Kausalität und objektive Zurechnung
Kausalität und objektive Zurechnung
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Wiss Ma’in Anja Schmidt AG StrafR AT, SS 2009<br />
Rechtswidrigkeit I: Notwehr <strong>und</strong> Notwehrprovokation<br />
„Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich, T hat rechtswidrig gehandelt.“<br />
„T könnte gerechtfertigt [in Notwehr gem. § 32 StGB] gehandelt haben, [da er durch den B angegriffen<br />
wurde].“<br />
Bsp. für Rechtfertigungsgründe<br />
§ 32 StGB Notwehr<br />
§ 228 BGB Defensivnotstand<br />
§ 904 BGB Aggressivnotstand<br />
§ 34 StGB Notstand<br />
§ 193 StGB Wahrnehmung berechtigter Interessen<br />
rechtfertigende Pflichtenkollision<br />
Einwilligung <strong>und</strong> mutmaßliche Einwilligung<br />
Erziehungsrecht<br />
§ 229 ff. BGB Selbsthilfe<br />
§ 127 StPO Vorläufige Festnahme<br />
andere strafprozessuale Zwangsbefugnisse (§ 81a StPO Blutentnahme, § 102 ff. StPO Durchsuchung)<br />
polizeirechtliche Zwangsbefugnisse, z.B. zum Schusswaffengebrauch gegenüber Personen<br />
§ 34 SächsPolG<br />
vgl. darüber hinaus Bsp. bei Kindhäuser AT, § 15 Rn. 10–14, Kühl StrafR AT, § 9<br />
§ 32 StGB (Notrecht zum Rechtsgüterschutz <strong>und</strong> zur Bewährung der Rechtsordnung)<br />
Angriff = von einem Menschen unmittelbar drohende Verletzung der eigenen rechtlichen Güter oder der<br />
Rechtsgüter anderer, auch zugunsten von Rgütern des Staates, aber nicht zugunsten v. Rgütern der Allgemeinheit<br />
gegenwärtig = unmittelbar bevorstehend (keine weiteren Zwischenschritte) oder andauernd<br />
rechtswidrig = Angriff selbst nicht gerechtfertigt bzw. selbst rechtmäßig<br />
Verteidigungshandlung = Abwehr des Angriffs gegenüber dem Angreifer (Schutz-<strong>und</strong> Trutzwehr), nicht<br />
nur Ausweichen<br />
Verteidigungswille = „um den Angriff abzuwenden“, Erfordernis str., ausreichend: zumindest auch Abwehrvorsatz,<br />
weitere Motive wie Rachsucht, Verärgerung usw. sind unschädlich, solange sie nicht Abwehrvorsatz<br />
verdrängen<br />
erforderlich = mildestes, wirksames Abwehrmittel, das erwarten lässt, dass Angriff sofort beendet <strong>und</strong><br />
Gefahr sicher beseitigt wird<br />
Gebotenheit = zwar keine Güterabwägung, aber sozialethische Einschränkungen (Prinzip der Mindestsolidarität),<br />
Fallgruppen:<br />
(1) krass unverhältnismäßige Abwehr eines unerhebl. Angriffs (lebensgef. Schuss auf Dieb geringwertiger<br />
Sache)<br />
(2) Angriffe schuldlos Handelnder (z.B. Kinder)<br />
(3) enge persönliche Beziehungen (str. f. Streitigkeiten zwischen Ehegatten)<br />
(4) Notwehrprovokation (vgl. S. 3 Handout)<br />
Rechtswidrigkeit 1
Wiss Ma’in Anja Schmidt AG StrafR AT, SS 2009<br />
Abwdlg. Finnendolchfall (BGHSt 24, 356, vgl. Anm. Lenckner JZ 1973, 253)<br />
Der V ist mit einem gestohlenen Kraftfahrzeug unterwegs. Er will von einem Parkplatz wegfahren<br />
<strong>und</strong> stößt dabei aus Unachtsamkeit kräftig mit einem vorbeifahrenden weiteren Auto zusammen,<br />
dass der A steuert. Um sich Feststellungen zu seiner Person zu entziehen tritt er aufs Gas<br />
<strong>und</strong> flieht. Der A nimmt mit seinem Fahrzeug die Verfolgung auf. Als V an einer Ampel wegen<br />
eines vor ihm „bei rot“ stehenden PKW anhalten muss, flüchtet er zu Fuß weiter. Der A hält<br />
ebenfalls an <strong>und</strong> nimmt die Verfolgung zu Fuß auf, dabei ruft er: „Ich kriege dich, Du Schwein!<br />
Du kannst etwas erleben!“ Als der A den V erreicht, beginnt er mit Fäusten auf diesen einzuschlagen,<br />
um den V zu stellen <strong>und</strong> seine Wut an ihm auszulassen. Der V <strong>und</strong> der A sind sich<br />
kräftemäßig durchaus ebenbürtig, so dass der V die Schläge mit eigenen Faustschlägen hätte abwehren<br />
können. Er meint aber, dass er sich nicht auf einen Kampf einlassen muss, zückt seinen<br />
Finnendolch <strong>und</strong> stößt diesen dem A in den Arm. Daraufhin sieht dieser von jedem weiteren<br />
Schlag ab. V setzt seine Flucht fort.<br />
Wie hat sich V nach dem StGB strafbar gemacht? (Delikte wegen des Diebstahls sind nicht zu<br />
prüfen)<br />
Rechtswidrigkeit 2
Wiss Ma’in Anja Schmidt AG StrafR AT, SS 2009<br />
AG StrafR AT, SS 2007<br />
Übersicht: Einschränkung der Gebotenheit bei Notwehrprovokation<br />
Irrel. von Provokationen<br />
Relevanz der Provokation, wenn diese<br />
Absichtsprov.<br />
sonst schuldhaft (d.e., Fahrlä.), u.z.<br />
Eigenverantwortung<br />
des Provozierten,<br />
auch bei rewi Provokation:<br />
der Provozierte<br />
überschreitet<br />
die Grenze des<br />
Rechts<br />
dagg.: hier besteht<br />
kein Interesse an<br />
Rbewährung, so<br />
dass scharfes NotwehrR<br />
nicht gerechtft.,<br />
ausdr. Gebtenheitseinschrä.<br />
in<br />
§ 32<br />
Verteidiger hat<br />
rewi Angriff absichtlich<br />
provoziert<br />
(auch Wissentlichkeit<br />
dürfte<br />
genügen)<br />
Einschränkg. des NotwehrR<br />
kein Interesse an<br />
Verteidigung der<br />
Rechtsordnung wg.<br />
Rmissbräuchlk.<br />
Selbstschutzinteresse<br />
bleibt, in dieses darf<br />
nicht rewi eingegriffen<br />
werden, allerdings Mitverantwortung<br />
dagg.: Vor. d. § 32 liegen<br />
vor (dagg.: ausdr.<br />
Gebotenheitseinschränkung)<br />
rewi<br />
Provozierender muss<br />
Sphäre des Rechts zuerst<br />
überschritten haben, nicht<br />
der andere, Rkt. auf remä<br />
provozierendes Verhalten<br />
liegt im Verantwortungsbereich<br />
des Provozierten<br />
a.i.i.c. (actio illicita in<br />
causa)<br />
Rfg. in Notsituation (+),<br />
jedoch <strong>Zurechnung</strong> des<br />
Erfolges zur provozierendem<br />
Verhalten<br />
Provozierender benutzt<br />
sich selbst als<br />
Werkzeug<br />
dagg.: systemwidrig,<br />
Strfbk. knüpft an konkretes<br />
Verh. zu best.<br />
Zeitpunkt an, KV-Erfolg<br />
kann nicht an ein<br />
Wegfahren angeknüpft<br />
werden, dass<br />
nicht (i.R.d. obj. Zur.)<br />
mit KV-Erfolg verb<strong>und</strong>en<br />
sozial zu missbilligen<br />
auch bei sonst sozialwidrigem<br />
Verhalten, dass seinem<br />
Gewicht nach rewi Verhalten<br />
gleichkommt (BGH)<br />
dagg.: unbestimmt; re. erlaubtes<br />
Verh. kann nicht zur<br />
Einschrä. von R führen<br />
Ausschluss des Notwehrrechts<br />
nur bei Absichtsprov.!<br />
Handeln ist rechtsmissbräuchlich,<br />
so<br />
dass keine Berufung<br />
auf das NotwehrR<br />
mgl. ist<br />
Provozierender verzichtet<br />
durch Prov.<br />
konkl. auf den Schutz<br />
seiner Rgüter<br />
dagg.: Schutzinteresse<br />
bleibt; Einwilligg. ist<br />
bloße Fiktion<br />
Gebotenheit (+),<br />
Strafmilderung<br />
bei Angreifer<br />
Einschränkung auf<br />
mildere Mittel zum<br />
bloßen Selbstschutz,<br />
wobei hinzunehmendes<br />
Risiko größer (etwa<br />
auch Ausweichen), Gebotenheit<br />
(+/-)<br />
Gebotenheit (+),<br />
Strafbk. wg. Erfolg zugerechnet<br />
zum prov. Verhalten<br />
(z.B. §§ 223, 224<br />
oder § 229 i.V.m. a.i.i.c.<br />
wg. des Wegfahrens<br />
nach der Kollision)<br />
Gebotenheit (-)<br />
vgl. Kühl. StrafR AT, 5. A., § 7 Rn. 207 ff., zur sonst schuldhaften Herbeiführung der Notwehrlage Rn. 248 ff.,<br />
Hillenkamp, 32 Probl., 2. Probl.<br />
Berücksichtigung d. Provokation bei § 34:<br />
- Erforderlichkeit?<br />
- Einfließenlassen in Interessenabwägung – Minderung d. Selbstschutzinteresses aufgr. Prov.<br />
Berücksichtigung d. Provokation bei § 35:<br />
Rechtswidrigkeit 3
Wiss Ma’in Anja Schmidt AG StrafR AT, SS 2009<br />
- Erforderlichkeit?<br />
- Zumutbarkeit d. Hinnahme der Gefahr gem. § 35 I 2 1.Alt.<br />
AG StrafR AT, SS 2007<br />
Rechtswidrigkeit 4
Wiss Ma’in Anja Schmidt AG StrafR AT, SS 2009<br />
Rechtswidrigkeit II: Rechtfertigender Notstand gem. § 34 StGB<br />
(Notrecht zum Schutz von Rechtsgütern bei überwiegendem Interesse, Solidaritätsprinzip)<br />
Gefahr = drohende Verletzung eines Rechtsguts<br />
AG StrafR AT, SS 2007<br />
gegenwärtig = mit dem Eintritt eines Schadens ist alsbald oder jederzeit zu rechnen bzw. es ist zukünftig<br />
mit einem Schadenseintritt zu rechnen, falls nicht sofort Abwehrmaßnahmen ergriffen werden<br />
für Leib, Leben, Freiheit usw. oder ein anderes Rechtsgut, eigenes oder das eines anderen, also alle<br />
Rechtsgüter<br />
Rettungshandlung<br />
erforderlich („nicht anders abwendbar“) = ergriffene Maßnahme muss das geeignete <strong>und</strong> relativ mildeste<br />
Mittel darstellen<br />
Erhaltungsgut überwiegt Eingriffsgut im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung wesentlich<br />
(vgl. Kühl § 8 Rn. 97 ff.)<br />
Rettungswille („um ... abzuwenden“) = Handlung zur Gefahrabwehr in Kenntnis der Notstandslage<br />
<strong>und</strong> der Wahrung des übergeordneten Interesses<br />
Angemessenheit, § 34 S. 2: Übereinstimmung des Abwägungsergebnisses mit der Gesamtrechtsordnung<br />
<strong>und</strong> den sie prägenden Prinzipien, Fallgruppen:<br />
(1) Art. 1 GG, Freiheitsprinzip (tw. auch in Abwägung einfließend)<br />
(2) Vorrang gesetzlicher Vorgaben <strong>und</strong> rechtlich geregelter Verfahren<br />
Fall zum eigenständigen Üben (zur Diff. zw. §§ 32, 34 StGB <strong>und</strong> zum Verh. §§ 228 (Defensivnotstand),<br />
904 (Aggressivnotstand) BGB)<br />
a) Der Rottweiler des Fletscher ist unerkannt geisteskrank. Eines lauen Sommerabends fällt er den ahnungslos<br />
des Wegs kommenden Jogger J an. Um ihn abzuwehren, bricht J eine Latte aus dem Gartenzaun<br />
des A <strong>und</strong> schlägt so lange auf den H<strong>und</strong> ein, bis dieser von ihm ablässt. Der H<strong>und</strong> wird erheblich<br />
verletzt, die Latte geht zu Bruch, was J jeweils vorausgesehen hatte. Anders hätte J den H<strong>und</strong><br />
nicht abwehren können. A <strong>und</strong> D stellen Strafantrag. Hat sich J strafbar gemacht?<br />
b) Wie a), nur das Fletscher den auf Menschen abgerichteten H<strong>und</strong> auf J hetzt. Haben sich J <strong>und</strong> F<br />
strafbar gemacht?<br />
Rechtswidrigkeit 5
Wiss Ma’in Anja Schmidt AG StrafR AT, SS 2009<br />
Liebe AG-Teilnehmer/innen,<br />
AG StrafR AT, SS 2007<br />
ich kann die heutige St<strong>und</strong>e nicht abhalten, da ich krank <strong>und</strong> krankgeschrieben bin. Da wir die<br />
St<strong>und</strong>e nicht wirklich nachholen können, schlage ich Folgendes vor:<br />
1.) Bitte bilden sie kleinere Gruppen <strong>und</strong> lösen Sie den Fall von S. 2 des Handouts (Abwdlg.<br />
Finnendolchfall) gemeinsam (zu Ende). Diejenigen die letztes Mal nicht da waren, können<br />
sich den Beginn der Lösung ja erklären lassen. Lösen Sie den Fall in beiden Lösungsalt.! Mithilfe<br />
der Definitionen <strong>und</strong> der Übersichten auf dem Handout müsste das gehen, die Def zu §<br />
34 können Sie zudem auf § 35 übertragen (zu prüfen auf der Schuldebene). Legen Sie ein besonderes<br />
Augenmerk auf die Unterschiede zw. § 34 <strong>und</strong> § 35!<br />
2.) Versuchen Sie, den Irrtum näher zu bezeichnen: Worüber irrt der V? – Versuchen Sie den<br />
Gegenstand seines Irrtums zu umschreiben <strong>und</strong> dogmatisch zu verankern (also irrt er etwa<br />
über ein TB-Merkmal oder über etwas anderes)!<br />
Wir besprechen dann nächste Woche nur kurz die Schwerpunkte!<br />
3.) Überlegen Sie sich bitte, ob Sie den Fall ausformuliert vorbereiten würden (gern in der<br />
kürzeren Lösungsalt.)! Ich würde mir das mit Ihnen gemeinsam im stillen Kämmerlein anschauen<br />
<strong>und</strong> wir würden eine stilistisch richtige <strong>und</strong> eine Fehlerversion produzieren. Die Fehlerversion<br />
würde dann allen zum Korrigieren zu Übungszwecken zur Verfügung gestellt, danach<br />
auch die richtige. Wenn Sie sich das vorstellen können, können Sie auch gleich zur Ausführung<br />
eines ersten Entwurfes schreiten, den Sie nächste Woche mitbringen. Nutzen Sie diese<br />
Chance! Sie lernen am besten über eigene Fehler bzw. über das absichtliche Produzieren<br />
von Fehlern (dann muss nämlich das Richtige klar sein ;-))!<br />
4.) freiwillige Zusatzaufgaben:<br />
Lesen Sie die Originalentscheidung <strong>und</strong> die Anmerkung von Lencker. Arbeiten Sie dabei die<br />
Differenzen in der Fallgestaltung <strong>und</strong> ihre Auswirkungen auf die Falllösung heraus!<br />
Lösen Sie den Fall auf S. 4 des Handouts, beziehen Sie auf der Ebene der Rewi die genannten<br />
Normen mit ein!<br />
Rechtswidrigkeit 6