Gemeinschaftwärmt Editorial
Gemeinschaftwärmt Editorial
Gemeinschaftwärmt Editorial
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
1079<br />
©2008 Schattauer GmbH<br />
Gemeinschaft wärmt<br />
Metaphern und Körperlichkeit (I)<br />
<strong>Editorial</strong><br />
Es geht imFolgenden nicht darum,<br />
dass ein Mensch etwa 100 Watt<br />
Heizleistung hat und es daher eine<br />
gute Idee sein kann, bei einem Ausfall der<br />
Heizung eine Party mit möglichst vielen<br />
Leuten zuschmeißen: 20 Leute bekommen<br />
einen Raum mittlerer Größe ebenso gut<br />
warm wieein 28000WattHeizlüfter,spielt<br />
man nochdazu heiße Musik(sic!) und wird<br />
getanzt, geht es nochschneller.Aberdarum<br />
geht es hier nicht.<br />
Für unser Empfinden gehen Gemeinschaft<br />
und Wärme ebenso einher wie Einsamkeit<br />
undKälte:Eine offene,großzügige,<br />
umgängliche und freundliche Person, die jeder<br />
kennt, wird von uns ganz allgemein als<br />
warm bezeichnet, der abweisende, harsche,<br />
egoistische Einzelgänger dagegen als kalt.<br />
Unsere Sprache istvoll vonentsprechenden<br />
Beispielen für die Verbindungvon Einsamkeit<br />
mit Kälte und Gemeinschaft mit Wärme.<br />
Wiekommen wirzusolchenMetaphern?<br />
Seit geraumer Zeit wird die Idee diskutiert,<br />
dass Metaphern zwar einerseits komplexe<br />
Gedankengefüge darstellen, die wir andererseitsabergeradeaufgrund<br />
ihrer Komplexitätnur<br />
schwer mit Worten belegenkönnen<br />
und deswegen ein einfaches Wort aus einer<br />
ganz anderen Kategorie verwenden (7, 8).<br />
So sprechen wirvon „heißer“ Musik, und es<br />
istzunächst einmal garnicht so klar,was wir<br />
Für unser Empfinden gehen Gemeinschaft<br />
und Wärme ebenso einher<br />
wie Einsamkeit und Kälte.<br />
Nervenheilkunde 2008; 27: 1079–1082<br />
damit meinen. Bedenkt man jedoch, dass<br />
manmöglicherweiseins Schwitzen kommt,<br />
wenn man sich zu dieser Musikbewegt(wozu<br />
sie animiert), sowird die Sache sofort<br />
klar.Umgekehrtjagtuns ein„eisiger“ Blick<br />
vielleicht Angstein unddiese machtuns eine<br />
Gänsehaut, die wir ansonsten vom Frierenher<br />
kennen.<br />
Unser Denkenist keineswegssofreivon<br />
unserer Körperlichkeit, wiewir dieszuweilengerne<br />
annehmen (19). Ja, die Gedanken<br />
sind einerseits durchaus frei und ich kann<br />
denken,was ichwill, wieschon dasschöne<br />
Volksliedsagt. Wenn ich aber denCharakter<br />
Unser Denken ist keineswegs so frei<br />
von unserer Körperlichkeit, wie wir dies<br />
zuweilen gerne annehmen.<br />
einerzufällig ausgewähltenanderenPerson<br />
beschreibensoll und dabeieine warmeTasse<br />
Kaffee inder Hand halte, beschreibe ich<br />
die Person alsfreundlicher, alswennich gerade<br />
kalten Kaffeeinder Handhabe(20).<br />
Man versteht diese Eigenschaft der<br />
menschlichen Informationsverarbeitung<br />
heute im Grunde rechtgut: Unser Gehirnist<br />
modularaufgebaut, dasheißt, es enthält einzelne<br />
Bereiche derGehirnrinde, die aufbestimmte<br />
Aspekteder Verarbeitung vonRealität<br />
spezialisiert sind: Farben, Bewegungen,<br />
Gesichter, Laute, Berührungen, Gerüche,<br />
Objekte, Landschaften. Zugleich sind<br />
diese Module jedoch untereinander vernetzt.<br />
Die Informationen fließen dabei in<br />
beide Richtungen, also wenn Areal Avon<br />
Areal B Informationen bekommt, dann<br />
schickt es meistens auch Informationen an<br />
ArealBzurück. Dieses Hinund Herder Informationen<br />
ist die Verarbeitung, das heißt,<br />
zentralnervöse Informationsverarbeitung<br />
besteht nicht darin, dass einzelne Module<br />
erst für sich arbeiten und dann ihre Ergebnisse<br />
weiterschicken. Vielmehr gehen sie<br />
miteinander von Zustand AinZustand B<br />
über. Man kann dieseZustände alsEnergielandschaftenmit<br />
Bergen und Tälern darstellen,<br />
aufdenen eine Kugelrollt, bis sieineinemTal<br />
angekommen und ihre Lage stabil<br />
ist. Sehrviele Phänomene bzw. unbewusste<br />
Prozesse finden durch diese Mechanismen<br />
eine einfacheErklärung (9–17).<br />
Die Auswirkungen der starken Vernetzung<br />
der einzelnen Module lässt sich mitt-<br />
Nervenheilkunde12/2008
1080<br />
<strong>Editorial</strong><br />
lerweile neurowissenschaftlich immer besser<br />
nachweisen:Für dasvisuelle System ist<br />
eindeutig nachgewiesen, dass „höhere“ visuelle<br />
Areale Einflüsse auf „niedere“ visuelle<br />
Areale haben und deren Aktivierung<br />
beim Wahrnehmungsvorgang mit strukturieren(16).<br />
Ein weiteres schönes Beispiel haben<br />
Haukund Mitarbeiter(6) publiziert. Verstehe<br />
ich das Wort „Treten“, dann lässt sich<br />
neuronale Aktivität über diejenigen Bereicheder<br />
Gehirnrindenachweisen,die fürdie<br />
Beine im Hinblick auf Motorik und Sensorik<br />
zuständig sind. Konfrontiert mit dem<br />
Wort „Greifen“ liegt die Aktivität auf den<br />
sensomotorischen kortikalenKartenimBereich<br />
der Hand und konfrontiert mit dem<br />
Wort „Schlecken“liegt die AktivitätimBereichvon<br />
Lippenund Zunge (Abb.1). Es ist<br />
also nicht so,dass beim Verstehenvon Sprachenur<br />
Bereiche desGehirns aktivsind,die<br />
für die Verarbeitung akustischer Signale,<br />
vom Hören von Frequenzen über Laute,<br />
Wörter bis zu Bedeutungen, zuständig sind.<br />
Vielmehr reicht die Aktivitätauchbis hin zu<br />
Bereichen des Gehirns, die weder für das<br />
Hörennochfür dasSprachverstehenzuständig<br />
sind, sondern die Körperteile kodieren,<br />
um die es geht. DasLesen desWortes „Treten“<br />
aktiviert Motorprogramme des Beines<br />
So wie semantische Repräsentationen<br />
sensomotorische Repräsentationen<br />
aktivieren und Verhalten beeinflussen<br />
können, können motorische Repräsentationen<br />
Bewertungen beeinflussen.<br />
Nervenheilkunde12/2008<br />
Abb. 1 Gehirn vonlinksdargestellt mit schematisch eingezeichneter<br />
Lage der Repräsentation vonBein, Hand und<br />
Mund. Beim Verstehen von bein- (rot), arm- (blau) und<br />
mundbezogenen (grün) Wörtern werden die entsprechenden<br />
Bereiche aktiviert.Das Experiment wurde in englischer<br />
Sprachedurchgeführt, was den Vorteilhatte,dassdie Wörter<br />
sehr ähnlich klingen und damit andere Erklärungen<br />
(der jeweils andereKlang wurde anderswo verarbeitet) unwahrscheinlichsind<br />
(nach 6).<br />
Abb. 2 Wie sehr mögen Menschen, die gut auf der Tastatur<br />
tippen können, Buchstabenkombinationen mehr, die<br />
einfach zu tippen sind.Lautetdie Aufgabe einfach nur (grüne<br />
Säulen):„WelchesBuchstabenpaar mögen Sielieber:FV<br />
oder CJ?“, dann zeigte sich eine Präferenzfür dieleichter zu<br />
tippenden Paare,das heißt, sie wurden signifikant(*) häufiger<br />
ausgewählt. Die Zufallswahrscheinlichkeit entspricht<br />
bei einer Auswahl auszwei Alternativen0,5, eine Vorliebe<br />
oder Abneigung dagegen einer signifikanten Abweichung<br />
von0,5. Probanden,die nicht Tippen können, zeigtenkeine<br />
signifikanten Abweichungen vom Zufallswert 0,5(dieseDaten<br />
sind nicht dargestellt). Müssen die Probanden, die gut<br />
Maschine schreiben können, jedoch mit den fürdas Tippen<br />
eines der beiden zu beurteilenden Buchstabenpaare zu verwendenden<br />
Fingern gleichzeitig auf der Tastatur tippen<br />
(Doppelaufgabe, rote Säulen) ist der Effekt verschwunden<br />
(Experiment 1). Wird hingegen mit Fingern getippt, die<br />
nicht an der Ausführung der zu beurteilenden Buchstabenpaare<br />
beteiligtsind,ist diePräferenz für einfach zu tippende<br />
Kombinationenauch bei der Doppelaufgabe vorhanden<br />
(nach 3, S. 54, Fig. 2).<br />
bzw. mögliche Empfindungen im Bein.<br />
Man bewegt nichts und spürtnichts,abereine<br />
Voraktivierung besteht dennoch und<br />
kann durchaus Effekte haben auf nachfolgendesVerhalten.<br />
Daher laufen wir jaauch<br />
nachgewiesenermaßenlangsamer,wennder<br />
Begriff „Alter“ in unserem Gehirn (ohne<br />
Wissen der Versuchspersonen) voraktiviert<br />
wurde (1).<br />
Eine schöne Studie hierzu wurde schon<br />
vor fast 20 Jahren publiziert (18). Menschen,die<br />
aufder Schreibmaschine flott waren<br />
und über jede Menge Erfahrungen mit<br />
demTippen verfügten, wurden gefragt, welche<br />
von zwei Buchstabenkombinationen<br />
(beispielsweiseFVoderFJ) ihnen ganz einfach<br />
besser gefällt. Sie sollten diese Entscheidung<br />
spontan fällen. Eswurde keine<br />
Beziehung zurSchreibmaschine hergestellt,<br />
ging esdoch einfach nur darum, welches<br />
Buchstabenpaar den Probanden irgendwie<br />
lieber war.<br />
Es zeigte sich, dass sieBuchstabenpaare<br />
bevorzugten, die sich mit zwei Fingern tippen<br />
lassen, imVergleich zuBuchstabenkombinationen,<br />
bei denen man mit einem<br />
Finger beide Buchstaben schreiben muss,<br />
was beim Maschineschreiben schwieriger<br />
geht. Anfänger im Maschineschreibenzeigten<br />
im gleichenTest keine Vorliebe für entsprechende<br />
Buchstabenkombinationen. Alle<br />
Versuchspersonen wurden hinterher gefragt<br />
und konnten sich ihre Bevorzugung<br />
bestimmter Buchstabenkombinationen gegenüberanderennicht<br />
erklären.<br />
Geht man aber davonaus,dass die Wahrnehmung<br />
vonzweiBuchstabenbei erfahrenenSchreibmaschinenschreibern<br />
die jeweiligenMotorprogramme<br />
zumAusführen der<br />
Buchstaben auf der Schreibmaschine aktiviert<br />
und dass es Interferenzen zwischen<br />
den Motorprogrammen für Buchstaben<br />
gibt, die mit dem gleichen Finger zu tippen<br />
sind, soerklärt sich die Bevorzugung von<br />
Buchstabenpaaren, deren Ausführung gewissermaßen<br />
„keine Umstände“ macht (zu<br />
keinerInterferenz führt),automatisch.<br />
Um den Zusammenhang zwischen motorischem<br />
System und der Zuneigung oder<br />
Abneigung zu Buchstabenpaaren noch genauer<br />
aufzuklären, wurden 2007 zwei weitere<br />
Experimente unter Verwendung der<br />
Methode der Doppelaufgabe (Dual Task)<br />
publiziert (3). Die Untersuchungen wurde<br />
wieder anerfahrenen Maschinenschreibern<br />
(Experiment 1:n=28; Experiment 2: n=<br />
20) und Anfängern (Experiment 1:n=16;<br />
Experiment 2: n=22) durchgeführt. Die<br />
Versuchspersonen mussten mit ihren Fingern<br />
bestimmte Tasten drücken, während<br />
siewiederumzuentscheiden hatten,welche<br />
von zwei Buchstabenkombinationen ihnen<br />
besser gefällt. Hierbei handelt es sich entweder<br />
umBuchstabenkombinationen, die<br />
mitdem gleichenFinger dergleichenHand<br />
eingetippt werden (z. B. FV) oder die mit<br />
unterschiedlichen Fingern jeweils unterschiedlicherHände<br />
eingetippt werden(z. B.<br />
CJ). DasExperiment 1war so angelegt, dass<br />
die Fingersolche Tasten drückten, die beim<br />
Schreibenjeweils einesder beiden Buchstabenpaareinvolviertwaren.InExperiment<br />
2<br />
war die nicht der Fall. Hier wurden zwar<br />
auch Tasten auf derTastatur gedrückt, während<br />
das bevorzugte Buchstabenpaar auszusuchen<br />
war, es handelte sich aber nicht
1081<br />
<strong>Editorial</strong><br />
um solche Tasten, die mit den beim Tippen<br />
der Buchstaben des einen der beiden Paare<br />
verwendet werden. Zur Kontrolle mussten<br />
sie nur die Aufgabe der Bewertung (ohne<br />
das Drücken von Tasten der Tastatur), also<br />
eine einfache Aufgabe (und keine Doppelaufgabe)ausführen.<br />
Die Logik hinter diesem Experiment war<br />
einfach: Bei der einfachen Aufgabe sollte<br />
man die Präferenz für nicht interferierende<br />
Buchstabenpaare immer beobachten können.<br />
Wenn bei der Doppelaufgabe das tatsächliche<br />
Tippen mit der Hand motorische<br />
Systemebeansprucht, die ansonsten für die<br />
Beurteilung derPräferenz für daseine oder<br />
andere Buchstabenpaar mit herangezogen<br />
worden wären, sollte die Präferenz nicht<br />
mehr vorhanden sein. Genau dies war der<br />
Fall (Abb.2). Ganz offenbarsind also nicht<br />
einfach „motorische Bereiche“, sondern<br />
ganz spezifische Repräsentationen beteiligt.<br />
Wurdenandere Fingerzum Tippenverwendet<br />
als diejenigen, die man brauchen<br />
würde, um eines der beiden zu beurteilenden<br />
Buchstabenpaare zutippen (wie in Experiment<br />
2der Fall), war die Präferenz für<br />
die einfacher zu tippenden Buchstabenpaare<br />
wieder da. Bei Probanden, die nicht mit<br />
derSchreibmaschine umgehenkonnten, des<br />
schnellenTippensalsonicht mächtig waren,<br />
war dieser Effekt insgesamt nicht vorhanden.<br />
Ebenso wie semantische Repräsentationen<br />
sensomotorische Repräsentationen<br />
aktivieren und Verhalten beeinflussen können,<br />
können also auch motorische Repräsentationen<br />
Bewertungenbeeinflussen.<br />
Doch zurückzur Wärme undKälte.Zwei<br />
Psychologenander Universitätvon Toronto<br />
gingen kürzlich der Frage nach, obesauch<br />
Bahnungsphänomene zwischen der Erfahrung<br />
sozialer Kälte/Wärme einerseits und<br />
der Bevorzugung tatsächlicher, physikalischer<br />
Kälte/Wärme andererseitsgibt (21).<br />
Man verwendete das Paradigma des gemeinsamen<br />
Ballspielens,das auch schon für<br />
entsprechende Neuroimaging-Studien zur<br />
Einsamkeit verwendet wurde (5). Danach<br />
wurdendie Studenten nicht nach derRaumtemperatur<br />
befragt, sondern es wurde wiederum<br />
aktuelles Verhalten gemessen: Man<br />
bot ihnen verschiedene Speisen und Getränke<br />
an,bei denenessichentweder um warme<br />
(Kaffee, Suppe) oder kalte Speisen (Coca-<br />
Cola, ApfeloderKräcker)handelte.<br />
Abb. 3<br />
Erwünschtheit warmer und<br />
kalter Speisen und Getränke<br />
nach sozialer Ablehnung<br />
oder Annahme. (*) In<br />
der Varianzanalyse ergab<br />
sich eine signifikante Interaktion<br />
zwischen der Experimentalbedingung<br />
(Ablehnung<br />
oder Annahme)und<br />
der Bevorzugung warmer<br />
bzw. kalter Speisen (nach<br />
Daten aus21, Fig. 1).<br />
Insgesamt52Studentennahmenandem<br />
Experiment teil. Ihnen wurde gesagt, dass<br />
sie an verschiedenen Experimenten, die<br />
nichts miteinanderzutun haben, teilnehmen<br />
würden. Zunächst mussten die Versuchspersonen<br />
virtuell Ball spielen, wobei sie mit<br />
drei anderenTeilnehmern, die vermeintlich<br />
online mit ihrem Computer verbunden waren,<br />
spielten. Tatsächlich jedoch waren die<br />
Soziale Wärme ist also offenbar nicht<br />
heiß genug, als dass sie Hunger oder<br />
Durst auf etwas Kaltes machen würde.<br />
anderen Spieler durch ein Computerprogrammnur<br />
simuliert.Die Teilnehmerunterlagen<br />
dann via Zufallszuteilung einer von<br />
zwei experimentellen Bedingungen: Entweder<br />
das Spiel ging seinen gewohnten Gang<br />
und man warf sich den Ball virtuell gegenseitig<br />
zu (sozialer Einschluss); oder nach<br />
zwei Würfenwurde dembetreffendenSpieler<br />
der Ball von den anderen Spielern nicht<br />
mehr zugeworfen (sozialer Ausschluss).<br />
Danach wurden die Versuchspersonen gebeten,<br />
im Rahmen einer vermeintlichen<br />
Marktforschungsbefragung behilflich zu<br />
sein. Sie sollten fünf unterschiedliche Produkte<br />
aufeiner7-Punkte-Skala von1(„mag<br />
ichgar nicht“)bis 7(„mag ichsehr“)bewerten.<br />
Bei den Produkten handelteessich um<br />
die genannte warme Suppe, den warmen<br />
Kaffeeoderdie anderendreikaltenSpeisen.<br />
Wieder vermutete keinerder Teilnehmerirgendeinen<br />
Zusammenhang zwischen den<br />
beiden Experimenten, wie die Nachbefragung<br />
ergab.<br />
Das Ergebnis der Untersuchung ist in<br />
Abbildung 3wiedergegeben: Wer gerade<br />
bei einem sozial interaktiven Spielprozess<br />
vermeintlich vonden anderenSpielern ausgeschlossen<br />
worden war (wer also gerade<br />
sozialeKälte verspürthatte), derbevorzugte<br />
die warmen Speisen eher als jemand, der<br />
gerade in einerGemeinschaftgespielt hatte.<br />
Keinen Unterschied gab es dagegen zwischen<br />
den Gruppen im Hinblickauf dasMögen<br />
der kalten Speisen. Soziale Wärme ist<br />
also offenbar nicht heiß genug, als dass sie<br />
HungeroderDurst aufetwas Kaltesmachen<br />
würde.<br />
In einemweiterenExperiment an 65 Studenten<br />
wardie Fragenochkonkreter,indem<br />
man untersuchte, ob sozialeKälte oder Wärme<br />
die wahrgenommene physikalische<br />
Temperatur beeinflusst. Hierzu wurde die<br />
Variable der sozialen Ablehnung oder des<br />
sozialen Aufgehobenseins durch eine Erinnerungsprozedur<br />
manipuliert. Die StudentenwurdeninzweiGruppenaufgeteilt,und<br />
die einensollten sich an eine sozialeSituation<br />
erinnern, beider sieausgeschlossen worden<br />
waren, die anderen aneine soziale Situation,bei<br />
dersie sich in derGemeinschaft<br />
gut aufgehobengefühlt hatten.Danach wurden<br />
alle Versuchspersonen gefragt, wie<br />
hoch sie die Raumtemperatur einschätzten.<br />
Abb. 4 Geschätzte Raumtemperatur nach dem Erinnern<br />
eines Erlebnisses sozialer Ablehnung (links) bzw. sozialer<br />
Annahme (rechts) (nach Daten aus21).<br />
Nervenheilkunde12/2008
1082<br />
<strong>Editorial</strong><br />
Man erklärteihnen, dass derfür die Heizung<br />
verantwortliche Hausmeister diese Informationen<br />
benötige, umdas System besser<br />
einzustellen. Keiner der Versuchsteilnehmerhatte<br />
(wie sich hinterherbeimBefragen<br />
zeigte), irgendeine Vermutung im Hinblick<br />
aufden Zusammenhangzwischen der „psychologischen<br />
Situation“ des Erinnerns und<br />
deranschließenden,„zufällig“ nochgestellten<br />
Frage nach der Temperatur. Konform<br />
mit der Temperatur-Bahnungshypothese<br />
zeigte sich aber (Abb.4), dass die Versuchspersonen,<br />
die eine Erfahrung der sozialen<br />
Ablehnung erinnerten, die Raumtemperatur<br />
im Mittelumgut 2,5° geringereinschätzten<br />
(21,44°) als diejenigen, die sich an eine Situation<br />
des sozialenAufgehobenseins erinnerten<br />
(24,02°).<br />
Drei Grad Celsius Raumtemperatur sind<br />
nicht nichts!Bedenkt man, dass in Deutschland<br />
nach Informationen des Bundesministeriums<br />
fürUmwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit<br />
(2) die Absenkung der Raumtemperatur<br />
um 1° Cdie Energiekosten eines<br />
Haushalts um6%senkt, dann könnte man<br />
also allein dadurch, dass mansichmit offenen,<br />
fröhlichen, zugewandten (eben: warmen)<br />
Menschen umgibt, die Energiekosten<br />
um 15% drücken, weil mandanndie Raumtemperatur<br />
um 2,5°C wärmer empfindet.<br />
BeiderzeitigenEnergiekosten pro Haushalt<br />
von 267 Euro monatlich ließen sich damit<br />
477 Euro im Jahr durchdiese rein psychosoziale<br />
Maßnahme sparen. Bei den etwa 40<br />
Millionen Haushalten in Deutschland<br />
macht das bundesweit gesparte 19 MilliardenEuro!<br />
Vonnicht mehr benötigtenAtomkraftwerkenbzw.reduzierten<br />
CO 2 -Emissioneneinmalgar<br />
nicht zu reden.<br />
Werhätte gedacht, dass Bahnungseffekte<br />
in ökonomischer Hinsicht eine solche Brisanz<br />
aufweisen, gerade inZeiten finanziellerKrisen?<br />
Vielleicht solltenwir unsalsoin<br />
Zukunft freundlicher begegnen: Schon allein<br />
derWärme wegen!<br />
M. Spitzer,Ulm<br />
Literatur<br />
1. Bargh JA, Chen M, Burrows L. Automaticity of<br />
social behavior: Direct effects of trait construct<br />
and stereotype activation on action. Journal of<br />
Personality and Social Psychology 1996; 71:<br />
230–244.<br />
2. Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz<br />
und Reaktorsicherheit. Energie effizient nutzen.<br />
Tipps zum Klimaschützen und Geldsparen. Berlin<br />
2007; www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/applica<br />
tion/pdf/broschuere_energieeffizienz.pdf<br />
3. Beilock SL, Holt LE. Embodied preference<br />
judgments:Can likeabilitybedrivenbythe motor<br />
system? Psychological Science 2007; 18: 51–57.<br />
4. Coie JD, Terry R, Zakriski A,Lochman J. Early<br />
adolescent social influences on delinquent behavior.<br />
In: JMcCord (Hg): Coercion and punishment<br />
in long-termperspectives. Cambridge: UniversityPress<br />
1995.<br />
5. Eisenberger NI, Lieberman MD, Williams KD.<br />
Does rejection hurt? An fMRI study of social exclusion.<br />
Science 2003; 302: 290–292.<br />
6. Hauk O, Johnsrude I, Pulvermuller F. Somatotopic<br />
representation of action words in the human<br />
motor and premotor cortex. Neuron 2004; 41:<br />
301–307.<br />
7. Lakoff G.Women, fire, and dangerous things:<br />
What categories reveal about the mind. Chicago:<br />
UniversityofChicago Press 1987.<br />
8. LakoffG,Johnson J. Metaphors we live by.Chicago:<br />
UniversityofChicago Press 1980.<br />
9. Spitzer M. Das Neue Unbewusste. Nervenheilkunde<br />
2006; 25: 615–622.<br />
10. Spitzer M. Das Neue Unbewusste II. Nervenheilkunde<br />
2006; 25: 701–708.<br />
11. Spitzer M. Musik, Wein und Bahnungseffekte.<br />
Nervenheilkunde 206; 25: 1062–1064.<br />
12. Spitzer M. Geld macht einsam. Nervenheilkunde<br />
2007; 26: 119–124.<br />
13. Spitzer M. Beobachtet werden. Nervenheilkunde<br />
2007; 26: 847–852.<br />
14. Spitzer M. Blond –dummerweise. Nervenheilkunde<br />
2008; 27: 83–84.<br />
15. Spitzer M. Freiheit –eine gute Idee! Nervenheilkunde<br />
2008; 27: 339–341.<br />
16. Spitzer M. VomGehirn zum Modelle –und zurück!<br />
Nervenheilkunde 2008; 27: 579–582.<br />
17. Spitzer M. Sich rein waschen. Metaphern und<br />
Körperlichkeit (I). Nervenheilkunde 2008; 27:<br />
1047–1049<br />
18. Vanden Bergh O, Vrana S, Eelen P. Letters from<br />
the heart: Affective categorization of letter combinations<br />
in typistsand nontypists. Journal of Experimental<br />
Psychology: Learning, Memory, and Cognition<br />
1990; 16: 1153–1161.<br />
19. Varela FJ,Thompson E, Rosch E. The embodied<br />
mind: Cognitive science and human experience.<br />
Cambridge: MIT Press 1991.<br />
20. Williams LE, Bargh JA. Experiencing physical<br />
warmth promotes interpersonal warmth. Science<br />
2008; 322: 606–607.<br />
21. Zhong CB,LeonardelliGJ. Cold and Lonely:Does<br />
Social Exclusion Literally Feel Cold? Psychological<br />
Science 2008; 19(9).<br />
Korrespondenzadresse:<br />
Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer<br />
Universitätsklinikum, Abteilung für PsychiatrieIII<br />
Leimgrubenweg 12-14, 89075 Ulm<br />
Nervenheilkunde12/2008