung einer von<br />

zwei experimentellen Bedingungen: Entweder<br />

das Spiel ging seinen gewohnten Gang<br />

und man warf sich den Ball virtuell gegenseitig<br />

zu (sozialer Einschluss); oder nach<br />

zwei Würfenwurde dembetreffendenSpieler<br />

der Ball von den anderen Spielern nicht<br />

mehr zugeworfen (sozialer Ausschluss).<br />

Danach wurden die Versuchspersonen gebeten,<br />

im Rahmen einer vermeintlichen<br />

Marktforschungsbefragung behilflich zu<br />

sein. Sie sollten fünf unterschiedliche Produkte<br />

aufeiner7-Punkte-Skala von1(„mag<br />

ichgar nicht“)bis 7(„mag ichsehr“)bewerten.<br />

Bei den Produkten handelteessich um<br />

die genannte warme Suppe, den warmen<br />

Kaffeeoderdie anderendreikaltenSpeisen.<br />

Wieder vermutete keinerder Teilnehmerirgendeinen<br />

Zusammenhang zwischen den<br />

beiden Experimenten, wie die Nachbefragung<br />

ergab.<br />

Das Ergebnis der Untersuchung ist in<br />

Abbildung 3wiedergegeben: Wer gerade<br />

bei einem sozial interaktiven Spielprozess<br />

vermeintlich vonden anderenSpielern ausgeschlossen<br />

worden war (wer also gerade<br />

sozialeKälte verspürthatte), derbevorzugte<br />

die warmen Speisen eher als jemand, der<br />

gerade in einerGemeinschaftgespielt hatte.<br />

Keinen Unterschied gab es dagegen zwischen<br />

den Gruppen im Hinblickauf dasMögen<br />

der kalten Speisen. Soziale Wärme ist<br />

also offenbar nicht heiß genug, als dass sie<br />

HungeroderDurst aufetwas Kaltesmachen<br />

würde.<br />

In einemweiterenExperiment an 65 Studenten<br />

wardie Fragenochkonkreter,indem<br />

man untersuchte, ob sozialeKälte oder Wärme<br />

die wahrgenommene physikalische<br />

Temperatur beeinflusst. Hierzu wurde die<br />

Variable der sozialen Ablehnung oder des<br />

sozialen Aufgehobenseins durch eine Erinnerungsprozedur<br />

manipuliert. Die StudentenwurdeninzweiGruppenaufgeteilt,und<br />

die einensollten sich an eine sozialeSituation<br />

erinnern, beider sieausgeschlossen worden<br />

waren, die anderen aneine soziale Situation,bei<br />

dersie sich in derGemeinschaft<br />

gut aufgehobengefühlt hatten.Danach wurden<br />

alle Versuchspersonen gefragt, wie<br />

hoch sie die Raumtemperatur einschätzten.<br />

Abb. 4 Geschätzte Raumtemperatur nach dem Erinnern<br />

eines Erlebnisses sozialer Ablehnung (links) bzw. sozialer<br />

Annahme (rechts) (nach Daten aus21).<br />

Nervenheilkunde12/2008


1082<br />

<strong>Editorial</strong><br />

Man erklärteihnen, dass derfür die Heizung<br />

verantwortliche Hausmeister diese Informationen<br />

benötige, umdas System besser<br />

einzustellen. Keiner der Versuchsteilnehmerhatte<br />

(wie sich hinterherbeimBefragen<br />

zeigte), irgendeine Vermutung im Hinblick<br />

aufden Zusammenhangzwischen der „psychologischen<br />

Situation“ des Erinnerns und<br />

deranschließenden,„zufällig“ nochgestellten<br />

Frage nach der Temperatur. Konform<br />

mit der Temperatur-Bahnungshypothese<br />

zeigte sich aber (Abb.4), dass die Versuchspersonen,<br />

die eine Erfahrung der sozialen<br />

Ablehnung erinnerten, die Raumtemperatur<br />

im Mittelumgut 2,5° geringereinschätzten<br />

(21,44°) als diejenigen, die sich an eine Situation<br />

des sozialenAufgehobenseins erinnerten<br />

(24,02°).<br />

Drei Grad Celsius Raumtemperatur sind<br />

nicht nichts!Bedenkt man, dass in Deutschland<br />

nach Informationen des Bundesministeriums<br />

fürUmwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit<br />

(2) die Absenkung der Raumtemperatur<br />

um 1° Cdie Energiekosten eines<br />

Haushalts um6%senkt, dann könnte man<br />

also allein dadurch, dass mansichmit offenen,<br />

fröhlichen, zugewandten (eben: warmen)<br />

Menschen umgibt, die Energiekosten<br />

um 15% drücken, weil mandanndie Raumtemperatur<br />

um 2,5°C wärmer empfindet.<br />

BeiderzeitigenEnergiekosten pro Haushalt<br />

von 267 Euro monatlich ließen sich damit<br />

477 Euro im Jahr durchdiese rein psychosoziale<br />

Maßnahme sparen. Bei den etwa 40<br />

Millionen Haushalten in Deutschland<br />

macht das bundesweit gesparte 19 MilliardenEuro!<br />

Vonnicht mehr benötigtenAtomkraftwerkenbzw.reduzierten<br />

CO 2 -Emissioneneinmalgar<br />

nicht zu reden.<br />

Werhätte gedacht, dass Bahnungseffekte<br />

in ökonomischer Hinsicht eine solche Brisanz<br />

aufweisen, gerade inZeiten finanziellerKrisen?<br />

Vielleicht solltenwir unsalsoin<br />

Zukunft freundlicher begegnen: Schon allein<br />

derWärme wegen!<br />

M. Spitzer,Ulm<br />

Literatur<br />

1. Bargh JA, Chen M, Burrows L. Automaticity of<br />

social behavior: Direct effects of trait construct<br />

and stereotype activation on action. Journal of<br />

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tion/pdf/broschuere_energieeffizienz.pdf<br />

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UniversityofChicago Press 1980.<br />

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11. Spitzer M. Musik, Wein und Bahnungseffekte.<br />

Nervenheilkunde 206; 25: 1062–1064.<br />

12. Spitzer M. Geld macht einsam. Nervenheilkunde<br />

2007; 26: 119–124.<br />

13. Spitzer M. Beobachtet werden. Nervenheilkunde<br />

2007; 26: 847–852.<br />

14. Spitzer M. Blond –dummerweise. Nervenheilkunde<br />

2008; 27: 83–84.<br />

15. Spitzer M. Freiheit –eine gute Idee! Nervenheilkunde<br />

2008; 27: 339–341.<br />

16. Spitzer M. VomGehirn zum Modelle –und zurück!<br />

Nervenheilkunde 2008; 27: 579–582.<br />

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Körperlichkeit (I). Nervenheilkunde 2008; 27:<br />

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warmth promotes interpersonal warmth. Science<br />

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21. Zhong CB,LeonardelliGJ. Cold and Lonely:Does<br />

Social Exclusion Literally Feel Cold? Psychological<br />

Science 2008; 19(9).<br />

Korrespondenzadresse:<br />

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer<br />

Universitätsklinikum, Abteilung für PsychiatrieIII<br />

Leimgrubenweg 12-14, 89075 Ulm<br />

Nervenheilkunde12/2008

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