Michael Schneider Die Göttliche Liturgie des heiligen und - Kath.de
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<strong>Michael</strong> <strong>Schnei<strong>de</strong>r</strong><br />
<strong>Die</strong> <strong>Göttliche</strong> <strong>Liturgie</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>heiligen</strong> <strong>und</strong> ruhmreichen Apostels Jakobus,<br />
<strong><strong>de</strong>s</strong> Herrenbru<strong>de</strong>rs <strong>und</strong> ersten Bischofs von Jerusalem,<br />
wie sie in <strong>de</strong>r <strong>heiligen</strong> Stadt Jerusalem gefeiert wird<br />
(Radio Horeb, Juni 2011))<br />
<strong>Die</strong> Jakobus-<strong>Liturgie</strong> ist die »große Unbekannte« unter <strong>de</strong>n vier großen <strong>Liturgie</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong> byzantinischen<br />
Ritus. Schon im dritten Jahrh<strong>und</strong>ert weit in <strong>de</strong>r christlichen Welt verbreitet, geriet sie im Mittelalter<br />
außer Gebrauch, doch nicht in Vergessenheit. Heute wird sie neu ent<strong>de</strong>ckt als altehrwürdiger, kost-<br />
barer, ökumenischer Schatz <strong>de</strong>r Kirche Jesu Christi. Normalerweise wird die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> von<br />
einem Bischof gemeinsam mit zwölf Priestern gefeiert; da dies bei uns nicht <strong>de</strong>r Fall ist, habe ich<br />
für unsere <strong>Liturgie</strong> die Teile <strong>de</strong>r Bischofsliturgie ausgelassen. Ferner sind in meiner Vorlage einige<br />
Ektenien gekürzt wor<strong>de</strong>n, wenn nämlich für das Heer o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n König etc. gebetet wird. Kürzungen<br />
habe ich vorgenommen beim Gedächtnis <strong>de</strong>r Heiligen in <strong>de</strong>r Anaphora, weil hier zuweilen Heilige<br />
genannt <strong>und</strong> angeführt wer<strong>de</strong>n, die aus <strong>de</strong>m zweiten Jahrtausend <strong>und</strong> somit nicht aus <strong>de</strong>r ur-<br />
sprünglichen Jakobus-<strong>Liturgie</strong> stammen.<br />
In meiner Übersetzung folge ich <strong>de</strong>m griechischen Text, wie er von Mercier <strong>und</strong> Swainson<br />
vorgelegt ist, doch habe ich ihn mit <strong>de</strong>n slawischen Vorlagen verglichen. Eine gr<strong>und</strong>sätzliche Ab-<br />
weichung vom griechischen Text fin<strong>de</strong>t sich bei <strong>de</strong>r Kommunion, <strong>de</strong>nn hier folgen wir <strong>de</strong>m<br />
slawisch-byzantinischen Brauch; zu<strong>de</strong>m ist <strong>de</strong>r slawische Kommunionritus im Zueinan<strong>de</strong>r von<br />
Priester <strong>und</strong> Gläubigen bzw. Chor einfacher durchzuführen.<br />
I. <strong>Liturgie</strong> als Dogma<br />
<strong>Die</strong> Feier <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong> nimmt in <strong>de</strong>r Kirche <strong><strong>de</strong>s</strong> Ostens eine zentrale Stellung ein. Alles im Leben <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
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orthodoxen Glaubens hat seinen Ursprung in <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong>. In <strong>de</strong>r Ostkirche gibt es keine oberste<br />
Autorität zur einheitlichen Ordnung <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong>, doch gilt es »in <strong>de</strong>r orthodoxen Kirche als<br />
gesicherte Tatsache, daß eine Norm, die von allen orthodoxen Kirchen rezipiert ist, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mnach<br />
das Pleroma <strong>de</strong>r Kirche das Siegel seiner Zustimmung aufgedrückt hat, volle Verbindlichkeit besitzt.<br />
Eine solche Zustimmung gibt es für die bestehen<strong>de</strong> Gottesdienstordnung seit urvor<strong>de</strong>nklicher Zeit.<br />
Eine solche Zustimmung gibt es auch für die Überzeugung, daß keine einzelne orthodoxe Kirche die<br />
Gottesdienstordnung än<strong>de</strong>rn darf, weil sie sonst die Einheit aller orthodoxen Kirchen in Gefahr<br />
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brächte« .<br />
Im folgen<strong>de</strong>n ist speziell von <strong>de</strong>r sogenannten »byzantinischen« <strong>Liturgie</strong>tradition in <strong>de</strong>r Ostkirche die Re<strong>de</strong>.<br />
E.C. Suttner, Gottesdienst <strong>und</strong> Recht in <strong>de</strong>r orthodoxen Kirche, in: LJ 33 (1983) 30-42, hier 34.<br />
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<strong>Die</strong> liturgischen Traditionen entfalten sich nicht »von oben«, son<strong>de</strong>rn sind gewachsene Größen:<br />
»Gewisse Zentren religiösen Lebens, Klöster o<strong>de</strong>r Bischöfe, ordneten die <strong>Liturgie</strong>, welche in <strong>de</strong>m<br />
Maße Verbindlichkeit erlangte, als diese Ordnung übernommen <strong>und</strong> beobachtet wur<strong>de</strong>. Von enor-<br />
mem Einfluß waren das Wallfahrtszentrum <strong>de</strong>r Christenheit schlechthin <strong>und</strong> das dortige Kloster <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
<strong>heiligen</strong> Sabas; in <strong>de</strong>r Reichshauptstadt war es das Studiou-Kloster, <strong><strong>de</strong>s</strong>sen Abt Theodoros<br />
Studites berühmt wur<strong>de</strong> als Verteidiger <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>rverehrung, aber auch als Zusammensteller litur-<br />
gischer Bücher. ‘Von oben’ initiierte <strong>Liturgie</strong>reformen konnten sich dagegen nie recht durchset-<br />
zen« . 3<br />
Der Kirchenvater Basilius bezeichnet die ungeschriebene Tradition, zu <strong>de</strong>r die <strong>Liturgie</strong> gehört, als<br />
»Dogma«; die geschriebene als »Kerygma«, sie ist in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift <strong>und</strong> in <strong>de</strong>n Werken <strong>de</strong>r<br />
Kirchenväter überliefert. Dem »Dogma« kommt es zu, das Kerygma auszulegen <strong>und</strong> zu vertiefen,<br />
nicht mit Worten <strong>und</strong> Begriffen, son<strong>de</strong>rn im Vollzug <strong>de</strong>r Sakramente wie auch im Leben <strong>de</strong>r Kirche<br />
<strong>und</strong> im Alltag <strong><strong>de</strong>s</strong> Christen. Das Kerygma wird verkün<strong>de</strong>t, das Dogma bleibt »verschwiegen«, wie<br />
Basilius sagt, <strong>de</strong>nn nur im Schweigen läßt sich die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Geheimnisse bewahren <strong>und</strong> vor aller<br />
Gewohnheit <strong>und</strong> Gewöhnlichkeit schützen. Bei<strong>de</strong>, Kerygma <strong>und</strong> Dogma, bil<strong>de</strong>n die apostolische<br />
4 Tradition. Nach Basilius geht es in <strong>de</strong>r Feier <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong> nicht bloß um eine Frage <strong><strong>de</strong>s</strong> Ritus <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />
Zelebrationsweise. Vielmehr gilt: <strong>Liturgie</strong> ist gefeiertes Dogma.<br />
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4<br />
II. Gr<strong>und</strong>formen byzantinischer <strong>Liturgie</strong><br />
Im Gottesdienst <strong><strong>de</strong>s</strong> byzantinischen Ritus lassen sich vier <strong>Liturgie</strong>formen unterschei<strong>de</strong>n: die Basi-<br />
lius-<strong>Liturgie</strong>, die Chrysostomus-<strong>Liturgie</strong>, die <strong>Liturgie</strong> <strong>de</strong>r vorgeweihten Gaben <strong>und</strong> die Jakobus-<br />
<strong>Liturgie</strong>. Bei <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong> <strong>de</strong>r Vorgeweihten Gaben han<strong>de</strong>lt es sich um eine Vesper mit Kommu-<br />
nionausteilung (<strong>de</strong>r schon verwan<strong>de</strong>lten <strong>und</strong> dann aufbewahrten eucharistischen Gaben). <strong>Die</strong><br />
Chrysostomus-<strong>Liturgie</strong> unterschei<strong>de</strong>t sich von <strong>de</strong>r Basilius-<strong>Liturgie</strong> nur in einzelnen (still<br />
verrichteten) Gebeten <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Anaphora; ansonsten haben bei<strong>de</strong> <strong>de</strong>nselben Aufbau. <strong>Die</strong> Jako-<br />
bus-<strong>Liturgie</strong> wird selten gefeiert, meist am Fest <strong><strong>de</strong>s</strong> Apostels Jakobus <strong>und</strong> am Sonntag vor<br />
Weihnachten.<br />
M. Kunzler, Archieratikon. Einführung in Geist <strong>und</strong> Gestalt <strong>de</strong>r bischöflichen <strong>Liturgie</strong> im byzantinischen Ritus <strong>de</strong>r griechischkatholischen<br />
Kirche <strong>de</strong>r Ukraine, Pa<strong>de</strong>rborn 1998, 82; er fügt hinzu: »So hat <strong>de</strong>r zelebrieren<strong>de</strong> Bischof sich zwar an die<br />
Anweisungen <strong><strong>de</strong>s</strong> Archieratikon zu halten, ihm steht es aber schon frei, Anpassungen an die Situation <strong>de</strong>r jeweils mitfeiern<strong>de</strong>n<br />
Gemein<strong>de</strong> dort vorzunehmen, wo die I<strong>de</strong>ntität <strong><strong>de</strong>s</strong> gottesdienstlichen Vollzuges nicht berührt wird« (ebd., 83).<br />
Weil die <strong>Liturgie</strong> eine »geheimnisvolle Überlieferung« darstellt, warnte Patriarch Athenagoras von Konstantinopel <strong>de</strong>n römischen<br />
Papst vor einer vorschnellen <strong>Liturgie</strong>reform. Je<strong>de</strong> wesentliche Verän<strong>de</strong>rung in <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong> kommt an <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>m<br />
Verbindlichkeitscharakter <strong>de</strong>r christlichen Offenbarung <strong>und</strong> kirchlichen Tradition nicht vorbei. <strong>Die</strong> <strong>Liturgie</strong> ist nicht etwas, über<br />
das die Kirche - in freier Anpassung - verfügt. Vielmehr erhebt die Feier <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong>, weil sie das unverwechselbare Mysterium<br />
<strong><strong>de</strong>s</strong> Glaubens feiert, <strong>de</strong>n Anspruch auf eine Verbindlichkeit für das Leben <strong>de</strong>r Kirche, mit gleichzeitiger Offenheit für eine je neue<br />
Vertiefung in <strong>de</strong>r jeweiligen Zeit <strong>und</strong> Kultur.<br />
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III. <strong>Die</strong> Jakobus-<strong>Liturgie</strong><br />
Das Hochgebet in <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong> <strong>de</strong>r Stadt Jerusalem ist seit <strong>de</strong>r Mitte <strong><strong>de</strong>s</strong> 4. Jahrh<strong>und</strong>erts die<br />
»Jakobus-Anaphora«, ein vielleicht sogar schon auf das 3. Jahrh<strong>und</strong>ert zurückgehen<strong><strong>de</strong>s</strong> palästinen-<br />
sisches Eucharistiegebet. <strong>Die</strong> heute vorliegen<strong>de</strong> <strong>Liturgie</strong> stammt sicherlich nicht wörtlicch von Ja-<br />
kobus aus Jerusalem, wohl aber aus <strong>de</strong>m 4. <strong>und</strong> 5. Jahrh<strong>und</strong>ert, wobei sie vermutlich eine Re-<br />
daktion einer älteren Form ist, von <strong>de</strong>r wir aber kein schriftliches Zeugnis besitzen. Ein wichtiger<br />
Zeitzeuge ist das Reisetagebuch <strong>de</strong>r Pilgerin Etheria, sie berichtet viele Einzelheiten <strong><strong>de</strong>s</strong> damaligen<br />
liturgischen Lebens <strong>und</strong> damit auch von <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong>. 5<br />
<strong>Die</strong> Jakobus-<strong>Liturgie</strong> wur<strong>de</strong> griechisch abgefaßt. Neben einer syrischen Version (die Jerusalemer<br />
Gemein<strong>de</strong> war damals zweisprachig) haben wir eine armenische, georgische, slawische, koptische<br />
<strong>und</strong> an<strong>de</strong>re. Selbst im abendländischen Bereich gibt es Orte, wo die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> zelebriert<br />
wur<strong>de</strong> (Spanien, Gallien, Italien). An <strong>de</strong>r Verbreitung <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong>, speziell ihrer Anaphora,<br />
zeigt sich die Be<strong>de</strong>utung, die Jerusalem für die damalige Christenheit hatte. Während die griechi-<br />
sche Fassung <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong>, welche bei <strong>de</strong>n Orthodoxen verwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, zunehmend in<br />
Vergessenheit geriet, da sich über Konstantinopel die byzantinische <strong>Liturgie</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Basilius <strong>und</strong><br />
schließlich <strong><strong>de</strong>s</strong> Chrysostomus durchsetzte, blieb ihre Be<strong>de</strong>utung unangetastet bei <strong>de</strong>n syrischen<br />
Jakobiten.<br />
Der Jakobus-<strong>Liturgie</strong> kam aufgr<strong>und</strong> ihrer Herkunft aus Jerusalem in <strong>de</strong>r damaligen Kirche eine<br />
einzigartige Be<strong>de</strong>utung zu, doch ihre konkrete Herkunft läßt sich nur schwer rekonstruieren. Nach<br />
<strong>de</strong>r syrischen Tradition hatte Jakobus die nach ihm benannte <strong>Liturgie</strong> damals im Abendmahlssaal<br />
aufgeschrieben, ja, »aus <strong>de</strong>m M<strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Herrn selber gehört <strong>und</strong> gelernt«.<br />
Eine typische Wendung <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> lautet: »<strong>Die</strong>ses selbe Opfer bringen wir dir dar [...] für<br />
<strong>de</strong>ine <strong>heiligen</strong> Stätten [...], vor allem für Sion«, woraus man folgerte, daß die <strong>Liturgie</strong> in Jerusalem<br />
entstan<strong>de</strong>n sei; doch ist - wie gesagt - nicht auszuschließen, daß ihr schon eine ältere <strong>Liturgie</strong><br />
zugr<strong>und</strong>e liegt. <strong>Die</strong> Jakobus-<strong>Liturgie</strong> selbst wie<strong>de</strong>rum wur<strong>de</strong> zum Vorbild vieler an<strong>de</strong>rer Hochge-<br />
bete. Auch Johannes Chrysostomus wird als Bischof von Antiochien die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> gefeiert<br />
haben; er erwähnt sie ausdrücklich in seinen Homilien <strong>und</strong> Schriften. <strong>Die</strong> antiochenische <strong>Liturgie</strong>,<br />
welche die Chrysostomus-<strong>Liturgie</strong> wesentlich geprägt hat, ist nämlich nicht zu verstehen ohne die<br />
<strong>Liturgie</strong> <strong>de</strong>r Stadt Jerusalem. Bei<strong><strong>de</strong>s</strong> gilt: Antiochien übte auf Jerusalem einen wichtigen Einfluß<br />
aus, aber es hat von dort ebenso entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Impulse erhalten. Ferner erhielt die griechische Li-<br />
turgie <strong>de</strong>r Stadt Jerusalem syropalästinensische, arabische, armenische <strong>und</strong> georgische Übertragun-<br />
gen.<br />
6<br />
CSEL 39 (1898) 35-101; <strong>Die</strong> Pilgerreise <strong>de</strong>r Aetheria (Peregrinatio Aetheriae). Hrsg. von H. Pétré <strong>und</strong> übersetzt von K. Vretska,<br />
Klosterneuburg 1958; Egeria, Itinerarium - Reisebericht. Lateinisch-Deutsch. Übersetzt <strong>und</strong> eingeleitet von G. Röwekamp (FS<br />
20), Freiburg-Basel-Wien 1995.<br />
In <strong>de</strong>n ersten Jahrh<strong>und</strong>erten wur<strong>de</strong> fast im ganzen Osten <strong>und</strong> Westen die <strong>Liturgie</strong> in <strong>de</strong>r griechischen Sprache gefeiert, was <strong>de</strong>n<br />
verschie<strong>de</strong>nen <strong>Liturgie</strong>n auch eine innere Einheitlichkeit gibt. Vgl. F. Nikolasch, Abriß <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r römischen Eucharistiefeier,<br />
in: E.C. Suttner (Hg.), Eucharistie. Zeichen <strong>de</strong>r Einheit, 31.<br />
3
Daß die <strong>Liturgie</strong> Jerusalems einen so großen Einfluß ausübte, kam erst mit <strong>de</strong>r Zeit. Nach <strong>de</strong>r<br />
Zerstörung im Jahr 70 wur<strong>de</strong> die Be<strong>de</strong>utung Jerusalems für die weitere Entwicklung <strong>de</strong>r christ-<br />
lichen <strong>Liturgie</strong> zunächst geringer, erst unter Konstantin wuchs sie enorm an, beson<strong>de</strong>rs, als die<br />
7<br />
Stadt 325 durch das Konzil von Nikaia zu einem »Patriarchat« erklärt wur<strong>de</strong>. Unter Kaiser<br />
8<br />
Konstantin wird die gottesdienstliche Feier in Jerusalem prachtvoll ausgestaltet <strong>und</strong> das liturgische<br />
Erbe reich entfaltet, in<strong>de</strong>m die Heilsereignisse, wie die Pilgerin Egeria berichtet, an <strong>de</strong>n jeweiligen<br />
Orten <strong>und</strong> St<strong>und</strong>en <strong>de</strong>r biblischen Berichte festlich begangen wer<strong>de</strong>n. Der byzantinische Ritus<br />
übernimmt jetzt zahlreiche Impulse aus Jerusalem in <strong>de</strong>r Ausgestaltung <strong><strong>de</strong>s</strong> liturgischen Fest-<br />
kreises, <strong><strong>de</strong>s</strong> Kirchbaus <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Tagzeitenliturgie.<br />
Da die <strong>Liturgie</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>heiligen</strong> Jakobus recht lang ist, trat sie zunehmend in <strong>de</strong>n Hintergr<strong>und</strong>, so daß<br />
an<strong>de</strong>re <strong>Liturgie</strong>n an Be<strong>de</strong>utung gewannen. <strong>Die</strong> Polemik zwischen Monophysiten <strong>und</strong> Melkiten bis in<br />
das 11. Jh. hinein dürfte dazu beigetragen haben, daß die traditionellen <strong>Liturgie</strong>n von Antiochien,<br />
Jerusalem <strong>und</strong> Alexandrien aufgegeben wur<strong>de</strong>n <strong>und</strong> man sich ganz <strong>de</strong>r byzantinischen Tradition,<br />
speziell <strong>de</strong>r Chrysostomus-<strong>Liturgie</strong> zuwandte. Es bestehen zu<strong>de</strong>m reiche Beeinflussungen <strong>und</strong><br />
Verbindungen zur Basilius-<strong>Liturgie</strong>, auf je<strong>de</strong>n Fall hat die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> diese beeinflußt, wie es<br />
auch Einflüsse aus <strong>de</strong>r Basilius-<strong>Liturgie</strong> gibt, nicht zuletzt in ihrer ausgeprägten Theologie <strong><strong>de</strong>s</strong> Hei-<br />
ligen Geistes.<br />
Mit <strong>de</strong>m 12. Jahrh<strong>und</strong>ert muß Jerusalem seine liturgische Eigenständigkeit aufgeben <strong>und</strong> geht in<br />
<strong>de</strong>r byzantinischen <strong>Liturgie</strong>familie auf, <strong>de</strong>ren Gr<strong>und</strong>typ sich für die Zukunft zunehmend in <strong>de</strong>r Chry-<br />
sostomus-<strong>Liturgie</strong> kristallisiert; die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> gerät in Vergessenheit (spätestens ab dieser<br />
Zeit. Neuerdings kommt <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> in Jerusalem <strong>und</strong> Galiläa eine neue Be<strong>de</strong>utung zu. <strong>Die</strong><br />
Lima-<strong>Liturgie</strong> ist von ihr beeinflußt. 9<br />
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9<br />
1. Zur Person <strong><strong>de</strong>s</strong> »Jakobus«<br />
Über die Zeit nach <strong>de</strong>r Auferstehung <strong>und</strong> Himmelfahrt <strong><strong>de</strong>s</strong> Herrn heißt es in <strong>de</strong>r Apostelgeschichte:<br />
»Sie hielten an <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>r Apostel fest <strong>und</strong> an <strong>de</strong>r Gemeinschaft, am Brechen <strong><strong>de</strong>s</strong> Brotes <strong>und</strong> an<br />
<strong>de</strong>n Gebeten« (Apg 2,42). An Pfingsten wird die junge Gemein<strong>de</strong> in Jerusalem zur Urzelle <strong>de</strong>r gan-<br />
zen Christenheit. Ihr erster Bischof ist Jakobus.<br />
In <strong>de</strong>n syrischen Kirchen ist es eine immer wie<strong>de</strong>r zitierte Tradition, daß »Jakobus« <strong>de</strong>r Autor <strong>de</strong>r<br />
nach ihm benannten <strong>Liturgie</strong> ist, doch ist nicht gleich klar, wer mit diesem Namen gemeint ist. Das<br />
Neue Testament überliefert uns <strong>de</strong>n Namen <strong><strong>de</strong>s</strong> Jakobus Zebedaeus, <strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>r »Ältere« genannt<br />
Wenn auch »unbescha<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Vorrechte <strong><strong>de</strong>s</strong> Metropoliten von Kaisareia«, wie es im 7. Kanon heißt.<br />
Vgl. hierzu C. García <strong>de</strong>l Valle, Jerusalém. Un siglo <strong>de</strong> oro <strong>de</strong> vida liturgica, Madrid 1968; H. Busse/G. Kretschmar, Jerusalemer<br />
Heiligtumstradionen in altkirchlicher <strong>und</strong> frühislamischer Zeit. Wiesba<strong>de</strong>n 1987; J.F. Baldovin, Liturgy in Ancient Jerusalem.<br />
Bramcote 1989.<br />
So <strong>de</strong>r Redaktor <strong>de</strong>r Lima-<strong>Liturgie</strong> über die Epiklese: Max Thurian, in: Ökumenische Perspektiven von Taufe, Eucharistie <strong>und</strong> Amt.<br />
Hrsg. von M. Thurian, Frankfurt-Pa<strong>de</strong>rborn 1983, 217f.; auch H.-J. Schulz, in: Gottesdienst 18 (1984) 1-4.<br />
4
wird <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Bru<strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>s</strong> Evangelisten Johannes ist. Außer ihm gibt es unter <strong>de</strong>m Namen »Jakobus«<br />
folgen<strong>de</strong> Personen: Jakobus, Sohn <strong><strong>de</strong>s</strong> Alphäus, einer unter <strong>de</strong>n zwölf Aposteln; Jakobus, <strong>de</strong>r Va-<br />
ter <strong><strong>de</strong>s</strong> Apostels Judas; Jakobus, <strong>de</strong>r Sohn <strong>de</strong>r Maria; Jakobus, <strong>de</strong>r Herrenbru<strong>de</strong>r; Jakobus, <strong>de</strong>r<br />
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erste Vorsteher <strong>de</strong>r christlichen Gemein<strong>de</strong> in Jerusalem. Es könnte nun sein, daß es sich dabei<br />
sogar um fünf verschie<strong>de</strong>ne Personen han<strong>de</strong>lt.<br />
Nach <strong>de</strong>r Tradition war <strong>de</strong>r »Herrenbru<strong>de</strong>r« <strong>de</strong>r erste Leiter <strong>de</strong>r Urgemein<strong>de</strong> Jerusalems; dabei kann<br />
»Herrenbru<strong>de</strong>r« einen Vetter, Halbbru<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r sogar Bru<strong>de</strong>r Jesu bezeichnen. Von Jakobus als <strong>de</strong>m<br />
ersten Bischof Jerusalems berichtet das Apostelkonzil (49/50); er tritt dafür ein, daß die Hei-<br />
<strong>de</strong>nchristen keine jüdischen Vorschriften einhalten müssen, son<strong>de</strong>rn auf alles götzendienerische<br />
Opfern verzichten <strong>und</strong> die eheliche Treue bewahren sollen. Zuweilen wur<strong>de</strong> ihm <strong>de</strong>r seinen Namen<br />
tragen<strong>de</strong> neutestamentliche Brief zugeschrieben.<br />
<strong>Die</strong> frühkirchliche Tradition berichtet, daß <strong>de</strong>r Auferstan<strong>de</strong>ne <strong>de</strong>m Herrenbru<strong>de</strong>r Jakobus erschienen<br />
sei <strong>und</strong> ihm dabei die Gabe <strong>de</strong>r Weisheit geschenkt <strong>und</strong> die Leitung <strong>de</strong>r christlichen Gemein<strong>de</strong> in<br />
Jerusalem anvertraut habe. Er lebte ehelos <strong>und</strong> führte ein asketisch strenges Leben, was ihm <strong>de</strong>n<br />
Beinamen »<strong>de</strong>r Gerechte« einbrachte. Von einem jüdischen Gericht zum Tod verurteilt, stürzten ihn<br />
Schriftgelehrte am 10. April um das Jahr 62, einem Passahfest, von <strong>de</strong>r Tempelzinne <strong>und</strong> stei-<br />
nigten ihn zu To<strong>de</strong>. Reliquien von ihm kamen in die römische Kirche <strong>de</strong>r zwölf Apostel. <strong>Die</strong> Or-<br />
thodoxie ge<strong>de</strong>nkt <strong><strong>de</strong>s</strong> Herrenbru<strong>de</strong>rs Jakobus am 23. Oktober, die lateinische Kirche im alten Ritus<br />
am 11. Mai.<br />
10<br />
2. <strong>Die</strong> Feier <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong> in Jerusalem<br />
Wird eine <strong>Liturgie</strong> einer bestimmten Person zugeordnet, han<strong>de</strong>lt es sich in <strong>de</strong>r Regel zunächst um<br />
eine Anaphora; Gebete hingegen, die ihr vorausgehen, sind oft mehreren <strong>Liturgie</strong>n gemeinsam.<br />
Nicht an<strong>de</strong>rs verhält es sich bei <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong>. In<strong>de</strong>m die <strong>Liturgie</strong> <strong>de</strong>m Herrenbru<strong>de</strong>r zuge-<br />
schrieben wur<strong>de</strong>, wird damit zunächst <strong>und</strong> vor allem ihre Apostolizität <strong>und</strong> Treue zum Ursprung <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
Glaubens zum Ausdruck gebracht.<br />
Aufgr<strong>und</strong> ihrer einzigartigen Be<strong>de</strong>utung verbreitete sich die <strong>Liturgie</strong> <strong>de</strong>r Stadt Jersualem über die<br />
ganze »oikumene«. Obgleich man sie in Jerusalem selbst griechisch feierte, wur<strong>de</strong>n einzelne Teile<br />
(Lesung, Fürbitten etc.) ins Syrische übertragen; ansässige Armenier <strong>und</strong> Georgier feierten die<br />
Jerusalemer <strong>Liturgie</strong> in ihrer Heimatsprache. <strong>Die</strong> <strong>Liturgie</strong> <strong>de</strong>r Heiligen Stadt verbreitete sich über<br />
Palästina, Arabien, Syrien, Ägypten, Äthiopien bis nach Armenien, Georgien, Griechenland <strong>und</strong> in<br />
die slawischen Län<strong>de</strong>r. Sie hielt sich beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>n monophysitischen Kirchen, während sie in<br />
Jerusalem selbst <strong>und</strong> in Palästina seit im 12. Jahrh<strong>und</strong>ert nur noch an <strong>de</strong>n großen Feiertagen gefei-<br />
ert wur<strong>de</strong>.<br />
Hierzu ausführlich R. Müller (Hg.), Jakobus-<strong>Liturgie</strong> <strong>und</strong> <strong>Liturgie</strong> <strong>de</strong>r Vorgeweihten Gaben. Zürich 1986. Seiner Einleitung<br />
verdanken wir etliche Anregungen <strong>und</strong> Hilfen.<br />
5
In <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> nimmt die Stadt Jerusalem mit ihren <strong>heiligen</strong> Stätten eine beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>u-<br />
11<br />
tung ein; immer wie<strong>de</strong>r wird sie erwähnt, vor allem in <strong>de</strong>n Ektenien. Er wird ausdrücklich gebetet<br />
»für die königlich Heilige Stadt Christi unseres Gottes« <strong>und</strong> »für <strong>de</strong>ine <strong>heiligen</strong> Stätten, die du<br />
verherrlicht hast durch die Theophanie <strong>de</strong>ines Christus [...], vor allem für <strong>de</strong>n <strong>heiligen</strong> <strong>und</strong><br />
herrlichen Sion, die Mutter aller Kirchen«. Nach <strong>de</strong>r Epiklese lautet das Gebet <strong><strong>de</strong>s</strong> Zelebranten:<br />
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Wir bringen Dir, Gebieter, dieses Opfer dar auch für Deine <strong>heiligen</strong> Stätten, die Du<br />
verherrlicht hast durch die Theophanie Deines Christus <strong>und</strong> durch die Ankunft Deines allhei-<br />
ligen Geistes. Vor allem für <strong>de</strong>n <strong>heiligen</strong> <strong>und</strong> herrlichen Sion, die Mutter aller Kirchen. Und<br />
für Deine heilige, katholische <strong>und</strong> apostolische Kirche auf <strong>de</strong>m ganzen Erdkreis. Gewähre ihr<br />
auch jetzt, Gebieter, die kostbaren Gaben Deines all<strong>heiligen</strong> Geistes!<br />
Als im zweiten Jüdischen Krieg (132-135) Jerusalem <strong>und</strong> sein Tempel zerstört wur<strong>de</strong>n, hatten die<br />
Ju<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r nun hellenistisch-römischen Stadt Aelia Capitolina kein Bleiberecht mehr. Statt <strong><strong>de</strong>s</strong>sen<br />
kamen zahlreiche christliche Pilger, <strong>und</strong> die ansässige christliche Gemein<strong>de</strong> erstarkte zunehmend.<br />
Gottesdienst <strong>und</strong> Frömmigkeit <strong>de</strong>r Christen verbin<strong>de</strong>n sich fortan aufs engste mit <strong>de</strong>n konkreten<br />
<strong>heiligen</strong> Stätten, an <strong>de</strong>nen Jesus gelebt hat, gestorben <strong>und</strong> auferstan<strong>de</strong>n ist.<br />
Das zentrale Heiligtum <strong><strong>de</strong>s</strong> früchristlichen Jerusalem ist die Auferstehungskirche. Da das Datum<br />
<strong><strong>de</strong>s</strong> 13. September mit <strong>de</strong>m von Kaiser Hadrian eingesetzten Kult <strong><strong>de</strong>s</strong> Iuppiter Optimus Maximus<br />
Capitolinus verb<strong>und</strong>en war, belegte Kaiser Konstantin dieses Datum bewußt neu mit <strong>de</strong>r Weihe <strong>de</strong>r<br />
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Auferstehungskirche , die die Mitte <strong><strong>de</strong>s</strong> neuen Jerusalem bil<strong>de</strong>te. Eusebius setzt das »zweite<br />
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Jerusalem« polemisch <strong>de</strong>m »alten«, nämlich <strong>de</strong>m zerstörten Tempel entgegen , an <strong>de</strong>m sich die<br />
Vorhersage Jesu erfüllte: »Kein Stein wird hier auf <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren bleiben« (Mt 24,2).<br />
Schon zur Zeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Kaisers Konstantin entfaltete sich das christliche Gottesdienstleben zu einer bis-<br />
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her nicht gekannten Blüte <strong>und</strong> Reichhaltigkeit , bis die Perser im Jahr 614 die Heilige Stadt<br />
eroberten <strong>und</strong> das Heilige Kreuz mitnahmen. <strong>Die</strong> <strong>Liturgie</strong> <strong>de</strong>r Stadt Jerusalem verlor fortan ihre<br />
ursprüngliche Be<strong>de</strong>utung <strong>und</strong> es wur<strong>de</strong>, wie gesagt, ab <strong>de</strong>m 12. Jahrh<strong>und</strong>ert in die byzantinische<br />
<strong>Liturgie</strong> aufgenommen.<br />
Bis zu diesem Zeitpunkt nahm die <strong>Liturgie</strong> <strong>de</strong>r Heiligen Stadt eine einzigartige Stellung in <strong>de</strong>r<br />
ganzen »Oikumene« ein, eben aufgr<strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Herrenbru<strong>de</strong>rs, welcher <strong>de</strong>r erste Bischof Jerusalems<br />
war. Eusebius berichtet um 350, daß <strong>de</strong>r dortige Bischof bei seiner Predigt auf <strong>de</strong>m Stuhl <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
<strong>heiligen</strong> Jakobus saß, <strong>de</strong>r »bis auf <strong>de</strong>n heutigen Tag hier aufbewahrt <strong>und</strong> in hohen Ehren gehalten<br />
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wird« .<br />
<strong>Die</strong> Ektenien sind eine Litanei mit Gebeten, die vom Diakon vorgetragen wer<strong>de</strong>n. Ursprünglich haben sie das Ziel, um Bewahrung<br />
vor allem Unheil, Krieg <strong>und</strong> widrigen Umstän<strong>de</strong>n zu bitten.<br />
S. Heid, Der Ursprung <strong>de</strong>r Helenalegen<strong>de</strong> im Pilgerbetrieb Jerusalems, in: JAC 32 (1989) 66f.<br />
Eusebius, Vit. Const. 3,33,1f.<br />
Eine kurze Übersicht fin<strong>de</strong>t sich bei H. Brakmann, Der gemeinsame Erlöser aller, 224ff. (Lit.).<br />
Eusebius, Hist. eccl. VII, 19,32,29.<br />
6
In <strong>de</strong>r Treue zur apostolischen Überlieferung wird <strong>de</strong>r Gottesdienst ab <strong>de</strong>m 4. Jahrh<strong>und</strong>ert immer<br />
prächtiger ausgestaltet, die Heilige Stadt wird zum weltweiten Zentrum <strong>de</strong>r Verehrung Jahwes, <strong>de</strong>r<br />
Geschehnisse <strong><strong>de</strong>s</strong> Lebens Jesu wie auch <strong>de</strong>r frühen Kirche. Zahlreiche Pilger machen sich nach<br />
Jerusalem auf <strong>und</strong> bringen Sitten <strong>und</strong> liturgische Bräuche aus Jerusalem in ihr Heimatland, welche<br />
sich auch dort zunehmend durchsetzen <strong>und</strong> verbreiten. Auf diese Weise wird das gottesdienstliche<br />
Leben <strong>de</strong>r Stadt Jerusalem <strong>und</strong> ihrer <strong>heiligen</strong> Stätten im 5. Jahrh<strong>und</strong>ert für viele Kirchen in Ost <strong>und</strong><br />
West vorbildlich <strong>und</strong> vielfältig nachgeahmt.<br />
Wir haben nur wenige literarische Zeugnisse über die einzelnen Gottesdienstformen in <strong>de</strong>r dama-<br />
ligen Stadt Jerusalem. Ein wichtiges Zeugnis stellen die Katechesen »ad illuminandos« wie auch die<br />
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»mystagogischen Katechesen« dar, die Kyrill von Jerusalem († 386) bzw. seinem Nachfolger Bi-<br />
schof Johannes († 417) zugeschrieben wer<strong>de</strong>n, aber auch ein frühes armenisches Lektionar <strong>und</strong><br />
17<br />
beson<strong>de</strong>rs eben <strong>de</strong>r Pilgerbericht <strong>de</strong>r erwähnten Galaecierin Egeria (Aetheria). Ihr Bericht han<strong>de</strong>lt<br />
ausdrücklich von <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> <strong>und</strong> ihrer Be<strong>de</strong>utung am En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> 4. Jahrh<strong>und</strong>erts: »Alles<br />
geschieht so, wie es überall geschieht«, was als ein Hinweis dafür betrachtet wer<strong>de</strong>n kann, daß<br />
»überall« die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> gefeiert wird.<br />
Auf ihrer dreijährigen Pilgerreise beschreibt die Pilgerin Egeria nicht nur die liturgischen Bräuche in<br />
<strong>de</strong>r Heiligen Stadt <strong>und</strong> an ihren <strong>heiligen</strong> Stätten, sie vergleicht diese auch mit <strong>de</strong>n abendländischen<br />
Gepflogenheiten <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong>. Über die liturgische Sprache heißt es beispielsweise: »Da in dieser<br />
Provinz ein Teil <strong><strong>de</strong>s</strong> Volkes Griechisch <strong>und</strong> Syrisch kann, ein Teil nur Griechisch, ein an<strong>de</strong>rer nur<br />
Syrisch, <strong>und</strong> da <strong>de</strong>r Bischof, obwohl er Syrisch kann, doch immer griechisch spricht <strong>und</strong> nicht<br />
syrisch, steht immer ein Priester, <strong>de</strong>r, was <strong>de</strong>r Bischof griechisch sagt, syrisch übersetzt, so daß<br />
alle hören, was erklärt wird. Auch die Lesungen wer<strong>de</strong>n griechisch vorgetragen, aber syrisch über-<br />
setzt wegen <strong><strong>de</strong>s</strong> Volkes. Auch Lateiner sind hier, die nicht Syrisch <strong>und</strong> Griechisch können. Damit<br />
sie sich nicht betrüben, wird es ihnen erklärt. Denn es sind an<strong>de</strong>re Brü<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Schwestern<br />
18<br />
graecolatini, die es ihnen übersetzen.«<br />
Durch <strong>de</strong>n Reisebericht <strong>de</strong>r Pilgerin Egeria sind wir mehr o<strong>de</strong>r weniger gut über die konkrete Gestalt<br />
<strong>de</strong>r liturgischen Feiern in Jerusalem informiert. Weitere Hinweise fin<strong>de</strong>n wir in <strong>de</strong>n Predigten <strong>und</strong><br />
Katechesen <strong>de</strong>r Patriarchen, Bischöfe <strong>und</strong> Presbyter Jerusalems; beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung kommt <strong>de</strong>n<br />
schon erwähnten Katechesen zu, die Kyrill von Jerusalem bzw. seinem Nachfolger Johannes II.<br />
zugeschrieben wer<strong>de</strong>n.<br />
16<br />
17<br />
18<br />
Cyrill von Jerusalem, Mystagogicae catecheses - Mystagogische Katechesen. Griechisch-Deutsch. Übersetzt <strong>und</strong> eingeleitet von<br />
G. Röwekamp (FS 7), Freiburg-Basel-Wien 1992.<br />
F.C. Conybeare, Rituale Armenorum. Oxford 1905, 518-527.<br />
Zit. nach R. Müller, Jakobus-<strong>Liturgie</strong>, 74; er zitiert A. Bludau, <strong>Die</strong> Pilgerreise <strong>de</strong>r Aetheria. Pa<strong>de</strong>rborn 1927, 182.<br />
7
19<br />
20<br />
21<br />
22<br />
23<br />
3. Frühe Zeugnisse <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong> in Jerusalem<br />
<strong>Die</strong> Ursprünge <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> lassen sich bis in die Zeit um 130 verfolgen, doch die älteste<br />
19<br />
Fassung, die uns zugänglich ist, stammt erst aus <strong>de</strong>m 4. Jahrh<strong>und</strong>ert. Aus dieser Zeit haben wir<br />
die Jakobus-Anapho-ra als Hochgebet <strong>de</strong>r Kirche Jerusalems bezeugt, das - wie gesagt - vermutlich<br />
auf ein Eucharistiegebet <strong><strong>de</strong>s</strong> 3. Jahrh<strong>und</strong>erts zurückgeht. Es han<strong>de</strong>lt sich um jenes Hochgebet, das<br />
wir auch in <strong>de</strong>n Taufpredigten <strong>und</strong> Mystagogischen Homilien <strong>de</strong>r Jerusalemer Bischöfe erwähnt<br />
20 fin<strong>de</strong>n. Beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r 5. Mystagogischen Katechese, die für Neugetaufte die »missa fi<strong>de</strong>lium«,<br />
also <strong>de</strong>n ganzen Verlauf <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong> bis zum Schlußsegen beschreibt, lassen sich viele Bezüge zur<br />
Jakobus-<strong>Liturgie</strong> herstellen. 21<br />
<strong>Die</strong> erste offizielle Erwähnung <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> fin<strong>de</strong>t sich im 32. Kanon <strong><strong>de</strong>s</strong> Trullanum im<br />
Kaiserpalast Konstantinopels (692); erstmals wird sie nun <strong>de</strong>m Herrenbru<strong>de</strong>r Jakobus zuge-<br />
schrieben: »Denn auch Jakobus, <strong>de</strong>r Bru<strong>de</strong>r unseres Gottes Christus <strong>de</strong>m Fleische nach, <strong>de</strong>r als<br />
erster <strong>de</strong>n Thron <strong>de</strong>r Kirche von Jerusalem innehatte [...], hat unsere mystische Hierourgia<br />
schriftlich mitgeteilt <strong>und</strong> so in <strong>de</strong>r göttlichen <strong>Liturgie</strong> vollen<strong>de</strong>t.«<br />
Über die Leseordnung, Hymnen <strong>und</strong> Gebete erhalten wir hinreichend Kenntnis aus armenischen,<br />
22<br />
georgischen <strong>und</strong> griechischen bzw. arabischen Übertragungen. <strong>Die</strong> Leseordnung <strong>de</strong>r Jakobus-<br />
<strong>Liturgie</strong> entspricht jener aus <strong>de</strong>r frühen Kirche, <strong>de</strong>nn sie enthält Worte aus <strong>de</strong>m Alten Testament,<br />
<strong>de</strong>n Evangelien <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Apostelbriefen; diese Abfolge <strong>de</strong>r Lesungen gilt auch für die Jakobus-<br />
<strong>Liturgie</strong>.<br />
Dank ihres apostolischen Ursprungs beeinflußt die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> die Basilius- <strong>und</strong> die Johannes<br />
Chrysostomus-<strong>Liturgie</strong>; aus diesen wie<strong>de</strong>rum übernimmt die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> verschie<strong>de</strong>ne Gebete<br />
<strong>und</strong> Gesänge, so <strong>de</strong>n Hymnus »Eingeborener Sohn«, das Cherubikon, das Credo <strong>und</strong> das Basilius-<br />
Gebet. Der griechische Hymnus »Eingeborener Sohn Gottes« stammt aus <strong>de</strong>r Zeit Justinians, <strong>und</strong><br />
23<br />
die Tradition schreibt ihm sogar die konkrete Ausformulierung zu. <strong>Die</strong>ser Gesang ist insofern von<br />
beson<strong>de</strong>rer Be<strong>de</strong>utung, als er die Diskussion been<strong>de</strong>t um die Fragen: »Ob Christus als ‘einer aus<br />
<strong>de</strong>r Trinität’, d. h. ‘als eine heilige Person <strong>de</strong>r drei Personen <strong>de</strong>r <strong>heiligen</strong> Trinität’ bezeichnet wer<strong>de</strong>n<br />
dürfe. 2. Ob Christus als Gott im Fleische gelitten habe, <strong>de</strong>r Gottheit nach aber lei<strong>de</strong>nslos sei. 3.<br />
Sehr hilfreich <strong>und</strong> f<strong>und</strong>iert sind die Studien von S. Verhelst, vor allem: La Messe <strong>de</strong> Jérusalem. Bilan d’un recherche, in; Studia<br />
Orientalia Christiana Coll. 28 (1995) 237-270; weiterhin: G.J. Cuming, Egyptian Elements in the Jerusalem Liturgy, in: Journal<br />
of Theological Studies 25 (1974) 117-124; M.H. Shepherd, Eusebius and the <strong>Liturgie</strong> of Saint James, in: Yarbook of Liturgical<br />
Studies 4 (1963) 109-123.<br />
Griechischer Text: C. Mercier, La <strong>Liturgie</strong> <strong>de</strong> saint Jacques. Édition critique du texte grec avec traduction latine, in: PO 26, 115-256, bes.<br />
2<br />
198-222; Griechische <strong>Liturgie</strong>n. Übersetzt von R. Storf (BKV 5), Kempten-München 1912, 80-123, bes. 103-123; R. Müller<br />
(Hg.), Jakobus-<strong>Liturgie</strong> <strong>und</strong> <strong>Liturgie</strong> <strong>de</strong>r Vorgeweihten Gaben, 38-48; S. Heitz, Der orthodoxe Gottesdienst. Bd. I, Mainz o.J.,<br />
297-328; vgl. A. Tarby, La priere eucharistique <strong>de</strong> l'eglise <strong>de</strong> Jerusalem. Paris 1972 mit Lit.; J.R.K. Fenwick, The anaphoras<br />
of St Basil and St James. Roma 1992, dazu G. Winkler, Rez., in: OrChr 78 (1994) 269-277.<br />
Vgl. H. Lietzmann, Messe <strong>und</strong> Herrenmahl. Bonn 1926, 144f. - <strong>Die</strong>s gilt beson<strong>de</strong>rs für die Einsetzungsworte, <strong>de</strong>nn viele Gebete<br />
<strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> wer<strong>de</strong>n still gesprochen, eine Tradition, die sich bis heute in vielen syrischen <strong>Liturgie</strong>n gehalten hat.<br />
Eine feste Ordnung <strong>de</strong>r Lesungen <strong>und</strong> Psalmen bil<strong>de</strong>te sich in Jerusalem immer <strong>de</strong>utlicher im vierten <strong>und</strong> fünften Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
heraus. - Vgl. auch: M. Tarchnischvili, Le grand lectionnaire <strong>de</strong> l’Église <strong>de</strong> Jérusalem (V-VIII siècle). Louvain 1959.1960.<br />
A. Grillmeier, Jesus <strong>de</strong>r Christus im Glauben <strong>de</strong>r Kirche. Freiburg 1989, II/2, 357.<br />
8
Ob eigentlich <strong>und</strong> im wahren Sinn Maria die Gottesgebärerin <strong>und</strong> Mutter <strong><strong>de</strong>s</strong> aus ihr Fleisch<br />
24<br />
gewor<strong>de</strong>nen Gott-Logos genannt wer<strong>de</strong>n dürfe.« Der Cherubinische Gesang beim Großen Einzug,<br />
welcher ursprünglich wortlos geschah, war schon in <strong>de</strong>r frühen <strong>Liturgie</strong> Jerusalems bekannt, jedoch<br />
neben an<strong>de</strong>ren Gesängen (z. B. Ps 23 mit Halleluja).<br />
En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> 5. Jahrh<strong>und</strong>erts vollzog sich nämlich in <strong>de</strong>r Jerusalemer <strong>Liturgie</strong> ein großer Wan<strong>de</strong>l, man<br />
beschränkte sich nicht mehr nur auf die Psalmen <strong>und</strong> Cantica <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, son<strong>de</strong>rn führte<br />
25<br />
poetische Refrains ein. Nun entfaltet sich das Troparion zu <strong>de</strong>n O<strong>de</strong>n <strong>und</strong> vor allem das<br />
Kontakion, wie es Romanos <strong>de</strong>r Melo<strong>de</strong> im 6. Jahrh<strong>und</strong>ert zur Blüte brachte.<br />
24<br />
25<br />
Ebd., Anm. 111.<br />
4. <strong>Die</strong> Zelebration <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong><br />
Normalerweise wird die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> von einem Bischof zelebriert mit zwölf Priestern, die in<br />
einem Kreis um <strong>de</strong>n Altar stehen <strong>und</strong> das Apostelkollegium darstellen; diesen kommt aber keine<br />
eigene Funktion zu, ganz im Gegensatz zu <strong>de</strong>n Diakonen. Es han<strong>de</strong>lt sich bei <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong><br />
also um einen bischöflichen Gottesdienst, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Bischof <strong>de</strong>r eigentliche Zelebrant ist. Doch die<br />
Amtsinsignien <strong><strong>de</strong>s</strong> Bischofs (Mitra, Panhagia bzw. Kreuz, Geistliches Schwert, Dikirion, Trikirion<br />
etc.) wie auch <strong>de</strong>r Priester (Kreuz, Hut) wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> nicht getragen, stammen sie<br />
doch alle aus späterer Zeit.<br />
Auf <strong>de</strong>m Altar liegen das Antimension, das Evangeliar, das Apostelbuch <strong>und</strong> das Parömien-Lekti-<br />
onar (atl. Prophetenlesungen). <strong>Die</strong> <strong>Liturgie</strong> beginnt mit einer schweigen<strong>de</strong>n Verehrung <strong>de</strong>r Ikonen<br />
<strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Altares, danach folgt - unter Schweigen - die Bereitung <strong><strong>de</strong>s</strong> Brotes <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Kelches. Der<br />
Priester schnei<strong>de</strong>t das »Lamm« aus; weitere Brotteilchen wer<strong>de</strong>n nicht herausgeschnitten. Danach<br />
gießt <strong>de</strong>r Priester Rotwein in <strong>de</strong>n Kelch. <strong>Die</strong> Gaben bleiben unbe<strong>de</strong>ckt, ohne Beweihräucherung. Im<br />
weiteren Verlauf erscheint die Feier <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> als ein umfassen<strong>de</strong>r Nachvollzug <strong>de</strong>r<br />
Heilsgeschichte <strong>und</strong> als ein Abbild <strong>de</strong>r himmlischen <strong>Liturgie</strong>.<br />
Der Diakon gibt während <strong>de</strong>r Eucharistie, beson<strong>de</strong>rs beim Hochgebet, verschie<strong>de</strong>ne Anweisungen<br />
(z.B. »Stehet aufrecht!« etc.), wodurch eine Antwortre<strong>de</strong> entsteht. Ein Gr<strong>und</strong> hierfür mag darin<br />
liegen, daß viele Teile <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong> still gebetet wur<strong>de</strong>n <strong>und</strong> das Volk sich durch solche Anwei-<br />
sungen im Fortgang <strong><strong>de</strong>s</strong> Gottesdienstes orientieren konnte.<br />
Vgl. H.-M. <strong>Schnei<strong>de</strong>r</strong>, Lobpreis im rechten Glauben. <strong>Die</strong> Theologie <strong>de</strong>r Hymnen an <strong>de</strong>n Festen <strong>de</strong>r Menschwerdung <strong>de</strong>r alten<br />
Jerusalemer <strong>Liturgie</strong> im Georgischen Udzvelesi Iadgari, Bonn 2004, 58f.<br />
9
26<br />
5. <strong>Die</strong> theologischen Aussagen <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong><br />
Was sind nun die inhaltlichen Eigentümlichkeiten <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong>, wie sie uns heute überliefert<br />
ist?<br />
Trinitarische Doxologie<br />
<strong>Die</strong> Jakobus-<strong>Liturgie</strong> ist in ihren Aussagen »theologisch« geprägt <strong>und</strong> in ihrer Gebetssprache<br />
ein<strong>de</strong>utig trinitarisch profiliert. Mit »Gott« wird vor allem <strong>de</strong>r Vater angesprochen (Christus selbst<br />
nur einmal, nirgends <strong>de</strong>r Heilige Geist); er ist <strong>de</strong>r Heilige, <strong>de</strong>r Allmächtige, <strong>de</strong>r Menschenfre<strong>und</strong>liche<br />
wie auch <strong>de</strong>r Furchtbare, <strong>de</strong>r »Schöpfer <strong>de</strong>r sichtbaren <strong>und</strong> unsichtbaren Dinge« (Kol, 1,16), <strong>de</strong>r<br />
»Gebieter <strong><strong>de</strong>s</strong> Alls«. Vom Lob <strong><strong>de</strong>s</strong> Vaters wen<strong>de</strong>t sich das Bekenntnis zum Lob auf Christus <strong>und</strong><br />
<strong>de</strong>n Heiligen Geist:<br />
... heilig ist auch Dein eingeborener Sohn, unser Herr Jesus Christus, durch <strong>de</strong>n Du alles<br />
gemacht hast; heilig ist auch Dein heiliger Geist, <strong>de</strong>r alles ergrün<strong>de</strong>t, selbst die Tiefen <strong>de</strong>r<br />
Gottheit (vgl. 1 Kor 2,10f.).<br />
Im Sohn, <strong>de</strong>m präexistenten Logos, ist »alles gemacht« (Joh 1,3); er ist <strong>de</strong>r Schöpfer <strong>de</strong>r<br />
sichtbaren <strong>und</strong> unsichtbaren Welt <strong>und</strong> führt <strong>de</strong>n Heilsplan <strong><strong>de</strong>s</strong> Vaters aus, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Heilige Geist<br />
vollen<strong>de</strong>t.<br />
<strong>Die</strong> trinitarische Gebetssprache <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> steht in vollem Einklang mit <strong>de</strong>r Theologie <strong>de</strong>r<br />
griechischen Väter, welche die Heilsökonomie in ihren trinitarischen Dimensionen beschreiben: Was<br />
immer an Heil gewirkt wird, ist - untrennbar - von allen drei Personen getan: Alles, was <strong>de</strong>r Vater<br />
schenkt, gewährt er durch <strong>de</strong>n Sohn, doch in <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>m Heiligen Geist. <strong>Die</strong>se trinitarische<br />
Ergründung <strong>de</strong>r Heilsgeschichte bestimmt <strong>und</strong> prägt alle an<strong>de</strong>ren eucharistischen Hochgebete <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
Orients.<br />
Der Vater wirkt die Schöpfung, <strong>de</strong>r Sohn die Erlösung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Heilige Geist die Heiligung, doch alle<br />
drei göttlichen Personen wirken nicht eine nach <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren, son<strong>de</strong>rn sie han<strong>de</strong>ln <strong>und</strong> offenbaren<br />
sich gemeinsam zum Heil <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschengeschlechts, das sich im Sün<strong>de</strong>nfall von Gott abgewandt<br />
hat. Nach <strong>de</strong>r Vertreibung aus <strong>de</strong>m Paradies hat Gott sich nicht für immer von <strong>de</strong>n Menschen<br />
abgewandt, son<strong>de</strong>rn sie durch das Gesetz <strong>und</strong> durch die Propheten gelehrt <strong>und</strong> durch <strong>de</strong>n Logos zu<br />
26<br />
ihnen gesprochen. Damit wird <strong>de</strong>r tiefe trinitarische Konnex <strong>de</strong>r Heilsgeschichte, wie sie die<br />
Jakobus-<strong>Liturgie</strong> darstellt, <strong>de</strong>utlich erkennbar: Alle drei göttlichen Personen offenbaren sich<br />
gemeinsam, aber je<strong>de</strong> gemäß <strong>de</strong>m ihr Eigenen.<br />
Doch in <strong>de</strong>r Epiklese <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> wird es, wie wir noch eigens sehen wer<strong>de</strong>n, heißen, daß <strong>de</strong>r Heilige Geist durch das<br />
Gesetz <strong>und</strong> die Propheten gesprochen hat.<br />
10
Das Erlösungswerk ist in <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> ohne Zweifel christozentrisch verstan<strong>de</strong>n, aber nicht<br />
christomonistisch. Denn <strong>de</strong>r Vater schickt <strong>de</strong>n Sohn, <strong>de</strong>r sich unter <strong>de</strong>m Einwirken <strong><strong>de</strong>s</strong> Heiligen<br />
Geistes inkarniert. Da alle drei göttlichen Personen ein <strong>und</strong> dasselbe Heilswerk vollziehen, gilt<br />
gleiches auch für das Ziel <strong><strong>de</strong>s</strong> göttlichen Heilswirkens: Christus, <strong>de</strong>r »Retter« <strong>und</strong> »Erlöser« <strong>de</strong>r<br />
Menschheit, befreit sie aus <strong>de</strong>r Knechtschaft <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> To<strong><strong>de</strong>s</strong>, auf daß sie im Heiligen<br />
Geist das Leben in Fülle erhält. Durch einen solchen trinitarischen Ansatz wer<strong>de</strong>n alle theologischen<br />
Engführungen in <strong>de</strong>r Erlösungslehre vermie<strong>de</strong>n: »<strong>Die</strong> statische Wesensaussage über die Person<br />
Christi bleibt [...] eine Heilsaussage. Sie ist Soteriologie, Heilskerygma.« 27<br />
27<br />
»König <strong>de</strong>r Ewigkeiten <strong>und</strong> Schöpfer <strong>de</strong>r Welt«<br />
Der Vater lenkt seit Anfang <strong>de</strong>r Welt die Geschicke <strong>de</strong>r Schöpfung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Geschichte. Zu Beginn<br />
<strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong> betet <strong>de</strong>r Priester:<br />
Du Wohltäter, König <strong>de</strong>r Ewigkeiten <strong>und</strong> Schöpfer <strong>de</strong>r Welt, nimm gnädig Deine Kirche auf,<br />
die sich Dir durch Deinen Christus naht.<br />
1) <strong>Die</strong> Präfation beschreibt die Schöpfung in ihrer ganzen Weite: Himmel, Engel, Mächte, Sonne,<br />
Mond, Gestirne, Er<strong>de</strong>, Meer... Je<strong><strong>de</strong>s</strong> Geschöpf spiegelt die Weisheit <strong>und</strong> Güte <strong><strong>de</strong>s</strong> »Schöpfers aller<br />
sichtbaren <strong>und</strong> unsichtbaren Dinge« wi<strong>de</strong>r. In<strong>de</strong>m alles zum Lobpreis Gottes erstrahlt, erweist sich<br />
die Schöpfung als ein »ordo« <strong>und</strong> als eine »Harmonie«, als ein Kosmos. Was geschaffen ist, lobt<br />
schon durch sein Dasein Gottes Herrlichkeit. Gegenüber Markion, <strong>de</strong>n Manichäern <strong>und</strong> Gnostikern<br />
gibt es in <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> kein dualistisches Prinzip in <strong>de</strong>r Schöpfung <strong>und</strong> erst recht keine Ab-<br />
wertung <strong>de</strong>r Materie, auch fin<strong>de</strong>n wir keine Gegenüberstellung von Altem <strong>und</strong> Neuem Testament,<br />
vielmehr zeugt alles von einem großen Optimismus: Alles in <strong>de</strong>r Schöpfung ist gewürdigt, in <strong>de</strong>n<br />
Lobgesang <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong> einzustimmen:<br />
Wahrhaft würdig <strong>und</strong> recht, geziemend <strong>und</strong> angebracht ist es, Dich zu loben, Dich zu<br />
preisen, Dich anzubeten, Dich zu verherrlichen, Dir Dank zu sagen, Schöpfer aller sichtbaren<br />
<strong>und</strong> unsichtbaren Dinge, Hort <strong>de</strong>r ewigen Güter, Quelle <strong><strong>de</strong>s</strong> Lebens <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Unsterblichkeit,<br />
Gott <strong>und</strong> Herrscher über alles. Dir lobsingen die Himmel <strong>und</strong> die Himmel <strong>de</strong>r Himmel <strong>und</strong> all<br />
ihre Mächte, die Sonne, <strong>de</strong>r Mond <strong>und</strong> <strong>de</strong>r ganze Chor <strong>de</strong>r Gestirne, Er<strong>de</strong>, Meer <strong>und</strong> alles,<br />
was da lebt...<br />
Nähert sich <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m unendlich großen <strong>und</strong> unaussprechbaren Geheimnis Gottes, erkennt<br />
er <strong>de</strong>n Kosmos <strong>und</strong> sich selbst in seinem tiefsten Wesen: Er sieht sich umgeben vom Wachsen <strong>und</strong><br />
Blühen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, von Steinen, Pflanzen <strong>und</strong> Tieren, die sich in ihrem Mangel <strong>de</strong>m zuneigen, <strong>de</strong>r<br />
A. Grillmeier, Jesus <strong>de</strong>r Christus im Glauben <strong>de</strong>r Kirche, II/2, 357.<br />
11
selbst ohne Mangel ist; »mit <strong>de</strong>n Augen horchend«, erkennt <strong>de</strong>r Mensch alle Dinge dieser Er<strong>de</strong> im<br />
Licht kreatürlicher Brechung. <strong>Die</strong> Jakobus-<strong>Liturgie</strong> lehrt <strong>de</strong>mnach bei<strong><strong>de</strong>s</strong>: die unaussprechliche<br />
Größe <strong><strong>de</strong>s</strong> göttlichen Geheimnisses, aber auch das Erkennen <strong>de</strong>r göttlichen Zeichen in <strong>de</strong>r Materie<br />
<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>.<br />
<strong>Die</strong> Welt ist von Gott erschaffen <strong>und</strong> hat in ihm ihren Anfang. Doch die Schöpfung ist nach<br />
östlicher Lehre nicht Wirkung <strong>und</strong> Gott nicht ihre Ursache, <strong>de</strong>nn sonst wür<strong>de</strong> er selbst in eine<br />
kausale Kette eingeordnet, wie nach <strong>de</strong>m Prinzip: »causa aequat effectum«, nach <strong>de</strong>m sich die<br />
Ursache letztlich auf <strong>de</strong>rselben Ebene wie die Wirkung befin<strong>de</strong>t. <strong>Die</strong> östliche Schöpfungslehre lehnt<br />
eine solche kausale Herleitung <strong>de</strong>r Schöpfung ab, <strong>und</strong> wo sie von einer »Erschaffung« re<strong>de</strong>t, sucht<br />
sie damit nicht die Entstehung <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> nach Art empirischer Ursächlichkeit zu erklären, <strong>de</strong>nn die<br />
Schöpfung bleibt unerklärbar <strong>und</strong> unbegreiflich, sie läßt sich nicht in wissenschaftlichem Denken<br />
begrifflich erfassen.<br />
Alles in <strong>de</strong>r Schöpfung grün<strong>de</strong>t im göttlichen Gr<strong>und</strong>, sie ist ein Sein im Absoluten - aber als ein<br />
selbständig Relatives, <strong>de</strong>m gera<strong>de</strong> als solchem eine einzigartige, quasi sakramentale Be<strong>de</strong>utung<br />
zukommt. Hierzu heißt es in älteren russischen Gebeten: »Auch du, unsere Mutter Er<strong>de</strong>, vergib uns,<br />
daß wir gegen dich gesündigt haben!« Gemeint ist jene kosmische All-Verb<strong>und</strong>enheit, von <strong>de</strong>r Do-<br />
stojevskij sagt: Je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> hat kosmologische Folgen. Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> Schuld übersteigen nämlich in<br />
ihren Auswirkungen die rein psychologischen Dimensionen <strong>und</strong> müssen insofern in ihrer kosmi-<br />
schen Tragweite gesehen wer<strong>de</strong>n. Alles strebt danach, durch <strong>de</strong>n Menschen als Mikrokosmos in<br />
seine Verklärung, in seine Heilung einzutreten. Sergej Bulgakow schreibt wie in einer Art Huldigung<br />
an die Er<strong>de</strong>: »Große Mutter, feuchte Er<strong>de</strong>, in dir wer<strong>de</strong>n wir geboren, von dir wer<strong>de</strong>n wir ernährt,<br />
dich betasten wir mit unseren Füßen, zu dir kehren wir zurück. Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, liebt eure Mutter,<br />
küßt sie in Verzückung, begießt sie mit euren Tränen, benetzt sie mit Schweiß, tränkt sie mit Blut,<br />
sättigt sie mit euren Knochen. Denn nichts geht in ihr zugr<strong>und</strong>e, alles bewahrt sie in sich, ein<br />
stummes Gedächtnis <strong>de</strong>r Welt, allem gibt sie Leben <strong>und</strong> Frucht. Wer die Er<strong>de</strong> nicht liebt, ihre<br />
Mutterschaft nicht fühlt, ist ein Sklave <strong>und</strong> ein Heimatloser, ein elen<strong>de</strong>r Rebell gegen die Mutter,<br />
eine Ausgeburt <strong><strong>de</strong>s</strong> Nichtseins. Mutter Er<strong>de</strong>, aus dir wur<strong>de</strong> jenes Fleisch geboren, welches zum<br />
Mutterleib für <strong>de</strong>n fleischgewor<strong>de</strong>nen Gott wur<strong>de</strong>, dir hat Er seinen <strong>heiligen</strong> Leib entnommen, in dir<br />
hat Er drei Tage lang im Grabe geruht. Mutter Er<strong>de</strong>, aus dir wachsen die Getrei<strong>de</strong>pflanze <strong>und</strong> die<br />
Weinrebe, <strong>de</strong>ren Frucht im <strong>heiligen</strong> Sakrament zu Christi Leib <strong>und</strong> Blut wird, <strong>und</strong> zu dir kehrt dieses<br />
heilige Fleisch zurück. Schweigend bewahrst du in dir die ganze Fülle <strong>und</strong> Wohlgestalt <strong>de</strong>r Krea-<br />
28<br />
tur.« Darin wird <strong>de</strong>utlich, daß im Osten die Schöpfung theologisch bzw. »sakramental«<br />
verstan<strong>de</strong>n wird.<br />
<strong>Die</strong> Er<strong>de</strong> lebt ein eigenes Leben <strong>und</strong> steht in Prozessen, die ihr <strong>und</strong> nicht <strong>de</strong>m Absoluten eigen sind.<br />
Gott wie<strong>de</strong>rum ist nicht so über seine Schöpfung erhaben, daß er auf je<strong>de</strong> Beziehung zu ihr<br />
verzichtet, vielmehr gilt: »Deus est vox relationis«, wie Gregor von Nazianz lehrt: Der Name ����<br />
28<br />
V. Bulgakow, Kosmodizee, in: Östliches Christentum. Bd. II, München 1935, 195-245.<br />
12
29<br />
ist ein »relationaler« Terminus. In<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r »Absolute« nämlich die Schöpfung »macht«, offenbart<br />
er sich ihr als »Gott«. Dabei bringt <strong>de</strong>r »Absolute« sich gleichsam ein »Opfer«, <strong>und</strong> zwar um <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
»Relativen« willen, das als solches von Gott gewollt <strong>und</strong> geschaffen ist. Um dieser göttlichen Freu-<br />
<strong>de</strong> am »an<strong>de</strong>ren« willen ist die Schöpfung gewollt <strong>und</strong> ins Dasein gerufen. In diesem Sinn ist<br />
Golgatha nicht bloß ein Ereignis in <strong>de</strong>r Geschichte, son<strong>de</strong>rn macht das Innerste <strong>de</strong>r Schöpfung aus<br />
<strong>und</strong> umfaßt ihr ganzes Wesen: Gott schafft die Welt nicht nur, er tritt in sie ein, um sich selbst in<br />
ihr zu offenbaren, in<strong>de</strong>m er sogar an <strong>und</strong> in ihr lei<strong>de</strong>t. Frei von »Neid« lebt er mit seinen Ge-<br />
schöpfen. In <strong>de</strong>r Bittlitanei vor <strong>de</strong>m Vaterunser heißt es hierzu:<br />
29<br />
Gott <strong>und</strong> Vater unseres Herrn, Gottes <strong>und</strong> Erlösers Jesus Christus, hocherhabener Herr,<br />
selige Natur, neidlose Güte, aller Gott <strong>und</strong> Gebieter, <strong>de</strong>r Du gepriesen bist in alle Ewigkeit ...<br />
Gott liebt »ohne Neid« seine Schöpfung <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Menschen mehr als die eigene Macht, will er ihn<br />
doch zum »Fre<strong>und</strong>« haben; als solcher bleibt er <strong>de</strong>nnoch selbständig, obwohl er alles seinem<br />
Schöpfer verdankt. In <strong>de</strong>r »Fre<strong>und</strong>schaft« Gottes zum Menschen offenbart sich die Kosmogonie als<br />
eine Theophanie, <strong>und</strong> am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeiten wird Gott für immer »alles in allem« sein. Dazu sen<strong>de</strong>t<br />
<strong>de</strong>r Vater seinen Sohn, in <strong>de</strong>m die ganze Fülle <strong>de</strong>r Gottheit leiblich wohnt, nicht um in seiner<br />
Schöpfung zu »herrschen«, son<strong>de</strong>rn um »aus Menschenliebe« allen <strong>und</strong> allem zu »dienen«.<br />
2) Danach weitet sich in <strong>de</strong>r Präfation <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> nochmals <strong>de</strong>r Blick, <strong>und</strong> es heißt nun,<br />
daß Gott lobsingen<br />
... das himmlische Jerusalem, die Kirche <strong>de</strong>r Erstgeborenen, die eingeschrieben sind in <strong>de</strong>n<br />
Himmeln; die Geister <strong>de</strong>r Gerechten <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Propheten, die Seelen <strong>de</strong>r Martyrer <strong>und</strong> Apostel;<br />
die Engel, die Erzengel, die Throne, die Herrschaften, die Fürstentümer, die Mächte, die<br />
furchterregen<strong>de</strong>n Gewalten, die vieläugigen Cherubim <strong>und</strong> die sechsflügeligen Seraphim: Mit<br />
zwei Flügeln be<strong>de</strong>cken sie ihr Antlitz, mit zweien ihre Füße <strong>und</strong> mit zweien schweben sie.<br />
Sie alle jauchzen einan<strong>de</strong>r mit nimmermü<strong>de</strong>m M<strong>und</strong> <strong>de</strong>n nie verstummen<strong>de</strong>n Lobpreis zu.<br />
<strong>Die</strong>se Worte stehen unmittelbar in Bezug zu Gal 4,25ff: »... das gegenwärtige Jerusalem, das mit<br />
seinen Kin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Knechtschaft lebt. Das himmlische Jerusalem aber ist frei, <strong>und</strong> dieses<br />
Jerusalem ist unsere Mutter«. Das eine Jerusalem stammt aus <strong>de</strong>m B<strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Sinai, während das<br />
Jerusalem von oben alle Christen umfaßt, Ju<strong>de</strong>n wie Nicht-Ju<strong>de</strong>n. Ähnlich heißt es in Hebr 12,22-<br />
24: »Ihr seid vielmehr zum Berg Zion hingetreten, zur Stadt <strong><strong>de</strong>s</strong> lebendigen Gottes, <strong>de</strong>m himm-<br />
lischen Jerusalem, zu Tausen<strong>de</strong>n von Engeln, zu einer festlichen Versammlung <strong>und</strong> zur Gemein-<br />
schaft <strong>de</strong>r Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind; zu Gott, <strong>de</strong>m Richter aller, zu <strong>de</strong>n Gei-<br />
stern <strong>de</strong>r schon vollen<strong>de</strong>ten Gerechten, zum Mittler eines neuen Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>, Jesus, <strong>und</strong> zum Blut <strong>de</strong>r<br />
Gregor von Nazianz, PG 36,152.<br />
13
Besprengung, das mächtiger ruft als das Blut Abels.«<br />
Im himmlischen Jerusalem vereinen sich mit <strong>de</strong>n Chören <strong>de</strong>r Engel <strong>und</strong> allen, die im Himmel einge-<br />
schrieben sind, auch die vollen<strong>de</strong>ten Gerechten. <strong>Die</strong> Gemeinschaft, die »Kirche <strong>de</strong>r Erstgeborenen,<br />
30<br />
die eingeschrieben sind in <strong>de</strong>n Himmeln«, umfaßt alle, seien sie im Himmel o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>. <strong>Die</strong><br />
Versammlung <strong>de</strong>r Gläubigen weiß sich in <strong>de</strong>r Feier <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong> unmittelbar in Gemeinschaft mit<br />
<strong>de</strong>m himmlischen Jerusalem, das im Glauben an <strong>de</strong>n Auferstan<strong>de</strong>nen schon für alle angebrochen<br />
ist. In<strong>de</strong>m sich die irdische Kirche mit <strong>de</strong>m Lobgesang <strong><strong>de</strong>s</strong> Himmels auf <strong>de</strong>n einen Gott vereinigt,<br />
stimmt sie in das Lied <strong>de</strong>r Engel ein, die in <strong>de</strong>r ewigen himmlischen <strong>Liturgie</strong> ihren <strong>Die</strong>nst verrichten,<br />
<strong>de</strong>ren Mitte das geschlachtete Lamm ist (Apk 4-5).<br />
Das zweite Kapitel <strong>de</strong>r Geheimen Offenbarung <strong><strong>de</strong>s</strong> Johannes zeigt, wie je<strong>de</strong> Gemein<strong>de</strong> Kleinasiens<br />
einem Engel anvertraut ist, <strong>de</strong>r ihr mit seinem <strong>Die</strong>nst zu Hilfe kommt. Nach Johannes Chryso-<br />
31<br />
stomus umgeben die Engel <strong>de</strong>n Priester <strong>und</strong> die eucharistischen Gaben <strong><strong>de</strong>s</strong> Altares. Alles aber ist<br />
geeint in Christus, <strong>de</strong>r selbst <strong>de</strong>r Liturge dieser einen <strong>Liturgie</strong> im Himmel <strong>und</strong> auf Er<strong>de</strong>n ist, wie sie<br />
im Himmel von <strong>de</strong>n Engeln vollzogen <strong>und</strong> auf Er<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Christen gefeiert wird. Nicht an<strong>de</strong>rs<br />
die Aussagen <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong>: <strong>Die</strong> Gemein<strong>de</strong> steht mit allen Engeln <strong>und</strong> Erzengeln unmittelbar<br />
vor <strong>de</strong>m Thron Gottes <strong>und</strong> antizipiert in <strong>de</strong>r liturgischen Feier, was am En<strong>de</strong> aller Zeiten verheißen<br />
ist. 32<br />
3) Gott, <strong>de</strong>r allmächtige »Vater«, ist »gerecht« <strong>und</strong> »gütig« zugleich, betet <strong>de</strong>r Priester im ersten<br />
Gebet <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong>:<br />
30<br />
31<br />
32<br />
Du Wohltäter, König <strong>de</strong>r Ewigkeiten <strong>und</strong> Schöpfer <strong>de</strong>r Welt, nimm gnädig Deine Kirche auf,<br />
die sich Dir durch <strong>de</strong>inen Christus naht. Gib einem je<strong>de</strong>n, was er braucht. Führe alle zur<br />
Vollendung <strong>und</strong> würdige uns Deiner heiligmachen<strong>de</strong>n Gna<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Du uns in Deiner <strong>heiligen</strong>,<br />
katholischen <strong>und</strong> apostolischen Kirche versammelst, welche Du durch das kostbare Blut<br />
Deines eingeborenen Sohnes, unseres Herrn <strong>und</strong> Gottes <strong>und</strong> Erlösers Jesus Christus,<br />
erworben hast, mit <strong>de</strong>m Du gepriesen <strong>und</strong> verherrlicht bist, zusammen mit Deinem<br />
all<strong>heiligen</strong>, gütigen <strong>und</strong> lebenspen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Geist, jetzt <strong>und</strong> immerdar <strong>und</strong> von Ewigkeit zu<br />
Ewigkeit.<br />
Des öfteren wird in <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> betont, daß Gott »Vater« ist, <strong>und</strong> zwar <strong>de</strong>r »Vater <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
Eingeborenen, unseres Herrn Jesus Christus« <strong>und</strong> eines je<strong>de</strong>n Glauben<strong>de</strong>n. Über <strong>de</strong>n Vater<br />
»unseres Herrn Jesus Christus« fin<strong>de</strong>n wir bei Kyrill von Jerusalem das Urbekenntnis <strong><strong>de</strong>s</strong> Christen<br />
wie folgt ausgedrückt: Wir Christen beten an »<strong>de</strong>n Vater Christi, <strong>de</strong>n Schöpfer <strong><strong>de</strong>s</strong> Himmels <strong>und</strong><br />
Der Duktus <strong>de</strong>r Aufzählung läßt aber eher an die Vollen<strong>de</strong>ten im Himmel <strong>de</strong>nken.<br />
Johannes Chrysostomus, De Sacerd. VI,4 (PG 48,681).<br />
Vgl. hierzu die weiteren Ausführungen im Kapitel über die irdische <strong>und</strong> himmlische Kirche.<br />
14
33<br />
<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n Gott Abrahams, Isaaks <strong>und</strong> Jakobs« , welcher <strong>de</strong>r »Gott <strong><strong>de</strong>s</strong> Gesetzes <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />
34<br />
Propheten« <strong>und</strong> unseres Heiles ist. Während <strong><strong>de</strong>s</strong> Sanctus spricht <strong>de</strong>r Zelebrant leise:<br />
33<br />
34<br />
Heilig bist Du, König <strong>de</strong>r Ewigkeiten <strong>und</strong> je<strong>de</strong>r Heiligkeit Spen<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Herr. Heilig ist auch<br />
Dein eingeborener Sohn, unser Herr Jesus Christus, durch <strong>de</strong>n Du alles geschaffen hast. Hei-<br />
lig ist auch Dein allheiliger Geist, <strong>de</strong>r alles ergrün<strong>de</strong>t, auch Deine Tiefen, o Gott <strong>und</strong> Vater.<br />
Heilig bist Du, allmächtig, alles vermögend, furchtbar, gütig, barmherzig <strong>und</strong> mitleidsvoll<br />
beson<strong>de</strong>rs mit Deinem Gebil<strong>de</strong>. Aus Er<strong>de</strong> hast Du <strong>de</strong>n Menschen geschaffen nach Deinem<br />
Bild <strong>und</strong> Gleichnis.<br />
Im Gebet nach <strong>de</strong>m Sanctus heißt es:<br />
Zuletzt aber hast Du Deinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus, in diese Welt<br />
herabgesandt, damit er selber Dein Bild erneuere <strong>und</strong> wie<strong>de</strong>rherstelle durch sein Kommen.<br />
<strong>Die</strong> Jakobus-<strong>Liturgie</strong> greift hier auf ein Theologumenon <strong>de</strong>r frühkirchlichen Patristik zurück, nach<br />
<strong>de</strong>r die Heilsgeschichte eine Ökonomie <strong><strong>de</strong>s</strong> »Bil<strong><strong>de</strong>s</strong>« ist. Daß <strong>de</strong>r Mensch nach <strong>de</strong>m Bild Gottes<br />
geschaffen ist, macht die Totalität seines Daseins aus. Durch seinen Ungehorsam verlor er nicht<br />
die Ebenbildlichkeit, wohl aber die unmittelbare Gemeinschaft mit Gott, <strong>de</strong>r sich aber voll Erbarmen<br />
wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Menschen zuwen<strong>de</strong>t:<br />
Heilig bist Du, allmächtig, alles vermögend, furchtbar, gütig, barmherzig <strong>und</strong> mitleidsvoll<br />
beson<strong>de</strong>rs mit Deinem Gebil<strong>de</strong>. Aus Er<strong>de</strong> hast Du <strong>de</strong>n Menschen geschaffen nach Deinem<br />
Bild <strong>und</strong> Gleichnis. Du hast ihn <strong>de</strong>r Wonne <strong><strong>de</strong>s</strong> Paradieses gewürdigt. Nach<strong>de</strong>m er aber Dein<br />
Gebot übertreten hat <strong>und</strong> verbannt wur<strong>de</strong>, hast Du, o Gütiger, ihn nicht verachtet <strong>und</strong> nicht<br />
verlassen, son<strong>de</strong>rn ihn wie ein barmherziger Vater erzogen, <strong>de</strong>nn Du hast ihn durch das<br />
Gesetz gemahnt <strong>und</strong> durch die Propheten unterwiesen. Zuletzt aber hast Du Deinen<br />
eingeborenen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus, in diese Welt herabgesandt, damit er sel-<br />
ber Dein Bild erneuere <strong>und</strong> wie<strong>de</strong>rherstelle durch sein Kommen.<br />
Im Logos, <strong>de</strong>r Gottes »eingeborener Sohn« ist <strong>und</strong> seit ewig herrscht, ist alles gewor<strong>de</strong>n, durch ihn<br />
wur<strong>de</strong> alles geschaffen. Der »Gütige« hat <strong>de</strong>n Menschen nach seinem Bild geformt <strong>und</strong> ihn nicht<br />
verlassen, als er <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> anheimfiel, vielmehr hat er ihn »wie ein barmherziger Vater« durch das<br />
Gesetz <strong>und</strong> die Propheten erzogen <strong>und</strong> durch seine Menschwerdung erneuert. Der Prozeß <strong>de</strong>r<br />
Erneuerung <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschengeschlechts, <strong>de</strong>r schon im Alten B<strong>und</strong> begonnen hat, bereitet zunehmend<br />
das Kommen <strong><strong>de</strong>s</strong> Erlösers vor. Während <strong><strong>de</strong>s</strong> Sanctus betet <strong>de</strong>r Zelebrant weiterhin; im soeben<br />
Kyrill von Jerusalem, Hieros. catech. 7,6.<br />
Ebd., 6,36.<br />
15
angeführten Zusammenhang heißt es weiter:<br />
35<br />
Aus Er<strong>de</strong> hast Du <strong>de</strong>n Menschen geschaffen nach Deinem Bild <strong>und</strong> Gleichnis. Du hast ihn<br />
<strong>de</strong>r Wonne <strong><strong>de</strong>s</strong> Paradieses gewürdigt. Nach<strong>de</strong>m er aber Dein Gebot übertreten hat <strong>und</strong><br />
verbannt wur<strong>de</strong>, hast Du, o Gütiger, ihn nicht verachtet <strong>und</strong> nicht verlassen, son<strong>de</strong>rn ihn wie<br />
ein barmherziger Vater erzogen, <strong>de</strong>nn Du hast ihn durch das Gesetz gemahnt <strong>und</strong> durch die<br />
Propheten unterwiesen. Zuletzt aber hast Du Deinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn<br />
Jesus Christus, in diese Welt herabgesandt, damit er selber Dein Bild erneuere <strong>und</strong> wie<strong>de</strong>r-<br />
herstelle durch sein Kommen. Er stieg herab aus <strong>de</strong>n Himmeln <strong>und</strong> nahm Fleisch an durch<br />
<strong>de</strong>n Heiligen Geist <strong>und</strong> Maria, die heilige, immerwähren<strong>de</strong> Jungfrau <strong>und</strong> Gottesgebärerin,<br />
verkehrte mit <strong>de</strong>n Menschen <strong>und</strong> tat alles zur Rettung unseres Geschlechtes. Der Sün-<br />
<strong>de</strong>nlose hat für uns Sün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n freiwilligen <strong>und</strong> lebenspen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Tod durch das Kreuz<br />
erlei<strong>de</strong>n wollen. In <strong>de</strong>r Nacht, in <strong>de</strong>r er überliefert wur<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r vielmehr sich selber überlie-<br />
ferte für das Leben <strong>und</strong> das Heil <strong>de</strong>r Welt, nahm er das Brot ...<br />
Jesus, <strong>de</strong>r selbst ohne Sün<strong>de</strong> ist, überlieferte sich aus freiem Willen <strong>und</strong> in Liebe zur Rettung <strong>de</strong>r<br />
Sün<strong>de</strong>r <strong>und</strong> zum Heil <strong>de</strong>r Welt. Dabei »verkehrte« er wie ein <strong>Die</strong>nen<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>n Menschen. 35<br />
<strong>Die</strong> Vergöttlichung menschlichen Daseins geschieht nicht nur durch die Inkarnation, son<strong>de</strong>rn durch<br />
alle »Mysterien <strong><strong>de</strong>s</strong> Lebens Jesu«, also seines ganzen irdischen Weges. <strong>Die</strong> Jakobus-<strong>Liturgie</strong><br />
versteht die Inkarnation nicht isoliert als einzelnes Faktum, son<strong>de</strong>rn im Kontext <strong><strong>de</strong>s</strong> ganzen Lebens<br />
Jesu, vor allem seines Kreuzeslei<strong>de</strong>ns <strong>und</strong> seiner Auferstehung.<br />
Keiner verfügte so sehr über sich selbst wie <strong>de</strong>r eine, <strong>de</strong>r für uns unschuldig ans Kreuz ging; die<br />
Freiheit dieses einen Unschuldigen vollen<strong>de</strong>t sich im Erlösungsopfer <strong><strong>de</strong>s</strong> Herrn. Deshalb betet <strong>de</strong>r<br />
Zelebrant laut, nach<strong>de</strong>m er gemäß <strong>de</strong>n Verba testamenti <strong>de</strong>n Diskos <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Kelch gesegnet hat:<br />
Einge<strong>de</strong>nk seiner lebenspen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>n, <strong><strong>de</strong>s</strong> heilbringen<strong>de</strong>n Kreuzes, <strong><strong>de</strong>s</strong> To<strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
Begräbnisses, <strong>de</strong>r Auferstehung von <strong>de</strong>n Toten am dritten Tag, <strong>de</strong>r Auffahrt in die Himmel<br />
<strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Sitzens zur Rechten seines Gottes <strong>und</strong> Vaters sowie seiner zweiten, glorreichen <strong>und</strong><br />
furchterregen<strong>de</strong>n Wie<strong>de</strong>rkunft, wenn er in Herrlichkeit kommt, die Leben<strong>de</strong>n <strong>und</strong> die Toten<br />
zu richten <strong>und</strong> je<strong>de</strong>m nach seinen Werken zu vergelten: Verschone uns, Herr, Gott. Vor<br />
allem aber wegen seiner Barmherzigkeit bringen wir Sün<strong>de</strong>r Dir, o Gebieter, dieses furchter-<br />
regen<strong>de</strong> <strong>und</strong> unblutige Opfer dar <strong>und</strong> bitten, daß Du uns we<strong>de</strong>r nach unseren Sün<strong>de</strong>n noch<br />
nach unseren Gesetzesübertretungen vergelten wollest. In Deiner Mil<strong>de</strong> <strong>und</strong> unaussprechli-<br />
chen Menschenliebe übersieh <strong>und</strong> tilge <strong>de</strong>n Schuldschein, <strong>de</strong>r uns, die wir zu Dir flehen,<br />
belastet! Gewähre uns Deine himmlischen <strong>und</strong> ewigen Gaben, die kein Auge gesehen <strong>und</strong><br />
kein Ohr gehört hat <strong>und</strong> die in keines Menschen Herz gedrungen sind, die Du, o Gott, <strong>de</strong>nen<br />
Es han<strong>de</strong>lt sich hier um eine Anspielung auf Bar 3,38, wo es von <strong>de</strong>r Weisheit heißt: »Dann erschien sie auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> <strong>und</strong> hielt<br />
sich unter <strong>de</strong>n Menschen auf.«<br />
16
ereitet hast, die Dich lieben. Und verwirf Dein Volk nicht um meiner Sün<strong>de</strong>n willen, men-<br />
schenlieben<strong>de</strong>r Herr!<br />
Vor <strong>de</strong>r Kommunion betet <strong>de</strong>r Zelebrant:<br />
Der Herr segne uns <strong>und</strong> mache uns würdig, mit <strong>de</strong>n reinen Zangen <strong>de</strong>r Finger die glühen<strong>de</strong><br />
Kohle zu nehmen <strong>und</strong> in <strong>de</strong>n M<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gläubigen zu legen zur Reinigung <strong>und</strong> Erneuerung<br />
ihrer Seele <strong>und</strong> ihres Leibes, jetzt <strong>und</strong> immerdar <strong>und</strong> von Ewigkeit zu Ewigkeit.<br />
In einem weiteren Gebet vor <strong>de</strong>r <strong>heiligen</strong> Kommunion heißt es:<br />
Gebieter, Christus, unser Gott, Brot vom Himmel, Speise <strong>de</strong>r ganzen Welt, ich habe mich<br />
gegen <strong>de</strong>n Himmel <strong>und</strong> gegen Dich versündigt <strong>und</strong> bin nicht würdig, an Deinen <strong>heiligen</strong> <strong>und</strong><br />
makellosen Mysterien teilzunehmen, aber um Deiner Barmherzigkeit <strong>und</strong> unaussprechlichen<br />
Langmut willen mache mich würdig, unverurteilt <strong>und</strong> ohne zu erröten Deinen all<strong>heiligen</strong> Leib<br />
<strong>und</strong> Dein kostbares Blut zu empfangen zur Vergebung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n <strong>und</strong> zum ewigen Leben.<br />
Rückblickend läßt sich festhalten, daß die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> eine sehr positive Schöpfungslehre<br />
entfaltet, die ganz vom Lobgesang auf <strong>de</strong>n Vater erfüllt ist. Der Kosmos allen Daseins spannt sich<br />
von <strong>de</strong>n Meeren bis zum Himmel, alles wird hineingenommen in <strong>de</strong>n Lobpreis <strong>de</strong>r <strong>Liturgie</strong>. Ferner<br />
wird Gott in seiner Güte <strong>und</strong> Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit vorgestellt, <strong>de</strong>nn er hält in seiner<br />
Gerechtigkeit <strong>und</strong> Güte alles in Hän<strong>de</strong>n <strong>und</strong> erneuert es durch seinen Sohn - im Heiligen Geist.<br />
6. Verbreitung <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong><br />
<strong>Die</strong> ursprüngliche Sprache <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> ist, wie wir schon gesehen haben, Griechisch; von<br />
ihr leiten sich die slawische <strong>und</strong> georgische, aber auch eine syrische <strong>und</strong> - von ihr wie<strong>de</strong>rum her-<br />
künftig - eine armenische, äthiopische <strong>und</strong> koptische Fassung ab. Schließlich entsteht ein »textus<br />
receptus«, <strong>de</strong>r offiziell in <strong>de</strong>n Kirchen Verwendung fin<strong>de</strong>t.<br />
Ferner gibt es viele Anklänge aus <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> in <strong>de</strong>r altgallikanischen Messe, im Gelasia-<br />
nischen Meßbuch <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r stadtrömischen <strong>Liturgie</strong> bis ins 5. <strong>und</strong> 6. Jahrh<strong>und</strong>ert, so daß es sich<br />
bei <strong>de</strong>r Jakobus-<strong>Liturgie</strong> um eine gemeinsame Tradition von Ost <strong>und</strong> West han<strong>de</strong>lt. Über die<br />
Verbreitung dieser <strong>Liturgie</strong> läßt sich resümierend sagen: »<strong>Die</strong> Jakobus-<strong>Liturgie</strong> wird seit spätestens<br />
En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> 3. Jahrh<strong>und</strong>erts gefeiert, zuerst in griechischer, dann in syrischer Sprache, später auch<br />
in Kirchenslawisch, Georgisch, Armenisch, Aethiopisch <strong>und</strong> Koptisch. <strong>Die</strong> weiteste Verbreitung<br />
reichte von Nordafrika / Spanien über Gallien / Italien / Balkan in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>ren Orient, wo die Mel-<br />
kiten, d. h. die <strong>de</strong>r orthodoxen Reichskirche angehören<strong>de</strong>n Gläubigen, diese Form kennen in Jeru-<br />
salem, Palästina, Syrien, Antiochien, Kappadokien, Anatolien, Alexandrien, Sinai. <strong>Die</strong> West- <strong>und</strong><br />
17
Ostsyrer verbreiten sie über Arabien <strong>und</strong> Mesopotamien bis nach China, Indien <strong>und</strong> Sumatra. In<br />
Georgien feiert man die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> ebenso wie in Griechenland, beson<strong>de</strong>rs im Erzbistum<br />
Thessaloniki. <strong>Die</strong> Slawen haben diese <strong>Liturgie</strong> wie die Armenier, Äthiopier <strong>und</strong> Kopten. Wir besitzen<br />
Zeugnisse über die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> aus Sizilien, Süditalien (Magna Graecia, wo sie im 9./10. Jh.<br />
aufgegeben wird), Zypern <strong>und</strong> Zakynthos (ital. Zante). Erstaunlich <strong>und</strong> sehr erfreulich ist die<br />
Tatsache, daß die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> sowohl von <strong>de</strong>r abendländischen Kirche wie auch von <strong>de</strong>r ortho-<br />
doxen Reichskirche, gleichzeitig aber auch von <strong>de</strong>n ‘Nestorianern’ (Ostsyrer) <strong>und</strong> <strong>de</strong>n ‘Mono-<br />
physiten’ (Armenier, Äthiopier, Kopten) gefeiert wird, unabhängig von <strong>de</strong>n theologisch-dogma-<br />
tischen Streitigkeiten betreffend die Natur Christi (seit <strong>de</strong>m Konzil von Chalzedon 451) <strong>und</strong> <strong>de</strong>n<br />
damit verb<strong>und</strong>enen gegenseitigen Verketzerungen <strong>und</strong> Anathemata. <strong>Die</strong> <strong>Liturgie</strong> war bei allen<br />
Streitparteien die gleiche - ein Faktum, das in seiner Be<strong>de</strong>utung nicht genug gewürdigt wer<strong>de</strong>n<br />
36 kann!« Ab 1200 wird die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> - wie dargelegt - nur selten gefeiert <strong>und</strong> schließlich<br />
durch die <strong>Liturgie</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong> Basilius <strong>und</strong> Johannes Chrysostomus ersetzt. Der Gottesdienst im byzanti-<br />
nischen Bereich wird fortan immer mehr vereinheitlicht <strong>und</strong> normiert, in<strong>de</strong>m er vor allem <strong>de</strong>n Ge-<br />
bräuchen <strong>und</strong> Gepflogenheiten <strong><strong>de</strong>s</strong> Gottesdienstes in Konstantinopel angeglichen wird.<br />
Heute wird die Jakobus-<strong>Liturgie</strong> noch gefeiert, aber meist nur bei bestimmten Anlässen, von <strong>de</strong>n<br />
Melkiten, ferner von verschie<strong>de</strong>nen Monophysiten, nämlich <strong>de</strong>n Jakobiten <strong><strong>de</strong>s</strong> westsyrischen Ritus,<br />
<strong>de</strong>n Äthiopiern <strong>und</strong> Armeniern, aber auch von <strong>de</strong>n unierten Westsyrern <strong>und</strong> Maroniten. In Jerusa-<br />
lem wird diese <strong>Liturgie</strong> zelebriert am 23. Oktober, <strong>de</strong>m Fest <strong><strong>de</strong>s</strong> hl. Jakobus, auf <strong>de</strong>r Insel Zakyn-<br />
thos gibt es eine Tradition bis in unsere Zeiten hinein.<br />
Der vorliegen<strong>de</strong> Text ist als Text <strong><strong>de</strong>s</strong> Verfassers zu zitieren nach:<br />
Edition Cardo:<br />
CXLV <strong>Michael</strong> <strong>Schnei<strong>de</strong>r</strong> (Hg.), <strong>Die</strong> <strong>Göttliche</strong> <strong>Liturgie</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>heiligen</strong> Apostels Jakobus <strong><strong>de</strong>s</strong> Herrenbru<strong>de</strong>rs <strong>und</strong> ersten Bischofs von Jerusalem, Köln<br />
2009.<br />
CLVIII <strong>Michael</strong> <strong>Schnei<strong>de</strong>r</strong>, <strong>Die</strong> <strong>Göttliche</strong> <strong>Liturgie</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>heiligen</strong> Apostels Jakobus <strong><strong>de</strong>s</strong> Herrenbru<strong>de</strong>rs <strong>und</strong> ersten Bischofs von Jerusalem. Kommentar<br />
<strong>und</strong> Hinführung, Köln 2009.<br />
36<br />
R. Müller, <strong>Die</strong> Jakobus-<strong>Liturgie</strong>, 77.<br />
18