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Berliner Leben: Zeitschrift für Schönheit und Kunst

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Die enttäuschte Circe.<br />

Von Ugo Ojetti.<br />

'Autorisierte Uebersetznng rOll E Ii:s e M ü n7. e r.<br />

Im Fenicetheater schob sich von beiden Seiten der<br />

schwere, grüngoldene Vorhang nach der letzten Scene<br />

des • Troubadour« zusammen, <strong>und</strong> die dicke, schwarzgekleidete<br />

Leonore fiel im Gefängnis um wie ein ausgeleerter<br />

Ballon oder wie der Schlauch eines verstummenden<br />

Dudelsacks.<br />

Aus den Logen verschwanden die schönen Venezianerinnen,<br />

verbargen ihre nackten Schultern unter<br />

weissen, roten, grauen oder braunen Mänteln, <strong>und</strong> die<br />

Herren halfen ihnen dabei mit einer Miene, als sähen<br />

sie wieder einmal die Sonne untergehen. In der plötzlichen<br />

Stille nach dem Lärm des Orchesters wurde<br />

nicht viel gesprochen, denn in Venedig, ebenso wie<br />

in Mailand, Neapel <strong>und</strong> Rom, reden wohlerzogene Leute<br />

nur, wenn der Vorhang aufgezogen ist <strong>und</strong> die Künstler<br />

singen. In der Loge der Gräfin di Loana stand nur<br />

noch der alte, kurzsichtige Graf, der nachsah, ob seine<br />

Damen etwa ein Opernglasetui, einen Handschuh oder<br />

ein Taschentuch vergessen hatten, als man einen Jungen<br />

Mann sich durch die Menge drängen sah, die- durch<br />

den Korridor flutete. Er stürzte bis zum Eingang der<br />

Loge, schob den blauweissen Gondoliere zur Seite<br />

<strong>und</strong> nahm sich nicht einmal Zeit, den Hut zu lüften,<br />

sondern sagte zur Gräfin, ihrer Tochter <strong>und</strong> der kleinen<br />

Sarti, die mit ihnen im Theater gewesen waren, die<br />

vier merkwürdigen Worte:<br />

»Er trägt seinen Bart!.<br />

• Er ,trägt seinen Bart! Er trägt seinen Bart. ,<br />

wiederholten fröhlich <strong>und</strong> neugierig die drei Damen.<br />

»Er trägt seinen Bart. , riefen sie dem alten Grafen zu,<br />

der eine Stecknadel gef<strong>und</strong>en hatte <strong>und</strong> sie vorsichtig<br />

am Revers seines Ueberziehers feststeckte. Und auch<br />

er wiederholte: • Er trägt seinen Bart?<br />

Nun kam noch ein hagerer, eleganter junger Mann,<br />

der heute Abend für alle eleganten Venezianer den<br />

Sommer eingeführt hatte, denn er trug zum Abendanzug<br />

den Strohhut. Ruhiger, wie es sich für Jemand<br />

schickt, der seine Kleidung aus London bezieht, liess<br />

auch er die vier geheimnisvollen Worte vernehmen:<br />

»Er trägt seinen Bart!.<br />

Casarsa, der es zuerst verkündigt hatte, blickte<br />

Manin mitleidig an:<br />

Betty Nording<br />

Operette n s ängerin<br />

Mitglied des . Apollo·Theaters ' .<br />

• lch habe es schon gesagt..<br />

Und die Gruppe begab sich zu dem Ausgang, wo<br />

die Gondeln lagen. Man hörte draussen die Rufe<br />

der Gondolieri von Barke zu Barke über das dunkle<br />

Wasser hin:<br />

. Morosini! Grimani! Papadopoli! Albrizzi!<br />

Die ganze venezianische Geschichte wurde mit<br />

lauter Stimme in die Nacht hinausgerufen bis in die<br />

engen Nebenkanäle, <strong>und</strong> die Gondolieri, die auf den<br />

Kissen unter dem filzdach eingeschlafen waren, reckten<br />

sich, zündeten schnell die Messinglaterne an, zogen<br />

sich die flatternden Schärpenenden zurecht, stemmten<br />

die Ruder ein <strong>und</strong> wetteiferten darin, zuerst anzukommen.<br />

Die Schönen schritten aus dem erleuchteten Gang<br />

die drei Stufen hinunter, stützten die weisse Hand auf<br />

den Arm des Gondoliere <strong>und</strong> verschwanden im Dunkel.<br />

Die Damen der Familie Loana standen, ihre Gondel<br />

erwartend, neugierig im Hintergr<strong>und</strong>e, während der<br />

Graf in einiger Entfernung davon, mit den fingern<br />

schnippend, ein paar unsichtbare Stäubchen von seinem<br />

steifen Hut entfernte. Zwei, drei, vier junge Leute<br />

waren' mit Casarsa <strong>und</strong> Manin herbeigeeilt <strong>und</strong> umringten<br />

sie. Alle warteten der Dinge, die da kommen<br />

sollten.<br />

. Da ist sie! Da ist er!«<br />

Der Bart erschien. Er war w<strong>und</strong>ervoll, braun.<br />

etwas rötlich, gebürstet <strong>und</strong> gekämmt wie eine kostbare<br />

franse, glänzend vor Salben <strong>und</strong> Essenzen, unter<br />

dem roten Schnurrbart noch brauner erscheinend, gab<br />

er seinen Eigentümer, der gross <strong>und</strong> schlank war,<br />

eine priesterliche Würde' selbst im weltlichen Kleide.<br />

Darunter erglänzte das Oberhemd blendend weiss wie<br />

Schnee in Waldesnacht. 1m Profil war er assyrisch<br />

von vorn russisch <strong>und</strong> im Dreiviertelprofil mönchisch.<br />

Bei jeder Wendung des vollendet schönen Bartes<br />

änderte sich der Eindruck, den der Mann machte. Er<br />

war nur Bart. Man fühlte, dass der Bart sein eigentlicher<br />

Gebieter war, <strong>und</strong> dass er sich Beschränkungen<br />

auferlegte <strong>und</strong> Vergnügungen versagte, um ihn nicht<br />

zu beschädigen oder zu verwirren. Sein Haar war<br />

kurz geschnitten, seine Augen bemühten sich, finster<br />

<strong>und</strong> streng zu blicken, <strong>und</strong> die Brust blähte sich, um<br />

ihn zu stützen, ihm Halt zu verleiten, ihn zur Geltung<br />

zu bringen. Der Bart hielt den Kopf <strong>und</strong> Alles, was<br />

darin war .<br />

Alberto Orrei, der Besitzer dieses Bartes, ein Marineleutnant,<br />

war also ein schöner Mann. Die neidischen<br />

Männer verglichen ihn mit einem friseurkopf, während<br />

er für jede Dame, auch die reinste <strong>und</strong> keuscheste,<br />

ein Muster an Männlichkeit un(i Kraft war.<br />

Er erschien also, feierlich, streng <strong>und</strong> schweigsam,<br />

<strong>und</strong> an seinem Arm die Herzogin von Dario, deren<br />

allzu blondes Haar unter dem elektrischen Licht aufflammte,<br />

als sie beim ersten ~uftzug vom Kanal her<br />

mit der Linken den weissen Mantel mit blauem Besatz<br />

über den schönen Busen zusammenfasste.<br />

Darina Dario war dreissig oder vierzig Jahre alt,<br />

je nach Denen, die man danach fragte. Die Dankbaren<br />

verjüngten sie, <strong>und</strong> die Undankbaren oder Abgewiesenen<br />

machten sie älter. Und da die meisten<br />

dankbar waren, so war Darin"a Dario meistens jung.

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