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Biodiversität - Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz

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ten von heute nicht mehr vorkommenden Arten, den ständigen<br />

Wandel der <strong>Natur</strong>. Als im Anschluss daran die Ökologie<br />

als Lehre von der <strong>Umwelt</strong> der Organismen <strong>und</strong> der<br />

Organisation der <strong>Natur</strong> aufkam, beschritt sie einen an -<br />

deren Weg zum Verständnis ihrer Vielfalt, <strong>und</strong> zwar über<br />

Struktur-, Funktions- <strong>und</strong> Organisationseinheiten, die<br />

in der Regel belebte <strong>und</strong> unbelebte <strong>Natur</strong> verbinden.<br />

Diese Einheiten stimmen in der Regel nicht mit den Arten<br />

überein, sondern gehen von den Tier- <strong>und</strong> Pflanzen-Indi -<br />

viduen, deren Beziehung zum Standort <strong>und</strong> ihren darauf<br />

beruhenden Gruppierungen aus. Alexander von Humboldt<br />

begründete mit seinem 1806 erschienenen Werk »Die Phy -<br />

siognomik der Gewächse« das Verständnis für die morphologische<br />

Vielfalt pflanzlicher Erscheinungen <strong>und</strong> ihrer<br />

Strukturen, die man auch als »lebendige Architektur der<br />

<strong>Natur</strong>« bezeichnen kann, <strong>und</strong> lenkte damit die Aufmerksamkeit<br />

auf die Vielfalt in der Landschaft. Sie besteht aus<br />

konkreten überindividuellen Einheiten mit eigenen Erscheinungsbildern<br />

<strong>und</strong> Strukturen; bei den ortsfesten Pflanzengemeinschaften<br />

als ihrer Basis spricht man von »Beständen«<br />

<strong>und</strong> von »Formationen« (die zugleich Gestalten sind),<br />

unter Einbeziehung der Tiere <strong>und</strong> Mikroorganismen allgemein<br />

von »Biozönosen« (Lebensgemeinschaften).<br />

Diese Erkenntnisse zeigten, dass Vielfalt weit mehr als<br />

nur Artenfülle umfasst. Thienemann 4 erläuterte mit seiner<br />

nach ihm benannten Regel den gr<strong>und</strong>legenden Zusam -<br />

menhang zwischen Arten- <strong>und</strong> Individuenzahl einer Bio -<br />

zönose: In einer artenarmen Lebensgemeinschaft sind<br />

die einzelnen Arten im Durchschnitt mit jeweils sehr vielen<br />

Individuen vertreten, in einer artenreichen dagegen mit<br />

relativ wenigen. Gleiche Artenzahlen in Ökosystemen<br />

kön nen also ganz unterschiedliche Artenzusammen set -<br />

zungen bedeuten; so können bestimmte Arten oder sogar<br />

nur eine einzige vorherrschen oder alle Arten mit etwa<br />

gleich vielen Individuen vorkommen. Im ersten Fall er -<br />

scheint die Vielfalt gering, im zweiten groß – obwohl sie<br />

rechnerisch gleich ist. Hat eine Art regelmäßig nur kleine<br />

Individuenzahlen, dann gilt sie als »selten« <strong>und</strong> erhält al lein<br />

dadurch einen höheren Wert; man kann sie durch Schutzmaßnahmen<br />

aber auch nicht »häufiger« machen! Seltene<br />

Arten kommen oft nur in artenreichen Biozönosen vor, so<br />

wie Triangel, Harfe oder Kesselpauke nur in großen Symphonie-Orchestern<br />

<strong>und</strong> nicht in kleinen »Bands« vertreten<br />

sind.<br />

1935 hatte Tansley den Begriff des »Ökosystems« ge -<br />

prägt <strong>und</strong> definiert <strong>und</strong> damit eine weitere, wieder mehr<br />

abstrakte Organisationsebene konzipiert, in die ausdrücklich<br />

auch die unbelebten <strong>Natur</strong>faktoren einschließlich ihrer<br />

Vielfalt einbezogen wurden; diese fasste Heinrich Walter<br />

seit 1947 unter dem Begriff Standortsvielfalt zusammen.<br />

Der Geograph Carl Troll hatte 1939 »Landschaft« <strong>und</strong><br />

»Ökologie« zur Disziplin der »Landschaftsökologie« vereinigt.<br />

Er verstand Landschaft als räumliche Einheit, die aus<br />

einem Komplex zusammengehöriger Ökosysteme (bzw.<br />

Ökotope als deren räumlicher Entsprechung, im Englischen<br />

oft einfach als »patches« bezeichnet) besteht, <strong>und</strong><br />

führte damit zugleich die Sichtweise der Ökosystem- bzw.<br />

Ökotop-Vielfalt ein, in der biotische <strong>und</strong> abiotische Diversität<br />

gemeinsam betrachtet werden. »Landschaft« wird<br />

damit zu einer weiteren überindividuellen Organisationsebene<br />

oberhalb des Ökosystems.<br />

Mit dieser Erkenntnisfolge, von der hier nur einige<br />

Aspekte dargestellt sind, steigerte sich das Wissen über<br />

die Vielfalt der <strong>Natur</strong> beträchtlich. Wir überblicken sie mit<br />

Hilfe einer, wenn auch vereinfachten, Stufenfolge von Be -<br />

trachtungs- <strong>und</strong> Organisationsebenen, die vom Atomteilchen<br />

als unterster bis zum Universum als oberster Stufe<br />

reicht | Haber 2001c. Darin nehmen von unten nach oben<br />

die genaue Erfassbarkeit, Zähl- <strong>und</strong> Messbarkeit ab, zu -<br />

gleich aber nehmen die Bedeutung für die <strong>Natur</strong>or ga -<br />

nisation <strong>und</strong> die Komplexität zu. Jede Stufe oder Ebene<br />

hat ihre spezifische Diversität.<br />

In der Anwendung dieser Erkenntnisse auf die menschliche<br />

<strong>Umwelt</strong> zeigte sich, dass die Landnutzung zur Erzeugung<br />

von Gütern (»gut« zum Leben) durch »Eingriffe« (die<br />

heute Ausgleichsmaßnahmen erforderten oder z.T. verboten<br />

wären!) die Vielfalt der Landbedeckung sowie die<br />

Eigenart <strong>und</strong> (oft auch) Schönheit der Landschaft geschaffen<br />

hatte. Sie setzt sich physiognomisch aus pflanzlichen<br />

Strukturen, also Vegetations-Komplexen zusammen | siehe<br />

Abschnitt 8 |, die schon seit den 1930er Jahren von der<br />

Vegetationsökologie (damals »Pflanzensoziologie« ge -<br />

nannt) untersucht <strong>und</strong> in einer eigenen Systematik festgehalten<br />

wurden | Braun-Blanquet 1928; Tüxen 1937; Ellenberg<br />

1954.<br />

4. <strong>Natur</strong>schutz – Reaktion auf schwindende Vielfalt |<br />

Als im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert mit Zunahme des Bildungsniveaus<br />

im städtischen Bürgertum vermehrtes Interesse an der<br />

<strong>Natur</strong> erwachte, folgte dieses weniger den vielen neuen<br />

Forschungserkenntnissen <strong>und</strong> ihrer Anwendung in Technik<br />

<strong>und</strong> Industrie, sondern wollte in romantischer Verklärung<br />

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