Zeitschrift EURO
Zeitschrift EURO
Zeitschrift EURO
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
[Dossier] Deutsche Bahn<br />
[22] Der Report<br />
Warum die DB durch falsche Strukturen<br />
Milliarden Steuergelder verschleudert<br />
[26] Das Interview<br />
Verkehrsprofessor Christian Böttger<br />
kritisiert die Auslandsexpansion der Bahn<br />
[29] Der Essay<br />
Der Chef des Schweizer Bundesamts für<br />
Verkehr erklärt erfolgreiche Bahnpolitik<br />
Dilemma<br />
Bahn<br />
Der Staatskonzern kommt trotz<br />
Milliardensubventionen kaum vom<br />
Fleck. Eine Suche nach den Gründen<br />
von Dirk Horstkötter und Philip Jaeger<br />
Ramponiert Trotz der Bahnreform 1994<br />
beschädigen kaputte Züge, veraltete Gleise<br />
und Verspätungen das Image der Bahn<br />
FOTOS: Bodo Schulz/ecopix Fotoagentur<br />
Welch ein Comeback: Die „Y-Trasse“ ist wieder<br />
da. Dabei war der geplante Schienenweg für Tempo<br />
300 zwischen Hamburg, Bremen und Hannover<br />
bereits so gut wie tot. Er galt als unrentabel und überflüssig.<br />
Ein Relikt aus den 80er-Jahren, der Zeit des<br />
Geschwindigkeitsrauschs. Die Baukosten für solche<br />
Turbotrassen sprengen seither regelmäßig jede Planung.<br />
Die Mischung aus Personen- und Güterverkehr<br />
verursacht bis heute Probleme. Und die Milliardeninvestitionen<br />
in viele ICE-Gleise waren – ehrlich gerechnet<br />
– nie rentabel. Deshalb verlor auch das „Y“<br />
für Experten an Glanz.<br />
Die Planer bei der Deutschen Bahn waren froh, als<br />
Vorstandschef Rüdiger Grube das Vorhaben im November<br />
2009 quasi beerdigte. Auf einer Projektliste<br />
für das Verkehrsministerium wurde die Trasse nun<br />
als perspektivlos geführt. Die Konzerntochter DB<br />
Netz AG hatte längst kostengünstige Alternativen:<br />
Teilausbauten, Lückenschlüsse, Bypässe – unspektakulär,<br />
aber nützlich. Das „Y“ kam aufs Abstellgleis.<br />
Bis zum 1. November 2010. Da einigten sich auf<br />
einem Bahngipfel in Hannover Niedersachsens CDU-<br />
Ministerpräsident David McAllister und Rüdiger Grube<br />
überraschend auf den Bau der Y-Trasse. McAllister<br />
hatte die Bahn mit zehn Millionen Euro Planungsvorschuss<br />
gelockt. Das reichte, denn Grube bekommt<br />
die Y-Trasse sowieso vom Bund finanziert. Da lohnt<br />
sich kein Kampf gegen ein Projekt, das gleich drei<br />
Landesvätern Prestige verspricht. Der Konzern muss<br />
22 €URO 03|11<br />
€URO 03|11 23
[Dossier] Deutsche Bahn<br />
Deutsche Bahn [Dossier]<br />
schließlich auch an mögliche lukrative Zugbestellungen von<br />
Niedersachsen, Hamburg und Bremen im Nahverkehr denken.<br />
Also bezeichnet Grube an diesem Novembertag den Bau der<br />
Y‐Trasse plötzlich als „höchste Priorität“.<br />
Willkommen im Bermudadreieck der Verantwortungslosigkeit.<br />
Darin drohen nun auch die drei, vier Milliarden Euro für die<br />
Y-Trasse zu versinken. Ein umstrittenes Projekt mehr in dem<br />
Infrastrukturtopf, der mit viel Steuergeld gefüttert wird.<br />
Wer nach den chaotischen Wintertagen der Deutschen Bahn<br />
im Dezember und den Hitzeschlachten in ICE-Zügen im vergangenen<br />
Sommer in die Welt der Eisenbahn eintaucht, merkt<br />
schnell, dass die Fehler im System weit über defekte Klimaanlagen,<br />
anfällige Radachsen und fehlende Schneeräumkommandos<br />
hinausgehen. Deutschland hat nicht nur ein paar kleine Baustellen,<br />
sondern ein Riesenproblem: Bei der Deutschen Bahn fließen<br />
die vielen Steuermilliarden oft in die falschen Kanäle. Doch<br />
weder Bund, Länder noch das Unternehmen wollen eingestehen,<br />
dass jeder einen unguten Teil dazu beiträgt.<br />
Es ist eine Geschichte über falsche Anreize und fehlende Kontrolle.<br />
Über verdeckte Interessen bei fragwürdigen Investitionen<br />
wie der Y-Trasse und dem Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Über die<br />
Merkwürdigkeit, dass die Nahverkehrstochter DB Regio bei fast<br />
fünf Milliarden Euro Staatszuschuss gut 700 Millionen Euro Gewinn<br />
an die Konzernmutter überweist. Über die Absurdität der<br />
DB Netz, die mit der Infrastruktur künftig eine Milliarde Gewinn<br />
erwirtschaften soll, obwohl der Bundesrechnungshof seit Jahren<br />
die Vernachlässigung des Schienennetzes beklagt. Es ist eine Geschichte<br />
über die Deutsche Bahn im Jahr 2011.<br />
Vielleicht gäbe es nur eine „Pufferküsser“-Debatte, ein Fachstreit<br />
unter Eisenbahnenthusiasten, wenn die Bahn ihre Subventionen<br />
und Zuschüsse in ordentliche Marktanteilsgewinne verwandeln<br />
würde. Aber trotz der rund neun Milliarden Euro Steuergeld,<br />
die jährlich in den laufenden Betrieb des Konzerns<br />
gepumpt werden, wurde nichts aus der proklamierten Renais-<br />
Abkassiert und schwer blamiert<br />
Trotz der hohen Subventionen aus den Kassen von<br />
Bund und Ländern hat die Deutsche Bahn in der vergangenen<br />
Dekade kaum Marktanteile gewonnen<br />
Ausgaben von Bund und Ländern für die DB, in Mrd. Euro (2000 bis 2010)<br />
41,8<br />
92,8 92,7<br />
7,2<br />
Andere<br />
Deutsche Bahn<br />
83,8 83,6<br />
16,2<br />
Andere<br />
Deutsche Bahn<br />
49,1<br />
Anteil der Schiene an der gesamten Verkehrsleistung, in Prozent<br />
Personenverkehr<br />
Güterverkehr<br />
Infrastruktur<br />
Nahverkehr<br />
2000 2009<br />
7,3<br />
2000 2009<br />
16,4<br />
Quelle: Bundesverkehrsministerium, Deutsche Bahn, eigene Recherchen<br />
sance der Schiene. Im Güterverkehr hat die Bahn von 2000 bis<br />
2009 einen jämmerlichen Marktanteil von 0,2 Prozent hinzugewonnen<br />
und im Personenverkehr kommt sie mit 7,3 Prozent<br />
Marktanteil auch nicht voran. Dagegen holen sogar die Fahrradfahrer<br />
auf und erreichen bereits knapp drei Prozent.<br />
Den Verkehrswissenschaftler Gottfried Ilgmann wundert der<br />
Stillstand bei der Bahn allerdings nicht: „Seit Jahren wird auf<br />
FOTOS: Insadco/Kroeger/Ullstein Bild (1), Ecopix/Ullstein Bild (1)<br />
FOTOS: Marijan Murat/dpa/dpa Picture-Alliance (1)<br />
Kosten des Steuerzahlers und zulasten des Wettbewerbs<br />
gedealt“, sagt er. Der Konzern wolle sich das „Brot- und Buttergeschäft<br />
bei den hoch subventionierten Regionalzügen“ nicht<br />
entgehen lassen. Dafür rechne er neue Trassen und Bahnhöfe<br />
schön, die Landespolitiker als ihre Leuchttürme präsentieren.<br />
„Der Bund akzeptiert erstaunlicherweise, dass er der Dumme<br />
ist, der die Prestigeprojekte fast allein bezahlt.“<br />
llgmann weiß, dass vieles anders gedacht war bei der Bahnreform<br />
1994. Als damaliger Regierungsberater war er dicht<br />
dran. Aus der Schienenbehörde sollte eine wirtschaftlich ausgerichtete<br />
Aktiengesellschaft werden, die später ihre Transportbereiche<br />
privatisiert. Nur das Netz sollte ganz im Eigentum der<br />
öffentlichen Hand bleiben. Damit die neue Deutsche Bahn nicht<br />
wieder ein Steuergeldvernichter werde, sollte der Bund den<br />
Infrastrukturausbau nur mit zinslosen Darlehen finanzieren.<br />
Die DB hätte auf jeder neuen Strecke wenigstens ihre Abschreibungen<br />
verdienen müssen. Damit wäre jeder Steuereuro nur in<br />
die rentabelsten Projekte geflossen. So weit die Theorie.<br />
In der Praxis hat dieser ökonomische Ansatz nur wenige<br />
Jahre überlebt. Seit 1998 finanziert der Bund die teuren Neuund<br />
Ausbauvorhaben der Schiene zu 100 Prozent über nicht<br />
rückzahlbare Baukostenzuschüsse. Und dann kam auch noch<br />
Hartmut Mehdorn. Der Ende 1999 inthronisierte Bahn-Chef<br />
erzählte meisterlich die Geschichte vom Börsenstar Bahn, der<br />
bald als leuchtender Stern am internationalen Logistikhimmel<br />
auftauchen würde. Die damit verbundene Einkaufstour des<br />
Konzerns wurde vom Bund abgesegnet. Der Berliner Verkehrsprofessor<br />
Christian Böttger sieht darin ein Puzzleteil der aktuellen<br />
Krise (siehe Interview Seite 26/27). Mitte der vergangenen<br />
Dekade zeigte sich die Bahnreform mit ihren Wirtschaftlichkeitszielen<br />
ins Gegenteil verkehrt: Aus der Darlehens- wurde<br />
dann doch wieder die Vollkostenbahn.<br />
„Der weitgehende Verzicht auf Eigenmittel der Bahn führt zu<br />
hoher Verantwortungslosigkeit im System“, sagt Michael Holzhey.<br />
Das ist sein Thema. Holzhey ist Partner bei der Berliner<br />
Beratungsfirma KCW. Er ist einer der profiliertesten Bahnexperten<br />
im Lande. Und einer der scharfzüngigsten. Sein Büro liegt<br />
im Windschatten des Bahntowers am Potsdamer Platz, aber<br />
schon im Kreuzberger Teil, wo bereits die türkischen Gemüseläden<br />
sind. Diese Lage passt zu Holzheys Von-hinten-durch-die-<br />
Brust-ins-Auge-Analysen, die schon Hartmut Mehdorn mächtig<br />
gepiesackt haben. Und nun ist Grube dran. Im August vergangenen<br />
Jahres hat Holzhey die Verantwortungslosigkeit bei<br />
der Deutschen Bahn auf 180 Seiten für das Umweltbundesamt<br />
ausgebreitet. „Den Holzhey kennen wir genau“, hat Grube<br />
zunächst gezischt. Später entschuldigte er sich, weil er jeden<br />
Verdacht ausräumen wollte, dass die Bahn schon wieder Kritikerlisten<br />
zum Ausspähen führt.<br />
Das große Fressen<br />
Das Stuttgarter Großprojekt mit dem umstrittenen Bahnhof und<br />
der Neubaustrecke nach Ulm ist Holzheys Paradebeispiel einer<br />
„absehbar verfehlten Investitionspolitik“. Weil die Bahn das<br />
Geld dafür quasi komplett von Bund und Land geschenkt<br />
bekommt, verschiebe sich deren Kalkül: „Aus Gesamtsicht des<br />
Konzerns macht es Sinn, ein zweifelhaftes verkehrliches Projekt<br />
zu unterstützen“, sagt Holzhey: „Denn so kann man den Ländern<br />
über Jahre gut dotierte Nahverkehrsverträge abringen.“<br />
Durch solche und ähnliche Koppelgeschäfte wächst die Liste<br />
des Bundes mit vermeintlich vordringlichen Projekten immer<br />
weiter an. Inzwischen haben sich 71 Neu- und Ausbauten mit<br />
noch zu tätigenden Investitionen von rund 35 Milliarden Euro<br />
im „Bedarfsplan Schiene“ angestaut – die chronischen Baukostensteigerungen<br />
sind da nicht mit eingerechnet. Bei jährlichen<br />
Neubaumitteln des Bundes von rund 1,3 Milliarden Euro werden<br />
die jeweiligen Anteile pro Projekt immer kleiner. Holzhey<br />
meint: „Die Vorhaben, ob bedeutsam oder unwichtig, kanniba-<br />
Prestigewahn In Metropolen wie Berlin baut die Bahn Vorzeigebahnhöfe (Bild links). Die Provinz wird vernachlässigt<br />
Gleichschritt Verkehrsminister Ramsauer (links) und DB-Chef Grube beim Start des Bahnhofneubaus in Stuttgart
[Dossier] Deutsche Bahn<br />
lisieren sich. Die Planungs- und Bauzeiten steuern teils auf 30<br />
bis 40 Jahre zu.“ Holzheys Handlungsempfehlungen sind schwere<br />
Kost für Politik und Bahn: Jedes Projekt solle darauf geprüft<br />
werden, was es dem Güterverkehr bringe, bei dem im Gegensatz<br />
zum Personenverkehr noch deutliche Zuwächse möglich<br />
seien. Da müssten die Landespolitiker eben lernen, „Lückenschlüsse<br />
und Knotenerweiterungen attraktiv zu finden“.<br />
Sogar im Bahntower am Potsdamer Platz werden Zweifel an<br />
der bisherigen Investitionspolitik laut: wegen des Hochgeschwindigkeitstaumels,<br />
eitler Großprojekte und des vernachlässigten<br />
Güterverkehrs. Die Angst, dass die Politik irgendwann mal mehrheitlich<br />
die mickrige Verkehrsbilanz der Bahn entdeckt, liegt wie<br />
Bodennebel in den eleganten Büros mit den tief gezogenen Fenstern.<br />
Also will man sanft umsteuern. Das merkt man daran, dass<br />
die Bahnmanager bisher oft „Ach ja ...“ in Gesprächen stöhnten<br />
und nun oft ein „Sowohl-als-auch“ als Lösung angestrebt wird.<br />
„Wachstumsprogramm“ nennt sich das neue strategische Programm<br />
der DB Netz, das revolutionärer ist als es klingt. Auf 17<br />
Seiten denkt die Bahn darüber nach, wie sie mit „Alternativrouten“<br />
bis 2019 „nachfragegerechte Kapazitäten“ schaffen kann. Es<br />
geht um kleine Maßnahmen mit einem großen verkehrlichen Hebel.<br />
Die Y-Trasse taucht darin nicht auf. Dafür geht es zum Beispiel<br />
um eine “Verlängerung der Überholgleise Calbe Ost“ und den<br />
„Knotenausbau in Hanau“. Gut 2,3 Milliarden Euro kostet das Programm.<br />
Eigentlich müsste die Bahn dem Bund raten, einige unsinnige<br />
Großprojekte zu stoppen. Aber sie traut sich nicht. Stattdessen<br />
heißt die diplomatische Sprachregelung nun: ein sowohl<br />
– als auch. Also den unterfinanzierten Bedarfsplan des Bundes abarbeiten<br />
und gleichzeitig das Wachstumsprogramm anschieben.<br />
Beinharte Lobbyarbeit<br />
Die Debatte, der Bahn mehr Leine bei den Investitionsentscheidungen<br />
zu lassen, ist nicht ungefährlich für das Haus. Man<br />
könnte darauf kommen, die DB Netz dann gleich in die Unabhängigkeit<br />
zu entlassen. Seit dem Winterchaos wird darüber<br />
verstärkt diskutiert. Bahnchef Grube ist in diesen Tagen viel<br />
unterwegs, um der Politik diesen Weg auszureden. „Der integrierte<br />
Konzern hat sich bewährt“, predigt er. Im Bahntower<br />
kanzeln seine Leute die Trennung als „Zerschlagung“ ab und<br />
verweisen auf die negativen Folgen für die Bahn-Beschäftigten,<br />
weil sich Personal nicht mehr verschieben lasse. Man fordert<br />
sogar, dass die Bahn bei einer Trennung auch Zinsen vom Bund<br />
für Eigeninvestitionen in die Infrastruktur bekommen müsse.<br />
Auf halber Strecke zwischen Bahnzentrale und Berliner<br />
Hauptbahnhof liegt der Bundestag. Im Reichstag-Restaurant<br />
platzt Toni Hofreiter gerade der Kragen: „Die fordern Zinsen von<br />
uns, wenn wir Netz und Betrieb trennen? Die kriegen keinen<br />
Cent!“ Toni Hofreiter, Verkehrsexperte der Grünen, ist ein Bayer<br />
mit schulterlangem Haar und Leidenschaft für die Schiene. Heute<br />
treibt ihn die Bahn von einem Wutanfall zum nächsten: „Die<br />
ziehen gigantische Gewinne aus der subventionierten Infrastruktur.<br />
Kein Wunder, dass sie nun mit der Keule drohen, wenn wir<br />
hier einen sauberen Schnitt anstreben“, schimpft er. „Ein natürliches<br />
Monopol in Konzernhand, wo gibt es denn so was?“<br />
Die Trennung von Bahnnetz und -betrieb ist das Schreckgespenst<br />
der Bahn-Manager. Für Hofreiter ist sie die Lösung für<br />
eine bessere Bahn: „In einem unabhängigen Netz, wird der Vorstand<br />
des Netzes alles tun, damit es in bestem Zustand ist.“ Aber<br />
der Grüne weiß selbst: „Bisher traut sich keiner in der Regierung,<br />
das Thema entschlossen anzupacken.“ Zuletzt hat der<br />
ehemalige SPD-Verkehrsminister Kurt Bodewig im Jahr 2001 die<br />
Revolution versucht – und verloren.<br />
Hofreiters Hoffnung heißt FDP. Er setzt auf die Vernunft der<br />
Liberalen, „die in dieser Frage ausnahmsweise ähnlich ticken<br />
wie wir.“ Der Grünenpolitiker macht sich selbst Mut: „Die Realität<br />
ist auf unserer Seite. Konstruktionsfehler im Konzernaufbau<br />
der DB sind offensichtlich, das aktuelle System geht schon<br />
lange nicht mehr gut.“ Wenn nicht jetzt die Trennung gelingt,<br />
wann dann?<br />
Man kann mit Patrick Döring, dem Verkehrsmann der Liberalen,<br />
über eine neue Bahnordnung reden – wenn er auf einem<br />
Wutbürger Demonstration gegen das Projekt Stuttgart 21<br />
Interview Christian Böttger, Bahnexperte<br />
„Das DDR-Verkehrskombinat hat es auch so gemacht“<br />
Christian Böttger (47) ist Professor im<br />
Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen<br />
der Hochschule für Technik und<br />
Wirtschaft Berlin. Als Bahnexperte<br />
war er mehrfach Gutachter im Verkehrsausschuss<br />
des Bundestags<br />
€uro: Herr Böttger, über 90 Milliarden<br />
Euro steckten die Steuerzahler seit<br />
2000 in die Deutsche Bahn. Trotzdem<br />
gewann der Konzern kaum Marktanteile.<br />
Fehlt das Geld oder das Konzept?<br />
Christian Böttger: An Geld hat es<br />
nicht gemangelt. Die Deutsche Bahn<br />
krankt an einer verfehlten Infrastrukturpolitik<br />
und dem eigenen Anspruch,<br />
ein Global Player zu sein.<br />
€uro: Was genau läuft falsch?<br />
Böttger: Zum einen wurden auf Drängen<br />
der Politik unrentable Prestigeprojekte<br />
wie Stuttgart 21 oder die Hochgeschwindigkeitsstrecke<br />
Nürnberg-Erfurt<br />
angepackt. Dazu kommt die internationale<br />
Expansion: Die DB hat den Logistikkonzern<br />
Schenker, das britische Busunternehmen<br />
Arriva und weitere Unternehmen<br />
für teures Geld gekauft und diese<br />
Investitionen mit den Gewinnen aus<br />
dem Deutschland-Geschäft finanziert.<br />
€uro: Soll die Deutsche Bahn etwa<br />
nicht als globaler Konzern agieren?<br />
Böttger: Das Ziel ist vermessen. Damit<br />
der Konzern weltweit agieren kann,<br />
zieht er die Mittel aus der Eisenbahn in<br />
Deutschland ab und lässt die Infrastruktur<br />
verfallen. Das ist ein Grund,<br />
warum in Deutschland die Züge kaum<br />
noch fahren, wenn es schneit.<br />
€uro: Aus Sicht der Bahnmanager sind<br />
die Zukäufe nötig, um die gesamte<br />
Logistikkette aus einer Hand zu bieten.<br />
Böttger: Das DDR-Verkehrskombinat<br />
hat das früher auch so gemacht – ein<br />
Unternehmen für alles. Aber moderne<br />
Firmen konzentrieren sich heute meist<br />
auf nur eine Wertschöpfungsstufe, kein<br />
privatwirtschaftlicher Wettbewerber<br />
hat den Anspruch, eine vergleichbare<br />
Wertschöpfungstiefe anzubieten. Die<br />
DB AG betreibt inzwischen Flugzeuge<br />
in den USA und versorgt Minen in Papua-Neuguinea.<br />
Das passt nicht zu ihr.<br />
€uro: Aber macht die Deutsche Bahn<br />
Verluste mit der Logistik? In der<br />
Konzernbilanz steht ein Gewinn von<br />
200 Millionen Euro.<br />
FOTOS: Bernd Weissbrod/dpa/dpa Picture-Alliance (1)<br />
Böttger: Bei dieser Rechnung fehlen<br />
die Kapitalkosten für all die Übernahmen.<br />
Die Zinsen für die 7,5 Milliarden<br />
Euro teuren Zukäufe fressen die Gewinne<br />
auf. Fakt ist doch: Die Logistiktochter<br />
Schenker hat noch nie ihre Kapitalkosten<br />
verdient. Das Gleiche gilt<br />
für den Kauf von Arriva. Hier müsste<br />
sich der derzeitige Gewinn des Konzerns<br />
verdoppeln, damit man auf null<br />
käme. Die Deutsche Bahn zahlt jedes<br />
Jahr drauf und am Ende haftet der<br />
deutsche Steuerzahler.<br />
€uro: Warum lässt auch die schwarzgelbe<br />
Regierung die Internationalisierung<br />
auf Kosten der Bürger zu?<br />
Böttger: Die Bahn wusste schon immer,<br />
an wen sie herantreten muss.<br />
Schauen wir nur mal auf Georg Brunnhuber.<br />
Der Cheflobbyist der DB war<br />
bis vor anderthalb Jahren als Landesgruppenchef<br />
der CDU Baden-Württemberg<br />
im Bundestag. Mit ihrem guten<br />
Netzwerk kann die Bahn sich immer<br />
wieder gegen parlamentarischen<br />
Widerstand durchsetzen. Der Arriva-<br />
Deal ist ein Lehrstück über erfolgreiche<br />
Politikökonomie.<br />
€uro: Die aktuelle Forderung vieler<br />
Politiker nach neuen Milliarden für die<br />
Deutsche Bahn klingt allerdings schon<br />
wieder nach Klüngelei ohne Konzept.<br />
Böttger: Bevor wir über neues Geld<br />
reden, sollte die Politik erst einmal an<br />
den Strukturen feilen: Die vorhandenen<br />
Mittel müssen effizienter eingesetzt<br />
werden. Die rentabelsten Verkehrsinvestitionen<br />
sollten als erste umgesetzt<br />
werden. Die Wirtschaftlichkeit<br />
der internationalen Bahn-Geschäfte<br />
bedarf einer Überprüfung. Unter diesen<br />
Rahmenbedingungen würden auch<br />
weitere öffentliche Mittel für die Infrastruktur<br />
Sinn machen.<br />
€uro: Im deutschen Personenverkehr<br />
fährt die Bahn mit einem Marktanteil<br />
von sieben Prozent in der Nische. Hat<br />
Eisenbahn überhaupt eine Zukunft?<br />
Böttger: Ja, dafür sprechen die globalen<br />
Trends. Die Bahn ist energieeffizienter<br />
und umweltverträglicher als jeder<br />
andere Verkehrsträger. Auch die steigenden<br />
Energiepreise wirken zugunsten<br />
der Bahn. Vor allem im Güterverkehr<br />
könnte sie ihren Marktanteil deutlich<br />
ausweiten. In den USA macht der<br />
Anteil der Schiene bereits über 40 Prozent<br />
aus, in Deutschland sind es nur gut<br />
16 Prozent. Im Personenverkehr werden<br />
Subventionsmilliarden in die Förderung<br />
von Elektromobilität gesteckt – dabei<br />
haben wir mit der Bahn bereits ein<br />
Elektrofahrzeug.<br />
26 €URO 03|11<br />
€URO 03|11 27
[Dossier] Deutsche Bahn<br />
Deutsche Bahn [Dossier]<br />
FDP-Parteitag wäre. Er würde hier die schnellstmögliche Privatisierung<br />
der Bahn-Logistik-Sparte fordern, „weil es ein Unding ist, aus. Döring tröstet sich, es sei nur die „erste Sitzung“ gewesen.<br />
reform zu reden. Aber nicht einmal ein Zeitplan kam dabei her-<br />
dass die Bundesrepublik Deutschland ein weltweit agierendes Aber kommt da noch etwas? Minister Ramsauer hat Verkehrsstaatssekretär<br />
Klaus-Dieter Scheurle mit dem Thema betraut. Der<br />
Speditionsunternehmen hat.“ Er würde die Ausschreibungspflicht<br />
für den Nahverkehr ins Gesetz schreiben wollen. Dann CSU-Mann und ehemalige Postbeamte hat auch schon für die<br />
wäre es mit der Praxis vorbei, dass sich die Bahn fast fünf der Bank Credit Suisse gearbeitet, die mit dem Börsengang der Bahn<br />
jährlich sieben Milliarden Euro „Zuggeld“ vom Staat meist über betraut war, der aber 2008 abgesagt wurde. Wer Scheurle trifft,<br />
Direktvergaben ohne Wettbewerb sichert. Und er würde die DB ist überrascht, wie locker er Bahnpolitik aus dem Ärmel schüttelt.<br />
Netz unabhängig aufstellen. Döring sagt: „Wir haben ordnerweise<br />
Beschwerden von Wettbewerbern, dass auf ihrer Strecke kein erbaut worden und die Bahn sei im Übrigen ja traditionell ein<br />
Da fallen Sätze wie Rom sei schließlich auch nicht an einem Tag<br />
Grünschnitt gemacht, das Überholgleis nicht gebaut und die Weiche<br />
nicht beheizt wird.“<br />
Aus dem Verkehrsministerium ist nun zu hören, dass aus<br />
integrierter Konzern.<br />
dem<br />
Tröstende Schritte<br />
Das „Wäre“ und „Würde“ ist Dörings Dilemma. Denn er ist gefesselt<br />
durch einen Koalitionsvertrag und diszipliniert durch sein<br />
Insiderwissen als DB-Aufsichtsrat. Im Regierungsprogramm hat<br />
er für die FDP lediglich durchsetzen können, dass die Kappung<br />
des Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrags zwischen<br />
DB Netz und dem Mutterkonzern geprüft wird. Die Bahnzentrale<br />
hätte dann keinen direkten Zugriff mehr auf die Gewinne des<br />
Netzes und Bahnchef Grube könnte Investitionen nicht mehr diktieren.<br />
Für die FDP wäre das der erste Schritt auf dem Weg zu<br />
einer echten Teilung des Konzerns.<br />
Nach peinlichen Pannen der Bahn im vergangenen Sommer<br />
und Winter sah es so aus, als habe die Trennung light eine echte<br />
Chance. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) erfand<br />
dafür Anfang des Jahres den Ausdruck vom „Finanzierungskreislauf<br />
Schiene“: Die Einnahmen aus der Trassenmaut bleiben im<br />
System. Aber seit sich die erste Aufregung gelegt hat und die DB-<br />
Lobbyisten losgezogen sind, hakt es bei der Umsetzung. Drei<br />
Stunden saßen der Verkehrsminister und Experten der Regierungsfraktionen<br />
Ende Januar zusammen, um über die Bahn-<br />
„Finanzierungskreislauf Schiene“ eine „Selbstverpflichtung“ der<br />
Bahn werden könnte, mehr Eigenmittel ins Netz zu investieren.<br />
Doch schon bei Gasnetzen, Mehrwegflaschen und Autoabgasen<br />
wurde die Politik von der Wirtschaft genarrt. „Selbstverpflichtung“<br />
klingt schön, ändert aber meist wenig.<br />
Aus dem schweizerischen Bern blickt Peter Füglistaler fassungslos<br />
auf die Verantwortungslosigkeit und Unverbindlichkeit<br />
der deutschen Bahnpolitik. Er war lange Topmanager bei den<br />
Schweizer Bundesbahnen und leitet das Bundesamt für Verkehr,<br />
das auch die Schiene überwacht. „Bahnpolitik ist harte Arbeit“,<br />
sagt er. Die Schweiz ernte nun die Früchte nach zwanzig Jahren<br />
(siehe Essay rechts). Er ist sauer, dass die Schweiz die Alpentransversale<br />
für den Güterverkehr zwischen Deutschland und Italien<br />
mit 15 Milliarden Euro – allein für den Gotthardtunnel – vorantreibt,<br />
Deutschland aber mit dem viergleisigen Ausbau der Strecke<br />
bis nach Karlsruhe unglaublich zurückhängt. Das Projekt ist eingeklemmt<br />
im Bedarfsplan Schiene und muss bald auch noch mit<br />
der Y-Trasse und Stuttgart 21 um die Steuergelder konkurrieren.<br />
Gebaut wird an der Strecke schon seit 1987. Wenn es bei dem<br />
Investitionstempo der vergangenen fünf Jahre mit 80 Millionen<br />
Euro jährlich bleibt, wird der 51-jährige Füglistaler die Einweihung<br />
nicht mehr im Job erleben: Sie käme 2040.<br />
Chaostage In diesem Winter brach der Personenverkehr der Deutschen Bahn nach Schneefällen völlig zusammen<br />
FOTOS: Béatrice Devènes (1), Johannes Eisele/AFP/Getty Images (1), Johannes Eisele/AFP/Getty Images (1)<br />
Essay Peter Füglistaler, Chef des Schweizer Bundesamts für Verkehr<br />
Das Schweizer Bahngeheimnis<br />
Das schweizerische Bankgeheimnis hat<br />
im Ausland nur noch wenig Freunde.<br />
Dafür scheinen wir ein umso sympathischeres<br />
Bahngeheimnis zu haben. Nach<br />
den Winterproblemen bei der Deutschen<br />
Bahn wollen viele wissen, weshalb<br />
unsere Züge auch bei Schneefall<br />
fahren. Und warum unsere Bahnen<br />
generell so gut funktionieren. Eine kurze<br />
Antwort darauf gibt es nicht. Denn es<br />
war harte Arbeit.<br />
Noch vor 20 Jahren stand es nicht gut<br />
um die Schweizer Schiene. Regionalstrecken<br />
sollten stillgelegt werden, das Großprojekt<br />
der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale<br />
galt als nicht finanzierbar.<br />
Wir mussten uns entscheiden: Wie wichtig<br />
ist uns der Schienenverkehr und was<br />
wollen wir dafür bezahlen?<br />
Heute besteht in der Schweiz der<br />
Konsens, dass der Verkehr auf der Schiene<br />
– und nicht auf der Straße – wachsen<br />
soll und dass dies auch etwas kosten<br />
darf. Derzeit arbeiten wir intensiv daran,<br />
die Finanzierung der Bahninfrastruktur<br />
für die Zukunft zu sichern. Unsere Regierung<br />
schlägt vor, dass die Kunden bis<br />
2017 zehn Prozent mehr für das Bahnfahren<br />
zahlen sollen. Zudem sollen<br />
Pendler weniger Steuerabzüge machen<br />
dürfen und die Kantone einen Zusatzbeitrag<br />
an den Bahnausbau leisten.<br />
Die solide Finanzierung ermöglicht<br />
uns einen Fahrplan mit Abfahrten immer<br />
zur vollen, halben oder Viertelstunde,<br />
ein dichtes Netz mit guten Anschlüssen<br />
und moderaten Fahrkosten. Wir<br />
Schweizer sind heute Weltmeister im<br />
Bahnfahren. Wir fahren im Schnitt rund<br />
2400 Kilometer pro Jahr, rund doppelt<br />
so viel wie die Deutschen.<br />
Auch im Güterverkehr bekennen wir<br />
uns zur Schiene. Unser Stimmvolk hat<br />
sich mehrfach dafür ausgesprochen, den<br />
Güterzugverkehr hauptsächlich mit<br />
einer Lkw-Maut zu fördern, die für alle<br />
Lkw und überall gilt und rund dreimal<br />
höher ist als die deutsche. Sie begünstigt<br />
den Schienenverkehr und ist für Durchschnittsbürger<br />
kaum spürbar.<br />
Während wir beim Bau des Gotthardtunnels<br />
den ersten Durchbruch feiern<br />
konnten, wurde die Deutsche Bahn für<br />
ihr Großprojekt Stuttgart 21 massiv kritisiert.<br />
Was wir anders machen? Wir würden<br />
ein solches Projekt gegenüber<br />
jeder Bürgerversammlung vertreten<br />
und es dem Volk zur Abstimmung<br />
unterbreiten. Es wäre bei uns nicht das<br />
„neue Herz Europas auf der Magistrale<br />
Paris-Stuttgart-Budapest“. Wir würden<br />
den Stuttgartern erklären, dass sie dank<br />
neuer S-Bahnlinien und dichteren Fahrplänen<br />
schnell und staufrei zur Arbeit<br />
und wieder nach Hause kommen. Wir<br />
würden die Baukosten nicht mit 4,088<br />
Milliarden Euro unverrückbar festsetzen.<br />
Sondern ein solches Projekt mit<br />
einer Schätzgenauigkeit von 30 Prozent<br />
Abweichung nach oben oder unten<br />
planen – obwohl wir das Image des<br />
Buchhalters Nötzli haben.<br />
Schweizer lieben Staatsunternehmen.<br />
Bund und Kantone stellen nicht nur<br />
Steuergelder zur Verfügung, sondern<br />
verzichten als Eigner der Bahnen auf<br />
eine Dividende oder die Versilberung<br />
an der Börse. Natürlich soll auch unsere<br />
einstige Behördenbahn zum betriebswirtschaftlich<br />
geführten, kundenorientierten<br />
Unternehmen werden. Uns ist es<br />
aber lieber, wenn unsere Bahnen die<br />
Gewinne in den Betrieb und dessen<br />
Unterhalt und Ausbau stecken.<br />
Unsere größte Sorge ist derzeit die<br />
Wirtschaftlichkeit der Neuen Eisenbahn-<br />
Alpentransversale. Wir können den neuen<br />
Gotthardtunnel nur auslasten, wenn<br />
Deutschland wie vereinbart die Zubringerstrecke<br />
Karlsruhe-Basel am Oberrhein<br />
auf vier Gleise ausbaut.<br />
Dass sich der Bau auf deutscher Seite<br />
verzögert, kann nicht mit fehlendem<br />
Geld erklärt werden. Wir Schweizer haben<br />
für das europäische Projekt 15 Milliarden<br />
Euro allein in den Gotthardtunnel<br />
investiert. Deutschland hat es in der<br />
Hand, aus der Trasse die neue europäische<br />
Pulsader für den Güterverkehr zu<br />
machen. Das Bahngeheimnis der<br />
Schweiz ist im Interesse aller.<br />
Peter Füglistaler (51) ist seit dem Sommer<br />
2010 Direktor des Schweizer Bundesamts<br />
für Verkehr in Bern, das auch die Eisenbahn<br />
überwacht. Zuvor verantwortete er in der<br />
Geschäftsleitung der Schweizerischen Bundesbahnen<br />
(SBB) die Sparte Infrastruktur<br />
€URO 03|11 29