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3.2.1.4 Allgemeine Handlungsfreiheit, Art.2 Abs.1 GG - Michael Jasch

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GRUNDRECHTE<br />

<strong>3.2.1.4</strong><br />

<strong>Allgemeine</strong> <strong>Handlungsfreiheit</strong>, Art. 2 <strong>Abs.1</strong> <strong>GG</strong><br />

Prof. Dr. <strong>Michael</strong> <strong>Jasch</strong>


Übersicht<br />

<strong>Allgemeine</strong> <strong>Handlungsfreiheit</strong> (Art. 2 I <strong>GG</strong>)<br />

2<br />

1. Schutzbereich der allgemeinen <strong>Handlungsfreiheit</strong><br />

2. Beispiele<br />

3. Schranken des Grundrechts / Prüfung im Fall


Fall 1<br />

Der 17jährige Schüler M betreibt eine Internet-Seite, auf<br />

der Mitschüler und –schülerinnen ihre Profile einstellen<br />

können. Da dort zahlreiche Urlaubsphotos in sehr<br />

spärlicher – z.T. auch ohne – Badebekleidung zu sehen<br />

sind, lässt die Bezirksregierung Göttingen die Seite per<br />

Sperrungsverfügung abschalten.<br />

Fall 2<br />

M nähert sich nach einem Kneipenbesuch stark<br />

schwankend seinem PKW und wird dabei von Polizist P<br />

beobachtet. Beim vierten Versuch schafft er es, den<br />

Schlüssel in das Autoschloss zu stecken.<br />

P untersagt ihm, den Wagen zu fahren.<br />

3


4<br />

<strong>Art.2</strong> Abs. 1 <strong>GG</strong><br />

- Die „allgemeine <strong>Handlungsfreiheit</strong>“ -<br />

„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner<br />

Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer<br />

verletzt und<br />

nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder<br />

das Sittengesetz verstößt.“


1. Inhalt (Schutzbereich) von <strong>Art.2</strong> Abs. 1 <strong>GG</strong><br />

5<br />

a) Persönlicher Schutzbereich (Grundrechtsträger)<br />

- jeder Mensch ! (nicht nur Deutsche)<br />

b) Sachlicher Schutzbereich<br />

• überwiegend Ansicht: alle Betätigungen oder Lebensbereiche,<br />

die nicht einem speziellen Grundrecht unterfallen.<br />

• andere Ansicht (Mindermeinung): nur solche Bereiche, die für<br />

die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen gewichtig sind (in<br />

einer Intensität wie bei anderen Grundrechten).


6<br />

=> Grundgedanke von Art. 2 <strong>Abs.1</strong>:<br />

• „Jeder kann grundsätzlich tun und lassen was er / sie<br />

will.“<br />

• Sehr weiter Schutzbereich zur Gewährleistung<br />

allgemeiner Freiheit für alle Personen.<br />

Definitionsvorschlag:<br />

Art. 2 <strong>Abs.1</strong> garantiert die Freiheit, den<br />

eigenen Wünschen gemäß in allen<br />

Lebensbereichen tätig zu werden oder untätig<br />

zu bleiben.


7<br />

..aber: Art. 2 <strong>Abs.1</strong> ist „Auffanggrundrecht“!<br />

- Art. 2 <strong>Abs.1</strong> ist nur dann einschlägig, wenn keine<br />

spezielleren Freiheitsgrundrechte greifen ! (z.B.: Meinungsfreiheit,<br />

Glaubensfreiheit usw.)<br />

=> Folge für die Klausurbearbeitung:<br />

• Vorher muss geprüft werden, ob das im konkreten Fall<br />

vorliegende Verhalten nicht einem spezielleren Grundrecht<br />

unterfällt !<br />

• Nur wenn das nicht der Fall ist, könnte Art. 2 I anwendbar<br />

sein. Einleitungsformulierung z.B.: ..“kein spezielleres<br />

GR dürfte in Betracht kommen .... Siehe oben ....“


Beispiel 1: Ausreisefreiheit<br />

8<br />

Art. 2 I gewährleistet Reise- und Ausreisefreiheit aus dem<br />

Bundesgebiet (BVerfG 6, 32 – „Elfes“).<br />

• Nicht aber: Einreisefreiheit für ausländische<br />

Staatsangehörige<br />

(Argument.: Einreise über Art. 11 <strong>GG</strong> den Deutschen<br />

vorbehalten)<br />

• Polizeilich relevante Einschränkung: Passentzug (§§ 7,8<br />

PassG) und Meldeauflagen (§ 11 Nds.SOG) bei Fußball-<br />

Hooligans. Dazu:<br />

- http://www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidung.php?<br />

ent=250707U6C39.06.0<br />

- http://akj.rewi.hu-berlin.de/zeitung/01-2/frei.html


9<br />

Beispiel 2: Verbandsmitgliedschaften<br />

<strong>Art.2</strong> I garantiert eine Freiheit von Zwangsmitgliedschaften<br />

in Organisationen aller Art.<br />

• Zulässige Ausnahmen sind nur aus wichtigen, sachlich<br />

begründbaren Umständen möglich:<br />

Bsp.: Handwerkskammern, AStA<br />

(=> Semesterticket), Ärztekammern.


Beispiel 3: Öffentlicher Alkoholkonsum,<br />

Facebook-Partys u.ä. „unerwünschtes“ Verhalten<br />

<strong>Art.2</strong> I garantiert auch die Freiheit öffentlicher Betätigungen<br />

der Individualentfaltung.<br />

10<br />

• Einschränkungen nur zulässig, wenn konkrete Tatsachen<br />

für „Gefahr“ (§ 11 Nds.SOG) nachweisbar vorliegen oder<br />

Erlaubnispflicht besteht (z.B.: Sondernutzung Straßenraum,<br />

§ 16 StraßenG).<br />

• Dazu: Rechtswidrigkeit Alkohol-Verbotszone:<br />

http://vghmannheim.de/pb/,Lde/1214204/?LISTPAGE=1214100<br />

• Grundlegend: F. Schoch:<br />

http://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/jura-2012-0182.pdf


11<br />

Beispiel 4: Strafbarkeit Inzest (§ 173 Abs.2 StGB)<br />

• Problem: Ist diese Einschränkung der Sexualität durch<br />

§ 173 StGB verfassungsgemäß ?<br />

• Strafrecht darf nur bestimmbare Rechtsgüter schützen –<br />

nicht aber moralische Vorstellungen !<br />

BVerfG: Verbot von Inzest zulässig !:<br />

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/<br />

rs20080226_2bvr039207.html<br />

Beachte aber das abweichende Votum des Richters Hassemer am<br />

Ende der Entscheidung!


Beispiel 5: Cannabis<br />

12<br />

• Problem: Gibt Art. 2 <strong>Abs.1</strong> ein „Recht auf Rausch“?<br />

BVerfG: Nein ! ... aber:<br />

„Angesichts der offenen kriminalpolitischen und<br />

wissenschaftlichen Diskussion über die vom<br />

Cannabiskonsum ausgehenden Gefahren hat der<br />

Gesetzgeber die Auswirkungen des Rechts unter<br />

Einschluss der Erfahrungen des Auslandes zu<br />

beobachten und zu überprüfen.“ (BVerfGE 90, 145)


13<br />

Weitere Beispiele – Schutzbereich Art. 2 I:<br />

• <strong>Allgemeine</strong> Vertragsfreiheit, wirtschaftliche<br />

Betätigungsfreiheit, Wettbewerbsfreiheit.<br />

• Selbstdarstellung der Person<br />

• Selbstbestimmung<br />

- v.a. über lebensverlängernde Maßnahmen,<br />

- Kleidung, Auftreten in der Öffentlichkeit<br />

- die eigene Sexualität.


14<br />

3. „Weiter Anwendungsbereich<br />

=> weiträumige Schranken“<br />

„Schrankentrias“ Art. 2 <strong>Abs.1</strong>:<br />

• Rechte anderer<br />

• verfassungsmäßige Ordnung<br />

• Sittengesetze


15<br />

Schranken<br />

• Rechte anderer<br />

Def.<br />

= die nach der Gesamtentscheidung des <strong>GG</strong><br />

schutzwürdigen Interessen anderer<br />

überwiegend enthalten in..<br />

• verfassungsmäßige Ordnung<br />

Def.<br />

= alle Normen, die formell und materiell mit der<br />

Verfassung übereinstimmen.


16<br />

• Sittengesetze<br />

- hM: heute keine eigenständige Bedeutung mehr,<br />

keine Auffangschranke!<br />

- allerdings gibt die Formulierung dem Gesetzgeber/<br />

der Rspr. ein Recht, sich bei ihrer Tätigkeit an<br />

mehrheitsfähigen sittlichen Normen zu orientieren.


Prüfung im Fall<br />

(nur zur Verdeutlichung des Grundprinzips)<br />

17<br />

I. Grundrechtsprüfung<br />

1. persönl. Schutzbereich?<br />

2. Sachlicher Schutzbereich betroffen?<br />

- Definition: Was schützt Art. 2 I ?<br />

3. Eingriff ?<br />

- nicht nur Bagatellbeeinträchtigungen<br />

4. Verfassungsrechtlich gerechtfertigt ?<br />

- Grundrechtsschranken Art. 2 I 2.Hs<br />

a) Rechte anderer,<br />

b) verfassungsmäßige Ordnung,<br />

c) Sittengesetze


Zusammenfassung:<br />

Art. 2 <strong>Abs.1</strong> <strong>GG</strong><br />

1) Inhalt: <strong>Allgemeine</strong> <strong>Handlungsfreiheit</strong>, zur Enthaltung der eigenen<br />

Persönlichkeit alles tun oder lassen zu können, was man will. Beispiele:<br />

Verträge schließen, Auto fahren, Wettbewerbsfreiheit, Eigenbedarf an<br />

Rauschmitteln, Selbstbestimmungsrecht, Kleidung, Sexualität, u.v.a. Aber:<br />

Nur Auffanggrundrecht, soweit kein spezielleres GR einschlägig ist!<br />

2) Grundrechtsträger: Jeder Mensch, ab Geburt (Menschenrecht)<br />

3) Zweck: Abwehr staatlicher Gewalt und Beschränkung.<br />

4) Eingriff in Art. 2 I ist jede belastende staatl. Maßnahme, die nicht bloß ein<br />

Bagatelleingriff ist.<br />

5) Schranken: „Schrankentrias“:<br />

a) Rechte anderer (alle subjekt. Rechte privat- oder öffentlich-rechtl.;<br />

Anwartschaften; Grundrechte)<br />

b) Verfass.mäßige Ordnung (formell u. materiell verfassungsmäßige<br />

Rechtsordnung insgesamt)<br />

c) Sittengesetze (allgem. anerkannte Wertvorstellungen).<br />

18


19<br />

Zur Übung: Lesetipp zu Art. 2 <strong>Abs.1</strong> <strong>GG</strong><br />

• Kahl: Grundfälle zu Art. 2 I <strong>GG</strong>, JuS 2008, S. 499 ff, sowie<br />

S. 595 ff.<br />

• BVerfGE 6, 32 („Elfes-Entscheidung“:<br />

http://www.ja-aktuell.de/cms/website.php?id=/de/<br />

studium_referendariat/klassiker/1_bvr_253-56.htm)<br />

• BVerfG JuS 2006, 648 (Xavier Naidoo: Vertragsfreiheit als Teil<br />

von Art. 2 I <strong>GG</strong>: http://openjur.de/u/220689.html).

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