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Die Norddeutsche ~ffinerie Ein Riese unter Riesen

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6<br />

panfoti


<strong>Die</strong> <strong>Norddeutsche</strong> <strong>~ffinerie</strong><br />

<strong>Ein</strong> <strong>Riese</strong> <strong>unter</strong> <strong>Riese</strong>n<br />

<strong>Die</strong> <strong>Norddeutsche</strong> Affinerie (im Folgen-<br />

den auch "NA oder "Affi") ist eine der<br />

ganz grofien Buntmetallhütten - die<br />

größte Kupferhütte Europas.<br />

Daß hier nur das Grundmaterial für Ka-<br />

bel und technisches Gerät gewonnen<br />

wird, ist ein weitverbreiteter Irrtum: Wer<br />

seinen Blick über die Hamburgerskyline<br />

schweifen läßt, der sieht in Form grün-<br />

oxidierter Kirchturmspitzen - Affi-Kup-<br />

fer. Und wer sich an kupfernen Biumen-<br />

schalen, Töpfen und Kännchen erfreut,<br />

der hat vielleicht sein ganz persönliches<br />

Stückchen Affi zu Haus. Aber wer ahnt<br />

schon, daß er vielleicht auch gerade Affi-<br />

Kupfer mit sich herumträgt? Das turex-<br />

Garn im Pullover könnte seinen Ur-<br />

sprung ohne weiteres bei der Norddeut-<br />

schen Affinerie in Hamburg haben.<br />

In der Rangliste der führenden Indu-<br />

strie<strong>unter</strong>nehmen der Bundesrepublik<br />

Deutschland1 steht sie auf Platz 73 -<br />

noch vor dem Axel-Springer-Verlag, Por-<br />

sche, Fichte1 &Sachs, Melitta oder MieIe.<br />

Zu je 40% gehört die NA der DEGUSSA<br />

(Platz 24) und der Metallgesellschaft<br />

Frankfurt (Platz 27). Je 10% des Aktien-<br />

kapitals halten die britischen Firmen<br />

British Meta1 Corp. Ltd. ,London und<br />

British Amalgamated Meta1 Inv. Ltd.<br />

London.<br />

' DIE ZEIT, Nr.33, 1984<br />

Abb. 1 : <strong>Ein</strong> winziger ~usschnitt<br />

aus einem riesigen<br />

Netz industrieller Verflechtungen. Darüberhinaus sind<br />

die meisten Firmen noch über gemeinsame Vorstands-<br />

und Aufsichtsratsmitglieder miteindnder "heimlich<br />

verbunden.


<strong>Die</strong> Affi-Bosse<br />

~nnerhalb der <strong>Norddeutsche</strong>n Affinerie<br />

konzentriert sich die Macht auf eine<br />

Handvoll älterer Herren, die, was Me-<br />

dien und Öffentlichkeit angeht, gern im<br />

Hintergrund bleiben - der Vorstand:<br />

Waiter A. Gleich , Vorstandsvorsitzen-<br />

der<br />

Industriekaufmann (Golfstr.3, 2000<br />

Hamburg 52),<br />

Mitglied im 1 1 -Personen-Vorstand des<br />

Vereins der chemischen Industrie (VCI),<br />

Landesverband NordZ<br />

Gerhard Berndt<br />

Diplomingenieur (Kleckener Kirchweg<br />

39,2 1 05 Seevetal 1 )<br />

Abb 2 Gerhardt Berndt<br />

8<br />

,Dr. Peter Kartenbeck<br />

Ingenieur<br />

~rr~artenbeck ist derjenige, der auf Betriebsratversammlungen<br />

als Vertreter<br />

des Vorstands erscheint und bei zuweilen<br />

unvermeidlichen Kontakten mit der<br />

Presse meist vorgeschickt wird.<br />

Helimuth Pax<br />

Kaufmann (Rondeel8a, 2000 Hamburg<br />

60).<br />

Neben seiner Mitgliedschaft im NA-Vor-<br />

stand ist Hellmuth Pax noch Geschäfts-<br />

führer der Gesellschaft für Metallanla-<br />

gen mbH in Hamburg. Er sitzt im Auf-<br />

sichtsrat der Bremer Woll-Kämmerei<br />

und im Beirat der Deutschen Bank3.<br />

Neben den vier Vorstandsmitgliedern<br />

sei hier noch der jetzige Aufsichtsrats-<br />

vorsitzende und ehemals langjährige<br />

Vorctandsvorsitzende Pauf Hofmeister<br />

genannt. Beeindruckend liest sich die Li-<br />

ste seiner Ämtei4 :<br />

Stellvertretender Vorsitzender der<br />

Wirtschaftsvereinigung Metall<br />

Vorsitzender des Ausschusses für<br />

Rohstoff-Fragen der Metallindustrie<br />

(NA-intern: "...und damit direkter Ge-<br />

sprachspartner der Regiemngf'1<br />

Vorsitzender des Aufsichtsrats der<br />

Bremer Woll-Kämmerei<br />

Vorsitzender des Aufsichtsrats der<br />

OTAVI-Minen AG<br />

Mitglied des Aufsichtsrats der Firma<br />

H.Maihag AG (Meß- und Regeltech-<br />

nik)<br />

Board-Mitglied der Freeport indone-<br />

sia Inc (betreibt Kupfermine in indo-<br />

nesien).<br />

* 2<br />

VCI-lahresbericht. 1984<br />

3 aus: Leitende Männer und Frauen der Wirtschaft 1984.<br />

~ b b 3 : Peter Kartenbeck


Aus Erz wird Geld btschöpfung<br />

Gelegen auf der Peute im Osten Ham-<br />

burgs, ist die <strong>Norddeutsche</strong> Affinerie der<br />

größte Gewerbesteuerzahler Hamburgs<br />

und verfügt darüber hinaus auch als Ar-<br />

beitgeber mit 3260 Beschäftigen (Ende<br />

1983) -dar<strong>unter</strong> etwa ein Drittel Auslän-<br />

der - in der Hansestadt über einiges an<br />

Macht und <strong>Ein</strong>flufS. <strong>Die</strong>s 1äBt sich schon<br />

anhand der folgenden Wirtschaftsdaten<br />

erahnen:<br />

I ) Janr<br />

1948% 55 60 65 Xi 75 &J 65<br />

Abb. 4 : Aktienkapitai der NA seit 1948 (Wahrungsre-<br />

form), Tendenz: steigend.<br />

0<br />

Jahr<br />

~OBS 10 7f~ 94 n 1 e ab 0'2 8k *<br />

Abb. 5 :Umsatz der NA seit 1968. In 15 Jahren fasteine<br />

Verdoppelung; Tendenz: steigend<br />

m mio DM<br />

4<br />

Gewinn in mio DM<br />

0 Jak 0 l<br />

19M 75 7k $6 +8 $ 84<br />

ism $0 h eli . $3 )<br />

~bb. 6 : Wertschöpfung der NA seit 1979. ~innahm'en -<br />

Kosten = Wertschöpfung. Sie gibt die "eigentliche Leistung"<br />

eines Unternehmens an, da hier - im Gegensatz<br />

zum Gewinn - Investionen nicht als Minus-Beträge auf-<br />

Abb. 8 : Gewinne der NA seit i 968; Tendenz: gleichbleibend<br />

<strong>Die</strong> <strong>Norddeutsche</strong> <strong>~ffinerie</strong> zahlt übrigens lahr<br />

für lahr 2 Mio DM nicht als Dividende aus. sondern<br />

bringt sie in Form von "Rücklagen" für schlechtere Zeitauchen.<br />

Tendenz: gleichbleibend bis steigend. ten in Sicherheit. Inzwischen hat sich da einiges angesammelt<br />

- ein Aspekt, der in der Diskussion um die Ver-<br />

teilung der Kosten für die Sanierung der arsenvergifte-<br />

ten, ost-hamburger Böden noch viel zu wenig berück-<br />

A Y sichtigt wird.<br />

Dlvdende ii %<br />

Angesichts dieses Finanzpotentials<br />

20- erscheinen die Klagen Dr. Peter Karten-<br />

becks absurd5:<br />

':.. Ubertriebene, sachlich nicht begrün-<br />

dete Forderungen im Umweltschutz<br />

schädigen wegen der damit verbunde-<br />

nen Kosten nicht nureinzelne Untemeh-<br />

men, sondern letztlich die gesamte<br />

Abb. 7 : Dividende der NA seit 191 0; Tendenz: gleich- VolkSWifisChaft.<br />

bleibend. <strong>Die</strong> Super-Dividende von 45% hat ihren Ur-<br />

sprung allerdings nicht in hyperg<br />

sondern in gesamtwirtschaftlich<br />

winnen".<br />

"A-intern, Nr.5411984<br />

Quelle: DER SPIEGEL<br />

4<br />

)Jahr<br />

Hans Sigg


Da drängt sich zunächst die Frage auf:<br />

was ist Umweltschutz?<br />

4 Ist der Bau einer Lagerhalle eine Um-<br />

weltschutzmaßnahme, weil dabei<br />

neben einer Reihe anderer Vorteile<br />

auch die Verbreitung schwermetall-<br />

hakiger Stäube verhindert wird?<br />

+ Sind die laufenden Kosten fur diese<br />

Halle Umweltschutzausgaben?<br />

f Sind Filteranlagen, mit deren Hilfe<br />

wirtschaftlich nutzbare Stäube (z.B.<br />

Cadmium-angereicherte Stäube) ge-<br />

wonnen werden, Umweltschutzan-<br />

lagen?<br />

*Und: Mui3 der verkaufserlös solcher<br />

Stäube dann von den Zahlen über<br />

durch Umweltschutzmaßnahmen<br />

entstehende Kosten wieder abgezo-<br />

gen werden ?<br />

*<br />

<strong>Die</strong> Geschichte der Vorläuferfirrnen der<br />

<strong>Norddeutsche</strong>n Affinerie 1äBt sich bis<br />

ins Jahr 1783 zurückverfolgen:<br />

In diesem Jahr wurde die Firma BEIT, ein<br />

Edelmetall-Scheidebetrieb, erstmals ur-<br />

kundlich erwähnt: Herr Marcus Salo-<br />

mon Beit hatte in seinem Betrieb an der<br />

1.dbstraße dummerweise Torf vor dem<br />

Schmelzofen gelagert, der daraufhin in<br />

Brand geraten war. <strong>Die</strong>ser Vorfall be-<br />

gründet eine lange und erfolgreiche Tra-<br />

dition der NA: Geld und Ärger zu ma-<br />

chen.<br />

Durch sein Engagement im Münz- und<br />

Bankwesen sowie durch die Ejnhhrung<br />

Was kostet der Umweltschutz?<br />

+ 1st die Affi an sich vielleicht eine ein-<br />

zige, riesige Umweltschutzfabrik, da<br />

sie den Erzen doch jede Menge hoch-<br />

giftiger Schwermetalle entzieht ????<br />

~erständlicherweise benutzen die Affi-<br />

Bosse den Begriff "Umweltschutz" gem<br />

im weitesten Sinne des Wortes. Und<br />

ebenso gern vergessen sie oft, darauf<br />

hinzuweisen, daß "Umweltschutzinvestitionen"<br />

- was auch immer das nun<br />

sein mag - meist großzügig von Staat<br />

subventioniert werden.<br />

Keinerlei Probleme bereitet es übrigens,<br />

Informationen über Umsatz und Gewinne<br />

der NA zu erhalten; Angaben über<br />

~mweltschutzausgaben sind nur<br />

schwer zu durchschauen. Klar ist, daß<br />

seitens der Affi der <strong>Ein</strong>druck vermittelt<br />

werden soll, es sei ungeheuer viel.<br />

iI,<br />

Wie alles anfing ...<br />

neuester Technologien gelangte Beit<br />

schnell zu Macht - das Ansehen blieb,<br />

zumindest was seine Nachbarn betraf,<br />

aus ...<br />

Aus dem Buch 100 lahre <strong>Norddeutsche</strong><br />

Affinerie:<br />

'Begründete und unbegründete Beschwerden<br />

der Anwohner über Belästigungen<br />

durch den Betrieb ... veranlaXten<br />

die Behörden, dem Beit"schen Betrieb<br />

verschiedene Auflagen zu machen.<br />

Abb. 9 :Lage der <strong>Norddeutsche</strong>n Affinerie (NA). (1 Fir-<br />

ma BHT. ab 1866 <strong>Norddeutsche</strong> Affinerie in der 1,Elbstra-<br />

ße. (2) Elbkupferwerk auf Stehwerder.<br />

Bei der Würdigung der folgenden Zahlen<br />

vergegenwärtige rnensch sich, daß<br />

der Umsatz der <strong>Norddeutsche</strong>n Affinerie<br />

für 1983 2,56 Milliarden DM betrug.<br />

Dem stehen - von der Affi als solche bezeichnete<br />

- Investitionen für den Umweltschutz<br />

von 50 Millionen DM in den<br />

letzten drei IahrenQnd laufende Kosten<br />

für den "Umweltschutz" von etwa<br />

34 Millionen DM pro lahr gegenüber.<br />

Dazu noch ein Vergleich: Unter anderem<br />

für ~mweltschutzmaßnahmen verzichtete<br />

die Stadt Hamburg auf Gewerbesteuern<br />

der NA in Höhe von 36 Millionen<br />

DM.<br />

NA-intern, NI 54/1984


So mußte ein 30 Meter hoher Schorn-<br />

stein errichtet werden, und imlahr 1847<br />

wurde auch der Abbruch und Neubau<br />

verschiedener Gebäude und Schmelzö-<br />

fen nötig. "<br />

1846 gründete die Firma L.R.BE1T 6: Co.<br />

gemeinsam mit der Reederei Johann<br />

Caesar Godeffroy & Sohn das Elbkupfer-<br />

werk auf Steinwerder.<br />

vielleicht besaß der damals für das Ge-<br />

nehmigungsverfahren zuständige Be-<br />

amte die Gabe des Sehens: Harnburg<br />

verpachtete dem Betrieb das Gelände<br />

nur <strong>unter</strong> der Bedingung, daß aus-<br />

schließlich arsenfreies Erz verarbeitet<br />

werden dürfe.<br />

Schon im November 1853 wurde dieses<br />

Verbot aber wieder außer Kraft gesetzt:<br />

<strong>Die</strong> zu verschmelzenden Silbererze duxf-<br />

ten von nun an bis zu 5% Arsenik enthal-<br />

ten. Gleichzeitig mußte vom Elbkupfer-<br />

werk - wohl um das Gift besser zu vertei-<br />

len - ein'85 Meterhoher Schornstein (der<br />

damals höchste Deutschlands} gebaut<br />

werden.<br />

Aber während das Stammwerk Beit 's in<br />

der i.Elbstraße auch weiterhin florierte.<br />

wurde das Elbkupferwerk nach nur I 2-<br />

jährigem Bestehen stillgelegt (heute<br />

würde die Firma sicherlich behaupten.<br />

wegen der zu hohen Umweltschutzaut~<br />

lagen).<br />

Mit neuen Geldgebern wagte Beit 1860<br />

einen zweiten Anlauf Seine Firma in dei<br />

Elbstraße ging zusammen mit einer wel- .<br />

teren Edelmetallschmelze in der Nord-<br />

deutschen Affinerie auf.<br />

1909 begann die Umsiedlung der Nord-<br />

deutschen Affinerie auf die Peute. Ab<br />

191 3 wurde nur noch in den neuen<br />

Werksanlagen produziert.<br />

<strong>Ein</strong> wichtiger Schritt nach vorne war für<br />

die junge Firma die <strong>Ein</strong>führung des<br />

Wohlwill-Verfahrens - eine Technik zur<br />

Gewinnung besonders reinen Goldes.<br />

*<br />

Heute - keine 80 Jahre später - zählt die<br />

<strong>Norddeutsche</strong> Affinerie zu den grdten<br />

Industrie<strong>unter</strong>nehmen und der Ham-<br />

burger Osten zu den vergiftetsten Ge-<br />

genden der BRD.<br />

*<br />

Literaturverzeichnis:<br />

DIE ZEIT (1 984):<br />

<strong>Die</strong> Zelt-Racglist~ der fuhrenden deutsrhen Industrie<strong>unter</strong>nehmen<br />

und ihr Reitrag zur gesarntwirtsthaft.i<br />

chcn i.eis:urig<br />

hr.33, 10.08.1 984<br />

NORDDEUTSCHE AFFINERIE (HISS.):<br />

&A-intern, Wcrkszcitschrift. vcrschiedenc Ausgaben<br />

NORDDEUTSCHE AFFINERIE (Hrsg., 1966):<br />

130 lahr? Norddeursrhe Affinerie<br />

1095 Hamnclrg<br />

VERBAND DER CHEMISCHEN INDUSTRIE (1 984):<br />

VC1-Jahresbericht 1984<br />

ohne Autorenangabe.<br />

(1 984):<br />

leitende Manner und Frauen der Wirtschaft 1984<br />

Hoppenitedt-Verlag. Darmstadt

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