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Qualität im Kinder- und Jugendtheater - Theater und Schule

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Qualität <strong>im</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendtheater</strong><br />

Das erste Urteil nach dem Applaus trifft man spontan: „Das hat mir<br />

gefallen!“ „Schrecklich!“ „Ich musste so lachen!“ „Langweilig!“<br />

„Tolle Schauspieler!“<br />

Dieses Urteil ist <strong>im</strong>mer richtig, denn es kommt aus dem Gefühl heraus.<br />

Und zur Entscheidung für oder gegen ein <strong>Theater</strong>stück wird nur dieses<br />

spontane Gefühl führen.<br />

Aber hier wollen wir weiter gehen. Wir wollen die Qualität eines <strong>Theater</strong>stückes<br />

f<strong>und</strong>iert beurteilen <strong>und</strong> nach Kriterien für das spontane Urteil<br />

suchen. Warum hat es gefallen? Wer hat uns so zum Lachen gebracht?<br />

Was hat uns genau geärgert?<br />

Das erfordert zunächst einmal etwas mehr intellektuelle Anstrengung, die<br />

sich aber lohnt.<br />

Es beginnt mit der gr<strong>und</strong>sätzlichen <strong>und</strong> unauflöslichen Schwierigkeit, dass<br />

der Besuch einer <strong>Kinder</strong>theatervorstellung in der Regel von Pädagogen<br />

oder Eltern entschieden wird. Wir müssen in allen Verhältnissen einen<br />

Generationenunterschied feststellen; ob das ein Konflikt wird, ist der<br />

Sorgfalt der Entscheidenden überlassen.<br />

Daraus leitet sich als Gütekriterium für eine <strong>Theater</strong>vorstellung ab, ob die<br />

besuchenden <strong>Kinder</strong> oder Jugendlichen an der Atmosphäre <strong>und</strong> Spielweise<br />

des <strong>Theater</strong>s erkennen können, dass diese Veranstaltung für sie<br />

gemacht wird. Wird deutlich, dass sie willkommen sind, wird auf ihre<br />

unterschiedlichen Bedürfnisse (Trinken, Essen, Toilette, Kommunikation,<br />

Garderobe) eingegangen <strong>und</strong> dafür Raum geschaffen? Die Hinwendung<br />

zu <strong>Kinder</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen sollte auf der gr<strong>und</strong>legenden Vereinbarung<br />

erfolgen, dass sie als Persönlichkeiten wahrgenommen werden. Die<br />

kognitiven <strong>und</strong> emotionalen Zugänge zur Welt unterscheiden sich von<br />

denen der Erwachsenen, sind aber deshalb keineswegs unwichtiger.<br />

„Der Film war gut!“, das hören wir oft von <strong>Kinder</strong>n be<strong>im</strong> Verlassen der<br />

<strong>Theater</strong>-vorstellung. Kein Gr<strong>und</strong> böse zu sein, dass hier gerade ein Medium<br />

nicht erkannt wurde, sondern ein Gr<strong>und</strong>, sich über die Note „gut“ zu<br />

freuen.<br />

Aber zurück zu unserer Beurteilung als Erwachsener, der ja ein <strong>Theater</strong>stück<br />

aussuchen will nach Kriterien, die einer Befragung standhalten <strong>und</strong><br />

vielleicht auch Gründe für den <strong>Theater</strong>besuch bei den Kollegen oder<br />

Eltern geltend machen möchte.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich sind die Qualitätskriterien keine anderen als bei der Bewertung<br />

eines <strong>Theater</strong>stückes für Erwachsene auch, es kommen nur noch ein<br />

paar hinzu.<br />

Das Zerlegen in die - hoffentlich vorhandenen! - einzelnen Bausteine der<br />

Inszenierung ist ein guter Weg, aber oft nicht einfach, denn wir müssen<br />

uns mit der Erinnerung des Gesehenen zufrieden geben. <strong>Theater</strong> ist eine<br />

flüchtige Kunst.<br />

In einer <strong>Theater</strong>aufführung bündeln sich viele Künste zu einem dichten<br />

Geflecht. Für die Beurteilung ist es hilfreich diese Bündel zunächst etwas<br />

zu entflechten <strong>und</strong> darauf zu überprüfen wie sie sich gegenseitig


unterstützen. Wenn es da nichts zu entflechten gibt, ist dies vielleicht<br />

schon ein Hinweis auf die mangelnde Qualität einer <strong>Theater</strong>aufführung.<br />

Beginnen wir bei der Entscheidung eines <strong>Theater</strong>s, ein best<strong>im</strong>mtes<br />

<strong>Theater</strong>stück oder einen Roman, ein Bilderbuch oder eine Erzählung auf<br />

die Bühne zu bringen. Diese Entscheidung wird nämlich stark beeinflusst<br />

vom noch nicht vorhandenen aber bereits <strong>im</strong>aginierten Publikum. Findet<br />

hier die Zusatzverwertung eines populären Stoffes statt? Oder ist zu<br />

erwarten, dass das <strong>Theater</strong> mit seinen eigenen Mitteln eine neue Interpretation<br />

versucht? Haben wir das Gefühl, die wollen uns das jetzt<br />

unbedingt erzählen, weil es ihnen auf dem Herzen liegt <strong>und</strong> weil sie annehmen,<br />

dass es auch das noch nicht vorhandene Publikum interessieren<br />

könnte?<br />

Ein wesentlicher Teil der Beurteilung einer <strong>Theater</strong>aufführung ist die<br />

Beurteilung der Schauspielkunst. Vielleicht war das Stück gar nicht so<br />

doll, aber dieser eine Schauspieler, der hat mich zu Tränen gerührt! Die<br />

Schauspielkunst wird dann als besonders intensiv empf<strong>und</strong>en, wenn wir<br />

das Gefühl haben, dass die Person <strong>und</strong> die Figur eins geworden sind: die<br />

Suche nach dem Moment der Wahrhaftigkeit. Es ist w<strong>und</strong>erbar, wenn<br />

da jemand eine Figur spielt in allen Facetten: mit ihren negativen <strong>und</strong><br />

bösen Seiten aber auch mit den angenehmen <strong>und</strong> liebenswerten. Und wir<br />

langweilen uns, wenn jemand ein Klischee zeichnet, das ohne innere Anteilnahme<br />

an der Figur rein technisch vorgespielt wird.<br />

Wie benutzen die Schauspieler ihre Körper, St<strong>im</strong>men, Gesten <strong>und</strong> ihre<br />

M<strong>im</strong>ik um ihr Instrument, sich selber, zum Klingen <strong>und</strong> Agieren zu bringen?<br />

Welche Mittel <strong>und</strong> Hilfsmittel werden dabei verwendet? Wie wird<br />

Sprache zur Körpersprache?<br />

Doch die Schauspieler stehen nicht allein <strong>und</strong> nackt <strong>im</strong> Nichts.<br />

Erzählen die Kostüme uns etwas Eigenes oder sind sie nur ein notwendiges<br />

Kleidungsstück? Kostüme können uns in eine andere Zeit oder in<br />

eine andere Welt verweisen.<br />

Die Bühne ist ein weiteres wichtiges Zeichensystem <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

einer <strong>Theater</strong>aufführung, stellt sie konkrete Orte dar oder gibt sie uns<br />

andere Hinweise? Wie benutzen die Schauspieler den Raum? Welche Rolle<br />

spielt der Zuschauerraum, welche Räume sieht der Zuschauer, welche<br />

Räume stellt er sich vor? Ist das Bühnenbild mehr als nur Dekoration?<br />

Wie ist das Spiel mit dem Licht? Das Licht hat die Funktion zu beleuchten,<br />

zu verstecken, Räume zu markieren, Atmosphäre <strong>und</strong> St<strong>im</strong>mung<br />

zu schaffen, Szenen voneinander abzugrenzen <strong>und</strong> zu definieren. Der Verzicht<br />

auf <strong>Theater</strong>licht z.B. <strong>im</strong> Straßentheater oder Klassenz<strong>im</strong>mervorstellungen<br />

kann aber auch sinnvoll sein. Die Frage nach dem Einsatz von Licht<br />

sollte zur Beurteilung einer <strong>Theater</strong>vorstellung aber auf jeden Fall gestellt<br />

werden.<br />

Der Text <strong>und</strong> die Geschichte sind meist gr<strong>und</strong>legende Elemente der<br />

<strong>Theater</strong>-aufführung Bei der Beurteilung der Geschichte fragen wir nach<br />

Anfang <strong>und</strong> Ende, Prolog <strong>und</strong> Epilog, wir verfolgen den Spannungsbogen,<br />

beurteilen die Glaubwürdigkeit der Dialoge, suchen die dramatischen


Drehpunkte <strong>und</strong> andere dramaturgische Raffinessen. Gibt es Neben- <strong>und</strong><br />

Rahmenhandlungen? Wenn Bilderbücher, Notizen, Bilder, Gedichte oder<br />

andere Formen das Ausgangsmaterial für eine <strong>Theater</strong>aufführung sind,<br />

fragen wir nach den inneren Zusammenhängen. Wie sind einzelne<br />

Szenen miteinander verknüpft?<br />

Aber hier gibt es wichtige zusätzliche Fragen für das <strong>Kinder</strong>theater zu<br />

stellen: Ist die Geschichte für die Altersgruppe verständlich <strong>und</strong> angemessen<br />

erzählt? Wer steht <strong>im</strong> Mittelpunkt der Geschichte? Wie löst sich<br />

die Geschichte am Ende auf? Das Ende darf traurig sein oder fröhlich,<br />

aber gerade bei einem vielleicht schwierigen Stoff ist es wichtig, dass die<br />

<strong>Kinder</strong> nicht mit einem ungelösten Konflikt aus dem Stück entlassen<br />

werden. Das kann man sehr gut selber spüren: Fühlt man sich „schön<br />

traurig“ oder „steinschwer“? Das ist ein Riesenunterschied <strong>und</strong> erfordert<br />

unser sensibles Gespür.<br />

Eine andere wichtige Kunst, die in einer <strong>Theater</strong>aufführung zur Geltung<br />

kommt, ist die Musik. Als Musik können alle akustischen Informationen<br />

einer Inszenierung beschrieben werden, auch der Rhythmus des „nur“<br />

gesagten Textes stellt eine musikalische Komponente dar. Töne <strong>und</strong><br />

Musik beeinflussen den Zuschauer auf einer eher emotionalen Ebene<br />

<strong>und</strong> können damit einen ganz konstituierenden Charakter für eine Inszenierung<br />

ergeben. Welche Horizonte, welche Signale gibt uns die Musik<br />

einer Aufführung? Werden mit der Musik falsche Fährten gelegt? Gibt es<br />

Musik als Untermalung oder entwickelt sie eine eigene Dynamik?<br />

Die Dynamik einer <strong>Theater</strong>aufführung ist besonders <strong>im</strong> Spiel eines Ensembles<br />

zu verfolgen. Agieren <strong>und</strong> reagieren die Darsteller gemeinsam<br />

an der Geschichte <strong>und</strong> in der Inszenierung, gelingt es dem Ensemble Beziehungen<br />

<strong>und</strong> das daraus entstehende Verhalten deutlich zu zeigen? Gelingt<br />

es dem Solodarsteller die verschiedenen Facetten seiner Figur oder<br />

Figuren, die er darstellt, vor unseren Augen entstehen zu lassen?<br />

In allem wird deutlich, dass die Inszenierung eines <strong>Theater</strong>stückes sich<br />

speist aus vielen verschiedenen Töpfen <strong>und</strong> die Kunst der Inszenierung<br />

wiederum darin besteht, ein schmackhaftes Menü daraus zu bereiten.<br />

Der gezielte <strong>und</strong> geplante Einsatz der zahlreichen <strong>Theater</strong>mittel best<strong>im</strong>men<br />

die Ästhetik einer Inszenierung.<br />

<strong>Theater</strong> <strong>und</strong> der Einsatz der <strong>Theater</strong>mittel sollte darüber hinaus gehen, etwas<br />

einfach nur realistisch abzubilden.<br />

<strong>Theater</strong> kann mit seinen Angeboten an szenischer Darstellung von Geschichten,<br />

Situationen, St<strong>im</strong>mungen <strong>und</strong> Zuständen einen Raum zum<br />

Denken eröffnen.<br />

<strong>Theater</strong> regt die Phantasie an <strong>und</strong> gibt mit dem Spiel eine Interpretationsmöglichkeit.<br />

Gutes <strong>Theater</strong> bietet neben guter Unterhaltung den Raum für eigene Assoziationen.<br />

Ein weiteres Kriterium sei noch erwähnt, denn es ist existenziell wichtig.<br />

Es ist die Frage nach den einer <strong>Theater</strong>produktion zu Gr<strong>und</strong>e liegenden<br />

Weltbildern. Die schönste Kunst ist nichts, wenn Stereotypen <strong>und</strong> Voru-


teile bestätigt werden. <strong>Theater</strong> kann Welten erschaffen <strong>und</strong> mit einem<br />

Schlag zerstören, es kann sehr nachhaltig auf den Einzelnen wirken. Die<br />

vermittelten Aussagen eines Stückes sollten daher sichtbar <strong>und</strong> offen<br />

daliegen. Dann sind sie auch zu hinterfragen <strong>und</strong> ermöglichen einen kritischen<br />

Blick.<br />

Frankfurt 18.12.2005<br />

Detlef Köhler

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