Biodiversität - Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz
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vor allem der vielfältigen ländlichen <strong>Natur</strong> an deren Un -<br />
veränderlichkeit festhalten. Auch die Evolution als Ausdruck<br />
ständigen Wandels in der <strong>Natur</strong>, einseitig (<strong>und</strong><br />
nicht ohne politische Absichten) als »Kampf ums Dasein«<br />
popularisiert, stieß auf Ablehnung, die heute sogar wieder<br />
zunimmt | Herrmann 2006, S. 193. Aus solchen Empfindungs-<br />
<strong>und</strong> Denkweisen erwuchs die <strong>Natur</strong>schutz-Be -<br />
wegung des städtischen Bildungsbürgertums, die jenen<br />
bis heute wirksamen Gr<strong>und</strong>konflikt in der Einstellung zur<br />
<strong>Natur</strong> enthält <strong>und</strong> damit auch zur mythischen Überhöhung<br />
der biologischen Vielfalt neigt. Aber der <strong>Natur</strong>schutz hatte<br />
ernste Motive. Sein Auslöser war die Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
beginnende technisch-industrielle Rationalisierung<br />
der Landnutzung, vor allem der Landwirtschaft, die<br />
viele vertraute Landschaftsbilder mit ihrer Vielfalt zum<br />
Verschwinden brachte – mit ihnen auch viele Arten, Pflanzen-<br />
<strong>und</strong> Lebensgemeinschaften. Diese Vorgänge wurden<br />
von den städtischen Betrachtern (aber kaum von ihren<br />
Verursachern) als schmerzliche, nicht hinnehmbare Verluste<br />
erfahren, vor allem weil sie sich sehr schnell ab -<br />
spielten <strong>und</strong> die bei langsamen Veränderungen übliche<br />
Gewöhnung ausschlossen. Treibende Kräfte dafür waren<br />
die Zunahme der Bevölkerung <strong>und</strong> die mit der Verstädterung<br />
einhergehenden steigenden Lebensansprüche, die<br />
einen Vorrang rationeller Nahrungsproduktion geboten,<br />
<strong>und</strong> die mit neuen Fahrzeug-Antrieben (Dampf- <strong>und</strong> Verbrennungsmotoren)<br />
wachsende Mobilität, die das Land<br />
mit immer mehr Verkehrstrassen zerschnitt. Diese Ursachen<br />
sind weiterhin gültig <strong>und</strong> wirken auch noch in das<br />
21. Jahrh<strong>und</strong>ert hinein – wobei zu berücksichtigen ist,<br />
dass sie in Europa durch zwei Weltkriege <strong>und</strong> deren Folgen<br />
jeweils verstärkt worden sind.<br />
In dieser Entwicklung zeigt sich ein Paradoxon. Der<br />
Ursprung des <strong>Natur</strong>schutzes liegt in der städtischen<br />
Gesellschaft der Moderne, <strong>und</strong> zwar in ihren gebildeten,<br />
empfindsamen Schichten. Die Voraussetzung seines<br />
Entstehens war deren sichere Gr<strong>und</strong>versorgung mit<br />
lebensnotwendigen, Wohlstand erzeugenden <strong>und</strong> gewährenden<br />
Gütern <strong>und</strong> Dienstleistungen – die letztlich aus<br />
der <strong>Natur</strong> stammen. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen<br />
hat also der »<strong>Natur</strong>« die Natürlichkeit genommen <strong>und</strong> sie<br />
damit schutzbedürftig gemacht! Im erreichten materiellen<br />
Wohlstand der Städte erwachte die Rückbesinnung auf<br />
die (landschaftliche) <strong>Natur</strong>, mit zunächst emotionaler,<br />
dann auch rationaler Erkenntnis ihrer Manipulation <strong>und</strong><br />
wachsenden Belastung. <strong>Natur</strong>schutz beruht letztlich auf<br />
einer intuitiv-schmerzlichen Verlusterfahrung weniger<br />
menschlicher Generationen.<br />
Dennoch ist unklar <strong>und</strong> umstritten geblieben, was denn<br />
die zu schützende <strong>Natur</strong> eigentlich ist: die wilde, kultivier -<br />
te, erschlossene, intakte, lebende, nutzbare, erholsame<br />
<strong>Natur</strong>? – oder ihr Haushalt, ihre Leistungen, Eigenart <strong>und</strong><br />
Schönheit? Die Auffassungen reichen von der Wildnis zum<br />
Garten Eden als Paradies, den der Mensch laut 1. Mose<br />
2, 15 »bebauen <strong>und</strong> bewahren« – also gerade nicht sich<br />
selbst überlassen soll.<br />
5. Vielfalts-Diskussion in der Ökologie | Seit Mitte<br />
des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts begannen sich auch Biologen <strong>und</strong><br />
Ökologen verstärkt für das Phänomen Vielfalt zu interessieren<br />
| Piechocki 2005. Als Symbol zitiere ich den Titel<br />
eines Artikels des amerikanischen Ökologen Hutchinson<br />
|1959 | »Homage to Santa Rosalia or why are there so<br />
many kinds of animals?« Eine Antwort gaben Molekularbiologen<br />
<strong>und</strong> Genetiker mit der bahnbrechenden Entdeckung<br />
der zellulären Gr<strong>und</strong>struktur der Vererbung, der<br />
sog. Doppelhelix, durch Crick & Watson | 1954, siehe<br />
Haken & Haken-Krell 1995. In diesem, auf den ersten Blick<br />
sehr komplizierten Molekülgebilde – das sich bei genau -<br />
erer Betrachtung aber als recht einheitlich aufgebaut er -<br />
weist | vgl. Haber 2003c | – wurde der Ursprung biolo gi -<br />
scher Vielfalt entdeckt <strong>und</strong> erklärt. Sie beruht auf stän -<br />
digen kleinen Änderungen (Mutationen) in dieser Struktur,<br />
die in ihrer allgemeinen Konfiguration jedoch unverän dert<br />
bleibt. Die Mutationen wirken wie ein Spiel auf der Ge -<br />
nom- <strong>und</strong> Proteom-Klaviatur in den Zellen, das Vielfalt<br />
erzeugt <strong>und</strong> von Hutchinson |1965 | das Spiel der Evolution<br />
auf der Bühne der Ökologie genannt wurde. In erster<br />
Linie ist es eine Informations-Übertragung mit dem<br />
Motto: So sollst du werden! | Bachmann 2004. Ob daraus<br />
wirklich etwas Lebensfähiges oder gar Neues wird, dem<br />
Sinn <strong>und</strong> Wert zukommt, zeigt erst die weitere, aus der<br />
Anordnung der Gene <strong>und</strong> Proteine hervorgehende individuelle<br />
Entwicklung (Ontogenese). »Leben ist die Verwirk -<br />
lichung codierter Anweisungen« | Dulbecco 1991, S. 11.<br />
Die molekularbiologisch-genetischen Forschungen<br />
zeigten außerdem, dass die Bestandteile der Vielfalt in<br />
ihren physikalischen, chemischen <strong>und</strong> biologischen Merkmalen<br />
einzigartig <strong>und</strong> einmalig sind. Sie bestätigen also<br />
das in Abschnitt 2 erwähnte menschliche Empfinden.<br />
Es gilt aber auch für jedes Lebewesen oder jede Lebenseinheit:<br />
sie alle sind einmalig <strong>und</strong> wiederholen sich nicht<br />
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