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[Dossier] Deutsche Bahn<br />

[22] Der Report<br />

Warum die DB durch falsche Strukturen<br />

Milliarden Steuergelder verschleudert<br />

[26] Das Interview<br />

Verkehrsprofessor Christian Böttger<br />

kritisiert die Auslandsexpansion der Bahn<br />

[29] Der Essay<br />

Der Chef des Schweizer Bundesamts für<br />

Verkehr erklärt erfolgreiche Bahnpolitik<br />

Dilemma<br />

Bahn<br />

Der Staatskonzern kommt trotz<br />

Milliardensubventionen kaum vom<br />

Fleck. Eine Suche nach den Gründen<br />

von Dirk Horstkötter und Philip Jaeger<br />

Ramponiert Trotz der Bahnreform 1994<br />

beschädigen kaputte Züge, veraltete Gleise<br />

und Verspätungen das Image der Bahn<br />

FOTOS: Bodo Schulz/ecopix Fotoagentur<br />

Welch ein Comeback: Die „Y-Trasse“ ist wieder<br />

da. Dabei war der geplante Schienenweg für Tempo<br />

300 zwischen Hamburg, Bremen und Hannover<br />

bereits so gut wie tot. Er galt als unrentabel und überflüssig.<br />

Ein Relikt aus den 80er-Jahren, der Zeit des<br />

Geschwindigkeitsrauschs. Die Baukosten für solche<br />

Turbotrassen sprengen seither regelmäßig jede Planung.<br />

Die Mischung aus Personen- und Güterverkehr<br />

verursacht bis heute Probleme. Und die Milliardeninvestitionen<br />

in viele ICE-Gleise waren – ehrlich gerechnet<br />

– nie rentabel. Deshalb verlor auch das „Y“<br />

für Experten an Glanz.<br />

Die Planer bei der Deutschen Bahn waren froh, als<br />

Vorstandschef Rüdiger Grube das Vorhaben im November<br />

2009 quasi beerdigte. Auf einer Projektliste<br />

für das Verkehrsministerium wurde die Trasse nun<br />

als perspektivlos geführt. Die Konzerntochter DB<br />

Netz AG hatte längst kostengünstige Alternativen:<br />

Teilausbauten, Lückenschlüsse, Bypässe – unspektakulär,<br />

aber nützlich. Das „Y“ kam aufs Abstellgleis.<br />

Bis zum 1. November 2010. Da einigten sich auf<br />

einem Bahngipfel in Hannover Niedersachsens CDU-<br />

Ministerpräsident David McAllister und Rüdiger Grube<br />

überraschend auf den Bau der Y-Trasse. McAllister<br />

hatte die Bahn mit zehn Millionen Euro Planungsvorschuss<br />

gelockt. Das reichte, denn Grube bekommt<br />

die Y-Trasse sowieso vom Bund finanziert. Da lohnt<br />

sich kein Kampf gegen ein Projekt, das gleich drei<br />

Landesvätern Prestige verspricht. Der Konzern muss<br />

22 €URO 03|11<br />

€URO 03|11 23


[Dossier] Deutsche Bahn<br />

Deutsche Bahn [Dossier]<br />

schließlich auch an mögliche lukrative Zugbestellungen von<br />

Niedersachsen, Hamburg und Bremen im Nahverkehr denken.<br />

Also bezeichnet Grube an diesem Novembertag den Bau der<br />

Y‐Trasse plötzlich als „höchste Priorität“.<br />

Willkommen im Bermudadreieck der Verantwortungslosigkeit.<br />

Darin drohen nun auch die drei, vier Milliarden Euro für die<br />

Y-Trasse zu versinken. Ein umstrittenes Projekt mehr in dem<br />

Infrastrukturtopf, der mit viel Steuergeld gefüttert wird.<br />

Wer nach den chaotischen Wintertagen der Deutschen Bahn<br />

im Dezember und den Hitzeschlachten in ICE-Zügen im vergangenen<br />

Sommer in die Welt der Eisenbahn eintaucht, merkt<br />

schnell, dass die Fehler im System weit über defekte Klimaanlagen,<br />

anfällige Radachsen und fehlende Schneeräumkommandos<br />

hinausgehen. Deutschland hat nicht nur ein paar kleine Baustellen,<br />

sondern ein Riesenproblem: Bei der Deutschen Bahn fließen<br />

die vielen Steuermilliarden oft in die falschen Kanäle. Doch<br />

weder Bund, Länder noch das Unternehmen wollen eingestehen,<br />

dass jeder einen unguten Teil dazu beiträgt.<br />

Es ist eine Geschichte über falsche Anreize und fehlende Kontrolle.<br />

Über verdeckte Interessen bei fragwürdigen Investitionen<br />

wie der Y-Trasse und dem Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Über die<br />

Merkwürdigkeit, dass die Nahverkehrstochter DB Regio bei fast<br />

fünf Milliarden Euro Staatszuschuss gut 700 Millionen Euro Gewinn<br />

an die Konzernmutter überweist. Über die Absurdität der<br />

DB Netz, die mit der Infrastruktur künftig eine Milliarde Gewinn<br />

erwirtschaften soll, obwohl der Bundesrechnungshof seit Jahren<br />

die Vernachlässigung des Schienennetzes beklagt. Es ist eine Geschichte<br />

über die Deutsche Bahn im Jahr 2011.<br />

Vielleicht gäbe es nur eine „Pufferküsser“-Debatte, ein Fachstreit<br />

unter Eisenbahnenthusiasten, wenn die Bahn ihre Subventionen<br />

und Zuschüsse in ordentliche Marktanteilsgewinne verwandeln<br />

würde. Aber trotz der rund neun Milliarden Euro Steuergeld,<br />

die jährlich in den laufenden Betrieb des Konzerns<br />

gepumpt werden, wurde nichts aus der proklamierten Renais-<br />

Abkassiert und schwer blamiert<br />

Trotz der hohen Subventionen aus den Kassen von<br />

Bund und Ländern hat die Deutsche Bahn in der vergangenen<br />

Dekade kaum Marktanteile gewonnen<br />

Ausgaben von Bund und Ländern für die DB, in Mrd. Euro (2000 bis 2010)<br />

41,8<br />

92,8 92,7<br />

7,2<br />

Andere<br />

Deutsche Bahn<br />

83,8 83,6<br />

16,2<br />

Andere<br />

Deutsche Bahn<br />

49,1<br />

Anteil der Schiene an der gesamten Verkehrsleistung, in Prozent<br />

Personenverkehr<br />

Güterverkehr<br />

Infrastruktur<br />

Nahverkehr<br />

2000 2009<br />

7,3<br />

2000 2009<br />

16,4<br />

Quelle: Bundesverkehrsministerium, Deutsche Bahn, eigene Recherchen<br />

sance der Schiene. Im Güterverkehr hat die Bahn von 2000 bis<br />

2009 einen jämmerlichen Marktanteil von 0,2 Prozent hinzugewonnen<br />

und im Personenverkehr kommt sie mit 7,3 Prozent<br />

Marktanteil auch nicht voran. Dagegen holen sogar die Fahrradfahrer<br />

auf und erreichen bereits knapp drei Prozent.<br />

Den Verkehrswissenschaftler Gottfried Ilgmann wundert der<br />

Stillstand bei der Bahn allerdings nicht: „Seit Jahren wird auf<br />

FOTOS: Insadco/Kroeger/Ullstein Bild (1), Ecopix/Ullstein Bild (1)<br />

FOTOS: Marijan Murat/dpa/dpa Picture-Alliance (1)<br />

Kosten des Steuerzahlers und zulasten des Wettbewerbs<br />

gedealt“, sagt er. Der Konzern wolle sich das „Brot- und Buttergeschäft<br />

bei den hoch subventionierten Regionalzügen“ nicht<br />

entgehen lassen. Dafür rechne er neue Trassen und Bahnhöfe<br />

schön, die Landespolitiker als ihre Leuchttürme präsentieren.<br />

„Der Bund akzeptiert erstaunlicherweise, dass er der Dumme<br />

ist, der die Prestigeprojekte fast allein bezahlt.“<br />

llgmann weiß, dass vieles anders gedacht war bei der Bahnreform<br />

1994. Als damaliger Regierungsberater war er dicht<br />

dran. Aus der Schienenbehörde sollte eine wirtschaftlich ausgerichtete<br />

Aktiengesellschaft werden, die später ihre Transportbereiche<br />

privatisiert. Nur das Netz sollte ganz im Eigentum der<br />

öffentlichen Hand bleiben. Damit die neue Deutsche Bahn nicht<br />

wieder ein Steuergeldvernichter werde, sollte der Bund den<br />

Infrastrukturausbau nur mit zinslosen Darlehen finanzieren.<br />

Die DB hätte auf jeder neuen Strecke wenigstens ihre Abschreibungen<br />

verdienen müssen. Damit wäre jeder Steuereuro nur in<br />

die rentabelsten Projekte geflossen. So weit die Theorie.<br />

In der Praxis hat dieser ökonomische Ansatz nur wenige<br />

Jahre überlebt. Seit 1998 finanziert der Bund die teuren Neuund<br />

Ausbauvorhaben der Schiene zu 100 Prozent über nicht<br />

rückzahlbare Baukostenzuschüsse. Und dann kam auch noch<br />

Hartmut Mehdorn. Der Ende 1999 inthronisierte Bahn-Chef<br />

erzählte meisterlich die Geschichte vom Börsenstar Bahn, der<br />

bald als leuchtender Stern am internationalen Logistikhimmel<br />

auftauchen würde. Die damit verbundene Einkaufstour des<br />

Konzerns wurde vom Bund abgesegnet. Der Berliner Verkehrsprofessor<br />

Christian Böttger sieht darin ein Puzzleteil der aktuellen<br />

Krise (siehe Interview Seite 26/27). Mitte der vergangenen<br />

Dekade zeigte sich die Bahnreform mit ihren Wirtschaftlichkeitszielen<br />

ins Gegenteil verkehrt: Aus der Darlehens- wurde<br />

dann doch wieder die Vollkostenbahn.<br />

„Der weitgehende Verzicht auf Eigenmittel der Bahn führt zu<br />

hoher Verantwortungslosigkeit im System“, sagt Michael Holzhey.<br />

Das ist sein Thema. Holzhey ist Partner bei der Berliner<br />

Beratungsfirma KCW. Er ist einer der profiliertesten Bahnexperten<br />

im Lande. Und einer der scharfzüngigsten. Sein Büro liegt<br />

im Windschatten des Bahntowers am Potsdamer Platz, aber<br />

schon im Kreuzberger Teil, wo bereits die türkischen Gemüseläden<br />

sind. Diese Lage passt zu Holzheys Von-hinten-durch-die-<br />

Brust-ins-Auge-Analysen, die schon Hartmut Mehdorn mächtig<br />

gepiesackt haben. Und nun ist Grube dran. Im August vergangenen<br />

Jahres hat Holzhey die Verantwortungslosigkeit bei<br />

der Deutschen Bahn auf 180 Seiten für das Umweltbundesamt<br />

ausgebreitet. „Den Holzhey kennen wir genau“, hat Grube<br />

zunächst gezischt. Später entschuldigte er sich, weil er jeden<br />

Verdacht ausräumen wollte, dass die Bahn schon wieder Kritikerlisten<br />

zum Ausspähen führt.<br />

Das große Fressen<br />

Das Stuttgarter Großprojekt mit dem umstrittenen Bahnhof und<br />

der Neubaustrecke nach Ulm ist Holzheys Paradebeispiel einer<br />

„absehbar verfehlten Investitionspolitik“. Weil die Bahn das<br />

Geld dafür quasi komplett von Bund und Land geschenkt<br />

bekommt, verschiebe sich deren Kalkül: „Aus Gesamtsicht des<br />

Konzerns macht es Sinn, ein zweifelhaftes verkehrliches Projekt<br />

zu unterstützen“, sagt Holzhey: „Denn so kann man den Ländern<br />

über Jahre gut dotierte Nahverkehrsverträge abringen.“<br />

Durch solche und ähnliche Koppelgeschäfte wächst die Liste<br />

des Bundes mit vermeintlich vordringlichen Projekten immer<br />

weiter an. Inzwischen haben sich 71 Neu- und Ausbauten mit<br />

noch zu tätigenden Investitionen von rund 35 Milliarden Euro<br />

im „Bedarfsplan Schiene“ angestaut – die chronischen Baukostensteigerungen<br />

sind da nicht mit eingerechnet. Bei jährlichen<br />

Neubaumitteln des Bundes von rund 1,3 Milliarden Euro werden<br />

die jeweiligen Anteile pro Projekt immer kleiner. Holzhey<br />

meint: „Die Vorhaben, ob bedeutsam oder unwichtig, kanniba-<br />

Prestigewahn In Metropolen wie Berlin baut die Bahn Vorzeigebahnhöfe (Bild links). Die Provinz wird vernachlässigt<br />

Gleichschritt Verkehrsminister Ramsauer (links) und DB-Chef Grube beim Start des Bahnhofneubaus in Stuttgart


[Dossier] Deutsche Bahn<br />

lisieren sich. Die Planungs- und Bauzeiten steuern teils auf 30<br />

bis 40 Jahre zu.“ Holzheys Handlungsempfehlungen sind schwere<br />

Kost für Politik und Bahn: Jedes Projekt solle darauf geprüft<br />

werden, was es dem Güterverkehr bringe, bei dem im Gegensatz<br />

zum Personenverkehr noch deutliche Zuwächse möglich<br />

seien. Da müssten die Landespolitiker eben lernen, „Lückenschlüsse<br />

und Knotenerweiterungen attraktiv zu finden“.<br />

Sogar im Bahntower am Potsdamer Platz werden Zweifel an<br />

der bisherigen Investitionspolitik laut: wegen des Hochgeschwindigkeitstaumels,<br />

eitler Großprojekte und des vernachlässigten<br />

Güterverkehrs. Die Angst, dass die Politik irgendwann mal mehrheitlich<br />

die mickrige Verkehrsbilanz der Bahn entdeckt, liegt wie<br />

Bodennebel in den eleganten Büros mit den tief gezogenen Fenstern.<br />

Also will man sanft umsteuern. Das merkt man daran, dass<br />

die Bahnmanager bisher oft „Ach ja ...“ in Gesprächen stöhnten<br />

und nun oft ein „Sowohl-als-auch“ als Lösung angestrebt wird.<br />

„Wachstumsprogramm“ nennt sich das neue strategische Programm<br />

der DB Netz, das revolutionärer ist als es klingt. Auf 17<br />

Seiten denkt die Bahn darüber nach, wie sie mit „Alternativrouten“<br />

bis 2019 „nachfragegerechte Kapazitäten“ schaffen kann. Es<br />

geht um kleine Maßnahmen mit einem großen verkehrlichen Hebel.<br />

Die Y-Trasse taucht darin nicht auf. Dafür geht es zum Beispiel<br />

um eine “Verlängerung der Überholgleise Calbe Ost“ und den<br />

„Knotenausbau in Hanau“. Gut 2,3 Milliarden Euro kostet das Programm.<br />

Eigentlich müsste die Bahn dem Bund raten, einige unsinnige<br />

Großprojekte zu stoppen. Aber sie traut sich nicht. Stattdessen<br />

heißt die diplomatische Sprachregelung nun: ein sowohl<br />

– als auch. Also den unterfinanzierten Bedarfsplan des Bundes abarbeiten<br />

und gleichzeitig das Wachstumsprogramm anschieben.<br />

Beinharte Lobbyarbeit<br />

Die Debatte, der Bahn mehr Leine bei den Investitionsentscheidungen<br />

zu lassen, ist nicht ungefährlich für das Haus. Man<br />

könnte darauf kommen, die DB Netz dann gleich in die Unabhängigkeit<br />

zu entlassen. Seit dem Winterchaos wird darüber<br />

verstärkt diskutiert. Bahnchef Grube ist in diesen Tagen viel<br />

unterwegs, um der Politik diesen Weg auszureden. „Der integrierte<br />

Konzern hat sich bewährt“, predigt er. Im Bahntower<br />

kanzeln seine Leute die Trennung als „Zerschlagung“ ab und<br />

verweisen auf die negativen Folgen für die Bahn-Beschäftigten,<br />

weil sich Personal nicht mehr verschieben lasse. Man fordert<br />

sogar, dass die Bahn bei einer Trennung auch Zinsen vom Bund<br />

für Eigeninvestitionen in die Infrastruktur bekommen müsse.<br />

Auf halber Strecke zwischen Bahnzentrale und Berliner<br />

Hauptbahnhof liegt der Bundestag. Im Reichstag-Restaurant<br />

platzt Toni Hofreiter gerade der Kragen: „Die fordern Zinsen von<br />

uns, wenn wir Netz und Betrieb trennen? Die kriegen keinen<br />

Cent!“ Toni Hofreiter, Verkehrsexperte der Grünen, ist ein Bayer<br />

mit schulterlangem Haar und Leidenschaft für die Schiene. Heute<br />

treibt ihn die Bahn von einem Wutanfall zum nächsten: „Die<br />

ziehen gigantische Gewinne aus der subventionierten Infrastruktur.<br />

Kein Wunder, dass sie nun mit der Keule drohen, wenn wir<br />

hier einen sauberen Schnitt anstreben“, schimpft er. „Ein natürliches<br />

Monopol in Konzernhand, wo gibt es denn so was?“<br />

Die Trennung von Bahnnetz und -betrieb ist das Schreckgespenst<br />

der Bahn-Manager. Für Hofreiter ist sie die Lösung für<br />

eine bessere Bahn: „In einem unabhängigen Netz, wird der Vorstand<br />

des Netzes alles tun, damit es in bestem Zustand ist.“ Aber<br />

der Grüne weiß selbst: „Bisher traut sich keiner in der Regierung,<br />

das Thema entschlossen anzupacken.“ Zuletzt hat der<br />

ehemalige SPD-Verkehrsminister Kurt Bodewig im Jahr 2001 die<br />

Revolution versucht – und verloren.<br />

Hofreiters Hoffnung heißt FDP. Er setzt auf die Vernunft der<br />

Liberalen, „die in dieser Frage ausnahmsweise ähnlich ticken<br />

wie wir.“ Der Grünenpolitiker macht sich selbst Mut: „Die Realität<br />

ist auf unserer Seite. Konstruktionsfehler im Konzernaufbau<br />

der DB sind offensichtlich, das aktuelle System geht schon<br />

lange nicht mehr gut.“ Wenn nicht jetzt die Trennung gelingt,<br />

wann dann?<br />

Man kann mit Patrick Döring, dem Verkehrsmann der Liberalen,<br />

über eine neue Bahnordnung reden – wenn er auf einem<br />

Wutbürger Demonstration gegen das Projekt Stuttgart 21<br />

Interview Christian Böttger, Bahnexperte<br />

„Das DDR-Verkehrskombinat hat es auch so gemacht“<br />

Christian Böttger (47) ist Professor im<br />

Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen<br />

der Hochschule für Technik und<br />

Wirtschaft Berlin. Als Bahnexperte<br />

war er mehrfach Gutachter im Verkehrsausschuss<br />

des Bundestags<br />

€uro: Herr Böttger, über 90 Milliarden<br />

Euro steckten die Steuerzahler seit<br />

2000 in die Deutsche Bahn. Trotzdem<br />

gewann der Konzern kaum Marktanteile.<br />

Fehlt das Geld oder das Konzept?<br />

Christian Böttger: An Geld hat es<br />

nicht gemangelt. Die Deutsche Bahn<br />

krankt an einer verfehlten Infrastrukturpolitik<br />

und dem eigenen Anspruch,<br />

ein Global Player zu sein.<br />

€uro: Was genau läuft falsch?<br />

Böttger: Zum einen wurden auf Drängen<br />

der Politik unrentable Prestigeprojekte<br />

wie Stuttgart 21 oder die Hochgeschwindigkeitsstrecke<br />

Nürnberg-Erfurt<br />

angepackt. Dazu kommt die internationale<br />

Expansion: Die DB hat den Logistikkonzern<br />

Schenker, das britische Busunternehmen<br />

Arriva und weitere Unternehmen<br />

für teures Geld gekauft und diese<br />

Investitionen mit den Gewinnen aus<br />

dem Deutschland-Geschäft finanziert.<br />

€uro: Soll die Deutsche Bahn etwa<br />

nicht als globaler Konzern agieren?<br />

Böttger: Das Ziel ist vermessen. Damit<br />

der Konzern weltweit agieren kann,<br />

zieht er die Mittel aus der Eisenbahn in<br />

Deutschland ab und lässt die Infrastruktur<br />

verfallen. Das ist ein Grund,<br />

warum in Deutschland die Züge kaum<br />

noch fahren, wenn es schneit.<br />

€uro: Aus Sicht der Bahnmanager sind<br />

die Zukäufe nötig, um die gesamte<br />

Logistikkette aus einer Hand zu bieten.<br />

Böttger: Das DDR-Verkehrskombinat<br />

hat das früher auch so gemacht – ein<br />

Unternehmen für alles. Aber moderne<br />

Firmen konzentrieren sich heute meist<br />

auf nur eine Wertschöpfungsstufe, kein<br />

privatwirtschaftlicher Wettbewerber<br />

hat den Anspruch, eine vergleichbare<br />

Wertschöpfungstiefe anzubieten. Die<br />

DB AG betreibt inzwischen Flugzeuge<br />

in den USA und versorgt Minen in Papua-Neuguinea.<br />

Das passt nicht zu ihr.<br />

€uro: Aber macht die Deutsche Bahn<br />

Verluste mit der Logistik? In der<br />

Konzernbilanz steht ein Gewinn von<br />

200 Millionen Euro.<br />

FOTOS: Bernd Weissbrod/dpa/dpa Picture-Alliance (1)<br />

Böttger: Bei dieser Rechnung fehlen<br />

die Kapitalkosten für all die Übernahmen.<br />

Die Zinsen für die 7,5 Milliarden<br />

Euro teuren Zukäufe fressen die Gewinne<br />

auf. Fakt ist doch: Die Logistiktochter<br />

Schenker hat noch nie ihre Kapitalkosten<br />

verdient. Das Gleiche gilt<br />

für den Kauf von Arriva. Hier müsste<br />

sich der derzeitige Gewinn des Konzerns<br />

verdoppeln, damit man auf null<br />

käme. Die Deutsche Bahn zahlt jedes<br />

Jahr drauf und am Ende haftet der<br />

deutsche Steuerzahler.<br />

€uro: Warum lässt auch die schwarzgelbe<br />

Regierung die Internationalisierung<br />

auf Kosten der Bürger zu?<br />

Böttger: Die Bahn wusste schon immer,<br />

an wen sie herantreten muss.<br />

Schauen wir nur mal auf Georg Brunnhuber.<br />

Der Cheflobbyist der DB war<br />

bis vor anderthalb Jahren als Landesgruppenchef<br />

der CDU Baden-Württemberg<br />

im Bundestag. Mit ihrem guten<br />

Netzwerk kann die Bahn sich immer<br />

wieder gegen parlamentarischen<br />

Widerstand durchsetzen. Der Arriva-<br />

Deal ist ein Lehrstück über erfolgreiche<br />

Politikökonomie.<br />

€uro: Die aktuelle Forderung vieler<br />

Politiker nach neuen Milliarden für die<br />

Deutsche Bahn klingt allerdings schon<br />

wieder nach Klüngelei ohne Konzept.<br />

Böttger: Bevor wir über neues Geld<br />

reden, sollte die Politik erst einmal an<br />

den Strukturen feilen: Die vorhandenen<br />

Mittel müssen effizienter eingesetzt<br />

werden. Die rentabelsten Verkehrsinvestitionen<br />

sollten als erste umgesetzt<br />

werden. Die Wirtschaftlichkeit<br />

der internationalen Bahn-Geschäfte<br />

bedarf einer Überprüfung. Unter diesen<br />

Rahmenbedingungen würden auch<br />

weitere öffentliche Mittel für die Infrastruktur<br />

Sinn machen.<br />

€uro: Im deutschen Personenverkehr<br />

fährt die Bahn mit einem Marktanteil<br />

von sieben Prozent in der Nische. Hat<br />

Eisenbahn überhaupt eine Zukunft?<br />

Böttger: Ja, dafür sprechen die globalen<br />

Trends. Die Bahn ist energieeffizienter<br />

und umweltverträglicher als jeder<br />

andere Verkehrsträger. Auch die steigenden<br />

Energiepreise wirken zugunsten<br />

der Bahn. Vor allem im Güterverkehr<br />

könnte sie ihren Marktanteil deutlich<br />

ausweiten. In den USA macht der<br />

Anteil der Schiene bereits über 40 Prozent<br />

aus, in Deutschland sind es nur gut<br />

16 Prozent. Im Personenverkehr werden<br />

Subventionsmilliarden in die Förderung<br />

von Elektromobilität gesteckt – dabei<br />

haben wir mit der Bahn bereits ein<br />

Elektrofahrzeug.<br />

26 €URO 03|11<br />

€URO 03|11 27


[Dossier] Deutsche Bahn<br />

Deutsche Bahn [Dossier]<br />

FDP-Parteitag wäre. Er würde hier die schnellstmögliche Privatisierung<br />

der Bahn-Logistik-Sparte fordern, „weil es ein Unding ist, aus. Döring tröstet sich, es sei nur die „erste Sitzung“ gewesen.<br />

reform zu reden. Aber nicht einmal ein Zeitplan kam dabei her-<br />

dass die Bundesrepublik Deutschland ein weltweit agierendes Aber kommt da noch etwas? Minister Ramsauer hat Verkehrsstaatssekretär<br />

Klaus-Dieter Scheurle mit dem Thema betraut. Der<br />

Speditionsunternehmen hat.“ Er würde die Ausschreibungspflicht<br />

für den Nahverkehr ins Gesetz schreiben wollen. Dann CSU-Mann und ehemalige Postbeamte hat auch schon für die<br />

wäre es mit der Praxis vorbei, dass sich die Bahn fast fünf der Bank Credit Suisse gearbeitet, die mit dem Börsengang der Bahn<br />

jährlich sieben Milliarden Euro „Zuggeld“ vom Staat meist über betraut war, der aber 2008 abgesagt wurde. Wer Scheurle trifft,<br />

Direktvergaben ohne Wettbewerb sichert. Und er würde die DB ist überrascht, wie locker er Bahnpolitik aus dem Ärmel schüttelt.<br />

Netz unabhängig aufstellen. Döring sagt: „Wir haben ordnerweise<br />

Beschwerden von Wettbewerbern, dass auf ihrer Strecke kein erbaut worden und die Bahn sei im Übrigen ja traditionell ein<br />

Da fallen Sätze wie Rom sei schließlich auch nicht an einem Tag<br />

Grünschnitt gemacht, das Überholgleis nicht gebaut und die Weiche<br />

nicht beheizt wird.“<br />

Aus dem Verkehrsministerium ist nun zu hören, dass aus<br />

integrierter Konzern.<br />

dem<br />

Tröstende Schritte<br />

Das „Wäre“ und „Würde“ ist Dörings Dilemma. Denn er ist gefesselt<br />

durch einen Koalitionsvertrag und diszipliniert durch sein<br />

Insiderwissen als DB-Aufsichtsrat. Im Regierungsprogramm hat<br />

er für die FDP lediglich durchsetzen können, dass die Kappung<br />

des Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrags zwischen<br />

DB Netz und dem Mutterkonzern geprüft wird. Die Bahnzentrale<br />

hätte dann keinen direkten Zugriff mehr auf die Gewinne des<br />

Netzes und Bahnchef Grube könnte Investitionen nicht mehr diktieren.<br />

Für die FDP wäre das der erste Schritt auf dem Weg zu<br />

einer echten Teilung des Konzerns.<br />

Nach peinlichen Pannen der Bahn im vergangenen Sommer<br />

und Winter sah es so aus, als habe die Trennung light eine echte<br />

Chance. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) erfand<br />

dafür Anfang des Jahres den Ausdruck vom „Finanzierungskreislauf<br />

Schiene“: Die Einnahmen aus der Trassenmaut bleiben im<br />

System. Aber seit sich die erste Aufregung gelegt hat und die DB-<br />

Lobbyisten losgezogen sind, hakt es bei der Umsetzung. Drei<br />

Stunden saßen der Verkehrsminister und Experten der Regierungsfraktionen<br />

Ende Januar zusammen, um über die Bahn-<br />

„Finanzierungskreislauf Schiene“ eine „Selbstverpflichtung“ der<br />

Bahn werden könnte, mehr Eigenmittel ins Netz zu investieren.<br />

Doch schon bei Gasnetzen, Mehrwegflaschen und Autoabgasen<br />

wurde die Politik von der Wirtschaft genarrt. „Selbstverpflichtung“<br />

klingt schön, ändert aber meist wenig.<br />

Aus dem schweizerischen Bern blickt Peter Füglistaler fassungslos<br />

auf die Verantwortungslosigkeit und Unverbindlichkeit<br />

der deutschen Bahnpolitik. Er war lange Topmanager bei den<br />

Schweizer Bundesbahnen und leitet das Bundesamt für Verkehr,<br />

das auch die Schiene überwacht. „Bahnpolitik ist harte Arbeit“,<br />

sagt er. Die Schweiz ernte nun die Früchte nach zwanzig Jahren<br />

(siehe Essay rechts). Er ist sauer, dass die Schweiz die Alpentransversale<br />

für den Güterverkehr zwischen Deutschland und Italien<br />

mit 15 Milliarden Euro – allein für den Gotthardtunnel – vorantreibt,<br />

Deutschland aber mit dem viergleisigen Ausbau der Strecke<br />

bis nach Karlsruhe unglaublich zurückhängt. Das Projekt ist eingeklemmt<br />

im Bedarfsplan Schiene und muss bald auch noch mit<br />

der Y-Trasse und Stuttgart 21 um die Steuergelder konkurrieren.<br />

Gebaut wird an der Strecke schon seit 1987. Wenn es bei dem<br />

Investitionstempo der vergangenen fünf Jahre mit 80 Millionen<br />

Euro jährlich bleibt, wird der 51-jährige Füglistaler die Einweihung<br />

nicht mehr im Job erleben: Sie käme 2040.<br />

Chaostage In diesem Winter brach der Personenverkehr der Deutschen Bahn nach Schneefällen völlig zusammen<br />

FOTOS: Béatrice Devènes (1), Johannes Eisele/AFP/Getty Images (1), Johannes Eisele/AFP/Getty Images (1)<br />

Essay Peter Füglistaler, Chef des Schweizer Bundesamts für Verkehr<br />

Das Schweizer Bahngeheimnis<br />

Das schweizerische Bankgeheimnis hat<br />

im Ausland nur noch wenig Freunde.<br />

Dafür scheinen wir ein umso sympathischeres<br />

Bahngeheimnis zu haben. Nach<br />

den Winterproblemen bei der Deutschen<br />

Bahn wollen viele wissen, weshalb<br />

unsere Züge auch bei Schneefall<br />

fahren. Und warum unsere Bahnen<br />

generell so gut funktionieren. Eine kurze<br />

Antwort darauf gibt es nicht. Denn es<br />

war harte Arbeit.<br />

Noch vor 20 Jahren stand es nicht gut<br />

um die Schweizer Schiene. Regionalstrecken<br />

sollten stillgelegt werden, das Großprojekt<br />

der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale<br />

galt als nicht finanzierbar.<br />

Wir mussten uns entscheiden: Wie wichtig<br />

ist uns der Schienenverkehr und was<br />

wollen wir dafür bezahlen?<br />

Heute besteht in der Schweiz der<br />

Konsens, dass der Verkehr auf der Schiene<br />

– und nicht auf der Straße – wachsen<br />

soll und dass dies auch etwas kosten<br />

darf. Derzeit arbeiten wir intensiv daran,<br />

die Finanzierung der Bahninfrastruktur<br />

für die Zukunft zu sichern. Unsere Regierung<br />

schlägt vor, dass die Kunden bis<br />

2017 zehn Prozent mehr für das Bahnfahren<br />

zahlen sollen. Zudem sollen<br />

Pendler weniger Steuerabzüge machen<br />

dürfen und die Kantone einen Zusatzbeitrag<br />

an den Bahnausbau leisten.<br />

Die solide Finanzierung ermöglicht<br />

uns einen Fahrplan mit Abfahrten immer<br />

zur vollen, halben oder Viertelstunde,<br />

ein dichtes Netz mit guten Anschlüssen<br />

und moderaten Fahrkosten. Wir<br />

Schweizer sind heute Weltmeister im<br />

Bahnfahren. Wir fahren im Schnitt rund<br />

2400 Kilometer pro Jahr, rund doppelt<br />

so viel wie die Deutschen.<br />

Auch im Güterverkehr bekennen wir<br />

uns zur Schiene. Unser Stimmvolk hat<br />

sich mehrfach dafür ausgesprochen, den<br />

Güterzugverkehr hauptsächlich mit<br />

einer Lkw-Maut zu fördern, die für alle<br />

Lkw und überall gilt und rund dreimal<br />

höher ist als die deutsche. Sie begünstigt<br />

den Schienenverkehr und ist für Durchschnittsbürger<br />

kaum spürbar.<br />

Während wir beim Bau des Gotthardtunnels<br />

den ersten Durchbruch feiern<br />

konnten, wurde die Deutsche Bahn für<br />

ihr Großprojekt Stuttgart 21 massiv kritisiert.<br />

Was wir anders machen? Wir würden<br />

ein solches Projekt gegenüber<br />

jeder Bürgerversammlung vertreten<br />

und es dem Volk zur Abstimmung<br />

unterbreiten. Es wäre bei uns nicht das<br />

„neue Herz Europas auf der Magistrale<br />

Paris-Stuttgart-Budapest“. Wir würden<br />

den Stuttgartern erklären, dass sie dank<br />

neuer S-Bahnlinien und dichteren Fahrplänen<br />

schnell und staufrei zur Arbeit<br />

und wieder nach Hause kommen. Wir<br />

würden die Baukosten nicht mit 4,088<br />

Milliarden Euro unverrückbar festsetzen.<br />

Sondern ein solches Projekt mit<br />

einer Schätzgenauigkeit von 30 Prozent<br />

Abweichung nach oben oder unten<br />

planen – obwohl wir das Image des<br />

Buchhalters Nötzli haben.<br />

Schweizer lieben Staatsunternehmen.<br />

Bund und Kantone stellen nicht nur<br />

Steuergelder zur Verfügung, sondern<br />

verzichten als Eigner der Bahnen auf<br />

eine Dividende oder die Versilberung<br />

an der Börse. Natürlich soll auch unsere<br />

einstige Behördenbahn zum betriebswirtschaftlich<br />

geführten, kundenorientierten<br />

Unternehmen werden. Uns ist es<br />

aber lieber, wenn unsere Bahnen die<br />

Gewinne in den Betrieb und dessen<br />

Unterhalt und Ausbau stecken.<br />

Unsere größte Sorge ist derzeit die<br />

Wirtschaftlichkeit der Neuen Eisenbahn-<br />

Alpentransversale. Wir können den neuen<br />

Gotthardtunnel nur auslasten, wenn<br />

Deutschland wie vereinbart die Zubringerstrecke<br />

Karlsruhe-Basel am Oberrhein<br />

auf vier Gleise ausbaut.<br />

Dass sich der Bau auf deutscher Seite<br />

verzögert, kann nicht mit fehlendem<br />

Geld erklärt werden. Wir Schweizer haben<br />

für das europäische Projekt 15 Milliarden<br />

Euro allein in den Gotthardtunnel<br />

investiert. Deutschland hat es in der<br />

Hand, aus der Trasse die neue europäische<br />

Pulsader für den Güterverkehr zu<br />

machen. Das Bahngeheimnis der<br />

Schweiz ist im Interesse aller.<br />

Peter Füglistaler (51) ist seit dem Sommer<br />

2010 Direktor des Schweizer Bundesamts<br />

für Verkehr in Bern, das auch die Eisenbahn<br />

überwacht. Zuvor verantwortete er in der<br />

Geschäftsleitung der Schweizerischen Bundesbahnen<br />

(SBB) die Sparte Infrastruktur<br />

€URO 03|11 29

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