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Beim Sport geht der Blutzucker von ganz alleine runter ... - Auf der Bult

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Gesundheit & Ernährung<br />

Diagno se Diabetes<br />

In Deutschland leiden 25 000<br />

Die elfjährige Münchnerin hat<br />

Kin<strong>der</strong> unter Typ-1-Diabetes. Eines da<strong>von</strong> ist Bianca.<br />

gelernt, mit den <strong>Blutzucker</strong>werten IM TAKT zu leben<br />

Biancas ständige Begleiter: Tagebuch,<br />

Stechhilfe, <strong>Blutzucker</strong>messgerät und Insulin<br />

Bianca war zehn Jahre alt, sie hatte gerade<br />

die Grundschule beendet und<br />

verreiste in den großen Ferien mit ihren<br />

Eltern und ihrer Schwester. Da passierte<br />

etwas, das ihr Leben verän<strong>der</strong>te. Gut, sie<br />

hatte sich schon vorher ein wenig schlapp<br />

gefühlt, war ständig müde, trank viel.<br />

Und sie wurde <strong>von</strong> Tag zu Tag ein bisschen<br />

dünner. „Bestimmt ein Wachstumsschub“,<br />

dachte sich Biancas Mutter. Doch<br />

als ihre Tochter auf einmal zu schwach<br />

zum <strong>Auf</strong>stehen war, brachten ihre Eltern<br />

sie sofort ins Krankenhaus. Dort wurde<br />

Biancas <strong>Blutzucker</strong> gemessen: Der lag bei<br />

400 Milligramm je Deziliter, vier mal so<br />

hoch wie bei einem gesunden Menschen.<br />

Die Diagnose stand schnell fest: Bianca<br />

hat Typ-1-Diabetes – so wie 25000 an<strong>der</strong>e<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche und 250000<br />

Erwachsene in Deutschland.<br />

Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunkrankheit:<br />

Körperabwehrzellen zerstören Zellen<br />

<strong>der</strong> Bauchspeicheldrüse. Folge: Sie kann<br />

kein o<strong>der</strong> nur noch wenig Insulin herstel-<br />

Tapfer piekst sich Bianca in den Finger,<br />

um Blut für den Test zu erhalten<br />

WuB/H.Geigl<br />

len. Das Hormon ist aber unentbehrlich<br />

für den Körper, denn es signalisiert Muskeln,<br />

Fettzellen und Leber, den Zucker<br />

aus dem Blut zu holen. Ist kein Insulin<br />

vorhanden, kann <strong>der</strong> Mensch die Nahrung<br />

also nicht verwerten. Dem Patienten<br />

muss dann mehrmals täglich künstliches<br />

Insulin zugeführt werden. Typ-1-Diabetes<br />

tritt häufig zwischen dem zehnten und 15.<br />

Lebensjahr auf, aber auch als Baby o<strong>der</strong><br />

Erwachsener kann man ihn bekommen.<br />

Die Krankheit ist bislang zwar unheilbar,<br />

lässt sich aber gut in Schach halten.<br />

Und man kann sie leicht erkennen: ein<br />

einfacher Zuckertest im Urin gibt <strong>Auf</strong>schluss.<br />

Kin<strong>der</strong>, bei denen die typischen<br />

Warnzeichen – starker Durst, Gewichtsverlust,<br />

Müdigkeit und Leistungsmin<strong>der</strong>ung<br />

– auftreten, wie bei Bianca, sollten<br />

deshalb schnell zum Arzt.<br />

Bianca musste für zwei Wochen in das<br />

Diabetes-Zentrum <strong>der</strong> Haunerschen Kin<strong>der</strong>klinik<br />

in München. Dort kümmerte<br />

sich ein Team aus Kin<strong>der</strong>ärzten, Diabetes-,<br />

Ernährungsberatern und Psychologen um<br />

das Mädchen. Bianca und ihre Eltern lernten<br />

Insuline mit verschieden langen Wirkzeiten<br />

kennen- und einzusetzen. Mit ihnen<br />

kann – abgestimmt auf Tagesablauf,<br />

körperliche Aktivität und Essen – eine optimale<br />

Behandlung erreicht werden. Das<br />

ist wichtig: Denn <strong>der</strong> <strong>Blutzucker</strong> muss im<br />

Gleichgewicht bleiben damit <strong>der</strong> Stoffwechsel<br />

nicht entgleist und <strong>der</strong> Körper<br />

zum Beispiel unterzuckert o<strong>der</strong> Spätschäden<br />

wie Nierenkrankheiten auftreten.<br />

In Schulungen in <strong>der</strong> Klinik erfuhren<br />

Bianca und ihre Eltern, wie man <strong>Blutzucker</strong><br />

misst und wie man die Angst vor<br />

<strong>der</strong> Nadel überwindet. Und sie studierten,<br />

wann Bianca was und wieviel essen darf.<br />

Seitdem geben ihre <strong>Blutzucker</strong>werte den<br />

Takt im Leben <strong>der</strong> Familie vor. Morgens,<br />

mittags, abends misst das Mädchen ihren<br />

Zucker und spritzt sich Insulin. Nachts<br />

übernimmt das seine Mutter. „Anfangs<br />

ist Bianca oft hochgeschreckt“, erinnert<br />

sich Ulrike B. „Heute wacht sie nur noch<br />

selten auf, wenn ich spritze.“<br />

„<strong>Beim</strong> <strong>Sport</strong> <strong>geht</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Blutzucker</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>ganz</strong> <strong>alleine</strong> <strong>runter</strong>.<br />

Da darf ich eine<br />

Spritze auslassen“<br />

BIANCA, TYP-1-DIABETIKERIN<br />

Und auch tagsüber hat das Proze<strong>der</strong>e seinen<br />

Schrecken verloren. Routiniert piekst<br />

sich Bianca vor dem Mittagessen in den<br />

kleinen Finger. Die ersten Tropfen Blut<br />

tupft sie weg. Dann streicht sie mit dem<br />

Teststreifen über das Blut an <strong>der</strong> kleinen<br />

Einstichstelle. Sie schiebt den Streifen in<br />

das <strong>Blutzucker</strong>messgerät, das nach 15 Sekunden<br />

den Wert anzeigt: „144“, sagt sie<br />

zu ihrer Mutter. Sie trägt die Zahl in ihr<br />

Tagebuch ein, in das sie alle Werte schreiben<br />

muss, damit sie bei den vierteljährlichen<br />

Vorsorgeuntersuchungen noch besser<br />

mit Insulin eingestellt werden kann.<br />

Nebenbei kramt sie schon eine kleine<br />

Ampulle aus <strong>der</strong> Tasche. „Ich spritze jetzt<br />

ein Insulin in den Bauch, das bis zum<br />

Abend wirkt“, erklärt die Elfjährige. „Da<br />

ist sogar noch ein Joghurt o<strong>der</strong> ein kleines<br />

Stück Kuchen am Nachmittag drin.“<br />

Essen nach Plan: daran musste sich<br />

Bianca erst gewöhnen. Alle Kohlenhydrate<br />

– das heißt alle Lebensmittel, die<br />

den <strong>Blutzucker</strong> beeinflussen – wiegt ihre<br />

Mutter ab und rechnet sie in Broteinheiten<br />

(BE) um. Eine BE bezeichnet eine<br />

Menge <strong>von</strong> zehn bis zwölf Gramm an<br />

Kohlenhydraten. Zum Frühstück isst Bianca<br />

meist zwei kleine Scheiben Brot – eine<br />

mit Nutella und eine mit Marmelade<br />

– und sie trinkt 250 Gramm Milch. Das<br />

sind insgesamt vier BE, so wie es in ihrem<br />

Essensplan steht. Insgesamt darf sie<br />

genau 18 BE am Tag zu sich nehmen.<br />

Ob <strong>Sport</strong>, Ausflüge o<strong>der</strong> Geburtstagspartys<br />

– bis jetzt musste Bianca wegen ihrer<br />

Krankheit auf nichts verzichten. Ihr<br />

Kalen<strong>der</strong> ist mit Terminen gefüllt. Dienstags<br />

hat sie Klavier-, donnerstags Flötenunterricht<br />

und je ein Mal die Woche spielt<br />

sie Tennis und trainiert Ju-Jutsu. „<strong>Beim</strong><br />

<strong>Sport</strong> <strong>geht</strong> <strong>der</strong> <strong>Blutzucker</strong> <strong>von</strong> <strong>ganz</strong> <strong>alleine</strong><br />

<strong>runter</strong>. Da darf ich eine Spritze auslassen“,<br />

sagt Bianca. Weil <strong>der</strong> Körper beson<strong>der</strong>s<br />

viel Energie braucht, muss sie vorm<br />

<strong>Sport</strong> sogar noch etwas essen. Natürlich<br />

nicht irgendetwas: Eine Brot- beziehungsweise<br />

<strong>Sport</strong>einheit steht auf dem<br />

32 BABY 02/2006<br />

02/2006 BABY 33


Gesundheit & Ernährung<br />

Der an<strong>der</strong>e Zucker<br />

<strong>Auf</strong>fallend ist, dass seit ein paar Jahren auch<br />

Kin<strong>der</strong> an Typ-2-Diabetes erkranken. Eine<br />

Schätzung ergab, dass jährlich 210 fünf- bis<br />

19-Jährige in Deutschland Alterszucker bekommen<br />

– so wird die Krankheit noch genannt,<br />

weil sie früher bloß ältere Menschen<br />

traf. In <strong>der</strong> Bundesrepublik leben sechs Millionen<br />

Typ-2-Diabetiker. Ihnen fehlt am Anfang<br />

ihrer Krankheit nicht das Insulin. Im Gegenteil:<br />

Ihre Bauchspeicheldrüse produziert<br />

immer mehr da<strong>von</strong>, doch <strong>der</strong> Körper kann<br />

es nicht richtig verwerten. Die Zellen hören<br />

nicht mehr auf das Signal des Insulins und<br />

drosseln die Zuckeraufnahme. Folge: Zucker<br />

bleibt im Blut. Irgendwann ist zudem<br />

die Bauchspeicheldrüse erschöpft und produziert<br />

weniger Insulin. Genetische Veranlagung<br />

und Übergewicht lösen Typ-2-Diabetes<br />

aus. Mit <strong>Sport</strong> und gesun<strong>der</strong> Ernährung<br />

kann man ihn meist gut unter Kontrolle halten.<br />

Wenn diese Maßnahmen nicht helfen,<br />

verschreibt <strong>der</strong> Arzt Tabletten o<strong>der</strong> Insulin.<br />

Essensplan. Das ist zum Beispiel eine kleine<br />

Banane o<strong>der</strong> eine Milchschnitte.<br />

Für Notfälle o<strong>der</strong> Rückfragen bei <strong>der</strong><br />

Mutter hat Bianca ein Handy bekommen. Eine<br />

Absprache damit sorgte allerdings auch<br />

schon mal für <strong>Auf</strong>regung. Bianca gab per Telefon<br />

den Wert 206 durch, um mit ihrer Mutter<br />

abzustimmen, wieviel Insulin sie spritzen<br />

soll. Ulrike B. verstand aber 306 und sagte<br />

ihrer Tochter eine zu Hohe Dosis Insulin<br />

34 BABY<br />

Essen nach Plan:<br />

Bianca wiegt Müsli<br />

für das Frühstück<br />

ab. Ihre Schwester<br />

und ihre Mutter<br />

helfen ihr. Unten:<br />

Die Elfjährige beim<br />

Tennis spielen<br />

„Manchmal<br />

will sie nicht<br />

glauben, dass<br />

sie für immer<br />

krank ist“<br />

ULRIKE B., BIANCAS MUTTER<br />

durch. „Da war ich total unterzuckert, mir<br />

war schwindelig und ich habe ein bisschen<br />

gezittert. Bei meiner Freundin, wo ich zu Besuch<br />

war, habe ich dann den <strong>ganz</strong>en Apfelsaft<br />

ausgetrunken und den Traubenzucker aufgegessen“,<br />

erinnert sie sich.<br />

Den Schulwechsel zum Gymnasium hat<br />

Bianca gut gemeistert. „Ich habe den Lehrern<br />

mitgeteilt, dass unsere Tochter Diabetes<br />

hat“, erzählt die Mutter, die – um ihre Tochter<br />

bestmöglich zu betreuen – noch nicht wie<strong>der</strong><br />

arbeitet. „Ich habe aber lei<strong>der</strong> das Gefühl,<br />

dass viele Lehrer nicht wissen, wie sich das<br />

Leben für ein Kind mit Diabetes verän<strong>der</strong>t.“<br />

Es muss ständig ans <strong>Blutzucker</strong>messen und<br />

Spritzen denken und kann nicht einfach nach<br />

Lust und Laune essen, <strong>Sport</strong> treiben o<strong>der</strong> bei<br />

Freunden übernachten wie an<strong>der</strong>e Kin<strong>der</strong>.<br />

Das zu verstehen, war auch für Bianca<br />

nicht einfach: „Sie will auch heute noch nicht<br />

so richtig glauben, dass sie ein Leben lang Diabetes<br />

haben wird. Manchmal bricht sie in<br />

Tränen aus, weil sie so traurig darüber ist“,<br />

berichtet Ulrike B. Der Diplompsychologe<br />

Béla Bartus weiß, wie sehr gerade Kin<strong>der</strong> und<br />

Jugendliche unter <strong>der</strong> Krankheit leiden. Er<br />

arbeitet in <strong>der</strong> Diabetes-Ambulanz am Olgahospital<br />

in Stuttgart und ist Sprecher <strong>der</strong> Stiftung<br />

Dianiño (www.dianino.de), die sich um<br />

die psychosozialen Belange betroffener Familien<br />

kümmert. Bartus hält die psychologische<br />

Betreuung aller Beteiligten für sehr wichtig:<br />

„Kleine Kin<strong>der</strong>n haben Angst vor <strong>der</strong> Spritze,<br />

Grundschüler vergessen an ihren Diabetes<br />

zu denken, Jugendliche verweigern die Therapie“,<br />

zählt er Beispiele auf. „Oft wird die <strong>ganz</strong>e<br />

Familie in Mitleidenschaft gezogen. Manche<br />

Eltern haben schon seit Jahren nicht mehr<br />

durchgeschlafen, weil sie ihr Kind spritzen<br />

müssen. Viele Frauen schaffen es nicht zurück<br />

in den Beruf und sind unzufrieden.“<br />

Die Zahlen sind erschreckend: „In den vergangenen<br />

Jahren hat sich die Anzahl <strong>von</strong> Typ-<br />

1-Diabetikern verdoppelt“, sagt Prof. Thomas<br />

Danne vom Kin<strong>der</strong>krankenhaus auf <strong>der</strong> <strong>Bult</strong><br />

in Hannover. Er leitet als Chefarzt das größte<br />

Zentrum für Kin<strong>der</strong>- und Jugendliche mit<br />

Diabetes in Deutschland. Ursachen für die<br />

Autoimmunreaktion seien bisher nicht eindeutig<br />

geklärt. Prof. Danne, <strong>der</strong> auch Vorsitzen<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Stiftung „Das zuckerkranke Kind“<br />

(www.daszuckerkrankekind.de) ist, hofft, Betroffene<br />

eines Tages heilen zu können: „Zum<br />

Beispiel durch die Verpflanzung insulinproduzieren<strong>der</strong><br />

Zellen. Im Moment funktioniert<br />

dieses Verfahren aber lei<strong>der</strong> noch nicht, weil<br />

die eingepflanzten Zellen vom Körper wie<strong>der</strong><br />

zerstört werden“, erklärt <strong>der</strong> Experte.<br />

Bianca hofft jetzt erst einmal, dass sie<br />

bald eine Insulinpumpe bekommt, die sie am<br />

Bauch trägt. Über einen Katheter wird das Insulin<br />

dann auf Knopfdruck in das Fettgewebe<br />

geführt. „Dann muss ich nicht mehr spritzen.<br />

Das wäre ja schon mal toll“, sagt sie.<br />

WuB/H.Geigl<br />

02/2006

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