Mitarbeiterscreenings - Allen & Overy
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Arbeitsrecht<br />
„Zugelassener Wirtschaftsbeteiligter“ und „Anti-Terrorismus-Liste“<br />
<strong>Mitarbeiterscreenings</strong><br />
Jürgen Kaltenbach,<br />
Rechtsanwalt und Leiter Arbeitsrecht,<br />
Heidelberger Druckmaschinen AG,<br />
Heidelberg<br />
Dr. Hans-Peter Löw,<br />
Rechtsanwalt und Partner,<br />
<strong>Allen</strong> & <strong>Overy</strong> LLP,<br />
Frankfurt<br />
Compliance und Arbeitnehmerschutz stehen in einem Spannungsverhältnis.<br />
Das ist schon lange bekannt, ebenso wie die<br />
ambivalente Haltung von Politik und Öffentlichkeit. Gesucht<br />
wird nicht nach ausgewogenen Lösungen, sondern je nach Anlass<br />
wird dem einen oder anderen Aspekt der absolute Vorrang<br />
gegeben. Ein besonders krasses Beispiel ist das Mitarbeiter<br />
screening gegen Anti-Terrorismus-Listen zur Erlangung des<br />
Status eines „zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten“.<br />
1 Zollerleichterungen<br />
Zur Terrorismusbekämpfung hat der Rat der EU die unmittelbar in allen<br />
Mitgliedstaaten geltenden Anti-Terror-Verordnungen (EG) Nr. 2580/2001<br />
und (EG) Nr. 881/2002 erlassen. Einer Person, die mit Terrornetzwerken<br />
in Verbindung gebracht und in den Anhängen dieser Verordnungen<br />
(Anti-Terrorismus-Listen) namentlich genannt wird (s. arbeit-und-arbeitsrecht.de/downloads),<br />
dürfen danach weder Gelder oder fi nanzielle Vermögenswerte<br />
noch wirtschaftliche Ressourcen direkt oder indirekt zur<br />
Verfügung gestellt werden (Bereitstellungsverbot).<br />
Wichtig<br />
Will ein Unternehmen dieses Verbot beachten, müsste es regelmäßig<br />
durch Abgleich von Namen, Geburtsort und -datum überprüfen, ob<br />
Beschäftigte auf diesen Listen verzeichnet sind. Zwar enthalten die Verordnungen<br />
keine ausdrückliche Pfl icht zu einem Mitarbeiterscreening.<br />
Da aber Lohnzahlungen an gelistete Personen gegen das Bereitstellungsverbot<br />
verstoßen, erfüllen auch unwissende Arbeitgeber einen Straftatbestand<br />
bzw. handeln ordnungswidrig (§ 34 Abs. 4 Nr. 2 Außenwirtschaftsgesetz<br />
[AWG] und §§ 130, 30 Abs. 1 OWiG). Ein Datenabgleich ist<br />
daher de facto unumgänglich.<br />
Relevant wird dies in besonderem Maße für Unternehmen, die das Zertifi<br />
kat eines „zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten“ (Authorised Economic<br />
Operator oder AEO) anstreben. Darunter ist ein nach dem Zollrecht der EU<br />
behördlich geprüftes Unternehmen zu verstehen, das bestimmte Standards<br />
› der Zuverlässigkeit,<br />
› der Zahlungsfähigkeit,<br />
› der Einhaltung einschlägiger Rechtsvorschriften sowie<br />
› in einzelnen Varianten des AEO-Zertifi kats angemessene Sicherheitskriterien<br />
erfüllt. Ein „zugelassener Wirtschaftsbeteiligter“ gilt deswegen als besonders<br />
zuverlässig und vertrauenswürdig. Er kann nach den Zollvorschriften<br />
zahlreiche Vergünstigungen im Bereich sicherheitsrelevanter Zollkontrollen<br />
bzw. Vereinfachungen in Zollverfahren in Anspruch nehmen.<br />
Für das AEO-Zertifi kat „Zollrechtliche Vereinfachungen/Sicherheit“ muss<br />
das antragstellende Unternehmen nach der Verwaltungspraxis der Hauptzollämter<br />
u. a. darlegen, dass es seine im sicherheitsrelevanten Bereich<br />
tätigen Mitarbeiter anhand der Namenslisten der Anti-Terror-Verordnungen<br />
überprüft (Art. 14k der Zollkodex-Durchführungsverordnung verpfl<br />
ichtet zu einer Sicherheitsüberprüfung und regelmäßigen Hintergrundüberprüfungen).<br />
Andernfalls wird das AEO-Zertifi kat nicht erteilt.<br />
Wichtig<br />
Diese Verwaltungspraxis birgt rechtliche Implikationen und ist nicht<br />
unumstritten. Eine tragfähige Rechtsgrundlage wird sowohl von Datenschützern<br />
als auch von gewerkschaftsorientierten Kreisen bezweifelt.<br />
Dennoch hat der BFH in einem Urteil vom 19.6.2012 (VII R 43/11,<br />
BFHE 237, S. 562) bestätigt, dass die Erteilung des AEO-Zertifi kats von<br />
der Durchführung des <strong>Mitarbeiterscreenings</strong> abhängig gemacht werden<br />
darf.<br />
2 Anti-Terrorismus-Listen<br />
Was aber sind nun genau diese Anti-Terrorismus-Listen und wie kommen<br />
sie zu Stande?<br />
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Infos hierzu auf Seite 189.<br />
Arbeit und Arbeitsrecht · 3/13 153
Arbeitsrecht<br />
Verordnung (EG) Nr. 2580/2001<br />
Vorschrift<br />
Art. 2 Abs. 3<br />
Der Rat erstellt, überprüft und ändert einstimmig die Liste der dieser Verordnung<br />
unterfallenden Personen, Vereinigungen oder Körperschaften. In dieser<br />
Liste sind aufgeführt:<br />
i) natürliche Personen, die eine terroristische Handlung begehen oder zu<br />
begehen versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen oder diese<br />
erleichtern;<br />
ii) juristische Personen, Vereinigungen oder Körperschaften, die eine terroristische<br />
Handlung begehen oder zu begehen versuchen oder sich an deren<br />
Begehung beteiligen oder diese erleichtern;<br />
(...)<br />
iv) natürliche oder juristische Personen, Vereinigungen oder Körperschaften,<br />
die im Namen oder auf Anweisung einer oder mehrerer unter Ziffer i) oder ii)<br />
genannten natürlichen oder juristischen Personen, Vereinigungen oder Körperschaften<br />
handeln.<br />
Noch schlichter lautet Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002:<br />
„Anhang 1 umfasst die natürlichen und juristischen Personen, Organisationen,<br />
Einrichtungen und Vereinigungen, die vom Sicherheitsrat der Vereinten<br />
Nationen oder vom Sanktionsausschuss als mit dem Al-Qaida-<br />
Netzwerk in Verbindung stehend benannt wurden.“<br />
Diese Vorschriften gelten unmittelbar in den Mitgliedstaaten der EU.<br />
Nähere Angaben darüber, wie die Listen zu Stande kommen, enthalten<br />
die Verordnungen ebenso wenig wie Regelungen über den Rechtsschutz<br />
derjenigen Personen und Vereinigungen, die in den Listen aufgeführt sind.<br />
Auch eine vorherige Information oder Anhörung ist nicht geboten.<br />
Der EuGH hat entschieden, dass der Rat nicht verpfl ichtet ist, der betroffenen<br />
Person oder Organisation im Voraus die Gründe mitzuteilen, aus denen<br />
er die Aufnahme dieser Person oder Organisation in die Liste nach<br />
Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2580/2001 beabsichtigt. Eine solche<br />
Maßnahme muss nämlich – um ihre Wirksamkeit nicht einzubüßen –<br />
schon aufgrund ihrer Natur überraschend kommen und sofort angewendet<br />
werden können. In diesem Fall genügt es nach den Luxemburger Richtern<br />
grundsätzlich, dass das Organ gleichzeitig mit oder unmittelbar nach<br />
Erlass des Beschlusses der betroffenen Person oder Organisation die<br />
Gründe mitteilt und sie anhört (Urt. v. 21.12.2011 – C-27/09). Dies<br />
bedeutet immerhin, dass die Betroffenen nach Ansicht des EuGH ein<br />
Informations- und Anhörungsrecht haben.<br />
3 Datenschutz<br />
Wenn Unternehmen den Status eines „zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten“<br />
erlangen wollen, so ist hierfür der Abgleich der Mitarbeiter- mit den<br />
Anti-Terrorismus-Listen erforderlich. Dabei stellt sich die Frage nach der<br />
datenschutzrechtlichen Zulässigkeit. Denn nach § 4 BDSG bedürfen solche<br />
Datenabgleiche einer rechtlichen Grundlage. Die Erhebung, Nutzung und<br />
Verarbeitung personenbezogener Daten ist danach nur zulässig, soweit<br />
dies von einem Gesetz erlaubt oder angeordnet wird oder der Betroffene<br />
einwilligt.<br />
Eine Einwilligung kommt aber eher nicht in Betracht. Die Datenschutzbehörden<br />
gehen schon nach der aktuellen Rechtslage davon aus, dass<br />
man im Arbeitsverhältnis keine wirksame freiwillige Einwilligung in erhebliche<br />
Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht erteilen kann. Es fehlt nach<br />
dieser Auffassung wegen des Über-/Unterordnungsverhältnisses an der<br />
freien Willensentschließung.<br />
Außerdem besteht das Problem der jederzeitigen Widerrufl ichkeit der Einwilligung.<br />
Und der – inzwischen wieder von der Tagesordnung genommene<br />
– Entwurf zum Beschäftigtendatenschutz (BDSG-E) sieht in § 32l<br />
Abs. 1 BDSG-E ein grundsätzliches Einwilligungsverbot vor.<br />
Wichtig<br />
Bisher ist streitig, ob mittels einer Betriebsvereinbarung vom Schutzniveau<br />
des BDSG zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden darf. Mit<br />
§ 32l Abs. 5 BDSG-E soll klargestellt werden, dass dies nicht möglich ist.<br />
Für den Arbeitnehmerdatenschutz stellt derzeit § 32 BDSG die maßgebliche<br />
Generalklausel dar. Danach ist die Datenverarbeitung zum Zwecke<br />
des Beschäftigungsverhältnisses zulässig. Ein Datenscreening zur Terrorabwehr<br />
dient allerdings nach ganz überwiegender Auffassung nicht der<br />
Durchführung des Arbeitsverhältnisses. Daher kommt § 32 BDSG hier<br />
nicht als Rechtfertigung in Betracht. Das erscheint angesichts der Regelung<br />
in § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG zwingend. Danach darf man selbst zur<br />
Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten<br />
nur dann erheben, verarbeiten oder nutzen, wenn<br />
› zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen,<br />
dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat<br />
begangen hat,<br />
› die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich<br />
ist und<br />
› das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss<br />
der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere<br />
Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig<br />
sind.<br />
Die Bundesregierung hält den Datenabgleich mit den EU-Terrorlisten<br />
für zulässig (vgl. Antwort auf die kleine Anfrage der Linksfraktion, BT-Drs.<br />
17/4136). Sie vertritt den Standpunkt, ein Rückgriff auf die Terrorismus-<br />
Verordnungen sei zwingend, da diese in allen Mitgliedstaaten unmittelbar<br />
geltendes Recht seien. Daher seien sie als taugliche Rechtsgrundlage anzusehen.<br />
Noch weiter gehend hat der BFH mit seiner Entscheidung vom 19.6.2012<br />
(VII R 43/11, a. a. O.) die datenschutzrechtliche Zulässigkeit des Abgleichs<br />
von Mitarbeiter- mit Anti-Terrorismus-Listen bejaht: Sofern ein Unternehmen<br />
bestimmte Erleichterungen bei der Abwicklung seiner Tätigkeiten anstrebt<br />
und hierfür Sicherheitsvorkehrungen – in Form einer Überprüfung<br />
des Personals – erforderlich sind, sei die Nutzung entsprechender Daten<br />
für die Entscheidung über die Begründung oder Durchführung eines Beschäftigungsverhältnisses<br />
unmittelbar i. S. d. § 32 BDSG erforderlich.<br />
Außerdem seien ohnehin „nur die sog. Stammdaten“ von Belang. Den<br />
Vergleich dieser Stammdaten mit den Namen in den Anti-Terrorismus-<br />
Listen als datenschutzrechtlich unzulässig anzusehen, käme einem an<br />
den Arbeitgeber gerichtetem Verbot gleich, das für jedermann zugängliche<br />
Amtsblatt einzusehen und aus diesem Informationen über bestimmte<br />
Verbote zu gewinnen. Damit bestünde ein Verbot, sich über gesetzlich<br />
bestehende Verbote zu informieren, was zweifellos ein absurdes Ergebnis<br />
wäre.<br />
Praxistipp<br />
Auch wenn die Entscheidung des BFH rechtlich sehr bedenklich – und<br />
in ihrer Begründung teilweise kurios – ist, können sich Arbeitgeber zur<br />
datenschutzrechtlichen Legitimation des <strong>Mitarbeiterscreenings</strong> darauf<br />
berufen.<br />
154 Arbeit und Arbeitsrecht · 3/13
Arbeitsrecht<br />
4 Beteiligung des Betriebsrats<br />
Entgegen abweichender Stimmen sind diese Maßnahmen mitbestimmungsfrei,<br />
solange der Arbeitgeber sich nicht technischer Einrichtungen<br />
zur Überprüfung oder Absicherung (softwaregestützter Listenabgleich,<br />
Zugangskontrollsysteme) bedient. Nur insoweit wäre § 87 Abs. 1 Nr. 6<br />
BetrVG einschlägig. Zwar hat der Betriebsrat auch in Fragen der Ordnung<br />
und des Verhaltens der Arbeitnehmer sowie bei zur Leistungs- oder Verhaltenskontrolle<br />
geeigneten technischen Überwachungseinrichtungen<br />
gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 6 BetrVG mitzubestimmen. Die EU-Verordnungen<br />
und deren Umsetzung lassen aber beim Mitarbeiterscreening keine<br />
Freiräume, die durch das Gremium mitgestaltet werden könnten. Es verbleibt<br />
daher kein durch die Mitbestimmung regelbarer Handlungsspielraum<br />
des Arbeitgebers (für behördlich auferlegte Sicherheitsüberprüfungen<br />
s. BAG, Beschl. v. 9.7.1991 – 1 ABR 57/90, NZA 1992, S. 126).<br />
Wichtig<br />
Die Entscheidung des Unternehmens selbst, ob es ein Zertifi kat als „zugelassener<br />
Wirtschaftsbeteiligter“ anstrebt, darf durch Mitbestimmungsrechte<br />
des Betriebsrats nicht beschränkt werden, denn dies wäre ein Eingriff in<br />
die unternehmerische Betätigungsfreiheit.<br />
Erhebt der Arbeitgeber die behördlich geforderten Stammdaten bzw. Auskünfte<br />
über das Vorleben seiner Beschäftigten schriftlich, handelt es sich<br />
um Angaben zu persönlichen Verhältnissen mittels eines Personalfragebogens,<br />
dessen Inhalt oder Anwendung nach § 94 BetrVG grundsätzlich der<br />
Zustimmung des Betriebsrats bedarf. Für den Abgleich werden allerdings<br />
lediglich Stammdaten benötigt, die in jedem Personalfragebogen ohnehin<br />
erfasst werden. Da die Aufnahme dieser Daten damit zwangsläufi g nicht<br />
ihre alleinige Ursache im beabsichtigten Mitarbeiterscreening hat, ist ein<br />
Beteiligungsrecht – jedenfalls allein deswegen – ausgeschlossen.<br />
Sicherheitsüberprüfungen sind auch keine Auswahlrichtlinien i. S. v. § 95<br />
BetrVG. Nur Maßnahmen, mit denen das Unternehmen selbst Kriterien<br />
seiner Personalplanung festlegt, erfüllen diesen Tatbestand.<br />
In jedem Fall dürfte eine personenbedingte Kündigung in Betracht kommen.<br />
Auf Anti-Terrorismus-Listen aufgeführten Beschäftigten fehlt die erforderliche<br />
Eignung für die Ausübung des Arbeitsverhältnisses. Das gilt<br />
nicht nur für eine Tätigkeit in den sicherheitsrelevanten Bereichen „zugelassener<br />
Wirtschaftsbeteiligter“, sondern ganz allgemein.<br />
Wichtig<br />
Setzt sich das Unternehmen bei der Auszahlung des Gehalts der Gefahr<br />
strafrechtlicher Verfolgung nach § 34 AWG aus, so wird ihm die Beschäftigung<br />
eines solchen Arbeitnehmers subjektiv unmöglich. Daher muss auch<br />
die Interessenabwägung zulasten des Mitarbeiters ausfallen (noch weiter<br />
gehend für einen Arbeitnehmer, der in Verdacht steht, gelistet zu sein:<br />
Raif, a. a. O.). Arbeitsrechtlich erscheint das zwingend. Gleichzeitig verdeutlicht<br />
das Ergebnis, wie rechtsstaatlich bedenklich es ist, dass zwingende<br />
Verfahrensregeln und Rechtsschutzmöglichkeiten bei Aufnahme in<br />
die Anti-Terrorismus-Listen fehlen.<br />
6 Es geht auch anders: Sicherheit durch „bekannte Versender“<br />
Dass Sicherheitsüberprüfungen auch ohne das zweifelhafte Instrument<br />
des Abgleichs mit den Anti-Terrorismus-Listen möglich sind, zeigt das Verfahren<br />
zur Erlangung des Status „bekannter Versender“: Im Luftfrachtverkehr<br />
gilt nach der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 das Prinzip der „sicheren<br />
Lieferkette“. Jede Fracht muss vor der Beförderung per Flugzeug den<br />
Anzeige<br />
Praxistipp<br />
Das BFH-Urteil nimmt zu betriebsverfassungsrechtlichen Fragen keine<br />
Stellung. Auch zur Zuverlässigkeitsüberprüfung oder beschäftigungsbezogenen<br />
Überprüfung gibt es noch keine Rechtsprechung. Dessen ungeachtet<br />
können – unter Hinweis auf die hier vertretene Rechtsauffassung –<br />
betriebliche Absprachen mit dem Betriebsrat Handlungsoptionen sichern<br />
und Verlässlichkeit schaffen.<br />
5 Was passiert bei einem Treffer?<br />
Stellt sich bei einem Anti-Terror-Screening heraus, dass ein Arbeitnehmer<br />
auf einer der Listen aufgeführt ist, so folgt aus dem bereits erwähnten<br />
Bereitstellungsverbot, dass der Arbeitgeber keine Arbeitsvergütung mehr<br />
zahlen darf. Allerdings können die zuständigen Behörden (in Deutschland:<br />
die Deutsche Bundesbank) Ausnahmegenehmigungen erteilen, mit denen<br />
fi nanzielle Mittel für die Deckung des Grundbedarfs freigegeben werden.<br />
Völlig ungeklärt ist die Frage, welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen<br />
sich ergeben. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass der Arbeitsvertrag<br />
nach § 134 BGB nichtig sei. Wenn dem Arbeitgeber nach den einschlägigen<br />
Verordnungen die Auszahlung des Gehalts an den Mitarbeiter<br />
verboten sei, könne das Arbeitsverhältnis nicht sinnvoll durchgeführt werden<br />
(Raif, ArbR 2011, S. 241).<br />
Arbeit und Arbeitsrecht · 3/13 155
Arbeitsrecht<br />
Status „sicher“ haben, um einen Missbrauch zu terroristischen Anschlägen<br />
auszuschließen. „Sicher“ ist Luftfracht, wenn sie nach gemeinsam<br />
festgelegten Sicherheitsvorgaben behandelt wurde, die deren Beförderung<br />
auf dem Luftweg gestatten.<br />
Die Fracht kann entweder durch Kontrollen beim Luftfahrtunternehmen<br />
oder einem behördlich kontrollierten Logistikdienstleister/Spediteur<br />
„sicher“ gemacht werden. Die erforderlichen Maßnahmen, wie Röntgenuntersuchungen<br />
oder Handkontrollen, kosten jedoch Zeit, Aufwand und<br />
Geld oder sind mit Qualitätsstandards oder Warenbeschaffenheit unvereinbar.<br />
Daher kann ein Unternehmen die Luftfracht auch ohne diese<br />
Kontrollmaßnahmen in Eigenregie abfertigen, wenn es behördlich als<br />
„bekannter Versender“ zugelassen ist. Dazu sichert es identifi zierbare<br />
Luftfracht auf dem eigenen Betriebsgelände vor unbefugtem Zugriff und<br />
Manipulation und übergibt sie ohne weitere Kontrolle als „sicher“.<br />
Wichtig<br />
Nach dem 25.3.2013 (Ende der Übergangsfrist der Verordnung) muss<br />
sich das Unternehmen einem aufwändigen Zulassungsverfahren beim<br />
Luftfahrt-Bundesamt (LBA) unterziehen. Dazu ist ein Sicherheitskonzept<br />
zu erstellen, das mit identifi zierter Luftfracht in Berührung kommende Personal<br />
zu überprüfen und zu schulen, ggf. der betriebliche Logistikbereich<br />
umzugestalten und ein umfassendes Audit durch das LBA zu bestehen.<br />
(Anm. d. Red.: vgl. zum Thema auch den Blickpunkt in AuA 4/13.)<br />
Anzeige<br />
Diese Überprüfung der Mitarbeiter richtet sich nach einer weiteren Verordnung<br />
(EU) Nr. 185/2010 und betrifft zwei Personenkreise,<br />
– den verantwortlichen „Beauftragten für die Sicherheit“ sowie<br />
– das Personal, das physisch Zugang zu identifi zierbarer Luftfracht hat.<br />
Die behördliche Zuverlässigkeitsüberprüfung des Sicherheitsbeauftragten<br />
– mit Identitätsnachweis, Prüfung der Strafregistereinträge sowie Erfassung<br />
beschäftigungsbezogener und sonstiger Lücken im Lebenslauf der<br />
letzten fünf Jahre – nimmt die zuständige Luftsicherheitsbehörde auf Antrag<br />
des Arbeitgebers vor. Das Personal mit physischem Zugang zu identifi<br />
zierbarer Luftfracht muss er hingegen selbst überprüfen. Dabei ist die<br />
Identität des jeweiligen Mitarbeiters festzustellen und von diesem sind<br />
Auskünfte über Straffälligkeiten bzw. beschäftigungsbezogene und sonstige<br />
Lebenslaufl ücken der letzten fünf Jahre einzufordern.<br />
Praxistipp<br />
Die datenschutzrechtlichen Erwägungen für dieses Verfahren dürften auf<br />
die Anti-Terrorismus-Listen entsprechend anwendbar sein. Das gilt im<br />
Wesentlichen auch für die betriebsverfassungsrechtlichen Aspekte. Die<br />
Entscheidung des Unternehmens, den Status „bekannter Versender“<br />
anzustreben, darf durch Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht<br />
beschränkt werden. §§ 94 und 95 BetrVG scheiden aus, weil zum einen<br />
die Stammdaten bereits erhoben sind und zum anderen die Behörde<br />
– und nicht der Arbeitgeber – die Kriterien für eine Zuverlässigkeitsüberprüfung<br />
oder beschäftigungsbezogene Überprüfung festlegt. In arbeitsrechtlicher<br />
Hinsicht ist zu beachten, dass man Arbeitnehmer, die die<br />
Zuverlässigkeits- oder die beschäftigungsbezogene Überprüfung in diesem<br />
Verfahren nicht bestehen, ohne Weiteres an anderer Stelle einsetzen<br />
kann. Eine entsprechende Versetzung ist dem Arbeitgeber also zumutbar.<br />
7 Fazit<br />
Wegen seiner Tragweite für die Personalarbeit bleibt der Umgang mit Mitarbeiterdaten<br />
ein sensibles Thema. Den sicherheitspolitischen Verschärfungen<br />
und daraus resultierenden Anforderungen können sich die Unternehmen<br />
kaum entziehen. Aber auch nach der Entscheidung des BFH wird<br />
die Diskussion unter Arbeitsrechtlern und Datenschützern nicht verstummen.<br />
Dabei hat der BFH eine wichtige Vorfrage geklärt und die Zollverwaltung<br />
insoweit bestätigt, die für das AEO-Zertifi kat den Listenabgleich<br />
verlangt.<br />
Arbeitsrechtlich ist zu folgern, dass dadurch der Regelungsspielraum der<br />
Betriebsparteien und etwaige Mitbestimmungsrechte auf null reduziert<br />
sind. Der Arbeitgeber ist nur frei in der Entscheidung, ob er ein Zertifi kat<br />
erwirbt, nicht jedoch in der Vorgehensweise. Streitfälle werden letztendlich<br />
die Arbeitsgerichte und Einigungsstellen beschäftigen. Vor diesem<br />
Hintergrund können Betriebsvereinbarungen durchaus sinnvoll sein, auch<br />
wenn der Umfang der Mitbestimmungsrechte unklar und die Reichweite<br />
der Regelungsbefugnis der Betriebsparteien zweifelhaft sind.<br />
Auch beim Datenschutz kann man nach der Entscheidung des BFH nicht<br />
zur Tagesordnung übergehen. Der Listenabgleich berührt das informationelle<br />
Selbstbestimmungsrecht der Beschäftigten, zumal dies in der Praxis<br />
überwiegend über automatisierte Verfahren und ggf. durch Dienstleister<br />
realisiert wird. Rechtsgrundlagen, Rechtsstaatlichkeit beim Zustandekommen<br />
der Listen, Verhältnismäßigkeit eines anlasslosen <strong>Mitarbeiterscreenings</strong><br />
ohne Verdachtsfall und Zumutbarkeitsaspekte werden weiterhin für<br />
Kontroversen mit betrieblichen Datenschutzbeauftragten und Betriebsräten<br />
sorgen.<br />
156 Arbeit und Arbeitsrecht · 3/13